eJournals PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL 31/1

PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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2941-0878
2941-0886
UVK Verlag Tübingen
10.2357/PM-2020-0007
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2020
311 GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.

Vom Projekt Studium zum Projektstudium

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2020
Christoph Richter
Hauptziele eines Hochschulstudiums sind die Persönlichkeitsentwicklung, die wissenschaftliche Qualifizierung sowie die Vorbereitung auf berufliche Tätigkeiten mit wissenschaftlichem Bezug. Im Selbstverständnis von zahlreichen Hochschulvertretern sollte der Schwerpunkt von Hochschulen in der Qualifizierung von Nachwuchswissenschaftlern liegen. Dementsprechend fokussieren sie sich auf Forschungsarbeiten. Diese Schwerpunktbildung kollidiert mit der zunehmenden Anzahl von Studienanfängern und Hochschulabsolventen bei in etwa gleichbleibender Anzahl von Positionen im Bereich der Wissenschaft. Die Qualifizierung für den nicht-wissenschaftlichen Arbeitsmarkt gelingt sowohl aus Sicht der Hochschulabsolventen als auch aus Sicht von Arbeitgebern häufig nur unzureichend. Hochschulabsolventen bemängeln, dass die im Studium vermittelten Inhalte zu wenig auf den beruflichen Alltag Bezug nehmen. Die Unternehmensvertreter kritisieren oftmals, dass Hochschulabsolventen nicht unmittelbar nach Studienabschluss in adäquaten Tätigkeitsfeldern eingesetzt werden können, sondern einer teilweise umfassenden Einarbeitungsphase bedürfen. Als Ansatz zur Abschwächung der Dilemmata zwischen den Zielen Persönlichkeitsentwicklung, wissenschaftliche Befähigung und Vorbereitung auf eine nicht-akademische Berufstätigkeit wird hier die Einführung und Umsetzung von Projektstudiengängen vorgeschlagen.
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36 DOI 10.2357/ PM-2020-0007 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 31. Jahrgang · 01/ 2020 Vom Projekt Studium zum Projektstudium Christoph Richter Für eilige Leser | Hauptziele eines Hochschulstudiums sind die Persönlichkeitsentwicklung, die wissenschaftliche Qualifizierung sowie die Vorbereitung auf berufliche Tätigkeiten mit wissenschaftlichem Bezug. Im Selbstverständnis von zahlreichen Hochschulvertretern sollte der Schwerpunkt von Hochschulen in der Qualifizierung von Nachwuchswissenschaftlern liegen. Dementsprechend fokussieren sie sich auf Forschungsarbeiten. Diese Schwerpunktbildung kollidiert mit der zunehmenden Anzahl von Studienanfängern und Hochschulabsolventen bei in etwa gleichbleibender Anzahl von Positionen im Bereich der Wissenschaft. Die Qualifizierung für den nicht-wissenschaftlichen Arbeitsmarkt gelingt sowohl aus Sicht der Hochschulabsolventen als auch aus Sicht von Arbeitgebern häufig nur unzureichend. Hochschulabsolventen bemängeln, dass die im Studium vermittelten Inhalte zu wenig auf den beruflichen Alltag Bezug nehmen. Die Unternehmensvertreter kritisieren oftmals, dass Hochschulabsolventen nicht unmittelbar nach Studienabschluss in adäquaten Tätigkeitsfeldern eingesetzt werden können, sondern einer teilweise umfassenden Einarbeitungsphase bedürfen. Als Ansatz zur Abschwächung der Dilemmata zwischen den Zielen Persönlichkeitsentwicklung, wissenschaftliche Befähigung und Vorbereitung auf eine nicht-akademische Berufstätigkeit wird hier die Einführung und Umsetzung von Projektstudiengängen vorgeschlagen. Schlagwörter | Employability, Ermöglichungsdidaktik, Learning