PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
10.2357/PM-2020-0040
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GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.Agilität einführen mit Appreciative Inquiry
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Bernward Clausing
Agilität oder deren passende Aspekte einzuführen, ist offenbar eine der topaktuellen und zentralen Herausforderungen für viele Organisationen. Der Agile Prozess „Appreciative Inquiry“ kann dabei eine wichtige Stütze sein. Denn er bindet die „Betroffenen“ in positiver Weise in den Change-Prozess ein. Durch die Nutzung einer Agilen Vorgehensweise, die die Agilen Werte und das Agile Mindset bereits beinhaltet, werden wesentliche Grundaspekte von Agilität bereits im Change-Prozess erlebt. Gleichzeitig wird dem Kerngedanken der ICB4 – „Der Mensch im Fokus“ – in besonderer Art und Weise Rechnung getragen.
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Eine Agile Methode unter dem Blickwinkel der ICB4 Agilität einführen mit Appreciative Inquiry Bernward Clausing Für eilige Leser | Agilität oder deren passende Aspekte einzuführen, ist offenbar eine der topaktuellen und zentralen Herausforderungen für viele Organisationen. Der Agile Prozess „Appreciative Inquiry“ kann dabei eine wichtige Stütze sein. Denn er bindet die „Betroffenen“ in positiver Weise in den Change-Prozess ein. Durch die Nutzung einer Agilen Vorgehensweise, die die Agilen Werte und das Agile Mindset bereits beinhaltet, werden wesentliche Grundaspekte von Agilität bereits im Change-Prozess erlebt. Gleichzeitig wird dem Kerngedanken der ICB4 - „Der Mensch im Fokus" - in besonderer Art und Weise Rechnung getragen. Schlagwörter | Agile Werte, Agilität, Appreciative Inquiry, Change-Prozess, ICB4 People, Selbstorganisation, WeQ, Wertschätzung Viele Unternehmen stehen heute vor der Herausforderung, Agilität oder die für sie passenden Aspekte von Agilität in ihrem Unternehmen einzuführen. Einem der wichtigsten, wenn nicht gar dem wichtigsten Satz guten Projekt- und Changemanagements folgend: „Mach Betroffene zu Beteiligten“, ist es für die erfolgreiche Einführung von Agilität notwendig und zielführend, einen dazu passenden Change-Prozess zu nutzen. Beim kritischen Blick in den Methodenkoffer zeigt sich ein Prozess, den man bei näherer Betrachtung guten Gewissens, den Agilen Methoden zuordnen kann. Den AI-Prozess - Appreciative Inquiry -, den Change-Prozess der wertschätzenden Erkundung. Dieser Artikel wirft einen Blick auf den AI-Prozess. Aus dem Blickwinkel der Agilität und der ICB4. Erfreulicherweise stellt die ICB4 in besonderer Weise die „Betroffenen“ unter dem Aspekt „People“ in den Mittelpunkt guten Projektmanagements. Und damit auch Change-Projekte, die zu den Organisationsprojekten zählen. Um die zehn Kompetenzelemente der ICB4 „People“ dem AI-Prozess gegenüberzustellen, im Folgenden zunächst einmal die Beschreibung des AI-Prozesses. 1. Der AI-Prozess Die Methode „Appreciative Inquiry“ wurde Mitte der 80er Jahre von David Cooperrider und Suresh Srivastva an der Case Western Reserve University in Ohio entwickelt. Ihr Ansinnen war es, eine Methode zu entwickeln, die die vorhandenen Potenziale, Qualitäten und Erfolgsfaktoren in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stellt (s. Abb.