PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
pm
2941-0878
2941-0886
UVK Verlag Tübingen
10.2357/PM-2021-0002
31
2021
321
GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.Wie das Virus Projekte stoppte
31
2021
Oliver Steeger
Die Coronakrise ist für viele Flughäfen eine wirtschaftliche Katastrophe. Auch den Flughafen München hat die Pandemie in eine Krise gestürzt. Passagierzahlen brachen um bis zu neunzig Prozent ein. Über 35.000 Mitarbeiter am Standort Flughafen München sind von den Auswirkungen betroffen. Unmittelbar nach Ausbruch der Krise schaltete der Flughafen München in den Krisenmodus und musste viele Projekte stoppen. Claudia Donig, am Flughafen München zuständig für das Projektmanagement und Inhouse Consulting, beschreibt ihre Eindrücke von der Pandemie – und erklärt, wie Projekt-Portfoliomanagement gerade bei der Krisenbewältigung unterstützen kann.
pm3210004
Im Interview mit Claudia Donig: Coronakrise und Portfoliomanagement Wie das Virus Projekte stoppte Oliver Steeger Die Coronakrise ist für viele Flughäfen eine wirtschaftliche Katastrophe. Auch den Flughafen München hat die Pandemie in eine Krise gestürzt. Passagierzahlen brachen um bis zu neunzig Prozent ein. Über 35.000 Mitarbeiter am Standort Flughafen München sind von den Auswirkungen betroffen. Unmittelbar nach Ausbruch der Krise schaltete der Flughafen München in den Krisenmodus und musste viele Projekte stoppen. Claudia Donig, am Flughafen München zuständig für das Projektmanagement und Inhouse Consulting, beschreibt ihre Eindrücke von der Pandemie-- und erklärt, wie Projekt- Portfoliomanagement gerade bei der Krisenbewältigung unterstützen kann. Frau Donig, die Covid-19-Pandemie hat die Luftfahrt in eine tiefe Krise gestürzt. Die Passagierzahlen sind zeitweise um bis zu neunzig Prozent eingebrochen. Dies setzt nicht nur Fluggesellschaften zu, sondern auch Flughäfen. Wie hat sich die Krise auf den Münchner Flughafen ausgewirkt? Claudia Donig: Bei uns steht vieles still, aber natürlich nicht alles. Wir gehören als Münchner Flughafen zur sogenannten kritischen Infrastruktur in unserem Land. Den Airportbetrieb haben wir infolge der Pandemie auf ein Minimum heruntergefahren. Vieles war und ist geschlossen, wie zum Beispiel das Terminal 1 oder das Satellitengebäude. Offen gesagt, es ist erschütternd zu sehen, wie der Luftverkehr zeitweise nahezu zum Erliegen gekommen ist. Dies hat uns alle hart getroffen. Der Luftverkehr war schließlich eine der ersten Branchen, die die Pandemie-Auswirkungen gespürt haben und dürfte auch eine der letzten sein, die sich wieder erholen wird. Wir haben menschenleere Terminals gesehen- - Bilder, die wir uns nie hätten träumen lassen. So etwas erleben wir als Flughafen zum ersten Mal, in solch eine Krise kommt man ja unverschuldet. Über Jahre hatten wir ein Rekordergebnis nach dem anderen. 2019 war das erfolgreichste Jahr in unserer Geschichte mit fast 48 Millionen Passagieren. Solch eine Krise wirkt sich vor allem auf die Menschen aus, die im und am Flughafen arbeiten. Der Flughafen ist ein Job-Motor für die ganze Region. Unser Konzern hat knapp 10.000 Mitarbeiter. Insgesamt sind aber über 35.000 Menschen direkt am Standort Flughafen beschäftigt. Hinzu kommen die Firmen, die im Umland ihre Existenz mit dem Flughafen verknüpft haben. Sie alle leiden direkt oder indirekt darunter, dass dieser Motor zum Stillstand kommt. Die Krise führt uns vor Augen, wie abhängig wir voneinander und vom fliegenden