eJournals PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL 19/5

PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
Über fünf Jahrzehnte fehlte die markante, glockenförmige Kuppel der Frauenkirche in der Stadtsilhouette Dresdens. Anfang der Neunzigerjahre dann der Plan zu einem kühnen Projekt: Buchstäblich aus Ruinen sollte die barocke Frauenkirche wieder auferstehen. Originalgetreu rekonstruiert, bis zur Turmspitze über 90 Meter hoch, finanziert größtenteils durch private Spendengelder. Hinter der Projektmeisterleistung stand ein Team der Planungsgesellschaft „IPRO Gesellschaft“ in Dresden unter den Projektmanagern Dr. Karl-Heinz Schützhold und Ulrich R. Schönfeld. Drei Jahre nach Abschluss des Projekts kamen die beiden Baumeister zu Ehren: Die GPM verlieh ihnen im Juni 2008 den „Roland Gutsch Project Management Award“, die höchste deutsche Auszeichnung für Projektmanager (siehe Bericht auf Seite 13 f.). Im Gespräch berichtet Ulrich R. Schönfeld über das Projekt, über technische Herausforderungen, Terminplanung, den Umgang mit Stakeholdern und die Frage, wie man alle Beteiligten mit dem „Geist eines Baumeisters“ beseelen kann.
2008
195 Gesellschaft für Projektmanagement

„Baumeisterlicher Geist bestimmte die Arbeit im Projekt“

2008
Oliver Steeger
Herr Schönfeld, selten ist ein Bauprojekt den Menschen so nahegegangen wie der Wiederaufbau der Dresdner Frauenkirche. Als die neuen Glocken der Frauenkirche im Jahr 2003 erstmals läuteten, sollen vielen Dresdnern die Tränen in den Augen gestanden haben. Zur Kirchenweihe zwei Jahre später kamen sechzigtausend Menschen zusammen, der Neumarkt war überfüllt; zehntausende Fernsehzuschauer verfolgten die Festlichkeiten. Solche Popularität ist für ein Bauprojekt außergewöhnlich. Ulrich R. Schönfeld: Der Wiederaufbau der Frauenkirche löste tatsächlich eine enorme emotionale Wirkung aus, große Anteilnahme und private Unterstützung, mit der wir anfangs nicht rechnen konnten. Die Spenden kamen ja nicht nur aus Deutschland ... Sie kamen aus aller Welt. Die Briten beispielsweise spendeten das Kuppelkreuz, es wurde geschmiedet von dem Sohn eines Bomberpiloten, der im Februar 1945 Angriffe auf Dresden geflogen hatte. Viele Spender haben ihren Beitrag zum Wiederaufbau auch als Geste ihres Friedenswillens und ihrer Bereitschaft zur Versöhnung verstanden. Diese Symbolik hat den Wiederaufbau von Anfang an begleitet, sogar Persönlichkeiten aus der Politik sprechen vom „Wunder von Dresden“. Viele, die jahrzehntelang mit der Ruine gelebt hatten, empfanden den Wiederaufbau in der Tat als Wunder, auf das sie sechzig Jahre nach der Zerstörung kaum mehr gehofft haben. Kann eine so große öffentliche Erwartung für einen Projektmanager auch zur Last werden? Ich will nicht von einer Belastung sprechen, eher von der Verpflichtung, das zu erfüllen, was die vielen privaten und öffentlichen Spender erwartet haben. Dieses Pflichtgefühl haben alle Beteiligten empfunden - vom Auftraggeber über das Projektteam bis hin zu den ausführenden Unternehmen. Und diese Pflicht hat uns dann und wann mit Sicherheit nervös gemacht. SONDERTEIL projekt MA N A G E M E N T aktuell 5/ 2008 l 3 „Baumeisterlicher Geist bestimmte die Arbeit im Projekt“ Projektleiter Ulrich R. Schönfeld über den Wiederaufbau der Dresdner Frauenkirche Über fünf Jahrzehnte fehlte die markante, glockenförmige Kuppel der Frauenkirche in der Stadtsilhouette Dresdens. Anfang der Neunzigerjahre dann der Plan zu einem kühnen Projekt: Buchstäblich aus Ruinen sollte die barocke Frauenkirche wieder auferstehen. Originalgetreu rekonstruiert, bis zur Turmspitze über 90 Meter hoch, finanziert größtenteils durch private Spendengelder. Hinter der Projektmeisterleistung stand ein Team der Planungsgesellschaft „IPRO Gesellschaft“ in Dresden unter den Projektmanagern Dr. Karl-Heinz Schützhold und Ulrich R. Schönfeld. Drei Jahre nach Abschluss des Projekts kamen die beiden Baumeister zu Ehren: Die GPM verlieh ihnen im Juni 2008 den „Roland Gutsch Project Management Award“, die höchste deutsche Auszeichnung für Projektmanager (siehe Bericht auf Seite 13 f.). Im Gespräch berichtet Ulrich R. Schönfeld über das Projekt, über technische Herausforderungen, Terminplanung, den Umgang mit Stakeholdern und die Frage, wie man alle Beteiligten mit dem „Geist eines Baumeisters“ beseelen kann. Oliver Steeger Ulrich R. Schönfeld (rechts) und Dr. Karl-Heinz Schützhold vor der wiederaufgebauten Frauenkirche Foto: Ralf U. Heinrich PM_5-08_3-14_Sonderteil: Inhalt 24.09.2008 11: 43 Uhr Seite 3 Auch schlaflose Nächte bereitet? Freilich! Die Nervosität nimmt man auch mit in den Feierabend. Die Frage, ob wir solch ein Projekt überhaupt schaffen können, hat in den allerersten Jahren alle bewegt. Dazu gehörten auch Befürchtungen, dass der Spendenfluss erlahmt und es deshalb zu Unterbrechungen auf der Baustelle kommt. Trotz aller Unwägbarkeiten haben wir es den Spendern geschuldet, ein ordentliches Projekt abzuliefern. Etwas Vernünftiges, Hochanständiges. Wie hat dieses Pflichtgefühl das Projekt beeinflusst? Zum einen war es Antrieb und Motivationsquelle für die Beteiligten, zum anderen hat es auch das Klima der Zusammenarbeit bestimmt. Vieles, was bei anderen Projekten hochkommt und sie behindert, ist bei uns erst gar nicht entstanden. Etwa firmenpolitische Konflikte, Eitelkeiten, Missgunst und andere Querelen ...? Ja, zum Beispiel. Doch auch sachliche Interessenskonflikte wurden beim Wiederaufbau der Frauenkirche konstruktiv und kompromissbereit