- 1). In dem Wissen, dass sich Personen und Personengruppen immer in die Richtung ihrer Aufmerksamkeit entwickeln. Denn die Energie eines Systems folgt immer auch dessen Aufmerksamkeit. David Cooperrider selbst beschreibt die Methode folgendermaßen: „Appreciative Inquiry ist die kollektive Suche nach dem Besten in Menschen, in Organisationen und in ihrem Umfeld - die Suche nach Wirkfaktoren, die einem System Vitalität verleihen, wenn es humane, ökonomische und ökologische Bedürfnisse optimal in Einklang bringt. Appreciative Inquiry ist auch die Kunst, Fragen so zu stellen, dass die verborgenen Ressourcen eines Systems gestärkt und positive Potenziale aktiviert werden. Die bedingungslos positive, fragende Grundhaltung vermag es nicht selten, Hunderte oder sogar Tausende von Teilnehmenden zu aktivieren. Bei Appreciative Inquiry wird der Blick freigegeben für Visionen und Innovationen anstelle von Negation, Kritik oder Problemversessenheit.“ [1] Wissen Agilität einführen mit Appreciative Inquiry DOI 10.2357/ PM-2020-0040 1. Jahrgang · 03/ 2020 21 DOI 10.2357/ PM-2020-0040 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 1. Jahrgang · 03/ 2020 D_Wissen_03_Clausing.indd 21 D_Wissen_03_Clausing.indd 21 19.06.2020 12: 18: 41 19.06.2020 12: 18: 41 Der typisch deutsche Blick wird hier sofort den Einwand erheben, man könne ja nicht einfach so alles positiv sehen. Warum nicht? Denn das bedeutet nicht, dass kritische Themen nicht gesehen werden. Sondern dass sie als Herausforderungen in die Betrachtung integriert werden. Der Fokus im Prozess liegt allerdings in der Potenzialentfaltung, nicht in der Problembewältigung. Es geht also um eine konsequente Änderung des Blickwinkels (s.-Abb.-2). Die Einsatzmöglichkeiten des AI-Prozesses sind vielfältig: z. B. in Veränderungsprozessen, bei der Einführung neuer Strukturen, um Innovationspotenziale zu fördern, in der Teamentwicklung, bei der Führungskräfte-Entwicklung, um konstruktive Kommunikation zu ermöglichen, im Umgang mit Konflikten, für die Stärkung von Kundengewinnung/ Kundenbeziehungen, … 2. Der Ablauf Der AI-Prozess besteht aus mehreren Phasen: Der Vorbereitungsphase schließen sich die 4-D-Phasen an: Discovery (Erforschen), Dream (Visionieren), Design (Gestalten) und Destiny (Umsetzungsplanung) [2]. Eine Nachbereitungsphase begleitet die Umsetzung (vgl.-Abb.-9). 2.1 Die Vorbereitungsphase In der Vorbereitungsphase des AI-Prozesses wird das Thema bzw. der Inhalt des Projektes definiert. Konventioneller Ansatz Probleme lösen AI-Ansatz Vorhandene Potenziale erkennen • Probleme identifizieren • Das erkunden, verstehen und wertschätzen, was an Gutem da ist • Ursachen analysieren • Entwerfen, was im besten Fall sein könnte • Mögliche Lösungen erarbeiten • Gestalten und vereinbaren, was sein soll • Maßnahmen planen • Planen, was zukünftig sein wird Grundannahme: Organisationen haben Mängel, die beseitigt werden müssen. Grundannahme: Organisationen haben ungeahntes Potenzial, das manchmal schon aufblitzt. Abb. 1: Konventioneller Ansatz und AI-Ansatz [2] Vorbereitungsphase Projekt definieren • Change-Projekt Thema und Ziele definieren • Grundlagen Agilität in Workinaren* vermitteln • Check der Organisation: Ready 4 Agile? * Workinar = Kombination aus Workshop und Seminar zur Erhöhung der Transferleistung Abb. 3: Vorbereitungsphase Abb. 2: Potenzial- und Defizitorientierung © Helmut Michel Was ist der Auslöser