eJournals PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL 31/1

PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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2941-0878
2941-0886
UVK Verlag Tübingen
10.2357/PM-2020-0009
11
2020
311 GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.

„Faker“ im Projektmanagement – ein Phänomen unserer Zeit?

11
2020
Kathrin Reinicke
Doris Weßels
Die facettenreiche Rolle und das Verhalten der „Faker“ in der Projektkommunikation in der VUCA-Welt gelten als wenig erforscht. Dieser Beitrag untersucht die Rolle und das Verhalten der „Faker“ unter diesen drei Fragestellungen: • Nehmen „Faker“ in der Rolle eines Projektleiters bzw. einer Projektleiterin im digitalen Zeitalter und mit wachsender Komplexität und Kritikalität der Projekte zu? • Wieviel „Fakertum“ brauchen komplexe Projekte im digitalen Zeitalter, um erfolgreich sein zu können? • Wenn „Fakertum“ zunimmt, müssen wir uns im Projektmanagement mit dieser „neuen“ Rolle oder dem spezifischen Verhalten auch stärker wissenschaftlich auseinandersetzen (Wirtschaftsethik, Verhaltenspsychologie, Human Resource Management usw.)?
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48 DOI 10.2357/ PM-2020-0009 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 31. Jahrgang · 01/ 2020 „Faker“ im Projektmanagement-- ein Phänomen unserer Zeit? Kathrin Reinicke, Doris Weßels Für eilige Leser | Die facettenreiche Rolle und das Verhalten der „Faker“ in der Projektkommunikation in der VUCA-Welt gelten als wenig erforscht. Dieser Beitrag untersucht die Rolle und das Verhalten der „Faker“ unter diesen drei Fragestellungen: • Nehmen „Faker“ in der Rolle eines Projektleiters bzw. einer Projektleiterin im digitalen Zeitalter und mit wachsender Komplexität und Kritikalität der Projekte zu? • Wieviel „Fakertum“ brauchen komplexe Projekte im digitalen Zeitalter, um erfolgreich sein zu können? • Wenn „Fakertum“ zunimmt, müssen wir uns im Projektmanagement mit dieser „neuen“ Rolle oder dem spezifischen Verhalten auch stärker wissenschaftlich auseinandersetzen (Wirtschaftsethik, Verhaltenspsychologie, Human Resource Management usw.)? Schlagwörter | Fake, Faker, Fake News, Scheitern, Projektscheitern, Krise, Projektkrise, Projektkommunikation, Stakeholder-Kommunikation Wer kennt sie nicht? Die Blender, Hochstapler, Zweckoptimisten, die bis zuletzt die Fassade der heilen Welt hochhalten. Und irgendwann bröckelt die Fassade der Potemkinschen Dörfer, die Zweifel mehren sich und dann ist der „Faker“ plötzlich von der Bildfläche verschwunden, getreu dem Motto: „Ich bin dann mal weg“. Haben diese Akteure in ihrer Rolle als Projektverantwortliche und der damit verbundenen Medienarbeit und Stakeholder-Kommunikation bewusst als (negativ zu bewertender) „Faker“ agiert, sahen sie sich einer ausweglosen Zwangssituation ausgeliefert oder wollten sie ihrem Projektteam den Rücken freihalten und „Hoffnung“ auf eine vermeintlich positive Projektentwicklung verbreiten, die sie als Individuum zu ihrem Handeln führte? 1 Von Fake News bis hin zum Deep Fake Fake News betreffen uns alle. Das Meinungsforschungsinstitut Kantar hat im Auftrag der Bertelsmann Stiftung eine Umfrage zum Erkennen von Fake News durchgeführt. Demnach ist der Wahrheitsgehalt von 61 Prozent der Befragten aus Deutschland nur „eher schwer“ bis „sehr schwer“ zu bewerten [1]. Die TV-Moderatorin Anja Reschke hat in ihrer Keynote „Die Verantwortung des Journalismus in Zeiten des Populismus“- auf dem Nürnberger PM Forum am 22. Oktober diese Problematik und die vielfältigen Implikationen der „Fake News“ zum Projektmanagement eindrucksvoll aufgezeigt. Es stellt sich die Frage, ob die negativen