PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
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GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.Das Wissen von Baku
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Oliver Steeger
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Lorenz Schneider: Internationaler Projektmanager Das Wissen von Baku Oliver Steeger Porträt | Professor Lorenz Schneider ist seit fast zwanzig Jahren internationaler Projektmanager. Sein Wissen hat er in Asien und im Nahen Osten gesammelt. Vielfach „learning by doing“, unter vollem Geschäftsrisiko. Heute teilt er sein Wissen - weil er Projektmanager vor bitteren Erfahrungen schützen will. Der Ölrausch versetzte Aserbaidschan zur Jahrtausendwende in Goldgräberstimmung. Es ging um gewaltige Vorkommen von Öl und Gas. Das Öl lag so dicht unter dem Boden wie anderenorts Wasser. Manchmal lief es aus Böschungen heraus; nachts sah man blaue Flammen in der Landschaft züngeln. Wo Öl ist, da ist Geld. Aserbaidschan lockte Glücksritter aus aller Welt an. Multinationale Energiekonzerne tummelten sich in Baku, der Hauptstadt. Mit ihnen kam ein bunter Tross von Projektteams und Experten aus den USA, Frankreich, Australien oder Italien. Im Gepäck hatten sie schwerstes Gerät. In diesem vielsprachigen Getümmel bezog 1998 Professor Lorenz Schneider Quartier. Damals Mitte Dreißig, suchte er in Baku Projektgeschäft und bot den Ölmultis Entsorgungsprojekte an, etwa für Bohrschlämme oder Asbestabfälle von Bohrinseln. Die Konzerne hatten damals bereits den Umweltschutz im Blick, und sie schätzten Lorenz Schneiders Wissen über Tagebau, Tiefbautechnik und Entsorgungstechnik. „Ich wollte an großen, internationalen Vorhaben mitwirken”, sagt Lorenz Schneider, „und ich wollte in die Ferne. Da war auch etwas Abenteuerlust bei.“ Beim Start nach Baku war ihm grob klar, dass bei internationalen Projekten vieles anders gemanagt und gemacht wurde als in Deutschland. Was genau anders lief, dies wusste er beim Abflug nicht. Zu dieser Zeit gab es dazu in seiner Heimat keinerlei Netzwerke und kaum Lehrangebote, die ihn hätten vorbereiten können, und noch viele Jahre später war das Angebot spärlich. „Ich musste mir das alles selbst erarbeiten”, berichtet er, „vor Ort und learning by doing unter vollem Geschäftsrisiko.” Heute räumt er ein, dass er auch Lehrgeld dafür zahlen musste. Mit vielen Usancen des internationalen Projektmanagements hatte er nicht gerechnet. Seine ersten Projekterfahrungen hatte Lorenz Schneider in der Entsorgungswirtschaft gesammelt. In den frühen 1990er Jahren arbeitete Deutschland daran, „grün“ zu werden. Die Bundesbürger übten sich in Mülltrennung, die Industrie lernte den Inhalt des gelben Sacks als Rohstoff wiederzuverwerten. Anlagen für Recycling und Aufbereitung der Rohstoffe entstanden. Die Entsorgungswirtschaft profitierte von Technologien aus dem Bergbau. Wie man beispielsweise im Bergbau Gestein zerkleinerte und Kohle gewann, so konnte man auch in der Aufarbeitung Müll zerkleinern und Rohstoffe gewinnen. Porträt Das Wissen von Baku DOI 10.2357/ PM-2020-0037 1. Jahrgang · 03/ 2020 Professor Lorenz Schneider bei der Gründung der GPM Fachgruppe Commercial Project Management im Frühjahr 2019. Foto: Oliver Steeger 3 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 1. Jahrgang · 03/ 2020 DOI 10.2357/ PM-2020-0037 B_Reportage_01_Schneider.indd 3 B_Reportage_01_Schneider.indd 3 19.06.2020 12: 05: 46 19.06.2020 12: 05: 46 Beides hatte Lorenz Schneider studiert, Entsorgungstechnologie und Bergbautechnologie. Als Projektmanager half er, die Anlagen reibungslos ans Laufen zu bringen; erst mit etwas Verzug setzte konsequentes Kostendenken bei den Projekten ein. „Als ich ins Ausland ging, war ich dem im internationalen Projektgeschäft üblichen harten Controlling noch nicht begegnet“, sagte Lorenz Schneider. Dies drohte ihm in Baku auf die Füße zu fallen - zumal er sich auf internationalem Parkett bewegte. Die Projektanfragen der Konzerne fand er (dem ersten Eindruck nach) unglaublich sperrig formuliert. „Sie waren das, was man im Englischen mit dem Begriff ‚cumbersome‘ bezeichnet”, sagt er, „ich kam aus Deutschland, war mit dem deutschen Rechtssystem und der Gebührenordnung für Architekten und Ingenieure großgeworden. Im Ausland waren Vertragsabwicklungsmodelle und der Aufbau von Ausschreibungen komplett anders, nämlich viel aufwändiger und strukturierter als alles, was ich kannte.” Tagelang arbeitete er sich durch Ausschreibungstexte und versuchte, den Aufbau und die Bezüge zu verstehen. Irgendwann begriff er die Systematik und den Formalismus. Er verstand die Muster hinter den standardisierten Inhaltsverzeichnissen, Leistungsverzeichnissen und Klauseln. „Man muss viele dieser Unterlagen gelesen haben, um diese Struktur zu begreifen“, sagt er, „danach hat man es einfacher.