PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
10.24053/PM-2021-0022
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GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.Vom Leben lernen
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Oliver Steeger
Bienenschwärme, Wolfsrudel, Ökosysteme – für innovative Organisationsmodelle steht die Natur immer wieder Pate. Es ist verlockend, in der Biologie Anleihen zu machen für die Gestaltung von Organisationen. Die Natur meistert mit Bravour, womit Organisationsentwickler heute kämpfen: Organisationen agil an ein dynamisches Umfeld anpassen, wachsende Komplexität meistern, vernetzt denken und laufend mit klugen Lösungen Wettbewerbsvorteile schaffen. Ein neues Modell für Organisationen nimmt die Zelle zum Vorbild. Deren hocheffiziente Abläufe sind Grundlage allen
Lebens. Reibungslos und mit hohem Tempo funktionieren die zellbiologischen Abläufe. Eine Zelle verfügt über nahezu perfekte Bedingungen für jeden ihrer Prozesse. Zudem verbessert sie ständig die Umgebung, in denen biochemische Reaktionen ablaufen. Erstaunliche Prozessschleifen greifen ineinander über, die sich selbst regulieren und perfektionieren. Diese Arbeitsweise ist für Systemtheoretiker und Berater wie Moritz Hornung ein perfektes Vorbild. Können wir von den
Abläufen einer Zelle auch für Projektorganisationen lernen? „Und ob!“ sagt er. Als erfahrener Projektmanager hat er gemeinsam mit Dr. Clemens Dachs die Organisationsprinzipien von Zellen und Organismen auf Unternehmen übertragen.
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Editorial | Agiles Projektmanagement 2 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 32. Jahrgang · 02/ 2021 DOI 10.24053/ PM-2021-0021 Agiles Projektmanagement Liebe Leserinnen und Leser, Agilität ist in aller Munde. Manchen wird es schon zu viel damit. Scheller bringt dies provokativ auf den Punkt: „Kommt bald die agile Imbissbude? “ [1] Alles muss agil sein: jeder Einzelne von uns, Projekte sowieso, sogar ganze Unternehmen. Ist Agilität eine Modeerscheinung- - oder steckt mehr dahinter? Dass Agilität immer weiter Fahrt im Projektmanagement aufnimmt, zeigt der Beitrag von Georg Disterer und Andreas Daum . Aber- - besteht tatsächlich Bedarf, agiler zu werden? Es gibt heute unzählige Definitionen des Agilitätsbegriffs. Sie beziehen sich jedoch auf wenige gemeinsame Grundfähigkeiten. Demnach bedeutet Agilität: • schnelle Reaktion auf Veränderungen • schnelle Wandlungsfähigkeit • Beweglichkeit • situationsangepasstes Handeln • dauerhafte Wandlungsbereitschaft Sind Unternehmen in wenig dynamischen und gut überschaubaren Umwelt- und Wettbewerbsbedingungen unterwegs, brauchen sie diese agilen Fähigkeiten nicht. Im sicheren Umfeld können Unternehmen mit dem klassischen Planungsansatz hoch effizient arbeiten. Aber: Werden die Umwelt- und Wettbewerbsbedingungen komplex und nicht mehr überschaubar- - dann hilft es nur noch Experimente zu machen. Sich voranzutasten. In kleinen Schritten vorzugehen mit häufigen Feedback-Zyklen und schnellem, situationsangepasstem Handeln. Dann werden lang vorausschauende Planungen obsolet oder zumindest ökonomisch fragwürdig. Die Umwelt- und Wettbewerbsbedingungen sind mittlerweile in fast allen Branchen komplex geworden. Vielfach ist Agilität somit tatsächlich sinnvoll. Die