eJournals PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL 31/1

PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
10.2357/PM-2020-0010
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2020
311 GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.

Der Einfluss des Flughafenprojektes BER auf seine Mutter-Organisation, die Flughafengesellschaft Berlin-Brandenburg (FBB)

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2020
Hans Georg Gemünden
Karl-Heinz Wolf
„Projekte machen Zukunft“ heißt ein Schlachtruf der GPM. Aber wie sieht es aus, wenn Großprojekte nachhaltig scheitern? Am Beispiel des BER-Projektes wird eine bilanzanalytische Wirkungsanalyse durchgeführt, welche Auswirkungen das nachhaltige Scheitern eines Großprojektes auf die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage seines Mutter-Unternehmens hat, wie sich diese Auswirkungen im Zeitablauf entwickeln und welche Maßnahmen ergriffen werden können, um das finanziell gestresste Mutter-Unternehmen zu sanieren. Um die Aussagen zu objektivieren, werden eine Reihe von Vergleichsunternehmen ebenfalls analysiert, und zwar über den Zeitraum 2005–2018. Das Beispiel zeigt, dass die Bilanzanalyse eine Reihe wichtiger Erkenntnisse liefert. Signifikant sind die hohen operativen Verluste und die eklatante Erlösschwäche der FBB. Die Aktivierung der Baukosten bewirkt eine Verlagerung der Verluste in die ferne Zukunft. Durch das Scheitern des Projektes türmt sich ein riesiger Schuldenberg auf, der aus dem Cash-Flow der FBB auch mit dem neuen BER wahrscheinlich nicht getilgt werden kann. Abschließend wird diskutiert, wie man die Rechenschaftslegung und Kontrolle von Großprojekten in öffentlichen Unternehmen verbessern kann.
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54 DOI 10.2357/ PM-2020-0010 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 31. Jahrgang · 01/ 2020 Der Einfluss des Flughafenprojektes BER auf seine Mutter-Organisation, die Flughafengesellschaft Berlin-Brandenburg (FBB) Hans Georg Gemünden, Karl-Heinz Wolf Für eilige Leser | „Projekte machen Zukunft“ heißt ein Schlachtruf der GPM. Aber wie sieht es aus, wenn Großprojekte nachhaltig scheitern? Am Beispiel des BER-Projektes wird eine bilanzanalytische Wirkungsanalyse durchgeführt, welche Auswirkungen das nachhaltige Scheitern eines Großprojektes auf die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage seines Mutter-Unternehmens hat, wie sich diese Auswirkungen im Zeitablauf entwickeln und welche Maßnahmen ergriffen werden können, um das finanziell gestresste Mutter-Unternehmen zu sanieren. Um die Aussagen zu objektivieren, werden eine Reihe von Vergleichsunternehmen ebenfalls analysiert, und zwar über den Zeitraum 2005 - 2018. Das Beispiel zeigt, dass die Bilanzanalyse eine Reihe wichtiger Erkenntnisse liefert. Signifikant sind die hohen operativen Verluste und die eklatante Erlösschwäche der FBB. Die Aktivierung der Baukosten bewirkt eine Verlagerung der Verluste in die ferne Zukunft. Durch das Scheitern des Projektes türmt sich ein riesiger Schuldenberg auf, der aus dem Cash-Flow der FBB auch mit dem neuen BER wahrscheinlich nicht getilgt werden kann. Abschließend wird diskutiert, wie man die Rechenschaftslegung und Kontrolle von Großprojekten in öffentlichen Unternehmen verbessern kann. Schlagwörter | BER, Großprojekte, Wirkungsanalyse von Großprojekten, Verschuldungsgrenzen öffentlicher Unternehmen und ihrer Projekte 1 Einleitung In diesem Artikel 1 wird anhand der öffentlich zugänglichen Geschäftsberichte und Passagierzahlen untersucht, welche wirtschaftlichen Auswirkungen das Neubau-Projekt BER auf seine Mutter-Organisation, die Flughafengesellschaft Berlin-Brandenburg (FBB) im Zeitraum 2005-2018 hatte. Als Vergleichsfälle werden die Entwicklungen der Flughafengesellschaften der Flughäfen Köln-Bonn, Stuttgart, Hamburg, Düsseldorf, München, Frankfurt und Oslo herangezogen. Der Gesamtverlauf des Projektes BER lässt sich in zwei Phasen einteilen. Die erste Phase beginnt mit dem Spatenstich im Jahr 2006 und geht bis zum Ende der Bauphase im Jahr 2011. Danach erfolgten die Prüfungen. Trotz mehrfacher Verschiebungen waren sowohl die Spitzenpolitiker und Aufsichtsräte sowie die Leitung der FBB sehr zuversichtlich, dass der „modernste Flughafen Europas“ am 6. Juni 2012 eröffnet werden würde. Aber, es kam anders: Vier Wochen vor der geplanten Eröffnung musste diese abgeblasen werden, weil der Flughafen nicht abgenommen wurde. In der Folge kam es zu einem kompletten Zusammenbruch des Projektes und einer Reihe von Versuchen, die vielen tausend Mängel, die festgestellt wurden, zu beheben. Mehrere Geschäftsführer scheiterten, die Flughafeneröffnung wurde immer wieder verschoben, die Kosten stiegen weiter. Nach der jüngsten Ankündigung soll der BER am 31. 10. 