eJournals PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL 31/5

PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
10.2357/PM-2020-0104
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2020
315 GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.

Digitalisierung – mit hybridem Projektmanagement-Ansatz durch die Krise

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2020
Ines Schubiger
Christian Majer
Covid-19 hat die digitale Transformation der Unternehmen stark beschleunigt. Die Krise machte deutlich, ob ein Unternehmen digital gut aufgestellt und somit zukunftsfit ist. Je früher Unternehmen bereit sind, die Digitalisierung durch und mit ihren MitarbeiterInnen voranzutreiben, umso besser. Das Praxisbeispiel zeigt, wie Unternehmen Schritt für Schritt den digitalen Wandel erfolgreich angehen und verankern können. Es zeigt weiters, welche Auswirkungen Covid-19 auf die Umsetzung des Digitalisierungsprogramms hatte und wie damit umgegangen wurde. Die einzelnen Phasen der Veränderung werden pointiert vorgestellt, diskutiert und reflektiert. In Form von sechs Gestaltungsthesen werden die Erkenntnisse und Erfahrungen des Change Projekts für LeserInnen zusammengefasst.
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Change Projekt: Fallbeispiel viadonau Digitalisierung-- mit hybridem Projektmanagement-Ansatz durch die Krise Ines Schubiger, Christian Majer Für eilige Leser | Covid-19 hat die digitale Transformation der Unternehmen stark beschleunigt. Die Krise machte deutlich, ob ein Unternehmen digital gut aufgestellt und somit zukunftsfit ist. Je früher Unternehmen bereit sind, die Digitalisierung durch und mit ihren MitarbeiterInnen voranzutreiben, umso besser. Das Praxisbeispiel zeigt, wie Unternehmen Schritt für Schritt den digitalen Wandel erfolgreich angehen und verankern können. Es zeigt weiters, welche Auswirkungen Covid-19 auf die Umsetzung des Digitalisierungsprogramms hatte und wie damit umgegangen wurde. Die einzelnen Phasen der Veränderung werden pointiert vorgestellt, diskutiert und reflektiert. In Form von sechs Gestaltungsthesen werden die Erkenntnisse und Erfahrungen des Change Projekts für LeserInnen zusammengefasst. Schlagwörter | Digitalisierung, Digitale Transformation, Change, Veränderungsmanagement, Organisatorischer Wandel 1. Wie alles begann Ziel dieses Beitrags ist es, sich dem Thema Changemanagement praktisch fundiert und theoretisch reflektiert zu nähern. Konkret geht es um das Fallbeispiel: Die Digitalisierung bei viadonau. Der disruptive Wandel stellt Organisationen vor immer neue Herausforderungen, mit oft weitreichenden Folgen für das Geschäftsmodell eines Unternehmens. Mit Covid-19 hat die digitale Transformation einen Gang zugelegt und vollzieht sich schneller als erwartet. viadonau- - Österreichische Wasserstraßengesellschaft m.b.H. ist ein ausgegliedertes öffentliches Unternehmen des Bundes zur Erhaltung und Entwicklung der Wasserstraße Donau. Als öffentliches Unternehmen ist viadonau mehr denn je gefordert, Antworten auf die fortschreitende Digitalisierung zu finden. Um die Digitalisierung auf breiter Ebene anzustoßen, startete viadonau bereits im Herbst 2017 das Change-Projekt „Initialisierung Digitalisierung bei viadonau-- Prozesse neu denken“. Für den Veränderungsprozess wählte viadonau das 8-Stufenmodell von Kotter (2011) zur grundsätzlichen Orientierung. Um die Wirkungen im Projekt zu erhöhen, wurden die einzelnen Phasen des linearen Kotter-Modells in einem zyklischen Prozess mehrmals durchlaufen. Seit 2019 wird die Digitalisierung-Road Map kontinuierlich umgesetzt. Mit Covid-19 musste die Road Map neu priorisiert werden und das Digitalisierungsprogramm musste von einem Tag auf den anderen fast ausschließlich „remote“ gesteuert werden. Im Folgenden werden die einzelnen Phasen nach Kotter (2011) pointiert vorgestellt, diskutiert und reflektiert. 