“ Doch was normalerweise drei oder vier Stunden dauert, raubte ihm anfangs Tage. „Beim Kaufmännischen waren die Konzerne unglaublich auf Zack”, sagt Lorenz Schneider, „dies kannte ich so nicht aus Deutschland.” Er begegnete hochqualifizierten Projektkaufleuten, die die Kostenbeträge für jedes Bohrloch aus dem Ärmel schütteln konnten und mit dem spitzen Bleistift rechneten. Auch waren die Vertragsformulierungen weit schärfer gefasst als damals in Deutschland. Selbst das Honorar für Ingenieure und Projektleiter wurde völlig anders berechnet. Vereinfacht gesagt, in Deutschland hing das Salär ab vom Investitionsvolumen und von Gebührentabellen. International kannte kaum jemand diese deutsche Besonderheit. „Da ging es um die Frage, welche und wie viele Fachleute man braucht, wie lange die arbeiten und welche Kosten hinzukommen”, sagt Lorenz Schneider, „daraus hat sich das Honorar ergeben.” Lorenz Schneider lernte schnell in Aserbaidschan. „In manchen Situationen musste ich mich vortasten”, sagt er. Die Auftraggeber verlangten teils völlig andere Tools als in Deutschland, etwa für Terminmanagement und Qualitätsmanagement. Termine mussten auf eine bestimmte Weise gesteuert, das Controlling nach einem vorgegebenen Muster abgewickelt werden. Die Ölfirmen unterstützten ihn. Sie wussten, dass bei Projekten alle in einem Boot sitzen, auch Consultants wie Lorenz Schneider. Doch die Konzerne erwarteten von ihm hartes Arbeiten: sich einlesen in die Vertragsmentalität, die Anforderungen beim Controlling umsetzen, überhaupt: das internationale Projektmanagement in allen Facetten gründlich kennenlernen. „Und bei alledem redeten wir über Investitionssummen, bei denen es mir nur in den Ohren klingelte”, sagt er, „da konnte man schnell Millionenbeträge verlieren.” Lorenz Schneider, hochgewachsen, sportlich, kräftiger Händedruck und sympathische Direktheit, ist Projektmanager durch und durch. Mit bemerkenswerter analytischer Schärfe durchdringt er Sachverhalte, bringt Dinge schnell auf den Punkt und beurteilt sie ebenso nüchtern wie schnell und sprachgewandt. Er hat ein waches Auge für Chancen, Risiken, Lösungen und Timing. Er weiß, wie man im entscheidenden Moment die Dinge „zum Fliegen” bringt. Der 58-jährige hat millionenschwere Formel-1-Rennstrecken in Shanghai, Bahrain und Abu Dhabi gemanagt. Die Flieger von Frankfurt nach Asien oder in den Nahen Osten waren jahrelang für ihn so selbstverständlich wie für seine Kollegen der Regionalzug morgens zur Arbeit. Er kennt die harten Sieben-Tage-Wochen auf Großbaustellen, die schwierigen Verhandlungen mit Kunden und Projektpartnern. Er hat beobachtet, wie arabische Auftraggeber seine stabil geglaubten Projektpläne von heute auf morgen umstürzten und noch Spektakuläres wollten. Er weiß, was es bedeutet, wenn sich mit einem Mal der Wind völlig dreht. Wenn anfangs die Geldschatullen der Auftraggeber weit geöffnet sind, die Rennstrecken nicht prächtig und spektakulär genug sein konnten - und mit einem Mal der üppige Strom von Petrodollars versiegte. Vor rund drei Jahren, Ende 2017, begann sich Lorenz Schneider von dem aufreibenden Geschäft zurückzuziehen. Es war genug, sagt er. Er brach seine Zelte im Ausland ab. Zurück in Deutschland, schloss er eine neue Lebensaufgabe an. Er gibt Wissen über internationales und kaufmännisches Projektmanagement weiter. Nicht nur das Wissen aus Lehrbüchern, sondern auch die Erfahrung, die er selbst in Asien und Arabien geschöpft hat. Er lehrt unter anderem internationales Projektmanagement an der FOM Hochschule, der mit 55.000 Studenten größte privaten Hochschule Deutschlands. Er wirkt in Netzwerken und Fachgruppen mit, hat Aufsätze geschrieben und Vorträge gehalten. „Internationales und kommerzielles Projektmanagement sind für mich unzertrennlich”, sagt er. Er will, dass Deutschland dort aufschließt. Bildungsangebote und Netzwerke sollen das ändern. In der GPM hat er die Special Interest Group „Go international” mitbegründet. Im Frühjahr vergangenen Jahres hob er die GPM Fachgruppe „Commercial Project