PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
10.2357/PM-2021-0010
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GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.Moderation von Verhandlungen im internationalen Umfeld mit Hilfe der Harvard-Methode
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Patrick Zillmer
Die Managementagentur des Waffensystems Eurofighter wendete die Harvard-Methode zur Moderation der Verhandlungen über die Inhalte einer Kampfwertsteigerung an. Bestehende Konflikte der Partnernationen konnten damit versachlicht sowie deren Ursachen identifiziert werden, wodurch die Kompromissbereitschaft aller Parteien stieg. Die transparente und konsequente Umsetzung der Methode fokussierte die tatsächlichen Problemfelder und resultierte in einer effizienten Nutzung der Verhandlungszeiten.
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Moderation von Verhandlungen im internationalen Umfeld mit Hilfe der Harvard-Methode Patrick Zillmer Für eilige Leser | Die Managementagentur des Waffensystems Eurofighter wendete die Harvard-Methode zur Moderation der Verhandlungen über die Inhalte einer Kampfwertsteigerung an. Bestehende Konflikte der Partnernationen konnten damit versachlicht sowie deren Ursachen identifiziert werden, wodurch die Kompromissbereitschaft aller Parteien stieg. Die transparente und konsequente Umsetzung der Methode fokussierte die tatsächlichen Problemfelder und resultierte in einer effizienten Nutzung der Verhandlungszeiten. Schlagwörter | Verhandlung, Harvard-Konzept, international, Rüstung, Moderation, Interview Das Waffensystem Eurofighter wird seit 2003 von den vier Partnernationen Großbritannien, Deutschland, Italien und Spanien, sogenannte Kernnationen, operativ betrieben. Seitdem wurden über verschiedene Entwicklungsprogramme einzelne Fähigkeiten erweitert, neue Waffen integriert sowie die allgemeine Sicherheit und Zuverlässigkeit erhöht. Nach nun fast zwei Jahrzehnten der schrittweisen Verbesserungen ist das Wachstumspotenzial der Plattform nahezu erschöpft. Die ersten aerodynamischen Designs wurden als „Fighter-90“ bezeichnet und gehen bis in die 1970er-Jahre zurück. Die aktuelle Avionik-Infrastruktur stammt aus den 1990er-Jahren und auch sogenannte Grundsysteme, wie Elektrik, Kühlluftversorgung oder das Triebwerk, haben ihren Ursprung aus dieser Zeit und erfüllen die heutigen Anforderungen des Waffensystems nicht mehr in vollem Umfang [1]. 1. Projekt zur Kampfwertsteigerung Aus diesem Anlass wurde über die internationale Management-Agentur NETMA (NATO Eurofighter und Tornado Management Agency) ein Projekt zur Kampfwertsteigerung des Eurofighters initiiert. Die knapp zwei Jahre dauernde und in mehrere Phasen unterteilte Projektstudie befindet sich kurz vor dem Abschluss. Innerhalb dieser ersten Phase wurde zunächst die aktuelle Infrastruktur des gesamten Waffensystems analysiert und mit den operativen Anforderungen der kommenden zehn Jahre verglichen. Daraus resultierten zum einen funktionale Lücken des aktuellen Designs, zum anderen wurden Bereiche identifiziert, deren Wachstumspotenzial bereits erschöpft ist. In der nächsten Projektphase suchten die vier Partnerfirmen BAES, Airbus Deutschland, Leonardo und Airbus Spanien unter der Führung der Firma Eurofighter Jagdflugzeug GmbH nach technischen Lösungen, die innerhalb bestimmter Randbedingungen umsetzbar sind. Beispielsweise wurde ausgeschlossen, die Struktur des Waffensystems grundlegend zu ändern. Alle identifizierten technischen Lösungen mussten für die bestehende Flotte nachrüstbar sein. Darüber hinaus sollten einsatzbereite, aufgewertete Luftfahrzeuge innerhalb von zehn Jahren für alle beteiligten Luftwaffen verfügbar sein. Um die identifizierten Lösungen nach ihrem Mehrwert und Nutzen für die Anwender zu bewerten, wurden diese zu funktionalen Optionen gruppiert, und mit Hilfe des Boston-Matrix-Verfahrens [2] nach dem jeweiligen Entwicklungsaufwand und militärischem