Passagier sind-- auch, wenn wir als Konzern in der Vergangenheit unsere Geschäftsmodelle stetig weiterentwickelt haben über den reinen Passagierverkehr hinaus. Wie sind Sie mit dieser Krise umgegangen? Unmittelbar nach dem ersten Lockdown waren wir in einer Art Schockstarre. Wir mussten aber schnell zusehen, dass wir aus diesem Zustand herauskommen und handeln. Wir mussten- - und müssen weiterhin- - eine große Infrastruktur am Leben erhalten. Ein Flughafen ist wie eine kleine Stadt. Wir haben hier am Standort alles, was eine Stadt auch hat-- angefangen von der Energieversorgung, über Geschäfte zum Einkaufen bis hin zu Arztpraxen und einer Klinik. Vieles davon muss weiterlaufen oder zumindest funktionsfähig bleiben. Als kritische Infrastruktur erfüllen wir hier auch eine übergeordnete Aufgabe für unser staatliches Gemeinwesen. Ein Mindestmaß an Betrieb muss allein schon wegen der Aufgabe der Daseinsvorsorge vorgehalten werden. Dazu kommt natürlich für ein Unternehmen der verantwortliche Umgang mit Corona. Wir müssen unsere Mitarbeiter und Passagiere am gesamten Standort schützen. Was alles letztlich auch eine Geldfrage ist, nehme ich an. Die Einnahmen brechen weg. Die Kosten laufen weiter. Neue Kosten entstehen-… Richtig! Wir mussten sehr schnell dazu übergehen, den Wegfall von Erlösen und die Betriebskosten zu managen. Wir hatten in allererster Linie unsere Liquidität zu sichern- - also in den Krisenmodus schalten. Der Begriff „Krisenmodus“ ist an Flughäfen an sich kein Fremdwort. Wir haben ein sehr gutes Krisenmanagement. Wir sind ausgezeichnet vorbereitet auf Krisensituationen oder auch Ereignisse wie Aschewolken, die unseren Flugverkehr gefährden oder einschränken. Aber-…? Eine solche durch ein Virus ausgelöste Pandemie, die auch in einer Wirtschaftskrise münden kann, kam in unseren Vorstel- Reportage Wie das Virus Projekte stoppte DOI 10.2357/ PM-2021-0002 32. Jahrgang · 01/ 2021 Leere Terminals überall-- zum Entsetzen der Mitarbeiter am Flughafen. Die Kosten laufen weiter, doch Einnahmen durch den Passagierverkehr fehlen. Foto: Alex Tino Friedel / Flughafen München 4 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 32. Jahrgang · 01/ 2021 DOI 10.2357/ PM-2021-0002 lungen nicht als wirklich realistisches Szenario vor. Trotzdem helfen uns jetzt die Strukturen unseres Krisenmanagements. Wir sind geübt darin, schnell einen Krisenstab mit allen notwendigen Beteiligten am Flughafen ins Leben zu rufen. Rollen sind klar definiert. Wir wissen, welche Menschen diese Rollen einnehmen. Damit ist man wieder handlungsfähig- - gleichwohl muss sehr genau überlegt werden, was zu tun ist. Wir mussten bei allen Überlegungen immer folgende Prämissen beachten: Es galt die Flughafeninfrastruktur offenzuhalten, die Gesundheit der Menschen zu schützen und die Stabilität unseres Unternehmens zu sichern. Zudem mussten wir in jeder Phase in der Lage sein, flexibel den Betrieb wieder hochzufahren. Flexibel den Betrieb wieder hochfahren? Im vergangenen Sommer waren Reisen und Flugverkehr innerhalb Europas durch eine etwas entspanntere Corona-Lage vorübergehend wieder weitgehend uneingeschränkt möglich. Da mussten wir schnell darauf reagieren mit an die Pandemielage angepassten Prozessen und Verkehrsströmen. Hinzu kam die Umsetzung der politischen Vorgaben an den Flughäfen. Als erster deutscher Flughafen haben wir ein Corona- Testzentrum eröffnet, um den Reiseverkehr zu ermöglichen. Für Krisenzeiten gilt bekanntlich: Projekte kosten zum einen Geld und damit Liquidität. Zum anderen können Projekte Unternehmen unterstützen, durch eine Krise zu kommen. Welche genauen Auswirkungen hatte die Coronakrise auf die Projekte im Unternehmen? Einige Projekte sind zwingend notwendig, etwa das Corona-Testzentrum im vergangenen Sommer. Andere lassen sich nicht ohne Weiteres unterbrechen, beispielsweise weit fortgeschrittene Bauvorhaben mit den entsprechenden Verpflichtungen gegenüber Dritten. Für die große Mehrzahl der Projekte aber galt, dass wir sie gestoppt haben. Wir haben damit nicht nur Mitarbeiter der operativen Einheiten in Kurzarbeit geschickt, sondern auch Mitarbeiter der Verwaltung. Dieser Prozess des Herunterfahrens von Projekten schmerzt natürlich. Mit Projekten entwickeln wir unser Geschäft weiter. Sie tragen zum Wachstum bei. Sie sind eine Investition in unsere Zukunft. Wie sind Sie vorgegangen? Zunächst mussten wir uns alle mit dem Instrument Kurzarbeit vertraut machen. Kurzarbeit war Neuland für uns. Wir hatten uns mit den Formalien von Kurzarbeit auseinanderzusetzen. Die dazugehörigen Verhandlungen wurden mit den an diesen Prozessen beteiligten Partnern gestartet. Sehr schnell haben Viele Projekte am Münchner Flughafen wurden gestoppt-- mit wenigen Ausnahmen, etwa weit fortgeschrittene Baustellen. Foto: Alex Tino Friedel / Flughafen München Die Pandemie setzt der Reisebranche zu, insbesondere der Luftfahrt. Am Flughafen sind über 35.000 Mitarbeiter betroffen. Auch wurden viele Projekte auf Eis gelegt. Foto: Michael Fritz / Flughafen München Reportage | Wie das Virus Projekte stoppte 5 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 32. Jahrgang · 01/ 2021 DOI 10.2357/ PM-2021-0002 wir dann parallel die Projekte ausgewählt, die aktuell wirklich notwendig für uns sind. Eine Auswahl mit klassischem Portfoliomanagement? Nun, die Auswahl wird in solch einer wirtschaftlichen Krise vor allem durch die kaufmännische Brille betrachtet. Im ersten Moment redet man nicht über Notwendigkeit von strategischen Projekten, sondern stoppt alles nicht Erforderliche. Wir haben dann Schritt für Schritt mehr Sicherheit und Klarheit im Umgang mit der Krise erlangt- - und dann einzelne strategische Projekte wieder aufgenommen. Welche Projekte waren dies? Strukturell wichtige Projekte für die Zukunft unseres Unternehmens. Wir haben zum Beispiel die sehr schwache Auslastung des Flughafens genutzt, um Teile unserer Start- und Landebahnen zu sanieren. Eine Bahn konnten wir offenhalten, die andere haben wir für die Bauarbeiten geschlossen. Es ist natürlich viel kostengünstiger, solche Projekte zu betriebsarmen Zeiten durchzuführen. Auch haben wir weiterhin IT-Strukturen erneuert, wo es betrieblich notwendig war und man darum nicht herumgekommen ist. Unter dem Strich sind von den etwa 300 bereichsübergreifenden Querschnittsprojekten, die wir zu Beginn der Krise hatten, rund 100 übriggeblieben, darunter auch einige ausgewählte strategische. Ein Beispiel für solch ein rein strategisches Projekt war die in 2020 anstehende Erneuerung unseres “Five-Star”-Status, den wir als einziger Flughafen Europas inne haben. Der „Five Star“-Status ist in der Reisebranche gut bekannt. Es bescheinigt hervorragende Qualität bei Service und Aufenthalt am Flughafen-- also eine Art Gütesiegel für Reisefachleute und Passagiere. Weltweit haben nur sechs Flughäfen diesen Status. Wir sind seit 2015 „Five-Star“. Für 2020 stand nach 2017 die zweite Rezertifizierung