eJournals PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL 31/5

PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
pm
2941-0878
2941-0886
UVK Verlag Tübingen
10.2357/PM-2020-0105
121
2020
315 GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.

Rollen in der Projekt Governance

121
2020
Christian Rudischer
Dorothee Feldmüller
Gerhard Ortner
Die Fachgruppe PM goes Boardroom arbeitet an der Verbesserung bei der Zusammenarbeit zwischen Projekt und Linie. Ein wichtiger Bestandteil dabei ist ein zielführendes gemeinsames Verständnis von den Rollen und Verantwortlichkeiten zwischen dem Projekt und den beaufsichtigenden Linienfunktionen. Dazu hat die Fachgruppe im Herbst 2019 eine explorative Online-Studie zu Governance-Strukturen in Projekten und Programmen durchgeführt, über deren Ergebnisse hier berichtet wird. Deutliche Unterschiede in der Governance von internen bzw. externen Projekten treten zutage. Darüber hinaus wird ein Benchmark-Tool vorgestellt, mit dem der Reifegrad der eigenen Organisation in Bezug auf die Ausübung der Projekt-Governance-Rollen beurteilt und verglichen werden kann.
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Explorative Studie und Benchmark-Tool Rollen in der Projekt Governance Christian Rudischer, Dorothee Feldmüller, Gerhard Ortner Für eilige Leser | Die Fachgruppe PM goes Boardroom arbeitet an der Verbesserung bei der Zusammenarbeit zwischen Projekt und Linie. Ein wichtiger Bestandteil dabei ist ein zielführendes gemeinsames Verständnis von den Rollen und Verantwortlichkeiten zwischen dem Projekt und den beaufsichtigenden Linienfunktionen. Dazu hat die Fachgruppe im Herbst 2019 eine explorative Online-Studie zu Governance-Strukturen in Projekten und Programmen durchgeführt, über deren Ergebnisse hier berichtet wird. Deutliche Unterschiede in der Governance von internen bzw. externen Projekten treten zutage. Darüber hinaus wird ein Benchmark-Tool vorgestellt, mit dem der Reifegrad der eigenen Organisation in Bezug auf die Ausübung der Projekt-Governance-Rollen beurteilt und verglichen werden kann. Schlagwörter | PMO, PM-Standards, Projektauftraggeber, Projektmanagement, Projekt-Portfoliomanagement, Projekt und Linie. Lenkungsausschuss, Projekt Management Office, Senior Management, Unternehmensführung, General Management, Projekt Governance Unterstützung durch das Senior Management ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor für die Projektarbeit. In PROJEKTMA- NAGEMENT AKTUELL 03 / 2020 [1] berichtete die trinationale Fachgruppe „PM goes Boardroom“ über Ergebnisse und Good Practices an der Schnittstelle zwischen Projektarbeit und Business. Im Folgenden stellen wir noch die wesentlichen Ergebnisse unserer Studie zu Governance-Strukturen in Projekten und Programmen vor und das nun verfügbare Benchmark-Tool zur Bestimmung des Reifegrads einer Organisation in Bezug auf Rollen in der Projekt Governance. Teilnehmer der explorativen Studie Governance-Strukturen in Projekten und Programmen- - wie werden diese in der Praxis gelebt? Mit Fragen zur Funktion von Projektauftraggebern und Mitgliedern des Lenkungausschusses und zu deren Zusammenarbeit haben wir explorative Daten erhoben, die wir als neu in dieser Art ansehen- - vergleichbare Zahlen aus anderen Untersuchungen sind uns jedenfalls nicht bekannt. Bei der im Herbst 2019 durchgeführten Umfrage haben Teilnehmer aus Deutschland, Österreich und der Schweiz nach Aufrufen beim PM Forum 2019 sowie in den Newslettern von GPM, pma und spm Auskunft über die Governance in Projekten, Programmen oder Portfolios gegeben. 