aktuelle Pandemie macht die Zukunft zusätzlich schwer überschaubar. Wir wollen uns deshalb in diesem Heft dem Phänomen „Agilität“ auf verschiedenen Ebenen nähern. Wir laden Sie, liebe Leserin, lieber Leser, zu einem „Streifzug“ durch unterschiedliche Facetten von Agilität ein. Wir hoffen, dass auf diesem Streifzug das Phänomen Agilität besser verständlich wird. Wir können lernen, welche Schritte Unternehmen, Projekte und jeder Einzelne machen müssen, um tatsächlich agil(er) zu werden. Wir starten diesen Streifzug mit der Betrachtung von Unternehmen. Wie könnte ein Unternehmensmodell aussehen, das systematisch auf agile Elemente setzt? Oliver Steeger geht dieser Frage in einem Interview mit Moritz Hornung zum Thema „Enterprise Bionics® ein vom Leben inspiriertes Betriebssystem für Projektorganisationen“ auf den Grund. Moritz Hornung stellt diese Unternehmenskonzeption zudem in einem eigenen Kurzbeitrag nochmals zusammenfassend vor. Im Gespräch mit dem Wirtschaftspsychologen Rüdiger Reinhardt fragt Oliver Steeger, weshalb es MitarbeiterInnen so schwerfällt, sich an neuen agilen Arbeitsweisen auszurichten. Wie können Führungskräfte aktiv mithelfen, einen Wandel hin zu agilen Arbeitsweisen zu unterstützen? Auch in dem Beitrag von Elisa Gertler, Kailey Fox und Yvonne Schoper stehen die MitarbeiterInnen im Mittelpunkt. Die Autorinnen untersuchen die Frage, was eher zu einer erfolgreichen agilen Projektarbeit beiträgt- - die Kultur oder die Persönlichkeitsmerkmale von MitarbeiterInnen? Christoph Richter zeigt in seinem Beitrag anhand der Scrum-Methodik, welches grundlegende Mindset eigentlich hinter agiler Methodik steckt. Christoph Ochs und Konrad Spang beschäftigen sich in ihrem Beitrag mit der Frage, ob im agilen Projektmanagement eine Projektleiterrolle überhaupt noch sinnvoll ist. Die Frage nach agiler Führung greifen Stefanie Meindl, Julia Pfähler und Moritz Bissel in ihrem Beitrag auf. Wie muss sich die traditionelle Managerrolle hin zu einer agilen Leadershiprolle entwickeln? Tobias Kreutter und Klaus Abstein erläutern, wie wichtig eine echte Fehler- und Lernkultur für erfolgreiche Projekte ist, und wie diese ganz praktisch umgesetzt werden kann. Über die Beiträge zu unserem Schwerpunkt hinaus lesen Sie im Beitrag von Petros Ilief und Peter Preuss wie Smart Speaker dazu genutzt werden können, um das Projektmanagementoffice bei der Arbeit zu entlasten. Im Beitrag von Daniel Ghadiri und Eberhard Schlücker erhalten Sie einen Einblick in das dynamische Risikomanagement bei F&E-Projekten. Agilität ist deutlich mehr als eine Mode. Diesen Punkt sollte die Lektüre dieses Heftes deutlich machen. In komplexen Umfeldern bringt Agilität wesentliche Vorteile in der Projektarbeit, aber auch über diese hinaus. Aber: Agilität ist nicht „durch Umlegen eines Schalters“ zu erreichen. Vielmehr braucht es ein entsprechendes Mindset. Dieses Mindset muss auf der Unternehmensebene, auf der Ebene der Projekte, aber auch bei den einzelnen MitarbeiterInnen entwickelt werden. Es ist die Voraussetzung für einen echten Transformationsprozess. Das hört sich nach echter Anstrengung an! Indes, diese Mühe könnte sich in einer komplexen Welt wirklich lohnen! Ihr Steffen Scheurer [1] Scheller, T. (2017): Auf dem Weg zur agilen Organisation. München Editorial 00_PM_aktuell_02_2021_SL2b.indb 2 00_PM_aktuell_02_2021_SL2b.indb 2 19.04.2021 10: 53: 49 19.04.2021 10: 53: 49 Persönlich weiterentwickeln und beruflich weiterkommen mit unseren SHOTs und Expert*innen-Sparrings! Wir bieten Ihnen mit unseren 90-minütigen SHOTS (SHort Online Trainings) eine Learning-on-Demand Lösung mit der Sie schnell und flexibel Ihr Wissen auffrischen und Kompetenzen ausbauen. Sie stehen beruflich vor schwierigen Aufgaben und brauchen schnell einen Expert*innenrat? Auch hier helfen wir Ihnen weiter. 