Management” mit aus der Taufe, an der sich deutsche Industrieschwergewichte wie Siemens, Linde, Jungheinrich, Air Liquide, SMS, Fraport, Kuka, Nordex und ThyssenKrupp beteiligen. In Aserbaidschan auf deutsche Projektmanager gestoßen zu sein, daran kann sich Professor Lorenz Schneider nicht erinnern. „Als Deutscher war ich ziemlich allein in Baku“, sagt er. Daran änderte sich für ihn auch in den nächsten zwan- Die Rennstrecke in Bahrain. Foto: privat Porträt | Das Wissen von Baku 4 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 1. Jahrgang · 03/ 2020 DOI 10.2357/ PM-2020-0037 B_Reportage_01_Schneider.indd 4 B_Reportage_01_Schneider.indd 4 19.06.2020 12: 05: 47 19.06.2020 12: 05: 47 zig Jahren wenig. Wo immer er auftauchte, in Bahrain, China, Kuwait oder Abu Dhabi, begegnete er kaum Deutschen. Amerikaner, Briten, Australier, Franzosen, Holländer oder Iren gaben in Projekten den Ton an. Vielleicht war dies Zufall, sagt er. Doch es schien ihm, dass Deutsche im internationalen Projektgeschehen kaum eine Rolle spielten. „Ich war immer eine Art Ausnahme”, sagt er. Dies stellt er sachlich fest, ohne persönlichen Stolz oder Eitelkeit. Vielleicht hört man eine Spur des Bedauerns heraus. Es mag ein Glücksfall sein, dass ausgerechnet einer seiner Bekannten aus der Heimat im internationalen Projektgeschehen Fuß gefasst hatte. Dieser hatte mit seinem Unternehmen Bauprojekte am deutschen Hockenheimring und Nürburgring umgesetzt. Mit seinen Erfolgen machte er im weltweiten Rennzirkus auf sich aufmerksam. In der Formel 1 nahm man seinen Namen wahr - und ließ ihn Rennstrecken bauen. Er entwickelte die Rennstrecke in Malaysia. Als er Lorenz Schneider nach Jahren wieder die Hand schüttelte, stand er vor einem neuen Projekt: Die Rennstrecke in Shanghai, noch komplexer, schwieriger und internationaler als alles, was er in Malaysia kennengelernt hatte. Er suchte händeringend einen international erfahrenen Projektprofi. Er fand ihn in Lorenz Schneider. „Das war ein Projekt mit einem Bauvolumen über viele Millionen Euro”, erinnert sich Lorenz Schneider, „der Kunde in China forderte einen hohen Standard beim Projektmanagement und qualitativem Controlling.” Formel-1-Rennstrecken kannte Lorenz Schneider damals nur aus dem Fernsehen. Ihm war klar, dass dies keine leichte Mission werden würde; er hatte sich tief in das Projekt hineinzuknien und hart zu arbeiten, wie er sagt. Und er sagt auch: „Diese Chance dennoch ergriffen zu haben, war eine der schlauesten Ideen in meinem Leben”. Er war von Projektmanagement überzeugt. Es würde sein fehlendes Branchenwissen wettmachen. Projektmanager, erklärt er, sind Experten für Termine, Kosten, Qualität, Kommunikation, Stakeholder Management, Risikomanagement, Beschaffungsmanagement, Vertragswesen und Controlling. Dieses Können ist universell. Es lässt sich in unterschiedlichen Branchen einsetzen. „Natürlich ist es sinnvoll, wenn Projektmanager auch etwas von ihrem Produkt verstehen”, meint er, „doch dieses Projekt in Shanghai brauchte Unterstützung beim internationalen Projektmanagement - und nicht im Ingenieurwesen.” Hinter den millionenschweren Mega-Projekten der Formel-1-Rennstrecken steht volkswirtschaftliches Kalkül. Die Rennen werden in alle Welt übertragen. Staaten, die über Rennstrecken verfügen, kommen mit ziemlicher Sicherheit jährlich für mehrere Wochen ins globale Rampenlicht. Schlagzeilen und TV-Übertragungen bescheren diesen Ländern eine enorme Publicity, die clever zu Geld gemacht wird. „Solche Rennstrecken werden beispielsweise für das Branding genutzt”, sagt Lorenz Schneider. Sie locken Technologieunternehmen, Investoren und Touristen ins Land. Allein in der unmittelbaren Umgebung von Rennstrecken entstehen häufig Technologie-Hubs, eine Art Silicon Valley für Rennsport und Automobilwesen. Dort tummeln sich Automotive-Unternehmen mit Teststrecken, wo sowohl Rennsport-Technologie als auch das „normale” Autofahren weiterentwickelt wird. Zudem senden die Projekte der Formel-1-Rennstrecken ein starkes Signal in die Staaten selbst hinein. Kuwait, zweimal von Nachbarstaaten überfallen, setzte das Instrument „Motorsport-Rennstrecke” innenpolitisch ein - und bot seiner geschundenen Bevölkerung das spektakuläre Signal eines neuen Selbstbewusstseins. „Araber lieben alles, was schnell ist, Rennkamele und Pferde, Autos, Motorboote”, sagt Lorenz Schneider, „sie sind leidenschaftlich sportbegeistert.” Diese Begeisterung begründet die