für die anstehende Veränderung? Wie ist der Stand heute? Was soll mit dem Change-Prozess erreicht werden? Schon in der Vorbereitungsphase werden die wesentlichen Stakeholder integriert. Es sollte immer ein repräsentativer Querschnitt der Betroffenen beteiligt sein. Bei einer Firma könnten das sein: Mitarbeiter aller Ebenen und Bereiche, inklusive Vorstand, kooperierende Betriebe, bis hin zu Lieferanten und Kunden. Idealerweise sind möglichst alle Personen eines Systems vertreten, z. B. in einem Team alle Teammitglieder, inkl. Teamleiter, oder Vertreter aus jedem relevanten Bereich. Häufig macht es Sinn, in der Vorbereitungsphase einen Planungsworkshop mit Vertretern der betroffenen Bereiche durchzuführen. Schauen wir durch die „Agile Brille“ auf die Vorbereitungsphase, braucht es dazu vor allem die Agilen Werte Mut, um neue Wege zu gehen, Offenheit gegenüber Veränderung und allen Betroffenen, Respekt vor den Errungenschaften der Vergangenheit und der herausfordernden Zukunft und nicht zuletzt sehr gute Kommunikation als die wesentlichste Komponente gelingender Change-Prozesse. Zudem ist der Prozess als solcher relativ einfach (Einfachheit) und überschaubar. Durch die Einbindung von Kunden und Lieferanten werden diese mit auf die kooperative Reise in die Agile Welt genommen und gleichzeitig wird genau durch deren Einbindung, die Kundenausrichtung von Agilität sichtbar. Um ein gemeinsames Verständnis von „Agilität“ zu erzeugen, macht es Sinn, dazu in der Vorbereitungsphase Workinare* (vgl. Abb.-3) mit den Betroffenen durchzuführen. Und dabei einen Blick auf den Zustand der Organisation (Ready 4 Agile? ) in Bezug auf die Voraussetzungen für die Einführung von Agilität zu werfen. Wissen | Agilität einführen mit Appreciative Inquiry 22 DOI 10.2357/ PM-2020-0040 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 1. Jahrgang · 03/ 2020 D_Wissen_03_Clausing.indd 22 D_Wissen_03_Clausing.indd 22 19.06.2020 12: 18: 41 19.06.2020 12: 18: 41 2.2 Discovery - Stärken und Qualitäten erforschen Abb. 4: Die 4-D-Phasen des AI-Prozesses Discovery Stärken erkunden & verstehen • Wertschätzende Interviews führen • Stärken & Qualitäten der bestehenden Organisation herausarbeiten • Stärken & Qualitäten von Agilität herausarbeiten Abb. 5: Discovery Auf Basis der während der Discovery-Phase ermittelten Stärken und Qualitäten wird nun die Zukunft neu gedacht. Dabei werden das Thema des Gesamtprozesses und die in der Discovery-Phase sichtbar gewordenen Themen als Schwerpunkte definiert und in den Mittelpunkt gestellt. In einem nun folgenden Kreativprozess entsteht ein Bild der eigenen Zukunft. Das kann in Form von Bildern, kreativen Collagen oder auch dreidimensional z. B. mit Lego®-Bausteinen erfolgen. Das Ergebnis ist ein positives, herausforderndes, attraktives und gleichzeitig auch erreichbares Zukunftsbild. Denn die Zukunft, die hier entworfen wird, ist sowohl bodenständig und realistisch als auch visionär. Sie gründet auf Beispielen aus der Vergangenheit und zeigt gleichzeitig neue Wege auf. Für dieses Zukunftsbild wird gemeinsam ein Titel formuliert, das „Collective Verbal Picture”. Der Titel beschreibt anschaulich und inspirierend die gewünschte Zukunft. Auch in diesem Prozess stehen die Agilen Werte Mut, Fokus, Weiterentwicklung und Selbstorganisation im Vordergrund. Denn die Gruppe folgt zwar einem Prozess und bleibt dabei fokussiert, die Ergebnisse des Prozesses sind aber völlig offen. 