2020 eröffnet werden. Unser Analysezeitraum für die zweite Phase reicht von 2012 bis 2018, weil für dieses Jahr der letzte Geschäftsbericht vorgelegt wurde. Soweit möglich und sinnvoll, werden für die nachfolgenden Jahre Aussagen über die weitere Entwicklung gemacht. Für das Projektmanagement ist die Auswertung von Geschäftsberichten und Jahresabschlüssen eine neue Methodik, weil im Projektmanagement in der Regel geplante Kosten und Nutzengrößen mit den später realisierten verglichen werden, wobei bei der Bestimmung der tatsächlich realisierten Nutzengrößen erhebliche Probleme bestehen. Die Vergleiche von Soll und Ist werden neben den üblichen Unsicherheiten, wie sich die Zukunft entwickelt, auch dadurch stark beeinträchtigt, dass mit den Planwerten versucht wird, andere Akteure Wissen Der Einfluss des Flughafenprojektes BER auf seine Mutter-Organisation DOI 10.2357/ PM-2020-0010 31. Jahrgang · 01/ 2020 PM_aktuell_01_2020.indb 54 PM_aktuell_01_2020.indb 54 20.02.2020 10: 38: 24 20.02.2020 10: 38: 24 Wissen | Der Einfluss des Flughafenprojektes BER auf seine Mutter-Organisation 55 DOI 10.2357/ PM-2020-0010 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 31. Jahrgang · 01/ 2020 zu beeinflussen, sich für oder gegen den Start oder die Fortsetzung eines Projektes zu entscheiden. Über das Ausmaß von bewussten Täuschungen gibt es eine kontroverse Debatte. (Siehe hierzu Love und Ahiaga-Dagbui 2018 vs. Flyvbjerg et al. 2018). Mit dem Rückgriff auf bilanzierte Werte wird in diesem Artikel der Versuch unternommen, eine weitere Beurteilungsbasis zu erschließen. Dabei darf natürlich nicht übersehen werden, dass die Angaben in Jahresabschlüssen und Geschäftsberichten auch bilanzpolitisch genutzten Ermessensspielräumen unterliegen. Trotzdem halten wir es für sehr wichtig, sich die bilanzierten Fakten genau anzuschauen. Wir konnten bei unseren Analysen immer wieder feststellen, dass sowohl die Entscheidungsträger, die Rechenschaft ablegen, als auch die Wirtschaftspresse die Sachverhalte optimistischer darstellten als sie tatsächlich waren. 2 Ergebnis 2.1 Gute Ausgangsbedingungen: Die FBB realisiert das stärkste Wachstum an Passagieren Als erstes Ergebnis ist festzuhalten, dass die FBB das größte Wachstum an Passagieren realisierte (siehe Abbildung 1). Vor diesem Hintergrund ist es nachvollziehbar, dass der Neubau eines Flughafens sinnvoll war. Die FBB befand sich vor dem Neubau in einer ähnlichen Lage wie die Flughafengesellschaften von Köln-Bonn, Stuttgart, Hamburg, Düsseldorf und Oslo. Mit dem Neubau des BBI, wie er anfangs genannt wurde, wollte man sich in Richtung der Drehkreuze Frankfurt und München bewegen. Bemerkenswert ist, dass die FBB die stark gestiegene Nachfrage durch weitere Hallen und Modernisierungen der Flughäfen Tegel und Schönefeld erheblich steigern konnte, so dass die Berliner und Brandenburger Wirtschaft davon profitierte, dass mehr Menschen nach Berlin reisen konnten. Diese Leistung der Beschäftigten verdient höchste Anerkennung. Aber: Durch die Verzögerung des BER-Projektes wurden erhebliche Umsatzpotentiale verschenkt, weil man beim moderneren BER mehr Erlöse pro Passagier hätte erzielen können. Dieser Fehler ist den verantwortlichen Politikern im Aufsichtsrat und den Managern der FBB anzulasten. Das Ausmaß der verschenkten Potenziale wird deutlich, wenn man sich die Entwicklung der Umsatzerlöse anschaut (siehe Abbildung 2). Mit den Passagierzahlen steigen auch die Umsätze- - aber Berlin ist kein Spitzenreiter mehr, sondern die Avinor. Dies liegt daran, dass die Avinor die Umsatzerlöse pro Passagiere um 29 % steigern konnte, während sie bei der FBB um 3 % gesunken sind. Wir haben hierzu den Mittelwert der Umsätze pro Passagier in den Jahren 2016 bis 2019 ins Verhältnis gesetzt zum Mittelwert der Umsätze pro Passagier in den Jahren 2005 bis 2007. Steigerungen des Umsatzes pro Passagier ergaben sich auch in Stuttgart (10 %), München (10 %) und Frankfurt (11 %). Bei Köln-Bonn stieg der Wert um 1 %, bei Hamburg nahm er um 16 % ab, bei Düsseldorf sogar um 21 %. Die FBB erzielte in den Jahren 2013 bis 2018 Umsatzerlöse in Höhe von 1.953 Millionen Euro. Wenn sie pro Passagier 10 % höhere Erlöse hätte erzielen können durch rechtzeitige Fertigstellung des BER, dann wären dies 200 Millionen Euro gewesen. Dies ist eine konservative Schätzung, denn die FBB erzielt absolut gesehen deutlich weniger Umsatzerlöse pro Passagier als alle anderen von uns analysierten Flughäfen. Darauf gehen wir im nächsten Kapitel ein. Abbildung 1: Entwicklung der Passagierzahlen 2005=100 PM_aktuell_01_2020.indb 55 PM_aktuell_01_2020.indb 55 20.02.2020 10: 38: 26 20.02.2020 10: 38: 26 Wissen | Der Einfluss des Flughafenprojektes BER auf seine Mutter-Organisation 56 DOI 10.2357/ PM-2020-0010 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 31. Jahrgang · 01/ 2020 2.2 Trotz stärkstem Wachstum-- Operative Verluste bei der FBB-- Operative Gewinne bei allen Kontrollfällen Die positive Entwicklung der Passagierzahlen und Umsätze wird im jüngsten Geschäftsbericht der FBB gleich zu Anfang von der Geschäftsleitung angesprochen: „Sehr geehrte Damen und Herren, der Luftverkehrsstandort Hauptstadtregion entwickelt sich weiterhin sehr dynamisch. Dadurch kann die Flughafengesellschaft auf ein erfolgreiches Geschäftsjahr 2018 mit deutlichen Zuwächsen im Kerngeschäft zurückblicken. Das operative Ergebnis (EBITDA) der Berliner Flughäfen hat im Jahr 2018 mit EUR 118,7 Mio. einen neuen Bestwert erreicht.