eJournals PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL 32/2

PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
10.24053/PM-2021-0027
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322 GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.

Die Projektleiterrolle im agilen Projektmanagement

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2021
Christoph Ochs
Konrad Spang
Unternehmen streben durch die zunehmende Dynamik nach Agilität und nutzen das agile Projektmanagement. Jedoch ist die in agilen Frameworks wie Scrum nicht vorgesehene Rolle des Projektleiters in der Praxis weiterhin präsent. Hat nun die Rolle noch eine Daseinsberechtigung? Oder hat sie sich bloß inhaltlich verändert? Die im Rahmen einer Masterarbeit durchgeführte empirische Untersuchung hat gezeigt, dass Projektleitungsaufgaben im Agilen eine kommunikativere Ausrichtung aufzeigen und Projekt-Führungskräfte eher coachend und moderierend das Team unterstützen. Entsprechend werden Kompetenzen im sozialen und zwischenmenschlichen Bereich wichtiger. Die Ergebnisse der Untersuchung weisen darauf hin, dass eine Kombination des traditionellen und agilen Bereichs in der Weiterbildung Projektleiter gut auf die Praxisanforderungen vorbereiten kann.
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Wissen | Was ist dran an der „neuen Sau“ des Projektmanagements? 33 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 32. Jahrgang · 02/ 2021 DOI 10.24053/ PM-2021-0026 Anpassungen unterzogen werden. Der Unternehmer wird in seiner Neigung gebremst möglichst viele Sachverhalte im Voraus planen zu wollen, da das Unvorhergesehene und das Zufällige als eine wesentliche Quelle von Erkenntnisfortschritten gilt (Serendipity [30]). Andererseits werden dem ausschließlich Forschenden aufgrund konkreter, funktionsbezogener Anforderungen von Kunden und stringente Zeitvorgaben (time box) Restriktionen gesetzt. 9 Fazit: Scrum on Ein dynamisches Selbstbild kommt darin zum Ausdruck, dass jemand bereit ist aus bisherigen Erfahrungen für zukünftiges Handeln zu lernen, Fragen zu stellen sowie sich und die Ergebnisse an neue Gegebenheiten anzupassen. Dieser Mindset beschreibt auch den Kern von Scrum, da der Fokus auf das zeitnahe Erstellen von funktionstüchtigen und qualitativ hochwertigen Ergebnissen gerichtet ist, die nach entsprechender Rückkoppelung mit dem jeweiligen Kunden angepasst und erneuert werden. Die Haltung verbindet Unternehmertum mit Forschergeist, da in beiden Fällen Neugier und Interesse Triebfedern des Handelns sind. Forschungslogik und Marktlogik weisen allerdings auch Unterschiede auf, da eine Erfindung noch keine marktfähige Innovation darstellt. Liegt ein Forschungsergebnis vor, bedarf es zu dessen Umsetzung noch zahlreicher weiterer Schritte. Hierzu zählen z. B. die Analyse von Wettberwerbsprodukten sowie die Bepreisung des Produktes. Insbesondere muss die Marktgängigkeit der Erfindung ausgelotet werden.[31] Scrum bildet eine Brücke zwischen Forschungsorientierung und Marktorientierung. Im Vordergrund steht die jeweilige Persönlichkeit der Beteiligten, für die ein dynamisches Mindset kennzeichnend ist. Der Zusammenhang zwischen Unternehmertum und wissenschaftlichem Vorgehen kommt auch darin zum Ausdruck, dass ein Experiment im Sinne von Scrum nicht auf reinen Erkenntnisgewinn und das Aufstellen neuer Theoriemodelle ausgerichtet ist, sondern im Fokus die Bereitstellung eines funktionstüchtigen, brauchbaren Produktes steht.