eJournals PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL 31/2

PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
10.2357/PM-2020-0021
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2020
312 GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.

Das absolut geräuschlose Projekt

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2020
Oliver Steeger
Porträt: Mit rund fünftausend technischen Anforderungen gehören U-Boote zu den wohl komplexesten Projekten, an die sich Menschen heranwagen. Projektmanager Patrick Fiebeler aus Kiel hat solche Vorhaben fest im Griff – und lernt noch nach 17 Jahren in dieser Branche laufend dazu. Über Rekorde in puncto Projektkomplexität gehen die Meinungen auseinander: Viele halten die Vorhaben aus der Luft- und Raumfahrt für die komplexesten Projekte, die Menschen bearbeiten. Eine stille, fast lautlose „Konkurrenz“ kommt indes aus der Tiefe: U-Boote. Bei der Komplexität können U-Boote beispielsweise Raumstationen ohne Weiteres das Wasser reichen. Mit Patrick Fiebeler spreche ich über das Projektmanagement („U-Boote zu bauen gört zu den schwierigsten Projekten, die wir Menschen bearbeiten“). Eine Kennzahl: Rund fünftausend technische Anforderungen sind bei der Entwicklung von U-Booten zu bewältigen.
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4 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 31. Jahrgang · 02/ 2020 DOI 10.2357/ PM-2020-0021 Patrick Fiebeler: Projektmanager im U-Boot-Bau Das absolut geräuschlose Projekt Oliver Steeger Porträt | Mit rund fünftausend technischen Anforderungen gehören U-Boote zu den wohl komplexesten Projekten, an die sich Menschen heranwagen. Projektmanager Patrick Fiebeler aus Kiel hat solche Vorhaben fest im Griff - und lernt noch nach 17 Jahren in dieser Branche laufend dazu. Über Rekorde in puncto Projektkomplexität gehen die Meinungen auseinander: Viele halten die Vorhaben aus der Luft- und Raumfahrt für die komplexesten Projekte, die Menschen bearbeiten. Eine stille, fast lautlose „Konkurrenz“ kommt indes aus der Tiefe: U-Boote. Bei der Komplexität können U-Boote beispielsweise Raumstationen ohne Weiteres das Wasser reichen. Mit Patrick Fiebeler spreche ich über das Projektmanagement („U-Boote zu bauen gehört zu den schwierigsten Projekten, die wir Menschen bearbeiten“). Eine Kennzahl: Rund fünftausend technische Anforderungen sind bei der Entwicklung von U-Booten zu bewältigen. „Moin“, grüßt Patrick Fiebeler beim ersten Telefonat. Er kommt aus Kiel; seine Stimme wirkt so aufgeräumt, wie man sich die eines Norddeutschen vorstellt. Der 37- Jährige ist Wirtschaftsingenieur, hat bei Hamburg studiert, kam durch sein duales Studium zu thyssenkrupp Marine Systems, dem einzigen deutschen Hersteller von U-Booten. Dort blieb er, und er will dort auch bleiben. Eher eine Seltenheit für Projektmanager; sie gehen häufig „auf die Walz“ und durchkreuzen die Branchen. Nicht so im U-Boot- Bau. „Man braucht fünf Jahre, um sich als Projektmanager in diese Materie einzuarbeiten“, erklärt er, „wir Projektmanager fühlen uns gerade vertraut mit unserem Thema, wenn Kollegen aus anderen Branchen schon wieder ihr Unternehmen verlassen.“ Selbst nach 17 Jahren findet Patrick Fiebeler, dass er laufend dazulernt. „Ich kenne noch nicht jeden Winkel im U-Boot-Bau.“ In U-Booten werden pro laufenden Meter rund siebenhundert Teile verbaut. Man spricht von „Packungsdichte“. Die Packungsdichte von U-Booten vergleicht Patrick Fiebeler in etwa mit der von Weltraumstationen oder Triebwerken. Doch anders als Raumstationen oder Triebwerke müssen U-Boote noch wesentlich mehr sein als technisch „dicht gepackt“: nämlich widerstandsfähig gegen den tödlichen Wasserdruck der Tiefsee, perfekt ausbalanciert wie ein Düsenjet, sicher für Waffensysteme - und absolut geräuschlos. Meine erste Frage: Wie sieht es im U-Boot aus? Mir kommt die klaustrophobische Enge aus dem Film „Das Boot“ in den Sinn, die Hitze und das Dämmerlicht, der Lärm und das Gewirr der Rohre, Leitungen und Ventile. „Nein, da hat es Fortschritte in den vergangenen Jahrzehnten gegeben“, sagt Patrick Fiebeler. Man spürt sein wissendes Lächeln. „Die Operationszentrale der Boote erinnert eher an Raumschiffe aus Science-Fiction-Serien.