Nutzen ausgewertet. So konnten Vorzugslösungen transparent identifiziert und objektiv ausgewählt werden. Die einzelnen Optionen wurden zudem nach technischer Reife und potenziellen Entwicklungsrisiken bewertet [3], wodurch Heat-Maps erstellt werden konnten. Dieser Pool von Informationen war eine wesentliche Entscheidungsgrundlage für die Partnernationen, um im ersten Verhandlungsschritt drei mögliche, aber zunächst noch verschiedene Waffensysteme zusammenzustellen. Durch diesen Schritt konnten aus den Einzellösungen Waffensystemlösungen erstellt werden, die sowohl technische Abhän- Wissen Moderation von Verhandlungen im internationalen Umfeld DOI 10.2357/ PM-2021-0010 32. Jahrgang · 01/ 2021 PhotoCredits: Lucas Westphal - images.art.design. GmbH 44 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 32. Jahrgang · 01/ 2021 DOI 10.2357/ PM-2021-0010 gigkeiten als auch Synergieeffekte sowie potenzielle Entwicklungsprogramme samt Risiko visualisieren. Dieser erweiterte Pool an Informationen bildet die Entscheidungsgrundlage für den Inhalt des Kampfwertsteigerungsprogrammes. Die Zeitlichen Vorgaben, die Fülle der technischen und kommerziellen Informationen sowie die teilweise sehr unterschiedlichen Projektstakeholder-Interessen erfordert im weiteren Ablauf eine optimal vorbereitete und strukturierte Verhandlungsphase. 2. Harvard-Methode der Verhandlung Ziel der Verhandlungen ist ein Entwicklungspaket, welches die Erwartungen, Interessen, Möglichkeiten und militärischen Anforderungen aller Projektbeteiligten widerspiegelt. Diese Zielstellung entspricht damit der Win-Win-Perspektive aus der Methodik des Harvard-Konzepts, welches von Fischer und Ury [4] vorgestellt wurde. Es besteht im Kern aus 5 Schritten: 1. Eigene Interessen und Alternativen definieren 2. Probleme von Menschen trennen 3. Erkunden der Interessen der Verhandlungspartner 4. Lösungsoptionen entwickeln 5. Faire Kriterien und Verfahren anwenden Um dieses Verfahren in den Zeitplan der Studie einzupassen, wurde die Verhandlung in drei Schritte unterteilt. Schritt eins bestand im Wesentlichen aus der Sammlung von Informationen über technische Möglichkeiten und über die eigenen Anforderungen, oder Einsatzszenarien des Eurofighters. Die Vertreter der vier beteiligten Luftwaffen sollten hierzu gezielt ihre Beweggründe erörtern, welche zu bestimmten technischen Lösungen führen. In der Moderation der technischen Besprechungen wurden Ansätze von Verhandlungen in dieser Phase gezielt durch die NETMA unterbunden, um eine Erhärtung von Positionen zu vermeiden und stattdessen mehr Verständnis über die Hintergründe zu erzeugen. Als Ergebnis dieser ersten Phase sollte jede Nation für sich definiert haben, welche Interessen sie mit dem Waffensystem Eurofighter in Zukunft verfolgt und welche Form der Kampfwertsteigerung dazu passen würde. Dieses Vorgehen entspricht dem ersten Schritt des Harvard-Konzeptes, die Erstellung des „BATNA“- - Best Alternative To Negotiated Agreement. In der zweiten Phase fand der Austausch der jeweiligen Interessenlage zwischen den Verhandlungspartnern statt. Im Ergebnis dieser Phase waren die Beteiligten in der Lage, die gegenseitigen Beweggründe hinter den Positionen verstehen zu können. Durch diese Transparenz fand gleichzeitig eine Objektivierung der Verhandlung statt, da die Interessenlagen logisch und argumentativ begründet und somit von individuellen Personen entkoppelt wurden. Im angewandten Ablaufmodell der Verhandlung wurden so die Schritte 2 und 3 zu einer Phase kombiniert. In der dritten Phase wurden die Parteien nun zu tatsächlichen Verhandlungen aufgerufen. Die NETMA und die Firma Eurofighter Jagdflugzeuge GmbH stellten kontinuierlich Lösungsszenarien vor, die die Beweggründe der Partner bestmöglich abbilden. Aufgrund des bestehenden Eurofighterprogramms existieren auch geregelte Meetings und Umgangsformen zwischen Nationen und Industrien, sodass die Harvard-Schritte 4 und 5 ebenfalls kombiniert werden konnten. Die folgende Darstellung (Abbildung 1) gibt einen schematischen Überblick: Im nächsten Kapitel werden zunächst besondere Herausforderungen im multinationalen Umfeld dargestellt. Im Anschluss wird in den Kapiteln vier, fünf und sechs die Umsetzung der drei Schritte im Projekt der Kampfwertsteigerung des Eurofighters beschrieben, wobei besonders die Rolle der NETMA als Moderator und Vermittler im Vordergrund steht. Im abschließenden Kapitel sieben wird ein Fazit zur Methode zusammengefasst. 