PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
pm
2941-0878
2941-0886
UVK Verlag Tübingen
10.2357/PM-2020-0025
511
2020
312
GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.Agil und lean in Bauprojekten
511
2020
Katharina Lennartz
Rainard Osebold
Das agile Mindset geht davon aus, dass Projekte in einem volatilen Umfeld zu Beginn nicht vollkommen gedanklich durchdrungen und vorhergesagt werden können. Die traditionelle, plangetriebene Vorgehensweise zum Managen von Projekten wird daher aus dieser Perspektive als wenig erfolgversprechend eingestuft. Auch in Bauprojekten kommt es bei der Einhaltung von Qualitäts-, Kosten- und Terminzielen häufig zu Problemen. Die Adaption agiler Methoden aus der IT-Welt könnte – wie es die erfolgreiche Einführung des Lean Construction in der Bauausführungsphase gezeigt hat – vorrangig in der Planungsphase von Bauprojekten einen Mehrwert für Bauherren und Planungsteams stiften.
pm3120033
Agil und lean in Bauprojekten Katharina Lennartz, Rainard Osebold Für eilige Leser | Das agile Mindset geht davon aus, dass Projekte in einem volatilen Umfeld zu Beginn nicht vollkommen gedanklich durchdrungen und vorhergesagt werden können. Die traditionelle, plangetriebene Vorgehensweise zum Managen von Projekten wird daher aus dieser Perspektive als wenig erfolgsversprechend eingestuft. Auch in Bauprojekten kommt es bei der Einhaltung von Qualitäts-, Kosten- und Terminzielen häufig zu Problemen. Die Adaption agiler Methoden aus der IT-Welt könnte - wie es die erfolgreiche Einführung des Lean Construction in der Bauausführungsphase gezeigt hat - vorrangig in der Planungsphase von Bauprojekten einen Mehrwert für Bauherren und Planungsteams stiften. Schlagwörter | Agile Methoden, Bauprojekte, Design Thinking, Kanban, Kontinuierlicher Verbesserungsprozess, Lean Construction, Projektmanagement, Scrum In einem zunehmend dynamischen und volatilen Umfeld ist auch die Baubranche ständigen Veränderungsprozessen ausgesetzt. Klassische Methoden des Projektmanagements basierend auf dem linearen Wasserfallmodell stoßen hier immer deutlicher an ihre Grenzen, was sich bspw. durch fehlerhafte Planungen, Termin- und Kostenüberschreitungen äußert. Die Kultur und Denkmuster in Bauprojekten sind oft von Misstrauen, Konflikten und streitigen Auseinandersetzungen geprägt. Insbesondere im Kontext des steigenden Fachkräftemangels und Kräfteverschleißes wird der Wunsch nach harmonischen und partnerschaftlichen Geschäftsbeziehungen sowie attraktiven Arbeitsumgebungen in der Baubranche immer lauter. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob die Anwendung agiler Methoden in einem grundsätzlich durch Kreativität und das Denken in Varianten geprägten Prozess der Bauplanung Antworten auf die beschriebenen Probleme liefern könnte. 1 Agiles Manifest und Grundprinzipien Der Begriff der Agilität ist nicht eindeutig definiert. Als Synonyme werden Begriffe wie Gewandtheit, Vitalität und Wendigkeit angegeben. [1] Allen Definitionen gemein ist die Tatsache, dass es sich um eine Management-Fähigkeit in einem dynami- Wissen Agil und lean in Bauprojekten DOI 10.2357/ PM-2020-0025 31. Jahrgang · 02/ 2020 Abbildung 1: Agiles Manifest [2] 33 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 31. Jahrgang · 02/ 2020 DOI 10.2357/ PM-2020-0025 06_Lennartz.indd 33 28.04.2020 14: 35: 01 schen Umfeld handelt. In der IT-Branche kommen agile Methoden bereits seit einigen Jahren zur Anwendung. Im Jahr-2001 vereinbarten sich Fachleute der IT-Welt auf das sogenannte Agile Manifest, in dem die Grundwerte für ein agiles