PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
10.2357/PM-2020-0107
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GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.Das Ressourcendrama – oder warum eine belastbare Ressourcenplanung nicht möglich ist
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Dietmar Prudix
Immer wieder beklagen Projektleiter, wie viele Mühen sie für die Ressourcenplanung aufwenden, die
dennoch nie funktioniert. Das frustriert und lässt ein nachhaltiges Projektergebnis in weite Ferne rücken. Doch woran liegt das? Was sind die Wirkmechanismen für eine Ressourcenplanung? Kaum jemand ahnt, dass wir als Menschen gar nicht in der Lage sind, eine verlässliche und belastbare Ressourcenplanung durchzuführen. Woran das liegen kann und wovon das abhängt, erfahren Sie hier.
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Versuch einer Fehlersuche Das Ressourcendrama-- oder warum eine belastbare Ressourcenplanung nicht möglich ist Dietmar Prudix Für eilige Leser | Immer wieder beklagen Projektleiter, wie viele Mühen sie für die Ressourcenplanung aufwenden, die dennoch nie funktioniert. Das frustriert und lässt ein nachhaltiges Projektergebnis in weite Ferne rücken. Doch woran liegt das? Was sind die Wirkmechanismen für eine Ressourcenplanung? Kaum jemand ahnt, dass wir als Menschen gar nicht in der Lage sind, eine verlässliche und belastbare Ressourcenplanung durchzuführen. Woran das liegen kann und wovon das abhängt, erfahren Sie hier. Schlagwörter | Ressourcenplanung, Overconfidence-Effekt, Kontrollillusion, Conjunction Fallacy, Hawthorne Effekt, Hofstadters Gesetz, Kontrollierbarkeits-Bias, Prokrastination Problembeschreibung Als Projektleiter kennen Sie es sicherlich- - das Tauziehen um Ressourcen, um dann festzustellen, dass die Ressourcen doch nicht ausreichend vorhanden sind. Die Folge: Projekte werden teurer als geplant und dauern länger. Ressourcen: Der eine hat sie, der andere braucht sie. Eine belastbare Ressourcenplanung- - eher Fehlanzeige. Wenn überhaupt, dann reicht eine kurzfristige Planung aus. Denn nur die disziplinarischen Vorgesetzten entscheiden letztlich, wie und wo die Mitarbeiter eingesetzt werden. Ressourcenplanung ist alles andere als einfach, weil: - Aufwände nur grob geschätzt werden können, - Mitarbeiter nicht so zur Verfügung stehen, wie benötigt, - Inhalte, Leistungsanforderungen und Liefertermine sich ständig ändern (gerade im agilen Umfeld), - spezielle, benötigte Ressourcen gar nicht zur Verfügung stehen. Der Linienvorgesetzte hat dabei nicht nur die Zeiten für einen Projekteinsatz zu planen, sondern auch die Zeiten eines Nicht-Projekteinsatzes, sonst sind Einsatzdaten weder zu planen, zu vergleichen noch zu optimieren. Zunächst soll das Thema im Projektmanagement eingeordnet werden. Wenn Projektleiter dem generischen Projektplanungsprozess folgen, müssen zunächst einige weitere Punkte vorab geklärt sein: - Aufbauend auf einem Projektauftrag (oder Business Case, Machbarkeitsstudie etc.) findet der Projektleiter einen Einstieg ins Projekt. Hier findet er grundlegende Rahmenbedingungen, die im Projekt zu erfüllen und zu erreichen sind. Sollten hier kaum oder gar keine Informationen vorliegen, wird vom Projektleiter erwartet, dass er mit seinen Kompetenzen Annahmen trifft, die aus seiner Sicht geeignet sind, die Projektziele zu erreichen. Diese Annahmen hat er mit dem Projektauftraggeber abzustimmen und anzupassen. - Als erstes sind die Ziele und Lieferobjekte zu beschreiben. Wenn ich nicht weiß, wo ich hingehen will, macht jegliches Losgehen keinen Sinn. Die Ziele benennen, was am Schluss des Projektes