2.4 Design - Entwerfen einer Brücke in die gewünschte Zukunft In dieser Phase werden verschiedene Zukunftsaussagen erarbeitet, die sich auf das Thema des Gesamtprozesses und das „Collective Verbal Picture” beziehen (vgl. Abb.-7). Es geht darum, die einzelnen Themengebiete so zu formulieren, als seien sie schon erreicht. Dabei werden die Zukunftsaussagen, bodenständig, aber auch provokativ und herausfordernd formuliert. Sie beziehen sich auf ein bestimmtes Thema und beschreiben klar, was sein soll. Sie sind motivierend formuliert und stellen eine attraktive Zukunft dar. Sie bilden die Brücke aus der Vergangenheit in die gewünschte Zukunft. Dream Visionen entwickeln • Wie und was wären wir, wenn wir die Stärken und Qualitäten des Bestehenden mit den Vorteilen der Agilen Welt kombinieren? Abb. 6: Dream In dieser Phase werden alle Faktoren und Qualitäten, die dem System Stärke und Exzellenz verleihen, herausgearbeitet. Schwächen werden dabei gesehen und als Entwicklungsfelder in den Prozess integriert. Ausgangspunkt für diese Forschungsreise in die bestehende Organisation sind „Wertschätzende Interviews“. Dabei gehen jeweils zwei Teilnehmer in einen sehr intensiven Austausch und erkunden die Stärken und Qualitäten eines jeden Teilnehmers und der von ihnen gebildeten Organisation. Während dieser Erkundung der vorhandenen Potenziale werden auch schon erste Ideen auf dem Weg zur Lösung sichtbar. Und gleichzeitig werden auch hier die Agilen Werte Offenheit, Respekt und Kommunikation gelebt. Das gemeinsame Erleben und das Erarbeiten von Stärken und Qualitäten des Bestehenden erzeugt eine stabile Basis für den anstehenden Veränderungsprozess. Denn dieser basiert gleichermaßen auf dem wertschätzenden Blick auf das Vorhandene und Erreichte als auch auf die von der Veränderung betroffenen Menschen und deren einzigartigen Qualitäten. So wird das Erforschen der Vergangenheit und Gegenwart zu einer positiven und inspirierenden Quelle für die Zukunft. 2.3 Dream - Die eigene Zukunft neu denken. Eine Vision entwickeln In dieser Phase steht die Zukunft im Mittelpunkt. Design Zukunft gestalten • Präsentation der Entwürfe der zukünftigen Organisation • Auswahl der wichtigsten Bausteine • Erarbeiten von Zukunftsaussagen Abb. 7: Design Wissen | Agilität einführen mit Appreciative Inquiry 23 DOI 10.2357/ PM-2020-0040 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 1. Jahrgang · 03/ 2020 D_Wissen_03_Clausing.indd 23 D_Wissen_03_Clausing.indd 23 19.06.2020 12: 18: 42 19.06.2020 12: 18: 42 Solche Zukunftsaussagen könnten in Bezug auf das Thema Einführung Agiler Strukturen zum Beispiel sein: • Unsere Organisation ist in der Lage, sich schneller an sich verändernde Rahmenbedingungen anzupassen als unser Wettbewerb. Dadurch sichern wir unsere eigene Zukunft. • Agilität drückt sich für uns in wertschätzendem Umgang aller Stakeholder aus. • Agile Werte wie Respekt Offenheit, Mut, Fokus und Neugier bestimmen unseren täglichen Umgang. Sowohl untereinander als auch mit unseren Kunden und Lieferanten. Destiny Umsetzung planen • Präsentation der Entwürfe der zukünftigen Organisation • Auswahl der wichtigsten Bausteine • Erarbeiten von Zukunftsaussagen Abb. 8: Destiny Nachbereitung Umsetzung begleiten • Projekt feinplanen • Review der Projektplanung • Umsetzung begleiten Abb. 9: Nachbereitungsphase einem externen, zertifizierten Projektmanager zumindest reviewen zu lassen, bevor sie in die Umsetzung gehen. Die Umsetzung muss professionell begleitet werden, um einen nachhaltigen Projekterfolg sicherzustellen. Denn nichts macht ein System, gleich welcher Größe, lieber als in alte Muster zurückzufallen. 