Formel-1-Gigantomanie aber nur zum Teil (der „Yas Marina”-Komplex in Abu Dhabi mit einer 5,5 Kilometer langen Rennstrecke sowie einem spektakulären Yachthafen mit Hotelkomplex soll viele 100 Millionen Euro verschlungen haben). Wer spektakuläre Rennsport-Bilder in die Welt senden will, muss mit seiner Rennstrecke eine bestimmte Kategorie erreichen. Er muss in bestimmten Dimensionen denken, will er die Arena des Top-Rennzirkus betreten. Sonst bleiben die Vermarktungschancen aus - und damit der volkswirtschaftliche Nutzen für den Standort. Dies diktiert auch die Rahmenbedingungen für das Planen von Formel-1-Rennstrecken und das dafür erforderliche Projektmanagement. Diese Rahmenbedingungen verinnerlicht Lorenz Schneider schnell. Bedingung Nummer 1: Die Projekte unterliegen mörderischem Termindruck. Der Eröffnungstermin - das erste Formel-1-Rennen - steht wie in Stein gemeißelt: meistens an einem bestimmten Sonntagnachmittag um 14 Uhr. Eine verspätete Eröffnung - oder auch nur eine Teileröffnung - sind undenkbar. Es geht um eine präzise Punktlandung. „Wir können ja auch nicht Weihnachten auf den 31. Dezember verschieben, weil wir nicht rechtzeitig fertigwerden mit den Vorbereitungen”, sagt Lorenz Schneider, „wenn es auf den Baustellen eng wurde, haben wir zusätzliche Mitarbeiter eingeflogen und buchstäblich Tag und Nacht durchgearbeitet.” Hinzu kommt: Die Auftraggeber drängen, schnell die Bauarbeiten zu starten - häufig noch bevor die Planung ganz ausgereift ist. „Jeder wusste, ich eingeschlossen, dass dies keine gute Idee ist.” Er riet meistens davon ab. Trotzdem gab man am Ende gegenüber dem Auftraggeber nach. Die manchmal erheblichen Mehrkosten für diesen übereilten Start und den anschließenden Termindruck trägt der Kunde, dies muss dem Kunden (und dem Projektmanager) klar sein. Da muss der Projektmanager schlichtweg sein methodisches Handwerk beherrschen und seine Mehrkosten am Ende durchsetzen. Die Start-Ziel-Gerade der Formel-1-Rennstrecke in Shanghai. Foto: privat Porträt | Das Wissen von Baku 5 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 1. Jahrgang · 03/ 2020 DOI 10.2357/ PM-2020-0037 B_Reportage_01_Schneider.indd 5 B_Reportage_01_Schneider.indd 5 19.06.2020 12: 05: 47 19.06.2020 12: 05: 47 Bedingung Nummer 2: Jede Rennstrecke musste noch einen Tick spektakulärer sein als ihre Vorgänger, ein Grundsatz, der zumindest für eine bestimmte Zeit galt. Dies stellt die Architekten und Ingenieure, die die Rennstrecken planen, vor Herausforderungen. Zum Beispiel die Rennstrecke in Abu Dhabi, die pünktlich am 14. November 2010 für das erste Rennen übergeben wurde: Sie ist beleuchtet; der Auftraggeber wollte auch abends Rennen fahren. Die Strecke führt zwischen den beiden Türmen eines Luxushotels durch. Die Türme sind durch eine Glasbrücke verbunden, von denen herab betuchte Zuschauer das Rennen beobachten. Und: Die Zuschauer kommen dem Renngeschehen besonders nahe. Die Tribünen sind dicht an der Rennstrecke, was enormen Aufwand bedeutet. Jede Rennstrecke hat einen Sicherheitsbereich für havarierte Fahrzeuge, bis zu hundert Meter breite Auslaufzonen, auf denen verunglückte Fahrzeuge zum Stehen kommen. Die „Sturzräume” genannten Auslaufzonen wurden unter die Tribünen gebaut - eine Herausforderung für Sicherheitstechnologie und Architektur. „Die Planer und auch wir Projektmanager machen alles, um den Kunden zu unterstützen und seine Pläne zu verwirklichen”, sagt Lorenz Schneider, „sein Erfolg ist auch unser Erfolg.” Bedingung Nummer 3: Diese Projekte waren das, was man heute agil nennt - nämlich hochdynamisch und voller Änderungswünsche. „Die Planer mussten häufig wegen neuer Wünsche umplanen, und es wurden auch einige Fundamente wieder zurückgebaut”, sagt Lorenz Schneider, „die Planer müssen dafür sehr flexibel und leistungsfähig sein. Aber auch der Projektmanager muss unbedingt sein Handwerk des Claim Managements verstehen.” Er muss dem Kunden nachweisen, dass die entstandenen Mehrkosten auf seine Rechnung gehen - und nicht auf die des Auftragnehmers. Hinzu kamen unruhige Märkte für Baumaterial. „Unser Projekt für die Bahn in Abu Dhabi haben wir in der Hochphase des Baubooms gestartet. Die Preise für Glas, Beton und Stahl stiegen um bis zu zwei Prozent monatlich. Dies stellte unsere Kostenmanager und Beschaffungsspezialisten vor enorme Schwierigkeiten.” Bedingung Nummer 4: Die schier überwältigende Komplexität. Formel-1-Rennstrecken haben eine lange