PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
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GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.„Wer macht schon Fehler?!“
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Tobias Kreutter
Klaus Abstein
Fehler macht man nicht, Fehler passieren. Eine Erkenntnis, die zwar marktschreierisch in Unternehmen postuliert wird, hinter der aber oft nicht mehr dahintersteckt als heiße Luft. Jedes Unternehmen hat auf irgendwelchen Strategie- und Marketingfolien solche Sprüche stehen, doch der Blick hinter die Kulissen zeigt oft ein gegenteiliges Bild. Nicht selten ist es dann an den engagierten Mitarbeitenden, die Kultur nach ihren Wünschen zu gestalten; und hier stehen Projektleiter natürlich wie immer, wenn es um Neuerungen geht, mit an vorderster Front. Wenn Sie sich jetzt angesprochen fühlen oder Ihnen diese Situation nicht ganz fremd erscheint, dann haben wir in diesem Artikel ein paar Tipps zusammengefasst, die uns geholfen haben, die Fehler- und Lernkultur zu verbessern.
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Wissen | Die Projektleiterrolle im agilen Projektmanagement 39 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 32. Jahrgang · 02/ 2021 DOI 10.24053/ PM-2021-0027 Basierend auf der Veränderung der Aufgaben leiten sich die folgenden Ergebnisse hinsichtlich der Kompetenzen von Projektleitern agiler Projekte ab. Der Bereich der Sozialkompetenzen ist stärker gefordert und daher eine grundlegende Affinität zur zwischenmenschlichen Interaktion sowohl in leitenden als auch ausführenden Rollen wie Entwicklern notwendig. Weiterhin ist dies begründet mit einer intensiver werdenden internen Teamarbeit als auch einer zunehmenden Kollaboration zwischen verschiedenen Projekten und auch Unternehmen. Hinsichtlich der persönlichen Ebene sollten Projektleiter über Empathie sowie eine stabile Resilienz in angespannten und belastenden Situationen verfügen. Laut eines Experten (Experte 5, Abs. 56) ist ein gutes Verständnis für Menschen eine Grundlage für die erfolgreiche Projektleitung ebenso wie Fairness in der Zusammenarbeit, welche Mitarbeiter dem Projektleiter hoch anrechnen und sehr schätzen würden. Insbesondere in schwierigen Situationen sei eine Ausgeglichenheit laut Experte 1 (Abs. 85) sehr wichtig. Kommunikationskompetenzen dienen der Begleitung der möglichst offen und transparent ausgetragenen Konflikte sowie der Führung und Aufrechterhaltung der Mitarbeitermotivation. Letztlich sei eine Feedback-Kompetenz nötig, die Mitarbeitern regelmäßige und schnelle Rückmeldung ermöglicht sowie Motivation und eine optimierte Qualität der Arbeit schafft. Die Bedeutung der sozialen und persönlichen Kompetenzen wird auch in der International Competence Baseline ausführlich behandelt. Nach wie vor sind methodische Kompetenzen relevant, wie Kenntnisse zu Projektmanagementmethoden, der Ressourcen- und Kapazitätsplanung sowie dem Schätzen von Dauern und Aufwänden, um beispielsweise diese Informationen an die Linienorganisation zur Ressourcenkoordination weitergeben zu können. Im Rahmen der Verantwortung gilt es im agilen Projektmanagement vielmehr den Sinn des Projektes und den Mitarbeitern die Bedeutung ihrer eigenen Arbeit zu erklären. Häufig wird von den Befragten die Verantwortung gegenüber dem Projektteam genannt, welche aufgrund einer familiären und persönlichen Zusammenarbeit steigt. Eine große Verantwortung liegt laut der Expertenaussagen ebenfalls im Reporting des Projektes. Zwar unterscheidet sich die Art und Weise des Reportings im agilen Projektmanagement, jedoch ist mithilfe des Reportings weiterhin das Vertrauen des Managements in das Projektteam herzustellen und der Informationsbedarf der Stakeholder zu decken. Starke Veränderungen sind bei der Verantwortung des Projektleiters für das Gesamtprojekt festzustellen. Obwohl diese beim gesamten Team liegt, tragen die befragten Projektleiter weiterhin die Kostenverantwortung