geschlichtet. Übertrug sich dieses Pflichtgefühl auch auf die Firmen, die in Ihrem Auftrag den Bau ausgeführt haben? Die Firmen haben früh gemerkt, dass sie an einer besonderen Aufgabe arbeiten. Viele empfanden es als Ehre, überhaupt an dem Wiederaufbau teilnehmen zu dürfen. Partnerschaft gilt im Bauwesen heute als Seltenheit. Mag sein, dass unser Projekt eine Ausnahme gebildet hat. Wir haben festgestellt, dass es auf der Baustelle deutlich ruhiger als auf anderen Baustellen zuging. Wir haben viele Probleme einvernehmlich am runden Tisch lösen können, auch dann, wenn der eine oder andere Gesprächspartner mal zurückstecken musste. Es handelt sich immerhin um einen sakralen Bau ... Es handelt sich um einen Kirchenbau, gewiss, und ein solcher Bau gemahnt zur Zurückhaltung. Doch dieser äußere Rahmen und das Pflichtgefühl waren nicht die einzigen Gründe für das Arbeitsklima. Wir haben das Klima bewusst gefördert. Gefördert - wie? Es ist uns gelungen, den beteiligten Partnern den Blick auf das Ganze zu vermitteln. Die Baufirmen, Handwerker und unsere Teammitglieder haben nicht nur ihr abgegrenztes Tätigkeitsfeld betrachtet, sondern den gesamten Kirchenbau. Dies halte ich heute für einen wesentlichen Erfolgsfaktor. Wie darf ich mir dieses Arbeitsklima genau vorstellen? Ich beschreibe es an einem Beispiel: Während die Kuppel der Kirche noch im Rohbau emporgezogen wurde, begann im unteren Bereich bereits der Innenausbau. Dies zu steuern ist eine Herausforderung für das Projektmanagement. Es kam zwangsläufig zu Engpässen. Stellenweise auf engstem Raum mussten gleichzeitig Elektroinstallateure, Lüftungstechniker, Tischler, Maler und Restauratoren arbeiten. Ein kluger Projektleiter muss diese Engpässe voraussehen. Er muss darauf achten, dass sich die Gewerke, also beispielsweise die verschiedenen Handwerker, nicht gegenseitig behindern. Er muss planend eingreifen und koordinieren. SONDERTEIL 22 l projekt MA N A G E M E N T aktuell 5/ 2008 4 Die Lücke im Panorama von Dresden ist geschlossen. Seit 2005 dominiert die Kuppel der Frauenkirche die „Skyline“ der Stadt. Höhe der Kirche einschließlich Turmkreuz: 91,23 Meter Gründungstiefe unterhalb Gelände: 6,60 Meter Breite (Nord/ Süd): 41,96 Meter Breite (West/ Ost): 50,02 Meter Außendurchmesser Hauptkuppel: 26,15 Meter Höhe Kirchenraum bis zum Druckring (Auge) der Innenkuppel: 36,65 Meter Höhe der Treppentürme: 50,98 Meter Umbauter Raum des Kirchenbaus: ca. 85.760 Kubikmeter Gewicht Steinmaterial für Kirchenbauwerk: ca. 60.000 Tonnen Gewicht Kuppel: ca. 8.300 Tonnen Gewicht Laterne: ca. 700 Tonnen Integration der stehengebliebenen Ruinenteile: ca. 9.500 Kubikmeter (34 Prozent der Gesamtbaumasse) Integration von Altsteinen aus dem Ruinenfeld: 2.500 Kubikmeter (9 Prozent der Gesamtbaumasse) Für die Gebäudetechnik verlegte Leitungen: 85.500 Meter Verlegte Heizleitungen: 7.700 Meter Das Projekt in Zahlen PM_5-08_3-14_Sonderteil: Inhalt 24.09.2008 11: 43 Uhr Seite 4 Konkret ...? Wir haben die Firmen im Vorfeld an den runden Tisch geholt und die Engpass-Probleme gemeinsam gelöst. Wir haben eine für alle Seiten vertretbare Lösung gesucht - und dabei die Beteiligten selbst um Vorschläge gebeten und Lösungen finden lassen. Was interessiert es einen Elektroinstallateur, dass er sich mit dem Verputzer oder Maler abstimmen muss? Er will seinen Auftrag zum geplanten Termin ausführen. Dies war bei uns anders. Um bei Ihrem Beispiel zu bleiben: Der Elektroinstallateur hat begriffen, dass sein Ziel nicht darin besteht, einige der insgesamt 85.000 Meter zu verlegenden Kabel zu ziehen, sondern gemeinsam mit allen die Frauenkirche wieder aufzubauen. Und für dieses Ziel hat er auch seine eigenen Ansprüche zurückgestellt, wenn es sein musste. Also eine Art „baumeisterlicher Geist“, der das Handeln der Projektleitung und Ausführenden bestimmt? Dieser Begriff trifft es sehr gut. Baumeisterlich denken heißt dem gesamten Bauwerk verpflichtet zu sein, nicht kleinlich und allein seinem Fachgebiet verhaftet zu denken, sich nicht selbst für den Mittelpunkt zu halten ... ... sondern das gemeinsame Bauwerk ins Zentrum zu stellen? Das Bauwerk in den Mittelpunkt des Gestaltens und Handelns zu stellen - das ist baumeisterliches Denken! Was nun den Projektleiter betrifft: Er muss sich mit einbringen, er darf nicht ihm vielleicht nebensächlich erscheinende Gespräche wegdelegieren, Detailplanungen, Konfliktgespräche oder Arbeitsgruppenmeetings anderen aufgeben. Der sich über zwölf Jahre erstreckende Wiederaufbau der Frauenkirche war auch für die Dimensionen, in denen die Bauwirtschaft denkt und arbeitet, ein außergewöhnlich langes und schwieriges Projekt. Vergleichbar mit Neubauten von Flughäfen, Bahnhöfen oder Messezentren. „Baumeisterlicher Geist“ Wo genau lagen die Herausforderungen? Zum einen im Umfang, in der Komplexität, in der sehr langen Laufzeit des Projekts und in der starken öffentlichen Wahrnehmung, also im äußeren Rahmen. Dann: Die Frauenkirche war beim Wiederaufbau multifunktional geplant. Sie ist heute gewissermaßen zugleich Denkmal, Mahnmal, Kirchenraum und hochmoderner Konzertsaal - alles in barocker Hülle. Diese verschiedenen, sich zum Teil widersprechenden Anforderungen mussten wir unter einen Hut bringen. Zudem sollte der Wiederaufbau die Frauenkirche archäologisch originalgetreu rekonstruieren. projekt MA N A G E M E N T aktuell 5/ 2008 l 5 Foto: Oliver Steeger Die Frauenkirche vor dem Wiederaufbau, über viele Jahre eine Ruine Foto: Jörg Schöner Mit der Frauenkirche wurde