Planungsphase, in der dutzende Fachdisziplinen zusammenarbeiten: von Architekten, Tiefbauern und Statikern über Asphalttechniker, Elektroniker, Messtechniker und Gebäudeausrüster bis hin zu Landschaftbauern, Verkehrsplanern und Umweltspezialisten. An den Projekten arbeitet eine hochleistungsfähige Planungsgesellschaft, die über die notwendigen Spezialisten verfügt. Ohne diese Spezialisten, die selbst viel Herzblut in das Vorhaben stecken, läuft nichts. Doch etwas kommt hinzu: Projektmanager. Sie sind erforderlich, um die Planer dabei unterstützen, das Projekt im Gastland zu realisieren - beginnend bei der Genehmigungsphase im Ausland, der Betreuung der Baustelle, der Inbetriebnahme der Großanlage bis hin zur Vorbereitung und Durchführung der Abnahme. Lorenz Schneider brachte sein Projektmanagementteam damals größtenteils aus Deutschland mit (später rekrutierte er sie in aller Welt). „Ich habe es immer wieder als Ehre empfunden, solche Teams zu führen, Ziele zu setzen, Situationen zu analysieren und Entscheidungen zu treffen“, sagt Lorenz Schneider. Solche Großprojekte sind alles andere als eine „One-Man-Show“. Bedingung Nummer 5: Andere Länder, andere Sitten - und Detailvorschriften. „Eine Achillesferse ist häufig das Genehmigungsverfahren”, sagt Lorenz Schneider, „im internationalen Projektmanagement ist diese Phase kritisch.” Im Klartext: Die Pläne müssen mit den lokalen Vorschriften und Baugenehmigungsverfahren übereinstimmen. International erfahrene Planungsgesellschaft orientieren ihre Planungen an internationalen Designcodes. Dennoch, maßgeblich sind die Detailregeln vor Ort im Gastland. Lorenz Schneider brauchte für das deutsche Planungsteam einen lokalen „Gegenpart”, einen Planungsberater, „Architect-Engineer of Record” genannt. Dieser Spezialist überprüft die Pläne hinsichtlich der lokalen Regularien. Das heißt aber auch: Er muss sich vor Ort früh in die Unterlagen einarbeiten können. Er braucht Zeit. „Wird er erst kurz vor der Genehmigungsphase eingesetzt, ist es häufig zu spät”, sagt Lorenz Schneider. Dies ist solch eine Empfehlung, mit denen er heute jüngere Kollegen unterstützt. „Eigentlich logisch, aber man muss dieses Thema kennen und im Blick behalten. Als internationaler Projektmanager muss man so etwas wissen.” Im Gespräch mit Lorenz Schneider fällt dieser Satz häufig: „Als internationaler Projektmanager muss man so etwas wissen.“ Solche Dinge gehören für ihn in den „Graubereich” des internationalen Projektmanagements, wie er sagt. Auch dieses Wort „Graubereich“ ist häufig zu hören. Gemeint ist: Beim internationalen Projektmanagement denkt man häufig an die „Hard Facts“ eines Projekts wie Termine, Kosten und Qualität - sowie an weiche, interkulturelle Faktoren, beispielsweise „Dos and Dont’s” im Gastland. Doch dazwischen gibt es noch einen weiteren Bereich von nicht-technischen Fragen. Etwa: Steuerrechtliche oder vertragsrechtliche Bestimmungen, Regeln zum Aufenthaltsrecht und Arbeitsrecht, Dokumentationspflichten, Bestimmungen zum Transport von Gütern oder Arbeitsschutz. Oder die Frage, ob man sich als Projektmanager zwingend bei einem lokalen Ingenieursverband registrieren lassen muss. „Der Graubereich besteht aus vielen Detailfragen“, sagt Lorenz Schneider, „Projektmanagern kann er zum Verhängnis werden, wenn sie diese Fragen nicht beantworten können - oder nicht einmal wissen, dass diese existieren.“ Ein Beispiel: In einigen Ländern des Nahen Ostens oder Asiens gelten unterzeichnete Verträge erst dann, wenn sie von höheren Stellen ratifiziert werden. Erst dann sind sie wirklich rechtskräftig. Manche Verträge gehen hinauf bis in die Staatsspitze, was Wochen oder sogar Monate dauern kann. Lorenz Schneider: „Die Frage ist immer, ab wann die Vertragsfristen im Gastland wirklich laufen.” Ein weiteres Thema ist die Ausfuhr von Gewinnen. In manchen Ländern gelten Restriktionen. Also vorher informieren, wie man Gewinne ausführen kann, möglicherweise bei einem Rechtsexperten vor Ort. Oder: In einigen Ländern sind internationale Auftragnehmer gezwungen, eine Dependance ihres Unternehmens zu gründen. Dies hängt von dem Auftragsvolumen des Projekts ab, von seiner Bedeutung oder Laufzeit. Die Länder wollen sicherstellen, dass Auftragnehmer über ihre Niederlassung haftbar gemacht werden können. Andere Fragen: Wie werden Mitarbeiter mit ihren Familien vor Ort versorgt? Wo wohnen sie im Gastland, wo gibt es Schulen, wie kommen auch Ehepartner an eine