vorliegen muss und soll. Wissen Warum eine belastbare Ressourcenplanung nicht möglich ist DOI 10.2357/ PM-2020-0107 31. Jahrgang · 05/ 2020 64 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 31. Jahrgang · 05/ 2020 DOI 10.2357/ PM-2020-0107 - Wenn ich weiß, was ich erreichen will, dann wird in einer Projektumfeld- und Stakeholder-Analyse ermittelt, wer oder was mein Projekt beeinflussen wird. - Im nächsten Schritt wird zusammengetragen, mit welchen Risiken und Chancen im Projekt zu rechnen ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass bei einer Eintrittswahrscheinlichkeit von mehr als 35 % davon auszugehen ist, dass das Risiko eintreten wird. Deshalb wird dieses Risiko dann in den Projektstrukturplan als Arbeitspaket übernommen. - Spätestens jetzt wird die Projektorganisation festgelegt, mit den Abwicklungsprozessen, Verantwortlichkeiten, Kompetenzen und Gremien, die das jeweilige Projekt unterstützen sollen. - Nun sind die Rahmenbedingungen geklärt und es erfolgt der inhaltliche Einstieg: Die Überschriften der Phasen, Meilensteine, Zeitabläufe werden auf hoher Flugebene im Phasenplan beschrieben. Hier fällt auch die Entscheidung, ob ein vorgegebener PM-Standard einzusetzen ist. - Nach dem Phasenplan erfolgt die Ausarbeitung aller notwendigen Tätigkeiten und Aufgaben, damit die beschriebenen Ziele auch erreicht werden: der Projektstrukturplan. Hier ist die kleinste organisatorische Einheit das Arbeitspaket. - Wenn die vollständige Erfassung aller Tätigkeiten erfolgt ist, wird im Rahmen des Netzplans die Abfolge nach der logischen, prozesstechnisch notwendigen Reihenfolge ermittelt. - Wenn jetzt im ersten Vorgang ein Startdatum angegeben wird, errechnet sich der terminliche Ablauf des Projekts nach den vorgegebenen Anordnungsbeziehungen im Terminplan. - Nun ist bekannt, wann welche Ressourcen in welcher Menge benötigt und geplant sind. So entsteht der Ressourcen- und Einsatzmittelplan. Das ist plausibel und hört sich einfach an; doch warum funktioniert die Ressourcenplanung nicht? Hält sich keiner daran? Ist diese generische Reihenfolge etwa nicht bekannt? Eine Fehlersuche In der Regel sind Projektressourcen einem disziplinarischen Teamleiter unterstellt, die der Projektleiter jedoch in seinem Projekt verplanen und einsetzen will. Jeder hat somit aus seiner Perspektive eine unterschiedliche Motivation und Absicht. Teamleiter haben die Aufgabe, eine wirtschaftliche Auslastung sicherzustellen. Projektleiter wollen dieses Personal möglichst flexibel einsetzen und konkreten Aufgaben und Arbeitspaketen in den Projekten zuordnen. Außerdem wollen die Projektleiter manchmal kurzfristig eine Ressourcenzusage, die die Linie dann auch verlässlich einhalten soll. Unterschiedliche, sich veränderte Anforderungen von mehreren Projektleitern aus mehreren Projekten (Multiprojektumgebung) macht diese Handhabung nicht leichter, sondern eher komplexer. Neben diesen Rahmenbedingungen sorgen folgende Punkte für eine Ressourcenplanung, die nicht funktionieren kann. Damit wird klar, warum eine belastbare Ressourcenplanung nicht funktionieren wird. Die angegebenen Prozentzahlen sind eine subjektive Schätzung des Autors und sollen das Maß an Beeinflussung auf die Planungsqualität beschreiben. Als Erstes ist die Frage zu stellen, ob für die Ressourcenplanung in und von Projekten ein unterstützendes IT-Tool vorhanden ist, das eingesetzt und mit validen Daten gefüttert wird. Nur ein generischer Projektplanungsprozess ermöglicht (wie oben beschrieben) und bildet die Grundlage für eine belastbare Ressourcenplanung. Wenn eine IT-Unterstützung nicht gegeben ist, kann die entsprechende