Projektmanagement niedergeschrieben wurden (siehe Abb. 1). Das Agile Manifest rückt den Menschen in den Fokus der Betrachtungen-- hiermit sind nicht nur Kunden gemeint, mit denen eine enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit angestrebt werden soll, sondern auch Dienstleistende, die im Rahmen des Projekts einen Mehrwert für ihre Kunden zu generieren versuchen, sowie andere Stakeholder. Die Auslieferung funktionierender Software sowie die Möglichkeit, auf Änderungen während des Projektverlaufs eingehen zu können, werden als weitere Maximen über den Stellenwert einer Dokumentation bzw. das Festhalten eines zu Projektbeginn fixierten Lasten- und Pflichtenhefts konstituiert. [2] Gemäß Verheyen werden daher folgende Attribute als für agile Methoden kennzeichnend beschrieben [3]: • der Mensch im Fokus • dienendes Führen • iterativ-inkrementeller Prozess • messbarer Erfolg • Veränderung 1.1 Der Mensch im Fokus Bei agilen Methoden steht grundsätzlich die kontinuierliche Zusammenarbeit von Menschen unterschiedlicher Fachdisziplinen, Abteilungen, Herkunft und Prägungen im Fokus. Das vom Gesamtprozess losgelöste Abarbeiten einzelner Aufgabenpakete jeder Abteilung oder Fachdisziplin soll durch eine enge Verzahnung sowie regelmäßige, ritualisierte und professionalisierte Kommunikation zugunsten echter Zusammenarbeit verhindert werden. Das Arbeitspensum der Mitarbeiter soll dabei auf einem Level gehalten werden, das durch diese langfristig leistbar ist, ohne gesundheitlichen Schaden zu nehmen. Dieser Grundsatz wird als Idee der vertretbaren Arbeitsgeschwindigkeit (engl. „sustainable pace“) beschrieben. [3] 1.2 Dienendes Führen Nachdem die Standish Group im Rahmen einer Langzeitstudie über das Projektmanagement in IT-Projekten wiederholt Defizite sowie niedrige Erfolgsraten von nur 10-20- % nachgewiesen hatte und diese als Folge der Verankerung des tayloristischen Menschenbildes aus dem industriellen Zeitalter identifiziert wurden, entwickelte sich in den 1990er Jahren eine neue Weltanschauung basierend auf einem deutlich abweichenden Menschenbild. Dieses Menschenbild geht von intrinsisch motivierten Arbeitnehmern aus, die ihre Fähigkeiten und Kreativität verantwortlich einbringen und dafür Wertschätzung erfahren möchten. In agilen Teams wird auf Grundlage dieses Menschenbildes bewusst auf Befehls- und Kontrollmechanismen durch Vorgesetzte verzichtet. Die managementseitige Führung solcher Teams versteht sich daher als dienende Führung (engl. „servant leadership“), die lediglich einen geeigneten Rahmen für die Selbstorganisation des Teams vorgibt. [3] 1.3 Iterativ-inkrementeller Prozess Agile Prozesse sind durch Iterationen in Form von regelmäßigen Feedback-Schleifen geprägt. Im Rahmen dieser Feedback-Zyklen werden Teile der Gesamtleistung als sogenannte Abbildung 2: Projektverlauf bei Anwendung von Scrum [4] Inkremente mit einem klaren Wert für den Kunden erschaffen, einem Review unterzogen, verändert, optimiert, überarbeitet und erweitert. Ständige Qualitätskontrollen erfolgen durch das Team sowie durch regelmäßiges Feedback von Seiten des Kunden. Eklatante Diskrepanzen zwischen den Vorstellungen des Kunden sowie dem tatsächlichen Output sollen auf diese Weise systemisch und kontinuierlich vermieden werden. [4] 1.4 Messbarer Erfolg Erfolg wird in agilen Projekten nicht durch die bloße Übereinstimmung des Outputs mit Plänen, Meilensteinen, Listen und sonstigen Anforderungsdokumenten, die zu Projektbeginn erstellt wurden, gemessen, sondern in der Funktionsfähigkeit und Nützlichkeit des Produkts sowie in dem für den Kunden entstehenden Mehrwert des Projektergebnisses. [3] Dies macht eine regelmäßige Kommunikation und enge Zusammenarbeit mit dem Kunden während des Erstellungsprozesses unverzichtbar. 