eJournals PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL 31/1

PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
pm
2941-0878
2941-0886
UVK Verlag Tübingen
10.2357/PM-2020-0006
11
2020
311 GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.

Projektmanagement-Theorie

11
2020
Karsten Löhr
Arthur Dewiwje
Für das duale Studium der DHBW wurde eine Befragung bei den kooperierenden Firmen durchgeführt, um den Bedarf an Studieninhalten für Projektmanagement abzustimmen. Sie werden informiert über die verschiedenen Kompetenzbereiche und über die Prioritäten bei den zu vermittelnden Kompetenzen - und wie dies in dem Studienmodul Projektmanagement umgesetzt werden kann.
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28 DOI 10.2357/ PM-2020-0006 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 31. Jahrgang · 01/ 2020 Was erwarten Firmen von der Hochschullehre? Projektmanagement-Theorie Karsten Löhr, Arthur Dewiwje Für eilige Leser | Für das duale Studium der DHBW wurde eine Befragung bei den kooperierenden Firmen durchgeführt, um den Bedarf an Studieninhalten für Projektmanagement abzustimmen. Sie werden informiert über die verschiedenen Kompetenzbereiche und über die Prioritäten bei den zu vermittelnden Kompetenzen-- und wie dies in dem Studienmodul Projektmanagement umgesetzt werden kann. Bei Projekten handelt es sich um zielorientierte Unternehmungen. Das bedeutet auch, dass zunächst lediglich eine Zielvorstellung besteht, welche noch mehr oder weniger große Unsicherheiten für deren Verwirklichungen enthält. Daher ergeben sich die zielführenden Überlegungen und Handlungen immer erst im Verlauf eines Projektes aus den jeweils entdeckten Zusammenhängen. Und das führt dazu, dass Projekte nicht zwangsläufig einen berechenbaren Verlauf nehmen, sondern interaktiv geführt bzw. gemanagt werden müssen. Diese Kontingenz von Projekten, d. h. sich erst aus einem entdeckten Zusammenhang zu ergeben, unterscheidet sich grundsätzlich von den exakten Ansätzen in den technischen Disziplinen.[ 1 ] Denn bei letzteren richten sich die Überlegungen und Handlungen verlässlich nach der Übereinstimmung mit den ursächlich bekannten Prinzipien und Theoremen, beispielsweise nach den Newtonschen Kräften der Mechanik, nach den Maxwell-Gleichungen des Elektromagnetismus, nach dem Aufbau der Materie aufgrund des Periodensystems der Elemente oder nach den Axiomen der Mathematik. Eine derartige grundlegende Axiomatik besteht für den Umgang und das Management von Projekten nicht. Die grundsätzliche Unbestimmtheit an Denk- und Handlungsmöglichkeiten beim Projektmanagement führt zu einem Problem bei der Auswahl der zu unterrichtenden Inhalte in der Lehre. Zwar vermag das Berichten von früheren Erfahrungen in der Projektdurchführung sowie die Berücksichtigung von erfolgreichen und fehlgeschlagenen Maßnahmen einige zweckmäßige Kenntnisse vermitteln. Aber dies erfüllt nicht den akademischen Anspruch an ein umfassendes und zuverlässiges theoretisches Gerüst. Denn bei einer Übertragung von solchen Erfahrungen auf andere Fälle sind die Ausnahmen oft zahlreicher als die Übereinstimmungen und somit ist die Anwendbarkeit von Erfahrungen oft gering. Auch das betreute Lernen an einem beispielhaften Studienprojekt bleibt insofern immer nur Stückwerk und kann daher zu sehr unterschiedlichen und mitunter seltsamen Ansichten darüber verleiten, wie Projekte durchzuführen sind. Dabei ist zu beachten, dass mangelnde Kenntnisse in Projektmanagement oft angeführt werden, um das Scheitern von Projekten zu erklären. Um aber die Dimensionen des Projektmanagements in der Tiefe und Breite einigermaßen empirisch zu erfassen, wäre eine Lehre erforderlich, die den Rahmen jedes Studiums sprengen würde. Somit ist es notwendig, sich auf einen Kanon der Lehren zu verständigen. Methodisches Vorgehen Die Duale Hochschule Baden-Württemberg verfügt über ein Studienmodell, das auf einer Partnerschaft mit Firmen beruht.