144 Antworten sind in die vorliegende Auswertung eingeflossen. Dabei wurde in diesen Antworten vor allem (106-mal) über Projekte berichtet, 36 Angaben bezogen sich auf Programme und zwei auf ganze Portfolios. Die betrachteten Projekte hatten im Mittel eine Laufzeit von 18 Monaten (bei einer Schwankungsbreite von 6 bis 72 Monaten), Programme dauern mit 45 Monaten (24 bis 120 Monate) deutlich länger. Der Großteil (69 %) der betrachteten Projekte und Programme wurde als organisationsintern tituliert, d. h., weniger als ein Drittel der Projekte wurden für Externe (Kunden) durchgeführt. Inhaltlich dominieren v. a. IKT- und Organisationsprojekte, von denen der größte Anteil interne Projekte sind. Bei den nicht so häufig vertretenen Produktentwicklungs-/ Innovationsprojekten und bei den Projekten im Bau / Anlagenbau dominieren die externen Projekte (vgl. Abb. 1). 70 % der Projekte und Programme weisen eine integrierte Projektorganisation auf, die über eine Organisation hinausgeht. Im Schnitt sind dabei ca. vier verschiedene Organisationen (Kunden, Lieferanten, Partner usw.) in der Projektorganisation vertreten. Dabei werden bei internen Projekten und Programmen v. a. Lieferanten mit eingebunden, bei externen Auftraggebern kommen dann zusätzlich die Kunden (in >50 % der Fälle) mit ins Spiel. Festzustellen ist, dass der Kreis der Teilnehmer an dieser explorativen Studie primär aus Besuchern des PM-Forums Wissen Rollen in der Projekt Governance DOI 10.2357/ PM-2020-0105 31. Jahrgang · 05/ 2020 50 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 31. Jahrgang · 05/ 2020 DOI 10.2357/ PM-2020-0105 2019 sowie Empfängern der Newsletter von GPM, pma und spm besteht und daher nicht statistisch repräsentativ für die Projektlandschaft im deutschsprachigen Raum sein muss. Auch wurden Unternehmensdaten wie Branchenzugehörigkeit oder Unternehmensgröße bewusst nicht abgefragt, um Zweifel an der Anonymität auszuschließen. Das Überwiegen interner Projekte deckt sich jedoch mit anderen Studienergebnissen [2]. Auch die Bandbreite an Projektinhalten sowie die Komplexität der Projektorganisationen mit Kunden, Lieferanten und weiteren Partnern spiegelt nach unserer Erfahrung das Geschehen in der Praxis gut wieder und erscheint uns als eine gute Basis für nachfolgende Interpretationen. Studienergebnisse: Über die Projektauftraggeber (PAG) In fast 90 % der Fälle nimmt eine Person die Rolle des Projektauftraggebers (PAG) wahr. Bei Projekten mit externen Kunden übernimmt in ca. 1 / 3 der Fälle diese Rolle der Kunde direkt. Die meisten PAG kommen dabei quer durch alle Projektarten immer noch aus der obersten Führungsebene (Vorstand, Geschäftsführung, Geschäftsfeld- oder Regionalleitung, siehe Abb. 2). In 80 % der Projekte / Programme finden PAG-Meetings mindestens monatlich statt, oft sogar wöchentlich. Dabei ist aber zu beobachten, dass die Frequenz der PAG-Meetings deutlich von der Funktion des Auftraggebers in der Organisation abhängt. PAG auf Unternehmensleitungsebene haben weniger oft Zeit sich mit den Projektleitern auszutauschen (siehe Abb. 3). Die gewonnenen Aussagen zum Projektauftraggeber sehen wir nicht als überraschend an: In komplexen Projektorganisationen haben hochrangige Auftraggeber sicherlich ihren berechtigten Platz, ein regelmäßiger dem Zeitbudget des Auftraggebers