Entwicklungen der Kommunikation in den Medien auch die Kommunikation im Business demoralisieren. Wird die Kommunikation in der Projektarbeit zunehmend korrumpiert durch den Moral- und Werteverlust in der gesellschaftlichen Kommunikation, wie wir sie eindrucksvoll täglich auf den gängigen Social Media-Plattformen wie z. B. Twitter und Facebook erleben? Bei der Frage der Medienkompetenz droht nach Meinung von Anja Reschke zusätzlich noch eine Generationenproblematik, derzufolge die ältere Generation tendenziell weniger medienkompetent sei als die jüngere Generation. Während ihrer Beobachtung nach die jüngere Generation-- im digitalen Zeitalter aufgewachsen als „Digital Natives“-- ohnehin nicht glaubt, was sie liest, sind Vertreter der älteren Generation mit Qualitätsjournalismus groß geworden und tendenziell „gläubiger“ beim Lesen von Informationen. Mit Bezug zum Projektmanagement bedeutet diese Beobachtung, dass gerade ältere Business-Akteure besonders leichte „Opfer“ von Fake News sein könnten. Diese Aussage polarisiert sicherlich, denn der Erfahrungsschatz älterer Menschen und ihre Menschenkenntnis dürften sehr häufig als erfolgreiche Schutzmechanismen wirken. Wissen „Faker“ im Projektmanagement - ein Phänomen unserer Zeit? DOI 10.2357/ PM-2020-0009 31. Jahrgang · 01/ 2020 PM_aktuell_01_2020.indb 48 PM_aktuell_01_2020.indb 48 20.02.2020 10: 38: 18 20.02.2020 10: 38: 18 Wissen | „Faker“ im Projektmanagement-- ein Phänomen unserer Zeit? 49 DOI 10.2357/ PM-2020-0009 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 31. Jahrgang · 01/ 2020 Mit dem Blick in die Zukunft und den technologischen Möglichkeiten des Produzierens von „Fake News“ drohen durch den Einsatz von „Künstlicher Intelligenz“ erschreckende Entwicklungen. Die sehr anspruchsvolle Herausforderung, manipulierte Bilder zu erkennen, hat Anja Reschke in ihrer Keynote in Nürnberg an einigen Bespielen eindrucksvoll dargestellt. Nun kommt aber bereits die nächste große Herausforderung auf uns zu: Die Manipulation von Sprache ergänzt im multimedialen Zeitalter das manipulierte Bild. Mit öffentlich zugänglichen Werkzeugen werden durch die Kombination von Bildern und Stimme audiovisuelle „Deep Fakes“ generiert. Das sogenannte „Real Time Voice Cloning“ [2] entwickelt sich mit großer Geschwindigkeit und wird damit zu einer Bedrohung unserer Kommunikationsvorgänge, siehe auch das frei verfügbare Tool unter https: / / github.com / CorentinJ / Real-Time-Voice-Cloning (Aufruf: 20. 10. 2019). Wohin diese Entwicklung in unserer Gesellschaft führen wird, können wir derzeit noch nicht abschätzen. Es wird ein „Hase-Igel“-Spiel werden, das zwischen der Produktion gefakter Bilder über Stimmen bis hin zur Kombination audiovisueller Videosequenzen und der Entdeckung hin und her pendeln wird. 2 Der Begriff „Faker“ Die Begriffsdefinition „Faker“ fällt schwer. Das Gabler Wirtschaftslexikon leitet den Begriff „Faker“ von den „Fake News“ ab und orientiert sich an dem Bild des Hochstaplers, der aus persönlichen oder auch wirtschaftlichen bis hin zu politischen Motiven handelt: „Ein Fake ist nach der Bedeutung im Englischen eine Fälschung, eine Täuschung, eine Attrappe, oder ein Hochstapler und ein Simulant (Faker). Fake News sind Falsch- und Fehlinformationen, die häufig über elektronische Kanäle (vor allem soziale Medien) verbreitet werden. Sie gehen von Einzelnen oder Gruppen aus, die in eigenem oder fremdem Auftrag handeln“ [3] Die Konnotation des Begriffs „Fake“ ist, wie in der obigen Definition unschwer zu erkennen, zunächst einmal eindeutig negativ. In der Praxis der Projektarbeit und mit Blick auf die exponierte Rolle des Projektleiters ist eine differenziertere Sichtweise und Bewertung seines Handelns im Projektkontext notwendig. Wir alle kennen den Begriff der Notlüge. Es stellen sich für uns persönlich und auch im organisatorischen Kontext immer wieder die moralischen und ethischen Fragen unseres Handelns. 