2. Veränderung in acht Phasen 2.1 Phase 1: Ein Gefühl der Dringlichkeit erzeugen Theorie: Organisationen sind veränderungsavers und wollen am liebsten so bleiben, wie sie sind (Simon 2012). Menschen sind Wissen Digitalisierung - mit hybridem Projektmanagement-Ansatz durch die Krise DOI 10.2357/ PM-2020-0104 31. Jahrgang · 05/ 2020 42 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 31. Jahrgang · 05/ 2020 DOI 10.2357/ PM-2020-0104 eher träge und verlassen ungern ihre Komfortzonen. Der KVP als kontinuierlicher Verbesserungsprozess ist oft zu langsam für radikale oder disruptive Veränderungen. Daher benötigt es die Bereitschaft der Menschen, sich auf etwas Neues einzulassen und alte Ufer zu verlassen. Praxisfall: viadonau erkannte frühzeitig, dass es erfolgsentscheidend ist, den technologischen Wandel nicht zu verschlafen. Kundenanliegen zeitgemäß zu erfüllen, hat für viadonau als Dienstleistungsunternehmen stets oberste Priorität. Diese Rahmenbedingungen und das „Internet der Dinge“ veranlassten viadonau dazu, die Prozessdigitalisierung im Herbst 2017 in proaktiven Schritten voranzutreiben. Das Management und die MitarbeiterInnen sollten ein Gespür für die Dringlichkeit entwickeln und auf den bevorstehenden Change eingestimmt werden. Das Vorhaben startete mit Kreativ-Workshops, um Lust an der digitalen Transformation zu erzeugen. Hierbei nutzte viadonau das Format des Prototypings. Ziel war es, im Kopf vorhandene innovative Ideen möglichst schnell in einen Prototyp zu verwandeln. Die MitarbeiterInnen erkannten, welche Digitalisierungspotenziale in ihren Prozessen schlummern und hatten Spaß dabei, die ersten Entwicklungsschritte zu gehen. Die positive Resonanz der MitarbeiterInnen schenkte dem Changeprojekt in einer sehr frühen Phase die notwendige Aufmerksamkeit, die für den weiteren Projektverlauf entscheidend war. Reflexion: In dieser ersten Phase wurde ein breiter Raum für die Sensibilisierung der MitarbeiterInnen eröffnet. Design Thinking und Chatbox sind Beispiele dafür, die Menschen neugierig zu machen und Spielräume-- im wörtlichen Sinne-- zu schaffen, die ein kindlich neugieriges Herantasten im Sinne von Marchs ‚Technology of Foolishness‘ (1988) an neue Themen ermöglicht. Somit wurde kein Top-down-Push von der Geschäftsführung erzeugt. Mit „kindlicher“ Neugier konnten Ängste vor dem unbekannten Neuen ausgelotet und erprobt werden. Abb. 2: Workshop Prototyping März 2018 (Quelle: wonderwerk) Abb. 1: Projektphasen Digitalisierung 2017 - 18 (eigene Darstellung ) Wissen | Digitalisierung-- mit hybridem Projektmanagement-Ansatz durch die Krise 43 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 31. Jahrgang · 05/ 2020 DOI 10.2357/ PM-2020-0104 Bei der Zusammensetzung des Prototyping-Teams ist Diversität gefragt. Setzt man auf Vielfalt, dann sind auch ältere und erfahrene MitarbeiterInnen integrativer Teil des kreativen Prozesses. Widerständen kann so vorzeitig begegnet werden. 2.2 Phase 2: Eine Führungskoalition aufbauen Theorie: Veränderungsvorhaben benötigen aktives Leadership. Kotter (1990) folgt hier Peter Drucker, der bereits in den 80er Jahren darauf hingewiesen hat, dass US-Firmen „overmanaged and underlead“ seien. Changes erzeugen aufgrund der Ungewissheit und der unbekannten Zukunft ein enormes Maß an Verunsicherung und Ängsten. Daher ist es erfolgskritisch, dass sowohl die oberste Führung als auch das Middle-Management geschlossen für die Veränderungen stehen und mit gutem Vorbild vorangehen. Praxisfall: Für eine Strategie der Veränderung von innen benötigt man die Unterstützung der Führungsmannschaft und das Engagement von ExpertInnen. Welche Beiträge sie mit ihren vorhandenen Fähigkeiten und Kompetenzen zur Veränderung beisteuern, hat maßgeblichen Einfluss auf den Erwerb neuer Fähigkeiten und Kompetenzen und somit auf die nachhaltige Wirkung des Veränderungsprozesses. Die viadonau-Geschäftsführung musste nicht eigens überzeugt werden, die weiteren Managementebenen sehr wohl. Ein Grund dafür war, dass die mit der digitalen Transformation einhergehenden Veränderungen oft als große Bedrohung (Macht- und Kontrollverlust) gesehen wurden. Mit einer Auftaktveranstaltung