angepasster Austausch ist wichtig und tut den Vorhaben gut. Es stellt sich aber die Frage, ob in Projekten, die weniger komplex oder strategisch weniger wichtig sind, Abb. 1: Projektinhalte und Anteil der externen Projekte / Programme je Kategorie Abb. 2: Funktion des PAG in der Stammorganisation Wissen | Rollen in der Projekt Governance 51 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 31. Jahrgang · 05/ 2020 DOI 10.2357/ PM-2020-0105 trotzdem fast zwangsläufig Mitglieder der Unternehmensführung die Rolle des PAG übernehmen müssen. Gerade, was die zeitliche Auslastung von Führungskräften der obersten Managementebenen betrifft, würde ein Empowerment anderer Führungsebenen als PAG auch für die Projekte selbst schnellere und intensivere Zusammenarbeit von PL und PAG ermöglichen und dem Top-Management eine Fokussierung auf wenige, aber dafür besonders wichtige Projekte oder Programme ermöglichen. Studienergebnisse: Über den Lenkungsausschuss (LA) Während bei ca. 60 % der Projekte ein Lenkungsausschuss implementiert ist, sind es bei den Programmen über 90 %. Es gibt aber auch Projekte (5 %) und Programme (8 %), die weder über einen Auftraggeber noch über einen Lenkungsausschuss verfügen. Lenkungsausschüsse bestehen dabei in der Regel aus vier bis acht Mitgliedern, die sich gewöhnlich monatlich oder zumindest quartalsweise treffen. Dabei sind Kunden etwa doppelt so oft in Lenkungsausschüssen integriert wie Lieferanten, obwohl Kunden und Lieferanten ungefähr gleich häufig in die Projektorganisation integriert sind. Das gilt in ähnlicher Art und Weise für alle weiteren Organisationen: Insgesamt sind in den Lenkungsausschüssen im Durchschnitt weniger Organisationen vertreten als am Projekt beteiligt sind. Einzig die Kunden sind in der Regel immer auch im LA beteiligt, sofern sie in der Projektorganisation mitwirken. Abbildung 4 zeigt eine Auswertung, getrennt nach internen und externen Projekten, die dies verdeutlicht. Auch in LA sitzen vor allem Manager mit unternehmerischer Gesamtverantwortung (Abb. 5). Bei den Kunden dominieren die Prozess-, Produkt- oder IT-Manager als Vertreter im LA (40 von 77 Personen in 23 Projekten / Programmen), bei den Lieferanten Sparten-, Produkt- oder IT-Manager (22 von 35 Personen in 25 Projekten), und bei den Kooperationspartnern die beiden obersten Führungsebenen (12 von 31 Personen in 19 Projekten). Abb. 3: Häufigkeit der Abstimmung mit dem PAG nach dessen Linienfunktion Abb. 4: Vergleich der Beteiligung im Projekt / Programm und im LA Wissen | Rollen in der Projekt Governance 52 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 31. Jahrgang · 05/ 2020 DOI 10.2357/ PM-2020-0105 Die Einrichtung von Lenkungsausschüssen, in denen wichtige, aber nicht zu viele Beteiligte regelmäßig zusammentreten, ist demnach gute und gelebte Praxis. Mit dieser Erhebung liegen hier nun auch erste Zahlen vor, wie in der Praxis die Prioritäten für die Besetzung gesetzt werden. Studienergebnisse: Über die Aufgabenverteilung im Lenkungsausschuss (LA) Bei 64 Projekten bzw. Programmen wurde auch detailliert angegeben, welche LA-Mitglieder welche Aufgaben im LA erfüllen. Dabei fällt auf (vgl. Abb. 6): - Während bei externen Kundenprojekten die Kundeninteressen gut im LA vertreten sind, nimmt nur in zwei Drittel der LAs von internen Projekten jemand die Interessen der Anwender oder (internen) Kunden wahr („Senior User“). - Ein für die Leistungserbringung verantwortliches