an. Es war natürlich die Frage, ob wir uns dies mitten in solch einer Krise leisten konnten und wollten. Wir haben beschlossen, dass die Aufrechterhaltung dieses Status für uns eine hohe strategische Bedeutung hat. Also haben wir mit unseren Zertifizierungspartnern verhandelt. Wir konnten die Rezertifizierung in einem quasi Remoteverfahren durchführen- - auch, um die Beteiligten in diesen Zeiten nicht zu gefährden. Das ist in Summe kein sehr aufwendiges und kostenintensives Unterfangen. Aber es war strategisch enorm wichtig für uns. Sie sagten vorhin, dass am Flughafen München Projekte als eine Investition in die Zukunft gesehen werden. Projekte gehören gewissermaßen zur DNA Ihres Konzerns. Seit fünfzehn Jahren gibt es ein Project Management Office. Sie haben vor einigen Jahren einen Award der GPM für exzellentes Projektmanagement gewonnen. Allgemein gefragt: Weshalb sind Projekte so wichtig für einen Flughafen? Projekte sind gewissermaßen unser Kern der Zukunftssicherung. Mit Projekten verbessern wir Bestehendes und erschließen neue Geschäftsfelder. Zum einen haben wir zahlreiche Bauprojekte, mit denen wir unsere Infrastruktur modernisieren und erweitern. Zum anderen führen wir zahlreiche bereichsübergreifende Projekte durch- - sogenannte Querschnittsprojekte. Dazu zählen unter anderem auch viele IT-Projekte und Projekte, in denen neue Prozesse entwickelt oder bestehende optimiert werden. In Zahlen: Wenn wir zu unseren durchschnittlich 300 Querschnittsprojekten auch noch das Bauportfolio addieren, kommen wir in Summe auf über 700 Projekte. Das heißt, als Betreiber einer Flughafeninfrastruktur denken und handeln wir außerordentlich viel in Projekten-… Vermutlich stellen Sie im PMO Transparenz über das Portfolio her, und Sie unterstützen die Umsetzung der Konzernstrategie durch Projekte. Transparenz ist sehr wichtig. Uns ist es in den vergangenen Jahren gelungen, diese Transparenz vor allem über die Querschnittsprojekte konzernweit herzustellen. Wir können heute gut darüber an die Verantwortlichen berichten. Zudem unterstützen wir unsere Projekte aus dem PMO heraus-- zum einen durch Projektmanagementtools und Schulungen, zum anderen durch Ressourcen für ein Projekt Office. Und die Inhouse Consultants sind ohnehin fester Bestandteil der Projektlandschaft. Im Auftrag von Geschäftsführung und Bereichen führen sie konzernweit komplexe Projekte und Beratungen durch. Wie sieht es mit der Projektmanagement-Kultur an Ihrem Flughafen aus? Da sind wir aus meiner Sicht in den letzten beiden Jahrzehnten ein gutes Stück weit vorangekommen. Im Rahmen unseres AirportProjects haben wir ein Framework eingeführt mit Begriffen, Prozessen und Rollen. Wir hatten zehn Jahre lang auch einen eigenen Projektmanagement-Award im Konzern, um den sich unsere Teams alle zwei Jahre bewerben konnten. Dies ist heute selbstverständlicher Teil unserer Projektkultur. Ein Beispiel: Projektleitungen und Lenkungskreise werden sorgfältig besetzt. Man ist sich auch bewusst, dass Projektleiter Stellvertreter oder Unterstützung in der Projektadministration brauchen. Dies alles ist allgemein akzeptiert. Über unseren Projektmanagementaward und unsere Projektleiter- Projekte helfen durch die Krise: Am Flughafen München eröffnete ein Corona Testzentrum, um Passagierverkehr im Sommer 2020 wieder zu ermöglichen. Foto: Alex Tino Friedel / Flughafen München Reportage | Wie das Virus Projekte stoppte 6 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 