Arbeitserlaubnis? Solche ungeklärten persönlichen Fragen können die Motivation im Team spürbar mindern. Nicht, dass solche Dinge unüberwindbare Hürden wären. Internationale Projektmanager müssen allerdings wissen, auf Porträt | Das Wissen von Baku 6 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 1. Jahrgang · 03/ 2020 DOI 10.2357/ PM-2020-0037 B_Reportage_01_Schneider.indd 6 B_Reportage_01_Schneider.indd 6 19.06.2020 12: 05: 47 19.06.2020 12: 05: 47 welche Fragen sie stoßen könnten - und wie sie Sorge tragen, dass aus Fragen keine Probleme oder Showstopper im Projekt werden. Lorenz Schneider hat im Laufe der Jahre Neueinsteigern ins internationale Projektgeschäft immer wieder empfohlen: „Beschäftige Dich rechtzeitig damit. Stelle mit kritischem Geist Fragen - und versuche die richtigen Antworten zu finden.” Nach seinem ersten Formel-1-Projekt in Shanghai wirkte Lorenz Schneider als Projektmanager und Projektdirektor an zwei weiteren Formel-1-Rennstrecken mit - und begleitete internationale Baukonsortien, die atemberaubenden Anlagen aus dem Boden zu stampfen. Allein auf der Baustelle in Abu Dhabi waren in Spitzenzeiten 18.000 Arbeiter unterwegs. Tausende LKW-Anfahrten mussten koordiniert werden; die Baustelle lag auf einer Insel, und anfangs hatte Lorenz Schneider nur zwei Brücken, über die sich die Insel erreichen ließ. Dank logistischer Feinplanung vermied das Projektteam kilometerlangen Staus an den Engpässen. Ähnliches galt für Freiflächen für Material und Gerät auf der beengten Baustelle; die Beteiligten wiesen sich die Flächen einander tageweise zu. „Das führte zu einer Vielzahl von Besprechungen in einem Maße, wie es mir bis dahin unbekannt war”, sagt Lorenz Schneider. Auch hinter diesem Projekt standen hochmotivierte Teams, Spezialisten, die die Strecken und die Gebäude planten, den Bau leiteten und das operative Projektmanagement durchführten. „Als internationaler Projektmanager braucht man Unterstützung von vielen Seiten“, erklärt Lorenz Schneider, „das muss man wissen und akzeptieren.“ Und auch diese produktive, hocheffiziente Teamarbeit ermöglichen, wie er ergänzt. Die Kunst besteht für ihn darin, diese Teams zu einem konstruktiven Gesamtteam zu formen und bei der Realisierung zu unterstützen, gegen ungerechtfertigte Fremd-Claims zu schützen und berechtigte eigene Claims zu identifizieren, vertragskonform zu formulieren und erfolgreich zu verhandeln. Projektentscheidungen wurden hemdsärmelig auf der Baustelle getroffen, manchmal zwischen Tür und Angel abgesprochen. Für Protokolle und Papierkram blieb dabei keine Zeit. „Auf solch einer Baustelle und unter solch einem Termindruck muss der Projektmanager zunächst die Entscheidungen umsetzen”, erklärt Lorenz Schneider. Doch unmittelbar danach muss er sehen, dass dies alles dokumentiert wird. Dass, wie er es nennt, „die richtigen Briefe zur richtigen Zeit mit der richtigen Wortwahl an die richtigen Adressaten herausgehen.” Wer schreibt, der bleibt. Im Hintergrund hatte Lorenz Schneider ein Team von Document-Controllern, das für ihn schrieb, damit er bleiben konnte - und für seine nachgelagerten Verhandlungen mit dem Auftraggeber gerüstet war. Jede E-Mail, jeder Brief, überhaupt jedes Schriftstück wurde elektronisch erfasst, verschlagwortet und auf weltweiten Sicherheitsservern wiederauffindbar abgespeichert. Dort fanden sich zu jedem Stichtag während der Bauzeit alle Angaben, wie die Entscheidungen zustande gekommen waren und wer daran beteiligt war. Solche Dokumentationspflichten gelten vielfach als leidige Nebenaufgaben. Lorenz Schneider sagt: „Angesicht der Investitionssummen unseres Projekts hätte ein verlorener Gerichtsprozess weit mehr Leidensdruck erzeugt als das minutiöse Nachhalten der Dokumentation.” Der Auftraggeber schrieb seinem Team die gerichtsfeste Dokumentation als absolut verbindlich vor. Hinzu kam das kaufmännische Projektmanagement - ebenfalls in einem für ihn unbekannten Maß. „In deutschen Bauprojekten wird das Kaufmännische häufig noch von Ingenieuren und Architekten mitbearbeitet”, sagt Lorenz Schneider. In Abu Dhabi hatte er dafür eigene Spezialisten, sogenannte „Quantity Surveyors”, ausgebildet in Betriebswirtschaft und Rechtswesen und zuständig für das kaufmännische Projektmanagement. Indes, auch sein Auftraggeber beschäftigte ein Heer dieser Quantity Surveyors, darunter hochversierte und mit allen Wassern gewaschene Leute. Die Quantity Surveyors der Auftraggeber waren damit