“ Faktencheck: Trifft diese Einschätzung wirklich zu-- sie widerspricht doch diametral dem, was wir immer über den BER hören, und sollte dessen Niederschlag in den Geschäftszahlen vielleicht zu einem anderen Ergebnis führen? Wir bilden die Kennzahl operativer Überschuss, indem wir von den Umsatzerlösen die wichtigsten Aufwandsarten abziehen, die regelmäßig anfallen und zum unmittelbaren Kerngeschäft gehören. Dies sind die Materialkosten, die Personalkosten und die sonstigen betrieblichen Aufwendungen. Außerdem ziehen wir die Abschreibungen auf Anlagen ab, weil ein Flughafen ohne seine Anlagen nicht arbeiten kann und die Zinsaufwendungen, weil diese zur Finanzierung der Anlagen benötigt werden. Wir haben dies getan und stellen als drittes Ergebnis fest, dass das operative Ergebnis seit 2006 negativ ist und 2018 ein operativer Verlust von -102,4 Millionen Euro entstanden ist. Im Gesamtzeitraum kumulierten sich die operativen Verluste auf - 1 . 594 , 3 Millionen Euro. Der kumulierte Bilanzverlust betrug 2018 - 992 , 1 Millionen Euro. In dieser Situation den Eindruck zu erwecken, dass sich die FBB in einer guten Ertragslage befinden würde, halten wir für sehr problematisch. Zieht man die anderen Flughäfen heran, so wird die positive Aussage der Führungskräfte der FBB zum erzielten „Bestwert“ noch problematischer. Die kumulierten Gewinne von Köln-Bonn und Stuttgart betrugen 113 und 119 Millionen Euro, die von Hamburg und Düsseldorf betrugen 414 Millionen Euro bzw. 500 Millionen Euro. Bei den drei Drehkreuzen entstanden noch größere operative Gewinne: 769 Millionen Euro (München), 2.253 Millionen Euro (Oslo) und 2.908 Millionen Euro (Frankfurt). Abbildung 3 dokumentiert die Entwicklung der über die Zeit aufsummierten operativen Ergebnisse. Wir sehen, wie sich die Schere zwischen der FBB und den besonders erfolgreichen Flughäfen Frankfurt und Oslo immer weiter öffnet, München sich konsolidiert, Hamburg und Düsseldorf sich recht gut behaupten und Köln-Bonn und Stuttgart schwarze Zahlen schreiben. Bei Stuttgart gab es in den letzten drei Jahren erhebliche zusätzliche Aufwendungen durch das Projekt „Stuttgart 21“. Ohne diese Aufwendungen würde Stuttgart besser dastehen. Die Ursachen für diese Entwicklung können zum einen auf der Erlösseite gesehen werden, zum anderen auf der Kostenseite. Betrachten wir zunächst die Erlösseite : Die FBB erzielt deutlich geringere Erlöse pro Passagier als die anderen Flughafengesellschaften. Es handelt sich um die Durchschnittswerte aus den 14 Jahren von 2005 bis 2018. Diese Unterschiede sind struktureller Natur, d. h. sie bestehen schon seit längerem und lassen sich wahrscheinlich auch nur schrittweise verändern. Dies zeigt Tabelle 1. Abbildung 2: Entwicklung Umsatzerlöse 2005=100 PM_aktuell_01_2020.indb 56 PM_aktuell_01_2020.indb 56 20.02.2020 10: 38: 26 20.02.2020 10: 38: 26 Wissen | Der Einfluss des Flughafenprojektes BER auf seine Mutter-Organisation 57 DOI 10.2357/ PM-2020-0010 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 31. Jahrgang · 01/ 2020 Abbildung 3: Kumulative Operative Ergebnisse Die Erlösschwäche der FBB hat mehrere Ursachen. Erstens werden laut Entgeltordnung geringere Gebühren pro Passagier verlangt, zweitens geben die Passagiere weniger aus für andere Leistungen wie z. B. Essen und Trinken, Einkaufen oder Übernachten und drittens werden geringere Frachterlöse erzielt als bei anderen Flughäfen. Ad 1. Bei den Entgelten pro Passagier bilden die FBB, Bremen, Hamburg, Köln, Bonn und Stuttgart ein Cluster, in dem Tabelle 1 PM_aktuell_01_2020.indb 57 PM_aktuell_01_2020.indb 57 20.02.2020 10: 38: 26 20.02.2020 10: 38: 26 Wissen | Der Einfluss des Flughafenprojektes BER auf seine Mutter-Organisation 58 DOI 10.2357/ PM-2020-0010 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 31. Jahrgang · 01/ 2020 die durchschnittlichen Gebühren pro Passagier zwischen 4 und 8 Euro liegen. Ein zweites Cluster bilden Düsseldorf, München und Frankfurt, wo die Gebühren zwischen 13 und 20 Euro liegen. Bei der Interpretation dieser Zahlen ist zu berücksichtigen, dass es sich um gewünschte Listenpreise handelt. Es gibt Rabatte für die Airlines, wenn diese viele Passagiere befördern. Die Entgelte pro Passagier sind auch nur ein Element von mehreren. Eine weitere Rolle spielen die Gebühren für die Start- und Landerechte, die fixe und variable Bestandteile enthalten und auch nach Lärm, Größe und Spritverbrauch sowie nach der Uhrzeit differenziert werden. Daher ist es nicht leicht, zwischen Entgeltordnungen und erzielten Erlösen einen Zusammenhang herzustellen. Man kann aber davon ausgehen, dass die Zahlungsbereitschaft der Airlines höher ist, wenn auf den Flugstrecken ein größerer Anteil von Business Class-Passagieren befördert wird. Dieser Anteil ist in Frankfurt, München und Düsseldorf sicherlich größer als in Berlin, wo die Low-Cost-Airlines einen großen Marktanteil haben und viele Touristen befördern, die Berlin besuchen. Ad 2. An den modernen Drehkreuzen wie Frankfurt oder München werden nicht nur höhere Entgelte bezahlt, die Passagiere konsumieren auch mehr, was sich positiv auf das sog. „non-aviation“-Geschäft auswirkt. Frankfurt hat zwei zentrale Bahnhöfe auf dem Flughafengelände, Frankfurt und München haben mehr Gebäude für Veranstaltungen und Dienstleister. In der Nachbarschaft des Stuttgarter Flughafens befindet sich das Messegelände. Ad 3. Bei den Zahlen in Tabelle 1 müsste man von den gesamten Umsatzerlösen die Umsatzerlöse aus dem Frachtgeschäft abziehen. Diese Erlöse sind in den Geschäftsberichten nicht gesondert ausgewiesen, so dass ich behelfsweise auf die von der ADV erhobenen Mengenangaben