Ressourcenplanung um bis zu 100 % danebenliegen, da insbesondere der Terminplan als wesentliche Voraussetzung erst aufzeigt, unter welchen Anordnungsannahmen die Tätigkeiten umgesetzt werden können. Stellen Sie sich ca. 250 Arbeitspakete und Vorgänge, die in unterschiedlicher Abhängigkeit zueinander geplant und parallelisiert sind in der Planung vor: Ohne klare planerische Darstellung mit der Errechnung eines freien Puffers und eines Gesamtpuffers fehlt jegliche planerische Abb. 1: Stellung der Ressourcenplanung im Projekt (Prudix, eigene Darstellung, 2019) Wissen | Warum eine belastbare Ressourcenplanung nicht möglich ist 65 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 31. Jahrgang · 05/ 2020 DOI 10.2357/ PM-2020-0107 Grundlage für eine belastbare Ressourcenplanung. Dabei sind alle Tätigkeiten einer Ressource zu erfassen und zu bewerten, da sonst bei einer Auslastungsanalyse Lücken entstehen. Eine spätere Anpassung an Planungsänderungen ist eine neue, zusätzliche Fehlerquelle. „Den Sieger erkennt man am Start, den Verlierer auch“ lehrt uns ein bekanntes Sprichwort. Die zweite wesentliche Quelle für die Planung ist eine Rechengröße: nämlich die Verfügbarkeit einer Ressource pro Kalenderjahr. Bei Befragungen erfahre ich immer wieder, dass eine Plangröße der Verfügbarkeit zwischen 200 und 230 Tagen pro Kalenderjahr liegt. Dort, wo Mitarbeiter ihre Einsätze über SAP rückmelden und zuordnen müssen (und so auch einsatzfreie Zeiten erfasst werden), ist es leicht, verlässliche Daten zu ermitteln. Dabei ist auch zu beobachten, dass in größeren Organisationen der Einsatzgrad der Projektmitarbeiter geringer ist als in kleineren Organisationen oder Einheiten. Das ist leicht erklärbar durch die Dunbar-Zahl 150. Hier ermittelte Robin Dunbar [1] unlängst, dass sich der Abstimmungsaufwand für größer werdende Teams exponentiell erhöht. Bei Überprüfungen in meiner früheren Organisation habe ich herausgefunden, dass die tatsächliche Einsatzzeit in Projekten bei maximal 140 bis 160 Tagen pro Kalenderjahr liegt. Hier ist schnell feststellbar, dass die Fehleinschätzung bei mindestens 30 % liegen kann. Ein konkretes Beispiel findet sich hier: Die dritte Quelle für eine unzureichende Planung finden wir in den Erkenntnissen von Dave Allen mit seinen Ausführungen zu „Getting Things Done“ [2]. Dave Allen hat den Wirkungsgrad eines Mitarbeiters im Tagesverlauf untersucht und ausgewertet. Seine erste Empfehlung ist: „Plane Deinen Tag morgens so, als wenn er 4 Stunden hat. Der Rest kommt von allein“. Hier macht er deutlich, dass ein Tagesablauf voller Unwägbarkeiten ist. Eine zweite Erkenntnis ist: „Plane fehlende/ unvollständige IT gestützte Terminplanung Jede realistische planbasierte Ressourcenplanung setzt voraus, zu wissen, wann welche Ressource in welcher Menge benötigt wird. 100 % Verfügbarkeit einer Ressource nicht realistisch geplant Pro Kalenderjahr werden Mitarbeiter häufig mit 200 bis 220 Arbeits-(Personen-) Tagen geplant. Überprüfungen in realen Projekten haben ergeben, dass nur 140 bis max. 160 Tage geplant werden können. 30 % Tagesleistung nur bis 50 % Getting Things Done „Plane Deinen Tag so, als wenn er 4 Stunden hat“. Diese Erkenntnis und Empfehlung von Dave Allen zeigt auf, dass viele kleine Störungen und Unterbrechungen noch einmal die menschliche Leistung halbieren. Hier beschreibt Dave Allen, warum wir als Individuen längst noch nicht optimal organisiert sind. 50 % geschätztes Arbeitsvolumen +/ - 50 % pro Tätigkeit Arbeitspaketverantwortliche wollen als zuverlässig und ergebnisorientiert gelten. Somit neigen sie dazu, zu planende Arbeitsumfänge und Fristen zu optimistisch zu schätzen. 