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PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
Das Entree in die Formel-1-Welt glückte dem Wüstenstaat perfekt. Millionen Motorsportfans verfolgten die Übertragung des Eröffnungsrennens auf dem Yas Marina Circuit in Abu Dhabi. In der Rekordzeit von zwei Jahren hat Projektprofi Dr. Lorenz Schneider mit seinem Team diese spektakuläre Rennstrecke errichtet. Was dieses Vorhaben – ohnehin in der Liga der weltgrößten Baustellen – schwierig machte: An dem Projekt waren Fachleute aus allen Erdteilen vertreten. Allein Schneiders Team umfasste Spezialisten aus zehn Nationen. Im Gespräch berichtet Dr. Lorenz Schneider über das Projektmanagement beim Bau des Yas Marina Circuits – und mahnt seine Kollegen eindringlich, sich auf internationale Einsätze akribisch vorzubereiten. Für Formel-1-Fans: Das nächste Rennen in Abu Dhabi findet am 14. November 2010 statt.
2010
214 Gesellschaft für Projektmanagement

Den „Graubereich“ bei internationalen Projekten beachten

2010
Oliver Steeger
Herr Dr. Schneider, immer mehr Projektmanager stehen vor der Aufgabe, internationale Projekte zu leiten - und wollen sich auf diese Herausforderung vorbereiten. Die Empfehlung von Experten: Projektmanager müssen sich mit „Hard Facts“ vertraut machen, beispielsweise mit internationalem Vertragsrecht. Außerdem sollten sie sich in interkulturellen Trainings mit der Mentalität, der Arbeitsweise und den Usancen ihres Gastlands beschäftigen. Dr. Lorenz Schneider: Aus meiner Erfahrung - alles richtig! Aber? Dies reicht nicht aus. Allein mit der Vorbereitung auf die „Hard Facts“, wie Sie sie nennen, und auf die Kultur des Gastlands werden Projektmanager im Ausland nicht auskommen. Zumindest dann nicht, wenn es sich um größere Projekte handelt. Was fehlt bei der Vorbereitung? Ich spreche von einem „Graubereich“ zwischen den Vorbereitungen auf die „Hard Facts“ und den weichen interkulturellen Trainings. Dieser „Graubereich“ wird durch die herkömmliche Vorbereitung auf internationale Projekte nicht abgedeckt - und auch in vielen Projektmanagementausbildungen bestenfalls am Rande berührt. Schlimmer noch: Viele Projektmanager wissen gar nicht, dass es diesen Bereich gibt. Was ist mit diesem „Graubereich“ gemeint? Es geht um Detailfragen aus dem Umfeld eines internationalen Projekts, die mit entscheidend für den Erfolg sind. Ich nenne Ihnen Beispiele für solche Fragen. Ich arbeite seit acht Jahren im Nahen Osten. Beispielsweise ist es in Syrien, wo wir derzeit ein Projekt vorbereiten, üblich, dass unterzeichnete Verträge erst ratifiziert werden, bevor sie gültig sind. Ähnliches ist auch für andere Länder bekannt. Oliver Steeger Den „Graubereich“ bei internationalen Projekten beachten Projektleiter Dr. Lorenz Schneider über die Formel-1-Rennstrecke in Abu Dhabi Das Entree in die Formel-1-Welt glückte dem Wüstenstaat perfekt. Millionen Motorsportfans verfolgten die Übertragung des Eröffnungsrennens auf dem Yas Marina Circuit in Abu Dhabi. In der Rekordzeit von zwei Jahren hat Projektprofi Dr. Lorenz Schneider mit seinem Team diese spektakuläre Rennstrecke errichtet. Was dieses Vorhaben - ohnehin in der Liga der weltgrößten Baustellen - schwierig machte: An dem Projekt waren Fachleute aus allen Erdteilen vertreten. Allein Schneiders Team umfasste Spezialisten aus zehn Nationen. Im Gespräch berichtet Dr. Lorenz Schneider über das Projektmanagement beim Bau des Yas Marina Circuits - und mahnt seine Kollegen eindringlich, sich auf internationale Einsätze akribisch vorzubereiten. Für Formel-1-Fans: Das nächste Rennen in Abu Dhabi findet am 14. November 2010 statt. Dr. Lorenz Schneider (48), Ingenieur und Wirtschaftsingenieur, startete seine Laufbahn in der deutschen Abfallwirtschaft und betreute auf Betreiberseite große Investitionsvorhaben im Umweltschutzbereich. Nach acht Jahren Tätigkeit machte er sich selbstständig und verließ Deutschland Richtung Aserbaidschan für sein erstes Auslandsprojekt. In den nächsten 13 Jahren folgten dann weitere Projekte unter anderem in Bahrain, China, der Türkei und Abu Dhabi. Dr. Lorenz Schneider ist geschäftsführender Gesellschafter von Tilke & Partners mit Firmen in Bahrain, Abu Dhabi, Qatar und Aserbaidschan. Er erwarb sein Projektmanagementwissen bei der GPM/ IPMA und hält das Level-Asowie das Level-B-Zertifikat. Darüber hinaus ist er geprüfter Projektkaufmann. Foto: Tilke REPORT 22 l projekt MA N A G E M E N T aktuell 4/ 2010 8 PM_4-2010_1-60: Inhalt 20.08.2010 11: 43 Uhr Seite 8 „Interkulturelles Projektmanagement“ wird einen inhaltlichen Schwerpunkt des PM Forums in Berlin bilden (26. bis 27. Oktober 2010). Wie internationale Projekte „funktionieren“ und wie kulturell gemischte Teams geführt werden können - zu diesen Fragen werden Fachleute über ihre Erfahrungen berichten. Referieren werden neben Dr. Lorenz Schneider weitere Experten wie Thomas Röllecke (Siemens), Frank Lenzer (BMW) und Dr. Joachim Mönch (Giesecke & Devrient). Weitere Informationen zum PM Forum sowie Anmeldung: www.pmforum.de Veranstaltungstipp: PM Forum in Berlin Die Projektmanagement-Software RPlan von ACTANO ist weltweit bei über 100.000 Anwendern im Einsatz! Anzeige projekt MA N A G E M E N T aktuell 4/ 2010 l 9 derlassung haftbar gemacht werden können. Dazu gibt es harte gesetzliche Bestimmungen, die man vor Projektbeginn kennen muss. Ein weiteres Beispiel: Projektmanager und ihre Mitarbeiter werden bei ihrem Einsatz in manchen Ländern doppelt besteuert - im Gastland sowie in ihrer Heimat. Sie müssen doppelt Einkommenssteuer bezahlen? Ja, unter Umständen. Dies wird insbesondere dann problematisch, wenn zwischen dem Gastland und Deutschland kein Doppelbesteuerungsabkommen existiert. Solche persönlichen steuerrechtlichen Sorgen bewegen die Mitarbeiter. Diese Fragen müssen stichhaltig beantwortet werden. Falls dies nicht geschieht, geht dies zulasten der Motivation. Ähnlich die Motivation untergraben können ungeklärte Fragen nach der Versorgung von Mitarbeitern und ihren Familien. Wo wohnen Mitarbeiter im Gastland während des Projekts? Wie kommen sie zur Arbeitsstelle? Welche Schulen oder Kindergärten können ihre Kinder besuchen? Wie kommen sie und ihre Familie an ein Visum und eine Arbeitserlaubnis? Durchaus verständlich! Mitarbeiter, die vor Ort zunächst drückende persönliche Probleme lösen müssen, können ihre Energie nicht ganz ihrem Projekt widmen. Daran erkennen Sie, wie wichtig die hieb- und stichfesten Antworten auf solche Fragen sind. Ein unterschriebener Vertrag gilt in solchen Ländern erst, … … wenn er beispielsweise vom Auftraggeber bei höheren Stellen zu deren Gegenzeichnung vorgelegt wurde - und dann gezeichnet wurde. Manchmal geht dies bis zum Präsidenten, mitunter dauert die Ratifizierung einige Wochen oder sogar Monate. In China wird dies übrigens ähnlich wie im Nahen Osten gehandhabt. Von dieser zwingenden Ratifizierung muss man wissen! Im Klartext: Hat der Auftraggeber den Vertrag unterschrieben, so ist dieser Vertrag damit unter bestimmten Umständen noch nicht für den Auftraggeber bindend. Der unterzeichnete Vertrag muss erst von höherer Stelle bestätigt werden, bevor er gültig wird. Korrekt. Für den Projektmanager bedeutet dies: Er muss genau wissen, wer alles seitens des Auftraggebers den Vertrag zu unterschreiben, zu genehmigen und zu bestätigen hat, damit sein Vertrag gültig wird. Anderenfalls … … kann es sein, dass er die Arbeiten ohne vertragliche Grundlage startet. Zu klären ist also die Frage: Ab wann ist in dem Gastland ein Vertrag wirklich gültig, ab wann laufen die Vertragsfristen? Dies muss man vorher sorgfältig recherchieren und sehr genau prüfen. Gibt es weitere Beispiele für den „Graubereich“? Freilich! In einigen Ländern können Sie nicht ohne Weiteres Gewinne als Devisen - also verdientes Geld - ausführen. Das heißt, die Gewinne müssen im Land bleiben? Nein, letztlich gibt es Wege für die Ausfuhr der Gewinne. Ich sagte ja, es geht nicht ohne Weiteres. Für die Praxis bedeutet dies: Man muss sich vor dem Projekt informieren, wie man Gewinne ausführen kann - möglicherweise sogar bei Rechtsexperten vor Ort. Weitere Beispiele? Mancherorts müssen internationale Auftragnehmer eine Firmen-Dependance vor Ort im Gastland gründen - sofern ihr Projekt etwa ein bestimmtes Volumen, eine bestimmte Laufzeit oder Bedeutung hat. Die Länder wollen sicherstellen, dass Auftragnehmer durch ihre Nie- PM_4-2010_1-60: Inhalt 20.08.2010 11: 43 Uhr Seite 9 Aktueller Schnappschuss aus Montreal: Formel-1-Rennen sind mit Millionen von Fernsehzuschauern ein bedeutender Wirtschaftsfaktor. Foto: Mercedes Benz REPORT 22 l projekt MA N A G E M E N T aktuell 4/ 2010 schöpfen - und darauf aufbauend selbst recherchieren, mit kritischem Geist Fragen stellen und Antworten finden. Meine Botschaft lautet: „Beschäftige dich rechtzeitig damit! “ Sie haben, Herr Dr. Schneider, als Projektdirektor gemeinsam mit zwei Projektmanagern parallel zwei gewaltige internationale Projekte am Arabischen Golf in Abu Dhabi geleitet - zum einen den Bau der Formel-1- Rennstrecke, zum anderen den Bau des Yas-Marina- Hotels, eines Luxushotels der Spitzenklasse, das direkt an der Rennstrecke liegt. Beide Projekte hatten jeweils ein eigenes Team und einen jeweils anderen Baugeneralunternehmer. Welche Bedeutung hatten interkulturelle Trainings bei der Vorbereitung auf solch einen Einsatz? Ich arbeite seit dreizehn Jahren in internationalen Projekten und bin auch am Arabischen Golf seit langer Zeit tätig. Die Gepflogenheiten sind mir bekannt. Dennoch recherchieren wir vor jedem Projekt und holen Informationen ein. Haben Sie Ihre Mitarbeiter an interkulturellen Trainings teilnehmen lassen? Wie gesagt, generell halte ich interkulturelle Trainings für sehr wichtig und unverzichtbar. Ich schätze sie sehr. Sie helfen, sich im