zurückgreife, um die Einflussstärken abzuschätzen. Das Frachtgeschäft spielt bei der FBB nur eine vergleichsweise geringe Rolle (44 Tsd. Tonnen in 2018), in Köln-Bonn (845 Tsd. Tonnen), macht es einen bedeutenden Anteil des Geschäftes aus. München (368 Tsd. Tonnen) und Frankfurt (2.176 Tsd. Tonnen erzielen ganz erhebliche Umsätze mit ihrem Frachtgeschäft, in Düsseldorf wird fast doppelt so viel Fracht umgeschlagen wie bei der FBB (75 Tsd. Tonnen). Im Frachtgeschäft sind der FBB jedoch wegen des starken Wettbewerbers in Leipzig, der 1.210 Tsd. Tonnen Fracht im Jahre 2018 umschlug, und der Nachtflugbeschränkungen beim stadtnahen Flughafen BER Wachstumsgrenzen gesetzt. Auf der Kostenseite ist hervorzuheben, dass bei der FBB die Zinslasten stark gestiegen sind, und zwar von 2 Millionen Euro zwischen 2005 und 2007 auf über 100 Millionen ab 2012. Ursache ist das starke Wachstum des Fremdkapitals, das benötigt wurde, um den neuen Flughafen BER zu finanzieren. Kritisch ist, dass sich das hohe Fremdkapital wegen der noch immer anhaltenden operativen Verluste nicht wie geplant tilgen lässt, sondern im Gegenteil erst einmal noch weiter steigen wird. Der Cash-Flow nach Deckung aller relevanten Auszahlungen war in den letzten fünf Jahren stets negativ, kumuliert ergab sich ein Finanzbedarf von 540 Millionen Euro. Für 2019 und 2020 sind damit mindestens 200 weitere Millionen Fehlbedarf zu finanzieren aus zusätzlichem Fremd- oder Eigenkapital. Was die Abschreibungen angeht, so ist hervorzuheben, dass die ganz erheblichen Abschreibungen für den BER noch gar nicht erfolgt sind, weil dieser ja erst noch geprüft, genehmigt und eröffnet werden muss. Trotzdem stiegen die Abschreibungen bei der FBB an, und zwar von 16 % des Umsatzes auf 23 %. Bei den anderen deutschen Flughafengesellschaften sanken die Abschreibungen (bis auf Hamburg) und liegen zwischen 10 und 15 % des Umsatzes. Dies könnte sowohl an erforderlichen Ausbauten in Tegel und Schönefeld liegen als auch an Sonderabschreibungen für erforderliche Rückbauten am BER. Die Aussichten für die Jahre 2019 und 2020, in denen noch gebaut, geprüft und umgezogen wird, sind nicht besonders rosig. Die Verluste werden erst einmal weiter wachsen. Durch den BER können zwar ab 2020 mehr Umsatzerlöse erzielt werden, weil höhere Gebühren erzielt werden können und auch mehr konsumiert wird, aber ob diese zusätzlichen Erlöse die neu hinzukommenden Abschreibungen von geschätzt circa 200 Millionen Euro pro Jahr decken können, ist fraglich. Bei dieser Schätzung wird von 40 Nutzungsjahren für die Gebäude und 20 Jahren für die technischen Einrichtungen des BER ausgegangen. Insgesamt gesehen ist die Ertragslage der FBB kritisch zu sehen-- unser Faktencheck zeichnet ein anderes Bild als der von der Leitung der FBB gefeierte „Bestwert“. Bemerkenswert ist, dass die Leitung der FBB weitere Leistungen feiert, die kritisch zu hinterfragen sind. So heißt es in einer Pressemeldung vom 20. 11. 2019: „Die Ratingagentur Ressourcenplanung, die funktioniert Projektportfolio-Management Ressourcenplanung Zeit-/ Leistungserfassung Kosten-Controlling Die Testumgebung in der Cloud steht für Sie bereit Scheuring AG CH-4313 Möhlin � +41 61 853 01 54 www.scheuring.ch � info@scheuring.ch www.ressolution.ch Anzeige PM_aktuell_01_2020.indb 58 PM_aktuell_01_2020.indb 58 20.02.2020 10: 38: 27 20.02.2020 10: 38: 27 Wissen | Der Einfluss des Flughafenprojektes BER auf seine Mutter-Organisation 59 DOI 10.2357/ PM-2020-0010 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 31. Jahrgang · 01/ 2020 Abbildung 4: Entwicklung des Sachanlagevermögens des BER 2011=100 Moody’s bescheinigt der Flughafen Berlin Brandenburg GmbH (FBB) in ihrer jährlichen Unternehmensbewertung auch in diesem Jahr eine überdurchschnittlich gute Bonität. Ausschlaggebend für die sehr gute Bewertung „A1“ waren, neben dem Umstand, dass die drei Gesellschafter Berlin, Brandenburg und der Bund selbst über sehr gute Ratings verfügen, wesentliche Stärken der FBB. Hierzu zählen insbesondere der hohe Anteil von Direktbzw. Punkt-zu-Punkt-Verkehren und die Tatsache, dass die FBB den Kapazitätsausbau vorantreibt. Darüber hinaus attestierte Moody’s der FBB eine wichtige Alleinstellungsposition in der Hauptstadtregion. Ebenfalls ausschlaggebend für die Bewertung war die Aussicht, am BER mehr Entgelte pro Passagier realisieren zu können.“ Bei Moody’s liest sich der gleiche Sachverhalt etwas anders: „RATINGS RATIONALE The affirmation of the A1 issuer rating reflects the ongoing support from FBB's three shareholders, who continue to provide timely financial assistance to support the construction of the new Berlin Brandenburg Airport Willy Brandt (BER). FBB's shareholders, the Land of Brandenburg (Aaa stable), the Land of Berlin (Aa1 stable) and the Government of Germany (Aaa stable), have provided equity injections worth € 1.63 billion, and € 1,107 million in the form of shareholder loans, since the start of the BER project. In addition, FBB's shareholders currently provide guarantees to protect FBB's lenders from interest or principal payment default. Together, the guaranteed debt and the subordinated shareholder loans represent more than 90 % of FBB's indebtedness.