3. Herausforderungen im internationalen Umfeld Kritische Themen und Dissonanzen zwischen Verhandlungspartnern werden am besten im direkten Gespräch erörtert. Bedingt durch die COVID-19-Pandemie war diese Möglichkeit allerdings stark eingeschränkt. Jedes Land beschloss eigene Maßnahmen und Bestimmungen zur Eindämmung der Pandemie durch Kontakt- und Reisebeschränkungen, wodurch nur selten alle Parteien an einen Ort reisen konnten. Alle Verhandlungen wurden daher per Videokonferenz abgehalten, um den wichtigen Blickkontakt wahren zu können. E-Mail-Abstimmungen und Telefonkonferenzen wurden dagegen gänzlich vermieden. Insgesamt waren die gegebenen Möglichkeiten der Kommunikation für diese Art der Gespräche eine neue und zusätzliche Herausforderung. Die Pandemie hatte zudem unterschiedliche Auswirkungen auf die Bruttoinlandsprodukte und somit auf die Budgetsituationen der Verhandlungspartner. Je nach Ausgangslage vor den Lockdowns verschärften sich mitunter finanzielle Situationen, wodurch die Planungssicherheit für zukünftige Budgets nicht mehr gegeben war. Großbritannien befand sich in der Ungewissheit des Brexit-Szenarios und der damit verbundenen ungewissen wirtschaftlichen Folgen. Alles in allem musste die Verhandlung in einer wirtschaftlich turbulenten Phase geführt wer- Abbildung 1: angewandte Schritte der Verhandlung-- eigene Darstellung Wissen | Moderation von Verhandlungen im internationalen Umfeld 45 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 32. Jahrgang · 01/ 2021 DOI 10.2357/ PM-2021-0010 den. Es wurde Lösungsszenarien entworfen, welche einen langsameren Beginn der Entwicklungsphase vorsahen, um auch mit einem geringeren finanziellen Aufwand langfristige Ziele einzuhalten. Ein besonderes Augenmerk lag auf den Arbeitsanteilen der beteiligten Firmen und auf Kosten- Nutzen-Rechnungen einzelner technischer Lösungen. Es eröffnete sich aber auch eine neue Chance der Einigung, da ein Entwicklungsvertrag dieser Größenordnung auch mehr Planungssicherheit in die stark von der Krise betroffene Luftfahrtindustrie bringt [5]. Eine Besonderheit des Projektes Eurofighter sind die verschiedenen Exportkunden einzelner Nationen. Länder wie Österreich, das Königreich Saudi-Arabien oder Kuwait betreiben den Eurofighter als Kunde einer Kernnation. Die Anforderungen dieser Nationen werden nicht direkt an die NETMA kommuniziert, sondern sind Bestandteil der Fähigkeitsforderungen der exportierenden Kernnation, wodurch es umso wichtiger ist, die Beweggründe bestimmter technischer Positionen zu verstehen. Neben diesen Einflüssen auf die Verhandlungen gilt es auch im Kulturraum Europa, bestehende nationale Feinheiten zu berücksichtigen. So ist die Relation und Kommunikation zwischen militärischen Hierarchieebenen nicht in jedem Land gleich, sodass die NETMA hier oft auch als Vermittler zwischen Ebenen auftrat, damit technische Verhandlungen nicht entkoppelt von strategischen Entscheidungsvorgängen laufen. In der NETMA arbeiten Vertreter der vier Kernnationen, wodurch kulturelle Schwierigkeiten früh erkannt und auch in den jeweiligen Landessprachen auf adäquaten Ebenen erörtert werden können. Der Punkt der Sprache ist besonders mit Blick auf das Kulturmodell nach Schein [6] relevant, da somit die kulturelle Nähe auf den Ebenen der gemeinsamen Werte und auch der grundlegenden Denk- und Verhaltensmuster betont wird, was eine multinationale Einigung begünstigt. Aus diesem Punkt leiten sich auch nationale Dialoge zwischen den Kernnationen und ihrer jeweiligen Luftfahrtindustrie ab. Diese können und sollten zwar nicht unterbunden werden, bringen aber zusätzliche Komplexität in die Verhandlung. Durch zusätzliche Stakeholder in einer multiplen und komplexen Interessenlage lassen sich verdeckte Verhandlungen nur schwer eindämmen. Es wurde daher versucht, so viel Transparenz wie möglich zu schaffen, um aktuelle Sachstände und neue Informationen zwischen den Verhandlungspartnern abzugleichen. 