[ 2 ] Studierende können sich ausschließlich innerhalb dieser Partnerschaft einschreiben, d. h. sie werden von den Firmen ausgewählt und für das Studium im Rahmen eines Ausbildungsvertrags von der Tätigkeit in der Firma freigestellt. In dieser Dreierkonstellation von Hochschule, Firma und Studierendem ist die Abstimmung von Inhalten in der sogenannten Theoriephase an der Hochschule und den ergänzenden Praxisphasen in den Firmen von besonderer Bedeutung. Im Idealfall sollen die Studierenden die Lehren unmittelbar in jedem Studienjahr in der Praxis anwenden oder umgekehrt die betrieblichen Erfordernisse aus der Praxis vor dem theoretischen Hintergrund in der Lehre grundlegend und allgemeingültig erlernen. Wissen Projektmanagement-Theorie DOI 10.2357/ PM-2020-0006 31. Jahrgang · 01/ 2020 PM_aktuell_01_2020.indb 28 PM_aktuell_01_2020.indb 28 20.02.2020 10: 38: 05 20.02.2020 10: 38: 05 Wissen | Projektmanagement-Theorie 29 DOI 10.2357/ PM-2020-0006 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 31. Jahrgang · 01/ 2020 In dieser intensiven Partnerschaft von Hochschule, Firmen und Studierenden steckt eine entsprechend umfangreiche Expertise, auf der die durchgeführte Untersuchung beruht. Zunächst wurden daher einzelne Interviews mit Studierenden des sechsten Semesters sowie den akademischen Betreuern der Studierenden in den Firmen durchgeführt. Allerdings zeigte sich dabei, dass die o. g. Unbegrenztheit des Projektmanagements zu sehr subjektiven, situativen oder momentanen Einschätzungen führt. Denn hervorgehoben wurde vorwiegend dasjenige, was gerade bei einem bestimmten Projekt und unter bestimmten Umständen zu einem bestimmten Zeitpunkt von besonderer Bedeutung war. Daraufhin erschien es notwendig, eine generelle Meinungsbildung auf Grundlage der Delphi-Methode durchzuführen. Eine Delphi-Befragung besteht grundsätzlich aus drei Stufen. [ 3 ] In der ersten Stufe werden die Fragen festgelegt. Denn nur konkrete Fragestellungen gestatten anschließend die Bildung von statistischen Werten und die Fokussierung auf eine allgemeingültige Auswahl. In einer zweiten Stufe erfolgt daraufhin eine anonyme Einschätzung der Befragten zu dem erstellten Fragenkatalog. Dabei ist die Anonymität von besonderer Bedeutung, um Konformität von Trendsettern bzw. den sogenannten „Influencern“ zu vermeiden. Außerdem gestattet das die Erhaltung einer gewissen Anpassungsbereitschaft ohne Prestigeverlust, wenn man die einmal gefasste Einschätzung aufgrund neuerer Informationen ändern möchte. [ 4 ] Denn in einer dritten Stufe wird um eine erneute Einschätzung desselben Fragenkatalogs gebeten, nachdem die Ergebnisse der Erstbefragung allen Teilnehmern bekannt gemacht wurden. Auf diese Weise wird es möglich, die kollektive Intelligenz bzw. die sogenannte „Weisheit der Vielen“ zu nutzen, bei der der Mittelwert von mehreren unabhängigen Einschätzungen besser ist als die beste Einzelschätzung. [ 5 ] Dieser dritte Schritt kann zwar auch mehrfach wiederholt werden, um eine noch stärkere Meinungsbildung zu erreichen. Allerdings kommt es gerade bei anonymen Befragungen dann zu einer deutlichen Panelmortalität bzw. Wahlmüdigkeit, wenn die einzelnen Beteiligten den Meinungsbildungsprozess für sich als ausreichend und abgeschlossen betrachten. [ 6 ] In der genannten ersten Stufe der Delphi-Studie dient die einschlägige Literatur der Zertifizierungsorganisationen- - PMI, IPMA und PRINCE2-- als Grundlage und wird durch Fachbücher sowie andere Studien ergänzt, um die als erforderlich erachteten Kompetenzen zu ermitteln. Daraus lässt sich ein Spektrum von