arabischen Alltag zurechtzufinden, die religiösen Verbote zu beachten, die Menschen dort zu verstehen, sich ihrer Lebensweise anzupassen. Doch solche Trainings helfen im Projekt selbst nur bedingt. Bei unserem Projekt in Abu Dhabi haben wir einen arabischen Auftraggeber lange Zeit nicht kennengelernt. Wir sind mit Managern vieler Nationalitäten zusammengekommen, einheimische Araber aber fehlten lange am Konferenztisch. Wie bitte? Unser Auftraggeber ließ sich von hochqualifizierten Managern vertreten, die aus Australien, England oder den USA kamen. Diese Manager saßen mit uns am Besprechungstisch, bevor wir überhaupt dem ersten arabischen Vertreter unseres Kunden gegenüberstanden. Eben dieser Umstand relativiert die Bedeutung der interkulturellen Trainings. Projektmanager bereiten sich häufig intensiv auf die Mentalität, die Besprechungskultur oder Verhandlungstaktik ihres Gastlands vor - und stoßen unerwartet auf Menschen aus ganz anderen Ländern. Es kann sein, dass sie entscheidende Gespräche nicht mit Menschen ihres Gastlands führen. Ich will damit sagen: Zumindest in großen internationalen Projekten gibt es nicht den Auftraggeber aus dem Gastland, auf den man sich vorbereiten kann. Nochmals: Es lohnt sich dennoch, vor dem Einsatz die Mentalität, Kultur und Lebensweise des Gastlands kennenzulernen und sich Verhaltensregeln anzueignen? Dies ist ein wichtiger Baustein der Vorbereitung, ja. Die Trainings befähigen, sich im Gastland sicher zu bewegen. Überschätzte Trainings? Dies alles klingt nach großen Hürden, die man vor dem Projekt überwinden muss … Es handelt sich um keine unüberwindbaren Hürden. Letztlich kann man diese Aufgaben pragmatisch lösen - auch mithilfe von Fachleuten, die im Gastland ansässig sind. Manche Projektmanager ahnen doch nicht einmal, dass es solche Hürden geben könnte! Auf diesen Punkt will ich hinaus! Jeder Projektmanager, dem ich die Bedeutung des „Graubereichs“ illustriere, erkennt die Bedeutung dieser Frage. Aber: Viele wissen nicht, dass es solche Fragen überhaupt gibt. Viele bereiten sich allein mit interkulturellen Trainings auf ihren Auslandseinsatz vor - und meinen damit ihre Hausaufgaben erledigt zu haben. Ich nenne Ihnen ein letztes Beispiel: Ein Projektmanager fragt bei der Projektmanagementorganisation seines Gastlands nach, ob dort mit dem IPMA-Standard gearbeitet wird. Die PM-Organisation sieht im IPMA-Standard kein Problem. Dann aber stellt sich heraus: Der Kunde wird von amerikanischen Managern vertreten, die den PMI-Standard fordern. Solche Vorbereitungen laufen auf eine sorgfältige Projektumfeldanalyse hinaus … Richtig. Für die klassische Projektumfeldanalyse können Checklisten Anhaltspunkte geben. Jedoch sind mir speziell für internationale Projekte keine Checklisten bekannt. Auch kenne ich keine zentrale Beratungsstelle, mit deren Hilfe Projektmanager sich orientieren können. Die Projektmanager sind auf sich allein gestellt. Bestenfalls können sie aus der Erfahrung ihrer Kollegen Fragen im „Graubereich“ Umfeldanalyse im Ausland 10 PM_4-2010_1-60: Inhalt 20.08.2010 11: 43 Uhr Seite 10 Die Tilke-Gruppe, ursprünglich gegründet 1983, erbringt Planungs- und Bauleitungsaufgaben auf allen Kontinenten. Sie arbeitet zumeist als Generalplaner und übernimmt für die durchzuführenden Projekte auch das Projektmanagement über alle Projektphasen. Die Geschäftsfelder umfassen den Rennsport und industrielle Teststrecken. Neben dem Automobilsektor ist die Tilke-Gruppe in die Realisierung von Hotels, gewerblichen Immobilien, in Stadtentwicklungen sowie in verschiedene Projekte des Umweltschutzsektors eingebunden. Die Projekte werden mit mehr als 350 Mitarbeitern weltweit ausgeführt. Die Planung wird zumeist in Deutschland erbracht, die Bauleitung und das Projektmanagement erfolgen vor Ort über eine Reihe von eigenständigen Firmen im Ausland. Beim Rennstreckenprojekt in Abu Dhabi hat die Tilke GmbH & Co. KG die Planung übernommen, die Tilke & Partners die Bauleitung und das Projektmanagement (beide Tilke-Gruppe). Die Tilke-Gruppe Projektmanagement • Projektleitung , steuerung • Termincontrolling • Kostenmanagement • Vertrags , Nachtragsmanagement • Projektkommunikation • SiGeKo Koordination • Bauüberwachung Energetische Beratung • Wirtschaftlichkeitsbetrachtung • Energieberatung • Energiekonzept • Fördermittel • CO 2 Reduzierung • Energieausweis • Energiemanagement Ihr professioneller Partner für ... Planung • Generalplanung • Architektur • Industrieplanung • Tragwerksplanung • Technische Gebäudeausrüstung • Baugrunderkundung • Brandschutzgutachten Consulting • Einführung von Projektmanagement Systemen • Bauberatung • Bauabnahmen • Organisationsplanung • Machbarkeitsstudien • Wirtschaftlichkeitsbetrachtung Immobilienbewertung • Wirtschaftliche Analyse • Wertermittlung • Technische Analyse • Ökologische Analyse • Rechtliche Analyse • Steuerliche Analyse Training • Projektmanagement