und berichten teilweise auch, dass ein klassisches Projekt über das agile Vorgehensmodell gestülpt wird, dessen Leitung sie verantworten. Führung im Agilen wandelt sich stark zum sogenannten Servant Leadership (Experte 4, Abs. 103). Diese Art der Führung sei durch die Herstellung eines durch Vertrauen und Unterstützung geprägten Umfelds gekennzeichnet, so die Experten 3 (Abs. 85) und 4 (Abs. 103). Hinsichtlich der disziplinarischen Führung verändert sich jedoch wenig, da die in den Interviews betrachteten Projekte weiterhin in „klassischen Projektorganisationsformen“ wie zum Beispiel der Matrixorganisation durchgeführt werden. Allerdings besteht in Matrixorganisationen ein erhöhter Abstimmungsbedarf, sodass die interviewten Projektleiter von einem Vermitteln und Problemlösen in der Schnittstelle zwischen agilem Projekt und Linienorganisation berichten. Bezüglich der Frage nach den agilen Werten zeigt sich, dass die Relevanz der Werte in der Führung aufgrund der Datenlage unklar blieb. Das könnte auf eine geringe Auseinandersetzung mit dem Handeln nach Werten und Prinzipien sowie mit den eigenen Werten und Prinzipien zurückzuführen sein. Abbildung 3 fasst beispielhafte Ergebnisse übersichtlich zusammen. Projektleiter, die sich entsprechend für agile Projekte vorbereiten oder Kompetenzen erwerben wollen, empfiehlt sich vor allem die Kombination von traditionellen und agilen Projektmanagementansätzen und entsprechenden Weiterbildungen und Zertifizierungen. Besonders in größeren Projekten scheinen traditionelle Kenntnisse hilfreich, da umfangreichere Managementaufgaben wie Einkaufsprozesse, Ressourcenmanagement und Abstimmungen mit der Linienorganisation erforderlich sind. Ein weiterer Fokus liegt auf zwischenmenschlichen Kompetenzen, wie Kommunikation und Moderation, aber auch Themen der Persönlichkeitsentwicklung, um Mitarbeiter in der Projektarbeit sowie auf ihren eigenen Entwicklungswegen begleiten zu können. Zusammenfassend ist auf der Basis der durchgeführten Interviews die Rolle des Projektleiters weiterhin relevant. Einige Leitungs- und Führungsaufgaben sowie Kompetenzen werden von den agilen Rollen gar nicht oder nicht ausreichend abgedeckt. Mehrwerte schafft der Projektleiter in der Schnittstelle zwischen klassischer und agiler Organisation und in hybriden Projekten sind Projektleiter beispielsweise in Form eines Program Owners oder Programmleiters erforderlich. Projektleiter werden demnach häufig noch benötigt, übernehmen jedoch auch agile Rollen in den heutigen Projekten. Solange die eigene Linienorganisation bzw. die Organisation des Kunden in externen Projekten noch nicht annähernd vollständig agil sind, ist vor dem Hintergrund der Interviewergebnisse davon auszugehen, dass die Projektleiterrolle vorerst weitgehend bestehen bleibt. Ausblick und Fazit Aus den Ergebnissen der hier vorgestellten Untersuchung zeigt sich weiterer Forschungsbedarf vor allem in der Schnittstelle zwischen Linienorganisation und agilem Projekt, beispielsweise in der Abstimmung bezüglich des Ressourcenbedarfs, aber auch in der Schärfung und Abgrenzung der Projektleiterrolle von den agilen Rollen. Dies würde dem Vermeiden von Unklarheiten hinsichtlich der Rollen in den Projektmanagementmethoden und vor allem in hybriden Ansätzen dienen. Mit den gewonnenen Erkenntnissen der hier vorgestellten Untersuchung können sich Projektleiter nun ein Bewusstsein über ihre Rolle und deren Bedeutung verschaffen. Ferner können diese und alle weiteren Interessierten und Betroffenen ihren Weiterentwicklungsbedarf ableiten und optimieren. Dazu können beispielsweise Defizite in der agilen Vorgehensweise im eigenen Projekt mit dem Agilitätsgradmodell identifiziert und Entwicklungspotenziale abgeleitet werden, in welchen der Projektleiter selbst seine Kompetenzen auszuweiten hat. Personalabteilungen können die veränderten Anforderungen hinsichtlich der zu bewältigenden Aufgaben und notwendigen Kompetenzen eines