on demand, Projektstudium, Vermittlungsdidaktik 1 Vorbemerkung Die Zahl der Hochschulzugangsberechtigten, der Studienanfänger und der Hochschulabsolventen steigt zunehmend und progressiv an. Gleichzeitig bemängeln Unternehmensvertreter die fehlenden Kompetenzen von Hochschulabsolventen. In diesem Zusammenhang mündet dann die Einschätzung über Hochschulabsolventen plakativ in folgender Aussage: „Die wissen viel und können wenig“. Wie können Hochschulen in dieser Situation zunehmender Studierender sowie wechselnder und steigender Anforderungen von Unternehmen das Ziel einer wissenschaftlichen Bildung verwirklichen? Hier wird vorgeschlagen, die Idee von Projektstudiengängen konsequent zu verfolgen, da Projekte eine Klammer zwischen wissenschaftlichen und unternehmensseitigen Methoden und Zielen darstellen. Beispielsweise startet hypothesengeleitete Wissenschaft grundsätzlich mit dem Aufstellen einer These, die es im Rahmen eines Forschungsprozesses zu falsifizieren gilt. Die Ergebnisse des Überprüfungsprozesses werden dokumentiert und der „scientific community“ zur Kenntnis gebracht. Analog zu einem herkömmlichen Projekt ist ein Forschungsprojekt durch einen Anfangs- und einen Endzeitpunkt gekennzeichnet. Unternehmen gehen auf Grund der zunehmenden Spezialisierung und der dynamischen Markterfordernisse immer häufiger dazu über, Aufgaben in Projektform erledigen zu lassen, so dass Unternehmen nach Mitarbeitern/ -innen mit Projektmanagementqualifikationen und -expertise suchen. 2 Istzustand des Studiums: Zahlreiche Ansätze zur Verknüpfung von Theorie- und Praxisphasen Die Analyse von privaten Hochschulen mit wirtschaftswissenschaftlichen Studiengangschwerpunkten ergibt [1], dass Hochschulen zahlreiche Aktivitäten im Hinblick auf die Vorbereitung zur Berufsausübung anbieten und realisieren. Dazu zählen z. B. Unternehmenspraktika, Exkursionen zu Unternehmen, Projektarbeiten mit Unternehmensbezügen, Gründungsinitiativen, Berufsmessen, Vorträge von Unternehmensvertretern sowie der Wechsel aus theoretischen und praktischen Studiengangphasen. Auch über Unternehmensplanspiele soll den Studierenden ein Einblick in die Unternehmenspraxis ermöglicht werden. Die Untersuchung, was Hochschulen unter „Employability“ von Absolventen (Beschäftigungsfähigkeit) verstehen, zeigt auch, dass vermehrt das Format der Vorlesungen durch seminaristische Lehrformate ersetzt wird. Diese Beobach- Wissen Vom Projekt Studium zum Projektstudium DOI 10.2357/ PM-2020-0007 31. Jahrgang · 01/ 2020 PM_aktuell_01_2020.indb 36 PM_aktuell_01_2020.indb 36 20.02.2020 10: 38: 08 20.02.2020 10: 38: 08 Wissen | Vom Projekt Studium zum Projektstudium 37 DOI 10.2357/ PM-2020-0007 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 31. Jahrgang · 01/ 2020 tung steht im Einklang mit den Erkenntnissen der modernen Lerntheorien, wonach Lernen einen aktiven Prozess darstellt, dessen Erfolg in erster Linie an die Beteiligung des Lernenden geknüpft ist. Lehrstoff lässt sich demnach nicht vermitteln, sondern bedarf der aktiven Erarbeitung durch die Lernenden. Lehre wird demnach als Angebot verstanden. Konzeptionell findet sich dieser Gedanke in der Ermöglichungsdidaktik wieder. Ein erweiterter Berufsbezug eines wissenschaftlichen Hochschulstudiums könnte jedoch die Wissenschaftlichkeit der Hochschulqualifizierung gefährden und das Studium zu einer Art von dualer Ausbildung abwandeln lassen. Daher ist ein alternativer Weg zu finden, beide Ziele- - Berufsvorbereitung und Wissenschaftsorientierung- - miteinander zu verknüpfen. 