in Dresden nicht das erste Mal ein historisches Gebäude wiederaufgebaut. Das Schloss, die Semperoper und der Zwinger sind Beispiele für Wiederaufbau. Wo lag die Schwierigkeit bei der Rekonstruktion der Barockkirche? Es handelte sich um gleich zwei Schwierigkeiten. Zum einen fehlten verwendbare historische Pläne. Die Kirche ist nie so vollendet worden, wie sie im 18. Jahrhundert auf Papier geplant worden war. Als wir die Ruine Anfang der Neunzigerjahre enttrümmert haben, mussten wir aus dem Trümmerfeld die Geometrie des Baus herauslesen. Die zweite Schwierigkeit: Wir wollten nur historische Baumaterialien verwenden ... PM_5-08_3-14_Sonderteil: Inhalt 24.09.2008 11: 43 Uhr Seite 5 ... also vorwiegend Sandstein? Sandstein, wie ihn der Schöpfer der Frauenkirche, Baumeister George Bähr, vor über 250 Jahren verwendet hat. Doch mit Sandstein baut heute niemand mehr - und schon gar keine Barockbauten mit steinernen Kuppeln im Außendurchmesser von 26 Metern. Wir konnten also auf keine technischen Erfahrungswerte zugreifen. Beispielsweise wussten wir zu Beginn des Projekts wenig über die Festigkeit des Sandsteins. Es gab keine DIN- Normen. Wir hatten die Normen zu diesem Baustoff gemeinsam mit Experten zu erarbeiten. Dann die Frage nach dem Mörtel, der für den Bau mit tonnenschweren Steinblöcken benötigt wird. Die Frage nach dem Mörtel ...? Stellen Sie sich vor, Sie tragen auf einen Stein eine Mörtelschicht auf und senken darauf den nächsten, mehrere Tonnen schweren Stein ab. Der breiige Mörtel wird an den Seiten herausgedrückt - wie bei einem platt gedrückten Sandwich. Richtig. Bei den allerersten Versuchen hat das übel gespritzt. Überrascht hat uns dies natürlich nicht. Der Mörtel, ein technisches Problem Weil schon Baumeister George Bähr vor über 250 Jahren seine Not mit dem Mörtel hatte? Bähr hat in den aufgetragenen Mörtel Hanfseile und andere Materialien gelegt, damit die Steine auf Distanz gehalten werden und der Mörtel nicht herausgedrückt wird. Gewissermaßen Abstandhalter in den Steinfugen. Diesen Kniff kann man doch übernehmen? Nicht ganz. Man braucht auch einen gewissen Druck der Steine auf den Mörtel, damit der Mörtel die Steine zugfest verbindet. Wir mussten also einen speziellen Mörtel entwickeln, der trotz der Abstandhalter die benötigte Haftwirkung erzielte. Hightech, auf die George Bähr seinerzeit keinen Zugriff hatte. Bähr hat die Statik für die gewaltige Steinkuppel der Kirche empirisch gewonnen, eine Meisterleistung. Doch ihm fehlte das geeignete Material, seinen Plan richtig umzusetzen; sein Mörtel haftete nicht genug. Dies wusste er. Er hat versucht, durch geschmiedete Eisenanker die Mauern zusätzlich zu stabilisieren. Die verstärkenden Eisenanker rosteten später, und damit ging dem Gebäude Stabilität verloren. Das gewaltige Gewicht der Kuppel soll bald nur noch auf den acht Kirchenpfeilern geruht haben ... ... auf jedem einzelnen Pfeiler mit dem Gewicht von 100 schweren Diesellokomotiven. Unter der Last wurden Steine regelrecht aus dem Mauerwerk herausgesprengt. Das Bauwerk musste später mehrfach instandgesetzt und gesichert werden, zuletzt kurz vor seiner Zerstörung. SONDERTEIL 22 l projekt MA N A G E M E N T aktuell 5/ 2008 6 Der Bauplan für die Frauenkirche: Insgesamt 10.000 Hauptzeichnungen und 35.000 detaillierte Werkstattzeichnungen waren für das Projekt erforderlich. Illustration: IPRO Dresden Die Arbeiten an der Kuppel mit dem Wetterschutzdach, das mit dem Bau emporwuchs Foto: Jörg Schöner PM_5-08_3-14_Sonderteil: Inhalt 24.09.2008 11: 43 Uhr Seite 6 Ironie der Geschichte: Heute hat man den richtigen Mörtel, doch man baut kaum noch Barockkuppeln ... ... wobei die Arbeit mit dem modernen Mörtel alles andere als einfach ist! Er bindet nur bei Temperaturen über fünf Grad richtig ab. Deshalb haben wir für unser Projekt das Wetterschutzdach gebaut, jenes große Dach, das mit dem Rohbau der Kirche emporgewachsen ist. Ohne dieses Dach hätte die Baustelle in Wintermonaten geruht. War das Wetterschutzdach ein weiterer Erfolgsfaktor für Ihr Projekt? Sowohl das Dach selbst als auch die frühe Entscheidung, dieses Dach zu konstruieren und einzusetzen. Ohne dieses Dach wären wir nicht pünktlich fertig geworden. Als wichtige Herausforderung Ihres Projekts haben Sie die multifunktionale Gestaltung der Frauenkirche genannt. Sie soll Gotteshaus, Andachtsstätte, Mahnmal und Denkmal sein. Vergessen Sie den Konzertsaal in Ihrer Aufzählung nicht! Für einen Konzertsaal braucht man heute beispielsweise eine zeitgemäße Akustik, behindertengerechte Zugänge, Veranstaltungstechnik wie Scheinwerfer sowie eine wirkungsvolle Belüftung. Heute finden in der Frauenkirche hochkarätige Konzerte statt - auf einem Niveau, das sich durchaus mit dem der Semperoper vergleichen lässt. Nun scheint die Frauenkirche deutlich kleiner als die Semperoper zu sein. Sie täuschen sich! Die Frauenkirche bietet auf vier Ebenen 1.800 Plätze, die Semperoper hat insgesamt 1.300 Plätze. Wenn tags zwischen 500 und 1.000 Gäste die Kirche besuchen und abends nochmals über 1.500 Konzertgäste auf vier Ebenen verteilt trotz heißer Scheinwerfer eine komfortable Umgebung erwarten - dann stellt dies enorme Anforderungen an die Klimatisierung des Baus. Die Anforderungen aus der originalgetreuen Rekonstruktion und der geplanten Konzertsaalnutzung zu erfüllen war vielleicht der schwierigste Spagat bei dem Wiederaufbau. Wir sind dafür ganz neue Wege der Gebäudebelüftung gegangen und haben mit Experten Versuche und Simulationen