Bewerbers in Stellenbeschreibungen verfeinern. Ebenso bieten die Erkenntnisse der unternehmensweiten Weiterbildung die Chance, für die Zukunft relevante Kompetenzen zu vermitteln und somit das bereits vorhandene Personal sinnvoll weiterzuentwickeln. Das Modell des Agilitätsgrades, welches der Einschätzung 00_PM_aktuell_02_2021_SL2b.indb 39 00_PM_aktuell_02_2021_SL2b.indb 39 19.04.2021 10: 55: 08 19.04.2021 10: 55: 08 Wissen | Die Projektleiterrolle im agilen Projektmanagement 40 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 32. Jahrgang · 02/ 2021 DOI 10.24053/ PM-2021-0027 der agilen Ausprägungen im Projekt dient, hilft allen Personen im Projekt, die agile Arbeitsweise besser einzuschätzen und ein gemeinsames Verständnis zum gelebten Projektmanagement im Projekt oder der Organisation zu entwickeln. Abschließend möchte ich mich sehr herzlich beim Fachgebiet Projektmanagement, insbesondere Frau Pia Herrmann, für die Unterstützung meiner Arbeiten bedanken. Eingangsabbildung: © iStock.com / egon69 Literaturverzeichnis [1] Cohn, Mike: Agile Softwareentwicklung. Mit Scrum zum Erfolg! Addison-Wesley, München 2010. [2] Wieczorrek, Hans W. / Mertens, Peter: Management von IT-Projekten. Von der Planung zur Realisierung. 4. überarbeitete und erweiterte Auflage. Springer-Verlag (Xpert.press), Berlin Heidelberg 2011. [3] Fittkau, Thomas / Ruf, Walter: Ganzheitliches IT-Projektmanagement: De Gruyter, Oldenbourg 2008. [4] Bea, Franz Xaver / Scheurer, Steffen / Hesselmann, Sabine: Projektmanagement. 3. Auflage. UTB, Stuttgart 2018. [5] Project Management Institute: Agile Practice Guide (English). PA: Project Management Institute, Newtown Square 2017. [6] Becker, Manfred: Personalwirtschaft. Lehrbuch für Studium und Praxis. Schäffer-Poeschel Verlag, Stuttgart 2013. [7] Litke, Hans-D. / Kunow, Ilonka / Schulz-Wimmer, Heinz: Projektmanagement. 3. aktualisierte Auflage. Haufe TaschenGuide, Freiburg 2015. [8] Peipe, Sabine: Crashkurs Projektmanagement. Erste Hilfe Ratgeber. 4. Aufl. Haufe Verlag, 2009. [9] Kuster, Jürg / Bachmann, Christian / Huber, Eugen / Hubmann, Mike / Lippmann, Robert / Schneider, Emil / Schneider, Patrick / Witschi, Urs / Wüst, Roger: Handbuch Projektmanagement. Agil- - Klassisch- - Hybrid. 4. vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage. Springer Gabler, Berlin 2019 [10] Kuster, Jürg / Huber, Eugen / Lippmann, Robert / Schmid, Alphons / Schneider, Emil / Witschi, Urs / Wüst, Roger: Handbuch Projektmanagement. Springer Verlag, Berlin Heidelberg 2006. [11] International Project Management Association: Individual Competence Baseline für Projektmanagement. Version 4.0 / Deutsche Fassung. International Project Management Association (IPMA) (IPMA Global Standard. Publications), Zurich, Switzerland 2017. [12] Spang, Konrad: Projektorganisation. In: Spang, Konrad (Hrsg.): Projektmanagement von Verkehrsinfrastrukturprojekten. 1. Aufl. Springer Vieweg (VDI-Buch), Berlin, Heidelberg 2016, S. 95-125. [13] Bär, Christian / Fiege, Jens / Weiß, Markus: Anwendungsbezogenes Projektmanagement. Praxis und Theorie für Projektleiter. Springer (Xpert.press), Berlin Heidelberg 2017. [14] Angermeier, Georg (2019): Agiles Projektmanagement. Online verfügbar unter: https: / / www.projektmagazin. de / glossarterm / agiles-projektmanagement, Stand: 08. 11. 2019. [15] Beck, Kent / Grenning, James / Martin, Robert C.; Beedle, Mike: Manifest für Agile Softwareentwicklung. Online verfügbar unter: https: / / agilemanifesto.org / iso / de / manifesto.html. Stand: 25. 10. 2019. [16] Preußig, Jörg: Agiles Projektmanagement. Scrum, User Stories, Timeboxing & Co. Haufe-Lexware GmbH & Co. KG (Haufe TaschenGuide), Freiburg 2015. [17] Wolf, Henning / Bleek, Wolf-Gideon: Agile Softwareentwicklung. Werte, Konzepte und Methoden. 2. aktualisierte und erweiterte Auflage. Dpunkt.verlag, Heidelberg 2012. [18] Schwaber, Ken: The Scrum Guide. Online verfügbar unter: https: / / www.scrumguides.org / docs / scrumguide / v2017 / 2017-Scrum-Guide-US.pdf. Stand: 08. 