3 Erfolgsfaktoren in der Projektarbeit versus Projektleiter als „Faker“ Die 5. D-A-CH Forschungswerkstatt der GPM am 29. und 30. Oktober 2018 an der HTW Berlin unter dem Titel: „Emotionales Projektmanagement- - Ein Plädoyer für einen neuen Umgang mit Scheitern in Projekten“ hat die Gründe für das Scheitern von Projekten, die Entwicklung von Projektkrisen, das Verhalten und die Kommunikation der Akteure intensiv analysiert . Auf Basis der Diskussionen zu gescheiterten und kritischen Großprojekten (z. B. Elbphilharmonie, Flughafen Berlin Brandenburg) konnten folgende Schlussfolgerungen gezogen werden: • Komplexität in Projekten wird (immer noch) unterschätzt und / oder nicht erkannt. • Das Phänomen des Nicht-Lernens in der Projektarbeit ist gerade bei den Großprojekten und „spektakulären“ Wiederholungsfehlern (z. B. Spitalbauten in Wien) immer wieder zu beobachten. • Das Wertebündel „Glaube, Hoffnung und Vertrauen“ ist sowohl ein starker positiver wie auch negativer Hebel für den Projekterfolg: - Wesentliche Erfolgsfaktoren in der Projektarbeit und im Umgang mit den Stakeholdern sind Glaube, Hoffnung und Vertrauen. - Mangelt es im Projektteam an dem gemeinsamen Glauben, der Hoffnung und dem Vertrauen, doch noch das Projektziel zu erreichen, droht das Scheitern. • Die Projektleitung entpuppt sich in Krisenprojekten häufig als „Faker“ in der Projektkommunikation. Es stellt sich zunächst die Frage, ob „Faker“ in der Rolle eines Projektleiters bzw. einer Projektleiterin im digitalen Zeitalter und mit wachsender Komplexität und Kritikalität der Projekte vermehrt auftreten. Die Antwort auf diese Frage kann nicht präzise formuliert werden: Neben der Definitions- und Bewertungsproblematik rund um den Begriff „Faker“ sind wissenschaftliche Studien nicht verfügbar. Es bleibt aber festzuhalten, dass die Verbreitungsgeschwindigkeit inkl. der potenziellen Reichweite zur Verbreitung von Falsch- oder Fehlinformationen zunehmen und gleichzeitig die Einstiegshürden auf den Social Media-Plattformen abnehmen. Im Ergebnis steigt durch die Kombination dieser beiden Entwicklungen das Risiko der Verbreitung von Fake News drastisch an. Welche Implikationen lassen sich für das Projektmanagement formulieren? Offenbar steht die Projektleitung als „Faker“ dem positiv konnotierten Wertebün- Abbildung 1: „Faken“ versus Wertebündel „Glaube, Hoffnung und Vertrauen“ PM_aktuell_01_2020.indb 49 PM_aktuell_01_2020.indb 49 20.02.2020 10: 38: 19 20.02.2020 10: 38: 19 Wissen | „Faker“ im Projektmanagement-- ein Phänomen unserer Zeit? 50 DOI 10.2357/ PM-2020-0009 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 31. Jahrgang · 01/ 2020 del „Glaube, Hoffnung und Vertrauen“ diametral entgegen (siehe Abbildung 1). Diesen Antagonismus von Fake vs. obigem Wertebündel gilt es, differenziert zu analysieren: • Wie starr oder wie durchlässig ist diese Grenze in der Praxis in den vielen Kontexten und Situationen der täglichen Projektarbeit für den Projektleiter bzw. die Projektleiterin? • Wieviel „Fakertum“ brauchen komplexe Projekte im digitalen Zeitalter, um erfolgreich sein zu können? • Müssen wir uns im Projektmanagement mit dieser „neuen“ Rolle oder dem spezifischen Verhalten des „Fakers“ auch stärker wissenschaftlich auseinandersetzen (Wirtschaftsethik, Verhaltenspsychologie, Human Resource Management usw.)? 