1.5 Veränderung Eine zunehmend volatile Projektumgebung, die durch nicht vorhersehbare Änderungen wie die Entwicklung von Märkten und Mitbewerbern, die Verschiebungen von Prioritäten, neue Möglichkeiten durch technische Entwicklungen sowie ständig neue Einblicke zur Folge hat, führt dazu, dass ein professioneller Umgang mit Änderungen im Projektverlauf unverzichtbar ist. Agile Prinzipien setzen ein andersartiges Grundverständnis des Begriffs der Veränderung voraus. Während Veränderungen in klassisch organisierten Projekten als störende Unterbrechung empfunden werden, werden sie in agilen Projekten als natürlicher Teil des Prozesses und Innovationsquelle verstanden. [4] 2 Agile Methoden Es gibt eine Vielzahl agiler Managementmethoden, die sich auf die zuvor beschriebenen Grundwerte berufen. Einer Studie der Deutschen Gesellschaft für Projektmanagement zufolge wird Scrum als bedeutendstes Vorgehensmodell der agilen Welt bewertet. [5] Zu den weiteren bekannten Methoden gehören Kanban und Design Thinking. 2.1 Scrum Scrum ist ein in den 1990er Jahren entwickeltes agiles Managementframework aus der Softwareentwicklung, das mit drei Rollen, fünf Ereignissen und drei Dokum enten wenig verbindliche Regeln vorgibt. Vielmehr stellt es ein Rahmenwerk Wissen | Agil und lean in Bauprojekten 34 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 31. Jahrgang · 02/ 2020 DOI 10.2357/ PM-2020-0025 06_Lennartz.indd 34 28.04.2020 14: 35: 01 dar, das projektspezifisch ausgestaltet werden kann. Die Bezeichnung „Scrum“ stammt aus dem Rugby Sport und kann mit „Gedränge“ übersetzt werden. Es handelt sich dabei um einen relevanten und komplizierten Spielzug, der nur durch präzise abgestimmte Teamarbeit gelingen kann. [6] Der Projektverlauf bei der Anwendung von Scrum (siehe Abb. 2) beginnt damit, sämtliche Anforderungen aus Sicht des Kunden zu sammeln und im sogenannten Product Backlog zusammenzustellen. Dabei handelt es sich um eine priorisierte Anforderungsliste, die das fertige Produkt erfüllen sollte. Diese Anforderungen werden in zeitlich fixierten und aufeinanderfolgenden Zeitfenstern von maximal 30- Tagen, sogenannten Sprints, umgesetzt. Dazu werden die am höchsten priorisierten Anforderungen in das sogenannte Sprint Backlog übernommen, welches die im kommenden Sprint umzusetzenden Deliverables enthält und somit eine Teilmenge des Product Backlog darstellt. Im Rahmen eines Sprints wird ein funktionierendes sowie möglichst in sich geschlossenes Teilprodukt entwickelt und anschließend ein Feedback des Kunden zu dieser Teilleistung eingeholt. Anhand dieses Feedbacks wird das Product Backlog angepasst und das nächste Sprint Backlog erstellt, bevor die nächste Iteration beginnt. Um eine durchgängige Abstimmung im Team zu gewährleisten, stimmt sich dieses täglich im sogenannten Daily Scrum über den aktuellen Arbeitsstand und etwaige Probleme ab. Am Ende des Sprints gibt es neben dem Sprint Review, in dem der Kunde sein Feedback zu den im letzten Sprint erarbeiteten Leistungen gibt, eine Sprint Retrospektive, in der das Scrum Team die Prozesse des vergangenen Sprints reflektiert und selbstverantwortlich über Änderungen in der Vorgehensweise entscheidet. Das Scrum Team besteht neben dem selbstorganisierten Umsetzungsteam aus dem Product Owner, der das Product Backlog verantwortet, und dem Scrum Master, der als „Servant Leader“ den Beteiligten dabei