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Jahrgang · 02/ 2021 DOI 10.24053/ PM-2021-0022 Im Interview mit Moritz Hornung: Wie biochemische Zellprozesse die Projektarbeit inspirieren Vom Leben lernen Oliver Steeger Bienenschwärme, Wolfsrudel, Ökosysteme- - für innovative Organisationsmodelle steht die Natur immer wieder Pate. Es ist verlockend, in der Biologie Anleihen zu machen für die Gestaltung von Organisationen. Die Natur meistert mit Bravour, womit Organisationsentwickler heute kämpfen: Organisationen agil an ein dynamisches Umfeld anpassen, wachsende Komplexität meistern, vernetzt denken und laufend mit klugen Lösungen Wettbewerbsvorteile schaffen. Ein neues Modell für Organisationen nimmt die Zelle zum Vorbild. Deren hocheffiziente Abläufe sind Grundlage allen Lebens. Reibungslos und mit hohem Tempo funktionieren die zellbiologischen Abläufe. Eine Zelle verfügt über nahezu perfekte Bedingungen für jeden ihrer Prozesse. Zudem verbessert sie ständig die Umgebung, in denen biochemische Reaktionen ablaufen. Erstaunliche Prozessschleifen greifen ineinander über, die sich selbst regulieren und perfektionieren. Diese Arbeitsweise ist für Systemtheoretiker und Berater wie Moritz Hornung ein perfektes Vorbild. Können wir von den Abläufen einer Zelle auch für Projektorganisationen lernen? „Und ob! “ sagt er. Als erfahrener Projektmanager hat er gemeinsam mit Dr. Clemens Dachs die Organisationsprinzipien von Zellen und Organismen auf Unternehmen übertragen. Herr Hornung, von der Natur zu lernen- - das ist nicht ganz neu für Management und Organisationsentwicklung. Im vergangenen Jahrhundert war von Kybernetik die Rede, heute spricht man gerne davon, Schwarmintelligenz zu nutzen. Dagegen haben Sie etwas Unscheinbares zum Vorbild für Organisationen genommen-- nämlich die mikroskopisch kleine Zelle. Von der Zelle zu lernen, hilft Organisationen zu verbessern, sagen Sie. Was können wir im Projektgeschäft ausgerechnet von Zellen lernen? Moritz Hornung: Unternehmen stehen heute im harten Wettbewerb. Das kenne ich beispielsweise noch vom Anlagenbau. Das Projektgeschäft unterliegt hohem Druck von Kosten und Terminen. Die Margen werden kleiner; Kundenwünsche und Märkte wandeln sich schnell. In Unternehmen kommt es bei Projekten häufig zu Kriseninterventionen und Feuerwehraktionen. In vielen Projektorganisationen herrscht der Eindruck, dass man den Dingen nur noch hinterherläuft. Also nur reagiert, statt effizient zu handeln. Dies bringt viele Organisationen aus der Balance-- und viele Projektteams auch. Was hat dies mit biologischen Zellen zu tun? Zellen gelingt es, starkem Anpassungsdruck standzuhalten. Sie erbringen ständig biochemische Höchstleistungen und passen sich Veränderungen in ihrer Umwelt schnell an. Vor allem: Sie arbeiten laufend an ihrer Effizienz. Sie schaffen