im frühen Projektstadium konnte das Managementteam aktiviert werden. Ziel war es, die Projektziele zu erläutern, die Erwartungshaltungen zu klären und ein gemeinsames Verständnis zu schaffen. Die Verantwortung des Managements für den Transformationsprozess zu übernehmen, war das zu vermittelnde Credo. Reflexion: Die Herausforderung bei dieser angestrebten Veränderung war und ist es, das mittlere Management mitzunehmen und neue Perspektiven aufzuzeigen. In der Praxis gibt es immer Führungskräfte, die „mauern“. Dennoch geht es darum, nie aufzuhören im Verlauf des Vorhabens kritisch eingestellte Führungskräfte zu überzeugen und auf die Reise mitzunehmen. Hat man Führungskräfte für die Veränderungen gewonnen, so gilt es nun, sie nicht wieder zu verlieren. Vielmehr ist es wichtig die Führungskräfte in eine Mitverantwortung für die Veränderungen zu bringen. Das Rollenbild und die Verantwortlichkeiten werden sich ändern, wahrscheinlich von einer eher hierarchischen Funktionsverantwortung hin zu einer stärkeren Ressourcenpoolverantwortung, mehr Kontextsteuerung und Coaching, dafür weniger direkte Einflussnahme und Expertensteuerung. 2.3 Phase 3: Vision & Strategie entwickeln Theorie: Eine Vision steht für ein Bild der Zukunft. Eine Vision muss also überzeugen und mit der Mission einer Organisation kor- 1 Als kurze Erläuterung siehe dazu Thomas Kemp: OKR-- Googles Wunderwaffe für den Unternehmenserfolg oder: Raus aus der Komfortzone, 2014 respondieren. Die Strategie ist die vorläufige Konkretisierung der Vision, das nächste Etappenziel einerseits: Wo wollen wir in drei oder fünf oder einem Jahr stehen? Und wie kommen wir dort hin? Strategie heißt vor allem auch: „Was wollen wir nicht sein oder machen? Was zeichnet uns aus bzw. macht uns zu etwas Besonderem? In der öffentlichen Verwaltung ist dies in Bezug auf den Wettbewerb vielleicht nicht so relevant, aber dennoch wesentlich hinsichtlich wahrgenommenem Nutzen für die StaatsbürgerInnen und innerhalb der Organisation in Bezug auf das Identifikationspotenzial der eigenen MitarbeiterInnen. Praxisfall: viadonau verfügt seit Jahren über einen effektiven Strategieprozess. Das Management und die MitarbeiterInnen werden in die Entwicklung der strategischen Ziele aktiv eingebunden. viadonau sieht die Digitalisierung als Querschnittsmaterie, die alle Säulen der Unternehmenstätigkeit tangiert. Mit der Verankerung der Digitalisierungsstrategie als Teil der Unternehmensstrategie wurde so ein sichtbares Zeichen nach außen und innen gesetzt. Die strategischen Ziele zur digitalen Transformation werden operationalisiert und konsequent in den Unternehmenszielen verankert. Durchsetzungsfähige und engagierte MitarbeiterInnen als Zielverantwortliche definieren gemeinsam mit den Betroffenen konkrete operative Maßnahmen zur Erreichung der Unternehmensziele. Durch ein standardisiertes monatliches Monitoring stellen die Zielverantwortlichen sicher, dass die vereinbarten Maßnahmen plangemäß umgesetzt werden. Die Erfolgsbeteiligung der MitarbeiterInnen an der Digitalisierung durch Management by Objectives stellt einen wesentlichen motivierenden Anreiz dar. Die Telearbeit während Covid-19 brachte es mit sich, noch stärker den Beitrag des Einzelnen zu den Unternehmenszielen zu definieren und über den OKR 1 -Einsatz nachzudenken, um gleichzeitig auch den Grad der Selbstorganisation zu erhöhen. Reflexion: Gelungen erscheint hier die Integration in bestehende Strategien. Ein kaskadierendes Zielsystem ermöglicht eine stringente Operationalisierung der Strategie. Damit wird die Radikalität der inhaltlichen Dimension der Digitalisierung durch die gewohnten Prozeduren der Strategieevaluierung und -umsetzung gemildert. Neues wird durch Bestehendes ermöglicht, das disruptive Changeprojekt bekommt durch die zyklische Wiederholung von Neuerungen im Rahmen des Strategieprozesses einen kontinuierlichen Charakter. Durch die offene Initiierungsphase wurde das Risiko minimiert, dass die MitarbeiterInnen den Eindruck gewinnen könnten: „War eh