insgesamt 31 Kompetenzaspekten ableiten, welches sich nachfolgend auf vier Kompetenzbereiche verteilen lässt (s. Abbildung 1). Bei den daraus abgeleiteten Fragestellungen ist es empfehlenswert, sich an 7 ± 2 Wahlmöglichkeiten zu orientieren, denn entsprechende Untersuchungen zeigen, dass das Kurzzeitgedächtnis nur etwa diese Anzahl speichern und somit vergleichen kann. [ 7 ] Aus diesem Katalog der Kompetenzen werden daher nur einzelne Fragestellungen mit vorgegebenen Antwortoptionen abgeleitet, um die Bearbeitungsdauer einer Einschätzung durch eine Partnerfirma gering zu halten. Diese betreffen: 1. Zur Bedeutung der vier verschiedenen Kompetenzbereiche 2. -5. Zur Bedeutung der einzelnen Kompetenzen innerhalb jeweiligen Kompetenzbereiche 6. Zum Umfang in der Lehre In der zweiten Stufe wird dann gefordert, jeweils eine Reihenfolge bzw. ein Ranking der Einschätzungen durchzuführen. Durch diese Forced-Choice-Technik wird die Entscheidung der Experten erzwungen, indem das jeweils Wichtigere vom Unwichtigeren unterschieden werden muss und die sogenannte „Tendenz zur Mitte“ vermieden wird. Durch das forcierte Ranking bei vorgegebener Auswahl wird in der Studie eine jeweilige Bearbeitungsdauer von unter 10 Minuten bei den befragten Experten erreicht, um eine vorzeitige Panelmortalität zu vermeiden. Die jeweilige Rangfolge wird anschließend in der Wertigkeit nichtlinear überhöht, um den Kontrast zwischen den Ein- Abbildung 1: Kompetenzen und Kompetenzbereiche für Projektmanagement. Die punktierte Linie steht für die Häufigkeit der Kompetenz-Nennung in der Literatur. PM_aktuell_01_2020.indb 29 PM_aktuell_01_2020.indb 29 20.02.2020 10: 38: 05 20.02.2020 10: 38: 05 Wissen | Projektmanagement-Theorie 30 DOI 10.2357/ PM-2020-0006 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 31. Jahrgang · 01/ 2020 schätzungen sichtbarer zu machen. Dabei wird einer Reihenfolge von 1 bis n vom geringsten zum größten Rang jeweils ein Wert von e 1 bis e n zugeordnet. Erst diese Werte werden dann für die statistische Analyse verwendet. Ähnlich wie beim Weber-Fechner-Gesetz zu subjektiven Eindrücken des Sehens, Hörens, Schmeckens oder Fühlens gestattet diese exponentielle Überhöhung, die Differenzen in der Einschätzung besser zu erkennen. [ 8 ] In der dritten Stufe wird die Delphi-Methode dahingehend abgewandelt, dass zwar die gleichen Fragestellungen verwendet werden, aber nunmehr eingeschätzt werden soll, ob die jeweilige Kompetenz eher in der Theorie vermittelt werden kann oder aber besser in der Praxis erfahrbar ist. In Kombination mit dem Ranking entsteht daraus insgesamt eine Art Nutzwertanalyse bzw. ein Scoring, bei dem die Präferenz einer Einschätzung auf einer Skala mit dem jeweiligen Rang der Fragestellung gewichtet wird. Diese Kombination von Ranking und Scoring gestattet dann Aussagen über eine „ Menge komplexer Handlungsalternativen mit dem Zweck, die Elemente dieser Menge entsprechend der Präferenzen des Entscheidungsträgers bezüglich eines multidimensionalen Zielsystems zu ordnen. “ [ 9 ] Repräsentativität Die durchgeführte Untersuchung ist zunächst auf die Partnerfirmen des Studiengangs Wirtschaftsingenieurwesen an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg am Standort Heidenheim beschränkt. Aufgrund der o. g. intensiven Zusammenarbeit kann man davon ausgehen, dass es sich bei den Teilnehmern um Experten handelt, wenn es um die Einschätzung des Studienbedarfs in dem Studiengang sowie die Unterscheidung von theoretischen und praktischen Studienhalten geht. Bei einer solchen Expertenbefragung konvergieren die Einschätzungen recht schnell und bereits ein Panel von 16 Experten zu einem Thema erweist sich ausreichend konsistent im Vergleich zu einem von 34 Experten. [ 10 ] Andererseits lässt sich