optimale Bedingungen für die Arbeit, die sie tun müssen-- also biochemische Prozesse abzuwickeln. Mit Verlaub- - ein Projektteam ist doch keine Zelle! Kann man das wirklich miteinander vergleichen? Ich denke, wir können viel von der Arbeitsweise einer Zelle lernen. Ein Beispiel: Bei Stress bringen sich Zellen schnell wieder in eine Balance, in der sie optimal arbeiten können. Im ständigen Krisenmodus könnten weder eine einzelne Zelle noch ein Organismus überleben. Es gibt Mechanismen, mit deren Hilfe das Leben immer wieder in seine Balance zurückfindet. Das ist ein Punkt unter vielen, die mich verblüffen. Weshalb verblüffen? Leben ist in unserem Kosmos eigentlich sehr unwahrscheinlich. Betrachten wir Leben einmal als Struktur: Diese Struktur 00_PM_aktuell_02_2021_SL2b.indb 4 00_PM_aktuell_02_2021_SL2b.indb 4 19.04.2021 10: 53: 52 19.04.2021 10: 53: 52 Reportage | Vom Leben lernen 5 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 32. Jahrgang · 02/ 2021 DOI 10.24053/ PM-2021-0022 erhält sich selbst-- gegen widrige Umstände. Generell haben Strukturen in unserem Universum wenig Bestand. Die Dinge zerfallen unweigerlich mit der Zeit. Das hat man mit dem Prinzip der Entropie beschrieben. Dennoch gelingt es der Zelle, sich gegen dieses Prinzip erfolgreich zur Wehr zu setzen-- und zwar auf unserem Planeten schon seit vier Milliarden Jahren. Zellen erhalten sich. Sie verbessern sich; sie erneuern sich und passen sich immer wieder der Umwelt an. Der Wunschtraum für jede Organisation-… Natürlich. Jede Organisation will bestehen. Da ähnelt sie dem Leben. Und eine Organisation kann meiner Meinung nach von den Zellen lernen, wie man sich kontinuierlich verbessert und anpasst. Dafür brauchen Unternehmen zuverlässige Mechanismen-- genau wie die Zelle. Also-- was können Organisationen von Zellen lernen? Ich finde die hohe Effizienz spannend, mit der Zellen arbeiten. In einer Zelle finden ja biochemische Prozesse statt; sie ist wie eine kleine Fabrik oder ein Reaktor, der seine eigene Struktur erzeugt. Diese Prozesse laufen mit hoher Geschwindigkeit und Zuverlässigkeit ab. Da fällt mir der Begriff Katalyse ein. In Zellen optimieren Enzyme biochemische Prozesse. Sie wirken als Katalysatoren. Solche katalytischen Prozesse beschleunigen die Reaktionsgeschwindigkeit und reduzieren den Bedarf an freier Energie. Das ist ein zentrales Prinzip des Lebens. Durch die Entwicklung der Katalyse hat die Zelle Wege gefunden, Reaktionen so zu beschleunigen, dass Leben überhaupt möglich ist. Mehr noch, sie beschleunigt auch die Erzeugung der Katalysatoren selbst. Das ist ein sich selbst verstärkender Kreislauf. Ein geniales Prinzip! Vorhin sprachen Sie von Krisenprojekten. Wie können Organisationen zur Ruhe kommen? Es geht darum, optimale Arbeitsbedingungen für Projektteams zu erzeugen und diese ständig zu optimieren. Dafür können Unternehmen bestimmte Strukturen schaffen und Gewohnheiten entwickeln. Zumindest in gesunden Zellen gibt es beispielsweise keine schlecht laufenden Prozesse oder Schnittstellenprobleme. Alles greift ineinander, optimiert und reguliert sich gegenseitig. Wir können dieses Erfolgsprinzip des Lebens auf Organisationen übertragen- - beispielsweise die Verbesserungsprozesse in Zellen und Organismen. Projektteams können wir mit Zellen vergleichen, das Unternehmen mit