20 % hohe Komplexität, Unklarheit Je stärker sich die Komplexität eines Projekts erhöht, desto unwägbarer sind die Projektrahmenbedingungen, desto häufiger ändern sie sich. Die Planbarkeit wird schwieriger und ungenauer. Im agilen PM werden Timeboxing, Sprints, Iterationen etc. genutzt. 30 % Wirkungsgradverlust durch schlechte Führung Nicht motivierende und nicht sinnstiftende Führung kann den Wirkungsgrad der einzelnen Mitarbeiter um bis zu 30 % verringern. 30 % Umpriorisierung Projekte mit „Prio 1“ bekommen Ressourcen sofort, Projekte können jedoch über Nacht umpriorisiert werden, damit können sogar zugesagte Ressourcen wieder verlorengehen. 30 % Teamfaktor Effektive Teams erfüllen bestimmte Rahmenbedingungen. Sobald diese Parameter abweichen, wird die Teameffizienz negativ beeinflusst. 30 % Abb. 2: Übersicht über Einflussfaktoren auf die Qualität und Zuverlässigkeit von Ressourcenplanungen (Dietmar Prudix, eigene Darstellung, 2020) Kalendertage 365 Wochenenden - 105 Feiertage - 20 Brutto-Kapazität 240 Abwesenheiten ./ . Urlaub - 25 Krankheit / div. Absenzen - 15 Netto-Kapazität 200 Feste Termine (z. B. Ausbildung) - 10 Grundlasten Administration / Besprechungen - 20 Support / Trouble Shooting - 20 Diverse Kleinaufgaben - 30 Verbleibende Kapazität 120 Arbeit in Projekten - 100 Freie Kapazität 20 Abb. 3: Übersicht über einen beispielhaften Jahreseinsatz eines konkreten Mitarbeiters in Projekten (Dietmar Prudix, eigene Darstellung, 2019) Wissen | Warum eine belastbare Ressourcenplanung nicht möglich ist 66 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 31. Jahrgang · 05/ 2020 DOI 10.2357/ PM-2020-0107 für jeden Tag nur 3 Golden Nuggets (Aufgaben, Projekte); erst wenn eine Aufgabe vollständig erfüllt ist, hole aus dem Aufgaben-Backlog eine neue Aufgabe“. Diese Erfahrung und Empfehlung korrespondiert sehr gut mit den Erkenntnissen aus Kanban und der Theory of Constraints, die jeweils von einer Maximalzahl an Aufgaben und Projekten von DREI ausgehen. Alles, was darüber hinaus geht, ist anfällig für schädliches Multitasking. Ein weiterer Punkt ist: „Wenn Du eine Aufgabe beginnst, dann so, dass Du konzentriert mindestens ca. 25 Minuten ohne Störung an dieser Aufgabe arbeiten kannst“. So wird deutlich, dass wir unsere Arbeitsleistung um bis zu 50 % überschätzen und zu positiv bewerten. Durch die Wirkweise der kognitiven Dissonanz geht es um eine hochgradig unvernünftige Selbsttäuschung. Wenn etwas nicht gelingt, reden wir uns ein, dass wir eigentlich gar nicht den Erfolg wollten. Dazu kommt Planning Fallacy (Planungsirrtum): Obwohl Sie wissen, dass die meisten Ihrer früheren Prognosen zu optimistisch waren, glauben Sie allen Ernstes daran, dass Sie heute ausnahmsweise realistisch seien. Der Irrtum ist besonders ausgeprägt, wenn Menschen im Business miteinander kooperieren. Zeit und Nutzen von Projekten werden überschätzt. Es gibt die Tendenz, Aufgaben zu unterschätzen. Die vierte Einflussgröße ist eine viel zu optimistische Schätzung unserer Arbeitsleistung. Dieser Schätzfehler beruht auf den psychologischen Gesetzen: 1. Overconfidence-Effekt (Selbstüberschätzung): Wir überschätzen systematisch unser Wissen und unsere Fähigkeit zu prognostizieren- - und zwar massiv. Der Effekt misst nicht, ob eine einzelne Schätzung stimmt oder nicht, sondern misst den Unterschied zwischen dem, was Menschen wirklich wissen und dem, was sie denken zu wissen. Diese Haltung ist naiv und angeboren und ist bei Männern ausgeprägter als bei Frauen, bei Experten mehr als bei Laien. 2. Kontrollillusion: Hier geht es um die Tendenz zu glauben, dass wir etwas kontrollieren oder beeinflussen können, über das wir objektiv keine Macht haben. 