behilflich ist, sämtliche Scrum Regeln zu verstehen und dafür Sorge trägt, dass das Team ungestört arbeiten kann. [7] 2.2 Kanban Kanban ist eine Change-Management-Methode, mit der durch Anderson 2007 einige Grundgedanken des Lean Management in die Branche der Softwareentwicklung transformiert wurden. Die Methode beruht insbesondere auf verbrauchsgesteuerten Prozessen, dem Pull-Prinzip, der Visualisierung von Arbeitsschritten, sogenannten Workflow Steps, sowie den namensgebenden Signalkarten (jap. „kan-ban“). Am Kanban Board werden einzelne Arbeitspakete, visualisiert durch Karten, je nach dem Status ihrer Bearbeitung in Spalten (bspw. mit den Überschriften ‚To Do‘, ‚Work in Progress‘, ‚Done‘) gegliedert. [8] Gemäß dem Grundgedanken von Kanban wird pro Teammitglied ein Work in Progress Limit (WIP-Limit) vereinbart. Dieses soll ineffizientes Arbeiten oder eine Überforderung der Teammitglieder durch zu viele parallel durchgeführte Tätigkeiten verhindern. [4] Da in Kanban nur wenige Regeln verbindlich definiert sind, kommt es in vielen Fällen in Kombination mit weiteren agilen Managementmethoden zum Einsatz. Insgesamt gaben nur 20- % der Teilnehmenden der oben erwähnten Studie „Status Quo Agile“ an, agile Methoden in Reinform anzuwenden. [5] Hybride Systeme, die die Vorteile von Scrum und Kanban zu vereinen suchen, kommen in der Praxis unter dem Begriff ScrumBan zum Einsatz. Dabei werden die oben beschriebenen Rollen, Ereignisse und Dokumente aus dem Scrum Framework mit Grundprinzipien des Kanban, insbesondere einer Visualisierung der Arbeitspakete sowie der Limitierung angefangener Arbeiten, kombiniert. [9] 2.3 Design Thinking Design Thinking ist eine an der Stanford University entwickelte Methode, die zur Ideenfindung und Unterstützung kreativer Herausforderungen in multidisziplinären Teams eingesetzt wird. Grundsätzlich basiert die Methode auf einem mehrstufigen Vorgehen, das sich auf folgenden Kernprinzipien stützt: • Multiperspektivität • Nutzerzentriertheit • Lernend nach vorne gehen In der Literatur wird der Prozess mit einer unterschiedlichen Anzahl an Phasen dargestellt, denen jedoch allen die Nutzerfokussierung, das Testen von Prototypen sowie das Prinzip der Iteration gemein ist. [10] Gemäß Abb. 3 soll zunächst der Blickwinkel des interdisziplinären Projektteams zu einer 360°-Perspektive erweitert und die Planung des Vorhersehbaren aufgenommen werden. Anschließend wird die Formulierung eines Ziels sowie von Interaktionsregeln angestrebt. Darüber hinaus ist die Anfrage des Kunden bzw. die zu lösende Herausforderung eingehend zu durchdringen und zu verstehen, um ein Ansetzen am falschen Problem zu vermeiden. Es gilt weiterhin, den späteren Anwender oder Nutzer eines Produkts bzw. Objekts mit seinen Wünschen und Bedürfnissen durch eine genaue Beobachtung seiner Gewohnheiten zu erfassen. Als besonders relevant wird hierbei erachtet, dass die Beobachtungen tatsächlich am Ort des Geschehens durchgeführt werden. Die gewonnenen Erkenntnisse werden zusammengetragen und zu einem stimmigen Gesamtbild synthetisiert, bevor die Phase der Ideengenerierung beginnt. Dabei sollte zunächst unreflektiert eine hohe Anzahl an Ideen fixiert werden, bevor diese hinsichtlich ihrer Tauglichkeit, Machbarkeit, Wirtschaftlichkeit etc. gewertet und sondiert werden. Im Anschluss werden von den vielversprechendsten Ideen Prototypen entwickelt, um diese erlebbar zu machen und dem Nutzer die Gelegenheit zu interaktiven Tests bieten zu können. Das gewonnene Feedback gibt Input für Optimierungen und etwaige Alternativen, bevor letztlich