3. Der AI-Prozess und die ICB4 - „People“ Werfen wir nun einen Blick auf die 10 Kompetenzelemente der ICB4 „People“ und deren Erscheinungsformen im AI-Prozess (vgl. Abb.-11). 3.1 Selbstreflexion und Selbstmanagement (People 1) Durch die Wertschätzenden Interviews in der Discovery-Phase werden die Teilnehmer und die gesamte Organisation in die Selbstreflexion gebracht. Stärken und Schwächen werden sichtbar und zum Fundament für die gewünschte Zukunft. Selbstmanagement wird in diesem Prozess dadurch angeregt, dass „ein jeder gut für sich und die anderen sorgt“. 3.2 Persönliche Integrität und Verlässlichkeit (People 2) Der gesamte Prozessablauf fordert und fördert Mut, Offenheit, Respekt und Selbstverpflichtung als wesentliche Werte, die wir auch im agilen Bereich finden. Dadurch werden die Kompetenzen, persönliche Integrität und Verlässlichkeit gefordert und unterstützt. 3.3 Persönliche Kommunikation (People 3) Der gesamte Prozess basiert, gerade in Form des „Wertschätzenden Interviews“, auf guter persönlicher Kommunikation und Austausch auf Augenhöhe. Dabei ist es notwendig, sich voll und ganz auf den Gesprächspartner einzulassen, um seine besonderen Qualitäten zu erfassen und formulieren zu können. Achtsamkeit und Wertschätzung gegenüber seinem Interviewpartner werden so geschult. 3.4 Beziehungen und Engagement (People 4) Durch die Form des Prozesses und seine positive Ausrichtung werden Beziehungen zwischen den Menschen aufgebaut und gestärkt. Der Wille, sich an einer Zukunft zu beteiligen und sich für sie zu engagieren, wird durch den hohen Grad des Eingebundenseins der Teilnehmer gefördert. 3.5 Führung (People 5) Führung erfolgt in diesem Prozess zunächst durch das Moderatorenteam, das durch den Prozess begleitet. Während des Prozesses werden einzelne Schritte, unter Berücksichtigung von „Leitplanken“, der Selbstführung überlassen. Die Führung unterstützt den Prozess im Sinne von „Servant Leadership“ und gemeinsam wird dabei das WeQ als wertvoll und bereichernd erlebt. 3.6 Teamarbeit (People 6) Alle Phasen des Prozesses setzen sehr stark auf Teamarbeit. Beginnend mit der Vorbereitungsphase, in der ein interdisziplinäres Team das Kernthema definiert, über die Interviews, die Gestaltung einer visionären Sicht auf die Zukunft, das Ausarbeiten von Zukunftsaussagen, das Aufsetzen von kon- 2.5 Destiny - Die Projektplanung In der finalen Phase werden nun Projekte aufgesetzt, um die Zukunftsaussagen Wirklichkeit werden zu lassen. Jeder Teilnehmer kann sich zu einem konkreten Themenfeld aus der vorangegangenen Phase bekennen, an dem er mitwirken möchte. So entstehen Gruppen zu den einzelnen Themenfeldern. Diese Gruppen bestehen aus genau den Teilnehmern, die sich und ihre besonderen Qualitäten zu genau den, zu ihnen am besten passenden Themen einbringen möchten. Die einzelnen Gruppen erarbeiten dann die nächsten konkreten Schritte. Wer macht was, wie, mit wem und bis wann. Das bedeutet nicht unbedingt, dass in dieser Phase schon komplette Projekte durchgeplant werden, aber zumindest ist der konkrete nächste Schritt klar und verbindlich vereinbart. Und allen Beteiligten ist bewusst, dass das nur der Auftakt zu einem iterativen Prozess ist. Dem dann sowohl klassisches, agiles wie auch hybrides Vorgehen folgen kann. In dieser Phase werden vor allem die Agilen Werte Fokus, Selbstorganisation, Selbstverpflichtung und Iteratives Denken sichtbar. 