[32] Literatur Agilen Manifest; unter: https: / / agilemanifesto.org/ iso/ de/ principles.html (abgerufen am 30. 01. 2020). Birbaumer, Niels: Dein Gehirn weiss mehr, als du denkst Ullstein, 2. Auflage Berlin 2015. DIE ZEIT v. 23. 04. 2020: Interview mit DHL-Chef F. Appel. Dweck, Carol: Selbstbild, Piper Verlag, 7. Auflage, München / Berlin 2016. Faltin, Günter: Wir sind das Kapital, Murrmann, Hamburg 2015, S: 87 ff. Goleman, Daniel: Konzentriert Euch! ; Piper, München / Berlin 2015. GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V. (Hrsg.): Individual Competence Baseline für Projektmanagement, Version 4.0, deutsche Fassung, Nürnberg 2017 (online-Ausgabe). https: / / www.kuglermaag.de / aktuelles / interview-mariahansson-anna-sandberg/ , abgerufen am 23. 04. 2020. Kaesler, Dirk (Hrsg.): Klassiker der Soziologie, Band 2, C. H. Beck, 4. Auflage, München 2003. Kromrey, Helmut; Roose, Jochen; Strübing, Jörg: Empirische Sozialforschung, 13. Auflage, UVK, Konstanz und München 2016. Olbert, Sebastian; Prodoehl, Hans Gerd (Hrsg.): Überlebenselixier Agilität, Springer Gabler, Wiesbaden 2019. Osinga, Frans: Science, Startegy and War, The Strategic Theory of John Boyd Delft 2005 (Dissertation, online-Ausgabe). PMA (Projekt Management Austria): ICB Individual Competence Baseline für Projektmanagement, Version 4.0, österreichische Fassung, Zürich und Nijkerk 2015. Milgram, Stanley: Das Milgram-Experiment; Rowohlt Taschenbuch Verlag; 20. Auflage; Reinbek bei Hamburg 2017; S. 50ff Ries, Eric: The Lean Startup, Currency International Edition, New York 2017. Schwaber, Ken; Sutherland, Jeff: Scrum GuideTM, deutsche und englische Fassung, 2017. Schwaber, Ken; Sutherland, Jeff: The Scrum Guide, englische Fassung, 2020. Sinek, Simon: Start with why, Penguin, London 2011. Suhr, Martin: John Dewey, Junius Verlag, Hamburg 2005. Sutherland, Jeff: Die Scrum-Revolution, Campus Verlag, Frankfurt / New York 2015. Sutherland, Jeff: Scrum, The art of doing twice the work in half the time, Random House, London 2019. Takeuchi, Hirotaka; Nonaka, Ikuijiro: The new new product development game, Harvard Business Review, January- February 1986. Webpage des Mitgründers von Scrum Ken Schwaber: Scrum. org. Eingangsabbildung: © iStock.com / pixhook Dr. Christoph Richter Dr. Christoph Richter studierte Verwaltungswirtschaft, Wirtschaftswissenschaften und Bildungswissenschaften. Er hat unterschiedliche Managementfunktionen insbesondere im Controlling- und HR-Bereich wahrgenommen. Seit langer Zeit ist er nebenberuflich und zeitweise auch hauptberuflich als Dozent u. a. für nachhaltige Unternehmensführung tätig. Aktuell arbeitet er als Senior Experte für Placement Beratung bei der Deutschen Telekom AG. Deutsche Telekom AG Telekom Placement Services Business Projects Sürther Str. 168, 50 321 Brühl Telefon: +492 232 579 892 864 eMail: christoph.richter@telekom.de 00_PM_aktuell_02_2021_SL2b.indb 33 00_PM_aktuell_02_2021_SL2b.indb 33 19.04.2021 10: 55: 00 19.04.2021 10: 55: 00 Wissen | Was ist dran an der „neuen Sau“ des Projektmanagements? 34 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 32. Jahrgang · 02/ 2021 DOI 10.24053/ PM-2021-0026 Anmerkungen Was ist dran an der „neuen Sau“ des Projektmanagements? [1] Vgl. u. a. Interview mit Post-Chef F. Appel in: DIE ZEIT v. 23. 04. 2020; zu Volvo: https: / / www.kuglermaag. de / aktuelles / interview-maria-hansson-anna-sandberg/ , abgerufen am 23. 04. 