3 Herausforderung: Hochschulabsolventen können sowohl wissenschaftsbezogen als auch unternehmensbezogen arbeiten Eine zentrale Herausforderung eines Hochschulstudiums besteht darin, Studierenden wissenschaftliches Denken und Handeln zu ermöglichen, ohne dass sie notwendigerweise im Anschluss an ihren Studienabschluss eine wissenschaftliche Karriere ergreifen, sondern in der Lage sind, akademische Tätigkeiten in einem nicht-akademischen Umfeld auszuüben. Es geht um die Entwicklung einer Forscherhaltung, deren Kennzeichen insbesondere Kritikfähigkeit, Neugierde, Ausdauer bei der Recherche und Erarbeitung von Sachverhalten sowie Mut zu Innovationen sind. Insbesondere im Rahmen von Bachelorstudiengängen sind die Aufgaben von Hochschulen zwischen denen von Berufsschulen und Wissenschaftsakademien angesiedelt. 4 Projektstudium Mit dem Modell eines Projektstudiums könnte unter bestimmten Voraussetzungen beiden Zielen, Wissenschaftsausrichtung und Berufsvorbereitung, Rechnung getragen werden. Darüber hinaus würden die Lernenden stärker aktiv in den Lernprozess involviert, so dass die Chance auf Lernerfolge vergrößert wird. Mit einem Projektstudium wird das Ziel verfolgt, Gegenstände der Hochschullehre in gesellschaftliche Erstellungs- und Verwertungszusammenhänge zu stellen. Der Realitätszugang erfolgt über sinnliche Erfahrungen, indem Teile des sozialen Feldes erschlossen werden. Dieses Vorgehen wählt auch der Forscher, wenn er Theorien empirisch, also erfahrungsseitig überprüft. Im Rahmen eines Projektstudiums werden Lernsituationen aus beruflichen und außerberuflichen Realitätsbereichen in die Hochschullehre integriert. Ziel ist die Einübung problemorientierten Vorgehens. Der gesamte Ablauf orientiert sich am Prozess des forschenden Lernens. Interdisziplinäre und methodenpluralistische Aspekte werden miteinander verknüpft. [2] 4.1 Zur Geschichte und den theoretischen Hintergründen eines Projektstudiums Das Projektkonzept geht auf die Reformpädagogik zurück. Es lassen sich dabei drei Meilensteine ausmachen. Laut der Werkpädagogik um 1900 ist für Projektunterricht die selbsttätige Erstellung eines Werkstücks kennzeichnend. Die Ansätze von Kilpatrick und Dewey sind dem angelsächsischen Pragmatismus zuzuordnen. Kilpatrick definiert Projektunterricht als „planvolles Handeln aus ganzem Herzen, das in einer sozialen Umgebung stattfindet.“ Für Dewey geht es beim Projektunterricht vorrangig um die Erziehung zur Demokratie. Im Vordergrund steht dabei das politische Lernen durch die Lösung praktischer Probleme in ihrem sozialen Zusammenhang. Die Methodik des Unterrichts stellt einen dritten Meilenstein dar. Im Mittelpunkt des Unterrichts steht eine bedeutsame praktische Tätigkeit, die von Schülern / Schülerinnen in natürlicher Weise geplant und ausgeführt wird. Dabei werden physische Ressourcen verwendet. Es sollen die Erfahrungen der Schüler / Schülerinnen bereichert werden. Zentral an dem Projektunterricht ist dessen Aufgabencharakter: Es gilt konkrete Aufgaben zu bewältigen und Probleme zu lösen. Im Zusammenhang mit Hochschulen und Projektarbeit wird zunächst kein Rückbezug auf pädagogische Traditionen genommen. Vielmehr war Projektunterricht Gegenstand der Studienreformdiskussion. Eine „kritische Universität“ ist nach diesem Verständnis charakterisiert durch die Verbindung von wissenschaftlicher Tätigkeit und sozialem sowie politischem Engagement. Der Ursprung liegt in der Ablehnung der traditionellen Hochschulausbildung. Projekte werden zur Didaktik der Gegenuniversität. In der Folge wurden mit Projekten die