“ Das gute Rating erklärt sich nicht aus der Geschäftstätigkeit der FBB, sondern aus der Bonität von deren Gesellschafter und deren Zahlungen in der Vergangenheit, sowie ihrer Bereitschaft auch in Zukunft für die FBB einzustehen. Zur Lage der FBB schreibt Moody’s: „ FBB ’s Baseline Credit Assessment ( BCA ) of b 3 reflects FBB ’s very high indebtedness and weak liquidity position as a result of the high level of capital expenditure and the inability to substantially increase regulated airport tariffs until after the opening of the new airport.” Dies bedeutet ein sehr schlechtes Rating und deckt sich mit unserer Analyse-- wird aber von der Geschäftsleitung der FBB geflissentlich verschwiegen. Im weiteren Text zählt Moody’s eine Reihe von Bedingungen auf, die erfüllt sein müssen, damit sich dieses Rating nicht noch weiter verschlechtert. Eine Verbesserung des Gesamtratings hält Moody’s für sehr unwahrscheinlich. 2.3 Außerordentlich hoher Bilanzwert des BER-- mit markantem Anstieg seit 2012 Wie steht es um die Vermögens- und Finanzlage der FBB, wenn man sich den Niederschlag des BER in der Bilanz anschaut? Die Entwicklung des Sachanlagevermögens des BER zeigt Abbildung 4. Man kann diese Werte aus dem Anlagenspiegel entnehmen, in dem die Entwicklung des BER gesondert ausgewiesen ist, was für die Analyse sehr wichtig ist. Wir haben das Jahr 2011 auf 100 gesetzt, weil in diesem Jahr die Bauarbeiten im Wesentlichen abgeschlossen waren und die Prüfungen begannen. Im Geschäftsbericht für 2011 wurde zwar bei Drucklegung noch eingefügt, dass der Eröffnungstermin verschoben und die Geschäftsführung ersetzt wurde-- aber im Bericht selbst wird das Jahr 2011 „als eines der erfolgreichsten Jahre unserer Unternehmensgeschichte“ gefeiert und auch die Wirtschaftspresse äußert sich in diesem Geschäftsbericht sehr optimistisch. 2005 betrug der Bilanzwert der Sachanlagen des BER 901,8 Millionen. Das waren damals 30,2 % der gesamten Sachanlagen der FBB. Mit dem Spatenstich im Jahre 2006 stieg der Wert auf 1.023,7 Millionen Euro. 2011 betrug der PM_aktuell_01_2020.indb 59 PM_aktuell_01_2020.indb 59 20.02.2020 10: 38: 27 20.02.2020 10: 38: 27 Wissen | Der Einfluss des Flughafenprojektes BER auf seine Mutter-Organisation 60 DOI 10.2357/ PM-2020-0010 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 31. Jahrgang · 01/ 2020 Bilanzwert der Sachanlagen des BER 3.318,7 Millionen Euro. Damals war der Flughafen im Prinzip fertiggestellt. Aber: Seit 2011 haben sich die aktivierten Sachanlagen des BER fast verdoppelt: 2018 waren es 4 . 866 , 2 Millionen Euro. Das sind 83,2 % der gesamten Sachanlagen der FBB, die jetzt eine deutlich größere Bilanzsumme aufweist als 2005. Es ist aber kein zweiter Flughafen gebaut worden . Vielmehr mussten am bestehenden Flughafen außerordentlich viele Mängel mit hohen Kosten beseitigt werden. Außerdem kamen auch neue Anlagen und Gebäude hinzu. Es stellt sich die Frage, ob der hohe Bilanzwert angemessen ist, oder ob er durch einen niedrigeren beizulegenden Wert ersetzt werden müsste. Hierfür kämen zwei Bewertungsansätze in Frage. Die fiktiven Wiederbeschaffungskosten bei Neubau des BER und der Ertragswert, der sich aus der Summe der diskontierten Überschüsse der erwarteten Nutzungsdauer ableiten lässt. Beide Werte dürften deutlich unter dem aktuell angesetzten liegen. Darauf gehen wir weiter unten noch ein. 2.4 Außerordentlich hohe Verbindlichkeiten-- mit markantem Anstieg seit 2012 Die erheblichen Investitionen, die auch nach dem Zusammenbruch des BER-Projektes noch getätigt wurden, haben gemeinsam mit den hohen operativen Verlusten zu einem enorm hohen Kapitalbedarf geführt. Dieser konnte durch Eigenmittel nicht mehr gedeckt werden. Wegen der Beihilferichtlinien der EU wurden auch die möglichen Subventionen begrenzt. Was ist die Folge? Es kommt zu einem enormen Anstieg der Verschuldung der FBB. Wie sehr das BER-Projekt aus dem Ruder gelaufen ist und die FBB mit Schulden belastet hat, zeigt der Vergleich mit der Entwicklung der anderen Flughäfen in Abbildung 5. Anstieg der Schulden um 1181 %: Das ist der tiefe Fussabdruck, den der BER in der Bilanz der FBB hinterlässt. Eine große Steigerung der Verbindlichkeiten um 517 % hat es nur bei der FRAPORT gegeben, um die Expansion in den 2000er Jahren zu finanzieren, aber danach verharrte der Schuldenstand auf dem höheren Niveau-- und diesen hohen Schulden steht eine vielfach höhere Ertragskraft, ein werthaltigeres Anlagevermögen und ein höherer Eigenkapitalanteil gegenüber. Verdoppelt haben sich die Schuldenstände bei der Avinor und bei der Hamburger Flughafengesellschaft. Aber die sehr ertragsstarke Avinor hatte das höchste Umsatzwachstum aller betrachteten Flughäfen und konnte auch pro Passagier den Umsatz am stärksten steigern. Hamburg hatte das geringste Umsatzwachstum aller Flughäfen und der Umsatz pro Passagier ging um 21 % zurück. Bemerkenswert ist, dass die Verbindlichkeiten trotz der Aufnahme des strategischen Investors Hochtief AG so stark wuchsen. Aufgrund eines guten Kostenmanagements konnten recht gute operative Überschüsse erzielt werden. Köln-Bonn, Düsseldorf und München konnten ihre Verbindlichkeiten relativ konstant halten, Stuttgart gelang es, die Schulden zu halbieren, trotz außerordentlicher Belastungen der Ertragskraft der Flughafengesellschaft durch das Bahn-Projekt Stuttgart 21 in den letzten Jahren. Die ohnehin ertragsschwache FBB wird