unternommen. Auch wegen der nötigen Genehmigung seitens der Baubehörden? Trotz der Rekonstruktion haben die Behörden den Wiederaufbau als Neubau gewertet. Wir mussten einen Barockbau nach allen gesetzlichen Bestimmungen errichten, die für moderne Kongress- und Konzerthallen gelten - angefangen beim Brandschutz über behindertengerechte Ausstattung bis hin zur Evakuierung im Notfall. Besonders die Evakuierung war schwierig zu lösen. Eine Kirche aus der Barockzeit verfügt nur über Treppen. Wir mussten mittels Simulationen nachweisen, dass die Evakuierung im Notfall gelingen kann. Herausforderung „multifunktionale Nutzung“ Unter dem Strich mussten Sie schließlich doch Kompromisse bei der archäologischen Rekonstruktion schließen? Sehr wenige. Die Bauherrin hat sich eine minutiöse archäologische Rekonstruktion zum Ziel gesetzt. Dieses Ziel war nicht ohne Weiteres verhandelbar. Zudem: Wenn wir Kompromisse geschlossen hätten, beispielsweise durch Abweichungen von den historischen Bauplänen oder durch den Einsatz moderner Baumaterialien wie Spannbeton - dann hätte das Auswirkungen auf den Spendenfluss gehabt. Inwiefern? Ich weiß nicht, ob über die Jahre die Spendenbereitschaft so angehalten hätte, wenn wir ein modernes Gebäude „hochgezogen“ und dieses von außen nur historisch mit Sandstein verkleidet hätten. Die Spender erwarteten einen originalgetreuen Wiederaufbau. Kompromisse zulasten der Rekonstruktion hätten nicht weitergeholfen. projekt MA N A G E M E N T aktuell 5/ 2008 l 7 Die Lücke am Dresdner Neumarkt ist geschlossen, die Frauenkirche bestimmt wieder das Bild des historischen Platzes. Foto: Oliver Steeger Wie kann man bei der Planung so unterschiedliche Zielvorgaben wie eine originalgetreue Rekonstruktion und eine moderne Veranstaltungstechnik zusammenbringen? Zunächst haben wir die Ziele genau studiert. Danach haben wir sehr früh begonnen, durch technische Voruntersuchungen zu den baukritischen Fragen eine Informationsgrundlage zu finden. Wir haben beispielsweise für die Klimatisierung mit der TU Dresden und der TU Karlsruhe zusammengearbeitet. Die Ergebnisse dieser Studien und Pläne haben wir übereinandergelegt und Schritt für Schritt geprüft, wie die unterschiedlichen Informationen und Sichtweisen zusammenpassen können. Den Wiederaufbau der Dresdner Frauenkirche haben Sie nahezu auf den Tag genau abgeschlossen - und dies ein Jahr früher als ursprünglich vorgesehen. Diese Termin-Punktlandung beeindruckt heute viele Projektmanager. Wie ist sie Ihnen gelungen? Das Wetterdach war natürlich nur ein Grund dafür. Es kommen für den Erfolg viele weitere Gründe zusammen ... PM_5-08_3-14_Sonderteil: Inhalt 24.09.2008 11: 43 Uhr Seite 7 Beschränken wir uns auf die wichtigsten Erfolgsfaktoren. Wir haben darauf geachtet, dass sich bei unserem Projekt nicht zu viele ungeplante Änderungen ergeben. Deshalb haben wir uns früh ein detailliertes Bild davon gemacht, was wir eigentlich wollen. Die Fragen, die sich uns stellten, waren recht simpel. Was wollen wir? Und was benötigen wir dafür? Die meisten Terminprobleme entstehen, wenn man im Nachhinein feststellt, dass etwas fehlt, dass man vergessen hat, bestimmte Fachleute einzuschalten oder eine Information einzuholen. Dann muss man gewissermaßen das Rad zurückdrehen - und dabei ist es schon schwierig, das Rad überhaupt anzuhalten, die laufenden Arbeiten zu stoppen. Die Bedeutung der Frühphase eines Projektes wird seitens Experten immer wieder betont. Völlig zu Recht! Ich bin mir sicher: Hätten wir in der Frühphase des Projekts gravierende Fehler gemacht, etwa bei der Beurteilung bestimmter Informationen oder Messungen, so hätte dies zwangsläufig zu Unterbrechungen geführt, zum Anhalten der Baustelle und zu Zeitverlusten. Auch Mehrkosten sind mit solchen Unterbrechungen verbunden. Doch kann man sämtliche Fragen eines so komplexen Projekts bereits in der Startphase beantworten? Nicht alle Fragen, aber so viele wie möglich. Auch während des Baus haben wir Weichen für den weiteren Projektverlauf stellen müssen. Wir mussten den Bedarf an Entscheidungen früh erkennen - und dann auch zügig entscheiden. Dies ist Aufgabe der Projektmanager: Sie müssen als Erste offene Fragen und ihre Bedeutung für das Projekt erkennen. PM-Erfolgsfaktoren beim Wiederaufbau Die Grundlage für schnelle und gute Entscheidungen ist eine leistungsfähige Kommunikation. Wie haben Sie die Kommunikation bei diesem Projekt gestaltet? Durch Besprechungen vorwiegend in vier Gremien, von uns Plattformen genannt. Nur vier? Bewusst nur wenige Gremien, ja. Ganz oben stand die Chefplanerrunde mit der Bauherrin, der „Stiftung Frauenkirche“. In dieser Runde haben wir strategische Entscheidungen getroffen. An den Sitzungen der Chefplanerrunde haben etwa ein halbes Dutzend Personen teilgenommen. Verstehe ich Sie richtig: Ein Großteil der Kommunikation wurde bei Ihrem Projekt durch Besprechungen, also in persönlichen Gesprächen, abgewickelt? Der allergrößte Teil. Wir haben immer im persönlichen Gespräch Probleme gelöst, Entscheidungen getroffen, Informationen bewertet oder Sachverhalte erörtert. Wir haben darauf geachtet, dass die in den Meetings angesprochenen offenen Punkte so lange akribisch protokolliert und verfolgt wurden, bis sie entschieden und bearbeitet waren. Und an jedem Meeting hat die Projektleitung teilgenommen, damit auch tatsächlich entschieden werden konnte. Meetings waren Chefsache. Welche Besprechungsgremien gab es neben der Chefplanerrunde? Wir haben darüber hinaus ein sogenanntes „Planungsmeeting“ eingerichtet, in dem Tagesentscheidungen getroffen wurden. Hinzu kamen Woche für Woche Baustellenbesprechungen vor Ort sowie die Meetings von Arbeitsgruppen zu speziellen Aufgaben, etwa zum Thema Brandschutz, zur Raumakustik oder zur Behindertengerechtigkeit. Beispielsweise wurde in einem Glockenturm ein Aufzug installiert. Eine Gruppe hat sich mit der Frage beschäftigt, was dieser Aufzug für das Gesamtbauwerk bedeutet, wie er sich auf das Ganze auswirkt. Wie kann man sicherstellen, dass die Informationen zwischen diesen Gremien gewissermaßen „über Kreuz“ fließen? Dass die Ergebnisse aus Arbeitsgruppenmeetings auch in der Chefplanerrunde ankommen - und umgekehrt? Letztlich dadurch, dass sich die Projektleitung nach Feierabend im kleinen Kreis mit den Beteiligten zusammengesetzt und sich Informationen geholt hat, die sie beispielsweise für die Planungsrunde brauchte. Der Projektleiter als Dreh- und Angelpunkt der Kommunikation? Insbesondere mein damaliger Kollege Dr. Karl-Heinz Schützhold hat sich Abend für Abend mit den Inhalten und Details auseinandergesetzt. Er hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Ergebnisse klug und intelligent zu hinterfragen, sie auszuwerten, aufzubereiten und wieder in den Kommunikationsprozess einzuspeisen. Projektkommunikation SONDERTEIL 22 l projekt MA N A G E M E N T aktuell 5/ 2008 8 Über dreißigtausend maßgearbeitete Steine wurden beim Wiederaufbau in das Bauwerk eingesetzt. Den Mörtel musste das Projektteam eigens entwickeln. Foto: Jörg Schöner PM_5-08_3-14_Sonderteil: Inhalt 24.09.2008 11: 43 Uhr Seite 8 Er beschäftigte sich wirklich mit allen Details, auch beispielsweise mit der Frage, ob in einem Raum ein Elektrokabel an der Decke oder am Boden verlegt werden soll? Ja, es geht wirklich um solche Details. Die scheinbar nebensächliche Entscheidung, ob ein Kabel an der Decke oder am Boden verlegt werden soll, hat durchaus Einfluss auf andere, vielleicht sehr wichtige Entscheidungen. Wird falsch entschieden, kommt es automatisch zu Verzögerungen. In vielen Projekten gilt der Projektmanager als Generalist, der das Gesamte steuert und Aufgaben delegiert - weniger als jemand, der sich mit Detailfragen auseinandersetzt. Hinter diese Praxis darf ich ein Fragezeichen setzen. Ein Vorhaben wie den Wiederaufbau der Frauenkirche kann man nicht allein aus der Vogelperspektive leiten. Es reicht nicht aus, Prozesse zu kontrollieren und sich mit einem Ampelsystem melden zu lassen, ob offene Fragen auf „Rot“, „Gelb“ oder „Grün“ stehen. Wenn ich Sie richtig verstehe: Der Projektmanager muss nicht nur die Vogelperspektive einnehmen, sondern auch die - sagen wir - einer Wühlmaus am Boden? Der Vergleich ist gar nicht mal so weit hergeholt. Zwischen diesen Perspektiven muss der Projektmanager wechseln. Er muss sich Details erklären lassen, um Lösungsvorschläge bewerten zu können, um zu entscheiden, ob er - wiederum mit Blick auf das Ganze - diesen Weg mitgehen kann. Dies hat viel mit dem ganzheitlichen baumeisterlichen Denken zu tun, das für George Bähr noch selbstverständlich war. Man hat errechnet, dass Bähr im 18. Jahrhundert ähnlich lange für den Bau der Frauenkirche gebraucht hat wie Sie heute für den Wiederaufbau. Das ist wahr - obgleich George Bähr unsere heutigen technischen Möglichkeiten gefehlt haben. Jeder einzelne Stein musste den Bau emporgetragen, eingepasst, herabgetragen, nachbearbeitet, dann wieder hinaufgetragen und eingefügt werden. Auch das heutige Projektmanagement fehlte Bähr. Bährs Budgetunterlagen sind erhalten, und die Ausgaben sind genau aufgelistet. Bähr ist übrigens für den Bau in Vorkasse getreten, er hat als eine Art Generalübernehmer seine Handwerker aus eigenen Mitteln bezahlt und sich seine Auslagen dann bei seinem Bauherrn erstatten lassen. Leider ist er vor der Vollendung verstorben - verarmt. Sie haben Bähr durch sein Bauwerk kennengelernt ... ... und ich ziehe den Hut vor George Bähr, der mit seinen Mitstreitern dieses Projekt bewältigt hat. Bähr war Künstler, Architekt, Projektleiter, Bauleiter und sogar Hausmeister in einer Person. Solche Baumeister - vielleicht später noch Walter Gropius und Antoni Gaudi - gibt es heute nicht mehr. Perspektive von „Adler“ und „Wühlmaus“ Nochmals zurück zu der Termintreue Ihres Projektes. Bei der Terminplanung unterlag Ihr Projekt einer Schwierigkeit. Ihnen fehlten Erfahrungswerte für die Zeitschätzungen. Man weiß, wie viele Arbeitstage etwa für den Bau einer Betonmauer zu veranschlagen sind. Für eine vergleichbare Mauer aus Sandstein liegen kaum Anhaltspunkte vor. Sie haben während der Terminplanung mit vielen Unsicherheiten und Fragezeichen operieren müssen. Die Terminschätzungen waren schwierig. Viele Erfahrungswerte mussten wir selbst erarbeiten - zum einen durch Versuche und Experimente, zum anderen durch einen kontinuierlichen Lernprozess während des Baus. Wir haben den Baufortschritt genau nachgehalten. Wenn etwas aus dem Ruder gelaufen ist, haben wir die Ursachen analysiert und die Fehler bei unseren Annahmen ermittelt. Je weiter der Bau vorangekommen ist, desto besser wussten wir, welche Arbeiten in welchem Zeitraum zu schaffen sind. Wir haben gelernt, beispielsweise Abbindefristen zu ermitteln oder Gerüststellungen und Lastzwischenstände einzuschätzen - das war ein fortlaufender Prozess, der uns immer präzisere Prognosen ermöglicht hat. Wie wichtig sind solche realistischen Prognosen und Planungen? Sehr wichtig. Wir sprachen eben über das konstruktive Arbeitsklima