Ausbildungsfunktion, die Wissenschaftskritik sowie die politische Praxis miteinander gekoppelt. Die Notwendigkeit von Projektunterricht basiert auf drei zentralen Kritikansätzen: Erstens wird kritisiert, dass die Ausbildungsinhalte vielfach nicht in gesellschaftliche Gesamtzusammenhänge eingeordnet werden. Des Weiteren wird an der Art der Stoffvermittlung bemängelt, dass diese vorrangig auf „reines Auswendiglernen“ („Rezeption“) ausgerichtet ist. Ein weiterer Kritikpunkt richtet sich gegen die hierarchisch angeordneten Lehr- und Lernprozesse. Wissenschaftliches Lehren und wissenschaftliches Lernen sollten vielmehr gleichberechtigt sein. [3] 4.2 Lernen durch Projektarbeit Folgt man der IPMA-Kompetenzrichtlinie (ICB; aktuell: ICB 4) und der pm baseline, die u. a. die Grundlagen für die Projektmanagement-Zertifizierungen durch pma bilden, ist für die Projektarbeit der Umgang mit Komplexität, Zeitdruck und sozialen Situationen typisch. Erfolgreiches Projektmanagement setzt das Vorhandensein verschiedener Kompetenzen insbesondere aus den Kompetenzfeldern der sozialen Kompetenzen, der Methodenkompetenzen sowie der Selbstkompetenzen voraus. Auf der anderen Seite lassen sich durch Projektarbeit diese Kompetenzen erlernen [4]. Beispiele für soziale Kompetenzen im Zusammenhang mit Projekten sind: • Aufgrund der Interdisziplinarität von Projektgruppen sind regelmäßig Abstimmungsprozesse erforderlich. • Der Umgang mit Krisensituationen z. B. im Fall drohender Fristüberschreitungen ist typisch für Projektsituationen. • Auch Konflikte mit der internen und externen Projektumwelt lassen sich in der Regel nicht vermeiden, so dass die Beherrschung von Konfliktmanagement eine zentrale Kompetenz für die Projektarbeit darstellt. • Projekte leben von der Teamarbeit innerhalb des Projektteams. • Ein Großteil der Tätigkeiten in Projekten ist mit Kommunikation verbunden. PM_aktuell_01_2020.indb 37 PM_aktuell_01_2020.indb 37 20.02.2020 10: 38: 09 20.02.2020 10: 38: 09 Wissen | Vom Projekt Studium zum Projektstudium 38 DOI 10.2357/ PM-2020-0007 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 31. Jahrgang · 01/ 2020 • Die Fähigkeiten zur Gesprächsführung und zu Verhandlungen sind für die Gestaltung von Projektsituationen erforderlich. • Projektstrukturen trennen zwischen dispositiven und ausführenden Tätigkeiten, so dass Führungsverhalten ein relevantes Thema darstellt. • Verbindlichkeit in Bezug auf Absprachen und Termine sollte die Regel der Projektarbeit sein. Zu den Methodenkompetenzen, die für Projektarbeit bedeutsam sind, zählen u. a. das Erstellen von Business Cases, die Dokumentation von Projektfortschritten, die Strukturierung von Sachverhalten z. B. mit Projektstrukturplänen, die Szenariotechnik im Zusammenhang mit der Bestimmung von Projektrisiken sowie Techniken der Moderation und Präsentation. Eine wichtige Selbstkompetenz im Zusammenhang mit Projektmanagement ist die Fähigkeit zur Reflexion und Evaluation der eigenen Tätigkeiten. Zu den übergreifenden Fähigkeiten im Bereich des Projektmanagements zählen: • Kontextualisierung und Abgrenzung von Projektaufgaben und -tätigkeiten • Ziel- und ergebnisorientiertes Arbeiten Häufig sind verschiedene Unternehmensfunktionen wie Beschaffung, IT, Controlling, Marketing und HR in die Projektarbeit involviert, so dass funktionsübergreifendes Know-how aufgebaut und entsprechende Fähigkeiten entwickelt werden können. 