2020; Olbert, Sebastian; Prodoehl, Hans Gerd (Hrsg.): Überlebenselixier Agilität, Springer Gabler, Wiesbaden 2019, S. 116ff und S. 45: u. a. folgende Unternehmen werden als „agil“ bezeichnet: Google; Hilti; Domino`s Pizza; Lego; Auto Scout 24; Spotify; Unilever; XEROX; Villeroy & Boch; BP; Volvo; Infineon; Bosch; 3M; [2] Vgl. Schwaber, Ken; Sutherland, Jeff: The Scrum Guide, englische Fassung, 2020. [3] Vgl. GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V. (Hrsg.): Individual Competence Baseline für Projektmanagement, Version 4.0, deutsche Fassung, Nürnberg 2017 (online-Ausgabe). [4] Vgl. Takeuchi, Hirotaka; Nonaka, Ikuijiro: The new new product development game, Harvard Business Review, January-February 1986. [5] Vgl. Agiles Manifest; unter: https: / / agilemanifesto.org / iso / de / principles.html abgerufen am 30. 01. 2020. [6] Vgl. Agiles Manifest; unter: https: / / agilemanifesto.org / iso / de / principles.html abgerufen am 30. 01. 2020. [7] Vgl. im Folgenden: Dweck, Carol: Selbstbild, Piper Verlag, 7. Auflage, München / Berlin 2016. [8] Vgl. Birbaumer, Niels: Dein Gehirn weiss mehr, als du denkst Ullstein, 2. Auflage Berlin 2015; S. 45 ff. [9] Vgl. Dweck, Carol: Selbstbild, Piper Verlag, 7. Auflage, München / Berlin 2016, S. 14. [10] Vgl. z. B. Suhr, Martin: John Dewey, Junius Verlag, Hamburg 2005, S. 22 ff. [11] Vgl. Sutherland, Jeff: Scrum, The art of doing twice the work in half the time, Random House Business, New York 2014, S. 24. [12] Vgl. Osinga, Frans: Science, Startegy and War, The Strategic Theory of John Boyd Delft 2005 (Dissertation, online-Ausgabe), S. 2 ff. [13] Vgl. Sutherland, Jeff: Scrum, The art of doing twice the work in half the time, Random House Business, New York 2014, S. 180 ff. [14] Vgl. Sutherland, Jeff: Die Scrum-Revolution, Campus Verlag, Frankfurt / New York 2015, S. 23 und S. 61. [15] Vgl. Sutherland, Jeff: Die Scrum-Revolution, Campus Verlag, Frankfurt / New York 2015, S. 38 ff. [16] Vgl. Sutherland, Jeff: Scrum, The art of doing twice the work in half the time, Random House Business, New York 2014, S. 34 ff. [17] Vgl. Ries, Eric: The Lean Startup, Currency International Edition, New York 2017, S. 47 f. [18] Sutherland, Jeff: Scrum, The art of doing twice the work in half the time, Random House Business, New York 2014, S. 19. [19] Sutherland, Jeff: Scrum, The art of doing twice the work in half the time, Random House Business, New York 2014, S. 109. [20] Vgl. Goleman, Daniel: Konzentriet Euch! ; Piper; München / Berlin 2015. [21] Vgl. Faltin, Günter: Wir sind das Kapital, Murrmann, Hamburg 2015, S. 109. [22] Vgl. Sutherland, Jeff: Scrum, The art of doing twice the work in half the time, Random House Business, New York 2014, S. 44. [23] Vgl. Faltin, Günter: Wir sind das Kapital, Murrmann, Hamburg 2015, S. 139. [24] Vgl. Sinek, Simon: Start with why, Penguin, London 2011, S. 17. [25] Vgl. Sinek, Simon: Start with why, Penguin, London 2011, S. 37 ff. [26] Vgl. Sinek, Simon: Start with why, Penguin, London 2011, S. 83 ff. [27] Ebenda, S. 67. [28] Ebenda, S. 67. [29] Vgl. Kromrey, Helmut; Roose, Jochen; Strübing, Jörg: Empirische Sozialforschung, 13. Auflage, UVK, Konstanz und München 2016, S. 73 ff. [30] Vgl. Kaesler, Dirk (Hrsg.): Klassiker der Soziologie, Band 2, C. H. Beck, 4. Auflage, München 2003; S. 164. [31] Vgl. Faltin, Günter: Wir sind das Kapital, Murrmann, Hamburg 2015, S: 87 ff. [32] Vgl. Ries, Eric: The Lean Startup, Currency International Edition, New York 2017, S. 63. 