auf der Baustelle. Für dieses baumeisterliche Klima sind unrealistische Termine und Planungen reines Gift. Wenn man als Partner auftreten will, Erfolgsfaktor „realistische Planung“ projekt MA N A G E M E N T aktuell 5/ 2008 l 9 Kirchenraum und Konzertsaal in barocker Hülle: Die multifunktionale Nutzung stellte das Projektteam vor große Herausforderungen. Foto: Jörg Schöner PM_5-08_3-14_Sonderteil: Inhalt 24.09.2008 11: 43 Uhr Seite 9 kann man den Unternehmen keine Termin-Luftschlösser aufgeben und es ihnen überlassen, wie sie dann damit fertig werden. Die Verantwortung für das Bauwerk schließt auch verantwortungsvollen Umgang mit den Unternehmen ein? Wir haben uns immer um verlässliche Angaben beispielsweise zur Baustelle in den Ausschreibungsunterlagen bemüht. Wir haben geprüft, ob die beauftragten Firmen den Anforderungen gewachsen sind - und sie nach der Beauftragung nicht ihrem Schicksal überlassen. Das Fundament für die baumeisterliche Atmosphäre wird gelegt mit einer guten Ausschreibung, mit guten Vergabegesprächen, mit einer konstruktiven Haltung im Gespräch, der Frage verpflichtet, wie man Herausforderungen gemeinsam bewältigen kann. Aus der Perspektive des Projektmanagements gesagt: Unrealistische Zielvorgaben ... ... bringen Projekte schnell auf die schiefe Bahn. Der Keim vieler Probleme findet sich in der Frühphase des Projektes, direkt zu Anfang, wenn die Ziele definiert werden. Die Ziele müssen nicht nur vollständig, sondern auch realistisch sein. Mit realistischen Zielen wird der Grundstein für ein erfolgreiches Projekt gelegt. Nun werden die Ziele häufig vom Auftraggeber vorgegeben ... Ja, und es sollte ihm im eigenen Interesse an realistischen Zielen und Vorgaben gelegen sein, also an ehrlichen Antworten gegenüber den Ausführenden und Beteiligten. Kommen wir auf eine weitere Tugend des Projektmanagements zu sprechen. Man weiß, wie wichtig es ist, möglichst in der Frühphase wichtige Prozesse des Projektes zu ermitteln, sie zu planen und dann im Projektverlauf ständig zu verbessern. Eine Art Qualitätsmanagement für die eigene Projektarbeit. Dazu zwei Beispiele aus unserem Projekt ... Gerne! Einer dieser Prozesse betraf die Planung der Kapazität und Entwicklung. Was darf ich mir darunter vorstellen? Wir haben beispielsweise jeweils speziell angefertigte Sandsteine verbaut; jeder einzelne musste eigens geplant werden, damit er exakt zugeschnitten werden konnte. Es ging also um die Planung, wann welcher Stein benötigt wird; vorher musste er zugeschnitten und zur Baustelle gebracht werden. Angesichts von über dreißigtausend Steinen, darunter sowohl neue als auch historische Steine, klingt diese Aufgabe abenteuerlich ... Vielleicht nicht abenteuerlich, aber hochkomplex. Wir hatten es für den Wiederaufbau mit einer gewaltigen Menge an zu erstellenden Plänen zu tun - mit über 10.000 Hauptzeichnungen und 35.000 detaillierten Werkstattzeichnungen etwa für die Fertigung einzelner Sandsteine. In Spitzenzeiten haben wir täglich zwölf Kubikmeter Sandstein vermauert. Machen Sie dafür eine Kapazitätsplanung! Wenn dieser Prozess nicht perfekt funktioniert, kommt es zwangsläufig zu Unterbrechungen und Fehlern auf der Baustelle. Sie sprachen soeben von einem weiteren Beispiel für die Optimierung von Prozessen, die für den Projekterfolg bedeutsam waren. Der zweite Prozess, den ich Ihnen vorstellen will, betrifft unsere Ausschreibungen. Dieser Prozess war - wie die Planung der Kapazität und Entwicklung - ebenfalls komplex. Es ging darum, den Weg von Ausschreibungsunterlagen festzulegen, also den Weg von den Vorarbeiten im Team hin zum Planer oder federführenden Architekten, dann zur Bauherrin, von dort wieder zurück ins Team. Bei jeder Station auf diesem Prozessweg wurden einzuarbeitende Änderungen vermerkt oder zu beantwortende Fragen notiert; die Unterlagen wurden also Schritt für Schritt ausschreibungsreif gemacht. Und eben diesen Weg ständiger Korrekturen und Verbesserungen haben wir im Laufe des Projekts immer weiter perfektioniert. Weshalb war dieser Prozess so wichtig? Zum einen musste eine Fülle von Details zuverlässig verarbeitet werden, zum anderen stand die Entwicklung der Ausschreibungen unter großem Termindruck. Und nicht zuletzt handelte es sich um große Summen bei den Ausschreibungen. Wir haben Lose im Volumen von bis zu 25 Millionen Euro ausgeschrieben und beauftragt ... ... Mittel aus Spendengeldern ... ... womit wir wieder bei dem Pflichtgefühl wären, bei unserem Anspruch an uns selbst, mit den Mitteln sorgfältig und anständig zu wirtschaften. Neben der Bauherrin, der „Stiftung Frauenkirche“, galten die Spender als wichtige Interessengruppe bei diesem Projekt. Welche weiteren Stakeholder haben Sie ermittelt? Die Liste der verschiedenen Interessengruppen war in der Tat sehr lang, angefangen bei der Stiftung Frauenkirche und den privaten sowie öffentlichen Spendern über Denkmalpfleger und die Landeskirche bis hin zu Genehmigungsbehörden, Subunternehmen und Lieferanten. Um nur einige zu nennen ... Wo so viele Partner zusammenfinden, stoßen häufig auch widerstreitende Interessen aufeinander. Die Konflikte zu lösen ist vielfach Aufgabe der Projektteams. Wie sind Sie mit den Stakeholdern umgegangen? Wir haben uns vor allem gefragt, zu welchem Zeitpunkt wir die Interessengruppen einbeziehen und ihnen unsere Ideen vorstellen - so früh wie möglich oder erst dann, wenn die Konzepte vorangeschritten und etabliert sind. In der Projektmanagementlehre heißt es: so früh wie möglich! Ich