4.3 Projektstudium ermöglicht den studienintegrierten Wechsel zwischen Theorie und Praxis Projekte sind dadurch gekennzeichnet, dass sie zur Erledigung von komplexen Aufgaben eingesetzt werden, zeitlich befristet sind und Personen aus unterschiedlichen Fachdisziplinen bzw. Unternehmensabteilungen beteiligt werden. Die Projektmitarbeiter haben definierte Rollen zu erfüllen und sind damit in den Prozess der Projekterstellung verantwortlich eingebunden. In Unternehmen werden Projekte eingeführt, um Aufgaben schneller zu erledigen und der zunehmenden Spezialisierung aufgrund von arbeitsteiligen Prozessen entgegenzuwirken. Das Studiengangmodell eines Projektstudiums sieht vor, dass Studierende von Beginn ihres Studiums an in Unternehmensprojekte integriert sind und diese zum Teil eigenständig zu verantworten haben. Es wird darauf geachtet, dass die Anzahl der beteiligten Projektmitarbeiter überschaubar bei ca. sechs Personen liegt, so dass sinnvollerweise jeder aktiv an der Projekterledigung beteiligt wird und Möglichkeiten zum Feedback sichergestellt werden. Die Projekte müssen einen wissenschaftlichen Bezug haben, so dass eine Verknüpfung mit den Studieninhalten und der wissenschaftlichen Qualifikation ermöglicht wird. Eine weitere Anforderung ist die, dass die Studierenden die Inhalte der Projekte an das jeweilige Studienfach anpassen. D.h., ein angehender Betriebswirt wird nicht mit der Planung eines Gebäudes befasst, könnte aber in ein derartiges Projekt eingebunden werden, falls in dem Projekt betriebswirtschaftliche Expertise wie beispielsweise das Erstellen einer Wirtschaftlichkeitsrechnung erwartet wird. Weitere Kennzeichen der studentischen Projekte sind: • Lehrende verantworten die Beschaffung von geeigneten Projektaufträgen • Rückkoppelungsschleifen zwischen Projektarbeit und Theoriephasen • Projektauftraggeber im Unternehmen • Genügend große Komplexität der Aufgabenstellung • Abstufungen von Projektformaten, d. h. beispielsweise unterscheiden sich Projekte für Erstsemester von denen für Studierende des sechsten Semesters Zur effizienten Gestaltung des Verteilungsprozesses von angebotenen und nachgefragten Projektplätzen sollten an Hochschulen Projektbörsen analog zu Praktikumsbörsen institutionalisiert werden. Angebot und Nachfrage ließen sich dadurch besser zusammenführen. Der Nutzen digitaler Medien käme insofern zum Tragen, als ein wesentliches Charakteristikum von digitalen Medien die Möglichkeit zur Entgrenzung darstellt. D.h., raum- und zeitunabhängig lassen sich Lerninhalte abrufen, Statusberichte verfassen und Absprachen mit den Projektmitgliedern treffen. Nachfolgend werden getrennt nach den drei Perspektiven von Studierenden, von Unternehmen und von Hochschulen die Vorteile von Projektstudiengängen aufgezählt. Vorteile von Projektstudiengängen aus Sicht von Studierenden sind: • Frühzeitige Vernetzung mit Unternehmen als potentielle zukünftige Arbeitgeber • Einblick in politische Prozesse von Unternehmen: Lernen, was man nicht über Lehrbücher lernt • Lernen von Formen des kollaborativen Arbeitens • Blick über den eigenen Kompetenzhorizont hinaus • Größere Lernwirksamkeit aufgrund der geforderten Aktivitäten • Entdecken und Weiterentwickeln von Fähigkeiten Vorteile von Projektstudiengängen aus Sicht von Unternehmen sind: • Frühzeitiges Kennenlernen von Studierenden, die für das Unternehmen geeignet sein könnten (Personalauswahl, Talent Management, Recruiting) • Plattform für Unternehmensvertreter, die Vorteile des jeweiligen Unternehmens zu bewerben (Employer Branding) • Kontakte zu Lehrenden und Hochschulen: Vernetzung; gemeinsames Verfassen von Artikeln; Mitgestaltung von Curricula; zeitnaher Einblick in