11. 2019. [19] Timinger, Holger: Modernes Projektmanagement. Mit traditionellem, agilem und hybridem Vorgehen zum Erfolg. 1. Auflage. Wiley Verlag, Weinheim 2017. [20] Sutling, Kamalrufadillah / Mansor, Zulkefli / Widyarto, Setyawan / Lecthmunan, Sukumar / Arshad, Noor Habibah: Understanding of Project Manager Competency in Agile Software Development Project. The Taxonomy. In: Information science and applications, Bd. 339. Springer Lecture Notes in Electrical Engineering, 2015, S. 859-868. [21] Shastri, Yogeshwar / Hoda, Rashina / Amor, Robert: Does the Project Manager still exist in Agile Software Development Projects? Proceedings of the 23rd Asia-Pacific Software Engineering Conference, Hamilton, New Zealand, 2016. [22] Mayring, Philipp: Qualitative Inhaltsanalyse. Grundlagen und Techniken. 11. Aktualisierte und überarbeitete Auflage. Beltz, Weinheim und Basel 2010. Christoph Ochs Christoph Ochs studierte Wirtschaftsingenieurwesen an der Universität Kassel und schrieb seine Masterarbeit am Fachgebiet Projektmanagement. Nach ersten Erfahrungen als Werkstudent arbeitet er nun in der IT-Beratung in agilen Projekten. eMail: christophochs@gmx.net Prof. Dr.-Ing. Konrad Spang Prof. Dr.-Ing. Konrad Spang sammelte, nach einem Studium an der Universität Stuttgart zum Bauingenieur und der Promotion an der ETH Lausanne, mehrere Jahre Projektleitererfahrung in großen Bauprojekten, zuletzt war er als Projektmanager gesamtverantwortlich für zwei Infrastruktur-Großprojekte. Seit 2002 ist er Leiter des Fachgebiets Projektmanagement an der Universität Kassel. Universität Kassel Fachgebiet Projektmanagement Heinrich-Plett-Straße 40 34 132 Kassel Telefon: 0561 / 8 044 680, Internet: https: / / www.uni-kassel.de/ maschinenbau/ institute/ ifa/ projektmanagement/ projektmanagement/ startseite.html 00_PM_aktuell_02_2021_SL2b.indb 40 00_PM_aktuell_02_2021_SL2b.indb 40 19.04.2021 10: 55: 10 19.04.2021 10: 55: 10 41 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 32. Jahrgang · 02/ 2021 DOI 10.24053/ PM-2021-0028 Warum Lernen im Unternehmen unterschätzt wird „Wer macht schon Fehler? ! “ Tobias Kreutter, Klaus Abstein Für eilige Leser | Fehler macht man nicht, Fehler passieren. Eine Erkenntnis, die zwar marktschreierisch in Unternehmen postuliert wird, hinter der aber oft nicht mehr dahintersteckt als heiße Luft. Jedes Unternehmen hat auf irgendwelchen Strategie- und Marketingfolien solche Sprüche stehen, doch der Blick hinter die Kulissen zeigt oft ein gegenteiliges Bild. Nicht selten ist es dann an den engagierten Mitarbeitenden, die Kultur nach ihren Wünschen zu gestalten; und hier stehen Projektleiter natürlich wie immer, wenn es um Neuerungen geht, mit an vorderster Front. Wenn Sie sich jetzt angesprochen fühlen oder Ihnen diese Situation nicht ganz fremd erscheint, dann haben wir in diesem Artikel ein paar Tipps zusammengefasst, die uns geholfen haben, die Fehler- und Lernkultur zu verbessern. Im Artikel wird hierzu auf das Verständnis von Fehlern, die Unterscheidung zum Vorsatz und den Reaktionen darauf eingegangen, ebenso wie auf die Nutzung einer einfachen, aber etablierten Methode, die sich sowohl im klassischen Projektrahmen als auch im agilen Umfeld anwenden lässt. Schlagwörter | Fehlerkultur, Lernkultur, Lessons Learned, 5-Finger-Methode, Organisationsentwicklung, Praxistipps Vor vielen Jahren in einem mehr oder weniger fiktiven Unternehmen: Es ist ein verregneter Freitagnachmittag und man ist immer noch auf der Arbeit. Während man im Konferenzraum auf die letzten, verspätet eintrudelnden Teilnehmenden wartet, ist man gedanklich schon im Feierabend und im wohlverdienten Wochenende. Doch vorher gilt es noch ein obligatorisches Meeting zu überstehen: Das Feedback Meeting zum Projektabschluss. Früher einmal hieß das Ganze „Lessons Learned“ und man hatte Kollegen, die nur dafür abgestellt waren. Man war im Management der Meinung, man könne die „zu