4. Moderation der Phase 1 Die NETMA nahm während der ersten Phase des Harvard-Konzepts eine leitende Funktion ein, um die Verhandlungspartner auf für eine Einigung wichtige Aspekte und strategische Fragestellungen zu fokussieren. Um viele Möglichkeiten der potenziellen Einigung zu schaffen, wurden die Dimensionen des Verhandlungsraums bewusst erweitert. Die Devise war: Je mehr Einigkeit im größeren Umfeld in programmatischer und politischer Hinsicht besteht, desto wahrscheinlicher wird auch die Einigung über technische Inhalte. So unterschied die NETMA zunächst bewusst zwischen der technischen und der strategischen Dimension und identifizierte die entsprechenden Stakeholder, die gleichermaßen eingebunden werden mussten. Die Standpunkte und Motive aller Stakeholder mussten als Eingangsgröße für die weiteren Verhandlungen vergleichbar, transparent und detailliert sein. Um möglichst viele und insbesondere offene Antworten zu erhalten, wurde in dieser Phase ein hohes Maß an Diskretion gewahrt. Die NETMA führte geleitete Experteninterviews mit einem halboffenen Fragenkatalog [7] mit jeder Nation einzeln durch. Die technische Dimension wurde in die Aspekte Cockpit, Avionik, Wartung, Selbstverteidigung, Grundsysteme und Kommunikation untergliedert, um eine narrative Darstellung des kampfwertgesteigerten Luftfahrzeuges zu ermöglichen. Hinzu kam eine Liste der technischen Optionen mit über 500 Einträgen, aus der die konkreten Inhalte des Entwicklungsprogrammes gewählt werden sollten. Die technischen Anforderungen wurden bewusst gleichzeitig generisch und konkret abgefragt. Wurden unterschiedliche technische Optionen mit sich ähnelnden Narrativen gewählt, konnte im Rahmen der Verhandlungen schneller eine Lösung gefunden Abbildung 2: Mögliche Analyse der Interessensschwerpunkte- - eigene Darstellung Wissen | Moderation von Verhandlungen im internationalen Umfeld 46 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 32. Jahrgang · 01/ 2021 DOI 10.2357/ PM-2021-0010 werden. Liegen die Narrative in einem Bereich weit auseinander, musste entsprechend mehr Zeit eingeplant werden. Die strategische Dimension wurde in insgesamt acht projektrelevante Aspekte aufgeteilt und durch Fragestellungen spezifiziert, beispielsweise: „Wie wichtig sind Ihnen niedrige Gesamtkosten des Projektes? “ oder „Wie wichtig ist Ihnen eine innovative technologische Weiterentwicklung der Plattform? “ Ein neunter Aspekt wurde bewusst offengelassen, um jedem Verhandlungspartner die Möglichkeit zu geben, ein gezieltes Thema einzubringen. Dieser Punkt half besonders bei der Identifikation möglicher Konfliktpunkte. Die Antworten auf alle Fragen wurden mittels der GROW [8] Methode erfasst. Dabei wurde zunächst das Ziel (Goal) der jeweiligen Partei erfragt, anschließend die subjektiv wahrgenommene Realität (Reality) sowie Schwierigkeiten und Hindernisse (Obstacle), die zwischen Ziel und Realität stehen. Abschließend galt es, das für die Zielerreichung subjektiv richtige weitere Vorgehen zu identifizieren (Way ahead). Durch diese Methode konnten die subjektiven Ziele aller Stakeholder in Relation zu ihrer jeweils wahrgenommenen Wirklichkeit gesetzt und objektiv miteinander verglichen werden. Diese Methode trug maßgeblich dazu bei, Probleme von Personen zu trennen, wie es im Harvard-Konzept vorgesehen ist. Der nächste Beitrag zu einer objektiven Bewertung ist die Gewichtung der jeweiligen Aspekte aus Sicht der Nationen. Dieser Schritt war notwendig, um