statistisch der erforderliche Stichprobenumfang s berechnen, der aus einer Befragung von n Experten erforderlich ist, um bei einer Fehlerabweichung e mit einem Konfidenzniveau z zu repräsentativen Ergebnissen zu führen: 1 / s-= 1 / n + e²/ vz² …-mit v-= p( 1 -p) als Verteilung der Anteilswerte p Geht man von einer binomialen Gleichverteilung der möglichen Anteilswerte p-= 1-p-= 50 % in den Antworten aus, so ergibt sich dafür bei einer Fehlerabweichung e- = 10 % und einem Konfidenzniveau z-= 99 %: 1 / s ≈ 1 / n + 4 % Insgesamt werden für die Studie n- = 252 Partnerfirmen um Einschätzungen gebeten, was demzufolge einen Stichprobenumfang von mehr als s- = 23 Teilnehmern erforderlich macht. Tatsächlich haben sich an der Befragung in der ersten Runde 32 Partnerfirmen beteiligt und in der zweiten Runde bei einer Panelmoralität von 8 Teilnehmern immerhin noch 24 Partnerfirmen. Berücksichtigt man außerdem, dass sich derzeit nur 64 Partnerfirmen mit Studienplätzen aktiv an dem laufenden Studienbetrieb in drei Jahrgängen beteiligen, dann ergibt sich bereits bei einer Fehlerabweichung von e‘ = 8 % unter den genannten Bedingungen ein Stichprobenumfang von s‘-≈ 23 Teilnehmern, der ebenfalls gewährleistet ist. Sowohl im Sinne einer Expertenbefragung als auch im Sinne einer Stichprobe sind die folgenden Ergebnisse der Untersuchungen als repräsentativ anzusehen (s. Abbildung 2). Welche Kompetenzen für Projektmanagement sollten in der Theoriephase unterrichtet werden? Die organisatorischen Kompetenzen stehen nach kumuliertem Ranking durch die Firmen an erster Stelle bei der Wissensvermittlung in der Theoriephase des dualen Studiums (s. Abbildung 3). Das entspricht auch deren Repräsentation in der Literatur gemäß Abbildung 1. Allerdings ist die Reihenfolge der beiden nachfolgenden Kompetenzbereiche gegenüber deren Repräsentation in der Literatur vertauscht: Bei der Befragung werden Engineering-Kompetenzen stärker gefordert als gruppenbezogene Kompetenzen. Das erscheint insofern plausibel, als es sich in der Literatur um eine allgemeine Darstellung von Kompetenzen für Projektmanagement handelt, während es bei der Umfrage speziell um den Studiengang Wirtschaftsingenieur- Abbildung 2: Repräsentativität als Expertenbefragung und als Stichprobenumfang unter Berücksichtigung der Teilnehmerzahl n und der Fehlerabweichung e . PM_aktuell_01_2020.indb 30 PM_aktuell_01_2020.indb 30 20.02.2020 10: 38: 05 20.02.2020 10: 38: 05 Wissen | Projektmanagement-Theorie 31 DOI 10.2357/ PM-2020-0006 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 31. Jahrgang · 01/ 2020 wesen geht, der in hohem Maße technisches Arbeiten beinhaltet. Persönliche Kompetenzen sind schließlich gleichermaßen in der Literatur und in dem Firmenranking an letzter Stelle. Das bedeutet selbstverständlich nicht, dass diese für Projekte und das Projektmanagement unwichtig sind, sondern nur, dass sie rein theoretisch mittels Literatur und Lehre von geringerer Bedeutung sind. Und auch das lässt sich plausibel erklären, wenn man berücksichtigt, dass gerade persönliche Kompetenzen in der Theorie auch nur schwer vermittelbar sind. Welche organisatorischen PM-Kompetenzen sollten in der Theoriephase unterrichtet werden? Bei der theoretischen Vermittlung von Projektmanagement- Kompetenzen steht die Planung insgesamt an erster Stelle. Das entspricht in etwa der konfuzianischen Weisheit, nach der der Weg selbst das Ziel ist, also bereits der zum Ziel geplante Weg mindestens genauso wichtig ist, wie das Ziel selbst. In diesem Sinne folgen auch Koordination und Strukturierung der Projektarbeiten gleich an zweiter Stelle, um die Planung in planmäßige Handlungen umzusetzen (s.