neue Forschungsergebnisse • Abschlussarbeiten gewinnen an praktischem Wert, wenn frühzeitig im Verlauf des Studiums reale Unternehmenssituationen zu bearbeiten sind Für Lehrende und Hochschulen kann das Angebot eines Projektstudiums aus den folgenden Gründen vorteilhaft sein: • Innovativer Ansatz, mit dem sich die jeweilige Hochschule von anderen Hochschulen abgrenzen kann • Einblick in aktuelle Unternehmensthemen • Möglichkeiten der Mitgestaltung des Beschäftigungssystems durch Anwendungsforschungen Übergeordnet sollten beispielsweise Studierende im Rahmen eines Projektstudiums auf Bachelorniveau mit betriebswirtschaftlichen Schwerpunkten neben der Beherrschung betriebswirtschaftlicher Grundkenntnisse eine Forscherhaltung entwickeln, wirtschaftswissenschaftliche Grundkenntnisse in gesellschaftliche Kontexte einordnen können sowie interdisziplinäres Denken ausprägen, um nicht zuletzt auch ihre Beschäftigungsfähigkeit zu verbessern. PM_aktuell_01_2020.indb 38 PM_aktuell_01_2020.indb 38 20.02.2020 10: 38: 09 20.02.2020 10: 38: 09 Wissen | Vom Projekt Studium zum Projektstudium 39 DOI 10.2357/ PM-2020-0007 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 31. Jahrgang · 01/ 2020 Auf diesen Lehr-/ Lernzielen aufbauend sind folgende Inhalte für das Curriculum eines Projektstudiums mit betriebswirtschaftlichem Schwerpunkt denkbar: • Wissenschaft als Basis des Studiengangs mit folgenden Modulen: - Wissenschaftsgeschichte - Wissenschaftstheorie - Empirische Sozialforschung - Qualitative Inhaltsanalyse - Wahrscheinlichkeitsrechnung und Statistik mit dem Ziel, die Auswertung von Daten zu erlernen - Mindestens zwei schriftliche Seminararbeiten - Bachelorarbeit • Grundlagenfächer (Beispiele) (Kriterien: betriebswirtschaftliche Techniken stehen im Vordergrund; die Beherrschung der Fächer bedarf der Anleitung) - Wirtschaftsgeschichte bezogen auf BWL und VWL - Wirtschaftstheorie (u. a. Untersuchungsobjekte) - Finanzierung und Investition - Externes und internes Rechnungswesen - Bilanzierung • Einführungen in das Beschäftigungssystem - Abgrenzung unterschiedlicher Beschäftigungsformen - Besonderheiten von Crowd-Working - Bedeutung von New Work - Methoden des agilen Arbeitens - Projektmanagement u. a. in Abgrenzung zu Linienmanagement • Projektvorschläge (Beispiele) (Kriterien: Interdisziplinarität, Niveauabstufungen bezogen auf das jeweilige Studiensemester) - Strategie (z. B. Benchmarking) - Gründung (u. a. Finanzierungsmodelle) - Recht (u. a. Vertragsgestaltung) - Business Case (z. B. Abwicklung von Produkten) - Marktforschung (z. B. Kundenbefragung) Ein zum Projektstudium vergleichbarer Ansatz ist das Problem-Based Learning, ein Lernansatz, der zu den Säulen der Maastricht University zählt, in deren Mission die Verknüpfung aus akademischer und beruflicher Qualifizierung sowie aus Persönlichkeitsentwicklung betont wird: „The main mission of education at Maastricht University (UM) was, is and will be the integrated academic and professional development of the student. Teaching and learning therefore focus on both the academic and personal development of the student.” [5] Als Beispiel für Projektstudiengänge kann auch die technisch ausgerichtete University of Twente in Enschede gelten, die auf ihrer Homepage hervorhebt, dass Studierende regelmäßig zehn Wochen an einem Thema arbeiten, indem entsprechendes Wissen erlangt und in Projekten umgesetzt wird. [6] 4.4 Mögliche Fallstricke und Schwierigkeiten eines Projektstudiums Problematisch an einem Projektstudium könnte sich erweisen, dass Formate