3. Conjunction Fallacy: Wir haben ein intuitives Verständnis für „stimmige“ oder „plausible“ Geschichten. Je überzeugender, desto wahrscheinlicher. Das intuitive Denken hat eine Vorliebe für plausible Geschichten und nicht für logisches Denken (Kahnemann) [3]. Dazu kommt, dass es in unserer Evolution überlebenswichtig war, seinen Platz im Team sicher zu haben, um so das Team zu schützen und durch das Team geschützt zu werden. Diese Rangklarheit wird immer wieder neu überprüft und gibt so organisationale Sicherheit. Diese Sicherheit wird heute z. B. repräsentiert durch Organigramme. Im Mannschaftssport spielt dieser Effekt eine ebenso große Rolle; im Fußball spricht man von Stammspielern, die ihren Platz im Team sicher haben. Damit uns unser Teamleiter gewogen bleibt, machen wir gerne Versprechungen, um zu demonstrieren, dass wir Gutes leisten können. Das schlägt mit mindestens 20 % Wahrscheinlichkeit zu Buche. Die fünfte Einflussgröße ist der Grad der Komplexität eines Projektes. Entscheidend ist hier ein möglicher Übergang von kompliziert zu komplex. Dieser Übergang scheint auch entscheidend für die Frage, ob in einem Projekt klassisch oder agil gearbeitet werden soll. In schwierigen Projekten gibt es mindestens eine Lösung, den Weg dahin können wir mit unserem Erfahrungswissen einigermaßen abschätzen. Sobald es aber komplex wird, wissen wir nicht einmal, ob es überhaupt eine Lösung gibt oder sogar mehrere. In dieser Ungewissheit ist es nachvollziehbar, dass sowohl Aufwand als auch Zeit auf dem Weg zu einer Lösung schwer bis gar nicht planbar sind. In agilen Projektumfeldern wird deshalb im Rahmen eines Sprints nur der nächstmöglich planbare Zeitraum betrachtet: der sogenannte Sprint. Je nach Projekt wird hier ein Zeitraum von ca. 4-6 Wochen betrachtet. Das Ergebnis dieser Sprints, die sogenannten Inkremente, werden jedes Mal mit dem Kunden besprochen, um so zu sehen, ob das Projekt noch das gewollte Ergebnis verfolgt. Der Einfluss auf die Richtigkeit einer Ressourcenplanung ist mit mindestens 30 %, eher höher, zu bewerten. Die sechste Einflussgröße ist eine unangemessene, nicht situationsgerechte Führung. Der Einfluss von außen und von oben kann das Projektergebnis und die Qualität der Planung mit mindestens 30 % negativ beeinflussen. Negativ ist gemeint als Herabsetzung des Wirkungsgrads der Projektmitarbeiter, verursacht durch die Art und Qualität der Führung. Führung steht immer wieder im Fokus der Verbesserung der Leistungsfähigkeit von Teams. Obwohl als wichtig erkannt, werden hier doch maximal Führungskräftetrainings „verschrieben“. Es wird an Symptomen gearbeitet, selten an der Ursache. In komplexer werdenden Umwelten (VUCA-Welt) kommt es immer mehr auf Wertsetzung und Werthaltung bei der Führung an. Ein zweiter Einfluss sind neue Formen der Projektabarbeitung, wie z. B. agiles Projektmanagement. Gerade durch die agile Methode SCRUM wird propagiert, dass in einer neuen, anspruchsvollen Führungsumgebung Werte eine entscheidende Rolle spielen. Ressourcenplanung, die funktioniert Projektportfolio-Management Ressourcenplanung Zeit-/ Leistungserfassung Kosten-Controlling Die Testumgebung in der Cloud steht für Sie bereit Scheuring AG CH-4313 Möhlin � +41 61 853 01 54 www.scheuring.ch � info@scheuring.ch www.ressolution.ch Anzeige Wissen | Warum eine belastbare Ressourcenplanung nicht möglich ist 67 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 31. Jahrgang · 05/ 2020 DOI 10.2357/ PM-2020-0107 Daneben ist ebenfalls neu und von Bedeutung: Mindset, Werte, Prinzipien. Diese neuen Eckpfeiler brauchen