dem Organismus, dem Mehrzeller. Ich spreche im Konjunktiv: Wohl jedes Projektteam wäre begeistert, wenn es diese optimalen Arbeitsbedingungen hätte. Manche sagen, dies sei ein Wunschtraum. Kaum vorstellbar eine Organisation, in der es nicht hakt und zu Problemen kommt! Dies ist sicher ein Idealbild. Entscheidend ist, wie die Organisation mit den Problemen umgeht, sie abstellt und daraus lernt. Was die optimalen Arbeitsbedingungen betrifft: Was brauchen Projektteams, um bestmöglich zu arbeiten? Beispielsweise müssen alle Werkzeuge, alles Wissen, alle Methoden und alle Ausgangsmaterialien so vorliegen, dass das Projektteam weiterkommt. Fehlt nur eines, wird das Ergebnis beeinträchtigt. Dass aber alles vorliegen-- das geschieht nicht zufällig oder von allein. So etwas muss organisiert werden! Genau das ist doch in der Praxis der entscheidende Punkt. Das Benötigte liegt nicht vor. Mal fehlt Knowhow, mal Werkzeug, mal Material, mal Spezialisten, mal Budget-… Das meinte ich eben, als ich sagte, dass es auf den Umgang mit den Problemen ankommt. Ich denke, dass Organisationen von den Prinzipien der Zellen lernen können. Prinzipien-- zum Beispiel? Wir wissen heute: Die optimalen Reaktionsbedingungen in der Zelle sind Ergebnis einer ständigen Anpassung an eine dynamische Umgebung. Jede Reaktionsumgebung ist selbsterzeugt-- und zwar ganz gezielt. Für uns ist interessant, dass es sich um einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess handelt- - und nicht um ein Verbesserungsprojekt, das man alle paar Jahre aufsetzt. Wir brauchen in Organisationen solche ständigen Verbesserungsprozesse, wie wir sie in der Zelle vorfinden. Deshalb setzen wir in unserer Beratung auf eine Reihe von Verbesserungsteams. Wir etablieren in Organisationen vernetzte, crossfunktionale Verbesserungsteams mit klaren Zuständigkeiten. Sie bestehen aus Mitarbeitern von Projektteams und anderen Abteilungen. Diese Teams sorgen dafür, dass beispielsweise Projektteams alles bekommen, was sie für effizientes Arbeiten brauchen. Sie sind quasi für die „Katalyse“ in Projektteams zuständig. Sie erzeugen kontinuierlich optimale Arbeitsumgebungen für die Projekte. Wie funktionieren diese Verbesserungsteams? Vereinfacht gesagt: In einem Projekt entsteht ein Problem. Dies wird einem Verbesserungsteam gemeldet. Das Projekt muss dieses akute Problem lösen. Doch ein Team sorgt jetzt für die Organisation, dass dieses Problem künftig in anderen Projekten nicht mehr auftritt. Das klingt noch sehr theoretisch. Wie sieht dies in der Praxis aus? Ein konkretes Beispiel: Eine Abteilung im Engineering hat das Problem, dass es bei einem bestimmten Arbeitsschritt immer wieder zu vielen Fehlern kommt. Diese Fehler müssen später behoben werden. Die Frage ist natürlich: Woher kommen die Fehler? Eines wissen wir: Es handelt sich um ein typisches Schnittstellen-Problem. Etwa ein Problem mit der IT und den Daten. Wie gehen Sie vor? Optimale Arbeitsbedingungen bestehen aus drei Aspekten, Mensch, Werkzeug und Methode. Schauen wir uns den Menschen näher an. Wir stellen uns die „Können-Wollen-Dürfen“- Frage: Kann der IT-Mitarbeiter überhaupt die Daten richtig zuliefern? Hat er die Fähigkeit, mit den Werkzeugen umzugehen? Dann: Will er die Daten richtig liefern? Hat er die richtigen Anreize-- oder wird er durch bestimmte