32. Jahrgang · 01/ 2021 DOI 10.2357/ PM-2021-0002 foren haben wir nachhaltig dazu beigetragen, dass Linie und Projektwelt sich auf Augenhöhe begegnet. Unsere zentral organisierten PM-Schulungen vom Auszubildenden bis zur Führungskraft stellen seit Jahren ein durchgängiges Verständnis des Projektmanagements im Unternehmen sicher. Durchgängig heißt- - Schulungen nicht nur für Projektleiter? Nein, für alle. Ein Beispiel: Auszubildende sind unsere Zukunft in der Projektarbeit. Hier gilt es, die richtige Denkweise von Anfang an zu etablieren. Zusätzlich haben wir für Führungskräfte speziell ein Modul im Rahmen unseres Leadership Excellence Programm entwickelt-… Weshalb auch für Führungskräfte? Weil sie eine buchstäblich entscheidende Rolle spielen in den Lenkungsausschüssen der Projekte. Das ist die Verbindung von Projekt und Linie. Und hier braucht man Linien-Führungskräfte, die sehr selbstverständlich und professionell diese Rolle leben. Wer gute Projektarbeit im Unternehmen etablieren will, muss alle Beteiligten qualifizieren. Nicht nur die Projektmanager selbst. Wie hat die Coronakrise das Projektmanagement verändert? In der Krise hat sich gezeigt: Strukturen, Prozesse und Rollen, die akzeptiert sind und wie selbstverständlich gelebt werden-- sie bestehen auch während der Krise weiter. Sie helfen beim Umgang mit der Krise. Und was vor der Krise nicht vollständig in den Köpfen verankert war, kann man während der Krise nicht mehr etablieren-- selbst wenn dies sinnvoll wäre. Was bedeutet dies konkret? Denken Sie an Instrumente des Projektmanagements, etwa das Instrument eines stets aktuellen Projektstatus. Wurde der Nutzen vor der Krise nicht völlig eingesehen, dann wird dieses Instrument während der Krise auch nicht verwendet werden. An solchen Stellen sehe ich deutlich, wo unsere Mitarbeiter unsere Tools, Prozesse und Rolle verstanden haben und für sich im Projekt nutzen-- und wo nicht. Die Krise zeigt, wie weit wir in der Durchdringung und Projektkultur wirklich gekommen sind. Manche Unternehmen versuchen jetzt, agiles Projektmanagement einzuführen. Sie wollen besonders schnell und flexibel reagieren in der Krise. Es kommt immer darauf an, was Sie mit agilem Projektmanagement erreichen wollen. Diesen Wunsch kann ich auch bei uns erkennen. Ich beobachte, dass hinter dem Wunsch nach agilem Projektmanagement vor allem das Ziel steht, die Projekte gefühlt nicht so kompliziert und dadurch schneller zu machen. Agil bedeutet in vielen Köpfen einfach schnell loslegen- - und Zeit und Ressourcen sparen, die sonst in eine systematische Zielbestimmung und Planung gehen. Viele scheinen darin eine Zeit der Unproduktivität zu sehen. Planung und Struktur sind im agilen Projektmanagement sicherlich keine nutzlose Unproduktivität ... Nein, sicherlich nicht. Eine agile Vorgehensweise verlangt mindestens genau so viel Planung wie die klassische Methodik. Dies wird gerne übersehen. Man muss darauf als Unternehmen sehr gut vorbereitet sein. Offen gesagt, dies ist bei uns wie bei vielen größeren Konzernen noch nicht ganz der Fall. Wir haben noch kein gemeinsames einheitliches Verständnis von Agilität. Und Agilität braucht sehr viele Strukturen und Disziplin bei der Methodentreue. Mit agilen Projekten sind Rollen verbunden, wie der Product oder Business Owner, die in der Linie vorhanden sein und gelebt werden müssen. Und: Was bedeutet es, mehrere vernetzte agile Projekte zu haben? Wie sehen die Portfolios aus? Man kann ja auch