eJournals PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL 32/1

PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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2941-0886
UVK Verlag Tübingen
10.2357/PM-2021-0004
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2021
321 GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.

Ein Studentenprojekt im Gründerzentrum

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2021
Oliver Steeger
Projektmanagement hilft Hochschulabsolventen beim Start ins Berufsleben. Deshalb unterrichtet die Julius-Maximilians-Universität Würzburg professionelles Projektmanagement – und zwar in realen IT-Projekten zu Unternehmensgründungen. Im vergangenen Jahr sahen sich die Studententeams vor besonderen Herausforderungen: Wegen der Pandemie hatten sie ihre Lernprojekte komplett online abzuwickeln. Auch für Dr. Christian Andersen vom „Zentrum für Digitale Innovationen (ZDI) Mainfranken“ war die Remote-Projektarbeit zu Beginn wenig bekanntes Terrain. Er beteiligte sich als externer Auftraggeber an dem Vorhaben und begleitete das Team durch das Projekt. So ungewohnt die digitale Arbeitsweise im vergangenen Jahr war – heute sieht Dr. Christian Andersen auch Vorteile in ihr.
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Im Interview mit Dr. Christian Anderson vom Zentrum für Digitale Innovationen (ZDI) Mainfranken: Projektmanagement im Lockdown Ein Studentenprojekt im Gründerzentrum Oliver Steeger Projektmanagement hilft Hochschulabsolventen beim Start ins Berufsleben. Deshalb unterrichtet die Julius-Maximilians- Universität Würzburg professionelles Projektmanagement-- und zwar in realen IT-Projekten zu Unternehmensgründungen. Im vergangenen Jahr sahen sich die Studententeams vor besonderen Herausforderungen: Wegen der Pandemie hatten sie ihre Lernprojekte komplett online abzuwickeln. Auch für Dr. Christian Andersen vom „Zentrum für Digitale Innovationen (ZDI) Mainfranken“ war die Remote-Projektarbeit zu Beginn wenig bekanntes Terrain. Er beteiligte sich als externer Auftraggeber an dem Vorhaben und begleitete das Team durch das Projekt. So ungewohnt die digitale Arbeitsweise im vergangenen Jahr war-- heute sieht Dr. Christian Andersen auch Vorteile in ihr. Herr Dr. Andersen, normalerweise arbeiten Sie mit Gründern zusammen, also mit Menschen, die eine Geschäftsidee erfolgreich umsetzen wollen. Jahr für Jahr kommen aber auch Studententeams von der Universität Würzburg zu Ihnen. Diese Teams lernen in einer Lehrveranstaltung die Grundlagen des Projektmanagements-- und wenden das neue Wissen direkt in einem echten Gründungsprojekt an, das sie selbstständig entwickeln und durchführen. Wie nehmen Sie Studentenprojekte unter Ihre Fittiche? Christian Anderson: Die Studierenden sollen Projektmanagement anhand von realen Projekten lernen. Wenn sie keine eigenen Ideen haben, dann helfen wir im Gründerzentrum bei der Suche nach geeigneten Projekten. Beispielsweise vermitteln wir Studierendenteams an Menschen mit Gründungsideen. So können die Teams gemeinsam mit Gründern Prototypen entwickeln und die Geschäftsidee weiterentwickeln. Wir als Gründerzentrum unterstützen die Lehrveranstaltung zusätzlich durch einen Design-Thinking-Workshop. Mit den Teams untersuchen wir dabei die Kundenbedürfnisse und arbeiten heraus, wie der Nutzen der Projekte für Kunden aussehen kann. Ähnlich, wie wir dies auch bei anderen Gründern machen. Auch im Jahr 2020 haben Sie die Lehrveranstaltung der Universität Würzburg unterstützt- - unter anderem in der Rolle eines Projektauftraggebers. Doch das Studentenprojekt verlief wegen der Corona-Pandemie völlig anders als gedacht. Das Projekt wurde komplett online und remote abgewickelt. Während der Abwicklung konnte sich das Projektteam nicht persönlich treffen. Auch Sie haben in dieser Zeit die sechs Studentinnen und Studenten nur in Videokonferenzen kennengelernt. Eine typische Fern-Arbeitsbeziehung. Um