nur alles Show und wir haben nichts mehr mitzureden“. Die große Herausforderung ist es nun, die geweckten Erwartungen der Partizipation aufrechtzuerhalten und zu nutzen. Hier kann das Kotter-Modell auch kritisch hinterfragt werden, denn in Phase 3 und 4 kommt der Top-Down-Zugang klar zum Vorschein: Das Management formuliert Vision & Strategie und verkündet dies dann dem „Volk“. Tatsächlich verdrängen partizipative Strategieentwicklungsprozesse- - wie auch Wissen | Digitalisierung-- mit hybridem Projektmanagement-Ansatz durch die Krise 44 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 31. Jahrgang · 05/ 2020 DOI 10.2357/ PM-2020-0104 hier beschrieben-- mit breiter und bewusster Einbindung der einzelnen Bereiche bis hinunter auf die operativen Ebenen in Theorie (Mintzberg 2011) und Praxis zusehend die abgeschotteten Geheimniskrämereien. 2.4 Phase 4: Vision des Wandels kommunizieren Theorie: Die besten Strategien, die keiner kennt, weil so geheim oder so unverständlich, finden keine Verwirklichung. Wenn man tatsächlich was verändern will, muss man die Geschichte auch unters „Volk“ bringen. Norton / Kaplan (2009) haben das sogenannte „Strategie-Operations-Gap“ thematisiert. Konkret, die Lücke zwischen strategischem Denken und operativem Tun. Die Herausforderung lautet daher: „Translating Strategy into Action“. Die BSC wird seither in allen Branchen und Sektoren als balanciertes Kennzahlensystem für Strategieimplementierung verwendet. Doch nicht alle Unternehmen haben erkannt, dass der Schlüssel für den Erfolg in der BSC-Story liegt: im Storytelling. Wie hängen die vier BSC-Perspektiven zusammen, und wie wollen wir Profit oder Impact erzielen? Erst wenn diese Ursache-Wirkungsbeziehungen innerhalb der BSC für eine Organisation greifbar und verständlich werden, erst dann wirken sie. Und darum geht es in dieser Phase: um Sinn-Stiftung (Weick 2007). Praxisfall: Tue Gutes und sprich darüber! Nach diesem Motto gestaltete viadonau die Informations- und Kommunikationspolitik des digitalen Wandels. Neben der Nutzung vorhandener Meetings- und Kommunikationsstrukturen setzt viadonau bei der Verbreitung der Projektergebnisse auf spezifische Formate. Reflexion: Der Erfolg eines Change ergibt sich nicht aus guter Arbeit und Qualität allein. Es geht vor allem um Akzeptanz der Betroffenen. Partizipation ist in Veränderungsprozessen eine ganz wesentliche Komponente. Sie kostet Zeit und auch Geld, aber dadurch werden Widerstände absorbiert und eine nachhaltige Verankerung ermöglicht. 2.5 Phase 5: Mitarbeiter auf breiter Basis befähigen Theorie: Wenn die Bereitschaft geschaffen ist, benötigt es üblicherweise auch neues Wissen und neue Fähigkeiten. MitarbeiterInnen müssen rechtzeitig vorbereitet und gerüstet sein. Dazu bietet sich ein Kompetenzprofil an, anhand dessen die einzelnen Dimensionen in Form eines Radardiagramms sichtbar gemacht werden. In einer groben Einteilung lassen sich Fach-, Methoden, und soziale Kompetenzen unterscheiden. Abb. 4: Technologie-Radar März 2018 (Quelle wonderwerk) Abb. 3: Kommunikation und Information während der Projektumsetzung (eigene Darstellung) Wissen | Digitalisierung-- mit hybridem Projektmanagement-Ansatz durch die Krise 45 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 31. Jahrgang · 05/ 2020 DOI 10.2357/ PM-2020-0104 Die Unterscheidung in Ist- und angestrebte Soll-Kompetenzen kann als Selfassessment und zusätzlich als Vorgesetztenbewertung erfolgen. Über die nötigen Qualifikationen der angestrebten Veränderungen (hier die Digitalisierung) ist es auch nötig, den MitarbeiterInnen Fähigkeiten für den Veränderungsprozess selbst (wie Offenheit, Konfliktfähigkeit, Moderationsskills) mitzugeben. Praxisfall: Damit die MitarbeiterInnen aktiv den digitalen Wandel mitgestalten können, ist die breite Befähigung der Belegschaft durch Schulung, Aus- und Weiterbildung und Lernreisen ein Erfolgsfaktor. Am Beginn der Schulung stand der „Technologie-Radar“. Die Schulung präsentierte ausgewählte Technologien, die an Relevanz gewonnen