agile Projekte nicht wild entstehen lassen. Da braucht es klare Strategien und übergeordnete Planung. Solch ein Bewusstsein entsteht nicht von heute auf morgen. Sie sprachen vorhin von dem Kostendruck, dem der Flughafen während der Krise unterliegt. Einnahmen brechen weg, derweil die Kosten weiterlaufen. Ich habe verstanden, dass Sie mit Blick auf die Liquiditätssicherung Projekte stoppen mussten. Wurde dieses Stoppen von Projekten systematisch angegangen? Ja und nein. Die Vorgabe war, nur betrieblich notwendige Projekte fortzuführen. Unsere Bereichsverantwortlichen haben die notwendigen Projekte identifiziert. Aus dieser bereichsinternen Sicht sind im Frühjahr 2020 mit Sicherheit die richtigen Projekte ausgewählt worden, was unsere Nachschau im Herbst 2020 auch bestätigt hat. Diese Entscheidungen haben zur Liquiditätssicherung beigetragen. Aber: Aus Sicht einer strategischen Portfolio-Denkweise war das weniger systematisch. Projekte dienen dazu, die Strategie eines Unternehmens umzusetzen; Strategie soll operationalisiert werden. Und Projekte mit Abhängigkeiten mehrerer Bereiche haben für den die jeweiligen Bereiche oft eine andere Bedeutung als für den Konzern. Fährt man ein Projekt herunter, ist vielleicht einem einzelnen Konzernbereich geholfen, aber nicht der Gesamtorganisation-…? Möglicherweise! Aus diesem Blickwinkel haben wir im PMO bei den Querschnittsprojekten etwas Bauchweh gehabt. Es gibt ja das Instrument des strategischen Portfoliomanagements. Zu Krisenbeginn haben wir es nochmals im Konzern angeboten mit Hinweis auf den positiven Effekt, den es hier leisten kann. Dieses für den Konzern neue Instrument kam nicht zum Zuge. Weshalb nicht? Mit Projektportfoliomanagement ist Aufwand verbunden, vor allem Zeitaufwand. Außerdem hatten und haben wir immer noch Kurzarbeit. Kurzarbeit war und ist ein wichtiges Instrument von vielen, um die Liquidität im Unternehmen sicherzustellen. Da wägt man natürlich ab, ob man ein neues Instrument einsetzen will um den Preis, dass es zusätzlich Ressourcen braucht. Aus diesem Grunde kamen andere Steuerungsmechanismen zum Zuge. Vorhin sagten Sie, dass Neues in Krisen ungern angenommen wird? Natürlich! Dahinter steht etwas sehr Menschliches. Unter dem Schock und Druck von Krisensituationen sind Menschen allgemein selten geneigt, sich auf Neues einzulassen. Man Reportage | Wie das Virus Projekte stoppte 7 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 32. Jahrgang · 01/ 2021 DOI 10.2357/ PM-2021-0002 handelt automatisiert und vertraut auf das, mit dem man bisher erfolgreich war. Ich verstehe dies völlig. Die Coronakrise hat ja nicht nur Konsequenzen für die Projekte und das Projektmanagement-- sondern auch für Ihren Bereich, den Sie leiten. Wie hat die Krise die Arbeit bei Ihnen selbst verändert? Auch bei uns wurden im ersten Lockdown die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Kurzarbeit geschickt- - sowohl beim PMO als auch bei unseren Inhouse Consultants. Zum einen weil alle Projekte der Inhouse Consultants offiziell gestoppt wurden, zum anderen weil wir unsere Tätigkeiten im PMO auf betriebsnotwendige Dinge reduziert haben. Haben sich die Aufgaben selbst verändert? Nein. Projekte haben sich verändert-- nicht die Aufgaben. Wir unterstützen mittlerweile nach wie vor Projekte-- die wenigen jetzt wichtigen. Wir leiten sie, beraten, wir schaffen Strukturen, wir erstatten Bericht über das Konzernprojektportfolio. Wie immer. Es gibt natürlich auch