00_PM_aktuell_02_2021_SL2b.indb 34 00_PM_aktuell_02_2021_SL2b.indb 34 19.04.2021 10: 55: 00 19.04.2021 10: 55: 00 35 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 32. Jahrgang · 02/ 2021 DOI 10.24053/ PM-2021-0027 Brauchen wir im Agilen überhaupt noch Projektleiter? Die Projektleiterrolle im agilen Projektmanagement Christoph Ochs, Konrad Spang Für eilige Leser | Unternehmen streben durch die zunehmende Dynamik nach Agilität und nutzen das agile Projektmanagement. Jedoch ist die in agilen Frameworks wie Scrum nicht vorgesehene Rolle des Projektleiters in der Praxis weiterhin präsent. Hat nun die Rolle noch eine Daseinsberechtigung? Oder hat sie sich bloß inhaltlich verändert? Die im Rahmen einer Masterarbeit durchgeführte empirische Untersuchung hat gezeigt, dass Projektleitungsaufgaben im Agilen eine kommunikativere Ausrichtung aufzeigen und Projekt-Führungskräfte eher coachend und moderierend das Team unterstützen. Entsprechend werden Kompetenzen im sozialen und zwischenmenschlichen Bereich wichtiger. Die Ergebnisse der Untersuchung weisen darauf hin, dass eine Kombination des traditionellen und agilen Bereichs in der Weiterbildung Projektleiter gut auf die Praxisanforderungen vorbereiten kann. Schlagwörter | Projektleitung, Agilität, Agiles Projektmanagement, Scrum, Rollen, Führung „Viele Softwareentwicklungsunternehmen streben nach mehr Agilität.“ [1, S. 31] Vorteile versprechen sich die Unternehmen beispielsweise in der erhöhten Akzeptanz des Produkts durch den Kunden [2, S. 115 f.] bei geringerer Zeit bis zum Markteintritt [3, S. 34 ff.] sowie in der Schaffung einer änderungsfreundlichen Entwicklungsumgebung [4, S. 412]. „Im Agilen arbeitet das Team selbstorganisiert und es wird kaum geplant und dokumentiert! “ Solche Äußerungen über die agile Vorgehensweise stellen die Bedeutung des Projektleiters im Gefüge des Projektmanagements in Frage. Benötigt es also in selbstorganisiert arbeitenden Teams noch eine leitende Rolle? Das Project Management Institute beschreibt, dass Projektleiter im Agilen unbekannt und „nicht notwendig“ seien, aber auch „absolut wertschaffend“ sein können. [5, S. 37] Wie steht es nun um die Rolle des Projektleiters? Welche Veränderungen stehen der Rolle bevor? Der vorliegende Artikel entstand auf Grundlage einer Masterarbeit, die am Fachgebiet Projektmanagement der Universität Kassel erarbeitet wurde. Mithilfe von aktueller Literatur und einer empirischen Untersuchung werden diese Fragen diskutiert und Empfehlungen formuliert. Einleitung Das Hauptanliegen des Artikels ist es, die Veränderungen in der Rollenausgestaltung der Projektleitung im agilen Projektmanagement aufzuzeigen und einen ersten Anstoß für das Verstehen der Veränderungen hinsichtlich der Aufgaben, Kompetenzen, Verantwortung und Führung in der Projektleitung agiler Projekte zu geben. Hierfür wurde unter anderem ein Modell zur Einschätzung des Agilitätsgrades in Projekten entwickelt. In der Untersuchung diente es der Einschätzung der Agilität eines vom Experten berichteten Beispielprojektes. Weiterhin können sowohl Projektleiter als auch -mitarbeiter die gelebte Agilität in ihren Projekten und Unternehmen mit dem Modell einordnen, um im eigenen Handeln Entwicklungsfelder zu erkennen. Da das agile Projektmanagement andere Schwerpunkte als das traditionelle setzt, verändern sich die oben genannten Aspekte von Aufgaben, Kompetenzen, Verantwortung und Führung und sind sowohl in der Projektarbeit und der Aus- und Weiterbildung als auch in der persönlichen Entwicklung zu berücksichtigen. So können aus dem Artikel auch Impulse für die Anpassung von Stellenbeschreibungen und Entwicklungsprogrammen sowie für die eigene Entwicklung von Projektleitern und -teammitgliedern abgeleitet werden. 