“ Wir haben uns vorab darauf verständigt, die Technologie der U-Boote wenig anzusprechen. Ein Foto aus dem Innenraum kann man uns nicht geben, nichts von den Maschinen oder Mannschaften. Militärische Vertraulichkeit. Was ich weiß: Patrick Fiebeler leitet bei thyssenkrupp Marine Systems ein binationales Vorhaben im Volumen von mehreren Milliarden Euro. Über fünfzehn bis zwanzig Jahre kann sich ein komplettes Programm mit mehreren U-Booten hinziehen. Allein acht Jahre brauchen Entwicklung und Bau eines einzigen Bootes. Während seines Berufslebens wickelt ein Projektleiter kaum mehr als drei oder vier große Projekte ab. Nicht, dass die Uhren im U-Boot-Bau langsamer ticken. Doch das Zeitgefühl ist anders. Patrick Fiebeler empfindet Leidenschaft für die Komplexität dieser Projekte, für ihre enormen Laufzeiten mit den technischen Anforderungen, die er je Projekt zu bewältigen hat. Das fordert ihn heraus, macht ihm Spaß. Was ebenfalls seine Leidenschaft weckte, ist professionelles Projektmanagement. Projektmanagement ist für ihn ein Leuchtturm - inmitten im Meer der Komplexität. Weiß er nicht weiter, besinnt er sich auf das Projektmanagement. Das hilft. Reportage Das absolut geräuschlose Projekt DOI 10.2357/ PM-2020-0021 31. Jahrgang · 02/ 2020 02_Fiebeler.indd 4 28.04.2020 14: 31: 32 Reportage | Das absolut geräuschlose Projekt 5 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 31. Jahrgang · 02/ 2020 DOI 10.2357/ PM-2020-0021 Weder U-Boot-Bau noch Projektmanagement waren Patrick Fiebeler in die Wiege gelegt. Auf Projektmanagement ist er erst in der U-Boot-Branche gestoßen (erstaunlicherweise im Vertrieb, nicht bei der Entwicklung selbst). Während des Studiums fühlte er sich kaum zum Meer oder zu Booten hingezogen, jene Neigung, die Norddeutschen fast reflexhaft unterstellt wird. „Ich segele nicht, ich war auch nicht bei der Marine“, sagt er. Sein Weg hätte auch eine andere Richtung nehmen können. Doch er hat Freundschaft mit dem Maritimen geschlossen. Das Meer will er nicht mehr missen. Wie viele U-Boote weltweit durch dieses Meer still, fast spurlos gleiten - darüber gibt es nur Schätzungen. Ein Informationsdienst nennt allein für die USA und Russland eine Zahl von rund 200 Booten insgesamt. „Wir müssen davon ausgehen, dass nahezu jedes Land in Europa U-Boote hat“, ergänzt Patrick Fiebeler, „zumindest, wenn das Land Zugang zum Meer hat.“ Die U-Boote sind extrem langlebig und bleiben bis zu fünfzig Jahre in Betrieb. Trotzdem besteht weltweit ständige Nachfrage nach neuen U-Booten. Großmächte decken ihren Bedarf meistens selbst. Kleinere Nationen indes wenden sich an die weltweit wenigen spezialisierten Unternehmen. Neben der deutschen thyssenkrupp Marine Systems ist eigentlich nur ein weiteres europäisches Unternehmen auf die Entwicklung, den Bau und die internationale Lieferung von U-Booten spezialisiert. Ein überschaubarer Markt mit einer überschaubaren Zahl von Kunden. „U-Boote dienen der Abschreckung“, erklärt mir Patrick Fiebeler. Nach seinem Wissen hat es seit dem zweiten Weltkrieg nur einen einzigen Schuss aus einem U-Boot gegeben - und zwar im Falklandkrieg. U-Boote sind eine Waffe und Rüstungsgut. Doch sie werden militärstrategisch anders eingesetzt als etwa Panzer oder Gewehre. Ihr Vorteil: Sie sind unauffindbar und agieren aus dem Verborgenen. Genau dies macht Angriffe auf See zu einem unkalkulierbaren Wagnis. Im Falklandkrieg musste Großbritannien fast seine gesamte Flotte entsenden - weil Argentinien U-Boote hatte. „Man muss sich auf U-Boote gefasst machen“, sagt Patrick Fiebeler, „dies steigert den Aufwand eines Angriffs ins Exorbitante.