ein neues Verständnis von Führung, eben eine wertebasierte und menschliche Führung. Diese Ansätze hören auf die Namen laterale Führung, Servant Leadership, Thought Leadership, ambidextre Führung, authentische Führung und Neuroleadership, um nur einige zu nennen. Diese neuen Führungsverständnisse brauchen eine unterstützende neue Organisationsform: Soziokratie, Holacracy und Selbstorganisation sind hier die neuen Angstbegriffe. Nach der Selbstbestimmungstheorie (Edward L. Deci & Richard M. Ryan [4]) sind diese Punkte von besonderer Bedeutung: Frederic Laloux war der erste, der vor wenigen Jahren eine Diskussion über die geeignete Organisationsform losgetreten hat. Dabei hat er mehrere Organisationen daraufhin untersucht, wie anpassungsfähig und geeignet sie für unsere heutigen Anforderungen sind, gerade im Hinblick auf neue Herausforderungen, wie das Handhaben von Komplexität und das Arbeiten in agilen Rahmenbedingungen. Seine Hinweise auf die „Soft Skill“-Seiten der Führung sind die Grundlage für neue Führungsformen.[5] Die siebte Einflussgröße ist die innerbetriebliche Umpriorisierung von Projekten. Getreu nach Gauß und seiner Normalverteilung gibt es genauso viele hoch priorisierte wie niedrig priorisierte Projekte. Der Rest liegt in der Mitte und ist „normal“ priorisiert. Dennoch ist in der Praxis immer wieder zu beobachten, dass die meisten Projekte „hoch“ priorisiert sind, um so dem Vorhaben mehr Bedeutung und Gewicht zu verleihen. Die Führung muss diese Einschätzung unterstützen, sonst hätte es ja keinen Grund gegeben, dieses Vorhaben zu initiieren. Das führt dann zu vielen Projekten in der „Prio 1“, zu einigen der „Prio 2“ und kaum zu Projekten der „Prio 3“. Sollte aber genau das Veränderungen nach sich ziehen, die dann jeweils die Leitung verkündet, dann kann es dazu führen, dass das eigene Projekt nicht mehr „Prio 1“ ist. Erst dann stellt man fest, dass mit einer hohen Priorisierung auch die Verfügbarkeit von Ressourcen verbunden ist: Keine „Prio 1“ mehr-- und schon sind die Ressourcen weg. Genau das wird auch durch einige Gesetze der Psychologie verstärkt: - Primär-Effekt: Der erste Eindruck bildet sich bereits in wenigen Sekunden. Alle folgenden Wahrnehmungen und Informationen werden so gewertet, dass sie den ersten Eindruck nachhaltig stützen und ins bereits gemachte Bild passen. - Recency-Effekt (Nikolaus-Effekt): Dem Primäreffekt steht der sogenannte Recency-Effekt gegenüber, bei dem später eingehende Informationen stärkeres Gewicht erhalten. Im Verkauf oder bei Präsentationen nutzt man dies unter dem Grundsatz, dass das zuletzt Gehörte besondere Aufmerksamkeit bekommt. - The Paradox of choice (Auswahlparadox): Auswahl ist die Messlatte unseres Fortschritts; Auswahl macht glücklich. Allerdings sind bei großer Auswahl möglicherweise weniger Ergebnisse zu erwarten: i. Große Auswahl führt zu innerer Lähmung; ii. Große Auswahl führt zu schlechteren Entscheidungen; iii. Große Auswahl führt zu Unzufriedenheit. Mit 30 % Einflussgröße ist diese Form auch eher unterbewertet. Abb. 4: Selbstbestimmungstheorie (Edward L. Deci & Richard M. Ryan) Abb. 5: Kennzeichen evolutionärer Organisationen (Frederic Laloux) Wissen | Warum eine belastbare Ressourcenplanung nicht möglich ist 68 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 31. Jahrgang · 05/ 2020 DOI 10.2357/ PM-2020-0107 Die achte und vorläufig letzte Einflussgröße nenne ich Teamfaktor. Die Größe und der Vernetzungsgrad eines Teams haben Einfluss auf die Effizienz und Validität der Teamleistungen. Ein effizientes Team bewegt sich in diesen Größen: Die Zahl 150 wird auch Dunbar-Zahl genannt. Hierunter versteht