Veränderung durch die Krise. Neben den Kosten stehen Zeit- und Ressourcenmanagement mehr denn je im Fokus. Die konzernweite Kurzarbeit hat Konsequenzen in der Planung und Steuerung der Ressource „Mensch“ im Projekt. Dies hat natürlich Auswirkung auf den Projektfortschritt. Eine effiziente Einteilung und Auslastung aller Mitarbeiter erfordert aktuell viel Disziplin- - im Projekt wie in der Linie. Sie sagten, Sie haben Ihre Aufgaben als PMO auch reduziert. Welche beispielsweise? Der PMO-Betrieb läuft auf Sparflamme. Wir führen keine Schulungen durch und entwickeln Tools und Methoden momentan nicht weiter. Das ist aktuell wirklich nicht betriebsnotwendig. Auch die Transparenz über die Projektlandschaft, sonst eine wichtige Aufgabe des PMOs, hat bei wenigen laufenden Projekten momentan keine hohe Relevanz. Aber: Die aktuell laufenden Projekte fordern zunehmend unsere volle Unterstützung-- Tag um Tag mehr. Mittlerweile sind wir auch durch Zuarbeit in unser wichtigstes Zukunftsprogramm „Restart“ fast voll ausgelastet. In der Luftfahrtbranche geht man davon aus, dass Schwierigkeiten auch nach der unmittelbaren Pandemie bestehen bleiben. Bis 2025, so wird gesagt, habe die Luftfahrtbranche mit der Coronakrise und ihren Folgen zu kämpfen. Welche Rolle spielt dabei Ihr Zukunftsprogramm „Restart“? Mit „Restart“ wollen wir wieder an unsere Erfolgsstory der letzten Jahre anschließen. Dahinter steht am Ende ein Programm aus verschiedenen Maßnahmen, darunter auch Projekten mit dem Ziel der Effizienzsteigerung. Die einzelnen Bereiche definieren im Augenblick ihre Beiträge zu diesem ganzheitlichen Effizienzprogramm. Auch einige der im vergangenen Jahr gestoppten Projekte werden im Zuge dieser Überlegungen sicher aufgegriffen werden. Inwiefern nur einige? Unsere Welt hat sich verändert. Sie ist nicht mehr die von Beginn 2020. Die Voraussetzungen und Notwendigkeiten, unter denen wir vor der Krise Projekte gestartet haben, sind heute völlig anders. „Alte“ Projekte werden- - sofern sie weitergeführt werden- - in Zuschnitt oder Zielen sicher anpasst werden. „Neue“ Projekte, die der neuen Welt Rechnung tragen sollen, kommen hinzu. Bewertungen und Entscheidungen in diesem Effizienzportfolio werden dann ganzheitlich über „Restart“ getroffen. Da zeichnet sich ein etwas anderer Mechanismus ab als zu Beginn der Coronakrise. Damals haben Konzernbereiche Projekte gestoppt- - ganz aus ihrem starken Bereichsfokus heraus. Wie verändert sich dieser Mechanismus? Inwieweit darf man jetzt von Auf unbestimmte Zeit „eingemottet“: Fluggesellschaften stellten weite Teile ihrer Passagierflotte am Flughafen ab. Der Flugverkehr kam während der Pandemie vielfach zum Erliegen. Foto: Alex Tino Friedel / Flughafen München Project Office ist Enterprise-Software für beeindruckende Projekte wie den Gotthard-Basistunnel. Agiles Teamwork und hohe Prozesssicherheit verbinden sich dabei zu konsequent hybridem Projektmanagement. Mit agilen Elementen wie Task Boards, Issues und Activities machen Sie Ihre Teams schneller und produktiver. Bewährte Elemente wie die Planung der Ecktermine liefern zuverlässige Leitplanken. energizing great minds Erfolgreiche Projekte durch verlässliche Prozesse und bessere Teamarbeit Engineering success - the agile way CONTACT Elements LIVE Tour 2021 29.04. online 27.05. online https: / / bit.ly/ 3tcKZxz Jetzt anmelden! Reportage | Wie das Virus Projekte stoppte 8 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 32. Jahrgang · 01/ 