hohe Fehlerquote“ in Projekten ändern, indem man solch eine Methode einfach überstülpt, gerade da sie überall als Allheilmittel angepriesen wurde. Allerdings ging der Schuss bald nach hinten los. Den meisten alteingesessenen Mitarbeitenden war dies zu progressiv und sie waren der Meinung, dass man es ja sowieso schon immer so gemacht hätte, nur besser. Also wurden die verzweifelten Kollegen auf eine andere Stelle versetzt und das Management gab sich damit ab, dass man eben wieder mehr Mikromanagement betreiben müsse, damit nicht mehr so viele Fehler passieren. Der Begriff „Lessons Learned“ war damit auch stigmatisiert und so ging man eben dazu über, am Ende des Projekts „Feedback Sessions“ abzuhalten. Jeder der Teilnehmenden weiß zwar von vorneherein, dass die hier gesagten Dinge kaum einen Einfluss auf irgendwelche weiteren Projekte haben werden, doch die Teilnahme ist verpflichtend für alle Projektteilnehmer und deshalb lässt man es eben über sich ergehen. Und so sitzt man hier und wartet darauf, dass man es endlich hinter sich bringen kann. Drei Jahre lang hat man an dem Großprojekt gearbeitet. Und obwohl man es hat fertigstellen können, sind eigentlich alle froh, dass es endlich vorbei ist. Es gab viele Rückschläge, viele Pannen und auch viel Druck von oben, alles richtig zu machen. Nun geht es aber noch ein letztes Mal daran, das Projekt Revue passieren zu lassen, und es geht auch gleich schon los mit den Anschuldigungen. Sich gegenseitig unterbrechende Kollegen schleudern Sätze durch den Raum, die alle anfangen mit „Du hättest besser…“, „Ihr hättet ja eigentlich wissen können, dass…“, „Sowas sollte man eigentlich zu Beginn…“ oder „Hättet ihr das mal früher gemacht, dann…“. Als man aus dem Treffen rausgeht- - froh, dass es endlich vorüber ist--, sind die meistdiskutierten Themen, dass es neben dem Kaffeeangebot in Zukunft auch Tee geben sollte und dass die Schuld ja sowieso bei dem Vorgängerprojekt lag. Solche oder so ähnliche Situationen haben garantiert schon einige Projektleiter oder -mitarbeiter erlebt und gerade 00_PM_aktuell_02_2021_SL2b.indb 41 00_PM_aktuell_02_2021_SL2b.indb 41 19.04.2021 10: 55: 13 19.04.2021 10: 55: 13 Wissen | „Wer macht schon Fehler? ! “ 42 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 32. Jahrgang · 02/ 2021 DOI 10.24053/ PM-2021-0028 dann stellt man sich die Frage, was man hätte anders machen können. Bestimmt wäre das Projekt besser gelaufen, wenn man methodisch noch mehr solcher Feedback Sessions früher im Projekt eingebaut hätte. Doch neben der Methodik zeigt sich in diesem (Negativ-)Beispiel ganz deutlich, dass die Fehlerkultur dahinter essenziell für die gelebte Praxis ist. 1. Fehlerkultur: Was ist das eigentlich Um den Begriff der Fehlerkultur definieren zu können, müssen wir allerdings weiter vorne anfangen und erst einmal definieren, was überhaupt ein Fehler ist. Denn tatsächlich nutzen wir dieses Wort tagtäglich, machen uns aber keine Gedanken darüber, was wir damit ausdrücken bzw. welche Anschuldigung im negativen Sinne dahintersteckt. Im wissenschaftlichen Sinne gibt es mit der Fehlerforschung ein ganzes Forschungsgebiet, das sich damit auseinandersetzt und in dem es ein breites Spektrum an Fehlerdefinitionen gibt. Sehr lehrreich zum Verstehen der Fehlerkultur in Unternehmen ist die Fehlerdefinition nach dem Pädagogen Hermann Weimer. Dieser grenzt den Fehler und den Irrtum nämlich durch das Fehlen der Intention von den Begriffen Täuschung und Fälschung ab und gibt somit eine Erklärung, die sich auch mit unserem unterbewussten Verständnis von Fehlern deckt. [1] Diese Unterscheidung nach dem Vorhandensein der Intention kann nämlich oft ein unterbewusster Punkt sein, der unsere Reaktion auf eine Panne beeinflusst: Gehen wir von einem Fehler oder Irrtum aus, sind wir weniger emotional davon betroffen, als wenn wir dahinter einen Vorsatz vermuten. Die Unterscheidung zwischen Fehler ist passiert und einer absichtlichen Handlung unter