Zertifizierung nach IPMA Level D bis Level A, z. B.: • Projektmanagement Fachmann GPM ® (Qualifizierungslehrgang IPMA Level D) • Seminare, Workshops und Coaching zur Optimierung Ihrer Projektarbeit 0911 35037 0 www.gca consulting.de Rufen Sie uns an, wir beraten Sie gerne! Anzeige projekt MA N A G E M E N T aktuell 4/ 2010 l 11 Also ist der Bau eine Investition in die Markenbildung für einen Standort? So ist es! Fernsehteams aus aller Welt reisen an und senden spektakuläre Bilder. Dafür muss man mit der Rennstrecke eine bestimmte Kategorie erreichen. Anderenfalls bleibt die globale Wirkung aus - und damit die Vermarktungschancen für den Standort. Man muss also in gewissen Dimensionen denken. Wird die Bedeutung der Trainings also überschätzt? Dies würde ich so nicht unterschreiben. Aber: Interkulturelle Trainings dürfen nicht den einzigen Baustein für die Vorbereitung auf internationale Einsätze bilden. Auf diesen entscheidenden Punkt kommt es mir an. Sprechen wir über die Mentalität am Arabischen Golf. In Abu Dhabi entstand buchstäblich im Wüstensand ein kompletter Stadtteil, quasi ein zweites Monaco mit spektakulärer Rennstrecke, Hafen und Luxushotel. Was bewegt die Araber, solche Megaprojekte umzusetzen? Araber lieben alles, was schnell ist - Pferde, Autos, Motorboote. Araber sind leidenschaftlich sportbegeistert … … und lassen sich diese Freude so viel Geld kosten? Auch für arabische Verhältnisse kostete dieses Gesamtprojekt ein Vermögen! Hinter dem Projekt steht in erster Linie ein klares volkswirtschaftliches Kalkül. Formel-1-Rennen werden in alle Welt übertragen. Mit einer Rennstrecke kann man einen Staat oder eine Stadt global in die Schlagzeilen bringen. Rennstrecken werden für das Branding genutzt. Globale Markenbildung PM_4-2010_1-60: Inhalt 20.08.2010 11: 43 Uhr Seite 11 Teamwork beim Formel-1-Rennen in Istanbul Foto: Mercedes Benz REPORT 22 l projekt MA N A G E M E N T aktuell 4/ 2010 Dies dürfte der Schrecken vieler Projektmanager sein. Großprojekt, internationales Terrain - und dann Änderungsmanagement. Stellen Sie sich dieses Änderungsmanagement nicht zu kompliziert vor. Es gilt die alte Weisheit: Wer schreibt, der bleibt. Von der ersten logischen Sekunde an schreiben und dokumentieren Sie wegen der Änderungen täglich Dutzende Briefe und Mails - und zwar gerichtsfest! Solange eine Änderung vom Auftraggeber nicht hieb- und stichfest abgesegnet ist, wird sie nicht umgesetzt. Das ist ein schwieriges Aufgabenfeld, das viel Erfahrung des Projektmanagers verlangt. Wir fordern eine schriftliche Bestätigung vom Auftraggeber an, dies wird verbunden mit gerichtsfester Dokumentation. Erst Bestätigung, dann Ausführung - kann man immer so vorgehen? Baustellen haben ihre eigene Dynamik, besonders dann, wenn sie unter Termindruck stehen. Deshalb ist die Erfahrung des Projektmanagers so wichtig. Manchmal muss man eben - im Sinne des Projekts - von dieser Forderung abrücken, um eine schnelle Realisierung zu ermöglichen. Dem Nachverfolgen dieser offenen Bestätigungen kommt anschließend aber eine enorme Bedeutung zu. Trotzdem, solche Eingriffe in ein laufendes Projekt wären in Deutschland undenkbar - allein schon wegen der Kosten. Dies mag für deutsche Verhältnisse gelten, vielleicht auch für europäische. Am Arabischen Golf allerdings herrschte zu diesem Zeitpunkt ein völlig anderes Geschäftsklima. Die Geldschatullen waren randvoll, überall wurde gebaut. Was mit Geld machbar ist, wurde einfach gemacht. Stichwort „Graubereich“. Es ist hilfreich, wenn Projektmanager sich vor ihrem Einsatz über das Geschäftsklima und das Verhalten von Projektauftraggebern informieren. Nicht nur vor dem Projekt informieren, sondern die Lage auch während des Projekts weiter beobachten! Wir haben während unseres Projekts in Abu Dhabi erlebt, wie kurzfristig sich der Wind drehen kann. Mit der Weltwirtschaftskrise hat sich das Klima am Arabischen Golf grundlegend geändert. Die Geschäftswelt hat sich komplett gewandelt. Preise fielen, Unternehmen wurden insolvent, Mehrkosten wurden plötzlich penibel kontrolliert. Nochmals zu der Hochphase vor der Krise. Wie wirkte sich der Boom auf eine Baustelle aus? Wir haben unser Projekt vor der Wirtschaftskrise, also in der Hochphase des Baubooms gestartet. Die Preise für Glas, Beton und Stahl stiegen monatlich um bis zu zwei Prozent. Material war ohnehin sehr knapp. Dies stellte unsere Kostenmanager und Beschaffungsspezialisten vor enorme Schwierigkeiten. Hätten wir dies vorher nicht gewusst, wären wir ins offene Messer gelaufen. Geschäftsklima ständig beobachten Welche Herausforderungen sind mit einem solchen Projekt verbunden? Man darf sich keine Fehler erlauben. Vor allem muss es pünktlich zum angekündigten Eröffnungsrennen fertig werden. Wer den Eröffnungstermin verschieben muss, hat sich quasi selbst aus dem Rennen geworfen - bevor überhaupt das erste Formel-1-Rennen stattfindet. Dies wäre, als