00_PM_aktuell_02_2021_SL2b.indb 35 00_PM_aktuell_02_2021_SL2b.indb 35 19.04.2021 10: 55: 06 19.04.2021 10: 55: 06 Wissen | Die Projektleiterrolle im agilen Projektmanagement 36 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 32. Jahrgang · 02/ 2021 DOI 10.24053/ PM-2021-0027 Zunächst werden die theoretische Ausgangssituation zur Rolle des Projektleiters im traditionellen sowie agilen Projektmanagement und der Status quo vorgestellt. (Kap. 1). Anschließend werden die Rahmenbedingungen der durchgeführten empirischen Untersuchung vorgestellt (Kap. 2) und das Modell zur Einordnung des Agilitätsgrades in einem Projekt erläutert (Kap. 3). Als Kern des Artikels werden die Ergebnisse der empirischen Untersuchung beschrieben und interpretiert (Kap. 4). Abschließend wird ein Ausblick gegeben und mit dem Fazit abgeschlossen (Kap. 5). Status quo zur Projektleiterrolle in der Theorie Um die im ersten Absatz offen gebliebenen Fragen der Daseinsberechtigung des Projektleiters im agilen Projektmanagement zu untersuchen, wird nachfolgend die Rolle des Projektleiters im als traditionell bezeichneten Projektmanagement beschrieben sowie allgemein über das agile Projektmanagement und dessen Rollen recherchiert, um ein allgemeines Verständnis für die Rollen und Merkmale zu schaffen. Das im Artikel als „traditionell“ bezeichnete Projektmanagement meint das in der Theorie betrachtete Extrem eines rein plangetriebenen Vorgehens. In der Praxis wird dieses Extrem nur in seltenen Fällen anzutreffen sein. In Unternehmen können sich sowohl traditionelle als auch agile oder beide Formen etablieren, was hervorhebt, dass es vielmehr Mischformen aus traditionellen und agilen Ansätzen in der Realität gibt. Die Zusammenführung beider Themen des traditionellen und agilen Projektmanagements leitet dann den Status quo ab und ermöglicht die Entwicklung von zu überprüfenden Erwartungen. Die Rolle des Projektleiters im traditionellen Projektmanagement zeigt sich einerseits in Form eines Angestellten ohne leitende Befugnisse, sodass häufig über den Einfluss als Person selbst das Projekt vorangetrieben wird. Ist andererseits ein Projektleiter mit Personalführungsbefugnissen eingesetzt, erweitern sich Befugnisse hinsichtlich des Einstellens oder Entlassens von Mitarbeitern. [6, S. 22 f.] Aufgaben eines Projektleiters können somit vom Vertrags- und Anforderungsmanagement [7, S. 21] über die Planung von Terminen, Kosten und Ressourcen bis hin zur Delegation von Aufgaben, Lösung von Konflikten sowie der Dokumentation des Projektes reichen. [8, S. 44 f.; 9, S. 117; 10, S. 191 f.] Für die Erfüllung der Aufgaben sind vielfältige Kompetenzen notwendig, welche nach der International Project Management Association im „Eye of Competence“ in drei Bereiche eingeteilt werden: Kontextkompetenzen sind dabei Werkzeuge, Techniken und Methoden, mit denen ein Projektleiter sein Umfeld verstehen und in diesem handeln kann. Der zweite Bereich umfasst persönliche und soziale Kompetenzen, damit Projektleiter die Führungsaufgaben gegenüber den Mitarbeitern angemessen wahrnehmen können. Entsprechend enthält der dritte Bereich technische Kompetenzen im Hinblick auf Projektmanagementmethoden