LA-Mitglied („Senior Supplier“) gibt es in den meisten Kundenprojekten, aber nur in jedem zweiten internen Projekt. - In jedem vierten LA eines internen Projekts oder Programms ist überhaupt niemand für die Leistung, den Nutzen oder den Business Case verantwortlich. Es herrscht also ein LA «der geteilten Verantwortungslosigkeit». - Bei internen Projekten übernimmt in der Hälfte der Fälle kein LA-Mitglied die Leitung der LA-Sitzungen, und in fast einem Drittel der Fälle hat niemand eine dedizierte Letztentscheidungskompetenz im LA. Bei den externen Projekten sind diese Zahlen beide bei jeweils einem Drittel, also durchaus ähnlich. Betrachten wir die Wahrnehmung der Funktionen im Lenkungsausschuss, so deuten unsere Ergebnisse auf eine wichtige Unterscheidung hin, die wir in den Antworten gefunden haben: die zwischen internen Projekten und externen Kundenprojekten. Die externen Projekte / Programme sind mit mehr „Härte“ auf Basis eines Business Case aufgesetzt, Verantwortlichkeiten deutlicher definiert u. a. m. Im Gegensatz dazu scheint es bei den „weicheren“ internen Projekten in der Arbeit des Lenkungsausschusses mehr um den internen Austausch und Interessensvertretungen zu gehen als um die „Diskussion“ eines Business Case. Diese Tendenz ist in unseren Daten erkennbar, passt auch zu vielen unserer Erfahrungen, und könnte bzw. sollte Gegenstand weiterer Untersuchungen sein. Die Tatsache, dass die Letztentscheidungskompetenz im LA in ca. ein Drittel der Fälle nicht eindeutig definiert ist, unterstreicht nach unserer Ansicht die Komplexität heutiger Projektorganisationen, in denen unter vielen Beteiligten aus verschiedenen Organisationen eher partnerschaftlich Lösungen gefunden werden oder werden müssen, als dass über eine einfache Hierarchie das Geschehen bestimmt werden kann. Die gleiche Konstellation bei internen Projekten führt allerdings zu der interessanten Frage, ob solche Entscheidungsstrukturen dadurch entstehen, dass versucht wird, persönliche Verantwortlichkeiten so zu teilen, dass niemand zur Rechenschaft gezogen werden kann. Für eine seriöse Antwort bedarf es weiterer Untersuchungen. Darüber hinaus haben wir analysiert, welche Aufgabenkombinationen von denselben LA-Mitgliedern wahrgenommen werden. Häufig fallen folgende Aufgaben zusammen (Korrelationskoeffizient > 0,4): - verantwortet den Business Case ↔ vertritt das Projekt gegenüber dem Topmanagement; - wählt die Projektleitung (PL) aus ↔ ist direkter Ansprechpartner für die PL; - wählt die PL aus ↔ vertritt das Projekt gegenüber dem Topmanagement; - definiert Anforderungen ↔ nimmt Projektergebnisse ab (bei internen Projekten) bzw. Abb. 5: Aus welchen Funktionen kommen LA Mitglieder Wissen | Rollen in der Projekt Governance 53 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 31. Jahrgang · 05/ 2020 DOI 10.2357/ PM-2020-0105 - definiert Anforderungen ↔ vertritt Kundeninteressen (bei Kundenprojekten); - wählt die PL aus ↔ hat Letztentscheidungskompetenz im LA; - stellt Budget zur Verfügung ↔ hat Letztentscheidungskompetenz im LA. Überraschend schwache (<0.1) oder sogar negative Korrelationen zeigen sich hingegen für die Kombinationen: - stellt Budget zur Verfügung ↔ verantwortet den Business Case; - hat Entscheidungsbefugnis im LA ↔ verantwortet Leistungserbringung oder Nutzen oder Business Case. Eine weitere Analyse betrifft den Zusammenhang zwischen Linienfunktionen und Aufgaben im LA. Dabei zeigen sich bei drei Linienfunktionen