“ Dies bedeutet aber auch: Verborgen bleiben ist das Kerngeschäft von U-Booten. Je unauffälliger U-Boote sich bewegen, desto besser können sie eingesetzt werden. Unter Wasser werden Schallwellen weitaus besser übertragen als in der Luft. Leise U-Boote sind von Vorteil; sie werden erst spät geortet. „Wir haben heute sehr feine Mikrofone, sogenannte Hydrofone“, sagt Patrick Fiebeler. Die Herausforderung ist simpel: Das eigene U-Boot muss leiser sein und besser horchen können als das des Gegners. Man muss den anderen hören, bevor man selbst gehört wird. Ein taktischer Vorteil. Im Laufe der Jahrzehnte wurden allerdings nicht nur die Sonare verbessert. Auch andere Ortungsmethoden erschwerten die Missionen der U-Boote. Wer ein U-Boot fährt, bewegt rund 2000 Tonnen Stahl durch das Wasser - und damit auch durch das Magnetfeld der Erde. „Dies erinnert Sie vielleicht an den Physikunterricht“, erklärt mir Patrick Fiebeler. Ich entsinne mich: Ein bewegter Leiter, der durch ein Magnetfeld geführt wird, erzeugt eine elektrische Spannung. „Genau! Und diese feine Spannung, die ein U-Boot bei seiner Fahrt erzeugt, kann man messen - und zur Ortung verwenden.“ Auf ähnliche Weise hinterlassen U-Boote magnetische Spuren durch die Abweichungen, die sie im Erdmagnetfeld erzeugen. Satelliten erspähen zudem kleinste Wellenbewegungen im Meer, die ebenfalls fahrende U-Boote verraten. Zu den Aufgaben der Ingenieure gehört also, ihren U-Booten eine immer bessere Tarnkappe aufzusetzen. Fachleute sprechen von der Signatur eines U-Boots. Je besser die Signatur ist, desto schwieriger ist es, das Boot aufzuspüren. Die Signatur zu optimieren ist eine der großen technischen Herausforderungen im U-Boot-Bau. U-Boote fahren hunderte Meter unter der Wasseroberfläche in einer Sphäre, für die der Mensch nicht gemacht ist. „Diese Sphäre ist ähnlich schwierig wie das Weltall“, sagt Patrick Fiebeler. Doch wer Raumfahrer in den Orbit schickt, braucht sich um Lärm und elektromagnetische Spuren nicht zu kümmern. Im All spielen sie keine Rolle. Wohl aber bei einem U-Boot auf Tauchfahrt. „Wir müssen die unterschiedlichen Anforderungen optimal ausbalancieren“, erklärt er. Ein weiteres Beispiel für diese Anforderungen: die Reichweite und die Dauer, für die U-Boote tauchen können. Die Atemluft wird unter Wasser nicht zum Engpass, wohl aber die Energie. Getaucht wird elektrisch. Die Batterien, die für Vortrieb sorgen, müssen regelmäßig geladen werden. Dafür haben die U-Boote seit jeher Dieselmotoren an Bord, die auf Einblick in die U-Boot-Fertigung (Foto: © thyssenkrupp Marine Systems) 02_Fiebeler.indd 5 28.04.2020 14: 31: 34 Reportage | Das absolut geräuschlose Projekt 6 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 31. Jahrgang · 02/ 2020 DOI 10.2357/ PM-2020-0021 Außenluft angewiesen sind. Boote müssen auftauchen, um die Akkus zu laden. Dann schnorchelt das Boot knapp unter der Wasseroberfläche - was es aus seiner Deckung bringt. Dieser Punkt machte im Kalten Krieg den Nuklearantrieb für U-Boote strategisch interessant: Sogenannte Atom-U-Boote können fast beliebig lang tauchen. Sie könnten für theoretisch ein Dutzend Jahre buchstäblich von der Oberfläche verschwinden. Fachleute nennen dies „Air Independent Propulsion“, kurz AIP. Solche U-Boote gehören nicht ins Portfolio von thyssenkrupp Marine Systems. Doch der Konzern bietet seit zwanzig Jahren eine nicht-atomare Alternative: Brennstoffzellen. In Brennstoffzellen wird aus Sauerstoff und Wasserstoff Strom gewonnen, ganz ohne Verbrennung und Abgase. „Damit kann man ebenfalls wochenlang tauchen“, erläutert Patrick Fiebeler. Sein Unternehmen gilt als Marktführer bei dieser AIP-Technologie. „Ich denke, dass wir in puncto Brennstoffzelle auch Vorreiter für die nicht-militärische Industrie sind“, sagt er. In anderen