was ging es bei diesem Projekt? Es ging um eine digitale Plattform für Bürgerbeteiligung. Diese „Consul“ genannte Plattform wurde vor einiger Zeit in Spanien entwickelt. Consul sollte nach den Protestwellen in Madrid und Barcelona mehr digitale Beteiligung und Mitbestimmung ermöglichen. Heute ist diese Plattform als Open- Source-Software frei verfügbar, und sie wird in über 30 Ländern erfolgreich verwendet. In unserem Projekt sollte diese Plattform nach Deutschland geholt werden. Wir wollten sie übersetzen, anpassen und dann möglichst in Würzburg einsetzen. Daraus ist das Projekt für Studierende geworden: Das Projektziel war ein Prototyp, den wir den Verantwortlichen im Rathaus zeigen konnten. Wie hat die Corona-Pandemie dieses Projekt verändert? Das Projekt begann im April, also zeitgleich mit dem ersten Lockdown. Wir wollten es mit einem Design-Thinking-Workshop starten. Uns wurde schnell klar, dass wir diesen Workshop online durchführen mussten. Ist dies möglich? Design Thinking lebt bekanntlich sehr von der Gruppendynamik… Das stimmt. Ein Design-Thinking-Workshop online war tatsächlich eine Herausforderung-- zumal unter den damaligen Bedingungen. Trotzdem hat der Design-Thinking-Workshop gut funktioniert. Auch, weil die Studierenden sehr schnell mit der digitalen Arbeitsweise zurechtkamen. Dieses Team hat dann auch danach remote gearbeitet? Die Studentinnen und Studenten kannten sich nicht. Es war ja ein interdisziplinäres Projekt, in dem Informatiker und Geisteswissenschaftler zusammenarbeiteten- - also junge Menschen aus verschiedenen Fachbereichen. Trotzdem haben sie meiner Einschätzung nach Teamspirit entwickelt. Sie haben selbst gemerkt, dass sie auf Videokonferenzen nicht ausschließlich über Planungen, Aufgabenpakete und Feedback sprechen sollten. Wie ist das Team mit dieser Arbeitssituation umgegangen? Die Mitglieder haben gelegentlich Kennenlern-Aktionen in ihre Videokonferenzen integriert. Jeder hat beispielsweise einen persönlichen Gegenstand gezeigt und dazu die Geschichte erzählt. Das war für mich bemerkenswert: Das Team hat sich trotz aller Restriktionen aktiv um eine gute Arbeitsbeziehung gekümmert- - und dies hat offenbar auch Früchte getragen. Das Team war zu Besprechungen und Präsentationen von Reportage Ein Studentenprojekt im Gründerzentrum DOI 10.2357/ PM-2021-0004 32. Jahrgang · 01/ 2021 20 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 32. Jahrgang · 01/ 2021 DOI 10.2357/ PM-2021-0004 Zwischenergebnissen ausgezeichnet vorbereitet- - was natürlich auch an dem gelernten Projektmanagement aus dem Projektmanagement-Seminar lag. Nach meiner Einschätzung werden die Studierenden dort ausgezeichnet an Projektmanagement herangeführt. Die Coronazeit hat viele Einschränkungen mit sich gebracht. Benötigte das Team deswegen zusätzliche Unterstützung von Ihnen als Auftraggeber? Kaum! Das Team hat sehr selbständig gearbeitet und sich nur dann bei mir gemeldet, wenn es etwa Fragen hatte, Ideen diskutieren wollte oder Informationen benötigte. Wir hatten regelmäßig Termine, an denen wir Fortschritte erörtert haben-- alles normal, nur eben online. Trotz der Restriktionen war ich als Auftraggeber immer über Online-Tools eingebunden, konnte Feedback geben und meine Vorstellungen von dem Projekt erläutern. Hinter der Kommunikation lag eine deutlich erkennbare Struktur. Beispielsweise hat mich das Team zu Anfang befragt, wie ich als Auftraggeber in das Projekt eingebunden werden will. Danach hatte ich feste Ansprechpartner. Das war gut organisiert. Also eine methodische Vorgehensweise-… Mit Sicherheit. Darin liegt aus meiner Sicht der Vorteil des Projektmanagement-Lernformats: Methoden werden wirklich eingeübt. Die Studentinnen und Studenten bringen dann praktische Methodenkenntnis für ihr späteres Berufsleben mit. Ich kenne eine Reihe von Unternehmen, die solche Kompetenz bei Absolventen sehr schätzen. Nochmals zum Thema Corona. Die Pandemie hat