es wegen der starken Kostensteigerung des BER, des langen Ausfalles vom BER erhoffter zusätzlicher Erlöse und der großen Zinslasten kaum schaffen, in den Jahren nach Eröffnung des BER ihre Kosten zu decken. Stattdessen werden die Schulden wohl erst mal noch weiter steigen, weil im Jahre 2019 und 2020 der Cashflow deutlich unter den zu deckenden Ausgaben liegen wird. Hinzu kommen zusätzliche Auszahlungen für Schallschutzmaßnahmen, für Nachttragsforderungen der Lieferanten und für den Umzug und die Stillegung von Tegel, die noch nicht durch Rückstellungen in der Bilanz abgedeckt sind. Um Tegel schließen zu können, muss nicht nur der BER fertiggestellt werden, sondern auch das Terminal 2, was einen weiteren Kapitalbedarf erzeugt. Abbildung 5: Entwicklung der Verbindlichkeiten 2005=100 PM_aktuell_01_2020.indb 60 PM_aktuell_01_2020.indb 60 20.02.2020 10: 38: 27 20.02.2020 10: 38: 27 Wissen | Der Einfluss des Flughafenprojektes BER auf seine Mutter-Organisation 61 DOI 10.2357/ PM-2020-0010 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 31. Jahrgang · 01/ 2020 Die tatsächliche Lage ist noch schlimmer, denn der aktivierte Wert der Sachanlagen des BER ist aus unserer Sicht viel höher als der niederigere beizulegende Wert. Es droht eine Sonderabschreibung in erheblicher Höhe, so dass es zu einer Überschuldung kommen kann. Zur Bestimmung dieses Wertes kommen verschiedene Alternativen in Betracht, von denen bei Dominanz des Gläubigerschutzprinzips der niedrigste gewählt werden sollte. In Frage käme (1) ein Betrag, den ein Dritter für den BER zahlen würde, wenn er zum Verkauf stünde oder (2) die Kosten, die ein Neubau eines Flughafens mit gleicher Funktionalität kosten würde. Schließlich kann auch (3) der Ertragswert gewählt werden, der sich aus den laufenden Netto-Erträgen, die aus dem Flughafenbetrieb fließen werden, ableiten lässt. In allen drei Fällen scheint der aktuell angesetzte Wert der Sachanlagen in der Bilanz viel zu hoch angesetzt. Der Neubau eines Flughafens gleicher Funktionalität könnte vielleicht in der Höhe von circa drei Milliarden liegen. Dann wäre eine Abwertung um circa 1,5 Milliarden geboten. Gemessen am Ertragswert sieht es auch nicht besonders gut aus für die Flughafengesellschaft. Die Erlöse pro Passagier müssten erheblich gesteigert werden, was politisch nur sehr schwer durchzusetzen ist-- und zwar sowohl gegenüber den Airlines als auch gegenüber den Endkunden. Daher dürfte auch der Betrag, den ein Dritter bezahlen würde, deutlich geringer sein als der bilanzierte Wert. Man kann sich einfach schwer vorstellen, dass der BER den gleichen Wert besitzt wie der Flughafen München. Es stellt sich sogar die weitergehende Frage, ob die Flughafengesellschaft bei korrekter Bewertung als überschuldet anzusehen ist. 3 Diskussion von Maßnahmen zur Sanierung der FBB Welche Maßnahmen könnten ergriffen werden, um die FBB zu sanieren? Die Erlössituation der FBB sollte möglichst rasch durch Erhöhung von Gebühren verbessert werden-- weil dieses Geld dringend benötigt wird. Es ist auch aus Klimaschutzgründen und zur Entlastung der Bürger und Bürgerinnen, die nicht fliegen, geboten, die Flughafennutzer schon heute stärker zu belasten. Es muss weiteres Geld von den Eigentümern eingebracht werden, um eine mögliche Insolvenz abzuwenden. Es ist zu überlegen, ob der Bund die teuren Kredite durch billigere ablöst und somit die Flughafengesellschaft weiter entlastet und absichert. Es muss auf höchster Ebene mit der EU verhandelt werden, inwieweit sinnvolle Sanierungsmaßnahmen mit dem Beihilferecht und dem Wettbewerbsrecht vereinbar sind. Man könnte nach geeigneten Investoren suchen, die sich an der FBB beteiligen, um die weitere Expansion, die im Masterplan vorgesehen ist, zu ermöglichen. In Frage käme vielleicht auch eine Beteiligung an dem neuen Terminal, das noch im Bau ist und den BER ergänzen soll. Dies würde jedoch voraussetzen, dass eine Entschuldung der FBB ermöglicht würde. Als erstes könnte daran gedacht werden, die Flughafenentgelte der FBB anzuheben. Dies ist meines Erachtens in den letzten Jahren nicht geschehen, auch wenn die aktuell gültige Gebührenordnung vom 5. Mai 2018 datiert, weil das Passagiervolumen stärker als die Umsatzerlöse gestiegen ist. Im Falle von Gebührenerhöhungen wären die Passagierzahlen vielleicht weniger stark gestiegen, aber die Umsatzerlöse wären stärker als die Passagierzahlen gestiegen. Was würde diese Maßnahme bewirken? Stellen wir uns einmal vor, dass die FBB die Gebühren seit 2013 im gleichen Ausmaß wie die Deutsche Post ihre Gebühren angehoben hätte. Was würde dies für die Umsatzerlöse und für das Operative Ergebnis bedeuten? Die Veränderungen sind sehr stark, sie zeigen sich vor allem in den beiden Jahren 2019 und 2020. Bei der Hochrechnung dieser beiden Jahre sind wir davon ausgegangen, dass die Zahl der Passagiere mit 8 % pro Jahr weiter wachsen wird. Wir haben den möglichen Einfluss des BER in den letzten Wochen des Jahres 2020 noch nicht berücksichtigt. Das Umsatzwachstum in den Monaten Januar bis August 2019 gegenüber den gleichen Monaten im Jahr 2018 betrug 8 %. Wir haben ferner angenommen, dass sich der Umsatz und die Aufwendungen für Material, Personal und sonstige Aufwendungen proportional zum Passagierwachstum entwickeln werden. Bei den Abschreibungen und