und Werkzeuge und Techniken zur Unterstützung der Projektleitung. [11, S. 27 f.] Zusammenfassend betrifft die Verantwortung eines Projektleiters in erster Linie den Gesamterfolg des Projekts [12, S. 110 f.], der allerdings in die Erreichung der spezifischen Kosten-, Zeit- und Sachziele [13, S. 25 f.] sowie die Interaktion mit dem Lenkungsausschuss konkretisiert werden kann [7, S. 16]. Agiles Projektmanagement umfasst vor allem eine neue Einstellung gegenüber Projekten und deren Abwicklung, die sich insbesondere in den agilen Werten, wie Mut, Commitment und Feedback, äußern. [14, Online; 15, Online] Agile Prinzipien bauen auf den Werten auf, wie beispielsweise das selbstorganisierte Arbeiten und das direkte Gestalten der Kommunikation, und verfeinern diese. [16, S. 10] Agile Techniken umfassen Strukturen für die Projektarbeit wie Time Boxes, User Stories oder Task Boards. [17, S. 18] Die Zusammenfassung mehrerer Techniken als Prozessmodelle wie Scrum oder Kanban stellen abschließend die agilen Methoden dar. [16, S. 10] Abbildung 1 zeigt die Zusammenhänge der Ebenen. In der agilen Methode Scrum gibt es drei Rollen: der Product Owner verantwortet die Produktfeatures und stimmt die Anforderungen zu diesen mit dem Kunden ab; der Scrum Master unterstützt und coacht in der agilen Arbeitsweise und steht als Ansprechpartner bei Problemen bereit; das Entwicklungsteam arbeitet selbstorganisiert an den Anforderungen und setzt diese um. [18, S. 15 ff.] Zusammenfassend liegen die Kernelemente des agilen Arbeitens • in einer groben Vision von Ziel und Umfang, • der iterativen und eher kurzfristigen Planung des Projektes, • der Integration von Risiken und Änderungen, • der selbstorganisierten Arbeitsweise, • der Integration des Kunden in den Entwicklungsprozess, • der schnellen und direkten Wertschaffung, • einer hohen Regelmäßigkeit in Abstimmungen und Verbesserungen sowie • einem grundlegend iterativen Vorgehen. Abbildung 1: Ebenen des agilen Projektmanagements mit möglichen Ausprägungen und Beispielen 00_PM_aktuell_02_2021_SL2b.indb 36 00_PM_aktuell_02_2021_SL2b.indb 36 19.04.2021 10: 55: 06 19.04.2021 10: 55: 06 Wissen | Die Projektleiterrolle im agilen Projektmanagement 37 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 32. Jahrgang · 02/ 2021 DOI 10.24053/ PM-2021-0027 Abbildung 2 zeigt den wesentlichen Grundgedanken des agilen Projektmanagements, dass Entwickler bzw. das Scrum Team sich von dem anfänglich geplanten Ziel mit jeder Iteration näher an die tatsächlichen Kundenanforderungen heranbewegen, sodass das reale Ziel anstelle des ursprünglich geplanten Ziels erreicht werden kann. In Vorbereitung auf die empirische Untersuchung wurde festgestellt, dass die Rolle des Projektleiters in agilen Methoden wie Scrum grundsätzlich nicht vorgesehen ist und die Aufgaben von neuen Rollen übernommen werden. Jedoch scheint in hybriden Projektmanagementansätzen (Verknüpfungen verschiedener traditioneller und agiler Techniken beziehungsweise Methoden) weiterhin ein Projektleiter gefordert, beispielsweise als übergeordneter Projektbzw. Programmleiter über verschiedene (Teil-)Projekte, die sowohl in traditionellen als auch agilen Ansätzen umgesetzt werden können. [19, S. 269 ff.] Eine systematische Recherche in internationaler Literatur (Stand: Juni 2020) zu dem spezifischen Thema des Projektleiters in agilen Projekten zeigte, dass wenige Informationen im Bereich der Projektleiterkompetenzen im agilen Projektmanagement