4 Bewertung und Wertmaßstäbe für das Faken Bei der Bewertung des „Fakes“ geht es um den schmalen Grat der Integrität und Glaubwürdigkeit des Projektleiters und der Ambivalenz seines Verhaltens im digitalen Zeitalter, das durch erhöhte Kommunikationsgeschwindigkeit, hoch vernetzte Projektstrukturen und wachsende Projektkomplexität geprägt ist. In Zeiten eines hohen Projektdrucks und wachsender Anforderungen der Stakeholder wird das individuelle Verhalten der Akteure häufig über die Projektzielsetzung zu legitimieren versucht- - ganz im Sinne des Machiavelli-Ansatzes „Der Zweck heiligt die Mittel“. Ein solches Verhalten, das häufig geprägt ist vom „Tarnen, Tricksen und Täuschen“, wird im psychologischen Kontext als Machiavellismus beschrieben. Diese Persönlichkeitsdimension wird charakterisiert als ein „strategisch-manipulatives und pragmatisch-opportunistisches Verhalten. Personen mit ausgeprägtem Machiavellismus verstehen es, andere für ihre Zwecke zu instrumentalisieren, und können hierdurch sehr erfolgreich sein“ [3]. Bezeichnend für diese Persönlichkeitstypen sind Aussagen wie: • „Im Umgang mit Menschen ist es am besten, ihnen das zu sagen, was sie hören wollen.“ • „Es ist nicht so wichtig, wie man gewinnt, sondern, dass man gewinnt.“ [4] Im Jahr 2002 wurde der Begriff der „Dunklen Triade der Persönlichkeit“ von den kanadischen Psychologen Delroy Paulhus und Kevin Williams geprägt. Unter diesem Begriff werden neben dem oben skizzierten Machiavellismus noch die zwei weiteren Persönlichkeitsdimensionen: • Narzissmus (Selbstbezogenheit, übersteigende Wahrnehmung der eigenen Wichtigkeit und überzogenes Anspruchsdenken) und • Psychopathie (Gefühlskälte, fehlende Empathie, fehlendes Verantwortungsbewusstsein und asoziales Verhalten) zu einem dreidimensionalen Persönlichkeitsmodell zusammengefasst, das in der Schnittmenge aller drei Merkmale eine besonders „dunkle“ Persönlichkeit beschreibt, siehe Abbildung 2. Aus Sicht der Psychotherapie trägt aber jeder Mensch diese drei Merkmale in unterschiedlichen Ausprägungen in sich [5]. Mit Bezug zum „Faker“ stellen sich viele Fragen, die das Spektrum der möglichen Bewertungsdimensionen widerspiegeln: • Nach welchen moralischen oder ethischen Maßstäben werden „Faker“ bewertet? Was macht sie sympathisch oder auch unsympathisch? • Haben wir eine verborgene oder auch emotionale Sehnsucht nach „Fakern“? In welchen Situationen wollen wir ihnen (gerne) glauben? Wollen wir sogar bisweilen betrogen werden? 5 Das Idealbild eines Projektleiters-- der Gegenpol zum „Faker“? Aus der Perspektive von Solga und Blickle im Jahr 2009 [5] war die politische Dimension der Projektarbeit bisher nicht ausreichend wahrgenommen und analysiert worden. Als Begründung für die notwendige Berücksichtigung der häufig negativ konnotierten politischen Dimension wurden drei Aspekte von ihnen angeführt, deren Relevanz heute noch stärker ausgeprägt sein dürfte: • Unsicherheiten bei Handlungen, Planungen und Entscheidungen (Ambiguität oder auch organisationale Ungewissheitszonen) • Unzureichende Bereitstellung notwendiger Ressourcen (Humanressourcen, finanzielle Mittel, Zeitrahmen und Macht) • Abhängigkeiten von vielen Stakeholdern mit teilweise konträren Interessen. Wenn die formale Macht der Projektleitung nicht ausreichend gegeben ist, kann laut Solga und Blickle die Reputation zur Kompensation dienen. Zusammen mit der Expertenmacht und der sogenannten „charismatischen Macht“ (Identifi- Abbildung 2: Dunkle Triade der Persönlichkeit (Paulhus / Williams) PM_aktuell_01_2020.indb 50 PM_aktuell_01_2020.indb 50 20.02.2020 10: 38: 19 20.02.2020 10: 38: 19 Wissen | „Faker“ im Projektmanagement-- ein Phänomen unserer Zeit? 51 DOI 10.2357/ PM-2020-0009 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 31. Jahrgang · 01/ 2020 kations-/ Beziehungsmacht) stellen sie die Machtbasis für Projektleiter dar. Mit Blick auf die angestrebte erfolgreiche Kommunikation und Steuerung der Stakeholder wird die „mikropolitische Kompetenz“ in Form der folgenden vier Dimensionen als besonders erfolgsrelevant bewertet [5]: • Hohe Wahrnehmungs- und Beobachtungsfähigkeit (soziale „Scharfsinnigkeit“) • Netzwerkorientierung • Authentizität und Integrität im Auftreten • Interpersonelle Einflussnahme (fair, nicht manipulativ). Dieses idealtypische Bild eines Projektleiters betont den hohen Wert der Reputation und zugleich die positiven Merkmale eines integren und authentischen Projektleiters, der auf manipulative Maßnahmen verzichtet. Die empirische Studie von Peters und Weßels aus dem Jahr 2013 [6] ergänzt dieses idealtypische Kompetenzbild um weitere erfolgsrelevante Merkmale eines Projektmanagers (dargestellt als X-Shaped Manager) mit dem Fokus auf hoch vernetzte Projektstrukturen: • Zuverlässige, gut vernetzte Führungskraft mit Weitblick-- mit ausgeprägten System- und Managementfähigkeiten und Selbstvertrauen im Umgang mit der Balance zwischen Management und Freiraum für die beteiligten Netzwerkakteure, um Vertrauen in allen Phasen der Arbeit im Netzwerk zu schaffen. • Stimulator und Eventmanager-- mit der Fähigkeit, Events und Kreativität zu gestalten, um Dynamik zu erzeugen und Erfahrungswerte zu schaffen. • Innovator- - analytisch, mit intellektueller Flexibilität und Offenheit für Strukturen, Prozesse, Themen und Akteure. • Netzwerkbotschafter-- gekennzeichnet durch ausgeprägte Kommunikationskompetenzen als Repräsentant und Vertreter des Netzwerks nach außen. Auch hier werden positive Persönlichkeits- und Verhaltensmerkmale hervorgehoben. Der Projektleiter gibt Raum zur Entfaltung, wird akzeptiert und genießt hohes Vertrauen innerhalb und außerhalb des Projektteams. Diese positiven und idealtypischen Merkmale stehen offensichtlich in klarem Widerspruch zum „Faken“ und einem Projektleiter als „Faker“. Es stellt sich aber die Frage, ob situations- und kontextspezifisch auch das „Faken“ als zielführend und selbst von den Projektteammitgliedern als positiv oder zumindest „sympathisch“ bewertet werden kann. 6 Einstieg in Studien und erste Untersuchungsergebnisse Auf dem PM Forum 2019 am 22. 10. 2019 wurden in einem Workshop mit 17 Teilnehmenden die charakterisierenden Merkmale eines „Fakers“ in der Rolle eines Projektleiters untersucht. Die Ergebnisse dieses Workshops sind nicht repräsentativ und dürfen somit nicht als wissenschaftlich fundiert bewertet werden. Sie können nur eine erste Indikation als Antwort auf die formulierten Fragestellungen liefern. Die in Abbildung 3 aufgeführten Auswahlstatements wurden den Teilnehmenden des Workshops zunächst erläutert. Anschließend wählte jeder Teilnehmer bzw. jede Teilnehmerin aus diesem Antwortspektrum auf Basis eigener Praxiserfahrungen maximal drei führende Merkmale aus. Den Erfahrungen dieser Gruppe folgend, dominieren insbesondere persönliche Karriereziele das Verhalten und „Blender“ treten vermehrt auf. Bezugnehmend auf das Konzept der „Dunklen Triade der Persönlichkeit“ (siehe Abbildung 2) treten die Persönlichkeitsdimensionen des Narzissmus (Selbstbezogenheit, übersteigende Wahrnehmung der eigenen Wichtigkeit und überzogenes Anspruchsdenken) und der Psychopathie (Gefühlskälte, fehlende Empathie, fehlendes Verantwortungsbewusstsein und asoziales Verhalten) deutlich hervor. Aber auch positivere Verhaltensmerkmale und Verhaltensweisen wie Engagement, Belastbarkeit und Opferbereitschaft werden explizit genannt. Welche 3 führenden Merkmale zeichnen eine*n Faker*in in der Rolle eines Projektleiters bzw. einer Projektleiterin aus? (s.