Punkten sieht er seine Branche eher Technologietrends folgen, etwa bei der Digitalisierung. Digitalisierung von U-Booten? In der Branche wird über autonom fahrende U-Boote nachgedacht, ähnlich den Drohnen der Luftwaffe. Doch das bleibt vermutlich lange noch Zukunftsmusik. Im Augenblick hat die Digitalisierung die Operationszentralen erreicht. „Die Boote werden heute komplett über Multifunktionskonsolen gesteuert“, ergänzt er, „die Antriebsleistung, Klimaanlage, Einsatzsysteme der Waffen oder die Kommunikation werden über Multi-Touch-Screens bedient. Man kann Applikationen aufrufen, in Anwendungen hineinzoomen, Fenster auf dem Monitor überlappen.“ Wie in Science-Fiction-Raumschiffen. Vor allem: Auch die Digitalisierung trägt dazu bei, dass U-Boote heute von einer nur vierbis sechsköpfigen Crew gesteuert werden. Bei täglich drei Schichten sind in der Regel rund 25 Menschen an Bord. Hinzu kommen Spezialisten etwa für geheimdienstliche Aufklärung oder Missionen, bei denen unter Wasser Taucher ausgeschleust werden. Über Jahre hat Patrick Fiebeler Akquiseprojekte für U-Boote geleitet, in seinem Unternehmen „Kampagnen“ genannt, hinter denen Projektteams von zehn oder mehr Mitarbeitern unter einem „Campaign Leader“ stehen. Verdichten sich Hinweise, dass ein Staat ein U-Boot kaufen will, wird eine Kampagne gestartet. „Solche Kampagnen sind mehrjährige Projekte mit Zielen, Plänen, Meilensteinen, Teams und Budgets“, sagt Patrick Fiebeler. Erster Schritt: der sogenannte „request for information“, den ein Staat an die Hersteller sendet. Man bittet um Informationen. Es kann durchaus zwei bis drei Jahre dauern, bis der anfragende Staat alle erforderlichen Daten gesammelt hat und die Kampagne in die nächste Phase geht. Nächster Schritt: die vertrauliche Ausschreibung verbunden mit der Aufforderung an Hersteller, ihr Angebot zu entwickeln. Die Campaign Leader rechnen mit ihrem Team die Anforderungen durch. „Das ist wie beim Autokauf“, sagt Patrick Fiebeler, „im Konfigurator stellt man sein Wunschauto zusammen - und sieht am Ende, welcher Preis da zusammenkommt. Dann muss man mit dem spitzen Bleistift Varianten und Konfigurationen durchrechnen.“ Für dieses Durchrechnen braucht das Kampagnenteam sechs, manchmal auch zwölf Monate. Dann übergibt das Team dem Auftraggeber ein Angebot in fünfzehn bis zwanzig Aktenordnern. Darin beschrieben ist nicht nur die Technik des Bootes, sondern auch das Management: die Zeitpläne, Managementpläne und das Projektmanagement. Nächster Schritt: Diese Aktenordner werden mit dem Kunden durchgesprochen und Zeile für Zeile verhandelt, häufig parallel in mehreren Teams. Dieser Prozess mündet dann in ein „best and final offer“, das alle Ergebnisse aus den Verhandlungen umfasst. Rund drei Jahre dauert solch eine Kampagne, bis der Auftrag am Ende zur Unterschrift kommt. Was hat Patrick Fiebeler an diesen Kampagnen-Projekten begeistert? „Die Agilität“, sagt er. „Solche Kampagnen sind nur schwer planbar.“ Jeder Campaign Leader setzt alles daran, einen guten Job zu machen. Beeinflussen kann er das Ergebnis aber kaum. Vielleicht kann ein Campaign Leader sein Vertriebsprojekt verderben; vieles hängt von ihm und seinem Team ab. Aber paradoxerweise kann er es nicht direkt zum Erfolg führen. Die Einflüsse und Umstände, die zum Auftrag führen, sind komplex und dynamisch: Stakeholder verändern sich oder ändern ihre Position. Entscheidungswege spielen eine Rolle, auch die politische Großwetterlage oder Ein aufgetauchtes U-Boot (Foto: © thyssenkrupp Marine Systems) 02_Fiebeler.indd 6 28.04.2020 14: 31: 36 Reportage | Das absolut geräuschlose Projekt 7 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 31. Jahrgang · 02/ 2020 DOI 10.2357/ PM-2020-0021 Parlamentswahlen mit überraschenden Wahlergebnissen. Da sind auch einem erfahrenen Campaign Team die Hände gebunden, wenn der politische Wind beim Kunden plötzlich