eJournals PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL 31/1

PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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2941-0878
2941-0886
UVK Verlag Tübingen
10.2357/PM-2020-0018
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2020
311 GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.

Selbstgesprächige Organisationen

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2020
Jens Köhler
Die Kolumne „Ehrlich und Priesberg“ möchte mit unterhaltsamen Dialogen rund um das Thema „Mensch – Kommunikation, Verhalten, Entscheidungen“ Denkanstöße für den PM-Alltag geben.
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85 DOI 10.2357/ PM-2020-0018 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 31. Jahrgang · 01/ 2020 Selbstgesprächige Organisationen Jens Köhler Die Kolumne „Ehrlich und Priesberg“ möchte mit unterhaltsamen Dialogen rund um das Thema „Mensch-- Kommunikation, Verhalten, Entscheidungen“ Denkanstöße für den PM-Alltag geben. Priesberg betritt hastig Ehrlichs Büro. „Ich bin ganz aufgeregt und in großer Sorge. Ich frage mich: Machen viele von uns nicht einen Bullshit-Job oder Non-Job? “ Ehrlich sieht ihn kurz gelangweilt an, beißt in seinen Apfel und schaut dann aus dem Fenster. Priesberg ist irritiert: „Ich glaube, du hast mich nicht verstanden: Es kann sein, dass es viele Menschen gibt, vielleicht auch wir beide, deren Arbeit überflüssig ist.“ „Ja, ja, so ist die kleine Welt. Es gibt die, die arbeiten, wie Friseure, Ärzte oder Lokführer, und dann gibt es die, die nicht arbeiten und sich gegenseitig Folien zeigen oder Strategien machen und nur darüber sprechen, ohne irgendetwas zu bewegen“, fasst Ehrlich zusammen, nachdem er seinen Apfel gegessen hat. Priesberg ist genervt und entgegnet: „Ja, endlich hast du es verstanden. Weg mit den Folienmalern, den Controllern und den Strategen- … ups- … vielleicht auch den Projektleitern? “ Ehrlichs Gesichtsausdruck ist immer noch gelangweilt. „Fangen wir mal ganz langsam an. Friseure, Ärzte, Lokführer: Wo arbeiten die? “ Priesberg überlegt ein wenig und antwortet: „Ärzte behandeln Patienten, Friseure schneiden Haare und Lokführer fahren Loks. Ich würde sagen: in einem definierten Arbeitsumfeld, klar zum Kunden ausgerichtet.“ Ehrlich bohrt weiter: „Können die das alleine erledigen oder sagen wir mal maximal in kleinen Teams abarbeiten? “ „Ja, natürlich. Da ist die Arbeit, sie wird getan und schwupp sieht die Welt wieder etwas besser aus“, ruft Priesberg mit fester Überzeugung aus. Ehrlich holt sich den nächsten Apfel, einen kleinen, schaut wieder aus dem Fenster und isst ihn betont langsam auf. Nachdem er damit fertig ist, fragt Ehrlich erneut: „Und die ‚Bullshit-Jobber‘, wo arbeiten die? Wo arbeitet der Stratege, wo der Controller, wo der ‚Folienmaler‘? “ Priesberg zögert und erwidert: „In Organisationen. Da sind sie geschützt, sind unter sich, keiner kontrolliert sie.“ Ehrlich schaut Priesberg an: „Du vergleichst Äpfel mit Birnen. Hier probier’ mal eine.“ Ehrlich wirft dem verdutzten Priesberg eine Birne zu und fährt fort: „Um das Ganze mal zu beschleunigen: Ich glaube, dass deine ‚Bullshit- Jobber‘ emergente Phänomene sind, die nur in Organisationen einer bestimmten Größe auftreten und ich behaupte sogar: auftreten müssen. Und damit kann man den ‚kundenorientierten Arbeiter‘ nicht direkt mit Strategen oder Controllern vergleichen. Wir müssen erst ein geeignetes Koordinatensystem finden.“ Priesberg ignoriert Ehrlichs Ausführungen zum Teil und fasst zusammen: „Du meinst: kleine Organisation- - keine ‚Bullshit-Jobber‘, große Organisation-- viele ‚Bullshit-Jobber‘.“ Ehrlich wundert sich über Priesberg, dass er sich nicht über dessen theoretische Herangehensweise beschwert hat und ergänzt: „Ja, so kann man es vereinfacht ausdrücken. Und jetzt habe ich eine Bitte: Deine ‚Bullshit-Jobber‘ sind keine ‚Bullshit-Jobber‘. Nennen wir sie lieber Fokalpunkte. Sie beobachten, bündeln die Kommunikation, die Gedanken, die Ideen. Sie wägen ab, wählen aus, verwerfen. Sie zählen Geld, weisen es Projekten zu, schaffen damit Raum für Opportunitäten. Es ist hier so, als ob eine Organisation ständig mit sich im Dialog ist.“ Priesberg will heftig protestieren, aber Ehrlich ist schneller: „Organisationen bestehen aus Kommunikation. Kommunikation wird durch die Menschen transportiert, gebündelt, interpretiert, verdichtet und verbreitet. Und genau das machen die Fokalpunkte: Ein Stratege beispielsweise entwirft Szenarien- - aus den vielen Möglichkeiten werden im Diskurs die wenigen herauskristallisiert, die eine Organisation schließlich voranbringen, und zwar dann unter Berücksichtigung aller wesentlichen Aspekte.“ Priesberg überlegt: „Okay, in Organisationen gibt es natürlich keine Ärzte und Friseure, die für sich arbeiten. Aber es gibt dort sehr viele Ingenieure, Techniker und Menschen, die konkret arbeiten. Nennen wir sie ‚Umsetzer‘-…“ Ehrlich fällt ihm ins Wort: „Wenn die Fokalpunkte richtig funktionieren, dann weiß der Umsetzer letztendlich, was bis Aus den DACH-Verbänden Selbstgesprächige Organisationen DOI 10.2357/ PM-2020-0018 31. Jahrgang · 01/ 2020 PM_aktuell_01_2020.indb 85 PM_aktuell_01_2020.indb 85 20.02.2020 10: 38: 53 20.02.2020 10: 38: 53 Aus den DACH-Verbänden | Selbstgesprächige Organisationen 86 DOI 10.2357/ PM-2020-0018 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 31. Jahrgang · 01/ 2020 Dr. Jens Köhler Dr. Jens Köhler, BASF SE. Sein Spezialgebiet ist die Regulation sozialer Komplexität zur Effizienz- und Effektivitätssteigerung von Projektteams. Anschrift: BASF SE, RB / IC, 67 056 Ludwigshafen, E-Mail: Jens.Koehler@basf.com wann umzusetzen ist und kann sich vollständig auf seine Arbeit konzentrieren. Die Organisation wirkt und kann ihre ganze Kraft einsetzen.“ Priesberg schließt versöhnt: „Und wenn die Fokalpunkte einen schlechten Job machen, dann machen die Umsetzer zwar was sie wollen, auf die eigene Art vielleicht sogar perfekt und ungestört, allerdings in der Summe unkoordiniert. Die Kraft einer Organisation schwindet. Also lassen wir doch organisationale Selbstgespräche zu. Sie sollten nur sinnhaft sein! “ Eingangsabbildung: © iStock.com/ ComebackImages BEA | SCHEURER | HESSELMANN Projektmanagement Der Klassiker endlich neu aufgelegt. uvk.de Anzeige PM_aktuell_01_2020.indb 86 PM_aktuell_01_2020.indb 86 20.02.2020 10: 38: 54 20.02.2020 10: 38: 54