Vorsatz wird meist nicht bewusst getroffen. Wenn wir also von Fehler sprechen, gehen wir nicht von Vorsatz aus. Im Alltag allerdings können wir nur annehmen, ob es sich um Vorsatz oder um einen (eigentlichen) Fehler handelt. Wenn emotional auf einen Fehler reagiert wird, wird sehr wahrscheinlich Vorsatz vermutet. Ein Schritt zurück und ein selbstreflektierter Blick aus der Vogelperspektive hilft, die Situation richtig einzuschätzen. Es gilt zu fragen, aktiv zuzuhören und sich in den anderen hineinzuversetzen, um diese Annahme aufzulösen. Doch gerade, wenn wir einschätzen wollen, ob es sich um Fehler oder Vorsatz handelt, ist es wichtig zu verstehen, wie Fehler entstehen. Denn Fehler passieren nun einmal. Dies bemerkte auch schon Cicero im Jahre 43 v. Chr., ähnlich zu dem heute vielfach zitierten Sprichwort „Irren ist menschlich“. Doch die Ursachen für Fehler können mannigfaltig sein. Dies zeigt sich auch in der Fehlerforschung, die vielfältige Definitionen und Ursachenbeschreibungen je nach Anwendungsgebiet bereithält. Laut dem Pädagogen Martin Weingardt kann man jedoch einen Fehler ganz allgemein über die Erwartungen und Alternativen definieren: „Als Fehler bezeichnet ein Subjekt angesichts einer Alternative jene Variante, die von ihm-- bezogen auf einen damit korrelierenden Kontext und ein spezifisches Interesse-- als so ungünstig beurteilt wird, dass sie unerwünscht erscheint.“ [ 2 ] Daher kann man verallgemeinernd formulieren: Wenn es keine Alternative gibt, kann es auch keinen Fehler geben. Basierend darauf kann man einen Fehler also immer als eine Entscheidung für eine Alternative interpretieren, die sich rückwirkend betrachtet als unerwünscht erwiesen hat. Im betrieblichen Kontext ist es nicht anders. Wir müssen tagtäglich Entscheidungen treffen, die sich im Nachhinein als falsch oder richtig erweisen können. Oftmals haben wir hierbei aber nur wenige Entscheidungsoptionen vor Augen, obwohl es bei genauerer Betrachtung deutlich mehr gibt. So hilft es auch hier, kurz innezuhalten und sich vor Augen zu führen, welche Optionen man noch ergreifen könnte. Ein Alternative kann sein, einfach keine der vorliegenden Optionen zu wählen und erstmal keine explizite Entscheidung zu treffen, um sich weitere Informationen einzuholen und Zeit zu verschaffen. Eine andere Alternative könnte sein, einen Kompromiss zwischen den vorliegenden Alternativen zu erarbeiten. Dies ist auch eine Methode, die man sehr gut zur Sensibilisierung für Fehler heranziehen kann. In Trainings zum Thema „Lernen und Fehlerkultur“ benutzen wir sie anhand von Beispielen aus der jüngsten Vergangenheit der Teilnehmenden, um zu verdeutlichen, wie man aus einem Entscheidungsdilemma ein Tetralemma oder Polylemma machen kann. Unabhängig von der konkreten Fehlerursache beschreibt die Fehlerkultur, wie wir als Organisation mit den erkannten Fehlern umgehen. Sie beschreibt jedoch nicht, wie wir vorsätzlich falsche Handlungen handhaben. Der Umgang mit Fehlern kann sich verschieden äußern und hat erheblichen Einfluss auf das Lernverhalten sowie die grundsätzliche Bereitschaft Fehler zu riskieren. Denn gerade durch einen Fehler wird uns aufzeigt, dass sich etwas anders verhält, als wir es erwartet haben. Deshalb wird das bisher geltende Wissen angezweifelt, da es nicht ausgereicht hat, um eine adäquate Handlungsalternative zu bestimmen. Wir werden aus unserer Routine gerissen und unserer eigenen Unwissenheit bewusst, was somit der erste, notwendige Schritt zu neuen Erkenntnissen ist. [3] Daher ist das Lernen unmittelbar mit dem Begehen von Fehlern verknüpft. Doch nicht nur aus den eigenen Fehlern können wir lernen, sondern auch aus den Fehlern anderer, wie der folgende Aphorismus deutlich macht: „Wir müssen auch aus den Fehlern anderer lernen, denn wir leben nicht lange genug, um sie alle selbst zu machen“. Deshalb ist es umso wichtiger, wie wir generell auf Fehler-- sowohl auf eigenverschuldete als auch auf fremdverschuldete-- reagieren. Als