-Abbildung 4). Erst an dritter und vierter Stelle folgt das charakteristische Merkmal einer Projektdefinition als zeit- und kostenbeschränkte zielgerichtete Unternehmung. [ 11 ] Auch das erscheint insofern folgerichtig, als man vordringlich ein geplantes und strukturiertes Projekt als Business Case benötigt, um dafür die Einhaltung der zeitlichen und finanziellen Ziele organisieren und prüfen zu können. Interessant ist allerdings in diesem Zusammenhang, dass die ursächliche Initiierung, die begleitende Steuerung und Kommunikation sowie das abschließende Dokumentieren und Berichten erst auf den weiteren Plätzen folgen. Hierbei spielt sicherlich eine Rolle, dass bei der Befragung absichtlich eine Rangfolge erzwungen wird, bei der der jeweils wichtigere Lehrinhalt von den weniger wichtigen unterschieden werden muss. In diesem Sinne sind die folgenden Kompetenzen bei der Projektmanagementlehre sicherlich nicht als unwichtig zu erachten, sondern nur im Vergleich zu den ersten nachgeordnet. Oder, um es anders auszudrücken: Projekte können auch ohne besondere Ausbildung von Kompetenzen zur Dokumentation, Kommunikation, Initiierung und Steuerung immer noch erfolgreich sein, jedoch ohne Planung, Struktur, Termintreue und Kostenziele wohl kaum. Das trifft schließlich in letzter Instanz auch für das Management von Projektportfolios zu, welches zwar eine wichtige Kompetenz darstellt, sobald es erforderlich ist, aber ansonsten insgesamt eher entbehrlich erscheint, wenn zunächst eine organisatorische Kompetenz in der Theorie angelegt werden soll. Abbildung 3: Ranking (links) und Scoring (rechts) der Kompetenzbereiche von Projektmanagement in der Lehre. Abbildung 4: Ranking (links) und Scoring (rechts) bei der Vermittlung von organisatorischen PM-Kompetenzen in der Lehre. PM_aktuell_01_2020.indb 31 PM_aktuell_01_2020.indb 31 20.02.2020 10: 38: 06 20.02.2020 10: 38: 06 Wissen | Projektmanagement-Theorie 32 DOI 10.2357/ PM-2020-0006 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 31. Jahrgang · 01/ 2020 Welche Engineering-Kompetenzen zum PM sollten in der Theoriephase unterrichtet werden? Wie bereits zuvor angeführt, betrifft diese Untersuchung den Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen. Demzufolge steht der Kompetenzbereich Engineering nicht nur insgesamt an zweiter Stelle, sondern die einzelnen Engineering-Kompetenzen sind vorwiegend technisch geprägt (s. Abbildung 5). Entsprechend sind die Analyse und Diagnose von Sachverhalten in Projekten von besonderer Bedeutung, gefolgt von dem projektbezogenen Fach- und Sachwissen. Sofern in Projekten technische Sachverhalte des Wirtschaftsingenieurwesens und entsprechendes theoretisches Wissen benötigt werden, dann sind diese auch innerhalb der Theoriephase zu behandeln. Erst danach folgen diejenigen Kompetenzen für ein Engineering von Projekten, die aus anderen Fachbereichen entstammen, wie das Management von Qualität, von Risiken und die Anwendung von wissenschaftlicher Systematik. Denn grundsätzlich kann man davon ausgehen, dass diese Kompetenzen auch in einem gesonderten Lernmodul des Studiums behandelt werden und daher nicht einen spezifischen Schwerpunkt des Projektmanagements bilden. Welche gruppenbezogenen PM-Kompetenzen sollten in der Theoriephase unterrichtet werden? Projekte sind gemeinschaftliche Unternehmungen und benötigen daher Kompetenzen zum Umgang mit menschlichen Gruppen bzw. Teams. Dabei stellt sich die Frage, inwieweit diese Kompetenzen bei einer Lehrveranstaltung unterrichtet werden sollen, und ob es überhaupt möglich ist, solche Kompetenzen theoretisch zu vermitteln. In der Befragung der Firmen spiegelt sich diese Fragwürdigkeit bereits dadurch wieder, dass der gesamte Kompetenzbereich den organisatorischen und Engineering-Kompetenzen nachgeordnet wird. Vorwiegend erscheint es den Befragten dabei wichtig, Informationen