eine Implementierungsstrategie ausgearbeitet wird. Mit diesem ganzheitlichen Vorgehen soll Abbildung 3: Design Thinking Prozess [10] Wissen | Agil und lean in Bauprojekten 35 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 31. Jahrgang · 02/ 2020 DOI 10.2357/ PM-2020-0025 06_Lennartz.indd 35 28.04.2020 14: 35: 01 ein Kreativraum geschaffen werden, der die Lösung komplexer Probleme ermöglicht. [10] 3 Implementierung in Bauprojekte In einem zunehmend dynamischen und volatilen Umfeld sind Bauprojektteams ständigen Veränderungsprozessen und Unsicherheit ausgesetzt. Klassische Methoden des Projektmanagements basierend auf dem linearen Wasserfallmodell stoßen immer deutlicher an ihre Grenzen, was sich bspw. durch fehlerhafte und sich ändernde Planungen, Termin- und Kostenüberschreitungen äußert. Nachfolgend wird untersucht, ob der Status Quo eine Adaption des agilen Mindsets in die Baubranche sinnvoll erscheinen lässt, welche Methoden in welchen Projektphasen entscheidende Mehrwerte generieren könnten und was bei der Implementierung zu beachten ist. 3.2 Status Quo und aktuelle Herausforderungen Nicht nur medienbekannte Projekte wie bspw. der Berliner Flughafen oder die Hamburger Elbphilharmonie sind von erheblichen Termin- und Kostenüberschreitungen betroffen, die zur Unzufriedenheit des Auftraggebers führen. Nach einer Studie der Hertie School of Governance unter der Leitung von Kostka kommt es bei deutschen Hochbauprojekten durchschnittlich zu Kostensteigerungen von 44- %. [11] Die Kultur und Denkmuster in Bauprojekten sind oft von Misstrauen, Konflikten und streitigen Auseinandersetzungen geprägt. Insbesondere im Kontext des steigenden Fachkräftemangels und Kräfteverschleißes wird der Wunsch nach harmonischen und partnerschaftlichen Geschäftsbeziehungen sowie attraktiven Arbeitsumgebungen in der Baubranche immer lauter. Die Softwareentwicklungsbranche sah sich in einer ähnlich unzufriedenstellenden Situation, bevor dort agile Methoden entwickelt wurden. Im Jahr 2017 sahen 73- % der Anwender deutliche Ergebnis- und Effizienzverbesserungen bei der Anwendung agiler Methoden [5], weshalb diese auch in der Baubranche zu einer Optimierung beitragen könnten. 3.2 Adaption von Methoden auf andere Branchen Bei der Übertragung von Methoden auf eine andere Branche ist allerdings zunächst zu hinterfragen, ob die Rahmenbedingungen der beiden Branchen grundsätzlich Ähnlichkeiten aufweisen bzw. in welchen fundamentalen Punkten Unterschiede vorliegen. In einem zweiten Schritt können folgende Fragen bei der Entscheidung über die geeignete Methode helfen [12]: • Wie hoch ist die Komplexität des Projekts? • Wie groß ist das Team für die Realisierung und wie unterschiedlich sind die Interessen der einzelnen Teammitglieder? • Wie schnell und flexibel muss während der Implementierung auf Veränderungen reagiert werden können? • Wie groß können entsprechende Iterationsschritte gewählt werden? • In welcher Phase befindet sich das Projekt? Ist die Entscheidung für eine Vorgehensmethode getroffen, so sind anschließend die Anwendungsvoraussetzungen der Methoden zu eruieren und es ist zu prüfen, ob diese erfüllt werden können. Darüber hinaus ist zu hinterfragen, wie die betrachteten Prozesse der unterschiedlichen Branchen beschaffen sind und wie sie beschaffen sein sollten, um optimale Ergebnisse zu erzielen. Abbildung 4: Lean vs. agile Prinzipien [3] 3.3 Lean vs. agil - eine Gegenüberstellung So wie die Grundlagen des Lean Management basierend auf dem Toyota Produktionssystem vor einigen Jahrzehnten als Lean Construction Einzug in die Baubranche hielten (siehe hierzu auch den Artikel „Shopfloormanagement in der Bauausführung“ in Ausgabe 5/ 2019), könnte das Agile Management in den kommenden Jahren aus der IT-Branche adaptiert werden. Bei beiden Ansätzen handelt es sich um „Sammlungen von Denkwerkzeugen und ineinander verwobenen Prinzipien, die Menschen ausbilden, motivieren, wertschätzen und ihnen dabei helfen, ihre Arbeit und Arbeitsweise kontinuierlich zu optimieren.