befasst, die Arbeit von Lorenz Schneiders Spezialisten zu überwachen. Sie waren, wie es Lorenz Schneider einmal ausgedrückt hat, quasi die „Aufpasser” seiner eigenen Quantity Surveyors. „Dieses strenge Controlling jedes Arbeitsschritts seitens des Auftraggebers ist für Ein Blick auf eine Strecke kurz vor dem Start des Rennens. Foto: privat Porträt | Das Wissen von Baku 7 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 1. Jahrgang · 03/ 2020 DOI 10.2357/ PM-2020-0037 B_Reportage_01_Schneider.indd 7 B_Reportage_01_Schneider.indd 7 19.06.2020 12: 05: 50 19.06.2020 12: 05: 50 deutsche Verhältnisse kaum denkbar”, sagt Lorenz Schneider, „da brauchen Generalunternehmer, Projektmanager und Controller ein hohes Maß an Erfahrung, um die Kommunikation auszubalancieren.” Und Transparenz brauchten sie auch. Die Dokumentation musste jederzeit für diese Spezialisten verfügbar sein, lückenlos und laufend „up-to-date”. Trotz aller Vorsicht und Umsicht - es kam auf der Baustelle in Abu Dhabi zu dem, was Lorenz Schneider einen GAU nennt, den größtanzunehmenden Unfall. Auf der Baustelle wurden gewaltige Mengen an Stein, Glas, Stahl und Beton bewegt. Die Konturen der Sportstätte, des Sporthafens und des Luxushotels zeichneten sich immer mehr ab - da schockte 2007 die Weltwirtschaftskrise die Finanzmärkte. Der Ölpreis stürzte ins Bodenlose. Die Auftraggeber, denen vorher kein Superlativ zu groß war, schlossen die Geldschatullen und strichen den Projektumfang zusammen. „Wir mussten während der Bauausführung zurückplanen und alles eine Dimension kleiner gestalten”, sagt Lorenz Schneider. Für die Architekten, Ingenieure, Projektmanager und Kaufleute die Quadratur des Kreises. Sie handelten Verträge neu aus, teilten Bauphasen anders auf, stellten einiges zurück und verzichteten auf vieles. Die Neuerungen mussten in die Dokumente eingefügt und eingepflegt werden. „Das macht man gerne für den Kunden”, sagt Lorenz Schneider. Doch er war als internationaler Projektmanager, Claim Manager und kaufmännischer Projektmanager extrem gefordert. „In solchen Situationen bleibt man professionell und freundlich gegenüber dem Kunden”; sagt er, „man versteht seine Lage, in die er unverschuldet durch die Wirtschaftskrise hineingeraten ist. Man arbeitet ohne Klagen rund um die Uhr für ihn. Aber man bittet ihn auch zur Kenntnis zu nehmen, dass es sich um Mehrarbeit handelt, für die man bezahlt werden muss.” Nach der Weltwirtschaftskrise stabilisierten sich die Projekte schnell wieder, an denen Lorenz Schneider mitwirkte. Er war längst erfahren genug, sie in der Spur zu halten. Die Planung für ein riesiges Krankenhaus folgte - mit einem internationalen Planungskonsortium. Das Team entwickelte über zwei Jahre buchstäblich rund um die Welt die Pläne: in Bahrain, auf den Philippinen, in den USA, in der Schweiz und in Deutschland. Indes, Lorenz Schneider bemerkte, dass sich der Wind in der Region drehte und sich das politische und wirtschaftliche Klima veränderte. Die Prioritäten in den Staaten begannen sich zu verschieben. Die Länder im Nahen Osten setzten nun gänzlich andere Projekte auf, viele zur inneren Sicherheit. Projekte wie Eisenbahnbau und Infrastruktur - häufig im militärischen Zusammenhang - bekamen Priorität und drängten andere Vorhaben an den Rand. Viele Länder verstrickten sich in Kriege; in Syrien begannen die Kämpfe, der Iran war auf dem Vormarsch, die Lage im Irak und Afghanistan entwickelte sich spannungsgeladen. Und Abu Dhabi schritt als kriegsführende Partei im Jemen ein. „Das wurde immer mehr zum Pulverfass”, sagte er, „die Atmosphäre veränderte sich grundlegend! ” Das notwendige Krankenhaus wurde nicht mehr gebaut. Hinzu kam: Lorenz Schneider hatte in China und im Nahen Osten intensiv erfahren, was es für das Projektteam bedeutet, mehr oder minder ganz auf einer Baustelle zu leben. Internationale Projektmanager haben eine besondere Beziehung zur Ferne. Lorenz Schneider erinnert sich, wie er in Aserbaidschan viel reiste und in seinem Gastland die Schönheit der Natur und die Freundlichkeit der Menschen kennenlernte. Nichts Besseres, sagt er, hätte ihm passieren können als dieses faszinierende Land zu erkunden. Ihn, den begeisterten Alpinisten, erinnerte Aserbaidschan mal an den Schwarzwald, mal an die Schweiz. Lorenz Schneider lud Freunde aus Deutschland ein und bestieg mit ihnen als erste internationale westliche Gruppe die beiden höchsten Berge Aserbaidschans im Kaukasus, eine