aus einer anderen Richtung weht. Diese Bescheidenheit muss der Campaign Leader lernen. Er ist ein Wegbereiter, ein Ermöglicher - aber nicht derjenige, der einen Milliardenauftrag an Land zieht. Ein Kunde aus Asien hat Patrick Fiebeler einmal den klugen Satz mitgegeben: Der Gockel denkt, dass die Sonne aufgeht, weil er morgens kräht. „Zu lernen, kein Gockel zu sein und dies immer im Hinterkopf zu halten, war für mich als junger Projektmanager nicht leicht“, sagt Patrick Fiebeler. Früh wurde ihm viel Verantwortung übertragen. Er reiste um den Globus, ging völlig in der Welt auf, die ihm diese Projekte eröffneten. Doch am Ende begriff er: Er kann bestenfalls die Wahrscheinlichkeit für den Erfolg erhöhen. „Lehrt dies Demut? “, frage ich Patrick Fiebeler. Nach einer Pause antwortet er: „Erstaunlicherweise habe ich mir genau dieses Wort notiert bei der Vorbereitung auf unser Gespräch. Demut ist ein großes Wort. Doch es trifft den Kern.“ Neben Demut lehrte ihn die Zeit im Vertrieb auch etwas anderes: Projektmanagement. Rund 100 Ingenieure gleichzeitig entwickeln und konstruieren bei thyssenkrupp Marine Systems ein einzelnes U-Boot. Sie bewältigen 35.000 Einbauzeichnungen. Noch während die Konstrukteure die Pläne für das U-Boot zeichnen, startet der Bau. Die beiden Phasen überlappen. „Wir müssen sehr konzentriert vorgehen und beispielsweise aufpassen, dass am Ende noch alles hineinpasst“, erklärt Patrick Fiebeler. Buchstäblich hineinpasst: Der engste Punkt ist häufig das Luk. Vor einigen Jahren ging es um einen Plotttisch für die Operationszentrale eines Boots, das ist ein großflächiger Navigations-Kartentisch mit einer Glasscheibe, auf dem ein Punkt immer die aktuelle Position anzeigt. Das Problem: Diese Glasplatte musste damals ins Boot integriert werden, solange das im Bau befindliche Boot noch offen war. Durch das enge, stählerne Luk hätte die Platte später nicht mehr gepasst. Kann eine solche Komplexität einen einzelnen Projektmanager auch erdrücken? „Mit dem Druck der Komplexität musste ich erst umgehen lernen“, räumt Patrick Fiebeler ein. In der Projektspitze ist er nicht allein. Bei thyssenkrupp Marine Systems werden bestimmte Vorhaben von drei Projektmanagern geleitet: einem technischen, einem kaufmännischem und einem Gesamtprojektleiter. Trotzdem, es ist nicht leicht. Man braucht immer wieder Abstand zum Projekt, eine Art innere Distanz. Patrick Fiebeler findet da Ausgleich bei seiner jungen Familie. „Kinder rücken die Dinge schnell wieder zurecht und zeigen, dass es jenseits der Boote Wichtigeres gibt.“ Demut und der innere Respekt vor der Größe des Projekts und seinen Herausforderungen helfen. Aus Büchern kann man dies nicht lernen. Ein leider kürzlich und überraschend verstorbener Mentor stand Patrick Fiebeler zur Seite, als er mit Komplexität Erfahrungen sammelte und verstand, wie man mit ihrer Last zurechtkommen kann. „Er hat mir immer wieder Orientierung und Halt gegeben“, sagt Patrick Fiebeler.- „Etwas, das in der heutigen hektischen Zeit von Größe zeugt, die nur wenige besitzen." In seinem Unternehmen gibt es eine zunehmend starke Projektunterstützung. Kein Projektleiter entscheidet allein im stillen Kämmerchen. Gremien wie Steering Boards stehen ihm zur Seite; Templates, Prozesse und Genehmigungsverfahren stellen die Qualität sicher. Da helfen die Unternehmenskultur, das Qualitätsdenken und das Pflichtbewusstsein aller. Neben dem persönlichem Wachstum und der Unterstützung seines Unternehmens gibt ihm etwas weiteres Halt: Projektmanagement. Das ist für Patrick Fiebeler der Fels in der Brandung. Er ist heute nach IPMA Level B zertifiziert; für sich entdeckt hat er Projektmanagement während seiner Zeit als Campaign Leader und Vertriebsleiter. Als er vor zehn Jahren eine wichtige Kampagne leitete, fühlte er den Impuls, sich zum Projektmanager ausbilden zu lassen. Ihn begeisterte, wie strukturiert man Projekte planen und steuern kann, wenn man die richtigen Werkzeuge zur Hand hat. „Meine Kampagnen haben damals sämtliche Kompetenzelemente des Projektmanagements abgedeckt“, sagt er. „Was ich heute für die Abwicklung von technischen Vorhaben brauche, habe ich in den Kampagnen gelernt.