die Prioritäten zu verstehen und die Verhandlung gezielt auf die wichtigsten Aspekte lenken zu können. Jede Nation hatte ein festes Budget an Punkten, die sie auf die insgesamt neun Aspekte verteilen konnten. Um bei den vorgenannten Beispielfragen zu bleiben, musste nun die Frage beantwortet werden: „Wie wichtig sind mir niedrige Gesamtkosten gegenüber technologischem Fortschritt? “ Die gewichteten Aspekte jeder Nation wurden dann in Form von Radar Plots gegenübergestellt, wodurch Gemeinsamkeiten schnell und transparent darstellbar waren. Abbildung 2 zeigt das mögliche Ergebnis dieser Analyse. Aus der Darstellung der überlagerten Gewichtungen können die Schwerpunkte für die Verhandlungsphase abgeleitet werden, zu diesen wurden nun auch detailliertere Analysen vom Vertragspartner gefordert. Während der Interviews wurden sowohl die Antworten zu den gezielten Fragen als auch die Gewichtung der Aspekte erfasst. Hier war es wichtig, dass stets ein muttersprachlicher Vertreter auf einer zum Interviewten passenden Hierarchieebene mit im Raum ist, was nicht nur bei sprachlichen Schwierigkeiten half, sondern auch Hintergründe in die Gespräche einbrachte, die sonst verloren gegangen wären. Darüber hinaus konnte damit das Interview in den jeweiligen Herkunftsnationen entsprechend befördert werden, sodass auch die gewünschten Stakeholder interviewt werden konnten. Diese Besonderheit ist im internationalen Umfeld relevant, da Stakeholder höherer Hierarchieebenen zu diplomatischen Äußerungen neigen, die für Nicht-Muttersprachler schwierig zu interpretieren sind. Wesentliche Aspekte der jeweiligen Positionen konnten mit diesem Vorgehen entsprechend erschlossen werden. Die Leitung des Interviews erfolgte stets durch den Projektmanager, allein um die Vergleichbarkeit der Interviewsituationen und Antworten sicherzustellen. Bei einem größeren Umfang an Interviews empfiehlt es sich im Hinblick auf ein einheitliches Vorgehen, mehrere Interviewer zu trainieren. Im beschriebenen Projekt wurden insgesamt acht Interviews durchgeführt. Wichtig ist, dass alle Interviews äquivalent sind, um allen Parteien die gleichen Informationen zu geben und die gegebenen Antworten auf den gleichen Annahmen und Voraussetzungen aufbauen. 5. Moderation der Phase 2 Maßgeblich in Phase 2 war der regelmäßige Austausch zwischen den Parteien und das Bereitstellen objektiver Informationen, die fundierte Entscheidungen ermöglichen. Alle Interviews wurden qualitativ ausgewertet und die Kernaussagen gegenübergestellt. So ergaben sich neue Themenschwerpunkte, die neue Stakeholder ins Projekt brachten. Es wurde sichergestellt, dass alle Themen, die zu Dissonanzen zwischen den Verhandlungspartnern führen können, auf Besprechungen mit adäquaten Teilnehmerkreisen objektiv Wissen | Moderation von Verhandlungen im internationalen Umfeld 47 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 32. Jahrgang · 01/ 2021 DOI 10.2357/ PM-2021-0010 diskutiert wurden. Auf diese Art konnte die Richtlinie des Harvard-Konzeptes, zwischen Menschen und Problemen zu trennen, kontinuierlich umgesetzt werden. Ein Beispiel einer identifizierten Divergenz war die Intention zweier Nationen, weitere Eurofighter Kampfflugzeuge zu beschaffen, um somit eine deutlich spätere Außerdienststellung anzustreben als die anderen Partner. Dadurch ergaben sich unterschiedliche Ansprüche an das Niveau der Kampfwertsteigerung, was in den Lösungsvorschlägen der nächsten Verhandlungsphase zu berücksichtigen war. 6. Moderation der Phase 3 In der letzten Phase des angewandten Harvard-Konzeptes moderierte das Projektmanagement-Team der NETMA die Verhandlungen. Eine Herausforderung bestand darin, die Durchführung der Verhandlungen selbst bei den bereits involvierten und gut informierten Stakeholdern zu belassen. Der aus dieser Studie resultierende Entwicklungsvertrag hätte je nach gewählter technischer Lösung ein finanzielles Volumen von zwei bis vier Milliarden Euro, wodurch ein