signifikante Häufungen: Mitglieder der Unternehmensleitung übernehmen im LA besonders häufig folgende Aufgaben: - definiert Anforderungen / Ziele; - stellt Budget zur Verfügung; - wählt PL aus; - leitet LA-Sitzungen; - Letztentscheidungskompetenz im LA. Spartenleiter übernehmen im LA besonders häufig die Aufgaben: - stellt Personal zur Verfügung; - vertritt Interessen der Kunden. Bei den Aufgaben, die Produktmanager im LA übernehmen, stechen hervor: - verantwortet den Business Case; - vertritt das Projekt / Programm gegenüber Topmanagement; - hat berichtende / beratende Funktion. Die gefundenen Zusammenhänge bzw. Nicht-Zusammenhänge zwischen LA-Funktionen stimmen weitestgehend mit unseren praktischen Erfahrungen überein und erscheinen uns als gute Praxis. Problematisch erscheint uns aber die geringe Korrelation zwischen Verantwortung und Entscheidungsbefugnis. Dies bedarf weiterer Untersuchung- - auf diesen ersten Blick, den wir aus den Daten gewonnen haben, weist es auf die Gefahr einer Dysfunktionalität in der Arbeit des Lenkungsausschusses hin. Und wo die Unternehmensleitung die Letztentscheidungskompetenz besitzt, die Verantwortung aber beim Produktmanagement liegt, kann es ebenso zu dysfunktionalen Auswirkungen kommen. Zuletzt haben wir noch analysiert, welche Aufgaben im LA die Unternehmensleitung selbst wahrnimmt. Bei internen Projekten waren alle LA-Aufgaben vertreten, an der Spitze das Bereitstellen von Budget (weit über 50 % allein durch die Unternehmensleitung, ca. 80 % durch Unternehmensleitung allein oder mit anderen) sowie die Letztentscheidungskompetenz (weit über 50 % allein, ca. 70 % allein oder mit anderen). Bei den externen Projekten ist das Bild sehr diffus. Es lässt sich erkennen, dass die Unternehmensleitung in einigen Fällen keine nennenswerte Funktion im LA erfüllt, die nicht auch schon durch andere Rollenträger im LA besetzt ist, und wahrscheinlich unternehmenspolitische Gründe für deren Beteiligung ausschlaggebend sind. Allerdings war das Sample hier nicht sehr groß (nur 12 LA von Kundenprojekten). Ein ausführlicher Ergebnisbericht zu der Studie ist auf der Website der Fachgruppe verfügbar. Abb. 6: Wahrnehmung der typischen Funktionen eines LA, getrennt nach internen / externen Projekten / Programmen Wissen | Rollen in der Projekt Governance 54 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 31. Jahrgang · 05/ 2020 DOI 10.2357/ PM-2020-0105 Um Unternehmen auch eine Hilfestellung zur Selbsteinschätzung ihrer Projekt- und Programm-Governance-Strukturen an die Hand zu geben, hat die Fachgruppe parallel zur Erhebung im Herbst 2019 auch an einem Benchmark-Tool zu diesem Thema gearbeitet, das wir nun vorstellen möchten. Benchmark-Tool Die Idee des von der Fachgruppe entwickelten Benchmark-Tools besteht darin, Anwendern Rückmeldung zu geben über die Reife einer Organisation in Bezug darauf, wie Projekt-Governance-Rollen dort gelebt werden. Das Tool richtet sich vorwiegend an PM-Offices, PM-Prozessverantwortliche und andere Personen, denen die Projektorientierung ihrer Organisation ein Anliegen ist. Sie können damit den Reifegrad ihrer Organisation in Bezug auf die Ausübung der Projekt-Governance-Rollen bewerten, vergleichen und Entwicklungsfelder identifizieren. Was wird mit dem Tool erfasst und bewertet? Die Facetten der Projekt-Governance-Rollen werden in vier Dimensionen beleuchtet und bewertet: 1. Organisatorische Rahmenbedingungen In dieser Fragengruppe