“ Bei thyssenkrupp Marine Systems wechseln Vertriebsmitarbeiter in die technische Abwicklung - also in den Bau der beauftragten U-Boote. Dies ist völlig normal. Aus den etwa U-Boote sind lautlos unterwegs (Foto: © thyssenkrupp Marine Systems) 02_Fiebeler.indd 7 28.04.2020 14: 31: 39 Reportage | Das absolut geräuschlose Projekt 8 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 31. Jahrgang · 02/ 2020 DOI 10.2357/ PM-2020-0021 15bis 20-köpfigen Vertriebsteams gehen häufig fünf bis zehn Mitarbeiter in den Bau. Naheliegend: Sie sind in das Projekt eingearbeitet und stehen mit dem Kunden in vertrauensvoller Beziehung. Sie kennen die Stakeholder; vor allem sind ihnen die Details aus den 15 Aktenordnern an Angebotsunterlagen geläufig. Patrick Fiebeler schätzt, dass ein komplett neues Team sechs bis zwölf Monate braucht, um sich in solch ein Projekt einzufinden. Patrick Fiebeler blieb dem Vertrieb lange treu. „Bevor ich mein erstes Bauprojekt geleitet habe, habe ich vier große Kampagnen geleitet“, berichtet er. Drei Kampagnen waren erfolgreich, er hat dabei sein Projektmanagement professionalisiert. Es war für ihn eine gute Zeit. Am Ende verließ er den Vertrieb jedoch leichten Herzens. Das Familienleben litt; die Tätigkeit im Vertrieb war kaum zu planen. Außerdem veränderte sich dadurch die Herausforderung. „Beim Vertrieb starteten meine Projekte mit einem weißen Blatt Papier“, sagt Patrick Fiebeler, „bei der technischen Abwicklung fange ich heute mit 15 Aktenordnern an.“ Die Gestaltungsfreiheit des Vertriebs einzutauschen gegen die Herausforderung, Verträge zu erfüllen - dies reizte ihn. Er wurde technischer Projektleiter. Patrick Fiebeler erstellt heute selten selbst Risikoanalysen, Projektpläne oder Budgetübersichten. Vieles wird ihm zugeliefert; er bewertet die Arbeitsergebnisse. Dennoch, bei schwierigen Aufgaben hält er inne; er stellt sich die Frage, wie der weitere Weg in einem Projektmanagementlehrbuch beschrieben würde. „Komme ich nicht weiter, sage ich mir: Du hast Projektmanagement doch gelernt! Denk doch mal darüber nach, wie es nun handwerklich weitergehen kann. Dies gibt mir Rückhalt. Das schätze ich am Werkzeugkasten Projektmanagement. Er funktioniert eben fast immer.“ Die Gründlichkeit, mit der Patrick Fiebeler dieses Handwerkszeug gelernt hat, brachte ihn später zur Lehre. Er lehrt Projektmanagement an Hochschulen- - was ihm ebenso wenig wie U-Boot-Bau oder Projektmanagement selbst in die Wiege gelegt war. Bei der Vorbereitung auf seine Zertifizierungsprüfung wandte er einen alten didaktischen Trick an: Willst du etwas Lernen, erkläre es anderen. Schreibe es so auf, dass du den Lernstoff anderen vermitteln könntest. Patrick Fiebeler verdichtete seinen Lernstoff in Präsentationen, immer bereit, Methoden oder Modelle Fachfremden zu erklären. Nach bestandener Prüfung fand er die Folien zu schade zum Löschen. Also fragte er bei seiner ehemaligen Hochschule an, ob sie jemanden aus der Praxis für Seminare brauchen könnten. Dort griff man dankbar zu. Dem Projektmanager, der unter der Woche Tausende technische Anforderungen ins Gleichgewicht bringt, machen seine Wochenendseminare Spaß. Er zeigt Studenten, wie sie handwerklich Termine, Leistung und Qualität in den Griff bekommen und die Interessen der Stakeholder ausbalancieren. „Ich vermittle ihnen, dass Projektmanager nicht nur richtige oder falsche Entscheidungen treffen können, sondern auch gute oder schlechte - ganz im moralischen Sinn“, erklärt er. Oder nachhaltige und nicht-nachhaltige Entscheidungen. „Solche Betrachtungen gehören heute zum Projektmanagement dazu“, meint er. Bei seinen Lehrveranstaltungen lernt er auch selbst. Die Arbeit mit den Studenten bringt ihn auf neue Gedanken, hilft ihm, das Projektmanagement aus einem neuen Blickwinkel zu betrachten. „Ich habe keine Strichliste geführt, wie viele Ideen ich aus den Veranstaltungen bereits mitgenommen habe“, sagt er, „es sind aber bestimmt Dutzende.