Reaktionen auf Fehler kann man hierbei drei maßgebliche Szenarien unterscheiden: • Bestrafung • Laissez-Faire • Coaching Bestrafung meint hierbei, dass für den Fehlerverantwortlichen negative Maßnahmen folgen. Diese können aus expliziten Maßnahmen wie Degradierung oder Abmahnung bestehen, sie können aber auch durch implizite Maßnahmen wie Imageverlust oder Bloßstellung vorkommen. Eine Fehlerkultur, die maßgeblich auf Bestrafung als Reaktion setzt, führt zu dem Effekt, dass Fehlervermeidung primäres Ziel wird und somit ein Lerneffekt für die Organisation als Ganzes ausbleibt. Infolge einer solchen Strategie kommen Lernimpulse nur noch von außerhalb der Organisation und es kommt zu einem Verlust an Eigeninnovation und Lernbereitschaft. Eine komplementäre Maxime vertritt der Laissez-Faire-Stil. Angelehnt an den gleichnamigen Erziehungsstil aus der Sozialpädagogik vertritt dieser Stil die Haltung, dass man im Fehlerfall ohne jegliche Einmischung auskommt. Dies führt aber im organisationalen Kontext dazu, dass es für das Indi- 00_PM_aktuell_02_2021_SL2b.indb 42 00_PM_aktuell_02_2021_SL2b.indb 42 19.04.2021 10: 55: 13 19.04.2021 10: 55: 13 Wissen | „Wer macht schon Fehler? ! “ 43 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 32. Jahrgang · 02/ 2021 DOI 10.24053/ PM-2021-0028 viduum keinen Druck gibt, aus den Fehlern etwas zu lernen. Während man im pädagogischen Kontext noch argumentieren kann, dass die Zwänge zum Lernen durch negative Erfahrungen aus dem Umfeld kommen, geschieht dies im organisationalen Rahmen nicht mehr, wenn die Organisation diese nicht bietet. Währenddessen bietet Coaching als Reaktion auf Fehler einen extrinsischen Anreizpunkt für das Individuum, sich mit seinen Fehlern auseinanderzusetzen. Im Vergleich zur Bestrafung ist dieser Anreiz aber deutlich positiver behaftet, da es nicht um Schuldzuweisung und Ahndung geht, sondern lediglich um den Lerneffekt für die Organisation. Hierbei ist vor allem wichtig, dass der Fehlerverantwortliche Unterstützung erfährt, um den Fehler aufzuarbeiten und daraus lernen zu können. Das Bewusstsein für Fehler wird positiv erlebt und die Angst künftig Fehler zu begehen wird relativiert. Im Hinblick auf die Anpassungsfähigkeit und Innovationskraft von Unternehmen wird immer wieder von lernenden Unternehmen geredet. Wie wir im vorangegangenen Abschnitt gesehen haben, ist aber wichtig, dass die Fehlerkultur auch entsprechend angepasst ist. Denn weder mit Bestrafung noch mit Laissez-Faire kann eine solche lernende Organisation nachhaltig gestaltet werden. Doch wie bei allen Kulturthemen ist es wichtig, dass die Kultur auch authentisch gelebt wird, um so überhaupt erst einen angstfreien Raum schaffen zu können, in dem die Organisation von Fehlern profitieren kann. 2. Fehlerkultur in Projekten anwenden: Der Klassiker „Lessons Learned“ Einen solchen angstfreien Raum kann man zwar durch das persönliche Vorleben solcher Werte schaffen, allerdings ist dies ein langfristiges Unterfangen-- was eine Kulturveränderung jedoch immer ist. Im Kleinen kann man dies aber auch methodisch angehen, indem man das Lernen dort strukturiert verankert, wo es viele Neuheiten und Veränderungen und damit auch viel Potenzial für Fehler gibt: in Projekten. Wie im Kapitel zuvor angesprochen, gehen wir auch hiervon wirklichen Fehlern aus, nicht von vorsätzlichen Handlungen. Obwohl in der gelebten Praxis auch klar sein muss, dass meist persönliche Interessen und eigene Anliegen vorhanden sind, die dann die Lernfähigkeit behindern. Grundsätzlich jedoch hilft eine gute Selbstreflexion beim Lernen. In den meisten betrieblichen Weiterbildungskatalogen steht Selbstmanagement aber nicht auf der Prioritätenliste der Qualifizierungsmaßnahmen, sofern überhaupt explizit aufgeführt. Und gelernt haben wir dies in den meisten Fällen auch nicht. Also woher sollen wir den Umgang mit Fehlern kennen? Eine strukturierte Methode des organisationalen Lernens ist der Klassiker aus den 90er Jahren: „Lessons Learned“. Wie am Eingangsbeispiel süffisant dargestellt, ist es oft am Ende des Projektes verortet. Der Begriff ist zudem leider oft negativ belegt, dabei bietet „Lessons Learned“ so viel mehr als oft wahrgenommen wird. „A Lesson Learned is a change in personal or operational behavior as a result of experience.