PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
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GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.Unterwegs in „Audi spaces“
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Oliver Steeger
Mit Teamkollegen zusammensitzen, an Ideen und Plänen arbeiten, in der Pause gemeinsam einen Kaffee trinken – während der Pandemie war dies für viele Mitarbeiter kaum möglich. Zumeist verbanden Videokonferenzen die Menschen in ihren Homeoffices. Einige Unternehmen indes suchten neue Wege: Bei Audi beispielsweise finden viele Workshops, Schulungen oder lange Teambesprechungen im sprichwörtlichen virtuellen „Raum“ statt, in dem sich die Avatare der
Teilnehmer treffen. „Audi spaces” nennt sich der digitale Ort für Zusammenkünfte. Dies ist alles andere als Spielerei. Bei Audi weiß man: Kommunikation in virtuellen Räumen ist für das menschliche Gehirn entspannend – und wesentlich einfacher als eine Videokonferenz. So können Mitarbeiter stundenlang ermüdungsfrei an virtuellen Konferenzen oder Workshops teilnehmen. Maria Appel (Referentin für Applikationen in der Audi Mitarbeiter IT) und Alexander Schiera (Berater für digitales Lernen in der Audi Akademie) erklären, weshalb sich Projektteams auch nach der Pandemie im virtuellen Space treffen werden.
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17 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 32. Jahrgang · 03/ 2021 DOI 10.24053/ PM-2021-0043 Im Interview mit Maria Appel und Alexander Schiera: Auch nach der Pandemie Kommunikation im virtuellen Raum Unterwegs in „Audi spaces“ Oliver Steeger Mit Teamkollegen zusammensitzen, an Ideen und Plänen arbeiten, in der Pause gemeinsam einen Kaffee trinken-- während der Pandemie war dies für viele Mitarbeiter kaum möglich. Zumeist verbanden Videokonferenzen die Menschen in ihren Homeoffices. Einige Unternehmen indes suchten neue Wege: Bei Audi beispielsweise finden viele Workshops, Schulungen oder lange Teambesprechungen im sprichwörtlichen virtuellen „Raum“ statt, in dem sich die Avatare der Teilnehmer treffen. „Audi spaces” nennt sich der digitale Ort für Zusammenkünfte. Dies ist alles andere als Spielerei. Bei Audi weiß man: Kommunikation in virtuellen Räumen ist für das menschliche Gehirn entspannend-- und wesentlich einfacher als eine Videokonferenz. So können Mitarbeiter stundenlang ermüdungsfrei an virtuellen Konferenzen oder Workshops teilnehmen. Maria Appel (Referentin für Applikationen in der Audi Mitarbeiter IT) und Alexander Schiera (Berater für digitales Lernen in der Audi Akademie) erklären, weshalb sich Projektteams auch nach der Pandemie im virtuellen Space treffen werden. Die Pandemie hat die Art, wie Menschen zusammenarbeiten und lernen, grundlegend verändert. Das „Homeoffice“ ist für viele die Regel geworden. Vielfach bestimmt die Remote-Arbeit, wie wir kommunizieren und kooperieren. Wie hat sich aus Ihrer Sicht die Zusammenarbeit verändert? Maria Appel (MA): Die Nutzung digitaler Medien hat stark zugenommen. Dies führt auch dazu, dass wir heute enger und agiler zusammenarbeiten. Natürlich gab es digitale Kommunikationsmedien schon vor der Pandemie. Sie waren beispielsweise bei internationalen, verteilten Teams verbreitet; dort haben sie Wege- und Arbeitszeit gespart. Alexander Schiera (AS): Die Pandemie hat plötzlich den Einsatz digitaler Medien in der Breite erforderlich gemacht. Viele Mitarbeiter wurden quasi ins kalte Wasser geworfen. Sie haben entdeckt, dass und wie digitale Medien für sie funktionieren. Dies hat Berührungsängste abgebaut- - und zu einer breiten Akzeptanz von digitalen Medien geführt. Wie hat sich diese Technologie auf die Kommunikation und Zusammenarbeit selbst ausgewirkt? AS: Die Kommunikation ist aus meiner Sicht disziplinierter geworden. Aus vielen Teams höre ich, dass digitale Medien das Zeitmanagement disziplinieren. Man kommt schneller und fokussierter durch das Besprechungsprogramm. Das sehen viele als Vorteil, und diesen Vorteil werden wir auch in die Zeit nach der Pandemie mitnehmen. Sie gehen also davon aus, dass das, was wir in der Pandemie kennengelernt haben, bleiben wird? AS: Ich bin mir sicher, dass vieles bleiben wird. Vermutlich werden wir die digitalen Medien nicht mehr so stark und ausschließlich wie heute nutzen. Man wird in Zukunft natürlich wieder zusammenkommen und persönlich an Workshops teilnehmen. Die persönliche Begegnung fehlt vielen Menschen. Doch man hat auch die Vorteile erkannt, die die digitale Kommunikation persönlich bringt. Neben dem Zeitmanagement spielen mit Sicherheit die Wegezeiten eine Rolle, etwa Anreisen zu Besprechungen. Wer beruflich viel und weit pendelt, der weiß, wie gut sich die digitalen Medien auf die eigene Zeitplanung auswirken. Man sitzt weniger in