“ Auch im eigenen Unternehmen fühlt er sich als Verfechter des Projektmanagements. Zuletzt vor einigen Monaten professionalisierte er die Netzplantechnik, indem er die bis dahin verwendeten Pläne etwa für Termine, Kapazitäten und Kalkulationen zusammenführte und mit dem Wissen seiner Experten anreicherte. „Netzpläne wurden seinerzeit für das Apollo-Raumfahrtprogramm entwickelt“, erklärt er, „sie sind ideal für hochkomplexe Projekte.“ Häufig macht er in Teambesprechungen nicht nur das Projekt zum Inhalt, sondern auch das Projektmanagement. Er erklärt seinen Mitarbeitern beispielsweise, was ein kritischer Pfad ist und was man an ihm ablesen kann. Oder wie man sich in Verhandlungssituationen verhält. Damit will er nicht die Arbeitsweise in seinem Unternehmen auf den Kopf stellen, ganz im Gegenteil. Althergebrachte Arbeitsweisen betrachtet er mit Respekt. „Viele Arbeitsweisen hat man im Laufe unserer Unternehmensgeschichte Die Werft in Kiel (Foto: © thyssenkrupp Marine Systems) 02_Fiebeler.indd 8 28.04.2020 14: 31: 40 Reportage | Das absolut geräuschlose Projekt 9 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 31. Jahrgang · 02/ 2020 DOI 10.2357/ PM-2020-0021 hundertfach erprobt, hinterfragt, umgedreht und verändert“, sagt er. Es wäre widersinnig, nicht auf diesen Erfahrungen aufzubauen. Doch man muss fein unterscheiden, ob man an solider Erfahrung festhält - oder sich sträubt, Methodik neu zu denken. Zum Know-how muss das „Know-why“ hinzukommen. Warum folgen wir althergebrachten Abläufen? Weshalb tun wir Dinge, wie wir sie tun? „Wir bauen in unserem Unternehmen seit vielen Jahrzehnten U-Boote. Dies ergibt einen enormen Erfahrungsschatz, der für uns ein wichtiger Wettbewerbsvorteil ist.“ Also Know-why. Darunter fällt für Patrick Fiebeler auch professionelles Projektmanagement. Projektmanagement ist für ihn das geronnene Wissen aus unzähligen Projekten. Wer weiß, weshalb er bestimmte Methoden verwendet, der findet im Projektmanagement einen echten Leuchtturm. Querschnittdarstellung eines U-Bootes (Abbildung: © thyssenkrupp Marine Systems) Fragen an Patrick Fiebeler Oliver Steeger Herr Fiebeler, beim Bau von U-Booten befassen Sie sich mit der Tiefe des Meeres. Vor einiger Zeit haben Sie ein PM-Training ausgerechnet in einem Flugsimulator absolviert-- also quasi das Element gewechselt: vom Wasser zur Luft. Wie kommt es dazu, dass Sie Projektmanagement ausgerechnet in einem Flugsimulator trainiert haben? Da hat ein alter Kindheitstraum mitgespielt. Als Kind wollte ich immer Pilot werden … Nicht Kapitän oder U-Boot-Kommandant? Nein, überhaupt nicht. Pilot zu werden war mein Berufstraum als kleiner Junge. Und als mir dieses Training angeboten wurde, kam mir dieser alte Traum in Erinnerung. Ich wollte einmal selbst am Steuerknüppel sitzen - wenn auch am Ende nur im Simulator. Offen gesagt, dies hat stark mitgewirkt an meiner Entscheidung. Am Ende hat das Training am Flughafen Salzburg Ihnen nicht nur Spaß gemacht, sondern auch zu einigen Erkenntnissen und Aha-Erlebnissen verholfen. Was hat Ihnen dieses Training zum Thema Projektmanagement gebracht? Spaß hat es wirklich gemacht! Wir wurden mit so einem typischen Follow-Me-Wagen zum Simulator gebracht. Doch schon während des Briefings habe ich erkannt, dass man einen Flug als Projekt und Teamwork verstehen kann. Im Cockpit sitzen ein Pilot, ein Co-Pilot sowie ein Navigator, der auch die Kommunikation übernimmt. Der Pilot übrigens fliegt meist nicht, sondern der Co-Pilot. Wir mussten im Simulator überlegen, wie wir unser