wollten Sie das Weihnachtsfest einfach auf den 31. Dezember verschieben. Der Termindruck ist astronomisch hoch. Bei der Formel-1-Rennstrecke in Abu Dhabi wurden einige eindrucksvolle Innovationen gefordert. Sie gilt als eine der wenigen Strecken, auf der auch bis in den Abend hinein Rennen ausgetragen werden. Wir mussten die Strecke entsprechend ausleuchten, dies ist richtig. Es gibt noch weitere Innovationen. Die Strecke führt zwischen den beiden Türmen eines Luxushotels hindurch; die Türme sind durch eine verglaste Brücke verbunden, auf der die Gäste das Rennen beobachten können. Hinzu kommt, dass die Tribünen besonders nah an der Rennstrecke stehen. Am Rand der Strecke gibt es einen Sicherheitsbereich, eine Art Auslaufzone, auf der havarierte Fahrzeuge zum Stehen kommen können. Diese Auslaufzone kann in Kurven bis zu hundert Meter breit sein. Wie kann man technisch die Tribünen so nah ans Rennen bringen? Wir haben die Tribünen über dieser Auslaufzone - Sturzraum genannt - gebaut. Verunglückte Fahrzeuge kommen also im Sturzraum unter der Tribüne zum Stehen. Unser Kunde wollte in Abu Dhabi etwas wirklich Spektakuläres schaffen. Nun hat Ihr Auftraggeber mitten im Projekt Änderungen gefordert … Ja, grundlegende Änderungen und Ergänzungen. Wir mussten umplanen und einige Fundamente dabei wieder zurückbauen. Änderungsmanagement 12 PM_4-2010_1-60: Inhalt 20.08.2010 11: 43 Uhr Seite 12 Die Ruhe auf der Piste in Abu Dhabi trügt. Die Vorbereitungen für das Formel-1- Rennen am 14. November 2010 laufen auf Hochtouren. Foto: Tilke projekt MA N A G E M E N T aktuell 4/ 2010 l 13 ständlich brauchen alle beteiligten Projektmanager - unsere Projektmanager, die Projektmanager des Bauunternehmers und die der „Aufpasser“ - ein hohes Maß an Erfahrung, um die Kommunikation optimal auszubalancieren. Sie müssen klar erkennen, in welchen Fällen der Auftraggeber zwingend vor Entscheidungen zu informieren ist. Ein solches Modell wird in der internationalen Fachsprache „Construction Management at agency“ genannt. Nicht ganz. Mit dem Begriff „Construction Management at agency“ wird die vollständige Planung, die Bauleitung vom Spatenstich bis zum Ende der Gewährleistung und das Projektmanagement über alle Phasen bezeichnet. Diese Dienstleistung haben wir erbracht. Damit haben der Auftraggeber und der Bauunternehmer einen im vollen Umfang verantwortlichen Ansprechpartner. Dies bedeutet, dass die Parteien auf der Baustelle schnell entscheiden können, … … aber auch für ihre Entscheidungen geradestehen. Der Druck auf die Parteien ist enorm. Dies muss man wissen, wenn man sich auf solche Modelle einlässt. Nochmals zur deutschen Vorgehensweise, die ja auch Vorteile hat; die Baustelle wird besser kontrolliert. Anders bei internationalen Modellen: Wenn sich dort Planer, Bauleiter und Projektmanager selbst kontrollieren, macht man gewissermaßen den Bock zum Gärtner. Damit sind wir wieder bei einer Frage, auf die ein Projektmanager im Vorfeld eines internationalen Projekts Antwort finden sollte. Wie kontrolliert sein Kunde das Projekt? Machen wir uns nichts vor: Kein Kunde wird ein solch umfangreiches Dienstleistungsprofil wie das „Construction Management at agency“ ohne seine eigene Kontrolle laufen lassen. Schnelle Entscheidungen Wie haben Sie auf diese Herausforderung reagiert? In deutschen Bauprojekten wird das Kaufmännische von Ingenieuren und Architekten mitbearbeitet. Bei unserem Projekt wäre dies völlig unmöglich gewesen. Wir hatten dafür eigene Spezialisten. Es ist ohnehin eine deutsche Eigenheit, dass Ingenieure und Architekten Kaufmännisches quasi nebenher erledigen … Ich halte sehr wenig von dieser Praxis. In normalen Lehrcurricula werden Architekten und Ingenieure auf das Kaufmännische kaum vorbereitet, sie arbeiten als Fachfremde mit gewaltigen Budgets. Überall auf der Welt wird dies anders gehandhabt - und dies aus gutem Grund. Wie sind Sie vorgegangen? Wir haben im Team sogenannte „Quantity Surveyors“ eingesetzt. Diese Spezialisten verfügen über Kenntnisse aus der Betriebswirtschaftslehre, dem Rechtswesen und dem kaufmännischen Projektmanagement. In unserem Team waren allein neun Quantity Surveyors beschäftigt. Weitere Quantity Surveyors arbeiteten bei dem Generalunternehmer sowie beim Auftraggeber. Unter dem Strich kamen wir auf rund dreißig Spezialisten. Auch weitere deutsche Eigenheiten im Bauwesen gelten nicht für andere Länder. Die hier übliche Trennung zwischen Bauleiter, Planer und Projektmanager ist im Rest der Welt unbekannt. Nein, die Trennung der Fachdisziplinen ist sehr wohl in der Welt bekannt. Die Trennung wird aber häufig aufgelöst, um eine schnellere Projektrealisierung zu erreichen. Hätte unser Auftraggeber diese Trennung beibehalten, hätten wir den ehrgeizigen Zeitplan auf der Baustelle nicht einhalten können. Bei einer solchen Organisation wäre das Projekt ausgegangen wie das Hornberger Schießen - oder