über gruppenbezogene Kompetenzen zu verbreiten und ein Bewusstsein für deren Bedeutung zu schaffen (s. Abbildung 6). Innerhalb der gruppenbezogenen Kompetenzen ist es demnach von eher größerer Bedeutung, Informationen und Bewusstsein für Konflikte, Kooperation, Führung und Rollenflexibilität zu vermitteln. Wie rechts in Abbildung 6 zu sehen ist, unterscheiden sich diese vier Kompetenzen in ihrem Scoring nur wenig. Dagegen ist das- - eher bereits persönliche-- Vermögen von Menschen zur Einfühlung und zur Durchsetzung in Gruppen in nur geringerem Maße theoretisch zu behandeln. Daher ist der Übergang zum nächsten Kompetenzbereich fließend: Welche persönlichen PM-Kompetenzen sollten in der Theoriephase unterrichtet werden? Grundsätzlich erscheint es fraglich, ob persönliche Kompetenzen überhaupt mit Hilfe eines theoretischen Unterrichts vermittelt werden können. Eine Behandlung persönlicher Kompetenzen erfordert eine besondere Berücksichtigung der individuellen Entwicklung insbesondere bei jungen Menschen mit noch wenig gefestigter Reife. Sie stellt diesbezüglich Abbildung 5: Ranking (links) und Scoring (rechts) bei der Vermittlung von Engineering-Kompetenzen zum Projektmanagement in der Lehre. Abbildung 6: Ranking (links) und Scoring (rechts) bei der Vermittlung von gruppenbezogenen Kompetenzen zum Projektmanagement in der Lehre. PM_aktuell_01_2020.indb 32 PM_aktuell_01_2020.indb 32 20.02.2020 10: 38: 06 20.02.2020 10: 38: 06 Wissen | Projektmanagement-Theorie 33 DOI 10.2357/ PM-2020-0006 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 31. Jahrgang · 01/ 2020 auch besondere Herausforderungen an die psychologische Qualifikation der Lehrenden dar, die allein durch die erteilte Lehrbefugnis für Projektmanagement nicht ausreichend gewährleistet wird. Zumindest lassen sich so die Einschätzungen der Firmen interpretieren, die diesem Kompetenzbereich die geringste Bedeutung für die Theoriephase zugestanden haben. Zwar gibt es durchaus auch Techniken für Kreativität und Verhandlungen, die vermittelt werden können, beispielsweise Brainstorming [ 12 ] oder das Harvard-Konzept [ 13 ]. Aber die Anwendung dieser Techniken hängt stark mit der charakterlichen Reife und dem Erfahrungshintergrund zusammen, welche bei Studierenden typischerweise noch nicht so ausgeprägt sind: Junge Menschen haben weniger Verhandlungserfahrungen, sind aber noch sehr flexibel und offen für kreative Lösungen. Insofern ergibt sich bei einer Auswahl der notwendigen Fähigkeiten für Projektmanagement auch zwangsläufig eine Beschränkung auf solche Aspekte, die für die Durchführungen von Projekten zunächst erforderlich sind. Und dabei erscheinen Verhandlungen und Kreativität zunächst eher entbehrlich. So empfiehlt auch der Nobelpreisträger Kahneman für die Vermittlung seiner Neuen Erwartungstheorie bzw. Prospect Theory zunächst die klassische Berechnung des Nutzwerts zu lehren, bevor man zu den neuerlich dazu gefundenen Ausnahmen und Besonderheiten in seiner Theorie kommt, die ein langwieriges und gereiftes Nachdenken erforderlich machen.[ 14 ] Entsprechend erscheint es auch wünschenswert und auf Dauer erforderlich, dass Projektmanager außer kreativ und verhandlungssicher, ebenfalls auch selbstsicher und authentisch sind. Aber dabei handelt es sich um Fähigkeiten, die eine langwierige individuelle und differenzierte Ausbildung erforderlich machen und die sehr von den angeborenen oder biografischen Gegebenheiten abhängen. Innerhalb dieses Kompetenzbereichs erscheint es den Befragten noch am ehesten zweckmäßig, die Fähigkeiten der Zielstrebigkeit und Ergebnisorientierung oder auch der Aufmerksamkeit beim Fragen und Zuhören zu unterrichten, zu üben und deren Bedeutung zu vermitteln (s. Abbildung 7). Dies kann typischerweise in