Tour, über die sogar die nationale Tageszeitung berichtete. „Wir sind zuvorkommenden und hilfsbereiten Menschen begegnet”, erzählt er, „das Leben war damals etwas chaotisch, doch das Land war ja im Umbruch und Aufbruch.” Doch gibt es auch Schattenseiten. Etwa der „Lagerkoller“, wie Lorenz Schneider es nennt. Die westlichen Kollegen waren häufig in eigenen Siedlungen untergebracht. Man teilte sich Häuser, Wohnungen - und häufig auch den Feierabend. Ein Projekt schweißt zusammen; er kam mit Kollegen zu englischen oder französischen Abenden zusammen, unternahm Die Rennstrecke in Abu Dhabi mit dem luxuriösen Yas Marina Hotel im Bauzustand. Foto: privat Porträt | Das Wissen von Baku 8 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 1. Jahrgang · 03/ 2020 DOI 10.2357/ PM-2020-0037 B_Reportage_01_Schneider.indd 8 B_Reportage_01_Schneider.indd 8 19.06.2020 12: 05: 51 19.06.2020 12: 05: 51 Wüstentouren, besuchte Sportveranstaltungen oder kulturhistorische Stätten. Das diente nicht nur dem Vergnügen und der Entspannung („Man arbeitet dort häufig deutlich länger als in Deutschland”) - sondern als Gegenmittel gegen den Lagerkoller. „Dieser Beruf ist spannend“, sagt Lorenz Schneider, „man hält den Druck auf Wochen aus, auch auf Monate. Irgendwann aber sind die Batterien leer. Dann muss man raus, die ganze Baustelle hinter sich lassen, auch mal ganz weit weg.“ Ende 2015 entschied er, sich aus dem internationalen Geschäft zurückzuziehen. Es war ihm genug. „Ich habe nicht sofort meine Sachen zusammengepackt”, sagt er, „so etwas macht man nicht.” Zwei Jahre blieb er noch. Aber die wirtschaftliche Lage am Arabischen Golf verschlimmerte sich eher, als dass sie sich verbesserte. Zunehmend kamen Fragen über die innere Sicherheit auf. Lorenz Schneider zog den Stecker. „Die zwanzig Jahre Auslandeinsatz habe ich nicht mehr ganz vollgemacht.” Er brach die Zelte nach neunzehneinhalb Jahren Auslandseinsatz ab. Ohne Reue oder Bitterkeit. Er wandte sich völlig neuen Aufgaben zu: dem Teilen und Lehren von Erfahrungen, die er - teils mühsam - im Projektalltag geschöpft hat. Der Abschied von den internationalen Großprojekten - und der spektakulären Formel-1-Welt - fiel ihm leicht. „Ich habe diese Projekte immer als das gesehen, was sie waren - als Projekte”, sagt er. Ein Projektmanager sollte seinen Projektgegenstand kennen. Er sollte ihn mögen, sich von ihm faszinieren lassen. Aber: Er darf ihn nicht zu sehr lieben. Dem, was man baut, zu verfallen - das ist die Gefahr. „Gold plating” wird dies manchmal im internationalen Projektmanagement genannt. Das Projektteam vergoldet das, was es schafft. Es übererfüllt die Kundenerwartungen. Doch kein Kunde zahlt für „gold plating”. „Da spricht der commercial project manager in mir”, sagt er, „der Kunde hat etwas bestellt. Entsprechend der Leistungsspezifikation wird das Projekt realisiert, und da- Prof. Dr. Lorenz Schneider Dr. Lorenz Schneider ist Professor für Wirtschaftsingenieurwesen mit dem Schwerpunkt internationales Projektmanagement an der FOM Hochschule Siegen. Ihm obliegt die fachliche Verantwortung dieser Fachdisziplin für die FOM standortübergreifend deutschlandweit. Zudem lehrt er in Siegen, Köln, Dortmund und Hagen. Er startete seine Laufbahn in der deutschen Abfallwirtschaft und betreute auf Betreiberseite große Investitionsvorhaben im Umweltschutz. Nach neun Jahren Tätigkeit machte er sich selbstständig und verließ Deutschland Richtung Aserbaidschan für sein erstes Auslandsprojekt. In den nächsten 19 Jahren folgten dann weitere Projekte unter anderem in Bahrain, China, Syrien und Abu Dhabi. Er erwarb sein Projektmanagementwissen bei der GPM/ IPMA und hält das Level-Asowie das Level-B-Zertifikat. Darüber hinaus ist er geprüfter Projektkaufmann. Mittlerweile ist er auch Mitglied im Finance Committee der International Project Management Association IPMA. Foto: privat für bezahlt er.” Ein internationaler Projektmanager braucht kritische Distanz, eine professionelle Haltung. Vielleicht auch etwas Demut. Und ein waches Auge für das, was in der internationalen Projektwelt anders läuft als daheim. Eingangsabbildung: Die Rennstrecke mit den illuminierten Hotelfassade während des Rennens © privat Porträt | Das Wissen von Baku 9 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 1. Jahrgang · 03/ 2020 DOI 10.2357/ PM-2020-0037 B_Reportage_01_Schneider.indd 9 B_Reportage_01_Schneider.indd 9 19.06.2020 12: 05: 52 19.06.2020 12: 05: 52