geht es darum, inwieweit für die Projekte der Organisation die Rollen von Projektauftraggeber und Projekt-Lenkungsausschuss definiert sind, deren Einsetzung geregelt ist und inwieweit diese Regelungen auch eingehalten werden und Kontrollen unterworfen sind. 2. Zusammenarbeit im Lenkungsausschuss In der zweiten Fragengruppe geht es um Aufgaben, Befugnisse, Verantwortlichkeiten und Entscheidungsprozesse im Lenkungsausschuss. Sind relevante Stakeholdergruppen im Lenkungsausschuss vertreten, finden Sitzungen statt und sind diese in ihrer Frequenz und Dauer gut auf die Projekte abgestimmt, wie ist es um Handlungsfähigkeit und Klima der Zusammenarbeit bestellt-- all dies wirkt auf die Qualität der Projektarbeit und geht in den zweiten Score-Wert ein. 3. Beziehung zum Projekt Bei dieser Dimension wird erfasst, wie die Governance-Rollen gegenüber den Projekten gelebt werden. Oft bedeuten unklare Prioritäten, verschleppte oder nicht zügig und verbindlich umgesetzte Entscheidungen ein Problem für Projekte. Auch das fließt in die Auswertung zu dieser Fragengruppe ein. 4. Beziehung zur Stammorganisation In der vierten Fragengruppe geht es um die Beziehung zur Stammorganisation: Wie werden Governance-Rollen gegenüber der Organisation gelebt, wie werden sie von der restlichen Organisation gesehen und auch in die Verantwortung genommen? Es ist klar, dass das auf die Projektarbeit entscheidenden Einfluss hat. Als Ergebnis erhält man zu jeder Fragengruppe eine quantitative Bewertung des Reifegrades (Score). Erfahrungsgemäß erreicht keine Organisation in allen Dimensionen den Maximalwert- - es bleibt eine individuelle Managemententscheidung, wie stark man diese vier Dimensionen entwickeln möchte. Am Ende des Tools kann man entscheiden, ob man am Benchmark-Vergleich teilnehmen, also die eigenen Ergebnisse mit bisherigen Teilnehmern vergleichen und (natürlich anonym) in künftige Vergleiche einfließen lassen möchte. So baut sich über die Zeit ein interessanter Referenz-Datenbestand auf. Zum Abschluss zeigen wir in Abbildung 7 einen Vorgeschmack auf die Ergebnis-Darstellung für eine fiktive Organisation- - deren Daten selbstverständlich nicht in die Vergleichs-Datenbank eingehen: Die fiktive Organisation hat höhere Score-Werte als der als Benchmark bislang ermittelte Durchschnitt der Vergleichswerte. Ein Grund zum «Zurücklehnen» ist das freilich nicht unbedingt. Auch hier gäbe es noch Verbesserungspotential, am größten ist es in der Dimension der organisatorischen Rahmenbedingungen. Einige der erfassten Antworten beziehen sich auf harte Fakten, andere beziehen auch individuelle Einschätzungen mit ein, wie etwa das Klima der Zusammenarbeit im Lenkungsausschuss. Insofern kann es sich lohnen, aus einer Organisation durchaus mehrere Einschätzungen zu erfassen und zu teilen. Die Teilnahme am Benchmark-Tool dauert ca. 10 Minuten und ist über die Webseite der Fachgruppe erreichbar. Abb. 7: Ergebnis Benchmark-Tool mit Vergleichs- Option Wissen | Rollen in der Projekt Governance 55 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 31. Jahrgang · 05/ 2020 DOI 10.2357/ PM-2020-0105 Dr. Christian Rudischer Dr. Christian Rudischer unterstützt als Managementberater Organisationen aus allen Branchen bei der Umsetzung ihrer Strategie, hält Vorträge und Lehrveranstaltungen, ist PM-Assessor sowie subject matter expert im ISO TC 258. Davor hat der promovierte Verfahrenstechniker Managementfunktionen in IT- und