man die theoretische „kognitive Grenze“ der Anzahl an Menschen, mit denen eine Einzelperson soziale Beziehungen unterhalten kann. Mit der Zahl 150 beschreibt Robin Dunbar die Anzahl an Personen, von denen jemand die Namen und die wesentlichen Beziehungen untereinander kennen kann. Nach neueren Untersuchungen gilt diese Zahl auch für virtuelle soziale Netzwerke. Der Psychologe Georg Miller hat bereits 1956 einen Artikel über die magische Teamzahl 7 geschrieben. [6] Dort beschreibt er die Grenzen unserer Fähigkeit, Informationen zu erfassen, wahrzunehmen und zu verarbeiten. Angenommen, diese Erkenntnisse würden heute noch gelten, dann sollten wir z. B. für uns so planen: - ein Lebensziel - ein langfristiges Ziel (3-10 Jahre) - ein mittelfristiges Ziel (0,5-2 Jahre) - zwei kurzfristige Ziele (1 Woche bis 3 Monate) Bei dieser Anzahl sollten wir in der Lage sein, die aktuellen Ziele im Auge zu behalten, zu verfolgen und zu bearbeiten. Diese Rahmenwerte ähneln stark den Vorgaben aus dem agilen Projektmanagement, insbesondere den Erkenntnissen aus der Methode SCRUM. Dort sind sie ein Teil von vielen Erfolgsfaktoren. Im wirklichen Projektleben sind unterschiedliche Umgangsweisen festzustellen; ein Projekt erfolgt immer in den organisationalen Vorgaben der umgehenden Struktur. Diese führen schnell zu teilweise gravierenden Abweichungen der gesicherten Erkenntnisse. Die entscheidende Frage lautet also nicht, wie können diese Rahmenbedingungen verhindert werden, sondern wie gehe ich mit diesen unterschiedlich starken Abweichungen so um, dass optimale Projektergebnisse trotzdem erzielt werden. Zusätzlich kennt man aus der Organisationspsychologie einige menschliche Verhaltensmuster, die bereits gut erforscht und erklärt sind. Alle erläutern, warum die Arbeit in Teams durchaus fehleranfällig ist. Hier einige Beispiele (alle aus meinem Buch: Die Psycho-Logik im Projektmanagement, 2020: [7]). Hawthorne Effekt Arbeitsleistung und Produktivität der Mitarbeiter hängen nicht nur mit der objektiven Arbeitsleistung zusammen-- sie werden vielmehr noch von sozialen Faktoren mitbestimmt. Teams, die mehr Aufmerksamkeit erhalten und die darum wissen, können eine bessere Leistung erbringen. Hofstadters Gesetz Man benötigt immer mehr Zeit als erwartet. Auch wenn man Hofstadters Gesetz berücksichtigt. Kontrollierbarkeits-Bias Wir glauben, den Ausgang einer Situation besser im Griff zu haben, als dies offensichtlich der Fall ist; damit schätzen wir auch Risiken falsch ein. Es beschreibt die Tendenz zu glauben, dass wir etwas kontrollieren oder beeinflussen können, über das wir objektiv keine Macht haben. Prokrastination Dies beschreibt die Tendenz, unangenehme, aber wichtige Handlungen zu verschleppen. Sie ist irrational, aber menschlich. Ein Vorhaben erledigt sich nicht von selbst. Grund: Zwischen Aufwand und Ertrag liegt eine zeitliche Kluft. Dazu wirken noch zusätzlich: Komplexität der Zusammenarbeit, Nichtkennen der Teammitglieder, unklare Aufgaben, Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten etc. Die Aufgabe, in solch einem unsicheren Umfeld eine belastbare Ressourcenplanung aufzustellen, ähnelt den Rahmenbedingungen, die wir in einer Krise vorfinden [8]. Insofern kann man aus den Erfahrungen einer gelungenen Krisenkommunikation lernen, denn eine nicht zufriedenstellende Ressourcenplanung ist häufig eine Krise. Gemeinsam- Abb. 6: Optimale Teamarbeit-- passende Größen (Dietmar Prudix, eigene Darstellung, 2019) Wissen | Warum eine belastbare Ressourcenplanung nicht möglich ist 69 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 31. Jahrgang · 05/ 2020 DOI 10.2357/ PM-2020-0107 