schlimmer, es wäre direkt vor Gericht gelandet. Vergessen Sie nicht: Wir hatten einen sehr eng gesteckten, höchst ehrgeizigen Zeitplan. Auf der Baustelle brauchten wir schnelle Entscheidungen. Wie waren die Rollen auf der Baustelle verteilt? Wir hatten neben dem Auftraggeber quasi drei Parteien. Erstens den Generalunternehmer, zweitens unser Team mit den Aufgaben aus Planung, Bauleitung und Projektmanagement und drittens uns überwachende Spezialisten des Auftraggebers … … quasi dessen „Aufpasser“ … Bei diesen drei Partnern lag weitestgehend die Verantwortung. In regelmäßigen Abständen wurde der Auftraggeber über die Ergebnisse informiert. Bei Preisverhandlungen geschah dies parallel zur Verhandlung häufig im Hintergrund. Und die Entscheidungen selbst? Entscheidungen haben wir mit unseren Partnern auf der Baustelle getroffen - meistens sofort, ohne große Rückfragen und lange Entscheidungswege. Selbstver- „Quantity Surveyors“ PM_4-2010_1-60: Inhalt 20.08.2010 11: 43 Uhr Seite 13 Internationales Projektmanagement ist ein schwieriges Geschäft. Viele Projektmanager werden ins kalte Wasser geworfen - und müssen bei ihrem Auslandeinsatz hohes Lehrgeld zahlen. „Deutsche Projektmanager gehören im globalen Geschäft ohnehin zu den Exoten“, weiß Dr. Lorenz Schneider, selbst einer dieser Exoten. Er leitet seit 13 Jahren Großprojekte in aller Welt und kennt die „Anfängerfehler“ genau. „Das internationale Geschäft kann man lernen, dies ist nichts Spektakuläres“, sagt er, „man muss wissen, wie man sich auf den Einsatz vorbereitet - und langsam in die Aufgaben hineinwachsen.“ Doch wo die Usancen des globalen Projektgeschäfts lernen? In den herkömmlichen Ausbildungen fristet internationales Projektmanagement ein Schattendasein. „Die Ausbildung in Deutschland ist vorzüglich“, weiß Dr. Lorenz Schneider, „doch für den Sonderfall ‚Auslandseinsatz‘ mangelt es an Lehrinhalten.“ Einige Male hat Dr. Lorenz Schneider beobachtet, wie seine Kollegen bei ihrer ersten Auslandsmission übervorteilt, manchmal geradezu über den Tisch gezogen wurden. „Es handelte sich teilweise um gestandene Projektmanager mit Zertifikat“, berichtet er, „im Ausland stellten sie verblüfft fest, dass einiges anders lief als in ihrer heimischen Projektwelt.“ Manche konnten sich freischwimmen, andere blieben auf der Strecke. Solche Misserfolge bedrücken ihn. In der GPM fand er vor einigen Jahren Kollegen, die Ähnliches wie er beobachtet hatten. Anfang 2008 - auf der GPM Aktiv-Tagung - ergriff er mit drei Kollegen die Initiative. Mit ihnen legte er den Grundstein für die Special Interest Group „Go International“ und für die Fachgruppe „Tools and Practice for International Project Management“. 13 Mitglieder umfasst dieser Kreis zwischenzeitlich, größtenteils Projektmanager, die derzeit im Ausland arbeiten und aktuelle Erfahrungen in die Gruppe tragen. So sammelt die Gruppe Informationen über im Ausland gebräuchliche (und verbreitete) PM-Werkzeuge, die hierzulande unbekannt sind. „Man arbeitet beispielsweise häufig mit der Software Primavera oder verwendet für die Projektbewertung die ‚Earned-Value- Methode‘“, erklärt Dr. Lorenz Schneider, „wir wollen unseren Kollegen zumindest Hinweise geben auf die Verwendung dieser Tools.“ Auch bereitet die Gruppe Erfahrungen aus dem Ausland auf. Als ein Ziel hat sie sich beispielsweise gesetzt, eine Informationsplattform einzurichten sowie eine Checkliste zu entwickeln, die Hinweise für die Vorbereitung von Auslandseinsätzen enthält. Mit solchen Handreichungen will sie ihren Kollegen künftig den Einstieg ins internationale Projektgeschäft erleichtern. GPM Group „Go International“ REPORT 22 l projekt MA N A G E M E N T aktuell 4/ 2010 Sie sprechen das Thema „Dokumentation“ an, ein Arbeitspunkt, der nicht immer auf Sympathie im Projektteam stößt … … und doch unabdingbar ist. Solche Großprojekte brauchen eine absolut gerichtsfeste Dokumentation. Jede E-Mail, jeder Brief, überhaupt alles, was wir zu Papier gebracht haben, wurde elektronisch erfasst, verschlagwortet und abgespeichert auf weltweit verteilten Sicherheitsservern. Wir hatten im Team einige sogenannte Document-Controller, die nichts anderes taten, als den Schriftverkehr und andere Aufzeichnungen wiederauffindbar zu dokumentieren. Wir können noch heute quasi im Nachgang zu einem beliebigen Stichtag der Baustelle den Arbeitsstand rekonstruieren und die Akten ausdrucken. Nur so können wir nachweisen, wie die auf der Baustelle schnell getroffenen Entscheidungen zustande gekommen sind und wer daran beteiligt war. Dokumentationspflichten belasten häufig die Teams. Die mit der Dokumentation verbundenen Aufgaben erschweren die Tagesarbeit, sie werden als Hemmnis empfunden. Mag sein. Doch angesichts der Investitionssummen unseres Projekts würde ein verlorener Gerichtsprozess deutlich mehr Leidensdruck erzeugen als die Aufgaben der Dokumentation. Ein Projektmanager hat die Prozesse