-Abbildung 3) Eine Zielsetzung des Workshops bestand darin, den Übergang von der negativen auf die positive Seite der Bewertung des „Fakens“ präziser zu analysieren. Daher wurde in der folgenden Fragestellung, siehe Abbildung 4, gezielt der „Sympathiefaktor“ aus der Perspektive des Projektteams beleuchtet. Was macht eine*n Faker*in als PL aus Ihrer Sicht als Mitglied im Projektteam sympathisch? (s. Abbildung 4) Bei dieser Fragestellung und den Antworten dominiert der „Zeitgewinn“, den der*die Projektleiter*in durch das Faken erzielt. Ein Projektteam honoriert somit ganz offensichtlich die „Schutzwirkung“ eines*r engagierten Projektleiters*in, der*die auch in schwierigen Projektphasen Rückgrat zeigt und Stehvermögen hat. Mit dem Bezug zum Konzept der 1. persönliche Karriereziele dominieren das Verhalten 79 % 2. Blender*in, überschätzt sich ständig selbst, eitel und häufig rücksichtslos mit narzisstischer Veranlagung 63 % 3. manipuliert gerne sein Umfeld 47 % 4. ist letztlich ein „Opfer“ und mit der Projektleitung und dem Anforderungsdruck überfordert 32 % 5. extrovertierte und kommunikationsstarke Persönlichkeit mit hoher Belastbarkeit auch in Krisenzeiten 32 % 6. Überredungskünstler*in 16 % 7. Motivator*in, der*die uns durch tiefe Projekttäler trägt 11 % 8. Betrüger*in bis hin zum*zur Kriminellen 11 % 9. Kämpfer*in mit besonders viel Mut und Leidenschaft in jeder noch so schwierigen Projektphase 5 % 10. Menschenfänger*in 0 % 11. keines der Merkmale trifft zu 0 % Abbildung 3: Charakteristika eines „Fakers“ als Projektleiter PM_aktuell_01_2020.indb 51 PM_aktuell_01_2020.indb 51 20.02.2020 10: 38: 20 20.02.2020 10: 38: 20 Wissen | „Faker“ im Projektmanagement-- ein Phänomen unserer Zeit? 52 DOI 10.2357/ PM-2020-0009 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 31. Jahrgang · 01/ 2020 „Dunklen Triade der Persönlichkeit“ (siehe Abbildung 2) werden machiavellistische Verhaltensweisen (siehe Punkt 3 und das Bemühen um das Wohl des Kunden bzw. Auftraggebers) explizit genannt. 7 Herausforderungen für die Zukunft Die Schlussfolgerung erscheint naheliegend, dass wir die Beobachtungen rund um das „Faken“ als eine neue Herausforderung und Rolle im Projektmanagement bewerten. Hierzu müssen wir uns mit dem rollenspezifischen Verhalten stärker wissenschaftlich auseinandersetzen, speziell auch in Projektphasen, die mit hohem Stress, Anforderungs- und Erfolgsdruck einhergehen. Mit wachsender Projektkomplexität und Veränderungsdynamik lastet ein zunehmend höherer Druck auf den Schultern der Projektleitung, der zu dysfunktionalen Verhaltensweisen führen kann. Hierzu sollten insbesondere die Blickwinkel aus der Verhaltensforschung berücksichtigt werden. Bei der Rekrutierung von Projektpersonal für Leitungsaufgaben geht es naturgemäß nicht nur um die fachliche, sondern insbesondere auch um die persönliche Eignung von Bewerbern. Um diesem Ziel gerecht zu werden, müssen wir unsere Auswahlkriterien und die Bewertungsmaßstäbe kontinuierlich kritisch hinterfragen. Hierzu gehört auch die Genderperspektive, die viel Raum für weitere Untersuchungen und Studien bietet: • Welche Rolle spielt das Geschlecht beim „Faken“? • Welchen Einfluss hat das Geschlecht auf die Bewertung der Rolle des jeweils anderen Geschlechts? Es darf vermutet werden, dass wir nach wie vor besonders Narzissten viel Führungspotenzial zutrauen und männliche Bewerber mit diesem Profil große Beachtung finden. Führt dieses Mindset tragischerweise zur falschen Selektion von Führungskräften? [7] In diesem Zusammenhang findet sich als ein Erklärungsansatz immer wieder der sogenannte Dunning-Kruger-Effekt der Selbstüberschätzung [8]. Dieser Effekt ist benannt nach