2.6 Die Nachbereitungsphase / Umsetzungsbegleitung Sind die nächsten Schritte geplant, geht es in die Umsetzung. In der Umsetzungsphase werden zunächst die einzelnen Projekte durchgeplant. Idealerweise von entsprechend ausgebildeten und zertifizierten GPM-Projektmanagern. Falls solche im Unternehmen nicht vorhanden sind, empfiehlt es sich, die Projektplanungen von Wissen | Agilität einführen mit Appreciative Inquiry 24 DOI 10.2357/ PM-2020-0040 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 1. Jahrgang · 03/ 2020 D_Wissen_03_Clausing.indd 24 D_Wissen_03_Clausing.indd 24 19.06.2020 12: 18: 42 19.06.2020 12: 18: 42 kreten Umsetzungsprojekten, bis hin zur Nachbereitungs- und Umsetzungsphase. 3.7 Konflikte und Krisen (People 7) Während eines AI-Prozesses werden immer auch Konflikte sichtbar. Sei es, dass schon in der Vorbereitung einzelne Mitarbeiter oder Abteilungen nicht zusammenwirken wollen, über die Aussagen von Teilnehmern, dass sie sich außerstande sehen, irgendetwas Positives über ihren Interviewpartner zu sagen, bis hin zu „auffälligen“ Verhaltensweisen während des Kreativprozesses. All das wird gesehen und bekommt seinen Raum, indem es als Potenzial für eine andere Zukunft in die Zukunftsaussagen integriert wird. Zum Bespiel, indem eine Zukunftsaussage zu dem Thema „Wertschätzende Konfliktlösung“ formuliert wird. Denn wenn Konflikte frühzeitig und angemessen angegangen werden, kann die dem Konflikt innewohnende Energie positiv transformiert werden und es kommt gar nicht erst zu Krisen. 3.8 Vielseitigkeit (People 8) Im AI-Prozess werden immer wieder konzeptionelle und ganzheitliche Denkweisen genutzt, gefordert und gefördert. Kreative Phasen (Dream & Design) und analytische Phasen (Discovery und Destiny) wechseln sich ab. Am Ende des Abb. 10: Konflikte und Krisen © Helmut Michel Kompetenzfelder der ICB4 - People Im AI - Prozess erlebbar Agile Werte & Agiles Mindset 1 Selbstreflexion und Selbstmanagement Discovery, Dream Mut, Offenheit, Respekt, Neugier 2 Persönliche Integrität und Verlässlichkeit In allen Phasen Mut, Offenheit, Respekt und Selbstverpflichtung 3 Persönliche Kommunikation 4-D-Phasen Kommunikation, Feedback, Respekt, Offenheit 4 Beziehungen und Engagement 4-D-Phasen Kommunikation, Feedback, Respekt, Offenheit 5 Führung Dream Selbstführung, Selbstorganisation 6 Teamarbeit Dream, Design Kommunikation, Feedback, Respekt, Offenheit 7 Konflikte und Krisen In allen Phasen Kommunikation, Feedback, Mut, Respekt, Offenheit 8 Vielseitigkeit Wechsel in den 4-D-Phasen Einfachheit, Offenheit, Neugier, Wachstum 9 Verhandlungen In allen Phasen Kommunikation, Wachstum, Selbstverpflichtung 10 Ergebnisorientierung In allen Phasen Kundenorientierung, Wachstum, Weiterentwicklung Abb. 11 - Abgleich ICB4 People mit dem AI-Prozess, Agilen Werten und Agiles Mindset Prozesses ist jeder Teilnehmer gefordert, sich mit seinen individuellen Stärken und Qualitäten einzubringen und mitzuwirken. 