zu finden sind. [20, S. 859] Eine Studie, in welcher Softwareentwickler (N- = 97) aus 31 verschiedenen Ländern online befragt wurden, zeigte, dass in 67 % der agilen Projekte die Rolle des Projektleiters weiterhin vorhanden ist. [21, S. 3] Diese Ergebnisse unterstreichen die Relevanz der Frage, welche Daseinsberechtigung ein Projektleiter in agilen Projekten hat und welche Veränderungen es für die Rolle gibt. Empirische Untersuchung Die durchgeführte Untersuchung fand in Form von leitfadengestützten Experteninterviews statt. Zur Wahrung der Qualität der Ergebnisse dienten Auswahlkriterien für die Experten (N- = 5), die sich beispielsweise auf eine Erfahrung in der Projektleitung von mindestens fünf Jahren, davon zwei Jahre im agilen Arbeiten, beliefen. Um die Aussagen der Experten zu ihren Aufgaben, Kompetenzen, Verantwortung und der Führung besser verstehen und letztlich einordnen zu können, galt es im Interview, die gelebte Agilität des Experten kennenzulernen. Da unter den Begriffen „agil“ oder „Agilität“ nicht grundlegend dasselbe verstanden wird, wurden die Experten zu Beginn des Interviews gebeten, „agiles Projektmanagement“ zu definieren. Auch ein agiles Beispielprojekt des Experten wurde ausgewählt und im Interview näher beschrieben, um die weiteren Aussagen zu den Aufgaben, Kompetenzen, Verantwortung und Führung besser einzuordnen und mit Beispielen am besprochenen Projekt beschreiben zu können. Die gewählten Projekte waren nicht auf den Informationstechnologiebereich beschränkt, sodass die Interviews zum Beispiel auch Organisationsentwicklungsprojekte enthielten. Im Anschluss wurde orientiert an festgelegten Leitfragen über die einzelnen Themenbereiche der Aufgaben, Kompetenzen, Verantwortung und Führung in der täglichen Projektarbeit der Experten gesprochen. Die Interviewdauer umfasste jeweils circa 80 Minuten. Die Interviews wurden im Anschluss transkribiert (Wortprotokoll) und eine Version des Transkripts ohne personenbezogene Daten zur Freigabe an den Experten versendet. Bei vorliegender Nutzungsfreigabe wurden die Ergebnisse mithilfe der induktiven Kategorienbildung nach Mayring analysiert. [22, S. 11 ff.] Anschließend fand zur Reflexion und Stabilisierung der Interviewergebnisse eine Fokusgruppen-Diskussion statt. Der inhaltliche Schwerpunkt lag hierbei auf den Erkenntnissen für die Aus- und Weiterbildung von Projektleitern und -mitarbeitern. Dabei wurden einzelne ausgewählte agile Techniken angewendet. Bevor die Ergebnisse der Interviews im Artikel vorgestellt werden, soll das Agilitätsgradmodell erläutert werden. Agilitätsgradmodell Zur Beschreibung des agilen Beispielprojektes wurde auf die zuvor abgeleiteten Kernelemente wie der selbstorganisierten Arbeitsweise des Teams oder der Integration des Kunden in den Entwicklungsprozess (siehe oben) des agilen Projektmanagements zurückgegriffen und hieraus ein sogenanntes Agilitätsgrad-Modell entwickelt. Für das Modell wurden die agilen Kernelemente im Vorfeld des Interviews vom Autor definiert und verschiedene Ausprägungen passend zum traditionellen Projektmanagement sowie einer Zwischenstufe der Ausprägungen angegeben (vgl. Tabelle 1). Mithilfe der Ausprägungen konnte das agile Projektmanagement des beschriebenen Beispielprojektes dann eingeordnet und der sogenannte Agilitätsgrad des Projektes abgeleitet werden. Für ein besseres Verständnis des Modells wird nachfolgend ein Anwendungsbeispiel gegeben: Ein Experte berichtete von seinem