den beiden Wissenschaftlern David Dunning und Justin Kruger. Bei ihren Forschungen an der Cornell University gelangten sie 1999 auf Basis ihrer Experimente zu der Erkenntnis, dass gerade • weniger kompetente Menschen- sich selbst überschätzen und den Grad ihrer Inkompetenz nicht erkennen, • gleichzeitig aber die Kompetenz anderer Menschen nicht (an-)erkennen. Wenn dieser Effekt tatsächlich eine relevante Ursache für die „falsche“ Auswahl von F ührungskräften darstellt, müssen wir uns dann wirklich wundern, wenn uns die Gallup-Studie [9] bescheinigt, dass in Deutschland 14 % der Arbeitnehmer bereits innerlich gekündigt haben, der Großteil nur Dienst nach Vorschrift macht und lediglich ca. 15 % der Angestellten sich mit ihrem Unternehmen identifizieren und sich emotional verbunden fühlen? Solange Führungspositionen mit Personen besetzt werden, die sich selbst überschätzen, andere unterschätzen und als „Blender“ und Narzissten im Bewerbungsprozess punkten, wird sich an der Situation in den Unternehmen und in der Projektarbeit mit Blick auf den obigen Gallup-Engagement-Index ganz offensichtlich nicht viel ändern. Die besondere Gefahr im digitalen Zeitalter sind die geringen Einstiegshürden für das manipulative Kommunikationsverhalten auf den unterschiedlichen IT-Plattformen-- verstärkt um die sich perspektivisch abzeichnenden Gefahren durch KI-gestützte Technologien. Der durch den Einsatz von KI-Technologien forcierte technologische Wandel, von Avataren bis hin zu humanoiden Robotern und manipulativ eingesetzten Algorithmen, wird weitere neue gesellschaftliche Herausforderungen in Form ethischer Fragestellungen generieren. Das bedeutet wiederum, dass die Personalauswahl und die Frage der charakterlichen Eignung von Führungspersonen zukünftig mit noch mehr Sorgfalt vorgenommen werden muss, um nicht durch „Faker“ ein wachsendes Schadenpotenzial zu riskieren. Mit Blick auf das Projektmanagement wird das Bemühen um die Erfolgssteigerung der Projektarbeit im digitalen Zeitalter auch weiterhin die Diskussion dominieren. Zumindest bei diesem Punkt dürfen wir sicher sein: Es geht auch zukünftig um die Suche nach den Erfolgsfaktoren für Projekte und das idealtypische Profil des*der Projektleiters*in. Literaturverzeichnis [1] BERTELSMANN STIFTUNG: Salzburger Trilog 2019: Mehrheit der Deutschen erkennt Fehlinformationen nur schwer: Pressemitteilung. URL https: / / www.bertelsmann-stiftung. de / fileadmin / files / BSt / Presse / Pressemitteilung_Ankuendigung_Salzburger_Trilog_20 190 822_.pdf.- - Aktualisierungsdatum: 2019-08-23-- Überprüfungsdatum 2019- 10-30 [2] SCHREINER, Maximilian: Deepfake Audio: Mit dieser App lasst ihr jeden alles sagen. URL https: / / mixed.de / deepfake-audio-mit-dieser-app-lasst-ihr-jeden-alles-sagen/ - - Überprüfungsdatum 2019-10-20 [3] BENDEL, Oliver: Fake News. URL https: / / wirtschaftslexikon.gabler.de / definition / fake-news-54 245 / version-369 957.-- Aktualisierungsdatum: 2019-03-18-- Überprüfungsdatum 2019-10-16 [4] JAUK, Emanuel; HIEBLER-RAGGER, Michaela; UNTER- RAINER, Human-Friedrich; KAPFHAMMER, Hans-Peter: 1. durch ihn / sie und sein / ihr Engagement gewinnen wir Zeit bis zur Lösung des Problems 50 % 2. er / sie übernimmt unangenehme Aufgaben, die niemand anders übernehmen möchte 30 % 3. um dem Wohle des Kunden bzw. des Auftraggebers zu dienen, ist er / sie zu Notlügen bereit 30 % 4. nichts 25 % 5. er / sie schützt uns vor Ärger und Anfeindungen 25 % 6. wir können von ihm / ihr lernen, wie in schwierigen Situationen vorgegangen werden kann 20 % Abbildung 4: Sympathiefaktor eines Projektleiters PM_aktuell_01_2020.indb 52 PM_aktuell_01_2020.indb 52 20.02.2020 10: 38: 20 20.02.2020 10: 38: 20