Infrastrukturunternehmen bekleidet. eMail: christian@rudischer.consulting Ausblick und Danksagung Aus den erhobenen explorativen Daten zu Projekt-Governance- Strukturen in der Praxis haben wir Aussagen gewonnen und dazu einige Fragen abgeleitet, die eine weitere Analyse wert sind. Die deutlichen Unterschiede zwischen internen und externen Projekten / Programmen in den uns vorliegenden Daten geben Anlass zu einer genaueren Untersuchung. Und sowohl die eher hohe Beteiligung der Unternehmensleitung als auch die fragwürdige Aufgabenverteilung bezüglich Verantwortung und Entscheidungsbefugnis sollten ebenfalls noch tiefer beleuchtet werden. Abschließend gilt unser Dank den Mitgliedern der Fachgruppe für die gemeinsame Entwicklung und Diskussion der Ergebnisse. Insbesondere geht der Dank an die Arbeitsgruppe, die ihre langjährigen Praxiserfahrungen in ihren Unternehmen haben einfließen lassen, um das Benchmark-Tool auszuarbeiten: Thomas Hunziker, Tobias Kreutter und Rüdiger Geist. Ganz besonders bedanken wir uns bei allen, die uns durch die Teilnahme an der Umfrage im Herbst 2019 mit Informationen zu ihren Projekten und Programmen unterstützt haben. Die im Artikel erwähnten vollständigen Studienergebnisse, den Link zum Benchmark-Tool sowie weitere Informationen und Möglichkeiten, mit der Fachgruppe in Kontakt zu treten, finden Sie auf der Website www.pm-goes-boardroom.de. Literatur [1] Feldmüller D., Hunziker T., Ortner G., Rudischer C. : Projektauftraggeber und Lenkungsausschuss als Erfolgsfaktor. In: PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL 3 / 2020, S. 53-59, Juli 2020. [2] Schoper Y., Wald A., Ingason H., Fridgeirsson T.: Projectification in Western economies: A comparative study of Germany, Norway and Iceland. In: IJPM Volume 36, Issue 1, 2018, S. 71-82. Eingangsabbildung: © apinan - stock.adobe.com Elemente der ICB 4.0 People5: Leadership, Practice 2: Goals, Objectives and Benefits, Practice 14: Select and Balance, Perspective 1: Strategy, Perspective 2: Governance, Structure and Processes, Perspective 4: Power and Interest. Prof. Dr. rer. nat. Dorothee Feldmüller Prof. Dr. rer. nat. Dorothee Feldmüller ist Professorin für Wirtschaftsinformatik auf dem Campus Velbert / Heiligenhaus der Hochschule Bochum. Zuvor war die promovierte Mathematikerin lange Jahre in der IT tätig, sie leitete als freie Projektleiterin und Beraterin zahlreiche IT-Projekte in Unternehmen. Seit 2004 ist sie auch aktiv bei der GPM. Anschrift: Hochschule Bochum Campus Velbert / Heiligenhaus, Kettwiger Str. 20, 42 579 Heiligenhaus, Tel. +49 2056 5848 - 16 721 eMail: d.feldmueller@gpm-ipma.de Prof. (FH) Mag. Dr. Gerhard Ortner Prof. (FH) Mag. Dr. Gerhard Ortner ist in den Studiengängen PM & IT (BA) bzw. PM & Organisation (MA) an der Fachhochschule des BFI Wien beschäftigt. Nach dem Studium der Wirtschaftsinformatik an der TU & Universität Wien war er zunächst in der Abt. für Industrielle BWL der TU Wien und später im Büro für Internationale Forschungs- und Technologiekooperation tätig und wechselte 2004 als Fachbereichsleiter für PM an die FH des BFI Wien. U.a. arbeitet er derzeit auch im ISO Technical Committee 258 an der Weiterentwicklung internationaler PM-Normen mit. Anschrift: FH des BFI Wien, Wohlmutstr. 22, A-1020 Wien eMail: gerhard.ortner@fh-vie.ac.at Wissen | Rollen in der Projekt Governance 56 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 31. Jahrgang · 05/ 2020 DOI 10.2357/ PM-2020-0105