den Zinsaufwendungen sind wir davon ausgegangen, dass diese konstant bleiben. Wir sehen, dass durch die großen Umsatzsteigerungen im Jahre 2019 zum ersten Mal ein Operativer Gewinn erzielt wird seit 2005. Dieser Gewinn würde bei weiter steigenden Passagierzahlen noch zunehmen. Es gäbe also eine Möglichkeit, die FBB zu sanieren und langfristig könnten auch die Schulden zurückgeführt werden. Aber diese Maßnahmen bergen auch Risiken. Es könnte sein, dass die preissensiblen Touristen, die Berlin besuchen, in deutlich geringerer Zahl kommen werden, dass die Airlines diese Preissteigerungen nicht hinnehmen werden und ihr Angebot ausdünnen oder sich sogar ganz zurückziehen und sich erhebliche Einbußen für den in Berlin wichtigen Tourismussektor ergeben würden. Mittel- und langfristig könnte auch das Messe- und Veranstaltungsgeschäft darunter leiden. Auf jeden Fall müssten sich die Spitzenmanager der FBB auf harte Verhandlungen einstellen und könnten sich nicht sicher sein, dass sie den vollen Rückhalt der Berliner Spitzenpolitiker hätten. Aktuell ist in der Diskussion die Verkehrsabgabe für den Luftverkehr, die auch als „Ticketsteuer“ bezeichnet wird, zu erhöhen. Diese Abgabe ist jedoch eine klimaschutzpolitische Ein Standardbrief der Deutschen Post hat sich wie folgt verteuert 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 Standardbrief 0,55 € 0,58 € 0,60 € 0,62 € 0,70 € 0,70 € 0,70 € 0,80 € Veränderung 100 105,5 109,1 112,7 127,3 127,3 127,3 145,5 Tabelle 2 PM_aktuell_01_2020.indb 61 PM_aktuell_01_2020.indb 61 20.02.2020 10: 38: 27 20.02.2020 10: 38: 27 Wissen | Der Einfluss des Flughafenprojektes BER auf seine Mutter-Organisation 62 DOI 10.2357/ PM-2020-0010 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 31. Jahrgang · 01/ 2020 Maßnahme des Bundes und die Einnahmen aus dieser Abgabe fließen in den Bundeshaushalt. Die Flughäfen sind jedoch öffentliche Unternehmen, an denen mehrheitlich die Bundesländer und Kommunen aus der Region beteiligt sind. Sie unterhalten diese Flughäfen, um Arbeitsplätze in ihrer Region zu gewinnen und zu erhalten. Sie tragen auch die wirtschaftlichen Risiken von Instandhaltungen, Modernisierungen und Investitionen in neue Infrastrukturen. Diese Eigentümer werden durch die Verkehrsabgabe in ihren Möglichkeiten beeinträchtigt, angemessene Gebühren für die Nutzung der kostenintensiven Infrastrukturen und Dienstleistungen nicht nur in Rechnung stellen zu dürfen, sondern auch vergütet zu bekommen. Nach den jüngsten Pressemeldungen vom 5. 10. 2018 soll die Verkehrsabgabe nicht verdoppelt oder verdreifacht werden, sondern nur von (rund) 8 auf 11 Euro erhöht werden. Was wäre, wenn diese Erhöhung den Flughafeneignern zufließen würde und nicht dem Bundeshaushalt? Wir führen hierzu zwei Modellrechnungen durch. In der ersten Variante wird davon ausgegangen, dass die Verkehrsabgabe nur um 3 Euro erhöht wird, in der zweiten Variante wird von einer Erhöhung um 8 Euro ausgegangen. Da beide Veränderungen der Verkehrssteuer erst 2020 wirksam werden, betrachten wir auch nur dieses Jahr. Bei einer erwarteten Passagierzahl von 40,4 Millionen für die FBB 2020, ergibt die erste Variante 121,2 Millionen Zusatzeinnahmen, die zweite Variante 323,2 Millionen. Im ersten Fall würden operative Gewinne von 34,6 Millionen entstehen, im zweiten Fall von 236,9 Millionen. Es wäre zu erwarten, dass die wirklichen Effekte geringer ausfallen, weil vermutlich weniger Passagiere fliegen würden. Hinzu käme ja auch die Verbilligung der Bahn durch gesenkte Mehrwertsteuer und auch ein Rückgang der verfügbaren Einkommen wegen einer sich abkühlenden Gesamtwirtschaft. Damit könnte die FBB sogar in die Lage versetzt werden, ihre Abschreibungen zu verdienen und ihre Schulden zu tilgen, bei der zweiten Variante ginge es schneller als bei der ersten. Berlin und Brandenburg könnten sich intensiver um Wohnungsbau und die Rückstände beim Schulbau kümmern und gemeinsam mit dem Bund die regionalen Bahnverkehre verbessern. Das wäre das Best-Case-Szenario für die FBB: ihre technische und wirtschaftliche Sanierung. Man hat sich im Vermittlungsausschuss zwischen Bundesrat und Bundestag darauf geeinigt, dass die CO-2-Preise für den Bausektor und den Verkehrssektor angehoben werden und dass es einen besseren Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern gibt. Daher wird die Luftverkehrsabgabe weiterhin beim Bund bleiben und die Flughafengesellschaften werden in eine schlechtere wirtschaftliche Situation gebracht. Aus diesem Grunde befürchten wir, dass die Schulden der FBB auch nach Eröffnung des BER weiter steigen werden und die Frage der Entschuldung akut bleibt. Man könnte allerdings aus der Not auch eine Tugend machen. Der Bund könnte, gestärkt durch die Einnahmen aus der Luftverkehrsabgabe, höhere Eigenkapitalanteile an den Flughäfen übernehmen. Dann wäre es auch wirtschaftlich besser zu rechtfertigen, dass ihm die Erlöse aus der Luftverkehrsabgabe zufließen. Der Bund sollte dann auch im Zusammenspiel mit den Ländern und Kommunen nach einer Gesamtlösung suchen für die Flughafengesellschaften in Deutschland. Es müsste koordiniert entschieden werden, welche Flughäfen betriebswirtschaftlich sowie regional- und bundespolitisch wirklich Sinn machen und welche entbehrlich sind. Die verbleibenden Flughäfen sollten besser