3.9 Verhandlungen (People 9) Der Kompetenz „Verhandlungen“ wird im AI-Prozess in besonderer Weise Rechnung getragen. Ist er doch genau dazu ausgelegt, ein Gleichgewicht zwischen humanen, ökologischen und ökonomischen Bedürfnissen aller Stakeholder zu erzeugen. Um damit gleichzeitig Einigung und Verpflichtung, unter Aufrechterhaltung und in der Regel sogar Verbesserung der Arbeitsbeziehungen zu erzielen. 3.10 Ergebnisorientierung (People 10) Der AI-Prozess beschreibt eine Vorgehensweise, die es ermöglicht, exzellente Ergebnisse im Sinne der Stakeholder und damit des Projektes zu erreichen. Das Ergebnis wird zunächst als Vision, basierend auf vorhandenen Qualitäten und Erfolgsfaktoren formuliert. Und ist damit gleichermaßen realistisch wie attraktiv. An der Vision richten sich alle nachfolgenden Phasen und Prozessschritte aus. Effizienz und Effektivität, also die Produktivität, entstehen gerade dadurch, dass alle Meinungen und Gesichtspunkte der Teilnehmer in die Ergebnisorientierung einfließen. Wissen | Agilität einführen mit Appreciative Inquiry 25 DOI 10.2357/ PM-2020-0040 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 1. Jahrgang · 03/ 2020 D_Wissen_03_Clausing.indd 25 D_Wissen_03_Clausing.indd 25 19.06.2020 12: 18: 43 19.06.2020 12: 18: 43 Werfen wir der Vollständigkeit halber noch einen Blick auf die ICB4 Kompetenzfelder „Perspective“ und „Practice“. 4. Perspective Jeder Change-Prozess - so auch der AI-Prozess folgt einer Strategie (Perspective1). Das Vermitteln des Zusammenhanges zwischen einem spezifischen AI-Prozess und der Strategie ist wichtiger Bestandteil der Kommunikation. Die Teilnehmer möchten sinnvolle Antworten auf Fragen wie: „Wozu soll das gut sein? “ oder „Warum sollte ich hier mitmachen? “. Gerade der AI-Prozess eignet sich aus Sicht des Autors in besonderer Weise, um organisationale und externe Governance, Strukturen und Prozesse (Perspective 2) auf den Prüfstand zu stellen oder zu verändern. Gleiches gilt für Compliance, Standards und Regularien (Perspective 3). Denn, wer weiß besser über diese Themenfelder Bescheid als die davon Betroffenen. Diese Themenfelder in den Veränderungsprozess einzubinden, ihn mitzugestalten, ja geradezu neu kreieren zu lassen, macht die Veränderung wesentlich leichter umsetzbar und nachhaltiger. Informelle Macht und Interessen (Perspective 4) haben enormen Einfluss auf das Gelingen oder Scheitern von Projekten. Indem die Betroffenen sich im AI-Prozess einbringen und zum Ausdruck bringen können, dürfen und sollen, kommen verschiedenste Blickwinkel und Interessen zum Vorschein und zur Wirkung. Der AI-Prozess unterstützt in besonderer Weise die Bildung einer positiven Kultur und Werte - Landschaft (Perspective 5). Denn Leitbilder und Zukunftsaussagen werden nicht von einer Hierarchie vorgegeben, sondern von allen Stakeholdern in Kooperation gestaltet und formuliert. Durch die konsequente Ausrichtung und Orientierung am Positiven unter Berücksichtigung des Negativen und dessen Formulierung als Herausforderung entsteht während des AI-Prozesses, dem Prozess der „Wertschätzenden Erkundung“ nicht selten der Wunsch danach, genau dieses Fundament des gegenseitigen Respekts und der Wertschätzung zu stärken und zu festigen. 