Anreize gehemmt? Es gibt natürlich auch Fragen nach den Werkzeugen: Passt das IT-System, in dem die Daten geliefert werden, zur Arbeitsumgebung im Projekt? Und: Gibt es überhaupt eine geeignete Methode, diesen Schritt richtig zu machen? Damit haben wir einen ganzen Blumenstrauß von Ursachen-… Richtig. Dieses Problem wird dem zuständigen Verbesserungsteam gemeldet. Es erfasst zunächst das Problem. Was 00_PM_aktuell_02_2021_SL2b.indb 5 00_PM_aktuell_02_2021_SL2b.indb 5 19.04.2021 10: 53: 53 19.04.2021 10: 53: 53 Reportage | Vom Leben lernen 6 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 32. Jahrgang · 02/ 2021 DOI 10.24053/ PM-2021-0022 geschieht? Welches Element der Arbeitsbedingung fehlt? Wer ist zuständig, dieses Element beizubringen? Das Team entscheidet anhand von festgelegten Kriterien, wie wichtig die Sache ist. Hat sie Priorität, geht das Team der Sache auf den Grund und löst das Problem. Die meisten Probleme sind recht unübersichtlich über die Organisation verteilt. Beispielsweise hakt es im Einkauf, und die Schwierigkeiten tauchen in der Entwicklungsabteilung auf. Ein einziges, lokales Verbesserungsteam wird vermutlich nicht allein dieses Problem lösen können-… Nein. Aber es setzt das Problem auf die Tagesordnung und involviert andere Teams, die sich durch die ganze Organisation ziehen. Welche anderen Teams? Wir setzen nicht nur ein Verbesserungsteam in der Organisation auf, sondern Teams mit jeweils verschiedenen Zuständigkeiten. Es gibt die Verbesserungsteams, die Prozesse verbessern und Wissen verfügbar machen; diese Teams könnten den Prozess an der Schnittstelle zwischen Projektteam und IT-Abteilung verbessern. Andere Teams sind für die Beschaffung und Verteilung von Ressourcen zuständig; sie könnten eine IT-Lösung beschaffen, die die Übergabe verbessert. Oder IT-Mitarbeiter ausbilden, die Daten entsprechend aufzubereiten. Das Ziel ist es immer jemanden zu haben, der für die Erzeugung eines fehlenden Erfolgsfaktors verantwortlich ist. Das heißt, es handelt sich um ein Netzwerk von verschiedenen Teams, die sich je nach Zuständigkeit Aufgaben zuspielen? Richtig. Welche Zuständigkeiten sind noch denkbar? Einige Teams entwickeln Strategien oder treffen strategische Entscheidungen. Andere steuern Projektlandschaften. Entscheidend bei alledem ist: Die Koordination zwischen den Teams geschieht nahezu automatisch- - also nach Regeln, nach denen die Teams arbeiten und untereinander kooperieren. Ein anderes Beispiel aus der Praxis: In einer Organisation zeigt sich, dass Projektdirektoren fehlen, also erfahrene Projektmanager. Da liegt ein Engpass. Es stellt sich heraus, dass das Unternehmen zehn Jahre braucht, um eigene Projektdirektoren auszubilden. Die beiden vorhandenen Projektdirektoren setzen sich in vier Jahren zur Ruhe. Da ist es Aufgabe des Teams für Ressourcenbeschaffung, Projektdirektoren herbeizuschaffen oder die Erzeugung zu beschleunigen. Also die Ausbildung von Projektdirektoren? Richtig! Andere Teams liefern dann ein Anforderungsprofil an diese Spezialisten. Es geht immer um die Frage: Wer ist zuständig und verantwortlich, für ein erkanntes Problem Lösungen beizusteuern? Aber diese Frage muss schnell und eindeutig beantwortet werden können. Dies macht die Wirksamkeit der Verbesserung aus. Es geht also um Regelkreise für dezentrale