Workshops stattfinden, wo anhand von Fallstudien und Erfolgsgeschichten in kleineren, selbstorganisierten Lerngruppen persönliche Erfahrungen erreicht und ausgeprägt werden können. Somit stellt sich anschließend die Frage nach dem sinnvollen Aufbau und Umfang, um Projektmanagement in der Lehre zu vermitteln. Welchen Umfang sollte PM in der Theoriephase des Studiums für Wirtschaftsingenieure einnehmen? Neben den klassischen Vorlesungen erfolgt die moderne Wissensvermittlung an Hochschulen auch durch betreute Arbeitsgruppen in Workshops sowie auch durch selbstorganisierte Projektarbeiten, die als Studie bis zu einem prototypischen Abschluss und dessen Präsentation durchgeführt werden können. Zusätzlich besteht noch die Möglichkeit, die Zertifizierung nach einer bestimmten Projektmanagementmethode durchzuführen, beispielsweise nach dem PMBoK des PMI [ 15 ], dem ICB der IPMA [ 16 ] oder dem PRINCE2 [ 17 ]. An den Ergebnissen der Umfrage wird deutlich, dass lediglich eine Vorlesung zur Kompetenzvermittlung kaum als ausreichende Qualifizierung eingeschätzt wird. Auf jeden Fall wird die Erarbeitung von Kompetenzen durch einen betreuten Workshop als erforderlich gesehen. Im weitaus überwiegenden Teil wird sogar eine selbstorganisierte Projektstudie gewünscht. Und fast gleichauf steht dazu die Erwartung einer ergänzenden Projektdurchführung mit Abschlusspräsentation (s. Abbildung 8). Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass nur ein relativ geringer Teil der befragten Firmen eine zusätzliche Zertifizierung der Studierenden nach einer bestimmten Projektmanagement-Methode als erforderlich erachten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die verschiedenen Firmen im dualen Studium auch unterschiedliche PM-Methoden nutzen und mitunter firmeneigene Vorgehensweisen für Projekte entwickelt haben. Außerdem ist eine Zertifizierung als kommerzielle Dienstleistung mit zusätzlichen Gebühren verbunden, so dass im Rahmen der Lehrmittelfreiheit eine Benachteiligung von einzelnen Studierenden entstehen kann. Und da sich verschiedene Zertifizierungsorganisationen im Wettbewerb befinden, verbietet es sich für eine staatliche Hochschule, durch die Auswahl eines bestimmten Zertifizierers in deren Wettbewerb einzugreifen. Bei den zu Beginn geführten Interviews wurde beispielsweise die Ansicht geäußert, dass eine Zertifizierung doch eigentlich überflüssig sein müsste, da die Methoden im Studium vermittelt, geprüft und somit durch den Leistungsnachweis der Hochschule ausreichend bestätigt werden. Abbildung 7: Ranking (links) und Scoring (rechts) bei der Vermittlung von persönlichen Kompetenzen zum Projektmanagement in der Lehre. PM_aktuell_01_2020.indb 33 PM_aktuell_01_2020.indb 33 20.02.2020 10: 38: 06 20.02.2020 10: 38: 06 Wissen | Projektmanagement-Theorie 34 DOI 10.2357/ PM-2020-0006 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 31. Jahrgang · 01/ 2020 Wie lassen sich die Erwartungen der Firmen an die Hochschule beim Projektmanagement erfüllen? Die Untersuchungsergebnisse sind repräsentativ für den Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen im dualen Studium und lassen sich sowohl inhaltlich begründen als auch logisch nachvollziehen. Damit erfüllen sie die typischen Anforderungen an eine wissenschaftlich bestätigte Aussage. [ 1 ] Die Kunst besteht dann noch darin, diese Erwartungen in ein regelkonformes Konzept für den Studienablauf einzubetten. Im europäischen System für Studienleistungen ECTS steht jeweils ein Leistungspunkt CP für eine Arbeitsbelastung der Studierenden von 30 Stunden, welche auf Präsenzzeiten und auf Selbststudium gleichermaßen verteilt werden. [ 18 ] Ein Semester ist ausgelegt auf 30 CP oder entsprechend 900 Arbeitsstunden der Studierenden. Eine Vorlesung