2021 DOI 10.2357/ PM-2021-0002 einem ersten bereichsübergreifenden Portfoliomanagement sprechen-- im sehr weiten Sinne? Ja, so kann man dies sehen. In dieser konzernweiten Veränderung werden Projekte und Vorhaben im strategischen übergeordneten Zusammenhang behandelt. Man weiß natürlich, dass in den Grenzen einzelner Bereiche die Potenziale von Projekten nicht im vollen Umfang gesehen werden können- - und auch nicht die Abhängigkeiten und Vernetzungen zwischen diesen Projekten. Es ist aus den Bereichen heraus schwierig zu erkennen, ob konkurrierende Ziele die spätere Umsetzung erschweren und positive Effekte verhindern. Das Effizienzportfolio von „Restart“ ist aber im Moment nur ein Ausschnitt vom Ganzen- - aus strategischer Projektportfoliosicht betrachtet. Nur ein Ausschnitt? Wie darf ich dies verstehen? Neben vielen Bauprojekten haben wir noch unsere zahlreichen IT-Projekte. Unsere IT-Landschaft besteht historisch gewachsen aus über 600 einzelnen IT-Systemen. Die Systeme müssen laufend angepasst oder auf den neuesten Stand gebracht werden. Dies muss parallel passieren. Zusammenhänge und Abhängigkeiten zwischen diesen beiden Welten werden aktuell nur punktuell betrachtet und würden in Gänze eine erhebliche Komplexität erreichen. Trotzdem wäre diese Betrachtungsweise aus Sicht Portfoliomanagement ein Schritt in die „richtige“ Richtung. Eine Abschlussfrage: Die Coronakrise bildet eine Herausforderung für Projekte und Projektmanagement. Welche Tugenden beim Projektmanagement sind aus Ihrer Sicht in einer Krise wie der jetzigen hilfreich? Was brauchen wir? Für Projekte: Einheitliche Strukturen für Planung und Steuerung mit klaren (Projekt-) Prozessen und Rollen. Dies muss konzernweit funktionieren, allen vertraut sein und diszipliniert gelebt werden. Für Unternehmen: Gerade in einer Krise ist die Unternehmensstrategie essenziell. Wer dazu effiziente Planungs- und Steuerungsprozesse hat- - der kann Strategie schnell anpassen. Seine Organisation ist fähig, dies schnell umzusetzen, auch in Projekten. Erfolgreiche Projekte brauchen klare Ziele und strategische Ausrichtung, egal ob nach dem Wasserfall-Prinzip oder agil durchgeführt. In Summe von Menschen gelebte Kultur und Prozesse-- besonders in Krisenzeiten. Claudia Donig Claudia Donig ist seit mehr als 15 Jahren u. a. für das Projektmanagement am Flughafen München zuständig. Sie leitet das PMO des Unternehmens sowie das Inhouse Consulting, das sie für den Konzern aufgebaut hat. Die studierte Mathematikerin war zuvor am Flughafen München in verschiedenen Unternehmensbereichen tätig-- von IT bis Konzernentwicklung. Beginnend mit dem Umzug ins Erdinger Moos hat Claudia Donig in mehr als 30 Jahren die großen Entwicklungen des Five-Star Airports begleitet und miterlebt. Foto: AESTHETIKA München Anzeige Project Office ist Enterprise-Software für beeindruckende Projekte wie den Gotthard-Basistunnel. Agiles Teamwork und hohe Prozesssicherheit verbinden sich dabei zu konsequent hybridem Projektmanagement. Mit agilen Elementen wie Task Boards, Issues und Activities machen Sie Ihre Teams schneller und produktiver. Bewährte Elemente wie die Planung der Ecktermine liefern zuverlässige Leitplanken. energizing great minds Erfolgreiche Projekte durch verlässliche Prozesse und bessere Teamarbeit Engineering success - the agile way CONTACT Elements LIVE Tour 2021 29.04. online 27.05. online https: / / bit.ly/ 3tcKZxz Jetzt anmelden! Reportage | Wie das Virus Projekte stoppte