haben und erläuterte gezielt Einsatzmöglichkeiten in den verschiedenen Prozessen. In der darauffolgenden Prozessanalyse wurden die Prozessverantwortlichen aufgefordert, Digitalisierungspotenziale in den Prozessen zu erheben. Wesentliche Grundlage für die Prozessanalyse war ein standardisierter Prozesscheck in Form einer Online-Selbstevaluierung. Bereits während der Analysephase konnten die MitarbeiterInnen gezielte und themenbezogene Aus- und Weiterbildungen zum Thema digitale Transformation besuchen. viadonau ermöglichte ihren MitarbeiterInnen neben der klassischen Aus- und Weiterbildung sogenannte „Lernreisen“. Die Prozessverantwortlichen sollen ihnen unbekannte Aspekte bereits erfolgreich eingeführter Systeme bei anderen Institutionen kennenlernen und in die eigene Organisation implementieren. Reflexion: Das Schulungs- und Ausbildungsprogramm wurde sehr offen und breit angelegt. Eine Mischung von Lernen aus Schulungen und Ausprobieren hat sich bewährt. Dadurch konnte die Selbstverantwortung weiter gestärkt werden. Der offensive Zugang zur digitalen Aus- und Weiterbildung führte dazu, dass Führungskräfte in ihren Fachbereichen die „digitale Kompetenz“ schnell auf ihrer Agenda hatten. Darüber hinaus sind MitarbeiterInnen selbst an die Führungskräfte proaktiv herangetreten, entsprechende Aus- und Weiterbildungsseminare besuchen zu können. Der offene Zugang und das „Ausprobieren“ birgt die Gefahr, dass viele Veranstaltungen und Seminare besucht werden, ohne über einen entsprechenden Lerntransfer nachzudenken. Wie kann das Wissen in die Veränderung eingebracht werden? Wie kann der Lerntransfer durch interne Maßnahmen gefördert werden? Offene Fragen, die es noch zu beantworten gilt. Abb. 5: Selbstevaluierung Juni 2018 (Quelle wonderwerk) Abb. 6: viadonau Sounding-Board-- intendierte Wirkungen (Eigene Darstellung) Wissen | Digitalisierung-- mit hybridem Projektmanagement-Ansatz durch die Krise 46 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 31. Jahrgang · 05/ 2020 DOI 10.2357/ PM-2020-0104 2.6 Phase 6: Schnelle Erfolge erzielen Theorie: Die Samen des Projekterfolgs werden am Anfang gestreut. Daher ist ein wohlüberlegter Beginn jedenfalls erfolgskritisch. Nur: Bloß gut anfangen, ist zu wenig. Schnelle Erfolge bedeuten einiges: Erstens werden die Überzeugten bestätigt und in ihrer Motivation gestärkt. Zweitens können die Indifferenten und Verunsicherten darin Orientierung und Konkretisierung erlangen. Und drittens, manche Veränderungsgegner können mit schnellen Ergebnissen überzeugt werden. Wichtig ist das Wie . Jeder Veränderungsprozess läuft im Sinne von Lewin (2012) entlang eines bi-polaren Kräftefelds ab: verändernde und die bewahrenden Kräfte. Eine wertschätzende Balance zu halten ist dabei entscheidend. Der Einsatz eines Sounding-Boards schafft neben Transparenz und Aufbau von Reflexionspotenzial vor allem auch die Möglichkeit der Partizipation. Dabei können sich alle, auch die Skeptischen, einbringen. Kritische und alternative Sichtweisen sind da nicht nur toleriert, sondern explizit erwünscht. Im Rahmen von Sounding-Boards können blinde Flecke, kritische Strömungen sowie auch kreative Inputs aufgegriffen und genutzt werden. Praxisfall: Ein Change benötigt Zeit. Trotzdem wollen die Mitarbeiter- Innen Fortschritte erkennen. Der vierteljährliche OE-Steuerkreis hat sich als geeignetes Format zur Präsentation der ersten Umsetzungserfolge herausgestellt. Die Differenzierung zwischen Vorhaben -> Machbarkeitsstudie -> Pilot -> Umsetzungsprojekt macht es möglich, sich auf einzelne Abschnitte zu konzentrieren und nach erfolgreichem Abschluss motiviert den nächsten Schritt zu gehen. Beim Vorhaben Robotic Process Automation (RPA) setzte viadonau auf das Prinzip der kleinen Schritte. Zu Beginn stand ein Initialisierungsworkshop, um erfolgreiche Praxisbeispiele vorzustellen. Es folgte ein Discovery Workshop zur Konkretisierung des RPA-Einsatzes und zur Identifizierung eines Pilotprojekts. Durch diese Vorgehensweise wurden die Unterstützer der ersten