keiten einer Krise und einer immer wieder nicht eintretenden Ressourcenplanung sind: - ungeplant, ungewollt und oft überraschend - sehr dynamisch, verlaufen ohne festes Schema - kaum zu steuern - haben einen offenen Ausgang - sind zeitlich befristet - häufig sehr komplex - in Ausmaß und Folgen kaum überschaubar Die Bundesregierung hat daraus Handlungsempfehlungen für Krisen abgeleitet, die auch auf die Ressourcenplanung übertragen werden können: 1. Krisenstäbe (Teamleiter und Projektleiter) erhöhen die Handlungssicherheit 2. Organisationsübergreifende Zusammenarbeit wird vereinbart und geübt 3. Koordination von Maßnahmen und Fähigkeiten 4. Rollenklarheit (wie in allen Projekten) 5. Gemeinsame Ziele mit Prioritäten 6. Gemeinsame Entscheidung über Abteilungen hinweg 7. Verringerung von Schnittstellen 8. Abgestimmter Informationsaustausch Dazu werden Werte und Einstellungen von allen Beteiligten benötigt: Offenheit, Transparenz, Glaubwürdigkeit, Konsistenz, Dialogorientierung. Das ist die erfolgversprechende Basis für ein Miteinander-Arbeiten. So, wer wundert sich noch, dass Ressourcenplanung gar nicht funktionieren kann? Ich hoffe, es ist deutlich geworden, dass dermaßen viele Einflussfaktoren die Qualität der Ressourcenplanung bedingen, dass sie gar nicht erfolgreich funktionieren kann. Oder kann jemand von einem Projekt berichten, das genau mit der ursprünglich geplanten Menge an Ressourcen abgeschlossen wurde? Literatur [1] Robin Dunbar: How many friends does one person need? London, Faber and Faber Ltd., 2011. https: / / de.wikipedia.org / wiki / Dunbar-Zahl, Stand: 10. 06. 2020 [2] David Allen: Getting Things Done. The Art of Stress-Free Productivity , New York, Penguin Books, 2001. https: / / gettingthingsdone.com, Stand: 10.06.2020 [3] Amos Tversky & Daniel Kahneman: “Judgments of and by representativeness”, in: D. Kahneman, P. Slovic & A. Tversky (Eds.), Judgment under uncertainty: Heuristics and biases . Cambridge, UK, Cambridge University Press, 1982. [4] Richard M. Ryan & Edward L. Deci: Self-determination theory. Basic psychological needs in motivation, development, and wellness. New York, Guilford Publishing, 2017. [5] Frederic Laloux: Reinventing Organizations , München, Vahlen, 2015. [6] George A. Miller: “The Magical Number Seven. Plus or Minus Two”. Psychological Review 63 (2), 1956, Seite 81-97. [7] Dietmar Prudix: Die Psycho-Logik im Projektmanagement. Warum Menschen so handeln, wie sie handeln , Hamburg, BoD, 2020. [8] Leitfaden Krisenkommunikation , Berlin, Bundesministerium des Innern, Referat KM 1, Koordinierungszentrum Krisenmanagement, 2014. Eingangsabbildung: © iStock.com / BrianAJackson Dietmar Prudix Dietmar Prudix ist Gründer, Inhaber und CEO der TrainingXperience, die sich auf effizientes und agiles Projektmanagement konzentriert. Davor war er als Projektmanager bei der Daimler AG tätig, wo er in einem Tochterunternehmen die Business Academy geleitet hat. Davor hat er große Projekte geleitet, wie z. B. die Expo 2000 in Hannover. Von 2016 - 2017 war er Mitglied des Präsidialrats der GPM. Seit 2017 ist er Mitglied in der internationalen IPMA Arbeitsgruppe „Agile Leadership“. Er ist Autor einer Vielzahl von Fachpublikationen mit dem Schwerpunkt Projektmanagement. Als deutscher Vertreter unterstützt er die Umsetzung des neuen europäischen PM-Standards OPM2. TrainingXperience Ziegelstrasse 11 71 063 Sindelfingen eMail: dp@trainingxperience.de Internet: www.trainingxperience.de Wissen | Warum eine belastbare Ressourcenplanung nicht möglich ist 70 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 31. Jahrgang · 05/ 2020 DOI 10.2357/ PM-2020-0107