“ [4] Lessons Learned ist eine strukturierte Methode zur systematischen Sammlung, Bewertung, Anwendung und Weitergabe von Erfahrungen bzw. Erfahrungswissen, die im Rahmen von Projekten oder Arbeitsabläufen gemacht wurden. Dabei werden positive wie negative Erfahrungen berücksichtigt. Der Begriff „Lessons Learned“ wird sowohl für gemachte Erfahrungen als auch für die Methode sowie für den Prozess verwendet. Also verwundert es nicht, dass jeder etwas anderes darunter versteht und erwartet. Warum also sollte man Lessons Learned einsetzen? Auf abstrakter Ebene hilft es bei der kontinuierlichen Verbesserung und Weiterentwicklung, bei der Nutzung und Weitergabe von relevantem Wissen in den Geschäftsprozessen und unterstützt die Ziele und Unternehmensstrategien. Die Vorteile im Überblick: • Unterschiedliche Sichtweisen der Projektmitglieder / Bereiche werden transparent • Steigerung der Effizienz durch Umsetzung konkreter Maßnahmen • Gemeinsames Verständnis zu Stärken und Schwächen sowie deren Ursachen wird entwickelt • Selbsterkenntnis wird gefördert • Wissen der Gruppe wird genutzt • Feedback-Kultur wird gestärkt Die Lernschleife des Lessons-Learned-Prozesses zur kontinuierlichen Weiterentwicklung ist einfach. Erfahrungen werden in regelmäßigen Besprechungen identifiziert. Hierzu gehört die Betrachtung von positiven Erfahrungen und Möglichkeiten zur Verbesserung, genauso wie die zwischenmenschliche Betrachtung auf der sozialen Ebene. Daraus abgeleitet werden Maßnahmen und konkrete Aktivitäten definiert. Hierbei ist zwingend darauf zu achten, dass diese im entsprechenden Beeinflussungsbereich liegen. Der potenzielle Nutzen muss genauso klar sein wie die Verantwortlichkeiten. Nachverfolgung hilft, dass die Maßnahmen nicht verstauben oder gar im Papierkorb verschwinden. Denn der kritische Erfolgsfaktor ist die Integration des Gelernten und das Teilen der Erfahrungen mit den Kollegen. Hierbei muss es kein formeller Rahmen oder die Dokumentation in einer Knowledge-Base sein. Oft reicht einfaches Netzwerken aus, damit klar ist, an wenn ich mich für spezifisches Erfahrungswissen wenden kann. „Lessons Learned“ ist zunächst einmal eine Methode, die in einer Regelmäßigkeit vielfältig angewendet werden kann, sowohl bei der Optimierung von Prozessen, zur individuellen Entwicklung genauso wie zur Teamentwicklung. Am meisten genutzt wird sie aber im Kontext des Projektmanagements, indem es auch wieder verschiedene Anknüpfungspunkte im Projektlebenszyklus gibt. Gleich zu Beginn eines Projekts, liegt der Fokus auf der Nutzung von Erfahrungen aus anderen Projekten, zur Vermeidung von-- der Organisation bereits bekannten-- Fehlern: das Befolgen des sogenannten „0 Gebots“. Dieses Einholen von bereits bekannten Fehlern und Erfahrungen wird leider oft vergessen und unterschätzt. Auch wird es leider viel zu selten vom Management eingefordert und Zeit hierfür bereitgestellt. Doch gerade bei der Initiierung von neuartigen Vorhaben ist es ein enormer Erfolgsfaktor, der erheblich Zeit und Ressourcen sparen kann. Doch nicht nur zu Beginn, sondern auch während der Projektlaufzeit sorgen regelmäßige Lessons-Learned-Events dafür, dass Erfahrungen direkt in das Projekt miteinfließen. Hierzu bieten sich meist die Meilensteine an, man kann sich aber auch an agilen Methoden orientieren und solche Events in fester zeitlicher Regelmäßigkeit (z. B. monatlich) einplanen. Bei agilen Methoden wie Scrum ist dieser Lernprozess bereits fest verankert in der Retrospektive und in der Review. 00_PM_aktuell_02_2021_SL2b.indb 43 00_PM_aktuell_02_2021_SL2b.indb 43 19.04.2021 10: 55: 14 19.04.2021 10: 55: 14