Stunde ermutigt, weiter motiviert am Projekt zu arbeiten. Mit der Einrichtung des Sounding-Boards werden der Verlauf und die Wirkung des Change aus übergeordneter Perspektive regelmäßig thematisiert und reflektiert. Im Soun- Abb. 7: Feedback zum 1. Sounding-Board als Word-Cloud (Eigene Darstellung) P RO J E K T MANAG E M E N T [BAU ] Bilden Sie sich weiter mit dem berufsbegleitenden Studiengang oder den Zertifikatsstudien. www.wba-weimar.de Alle Informationen finden Sie unter Das Zertifikatstudium entspricht dem 1. Semester unseres Masterstudiengangs. Masterstudiengang Projektmanagement [Bau] ab 23. April 2021 Zertifikatsstudium Betriebswirtschaftliche Kompetenzen im Projektmanagement Start: 16.04.2021 Dauer: 1 Semester 15 ECTS ding-Board werden die Erfolge konsolidiert und weitere Veränderungen eingeleitet. Das Sounding-Board funktioniert nicht nur als Resonanzboden, sondern auch gleichzeitig als Rahmen, erfolgreiche Umsetzungen „vor den Vorhang“ zu bringen. Durch Erfolge Anderer wurden die MitarbeiterInnen motiviert über weitere Potenziale nachzudenken. Das „Konkurrenzdenken“ wurde entfacht und neue konkrete Vorschläge und Ideen eingebracht. Wissen | Digitalisierung-- mit hybridem Projektmanagement-Ansatz durch die Krise DOI 10.2357/ PM-2020-0104 Anzeige Um auch während Covid-19 den MitarbeiterInnen einen Resonanzboden zu ermöglichen, entschied sich viadonau für ein Experiment: Das Sounding-Board im digitalen Raum mit interaktiven Workshop-Elementen stattfinden zu lassen. Mit Erfolg! Reflexion: Erfolge feiern ist ein wesentlicher Aspekt. Wichtig dabei ist es, Polarisierungen zu vermeiden und keine Siegesfeiern zu veranstalten. Beim Einsatz von Sounding-Boards ist es entscheidend, die dazugehörigen Regeln klar zu kommunizieren. Es geht bei diesen Formen der Reflexion nicht darum, ein übergeordnetes basisdemokratisches Steuerungsgremium zu etablieren, sondern um die Nutzung zusätzlicher Resonanzmöglichkeiten. Daher muss zu Beginn deutlich gemacht werden, dass nicht alle Ideen oder Einwände eins zu eins aufgegriffen und umgesetzt werden können. Ein Sounding-Board-- analog oder digital-- ist eine sehr offene Form Ideen, Fragen aber auch Widerstände und Sorgen einzufangen und produktiv zu nutzen. Nicht für alle TeilnehmerInnen wird das Sounding-Board das geeignet Format sein. Die Herausforderung besteht darin, Skeptiker vom Vorhaben zu überzeugen und sie entsprechend einzubringen. Dem viel zitierten „Tone form the Top“ kommt hierbei eine große Bedeutung zu. 2.7 Phase 7: Erfolge konsolidieren & weitere Veränderungen einleiten Theorie: Nach den ersten (kleinen) Erfolgen braucht es nachhaltige Wirkungen. Dazu bedarf es einer klaren mittel- und langfristigen Implementierungsstrategie. Die kann im Rahmen einer BSC mit Umsetzungsinitiativen und operativen Maßnahmen sein, jedenfalls benötigt es ein abgestimmtes Projekteportfolio. Ein etabliertes Projektmanagement erleichtert Change-Vorhaben jedenfalls, da auf bewährte Methoden und Vorgehensweisen zurückgegriffen werden kann. Verfügt die Organisation über ein funktionierendes Prozessmanagement, erleichtert dies die Verankerung in den neuen Geschäftsroutinen. Die Veränderung wird systematisch zur gelebten Best-Practice. Praxisfall: Die digitale Transformation ist eine große Veränderung, die nicht nur Zeit, sondern auch Durchhaltevermögen braucht. viadonau setzte dabei auf aktives Portfoliomanagement. Es wurde auf funktionierende Projektmanagementtools zurückgegriffen, ohne diese zu stark in den Vordergrund zu rücken. Die kontinuierliche Messung des Projektfortschritts und die Konsolidierung der Projekterfolge machte die Veränderungen im Rahmen des Change-Projektes gut sichtbar und gewährleistete die Wirtschaftlichkeit der Umsetzung. Nachdem die ersten Erfolge erzielt wurden, erkannte man auch, welche Prozesse, Tools und Strukturen nicht mehr passten. Ab diesem Zeitpunkt war auch das viadonau-Prozessmanagement gefordert. Die ersten Umsetzungsbzw. Projektergebnisse waren Auslöser für kleine, aber auch größere