“ [3] Abb. 4 zeigt die durchaus vorhandenen Parallelen der beiden Managementprinzipien, die auf der Achtung des Menschen, der Integration des Kunden sowie ganzheitlicher Optimierung und der Vermeidung von Verschwendung durch hohe Qualitätskriterien beruhen. Sanchez und Nagi legen dennoch großen Wert auf die Unterscheidung der beiden Ansätze Lean und Agil, da sie jeweils aus Antworten auf sehr unterschiedliche Problemstellungen erwachsen sind: „Lean manufacturing is a response to competitive pressures with limited resources. Agile manufacturing, on the other hand, is a response to complexity brought about by constant change.” [13] Auch Timinger ist der Meinung, dass Lean Projektmanagement trotz vieler Gemeinsamkeiten nicht mit agilem Projektmanagement gleichzusetzen ist. [9] In der Literatur sind unterschiedliche Ansichten darüber zu finden, in welcher Beziehung die beiden Managementansätze zueinanderstehen. Zusammenfassend ist zu konstatieren, dass beim Lean Ansatz die Optimierung des Entstehungsprozesses, im agilen Vorgehen das zu entwickelnde Produkt im Fokus steht. Gemäß Verheyen sind bei der Anwendung beider Ansätze erhebliche Synergieeffekte zu erwarten. [14] 3.4 Differenzierung zwischen Planung und Ausführung Bei der Anwendung agiler und leaner Methoden in Bauprojekten ist explizit zu hinterfragen, welche Prozesse in welchen Phasen des Projekts typischerweise dem Grundsatz der Stabilität bzw. dem der Agilität folgen sollten. Dabei ist aus Sicht der Autoren aufgrund divergierender Charakteristika eine separate Betrachtung von Planungs- und Ausführungsphase vorzunehmen: Während die anfängliche Konzeptions- und Planungsphase in Bauprojekten von Kreativität und dem Denken in Varianten geprägt ist, wird in der Ausführungs- Wissen | Agil und lean in Bauprojekten 36 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 31. Jahrgang · 02/ 2020 DOI 10.2357/ PM-2020-0025 06_Lennartz.indd 36 28.04.2020 14: 35: 01 phase auf die Stabilität der Prozesse und damit verbunden auf eine äußerst belastbare Ressourcenplanung Wert gelegt. In der Ausführungsphase ist in Anlehnung an die Automobilindustrie eine Tendenz zur Vorfertigung, Modularisierung und Standardisierung zu beobachten, um Ausführungszeiten zu reduzieren, Baumängel zu minimieren und Kosten einzusparen. [15] Folglich ist die Anwendung agiler Methoden in der Planungsphase von Bauprojekten als grundsätzlich naheliegender zu betrachten, während in der Ausführungsphase die Anwendung von Methoden aus dem Lean Management sinnvoll erscheint (siehe Abb. 5). Letztere kommen bspw. in Form des Last Planner Systems nach Ballard [16] oder der Taktplanung bereits auf zahlreichen Baustellen zur Anwendung. Da die Ursprünge des Lean Management in der Serienfertigung der Automobilbranche liegen, können insbesondere in Projekten mit einem hohen Wiederholungscharakter wie Hotels, Bürogebäuden oder Krankenhäuser große Potenziale gehoben werden. Die Anwendung agiler Methoden in der Bauplanung ist nach Recherchen der Autoren zum aktuellen Zeitpunkt noch wenig verbreitet, weshalb an dieser Stelle weiterer Forschungsbedarf besteht. Grundsätzlich können