enormes Interesse am Fortschritt der Verhandlungen bis in die ministeriellen Ebenen der Nationen bestand. Es wurden daher alle Hierarchieebenen der NETMA eingebunden, damit eine Win-Win-Lösung über die technischen Inhalte auch von den dafür eingesetzten Unterhändlern ausgearbeitet werden konnte. Um Vorwegnahmen von Entscheidungen oder Einflussnahme auf die Verhandlung zu verhindern, wurden die höheren Entscheidungsebenen in kurzen Zeitabständen über den Fortschritt informiert. Durch die umfangreichen Interviews der ersten Phase konnte der mögliche Verhandlungsspielraum der Parteien gut antizipiert werden. NETMA war es dadurch möglich, mehrere Vorschläge technischer Szenarien zu unterbreiten, welche auf die Interessen der einzelnen Parteien abgestimmt waren. Die ersten Sitzungen wurden dazu genutzt, ein auf alle Parteien zugeschnittenes bzw. passendes Szenario auszuwählen, um anschließend Nuancen anzupassen. Der Umgangston zwischen den Partnernationen war zu allen Zeiten fair und offen, sodass eine Eskalation des Konfliktes, hin zu einer Win- Lose-Situation, verhindert werden konnte. Die Prinzipien der Verhandlung nach dem Harvard-Konzept wurden durch die NETMA immer wieder präsentiert und hervorgehoben. Die Unterhändler wurden kontinuierlich dazu angehalten, ihre Motive und Ziele darzulegen, anstelle ihrer Positionen, wodurch die Verhandlungsphase auf einem objektiven und konstruktiven Niveau gehalten wurde. 7. Fazit zur angewandten Methode Durch die konsequente Anwendung des Harvard-Konzeptes in der Moderation der Verhandlung zum technischen Inhalt der Kampfwertsteigerung des Waffensystems Eurofighter konnten bestehende Interessenkonflikte objektiviert und tiefgründig analysiert werden. Die Erwartungshaltungen der beteiligten Nationen konnten durch intensive Interviews transparent herausgearbeitet werden. Die beteiligten Parteien wurden motiviert, die Beweggründe der Partner zu verstehen und individuelle Argumente entsprechend zu relativieren. Durch dieses strukturierte Vorgehen konnte eine Verhärtung des Konfliktes vermieden werden. Bestehende Differenzen zwischen den Partnernationen im Hinblick auf das Einsatzspektrum des Waffensystems wurden frühzeitig identifiziert und konnten aktiv in Lösungsszenarien eingearbeitet werden. Bedingt durch die COVID-19-Pandemie kam es zu erheblichen Verzögerungen, sodass die Verhandlungen zum Zeitpunkt dieser Veröffentlichung noch nicht vollständig abgeschlossen waren. Literatur [1] World Magazine, Eurofighter GmbH, 09 / 2019. [2] Schawel, Christian/ Billing, Fabian: Top 100 Management Tools, Gabler Verlag, Wiesbaden, 2012. [3] U. S. Government Accountability Office: Technology Readiness Assessment Guide. GAO, Washington, 2020. [4] Fischer, Roger/ Ury, William: Getting to Yes. Negotiating Agreement Without Giving in. Houghton Mifflin & Co, Boston (US), 1981. [5] https: / / www.handelsblatt.com/ unternehmen / handelkonsumgueter / airlines-luftfahrt-rechnet-wegen-coronamit-jahrelanger-krise, Stand: 07. 11. 2020. [6] Schein, Edgar. H./ Schein, Peter: Organisationskultur und Leadership. (5. Auflage) Verlag Franz Vahlen, München, 2018. [7] A. Bogner/ B. Littig/ W. Menz: Experteninterviews. Theorien, Methoden und Anwendungsfelder, VS Verlag, Wiesbaden, 2009. [8] Graham, Alexander: Behavioral coaching- - the GROW model. In: Passmore, Jonathan: Excellence in coaching. The industry guide. Kogan Page Limited, London, 2010, 2. Auflage, S. 83-93. Eingangsabbildung: © Lucas Westphal-images.art.design. GmbH Patrick Zillmer Patrick Zillmer sammelte Erfahrungen mit der militärischen Luftfahrt als technischer Offizier bei der Luftwaffe und arbeitet nun bei der NATO als Manager eines Projektes zur strategischen Kampfwertsteigerung des Waffensystems Eurofighter. eMail: patrick.zillmer@netma.nato.int Wissen | Moderation von Verhandlungen im internationalen Umfeld 48 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 32. Jahrgang · 01/ 2021 DOI 10.2357/ PM-2021-0010