meine, dass diese Regel mit Augenmaß verwendet werden sollte. Wir haben uns häufig entschlossen, mit bestimmten Gruppen erst über bereits etablierte Konzepte zu sprechen. Stakeholder-Management SONDERTEIL 22 l projekt MA N A G E M E N T aktuell 5/ 2008 10 PM_5-08_3-14_Sonderteil: Inhalt 24.09.2008 11: 43 Uhr Seite 10 Dies kann zeitraubende Änderungen erforderlich machen, wenn diese Pläne bei den Stakeholdern nicht durchsetzbar sind. Richtig, aber es kann auch lange Diskussionen zwischen Stakeholdern vermeiden helfen, häufig emotional geführte Erörterungen, die ein Projekt behindern. Man sollte sich überlegen, wen man wann in die Diskussion einbezieht und was man eher mit wenigen Gruppen hinter verschlossenen Türen entscheidet. Daraus höre ich die Empfehlung des klugen Abwägens? Beim Wiederaufbau der Frauenkirche haben wir damit gute Erfahrungen gemacht. Was kann, soll oder muss mit welchen Gruppen erörtert werden? Welche Vorteile und Risiken ergeben sich aus dem Zeitpunkt, zu dem man Gruppen in die Planung einbezieht? Wir haben an einem Beispiel erfahren müssen, was es bedeutet, wenn zu einem ungünstigen Zeitpunkt Entscheidungen in die breite Öffentlichkeit getragen werden. Erinnern Sie sich an den Streit über die zu installierende Kirchenorgel? Es ging um die Frage, ob die historische Silbermann- Orgel rekonstruiert wird oder eine moderne Konzertorgel eingesetzt wird. Richtig. Diese Frage sollte intern mit dem Bauherrn erörtert werden. Dann ist die Frage aber an die Öffentlichkeit gekommen. Sie hat sich zu einer erbittert geführten Diskussion aufgeschaukelt. Handelt es sich bei dieser Frage nicht um eine Detailfrage? Nein, überhaupt nicht. Die Wahl einer Silbermann- Orgel wäre im Sinne der archäologischen Rekonstruktion gewesen, die moderne Konzertorgel dagegen wäre der Kirchennutzung als Konzertsaal entgegengekommen. Neuere Kompositionen können Sie nur schwer auf einer Silbermann-Orgel spielen. Über diese Frage wurde über Wochen debattiert und geschrieben. Am Ende kam die Konzertorgel ... Danach richtete der Streit sich darauf, ob die Orgel althistorisch oder auf den modernen Kammerton a gestimmt wird. Solche Streitigkeiten zwischen Stakeholdern können ein Projekt verzögern. Man sollte die Risiken abwägen, wenn man das Maß für die Offenheit im Umgang mit Stakeholdern bestimmt. Sie sprachen vorhin, Herr Schönfeld, von der langen Laufzeit dieses Projekts. Wie haben Sie über 12 Jahre - von 1993 bis 2005 - Ihr Projektteam motivieren können? Die Aufgabe besteht darin, dass man über die lange Zeit hinweg kontinuierlich einen optimalen Pegel der Anspannung im Team halten und immer wieder die Freude an der Arbeit beleben muss. So weit die Aufgabe. Wie haben Sie sie gelöst? Mit Prämien beim Erreichen von Meilensteinen? Nein, Prämien für besondere Erfolge sind für uns nicht das Mittel der ersten Wahl gewesen. Es gibt deutlich bes- Motivation für den „langen Atem“ sere Motivationstechniken. Wir haben unseren Mitarbeitern im Team ständig das Gefühl vermittelt, dass dieses Projekt ohne den Beitrag jedes Einzelnen nicht möglich ist. Fehlt der Beitrag eines Einzelnen, bleibt dort ein Loch, ein Leck zurück. Wie kann man die Mitarbeiter spüren lassen, wie wichtig ihr persönlicher Beitrag zum Gesamtwerk ist? Wir haben unsere Mitarbeiter auf breiter Basis in das Projekt einbezogen, sie auch an Besprechungen mit Bauherren teilnehmen lassen. Wir saßen den drei Vertretern der Stiftung Frauenkirche manchmal mit 15 und mehr Mitarbeitern gegenüber. So haben wir versucht, die Mitarbeiter ins Arbeitsgeschehen einzubeziehen und ihnen zu verdeutlichen, dass sie ein unverzichtbares Kettenglied für das Projekt bildeten. Motivation über Wertschätzung? Zu einem Teil, ja. Der andere Teil bestand darin, dass wir die Kreativität jedes Einzelnen gefördert haben. Dies war auch ein Grund dafür, dass wir im Team extrem flache Hierarchien gebildet haben und unsere Mitarbeiter am Gesamtprojekt teilhaben ließen. Flache Hierarchien sind in Bauprojekten selten. Ja, leider. Denn mit der Zunahme der Hierarchieebenen verändert sich automatisch das Arbeitsklima. Je mehr Hierarchien Sie im Team haben, desto weniger fühlt sich der Einzelne gefordert, Ideen und Vorschläge auch über seinen engen Bereich hinaus vorzubringen. In Projekten mit vielen Hierarchieebenen beobachte ich, dass zumeist nur Aufgaben abgearbeitet und erledigt werden. Darunter leidet die Kreativität. Wir haben beim Wiederaufbau der Frauenkirche die vielen konstruktiven Diskussionen geradezu genossen. Jeder Mitarbeiter konnte Ideen einbringen und Vorschläge machen - egal, in welcher Position er sich befand oder aus welcher Fachrichtung er kam. Wir haben diesen Austausch gefördert und auch gefordert. Identifikation der Mitarbeiter fördern projekt MA N A G E M E N T aktuell 5/ 2008 l 11 Präzisionsarbeit beim Kuppelbau Foto: Jörg Schöner PM_5-08_3-14_Sonderteil: Inhalt 24.09.2008 11: 44 Uhr Seite 11 Mitarbeiter einbeziehen in die Projektdiskussion, flache Hierarchien, ihre Beiträge wertschätzen - welche Motivationstechniken haben sich bei Ihrem Projekt darüber hinaus bewährt? Wir haben die Identifikation jedes Einzelnen mit dem Projekt gefördert. Konkret? Beispielsweise haben nicht nur die Projektleiter und Teilprojektleiter Vorträge gehalten oder Besuchergruppen durch die Baustelle geführt, sondern auch Mitarbeiter. Oder: Im Stadtmuseum fand eine Ausstellung zur Geschichte der Frauenkirche statt, an der wir uns beteiligt haben. Einige Planer konnten dort ihre Zeichnungen