prozessuale Parallelen zwischen der Entwicklung eines Gebäudekonzepts sowie einer Software-Lösung konstatiert werden, was die Adaption agiler Methoden sinnvoll erscheinen lässt. Welche der oben vorgestellten agilen Methoden sich zur Anwendung in der Bauplanung besonders eignet oder ob eine Kombination, also ein sogenanntes hybrides Modell, die größten Potenziale birgt, ist umstritten und bislang wenig erforscht. Grundsätzlich kann festgestellt werden, dass sowohl die Beschaffenheit des Projekts als auch die Kompetenzen des Bauherrn und des Planungsteams sowie unternehmensspezifische Besonderheiten wichtige Kriterien bei der Auswahl der geeigneten Methodik darstellen. Je nach Umfang des Projekts und des Planungsteams kann die Anwendung einer geeigneten Skalierungsmethode erforderlich werden. 3.5 Wertevor Methodenebene Sowohl bei der Implementierung von agilem als auch von Lean Management ist der Verinnerlichung der Grundwerte besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Das zugrunde liegende Wertegerüst sowie die Maxime der Kunden- und Qualitätsorientierung sind Grundsteine beider Managementphilosophien und sollten über den gesamten Projektverlauf phasenübergreifend verankert werden (siehe Abb. 5). Dieser mitunter weitreichende und langandauernde Implementierungsprozess ist vorab sorgfältig zu durchdenken und unternehmensspezifisch auszugestalten. Die Erfahrung zeigt, dass die eigentliche Implementierung auf der Methodenebene vergleichsweise unkompliziert ablaufen kann, sofern die Implementierung auf der Werteebene erfolgreich durchgeführt werden konnte. Je nach Anwendungsfall kann dieser Prozess von Organisationsberatern oder Change Management Experten angestoßen und begleitet werden, insbesondere wenn eine Implementierung für das gesamte Unternehmen und nicht nur für einzelne Projekte angestrebt wird. Die Einführung des agilen Mindsets hat bestenfalls nicht nur Auswirkungen auf die Arbeitsweisen und die Rollen in Projekten, sondern auch auf die Unternehmens- und Fehlerkultur. Dieser Prozess des Wandels sollte unbedingt von den Mitarbeitern mitgetragen und nicht ausschließlich Top-Down implementiert werden. Junge Mitarbeiter können dabei als Treiber solcher Entwicklungen fungieren, da für sie ein harmonisches und selbstbestimmtes Arbeitsumfeld oftmals eine entscheidende Rolle spielt. [17] 4 Fazit und Ausblick In Zeiten besonders volatiler Projektumgebungen scheint es für die Anwendung agiler Methoden auch in der Baubranche Potenzial zu geben, um bestehenden Herausforderungen zu begegnen. Die Studie „Status Quo Agile“ zeigt, dass agile Methoden zwar nach wie vor am häufigsten in der IT-Branche zur Anwendung kommen, jedoch auch in IT-nahen Bereichen sowie bei Themen ohne direkten IT-Bezug bereits erfolgreich eingesetzt werden und höhere Erfolgsquoten im Vergleich zum klassischen Projektmanagement aufweisen. [18] Durch die regelmäßige Auslieferung funktionierender Teilleistungen, geregelte Kommunikations- und Reflexionstermine, einen engen Kontakt zum Kunden sowie häufige Feedback-Schleifen können Änderungen im Projekt als Mehrwert verstanden und als Innovationsquelle genutzt werden. Dabei scheint die An- Abbildung 5: Methodenwahl in Bauprojekten nach Projektphase Wissen | Agil und lean in Bauprojekten 37 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 31. Jahrgang · 02/ 2020 DOI 10.2357/ PM-2020-0025 06_Lennartz.indd 37 28.04.2020 14: 35: 01 wendung agiler Methoden in der Planungsphase von Bauprojekten als besonders mehrwertstiftend, während diverse Methoden des Lean Management bereits als Lean