Selbstorganisation? Ja, und das ist ganz im Sinne von Agilität. Soweit wie möglich werden Probleme nicht an übergeordneter Stelle in der Hierarchie bearbeitet, sondern dort, wo die Informationen vorliegen. Ich war in einem Unternehmen selbst Leiter des Projektmanagements. Ich habe mich immer gefragt, weshalb ich für meine Projektmanager entscheiden musste- - also über Fragen, mit denen meine Projektleiter besser als ich vertraut waren. Der Gedanke ist nicht neu, dass man sich in Organisationen weiterentwickelt. Dies gilt besonders für Projektmanagement. In vielen Unternehmen sind Lessons-Learned-Workshops bei Projekten üblich. Nach Projektende wird das dokumentiert, was man gelernt hat- - damit künftige Projekte davon lernen und es besser machen können-… Dieses Lernen durch Lessons-Learned-Workhops dauert viel zu lange! Nehmen Sie als Beispiel ein Anlagenbauprojekt. Es erstreckt sich über zwei bis drei Jahre. Dann wird Bilanz gezogen; man schreibt Erkenntnisse und Erfahrungen auf. Dann braucht es nochmals Zeit bis diese Berichte in anderen Projekten ankommen- - wenn sie dort überhaupt gelesen werden. Werden sie gelesen, hat niemand Zeit und kein Mandat sich darum zu kümmern. Wie wollen Sie in einer agilen, dynamischen Welt mit diesem trägen Verbesserungsprozess überleben? Zellen wären mit solch einem Prinzip längst ausgestorben. Vermutlich! Verbesserungsteams bearbeiten ein Problem sofort, wenn es auftaucht, vielleicht innerhalb einer Woche. Die Verbesserungsteams stimmen sich in sehr kurzen Intervallen ab. Sie sorgen dafür, dass das Problem in Zukunft für alle anderen Projektteams abgestellt wird-- und Rückmeldung geben, ob die erarbeitete Lösung funktioniert. Gestatten Sie mir einen Einwand. Seit Jahrzehnten gibt es Gruppen in Unternehmen, die sich um Verbesserung kümmern. Mitarbeiter sitzen zusammen und überlegen, wie man beispielsweise Schnittstellenprobleme reduzieren kann. Damit sind aber zumeist hierarchiegebundene Komitees verbunden, die Vorschläge und Eingaben prüfen. Das dauert alles zu lange. Auch entwickelt man dabei kaum ein vernetztes System über die ganze Organisation hinweg. Was unterscheidet diese Komitees und andere Abstimmungsrunden von Ihren Verbesserungsteams? Erstens, unsere Teams bestehen aus Mitarbeitern aus den jeweiligen Bereichen- - also Menschen, die die Arbeitsumgebung kennen und wissen, wie ihre Arbeitsbedingungen zu optimieren sind. Zweitens, die Teams arbeiten kontinuierlich. Jeder Mitarbeiter verbringt einen Teil seiner Arbeitszeit in diesen Teams. Drittens, die Zusammenarbeit zwischen Verbesserungsteams ist festgelegt. Wer ist für was zuständig? Wie spielt man sich gegenseitig Aufgaben zu? Wer entscheidet was? Viertens, es gibt feste Regeln, nach denen die Teams arbeiten, beispielsweise Probleme und Eingaben priorisieren. Inwiefern Regeln? Ich habe noch keine Organisationen erlebt, der es an Problemen und Verbesserungsideen mangelt. Die Entscheidung, was davon sinnvollerweise umzusetzen ist, muss an bestimmte Kriterien gebunden sein. Die Auswahl und die Lösungen müssen beispielsweise zur Unternehmensstrategie passen. Um auf Ihre Frage zurückzukommen: Da liegt der Unterschied zwischen unserem Modell und den klassischen 00_PM_aktuell_02_2021_SL2b.indb 6 00_PM_aktuell_02_2021_SL2b.indb 6 19.04.2021 10: 53: 53 19.04.2021 10: 53: 53