für die Dokumentation als verbindlich vorzuschreiben, da führt kein Weg dran vorbei. Nochmals zu dem Format Ihres Projekts. Sie haben mit zwei weiteren Projektmanagern zeitlich parallel zwei Großprojekte geleitet, die in ein Megaprojekt eingebettet waren. Dieses gewaltige Programm wird insgesamt rund 45 Milliarden Dollar verschlingen. In Nachbarschaft zur Rennstrecke und zu dem Luxushotel entstanden ein sechsspuriger Autobahnzubringer, mehrere weitere Hotels sowie ein Hafen - weshalb übrigens ein Hafen? Die Gäste sollen wie in Monaco das Rennen von ihren Booten aus beobachten können. Anders als in Monaco haben wir aber auch Tribünen für mehrere Zehntausend Zuschauer errichtet. Stellenweise waren 18.000 Arbeiter auf der Baustelle beschäftigt, tausende Anfahrten von Lkws mussten koordiniert werden. Die Baustellen lagen auf einer Insel, und wir hatten anfangs nur zwei Brücken, über die sich diese Insel erreichen ließ. Dies erforderte eine logistische Meisterleistung, all die Bewegungen zu koordinieren. Kilometerlange Staus ließen sich trotzdem nicht vermeiden. Dies heißt, die Projekte mussten sich untereinander koordinieren? Richtig! Freiflächen für Material und Gerät haben wir uns teilweise taggenau zugewiesen. Entsprechend umfangreich war die Abstimmung zwischen den einzelnen Projekten dieses Programms. Konkret bedeutete dies für uns eine Vielzahl von Besprechungen - in einem Maß, das in Deutschland unbekannt ist. Gerichtsfeste Dokumentation Wie war es bei Ihnen? Unser Auftraggeber hat sogenannte externe „Peer Review Entities“ eingesetzt, also Projektfachleute, die unsere Arbeit penibel überprüft haben. Dies war die eben erwähnte dritte Partei auf der Baustelle - die „Aufpasser“, wie Sie sie genannt haben. Wobei man sich unter diesen „Aufpassern“ versierte Fachleute vorstellen muss. Absolut! Es handelte sich um Spezialisten einer weltweit hoch angesehenen Projektmanagementgesellschaft. Sie haben jeden Arbeitsschritt einem strengen Controlling unterzogen. Dies bedeutete für uns: Wir mussten ein extrem hohes Maß an Transparenz in unser Projekt bringen. Die Dokumentation musste jederzeit verfügbar sein. Für diese Aufgabe hatten wir eigene Fachleute im Team; sie waren ausschließlich damit beschäftigt, den „Peer Review Entities“ Material an die Hand zu geben. 14 PM_4-2010_1-60: Inhalt 20.08.2010 11: 43 Uhr Seite 14 Großbaustelle am Arabischen Golf: Tausende Arbeiter machten die Rennstrecke binnen kürzester Zeit „startklar“. Foto: Tilke Anzeige projekt MA N A G E M E N T aktuell 4/ 2010 l 15 Mit einem rund 120-köpfigen Team aus rund einem Dutzend Nationen haben Sie diese Komplexität gesteuert. Wie war die Teamorganisation aufgebaut? Wir verwendeten eine in Deutschland zumeist unübliche Struktur für die Aufbauorganisation des Teams, welche sich aus unserer Aufgabe des „Construction Wie behält man bei solch hoch komplizierten Projekten die Übersicht? Dieses Projekt war kompliziert und komplex zugleich, es hatte eine Vielzahl von Stellschrauben. Man muss sich auf das Wesentliche konzentrieren. Inwiefern viele Stellschrauben? Eine Formel-1-Rennstrecke hat im Wesentlichen drei Nutzergruppen, die Rennsportler selbst, die Zuschauer vor Ort und die Fernsehteams aus aller Welt. Die Rennsportler wollen sich messen. Die Zuschauer wollen das Rennen beobachten und unterhalten werden. Die Fernsehteams wollen spektakuläre Bilder von der Strecke. Diese Interessen der Nutzergruppen machen den Bau von Rennstrecken technisch sehr anspruchsvoll. Fangen wir mit den Rennsportlern an. Die Rennstrecke in Abu Dhabi ist etwa 5,5 Kilometer lang. Sie hat 21 Kurven. Es werden Spitzengeschwindigkeiten von über 300 Stundenkilometern gefahren. Da wird die Sicherheit an erster Stelle stehen … Selbstverständlich! Topsicherheit ist absolut notwendig. Sie wurde in den letzten Jahren massiv weiterentwickelt; zum Glück haben sich seit Langem keine tödlichen Unfälle mehr ereignet. Ebenso wichtig ist die Messtechnik. Formel-1-Fahrer kämpfen um eine tausendstel Sekunde. Zudem wollen die Teams jeden Augenblick das Rennen beobachten und auswerten können. Die Anforderungen der Zuschauer? Wie gesagt, sie wollen das Rennen beobachten, möglichst viel von ihrem Platz sehen; sie wollen sich wohlfühlen. Wir sprechen von rund 46.000 Menschen, von denen jeder so viel wie möglich im Blick haben will. Dies dürfte auch für die internationalen Fernsehteams gelten … So ist es! Sie stellen höchste Anforderungen, was die Bilder betrifft. Sie wollen Topaufnahmen in die Welt senden. Diese Nutzerprofile müssen umgesetzt werden in die Technik. Wir mussten technisch die optimalen Sichtbeziehungen für Zuschauer und Fernsehteams herbeiführen. Ändert man etwas an der Planung, ist die Auswirkung auf diese komplizierten Sichtbeziehungen zu überprüfen. Einfach gesagt: Wird etwas an einem Punkt geändert, dann kann es sein, dass jemandem an einem anderen Punkt die Sicht behindert