viele Projekte in Deutschland zur remote Arbeitsweise gezwungen. Können Sie in dieser Arbeitsweise auch Vorteile erkennen? Bei dem Projekt zur Plattform Consul hat die digitale Arbeitsweise Zeit gespart. Wege und Anreisen sind entfallen. Die gesparte Zeit kam dem Projekt zugute, sie wurde quasi reinvestiert. Zudem konnte sich das Team unkomplizierter abstimmen; Videokonferenzen ermöglichten spontane Treffen. Dadurch kann die Zusammenarbeit intensiver werden. Auch die digitalen Kollaborationstools, die man bei der remote Arbeitsweise vermehrt einsetzt, verbessern vieles. Die Systematik dieser Tools zwingt Teams, beispielsweise Aufgaben niederzuschreiben sowie mit Terminen und Zuständigkeiten zu versehen. Die Teammitglieder können jederzeit per App den Status abrufen. Das Projekt ist damit transparent, strukturiert und dokumentiert. Kaum jemand erwartet, dass wir in Projekten nach der Pandemie wieder ganz zur alten Arbeitsweise zurückkehren werden. Was wird aus Ihrer Sicht bleiben? Videokonferenzen werden uns mit einiger Sicherheit erhalten bleiben: Eben mal schnell mit Videobild sprechen statt telefonieren. Hinzu kommt die unglaubliche Zeitersparnis, über die wir gesprochen haben. Jedoch hat die remote Arbeitsweise aus meiner Sicht auch einen Nachteil. Nicht wenige, die nur noch im Homeoffice arbeiten, beklagen den Verlust des Teamspirits. Dem muss man vorbeugen. Nochmals zum Studentenprojekt. Eine Plattform für Bürgerbeteiligung zu entwickeln ist ein besonderes Ziel. Besonders junge Menschen motiviert es offenbar etwas zum Gemeinwesen beizutragen und etwas zu schaffen, von dem Menschen profitieren. Wie beeinflusst Ihrer Erfahrung nach die Gestaltung des Projektziels die Motivation in Studententeams? Ich denke, sinnvolle Ziele spielen eine große Rolle. Das, was das Team entwickelt hat, verschwindet nicht wieder nach Projektende und bestandener Prüfung. Die Teams schaffen etwas Bleibendes. Vor einiger Zeit hat ein Team einen „Bürger- Bot“ entwickelt, einen Chatbot für Kommunen. Das Team war hochmotiviert und hat mittlerweile mit dem Bürgerbot ein Unternehmen gegründet. Doch bei alledem sollte man eines nicht vergessen: Bei diesen Projekten handelt es sich um moderne Lernformen. Studierende wollen Projektmanagement lernen und an ECTS-Punkte fürs Studium kommen. Manche sehen solche Projekte als Mittel zum Zweck, und das kann ich durchaus verstehen. Sie leisten das, was gefordert ist-- nicht mehr, nicht weniger. Das Team, das sich 2020 mit der Consul Plattform befasst hat, war da anders? Projekte können bekanntlich im Laufe der Zeit wachsen. Es kommen zusätzliche Ziele und Aufgaben hinzu; daran bin auch ich als Auftraggeber nicht ganz unschuldig. Beispielsweise hat das Team internationale Kontakte geknüpft und geprüft, wie die Plattform anderenorts angepasst wurde. Außerdem hat es sein Projekt online auf einer Smart City Veranstaltung vorgestellt. Das war nicht Teil des Auftrags. Darüber hinaus gab es noch das ganze Thema Stakeholder-… Inwiefern Stakeholder? Der eigentliche Projektauftrag war ja die Entwicklung und Anpassung. Trotzdem hat das Team zusätzlich darüber nachgedacht, wie es diese Plattform beispielsweise dem Würzburger Stadtrat oder den Bürgern näherbringen kann. Was sind die Vorteile für die Kommune? Dies ging manchmal über die eigentlich geforderte Arbeit weit hinaus. Hat sich der Aufwand am Ende gelohnt? Ich denke, ja. Die Stadt hat schnell signalisiert, dass sie an der Plattform auch nach Projektende weiterarbeiten wollte. Aus dem Projekt sollte mehr entstehen als nur ein funktionsfähiger Prototyp, der nach Projektende in der Schublade verschwindet. Bei der Consul Plattform handelt sich ja um ein sehr wirksames und vielseitiges Tool. Was bedeutete dies konkret für Ihr Projekt? Nach Projektende haben wir die Plattform hier im Gründungszentrum für die Stadt übernommen. Unser Zentrum gehört zur Wirtschaftsförderung der Stadt. Die Kommune ist unser