kontinuierliche Verbesserungsprozesse. Covid-19 stellte sich dabei als Beschleuniger heraus. Das Pilotprojekt „Robotics“ konnte innerhalb von drei Monaten er- 2 Diese markante Aussage wird Peter Drucker zugeschrieben, ist aber nicht belegt (siehe https: / / www.quora.com/ Did-Peter-Druckeractually-say-culture-eats-strategy-for-breakfast-and-if-so-where-when) folgreich umgesetzt werden. RPA in die Linie zu überführen, war dann eine logische Konsequenz. Das RPA-Competence Center wurde innerhalb von weiteren drei Monaten ausschließlich im „remote“-Arbeitsmodus implementiert. Reflexion: Die Herausforderung in dieser Phase ist es, die richtige Veränderungsgeschwindigkeit einzuschlagen. Jede Organisation hat ihre Eigenzeitlichkeit. So wie Individuen ihre Belastungsgrenzen haben, gilt dies auch für das soziale System Organisation mit ihrer spezifischen Kultur. Keine Veränderung ohne Widerstände (Doppler / Lauterburg 2014). Diese gilt es frühzeitig zu erkennen, zu bearbeiten und zu nutzen. Werden Widerstände ignoriert, verdrängt oder lächerlich gemacht, kommen sie in heftigerer Form wieder. Wie in jedem Change gab es Führungskräfte, die gegenüber dem gesamten Vorhaben von Beginn an sehr kritisch eingestellt waren. Überzeugungsarbeit bei den Skeptikern zu leisten, war eine Möglichkeit. Als besserer Weg stellte sich jedoch heraus, Konkurrenzdenken zu entfachen und sie in einen Wettbewerb mit anderen Führungskräften zu schicken. Der Change-Agent ist gut beraten mit „vordenkenden“ Führungskräften Allianzen zu bilden. Es wurde jede Gelegenheit genutzt, innovativ denkenden Führungskräften ein Forum zu geben, um den inhaltlichen Wettbewerb voranzutreiben. Durch Covid-19 waren die Führungskräfte zusätzlich gefordert, alte Muster abzulegen und neue Wege zu beschreiten. Aber auch hier gilt, nicht alle Führungskräfte wollen Teil eines Veränderungsprozesses sein. Mittel- und langfristig begünstigt dies eine „natürliche“ Selektion im Führungskader. 2.8 Phase 8: Neue Ansätze in der Kultur verankern Theorie: „Culture eats Strategy for Lunch.” 2 Die Bedeutung der Unternehmenskultur kann als Erfolgsfaktor für Veränderungsvorhaben keinesfalls zu hoch eingeschätzt werden. Mit der Verankerung des Neuen, dem freeze im Sinne Lewins (2012), wird der Change abgeschlossen. Das neue Paradigma wird zum Selbstverständlichen. Systemtheoretisch betrachtet manifestiert sich der Change in den sogenannten Entscheidungsprämissen, die eine Art Meta-Entscheidungen für situative operative Entscheidungen darstellen, quasi Rahmen- oder Vorentscheidungen, die vor allem kulturell eingebettet sind (Luhmann 2000). Praxisfall: Die Verankerung der Veränderung in der Unternehmenskultur stellt für viadonau noch eine Herausforderung dar. Den Führungskräften kommt dabei eine ganz bedeutende Rolle zu. Mit zunehmendem Projektfortschritt sind Korrekturen in der Aufbau- und Ablauforganisation zu erwarten. Die Organisations- und Personalstrukturen sind so anzupassen, dass die neuen (Prozess-) Ziele erreicht werden können. Wenn Innovation vom Top-Management erwartet und gefördert wird sowie positive Erfahrungen gesammelt werden, manifestieren sich diese langfristig und legen die Grundlage für eine Innovationskultur. In puncto Verhaltensänderung wurde viadonau von den faktischen Verhältnissen eingeholt. Covid-19 veränderte die Wissen | Digitalisierung-- mit hybridem Projektmanagement-Ansatz durch die Krise 48 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 31. Jahrgang · 05/ 2020 DOI 10.2357/ PM-2020-0104 Einstellung der MitarbeiterInnen zur digitalen Transformation. Durch Selbstorganisation, den gezielten Einsatz agiler Projektmanagementtools wie Scrum oder Kanban sowie die Anwendung agiler Führungselemente wie OKRs wurde die Veränderung im Verhalten forciert und ein Stück weit bereits gefestigt. Reflexion: Führungskräfte müssen den Veränderungsprozess wohlüberlegt vorbereiten, initiieren, durchhalten und tragen. Am tiefsten Punkt des Tals-der-Tränen werden daher nicht wenige Veränderungsprojekte