Projekt zur Entwicklung einer Internet-of-Things Plattform. Das Projekt begann mit einer Phase der Anforderungs- Abbildung 2: Agiles Nachsteuern in Projekten 00_PM_aktuell_02_2021_SL2b.indb 37 00_PM_aktuell_02_2021_SL2b.indb 37 19.04.2021 10: 55: 07 19.04.2021 10: 55: 07 Wissen | Die Projektleiterrolle im agilen Projektmanagement 38 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 32. Jahrgang · 02/ 2021 DOI 10.24053/ PM-2021-0027 analyse, fortlaufend wurden Anforderungen jedoch marktseitig durch Produktmanager erhoben und vor der Eingliederung in den Product Backlog in Bezug auf den Aufwand geschätzt. Neben dem dadurch permanenten Risiko- und Änderungsmanagement arbeitete das Team nicht vollständig selbstorganisiert, da der Product Owner Vorgaben bei den umzusetzenden User Stories für Sprints machte. Iterativ wurden Lösungskonzepte für die Plattform entwickelt, die regelmäßig am Ende eines Sprints an den Kunden ausgeliefert wurden. Review- und Retrospektive-Meetings (agile Meetings für Feedback zu Produkt und Arbeitsprozessen) wurden konsequent durchgeführt, in jeweils gleichlangen Sprints. Somit passt das Projekt nicht exakt zur agilen Ausprägung des Modells und ein mittelmäßiger Agilitätsgrad ist abzuleiten. Das Team ist stärker im selbstorganisierten und eigenverantwortlichen Arbeiten zu fördern, weshalb für Kriterium 4 die zweite Ausprägung gewählt wurde. Der Start der Iterationen hätte bereits früher im Projektverlauf eingeleitet werden können, um die Zeit für eine aufwändige Planungs- und Anforderungsphase zu reduzieren. Ergebnisse, Interpretationen und Empfehlungen Dieses Kapitel stellt die Ergebnisse aus den Interviews und deren Interpretationen unter Zuhilfenahme recherchierter Literatur bezüglich der Aufgaben, Kompetenzen, Verantwortung und Führung sowie die Erkenntnisse zur Aus- und Weiterbildung vor. Hinsichtlich der Aufgaben von Projektleitern in agilen Projekten ist basierend auf den Interviewergebnissen festzustellen, dass eine Machtdelegation anstelle einer Aufgabendelegation ausgehend vom Projektleiter an das Projektteam stattfindet. Die Gesamtaufgabe wird an das (Scrum-)Team übergeben, welches die Aufgaben selbständig nach dem Pull- Prinzip bearbeitet. Den Projektleitern obliegt das Ressourcenmanagement sowie der Schutz des Teams, beispielsweise vor störenden Einflüssen wie zusätzlichen Anforderungen, die an Teammitglieder direkt und nicht über den Product Owner in das Projekt eingegeben werden. Dieser Schutz stellt die verantwortungsvolle, selbstorganisierte und fokussierte Arbeitsweise des Teams mit der übertragenen Macht sicher. Weiterhin ist das im traditionellen Projektmanagement eher separiert betrachtete Änderungsmanagement in den Prozessen der agilen Methoden vollständig integriert, weshalb keine gesonderten Planungsprozesse für geänderte Anforderungen notwendig sind. Bezüglich der Projektorganisation sind Rahmenbedingungen wie Iterationslänge und Rollen im Projekt von der Projektleitung festzulegen. Eine weitere Aufgabe zeigt sich im Konfliktmanagement, da Konflikte im agilen Projektmanagement offen ausgetragen werden und die Projektleiter eine wichtige Eskalationsinstanz darstellen. Tabelle 1: Agilitätskriterien und -ausprägungen für das Modell zur Einordnung des Agilitätsgrades Abbildung 3: Ausschnitte aus den Ergebnissen hinsichtlich der Veränderungen 00_PM_aktuell_02_2021_SL2b.indb 38 00_PM_aktuell_02_2021_SL2b.indb 38 19.04.2021 10: 55: 08 19.04.2021 10: 55: 08