Träger. Die Software läuft auf unserem Server, und unser IT- Experte pflegt sie. Zudem konnten wir ein Mitglied des Teams als studentische Hilfskraft für die Weiterentwicklung gewinnen. Die Plattform ist im November erstmals veröffentlicht worden. Sie wird beispielsweise beim Lärm-Aktionsplan eingesetzt. In Ihrem Gründungszentrum haben Sie es ja hauptsächlich mit Gründern zu tun, also mit Menschen, die eine Businessidee haben und ein Start-up gründen wollen. Studententeams bilden bei Ihnen eher Reportage | Ein Studentenprojekt im Gründerzentrum 21 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 32. Jahrgang · 01/ 2021 DOI 10.2357/ PM-2021-0004 die Ausnahme. Wenn Sie die Gründerteams und die Studententeams vergleichen-- wo liegen die Unterschiede? Gründer brennen für ihre Idee. Sie glauben an das, was sie umsetzen wollen. Den Studierenden aus dem Praxisseminar geht es primär ums Lernen, Ausprobieren und Prüfungen bestehen. Doch ich habe vielfach beobachtet, dass Studierende häufig strukturierter an solche Projekte herangehen- - was vermutlich auch daran liegt, dass strukturiertes Projektmanagement der zentrale Inhalt der Lehrveranstaltung ist. Strukturierter an Projekte herangehen-- inwiefern? Zum Beispiel ist jeder im Team für eine bestimmte Zeit Koordinator oder Projektleiter. Jeder hat also mal den Hut auf und übernimmt diese Verantwortung. Zudem: Typische Projektmanagement-Aufgaben wie Risikoanalyse oder Stakeholdermanagement werden sehr sorgfältig bearbeitet. Bei den Studententeams werden alle Aspekte behandelt. Und die Gründer? Die starten nicht unbedingt immer so strukturiert. Die Struktur kommt später, wenn die Gründung voranschreitet und größer wird. Dann werden beispielsweise erste Scrum-Prozesse eingeführt. Zu diesem Zeitpunkt weiß man auch mehr über das Produkt und über die Ziele, die man erreichen will. Dann wird auch wirklich Projektmanagement eingesetzt. Die Gründer starten häufig mit dem Inhalt und lernen daran die Methodik. Das heißt, wer an der Hochschule die Methodik gelernt hat und später gründet-… …-der ist ganz klar im Vorteil. Er kann die Gründung von Beginn an mit Projektmanagement aufsetzen. Eine Frage zum Schluss: Was empfehlen Sie Unternehmen und anderen Organisationen, die erstmals Studentenprojekte beauftragen wollen? Behalten Sie im Hinterkopf, dass die Studierenden in erster Linie Projektmanagement in der Praxis lernen wollen. Das ist Zweck und Ziel dieser Lernprojekte. Nicht alle Teams können und wollen Aufgaben übernehmen, die über den Auftrag hinausgehen. Man sollte die Erwartungen nicht zu hoch hängen und davon ausgehen, dass man am Ende eines IT-Projekts ein perfektes Tool bekommt. Im Rahmen eines solchen Projekts kann meistens nur der Prototypenstatus erreicht werden. Auch sollte man im Kopf behalten, dass das Entwicklungsteam nach dem Projekt nicht mehr greifbar ist. Der Auftraggeber muss sich frühzeitig um die Übergabe und dann um die Pflege und Weiterentwicklung der Software kümmern. Dr. Christian Andersen Dr. Christian Andersen ist Netzwerkmanager am Gründerzentrum „ZDI Mainfranken“ in Würzburg, das 2017 aus einer Förderinitiative des Freistaats Bayern entstand und heute ein Baustein der Wirtschaftsförderung der Stadt Würzburg ist. Dr. Christian Andersen hat Biologie mit Schwerpunkt Biotechnologie studiert und war danach über zehn Jahre in der Wissenschaft tätig. Nach einem eigenen Gründungsversuch hat er sich für das Thema Unternehmensgründung entschieden und unterstützt seither die regionale Gründerszene in Mainfranken. Das Gründerzentrum „ZDI Mainfranken“ hat er mit Kollegen entwickelt. Dort vernetzt er heute verschiedene Partner, beispielsweise Start-ups und angehende Gründer mit Unternehmern, Beratern, anderen Gründern, potenziellen Kunden oder Geldgebern. Reportage | Ein Studentenprojekt im Gründerzentrum 22 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 32. Jahrgang · 01/ 2021 DOI 10.2357/ PM-2021-0004