koordiniert werden und eine überbetrieblich starke Verhandlungsposition gegenüber den Airlines aufbauen. Der Bund könnte auch eine Gesellschaft gründen, welche Projektmanagementdienstleistungen für Infrastrukturprojekte anbietet. Öffentliche Unternehmen könnten sich aus diesem Pool hochqualifizierter Spezialisten bedienen, um ihre Kompetenz zu verbessern. Es war ein Kernproblem des BER- Projektes, dass die FBB diese Kompetenzen nicht hatte. Die Aufgabe, einen bestehenden Flughafen zu betreiben, stellt eben ganz andere Anforderungen, als die Aufgabe, einen neuen Flughafen zu entwickeln und zu bauen. Eine solche Gesellschaft für Projektmanagement-Dienstleistungen könnte auch als Genossenschaft gegründet werden, ähnlich wie die DATEV von den Steuerberatern. Der Bund, die Länder und PM_aktuell_01_2020.indb 62 PM_aktuell_01_2020.indb 62 20.02.2020 10: 38: 28 20.02.2020 10: 38: 28 Wissen | Der Einfluss des Flughafenprojektes BER auf seine Mutter-Organisation 63 DOI 10.2357/ PM-2020-0010 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 31. Jahrgang · 01/ 2020 ausgewählte Kommunen könnten die Genossen dieser neuen Gesellschaft werden. 4 Abschlussbetrachtung Unser Analyseexperiment hat gezeigt, dass nachhaltig erfolglose Großprojekte deutliche Spuren hinterlassen in den Gewinn- und Verlustrechnungen und den Bilanzen ihrer wirtschaftlichen Eigentümer. Man kann auch die zu positiven Einschätzungen der Lage durch die Spitzenführungskräfte leicht durch Fakten entlarven, vor allem, wenn man die wirtschaftliche Entwicklung des zu analysierenden Unternehmens mit denen anderer Unternehmen über einen längeren Zeitraum vergleicht. Unsere Fallstudie zeigt aber auch die Grenzen des gewählten Analyseinstrumentes. Wir sehen, dass die Auswirkungen auf die Ertragskraft erst mit Verzögerung wirksam werden, weil die stark zunehmende Verschuldung erst im Zeitablauf zu einem höheren Zinsaufwand führt. Die Aufwendungen für das Projekt werden erst einmal aktiviert und als Sachanlagevermögen in der Bilanz gespeichert. Da die Verschuldung durch Bürgschaften der öffentlichen Eigentümer gedeckt wird, geben Banken gerne Kredite zu entsprechenden Zinsen. Aber: Es entstehen wachsende Risiken für die Steuerzahler, die diese aber kaum verhindern können. Problematisch ist, dass öffentliche Unternehmen keiner Schuldenbremse unterliegen, diese gilt nur für öffentliche Haushalte. Es ist grundsätzlich positiv, dass öffentliche Unternehmen Schulden aufnehmen dürfen, um ihre erheblichen Investitionen in Infrastrukturen finanzieren zu können und dass die Gebietskörperschaften, die Eigner der Unternehmen sind, dafür auch Bürgschaften übernehmen. Hieraus darf jedoch nicht gefolgert werden, dass die im öffentlichen Eigentum befindlichen Unternehmen sich in beliebiger Höhe verschulden dürfen. In der Wirtschaftspraxis haben sich gewisse Regeln herausgebildet, in welcher Zeit die aufgenommenen Schulden wieder abgebaut sein sollten. Die Rückflusszeit sollte auf jeden Fall geringer sein als die durchschnittliche Laufzeit der beschafften Anlagegüter. Bei der analysierten FBB ist der verfügbare Cash-Flow negativ, d. h., das Fremdkapital wächst weiter an und dies wird sich auch in den Jahren 2019 und 2020 kaum ändern. Die FBB wird im Jahr 2020 mindestens 4 Milliarden Fremdkapital aufweisen. Wenn dieses in 20 Jahren getilgt werden soll, dann müsste der frei verfügbare Cash-Flow nach Zinsen und Steuern 200 Millionen Euro betragen. Dies erscheint angesichts der Erlösschwäche der FBB sehr unrealistisch. Außerdem ergibt sich weiterer Kapitalbedarf durch die geplanten weiteren Ausbaustufen des BER. Es bedarf einer grundlegenden Diskussion, welche Verschuldungshöhe öffentlichen Unternehmen gestattet werden darf. Und es bedarf einer grundlegenden Diskussion, welche Kosten- und Zeitüberschreitungen den Projekten dieser Unternehmen gestattet werden dürfen. Denn letztendlich haften die Bürgerinnen und Bürger für die Schulden der öffentlichen Unternehmen und die Kostenüberschreitungen und Erlösminderungen ihrer Projekte. Problematisch ist, dass öffentliche Unternehmen und ihre Projekte zu wenig wirksamer Kontrolle unterliegen . Problematisch ist, dass öffentliche Unternehmen nicht der Kontrolle der Rechnungshöfe unterliegen, diese kontrollieren nur die öffentlichen Eigentümer und können nur indirekt davor mahnen, dass zu hohe Risiken eingegangen werden. Problematisch ist, dass öffentliche Unternehmen keiner Kontrolle durch das Institut für Prüfung der Rechnungslegung unterliegen. Dieses untersteht dem BaFin und ist nur für die Rechnungslegung börsennotierter Unternehmen zuständig. Problematisch ist auch, dass die Abschlussprüferaufsichtsstelle (APAS) beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhr zu wenige Inspektionen durchführt und deren Ergebnisse auch nicht veröffentlicht werden. Immerhin wurden bei 52 % der Prüfungen Mängel festgestellt. In Großbritannien wurden deutlich mehr Prüfungen vorgenommen und die britische Aufsichtsbehörde veröffentlicht Details zu Sanktionen, die wegen schlechter Prüfungen ausgesprochen wurden und daher wurden viel seltener Mängel festgestellt. Wenn es mehr Kontrollen gäbe und deren Ergebnisse auch publiziert würden, dann wären sowohl PM_aktuell_01_2020.indb 63 PM_aktuell_01_2020.indb 63 20.02.2020 10: 38: 28 20.02.2020 10: 38: 28