Construction in der Bauausführungsphase zum Einsatz kommen. Zurzeit wird am Lehrstuhl für Baubetrieb und Projektmanagement der RWTH Aachen University auch anhand von empirischen Studien erforscht, welche agilen Methoden sich für eine Adaption in die Baubranche besonders eignen sowie ob und welche branchenspezifischen Anpassungen erforderlich sind. Literaturverzeichnis [1] Dudenredaktion (Hrsg.): Duden Synonymwörterbuch, 2019 [2] Beck, K. et al.: Manifest für Agile Softwareentwicklung, 2001 [3] Verheyen, G.: Scrum-- Ein Wegweiser für den bewussten Entdecker, 2017 [4] Preußig, J.: Agiles Projektmanagement, 2015 [5] Komus, A./ Kuberg, M.: Status Quo Agile, 2017 [6] Pichler, R.: Scrum - Agiles Projektmanagement erfolgreich einsetzen, 2008 [7] Schwaber, K./ Sutherland, J.: Der Scrum Guide, 2017 [8] Wintersteiger, A.: Scrum Schnelleinstieg, 2012 [9] Timinger, H.: Modernes Projektmanagement, 2017 [10] Kerguenne, A./ Schaefer, H./ Taherivand, A.: Design Thinking, 2017 [11] Kostka, G.: Großprojekte in Deutschland - Factsheet 1, 2015 [12] Willkommer, J.: Modernes (Projekt-) Management, 2017 [13] Sanchez, L. M./ Nagi, R.: Agile Manufacturing, 2001 [14] Verheyen, G.: The Blending Philosophies of Lean and Agile, 2011 [15] Knaack, U./ Chung-Klatte, S./ Hasselbach, R.: Systembau-- Prinzipien der Konstruktion, 2012 [16] Ballard, G.: The Last Planner, 1994 [17] Steeger, O.: Ein Funke, der auf die Organisation überspringt. In: PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL, Ausgabe 5/ 2017, S. 19-29 Katharina Lennartz Katharina Lennartz arbeitet seit Januar 2017 als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl und Institut für Baubetrieb und Projektmanagement der RWTH Aachen University und promoviert dort zum Thema Agilität im Bauprojektmanagement. Von 2007 bis 2013 studierte sie Wirtschaftsingenieurwesen mit Fachrichtung Bauingenieurwesen an der RWTH Aachen University sowie der NTNU in Trondheim und war anschließend im Projektmanagement eines Generalplanungsunternehmens tätig. Kontakt: lennartz@ibp.rwth-aachen.de Univ.-Prof. Dr.-Ing. Rainard Osebold Rainard Osebold ist seit 2003 Universitätsprofessor an der Fakultät für Bauingenieurwesen der RWTH Aachen University sowie Leiter des Lehrstuhls und Instituts für Baubetrieb und Projektmanagement. Nach dem Studium des Bauingenieurwesens an der RWTH Aachen University und seiner Promotion war er als Bauleiter, Projektleiter, Prokurist und Geschäftsführer in der Bauindustrie tätig. Kontakt: osebold@ibp.rwth-aachen.de Anschrift: Lehrstuhl und Institut für Baubetrieb und Projektmanagement Mies-van-der-Rohe-Straße 1, 52074 Aachen [18] Komus, A./ Kuberg, M.: Anwendung und Zufriedenheit mit agilen Methoden in der Praxis, 2017 Eingangsabbildung: © iStock.com/ Geber86 Anzeige Wissen | Agil und lean in Bauprojekten 38 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 31. Jahrgang · 02/ 2020 DOI 10.2357/ PM-2020-0025 berufsbegleitend, 8 Wochen-Blockmodule Abschluss mit dem Exec. Master of Business Administration - MBA der Universität Salzburg praxisnah & international E x e c u ti v e MBA Projekt- und Prozessmanagement Kontakt & Information: Mag. Stephanie Lichtenberg, MBA +43 (0) 676 / 88 2222 27 stephanie.lichtenberg@smbs.at Professionelle Projektarbeit und reibungslose Unternehmensprozesse sind Schlüsselfaktoren für den langfristigen Unternehmenserfolg. www.smbs.at the art of management the art of management the art of the art of the art of management management management the art of management Studienbeginn: 19. Oktober 2020 06_Lennartz.indd 38 28.04.2020 14: 35: 02