abgebrochen oder neue zur Korrektur gestartet. Es gehört eine Menge Mut und Ausdauer vonseiten des Managements dazu, begonnene Vorhaben auch durchzuziehen. Nicht stur, wie geplant, sondern neudeutsch „agil“, mit einer sensiblen, reflexiven Herangehensweise. Zyklische Schleifen stellen eine kritische Überarbeitung und rollierende Anpassung der geplanten Ziele sicher. Und es ist auch wesentlich, das Ende des Veränderungsvorhabens zu proklamieren. Es geht bei Veränderungen nicht zuletzt um Inszenierungen (Hochreiter 2006), um einen dramaturgischen Spannungsbogen, der auf ein glorreiches Finale hinausläuft. Um dann wieder auf „Normalbetrieb“ umzustellen. 3. Resümee Folgende Erkenntnisse sind hier in Form von Gestaltungsthesen bzw. Achtsamkeitsregeln formuliert. Sie harmonieren weitgehend mit den normativen Empfehlungen von Kotter, bestätigen diese auch prinzipiell. Lediglich der lineare Charakter des 8-Stufen-Phasenmodells wird vor dem Hintergrund einer systemisch-reflexiv geprägten Herangehensweise relativiert. 1. Vor dem Beginn fängt alles schon an: Die eigenen Werte und Haltungen zum Change hinterfragen und die Vorgeschichte der Organisation sowie aktuelle Machtverhältnisse reflektieren. 2. Der Start stellt die Weichen für den Erfolg: Einen kreativen, einzigartigen Auftakt konzipieren, um Aufmerksamkeit und Interesse zu erzeugen. 3. Partizipation ist nicht alles, aber ohne sie hat der Change keine Chance: Möglichst die gesamte Organisation einbinden und verschiedene Formen sowie Abstufungen zur Mitgestaltung schaffen. 4. Polarisierungen erschweren und behindern die Umsetzung: Keinen ultimativen Kampf zwischen „Gut“ und „Böse“ inszenieren, sondern auf Balance von Veränderung und Bewahrung achten. 5. Erfolge feiern und Positives verstärken: Erwünschtes neues Verhalten lobend und sichtbar würdigen, auch wenn es Kleinigkeiten sind. 6. Ein Change ist kein Sprint, sondern ein Marathon: Durchhalten, beharrlich sein und als Führungskraft mit gutem Beispiel vorangehen. Dr. Christian Majer Leiter des majer-rejam Performance Institute mit dem Schwerpunkt OE, Changemanagement, Etablierung und Professionalisierung der Performance-Fokussierten-Organisation (PFO). Lektor an verschiedenen Universitäten und Fachhochschulen. Autor zahlreicher Fachpublikationen. eMail: office@majer-rejam.com Internet: www.majer-rejam.com Copyright: Tobias Printz Ines Schubiger Ines Schubiger ist Leiterin der Organisationsentwicklung der viadonau- - Österreichischen Wasserstraßen-Gesellschaft m.b.H. eMail: Ines.schubiger@viadonau.org Internet: www.viadonau.org Literatur Doppler, Klaus/ Lauterburg, Christoph 2014: Change Management- - den Unternehmenswandel gestalten, Frankfurt am Main; Campus-Verlag Hochreiter, Gerhard 2006: Choreografien von Veränderungsprozessen, Heidelberg; Carl-Auer Verlag Kaplan, Robert/ Norton, David P. 2009: The balanced scorecard- - translating strategy into action, Boston; Harvard Business School Press Kotter, John P 1990: A Force For Change: How Leadership Differs from Management, New York, Macmillan-- Free Press John P. 2011: Leading Change- - Wie Sie Ihr Unternehmen in acht Schritten erfolgreich verändern, München; Vahlen Verlag Lewin, Kurt 2012: Feldtheorie in den Sozialwissenschaften: ausgewählte theoretische Schriften, Bern; Huber Verlag, (Original: 1963) Luhmann, Niklas 2000: Organisation und Entscheidung, Wiesbaden; VS-Verlag March, James G. 1988: Decisions and Organizations, Oxford; Blackwell Verlag Mintzberg, Henry/ Ahlstrand, Bruce/ Lampel, Joseph 2011: Strategy Safari- - Der Wegweiser durch den Dschungel des strategischen Managements, München; FinanzBuch Verlag Simon, Fritz B. 2012: Gemeinsam sind wir blöd, Heidelberg; Carl-Auer Verlag Weick, Karl E. 2007: Sensemaking in organizations, Thousand Oaks, California; Sage Publ. Eingangsabbildung: © iStock.com / amtitus Wissen | Digitalisierung-- mit hybridem Projektmanagement-Ansatz durch die Krise 49 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 31. Jahrgang · 05/ 2020 DOI 10.2357/ PM-2020-0104