Team optimal aufstellen. Dann haben wir berechnet, wie lange der Flug dauert … Termine … … was er kostet und wieviel Kraftstoff verbraucht wird, also das Budget. Und wie man sicher zum Ziel kommt: Quali- 02_Fiebeler.indd 9 28.04.2020 14: 31: 41 Reportage | Das absolut geräuschlose Projekt 10 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 31. Jahrgang · 02/ 2020 DOI 10.2357/ PM-2020-0021 Patrick Fiebeler Patrick Fiebeler, Jahrgang 1982, ist Projektleiter (IPMA-Zertifizierung Level B) bei thyssenkrupp Marine Systems und hat internationale Programme mit Milliardenbudget verantwortet. Zuvor war er bei dem Kieler Unternehmen unter anderem als Vertriebsleiter tätig. Patrick Fiebeler hat Wirtschaftsingenieurwesen an der FH Nordakademie studiert, ein dualer Studiengang, der ihn mit thyssenkrupp Marine Systems in Verbindung brachte. Nebenbei ist er als Dozent für Projektmanagement an der FH Nordakademie sowie an der FH Kiel tätig. - In seiner Freizeit treibt der Familienvater gerne Sport. Ja, in etwa. Vielleicht kommt dann ein Projekt wirklich mal kurz ins Trudeln. Eine weitere Erfahrung hat mir geholfen: Der Umgang mit Krisen ist im Projektmanagement generell wichtig. Es lohnt sich, klare Muster und Wege für Entscheidungen zu finden - und diese dann zu trainieren. Besonders das Trainieren ist wichtig. Erinnern Sie sich an den Piloten, der vor einigen Jahren den Flieger im Hudson River notgewassert hat? Das war im Januar 2009. Der Pilot habe, so sagt man, ein Kunststück vollbracht. Das hat er wirklich! Ihm blieben drei Minuten Zeit, das Flugzeug für die Notwasserung vorzubereiten. Man hat ihn später gefragt, wann er sich entschieden habe, eine Notwasserung durchzuführen. Er antwortete: vor Jahrzehnten, nämlich bei der Ausbildung, als er das Verhalten in diesem Notfall das erste Mal geübt habe. Von solch einem Krisentraining könnten wir im Projektmanagement profitieren. tät. Das sind Dinge, die wir ja im Projektmanagement bestens kennen. Und Führung? Wir haben nachgedacht, wie wir Entscheidungen treffen oder mit Konfliktsituationen oder Krisen umgehen. Dann sind wir losgeflogen, und nach der Landung haben wir uns gegenseitig Feedback gegeben. Klingt simpel … Es war alles andere als simpel. Ich habe im Simulator viele Kompetenzelemente aus dem Projektmanagement wiedererkannt. Darüber hinaus habe ich viel persönlich gelernt, etwa über den Umgang mit Stress und mit kritischen Situationen … Kritische Situationen - inwiefern? Wenn beispielsweise Triebwerke ausfallen. In der Luftfahrt gilt ein wichtiger Grundsatz. Im Notfall hat der Pilot nur eine Aufgabe: das Flugzeug kontrolliert in der Luft zu halten. Dies nennt sich „maintaining aircraft control“. Also weiterfliegen, den Flug absichern. Man kann ja nicht anhalten, die Abdeckung der Turbine öffnen und das Problem lösen. Während der Pilot weiterfliegt, kümmern sich die anderen Teammitglieder darum, die Schwierigkeiten in den Griff zu bekommen. Für das Projektmanagement habe ich gelernt: Sie brauchen immer jemanden, der sich in Krisen ganz darauf konzentriert, das Projekt „weiterzufliegen“ - derweil die anderen Probleme lösen. Gilt dies nur für Notlagen? Nein, dies gilt generell. Bin ich als Projektmanager etwa auf Dienstreise, arbeiten daheim in Kiel rund 100 Ingenieure an dem U-Boot. Halten Sie als Projektmanager während der Dienstreise nicht gleichzeitig auch die Aufgabe „maintaining aircraft control“ im Blick … … brauchen Sie sich nicht zu wundern, wenn Ihr Projekt ins Trudeln kommt? Foto: privat Anzeige Project Office ist Enterprise-Software für beeindruckende Projekte wie den Gotthard-Basistunnel. Agiles Teamwork und hohe Prozesssicherheit verbinden sich dabei zu konsequent hybridem Projektmanagement. Mit agilen Elementen wie Task Boards, Issues und Activities machen Sie Ihre Teams schneller und produktiver. 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