ausstellen, andere haben Buchbeiträge geschrieben. Presseveröffentlichungen, Vortrags- und Veranstaltungsreihen wie „Lernen von der Frauenkirche“ kamen dazu. - In welchem Projekt werden Mitarbeitern solche Türen geöffnet? Welcher Planer darf Pläne unter seinem Namen in viel besuchten Ausstellungen zeigen - oder findet seinen Namen unter Aufsätzen in viel gelesenen Medien wieder? Dies dürfte nicht nur die Identifikation der Mitarbeiter mit dem Projekt gefördert haben, sondern auch ihren Blick für das gesamte Projekt geschärft haben. Stichwort „ganzheitliches, baumeisterliches Denken“ ... Wer als Spezialist für Haustechnik über den gesamten Wiederaufbau referiert, nimmt automatisch diese ganzheitliche Perspektive ein. Deshalb haben wir unsere Teammitglieder an möglichst vielen Besprechungen teilnehmen lassen. Wir wollten, dass sie über den Tellerrand ihres eigenen Fachgebiets hinausblicken konnten. - Eine weitere Motivationsquelle: Die Stiftung Frauenkirche hat ein sehr gutes Fingerspitzengefühl bewiesen, von sich aus die Beteiligten zu motivieren. Hilfe bei der Motivation seitens der Bauherrin? Die Stiftung hat immer wieder Anlässe für kleine Feierlichkeiten gefunden, etwa ein Richtfest, Brückenfest, Gewölbefest. Bauleute und Planer kamen gewissermaßen ohne Standesunterschiede in der Kirche zusammen. Sie haben gemeinsam gesungen oder eine Andacht gehört. Diese Feiern wurden von einer besonderen Stimmung begleitet, bei der die Bauleute manchen Ärger und Zwist vergessen haben. Man hat sich kennengelernt, miteinander auch Privates beredet. Wir haben kleine Kulturprogramme veranstaltet; ich erinnere mich an einen Prüfingenieur, der Flöte gespielt hat - gemeinsam mit einem Cellisten von der Frauenkirche und einem Musiker aus unserem Büro. Auch dies hat geholfen, die Leute über den langen Zeitraum an das Projekt zu binden. Trotz allem: Keimt zwischendurch im Team nicht der Wunsch auf, mal wieder modern mit Stahl, Glas und Beton zu arbeiten? Merkwürdigerweise nicht. Es ist allerdings menschlich, wenn sich bei einem so langen Projekt wie dem Wiederaufbau der Frauenkirche Teammitglieder nach einem anderen, neuen Projekt sehnen. Wenn sie mal nicht mit Sandstein, sondern mit Beton arbeiten wollen. Wie haben Sie Ihre Mitarbeiter bei der Fahne gehalten? Wir haben ihnen immer wieder Abwechslung geboten und sie an anderen, modernen Projekten teilhaben lassen, beispielsweise an Exkursionen, an Wettbewerben oder Studien. Wir haben darauf geachtet, dass unser Team nicht „klösterlich abgeschieden“ gearbeitet hat. Als Gesamtprojektleiter haben Sie viele Jahre Ihres Berufslebens mit dem Wiederaufbau der Frauenkirche verbracht. Wächst einem dabei das Projekt ans Herz? Ja, selbstverständlich. Ich habe heute zum Dresdner Neumarkt vor der Kirche und besonders zu dem Bauwerk eine besondere Beziehung. Ein Ort auch Ihrer persönlichen Erinnerung? Die Kirche kenne ich aus Rohbauzeiten - und buchstäblich jeden Winkel in ihr. Ich habe an Stellen gestanden, die heute nicht mehr zugänglich sind. Ich bin auf Mauerkränzen gelaufen, bin durch Ausstiegsöffnungen geklettert oder habe Gauben aus der Nähe betrachtet, die man heute nur noch schwer erreichen kann. Ich habe Freunde und Geschäftspartner durch den Rohbau geführt, von denen ich heute noch, Jahre später, auf die Besichtigung angesprochen werde. Ist Ihnen persönlich der Abschied von diesem Projekt schwergefallen? Wir haben das Glück, dass am Dresdner Neumarkt - direkt gegenüber der Frauenkirche - weitere Bauprojekte gefolgt sind. Das Kurländer-Palais, das „Hotel de Saxe“. Auch demnächst werden wir an der Frauenkirche ein neues Bauprojekt starten, direkt an der Schlossstraße, wiederum in Sichtweite der Kirche. Sie arbeiten zwar nicht mehr an der Frauenkirche, doch immer noch mit Blick auf sie. So ist es. Dies hat das Abschiednehmen erleichtert. ■ SONDERTEIL 22 l projekt MA N A G E M E N T aktuell 5/ 2008 12 Oliver St Das Feuer, das die Bomber gebracht hatten, durchglühte zwei Tage lang den einst prächtigen Bau. Noch stand die Kuppel. Dann, am 15. Februar 1945, stürzte die barocke Kirche zusammen. Nach Kriegsende wurden der Dresdner Zwinger, die Semperoper und das Schloss wieder aufgebaut. Die Frauenkirche blieb indes ein schwarzer Ruinenhaufen, aus dem Teile des Chores und ein Turm wie Stümpfe hervorragten. Ein Mahnmal für die verheerende Bombardierung, der schätzungsweise 35.000 Menschen zum Opfer fielen und die das Stadtzentrum des berühmten Elbflorenz verwüstete. Mehrfach wollte man das Trümmerfeld der Frauenkirche räumen. Denkmalpfleger jedoch hofften auf den Wiederaufbau und leisteten trickreich Widerstand gegen die Pläne, das 1743 vollendete Bauwerk endgültig aufzugeben. Zuletzt umgaben sie die schwarze Ruine mit einem Rosenbeet und versenkten es in einen Dornröschenschlaf. Anfang der 90er-Jahre der „Ruf aus Dresden“ zum Wiederaufbau: Dank einer beispiellosen Spendenaktion kam die Bausumme von über 130 Millionen Euro zusammen. Am 4. Januar 1993 begannen Archäologen, das Ruinenfeld sorgfältig zu enttrümmern. Ende Mai 1994 folgte die erste Steinversetzung, der offizielle Baubeginn. 1996 wurde die Unterkirche fertiggestellt und geweiht, im Jahr 2004 war die Frauenkirche äußerlich wiederhergestellt, im Jahr 2005 auch der Innenausbau abgeschlossen. Die Weihe am 30. Oktober 2005 zog 60.000 Menschen auf den Neumarkt, Millionen Menschen verfolgten den Festakt an den Fernsehschirmen. Die Dresdner Frauenkirche PM_5-08_3-14_Sonderteil: Inhalt 24.09.2008 11: 44 Uhr Seite 12