5. Practice Bei der Umsetzung der zum Abschluss des Workshops definierten Projekte können alle methodischen Kompetenzen (1 bis 13) zum Tragen kommen. Das richtet sich ganz nach den individuellen Erfordernissen der jeweiligen Projekte. Es sind gleichermaßen klassische, wie agile und hybride Vorgehensweisen denkbar. Daher wird an dieser Stelle nicht näher darauf eingegangen. 6. Zeitrahmen des AI Prozesses Der Zeitrahmen des Prozesses richtet sich nach dessen Umfang. Eine Teambuilding-Maßnahme braucht einige Tage Vorbereitungszeit. Darauf folgt ein 2-3 Tages-Workshop (für die 4-D’s) und geht dann in einige Tage begleitete Umsetzungsphase über. Der Aufwand richtet sich unter anderem nach der Anzahl der Teilnehmer. Bei der Einbindung einer ganzen Organisation und deren Stakeholder kann der Prozess skaliert werden. Je nach Umfang kann er sich über mehrere Monate Bernward Clausing Der Autor ist Ingenieur, Berater, Trainer und Coach. Dabei verbindet er die Faszination für Technik mit seiner Leidenschaft für Achtsamkeit und Wertschätzung. Er berät und begleitet Menschen und Organisationen bei deren Entfaltung und Entwicklung, hin zu gelingender Zusammenarbeit. bc-quadrat, Bernward Clausing, Am Wald 22, D-91809 Wellheim, Tel.: +49 (0)8427/ 98 58 317, email: clausing@bc-quadrat.de erstrecken. Der damit verbundene zeitliche Aufwand ist damit nur höchst individuell abschätzbar. Fazit Aus Sicht des Autors ist der AI-Prozess als zentrales Element für die Einführung von Agilität sehr gut geeignet. Allerdings stellt diese Vorgehensweise hohe Anforderungen an die Unternehmenskultur und fordert Mut bei den Entscheidern. Denn das Fundament, auf dem Agilität und auch der AI-Prozess stehen, ist Vertrauen. Der AI-Prozess macht alle Betroffenen und Stakeholder, inklusive der Kunden, zu Beteiligten und verfolgt damit einen klaren Bottom-Up-Ansatz, der sich an der Unternehmensstrategie und dem damit verbundenen Top-Down-Ansatz spiegelt. Die Teilnehmer werden in die Gestaltung des Change-Prozesses einbezogen und verlangt ihnen ab, Verantwortung zu übernehmen. Die Führungskräfte können sich im Loslassen üben, indem sie dem, was sich während des Workshops zeigt, Raum geben, um sich zu entfalten. Die Führungskräfte erleben sich selbst als Wegbereiter und Wegbegleiter im Sinne des Servant-Leadership-Gedanken. Im kreativen Teil des Workshops (Dream) erfahren die Teilnehmer zudem Selbstorganisation und das Sich-aufeinander-einlassen. Silodenken und starre Strukturen werden überwunden, da alle Betroffenen die Möglichkeit haben, sich neu kennenzulernen und an einer gemeinsamen Zukunft auszurichten. Damit wird auch gleichzeitig die Schaffung einer hierarchieübergreifenden offenen Kommunikation gefördert. Mit kritischen Themen wird offensiv umgegangen. Damit wird eine gute Basis für eine tragfähige Feedback- und Konfliktlösungskultur angestoßen. Der AI-Prozess ermöglicht ganz konkret das Erleben von WeQ als Ausdruck von Selbstorganisation. Literaturverweise [1] www.wertschaetzer.com/ wiki/ appreciative-inquiry Stand: 24.02.2020 [2] Matthias zur Bonsen, Carole Maleh: Appreciative Inquiry (AI). Der Weg zu Spitzenleistungen. 2. Auflage, Beltz Verlag, Weinheim und Basel, 2012 Eingangsabbildung: © iStock.com/ jacoblund Wissen | Agilität einführen mit Appreciative Inquiry 26 DOI 10.2357/ PM-2020-0040 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 1. Jahrgang · 03/ 2020 D_Wissen_03_Clausing.indd 26 D_Wissen_03_Clausing.indd 26 19.06.2020 12: 18: 43 19.06.2020 12: 18: 43