gegenüber Inhalten dominieren. Es besteht die Gefahr, dass das WIE wichtiger als das WAS wird, indem sich Studierende zwar mit Methoden auskennen, aber die entsprechenden Inhalte nicht beherrschen. Eng damit zusammen hängt die Gefahr, dass Lernen ausschließlich bei Bedarf („Learning on demand“) erfolgt und dabei auf der Metaebene die Bedeutung des „Lernen zu lernen“ verkannt wird. Jemand wird danach zwar für die Bewältigung der jeweiligen Projektarbeit qualifiziert, ohne sich die Fähigkeit anzueignen, Transferleistungen zu erbringen. Die Bildungssozialisation der aktuell Lehrenden ist geprägt durch die klassischen Lehr-/ Lernformate, so dass eine Transformation eines Studiengangs zu einem Projektstudium Verlernen und Neulernen für die Lehrenden bedeutet. Die Lehrenden werden zu Coaches, die den Studierenden beratend zur Seite stehen und weniger die Rolle als Vermittler von Stoffinhalten einnehmen. Von Studierenden wird erwartet, dass sie sich verstärkt Inhalte über das Selbststudium aneignen, da Vorlesungssequenzen in Phasen der Projektarbeit transformiert werden. Unternehmen müssten bereit und in der Lage sein, Projekte an Studierende zu vergeben, die einen realen Bezug haben und deren Erledigung erfolgskritisch ist. Anderenfalls handelt es sich nur um Simulationen oder unterwertige Aufgaben wie das Kopieren von Dokumenten. Die Bereitschaft zur Vergabe von echten Unternehmensprojekten geht einher mit einer Fehlertoleranz, da davon auszugehen ist, dass die Studierenden in die Aufgabenerledigung sukzessive hineinwachsen. Ein weiteres Problem könnte sich daraus ergeben, dass die Abhängigkeit von Hochschulen gegenüber Unternehmen wächst und damit die Wissenschaftsfreiheit eingeschränkt wird. Diesem Risiko sollten Hochschulen durch entsprechende Abgrenzungen gegenüber Unternehmen begegnen, ohne dabei die Kooperationen aufs Spiel zu setzen. J. Wildt unterteilt die möglichen Schwierigkeiten eines Projektstudiums in einerseits materielle bzw. organisatorische und andererseits inhaltliche Herausforderungen. [7] Zu den materiellen und organisatorischen Herausforderungen zählen u. a.: • Keine ausreichenden Betreuungskapazitäten durch die Lehrenden • Nicht vorhandene Räumlichkeiten für Kleingruppenarbeiten • Steigender inhaltlicher Abstimmungsbedarf zwischen verschiedenen Veranstaltungen • Nachweis individueller Leistungen in Bereichen, in denen es primär auf die Kooperation und das Teamergebnis ankommt • Eine zu kurze Zeitphase zur finalen Realisierung eines Projektes aufgrund der Semesterstruktur Die inhaltlichen Probleme umfassen zum einen die Fragestellung, inwieweit es gelingt, wissenschaftliches Wissen so zu formulieren, dass es zur Bearbeitung praktischer Probleme geeignet ist. Des Weiteren wird als problematisch die Ungeübtheit von Studierenden sowie der Hochschullehrer in Bezug auf Projektarbeit gesehen. Praktische Probleme müssen psychisch verarbeitet werden und praktische Erfahrungen in eine sprachliche Form gebracht werden. 5 Fazit Im Interesse einer verbesserten Zielharmonisierung und Zielerfüllung sollten Studiengänge stärker projektorientiert ausgerichtet werden. Unternehmensvertreter könnten frühzeitig ihre Erwartungen an Hochschulabsolventen in den Studienverlauf einbringen. Hochschulen könnten verstärkt Einfluss auf die Arbeitswelt ausüben. Studierende hätten die Möglichkeit, Theorie- und Praxiswissen jeweils in dem anderen Segment zu erproben und zu validieren. Es ergäbe sich eine PM_aktuell_01_2020.indb 39 PM_aktuell_01_2020.indb 39 20.02.2020 10: 38: 09 20.02.2020 10: 38: 09