hat typischerweise einen Umfang von 3 CP, also ein Zehntel der gesamten Semesterleistung, und beinhaltet eine schriftliche Prüfung, bei der die gelernten Kenntnisse abgefragt werden. In einer Vorlesung können dann vorwiegend die organisatorischen Kompetenzen vermittelt werden mit einer Gewichtung gemäß Abbildung 4. Eine Vorlesung mit Workshop hat dann typischerweise einen Umfang von 5 CP, also ein Sechstel der gesamten Semesterleistung. In einem Workshop geht es vorwiegend um die gruppenbezogenen Kompetenzen nach Abbildung 6, wobei, wie bereits erläutert, der Fokus auf Konfliktfähigkeit, Kooperation, Führung und Rollenflexibilität im Projekt liegt. Eine Projektstudie hat selbst nochmals einen Umfang von 5 CP, so dass in der Kombination mit Vorlesung und Workshop insgesamt ein Drittel der gesamten Studienleistung eines Semesters für die am meisten geforderte Variante anfällt. Allerdings können die Vorlesung mit Workshop und die Projektstudie in verschiedenen Semestern durchgeführt werden, so dass der jeweilige Arbeitsaufwand jeweils nur ein Sechstel der Semesterleistung beinhaltet und entsprechend andere Studienfächer stattfinden können. Außer einer Vertiefung von organisatorischen und gruppenbezogenen Kompetenzen stehen bei der Projektstudie vorwiegend die Engineering-Kompetenzen gemäß Abbildung 5 im Fokus. Dabei kann insbesondere auf die Analyse und Diagnose von Sachverhalten eingegangen werden und infolgedessen auch das notwendige Sach- und Fachwissen ergänzt werden. Eine anschließende Umsetzung mit Projektabschluss und dessen Präsentation hat typischerweise ebenfalls einen Umfang von 5 CP. Hier empfiehlt es sich, diese Leistung als Wahlfach einzurichten, so dass Studierende sich auch auf einen anderen Studienschwerpunkt fokussieren können. Im Rahmen dieser Wahlfreiheit können auch die übrigen Kompetenzen zur Organisation und zum Engineering vertieft werden, welche im Scoring eine geringere Priorität erhalten haben, wie Kommunikation, Dokumentation und Portfolio-Management oder Risiko- und Qualitäts-Management. Und es lassen sich die weiteren gruppen- und persönlichkeitsbezogenen Kompetenzen behandeln, wie Durchsetzungs- und Einfühlungsvermögen oder Zielstrebigkeit, Ergebnisorientierung und Aufmerksamkeit bei der Projektdurchführung. Bei der Gestaltung des Projektauftrags geht es zudem um Verhandlungsgeschick und Kreativität. Und bei der abschließenden Projektpräsentation werden schließlich Selbstsicherheit und Authentizität vermittelt. Auf diese Weise wird der weitaus größte Teil des Votums der Firmen in dem Studium abgebildet. Ohne weitere CP kann zusätzlich eine Zertifizierungsmöglichkeit eingerichtet werden, die an einem Samstag durchgeführt wird und sowohl finanziell als auch rechtlich unabhängig vom Studium durch eine anerkannte Trainingsorganisation ATO (approved training organization) erfolgt. [ 19 ] Auf diese Weise können auch die erweiterten Erwartungen der Firmen an die Lehre beim Projektmanagement erfüllt werden. Abbildung 8: Ranking der verschiedenen Möglichkeiten, den Unterricht zum Projektmanagement in der Theoriephase zu gestalten. (Ein Scoring dieser Frage nach gradueller Unterscheidung zwischen Theorie- und Praxisphase erübrigt sich hierbei, da es ohnehin nur um den Umfang an Theorie geht.) ibo Beratung und Training GmbH • Im Westpark 8 • 35435 Wettenberg • T: +49 641 98210-300 • www.ibo.de Wir organisieren Souveränität. Neue Herausforderungen selbstbewusst lösen. Schaffen Sie die Projektorganisation der Zukunft. Wir unterstützen Sie dabei mit Weiterbildung offen und inhouse, Impulsen, Beratung, Coaching und pragmatischen Software-Lösungen. ibo: Wir organisieren Zukunft. PM_aktuell_01_2020.indb 34 PM_aktuell_01_2020.indb 34 20.02.2020 10: 38: 07 20.02.2020 10: 38: 07