wird. Genau! Wer bei solch einem Projekt an einer Stellschraube dreht, der dreht viele andere Schrauben mit. Dies muss man wissen. Man muss das Wesentliche vom Unwesentlichen trennen, um die wirklich wichtigen Aufgaben zu bearbeiten - dies ist die Kunst bei solchen Projekten. Teamorganisation in zwei „Blöcken“ Höchste Anforderungen der TV-Teams PM_4-2010_1-60: Inhalt 20.08.2010 11: 43 Uhr Seite 15 Buchstäblich mitten in der Wüste entstand ein „zweites Monaco“, eine spektakuläre Anlage unter anderem mit Rennstrecke, Luxushotel und Hafen. Foto: Tilke Oliver St REPORT 22 l projekt MA N A G E M E N T aktuell 4/ 2010 Bei Ihrem Projektteam überwog - von den Mitarbeiterzahlen her betrachtet - der Block, der sich mit Bauqualität beschäftigte. Dies ist richtig. Doch unterschätzen Sie nicht die Zahl derer, die sich mit dem Projektmanagement und den Prozessen befasst haben. Dazu gehörten auch die vorhin erwähnten Quantity Surveyors und die Contract Manager, die für das Vertragswesen zuständig waren. Überdies hatten wir eine eigene Human-Resources-Abteilung. Eine HR-Abteilung im Projektteam? Weshalb? Während des Projekts schwankte die Teamgröße. Vorhin haben wir gesagt, dass Mitarbeiter im Auslandseinsatz intensiv betreut werden müssen … … Visum, Arbeitserlaubnis, Wohnung, Fahrten zur Arbeitsstätte … Richtig! Die mit dem Personalwesen verbundenen Aufgaben sind bei internationalen Projekten immens. Wir haben dafür Spezialisten aus Abu Dhabi unter Vertrag genommen, also lokale Fachleute, die Verbindungen haben, beispielsweise zu Behörden. Sprechen wir über den Projektmanager selbst. Viele Projektmanager werden bei ihrem ersten internationalen Einsatz ins kalte Wasser geworfen … … und im Ausland häufig über den Tisch gezogen, weil sie nicht ausreichend vorbereitet sind. An die Spitze von Großprojekten wie dem Bau einer Formel-1-Rennstrecke gehören ohnehin nur sehr, sehr erfahrene Projektmanager. Die vom Kunden eingesetzten Controller werden ohnehin die Manager des Auftragnehmers penibel unter die Lupe nehmen. Die externen „Peer Review Entities“ prüfen für den Auftraggeber genau die eingesetzten Personen und ihren Lebenslauf. Sie wollen wissen, wo diese studiert und welche Projekte sie bereits geleitet haben. Bei diesen Externen handelt es sich um absolute Profis. Da kommt es durchaus vor, dass Kandidaten für Schlüsselpositionen abgelehnt werden - wenn die Controller beispielsweise fünfzehn Jahre Berufserfahrung fordern, ein Kandidat aber nur neun Jahre nachweisen kann. Wie können sich Projektmanager aus Deutschland ins internationale Geschäft einarbeiten? Man sollte an internationalen Projekten bereits mehrmals mitgearbeitet haben, bevor man ein solches Projekt selbst leitet. Dafür nimmt man auch in Kauf, dass man zunächst als „Junior Project Manager“ eingestuft wird - gleich, wie viel Erfahrungen man im Heimatland bereits gesammelt hat. Und auch im internationalen Geschäft erfahrene Projektmanager werden nüchtern prüfen, ob das anstehende Projekt wirklich das richtige Spielfeld ist und sie über das richtige Dienstleistungsprofil verfügen. Wie gesagt, den Auftrag erst einmal übernehmen und dann an den Aufgaben wachsen - diese Strategie droht ab einer bestimmten Projektgröße im internationalen Geschäft fehlzuschlagen. ■ HR-Abteilung im Team Management at agency“ ergab. Grob gesagt, wir hatten zwei Blöcke in der Organisation. Auf der einen Seite hatten wir Mitarbeiter, die für die Bauqualität zuständig waren, beispielsweise für die Qualität des verarbeiteten Stahls, Betons und Asphalts, für die Architektur, die Statik, den Tiefbau, für Gebäudeausrüstung, Elektrik, Messtechnik oder Gartenplanung, die eine hohe Kunst in der Wüste ist. Der andere Block? Auf der anderen Seite, im anderen Block, waren Spezialisten für das Projektmanagement und die Prozessqualität zuständig. Wir haben viel Gewicht auf Prozessmanagement gelegt. Zum Beispiel? Entscheidungsprozesse waren ein wichtiges Thema. Wie kommen wir zu Entscheidungen? Was muss dokumentiert werden? Solche Prozesse wurden detailliert definiert, den Beteiligten verständlich gemacht, kontrolliert und eingefordert. Man erreicht im Projektmanagement viel, wenn die Prozesse sicher und mustergültig definiert sind und eingehalten werden. Viele Projektteams neigen dazu, ihre Prozesse während des laufenden Projekts zu verbessern … Vergessen Sie diese Vorgehensweise bei internationalen Großprojekten, insbesondere bei Megabaustellen! Sie funktioniert dort nicht. Sie haben keine Zeit, zu lernen und an Ihren Aufgaben zu wachsen. Denken Sie beispielsweise an unsere gerichtsfeste Dokumentation, sie musste von der ersten Sekunde an perfekt funktionieren. Bei solchen Projekten können Sie nicht erst an Ihren Aufgaben wachsen. Sie müssen die Aufgaben von Anfang an beherrschen, anderenfalls gehen Sie unter in solch einem dynamischen Umfeld. 16 PM_4-2010_1-60: Inhalt 20.08.2010 11: 43 Uhr Seite 16