Autos und Zügen. Dieser Mehrwert ist vielen wichtig geworden. MA: Ende 2020 haben wir sogar Weihnachtsfeiern digital durchgeführt. Erstaunlich, wie gut dies ging und wie gut auch Stimmung und Gemeinschaftsgefühl dabei aufkamen. Vielleicht wird man in Zukunft Weihnachtsfeiern nicht mehr ganz Reportage Unterwegs in „Audi spaces“ DOI 10.24053/ PM-2021-0043 32. Jahrgang · 03/ 2021 Reportage | Unterwegs in „Audi spaces“ 18 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 32. Jahrgang · 03/ 2021 DOI 10.24053/ PM-2021-0043 „Audi spaces“ ist ein virtueller, dreidimensionaler Raum, in dem sich Menschen treffen, um zu lernen und zusammenzuarbeiten. Dabei Es handelt sich nicht um einen einzigen Raum, sondern um mehrere- - ein Ensemble aus Plenum, Gruppenräumen, Besprechungszimmern und Außenterasse. Quasi ein virtuelles Konferenzzentrum. Es gibt Tische, Stühle und Medienwände. Wer in Audi spaces an virtuellen Besprechungen oder Schulungen teilnimmt, bekommt einen Avatar, eine Art digitale Figur, die sein Stellvertreter ist. Mit diesem Avatar bewegt sich der Teilnehmer durch die Räume, begegnet anderen Avataren, hinter denen beispielsweise Kollegen stehen. Beispielsweise setzt man sich mit seinem Kollegen an einen Tisch, trinkt einen virtuellen Kaffee und diskutiert eine Frage. Oder nimmt an einer Besprechung mit zwanzig oder mehr Personen teil, die um einen Tisch herumsitzen. Dies alles erinnert an Computerspiele mit Teilnehmern, die (eigentlich) daheim am Schreibtisch sind. „Socializing“ im virtuellen Raum: Die Teilnehmer in ihren Homeoffices sind unterwegs mit Avataren, also digitalen Stellvertretern. Das menschliche Gehirn interpretiert virtuelle Meetings als real und echte Begegnung. Foto: AUDI AG in den virtuellen Raum verlegen. Doch den Vorteil, dass man Menschen aus der Distanz dazu holen kann, haben viele erfahren. Da geht es letztlich nicht mehr nur um Zeitersparnis, sondern auch um Nachhaltigkeit. Alles in allem: Ich gehe davon aus, dass Menschen lernen werden, in welcher Situation welches Medium für sie am besten ist und die Erfordernisse optimal erfüllt. Sie werden für die jeweilige Situation das geeignete Medium wählen. Im vergangenen Jahr haben Sie bei Audi ein innovatives digitales Medium für Kommunikation eingeführt. „Audi spaces“ ist ein virtueller, dreidimensionaler Raum. In diesem Raum treffen sich Menschen, um zu lernen und zusammenzuarbeiten. Weshalb bieten Sie diese Treffen im virtuellen Raum an? Die klassische Videokonferenz hat während der Pandemie gute Dienste geleistet. MA: Eine Videokonferenz ist hilfreich und praktisch. Man sieht einander. Dort spürt jedoch jeder, dass man getrennt voneinander ist. Da ist eine große räumliche Distanz, auch gefühlt. Man ist nicht richtig zusammen. Audi spaces ändert dies. Die Teilnehmer empfinden sich wirklich als „zusammen“, denn sie sitzen im selben virtuellen Raum. Gemeinschaftsgefühl entsteht-- obwohl die Teilnehmer in der realen Welt getrennt voneinander sind. Die virtuelle Nähe erleichtert die Kommunikation, und die digital durchgeführte Konferenz ist nicht so anstrengend. Inwiefern nicht so anstrengend? MA: Die räumliche Komponente ist wichtig für das menschliche Gehirn. Es ist nicht auf Videokonferenzen ausgelegt. AS: Derzeit sehe ich Sie in einem kleinen Fenster auf meinem Bildschirm-… …- wir führen gerade unser Interview digital durch. Was würde sich in Audi spaces für uns ändern? AS: In Audi spaces würden wir in einem Raum sitzen, beispielsweise an einem Tisch. Wir würden uns beim Sprechen einander zuwenden. Wir würden hören, aus welcher Richtung jeder jeweils spricht. Sitze ich links neben Ihnen, hören Sie mich in der linken Ohrmuschel Ihres Kopfhörers. Das vermittelt Nähe. Man hat das Gefühl, wirklich dabei zu sein-- statt daheim am Bildschirm zu sitzen. MA: Teilnehmer können sich im virtuellen Raum frei bewegen. Arbeitsgruppen können sich zu Breakout Sessions in andere Räume zurückziehen. Sie gehen buchstäblich dorthin. Und: Wir würden mit Medienwänden arbeiten, auf denen man Bildschirme teilen oder Präsentationen zeigen kann-- ähnlich, wie man Beamer benutzt in realen Besprechungsräumen. Man kann nicht nur eine Wand benutzen, sondern mehrere. Auch lassen sich 3-D-Objekte in den Raum stellen, die man gemeinsam anschaut. Das kann für Schulungen hilfreich sein. Sie sagten, man hat das Gefühl wirklich dabei zu sein. Weshalb ist dieses Gefühl der Nähe so wichtig? Reportage | Unterwegs in „Audi spaces“ 19 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 32. Jahrgang · 03/ 2021 DOI 10.24053/ PM-2021-0043 AS: In der virtuellen Umgebung oder bei Virtual Reality Anwendungen spricht man von Immersion. Immersion bezeichnet das Gefühl, dass man etwas Virtuelles als real wahrnimmt. Dieses Gefühl der Realität erzeugt Nähe. Weil man sich tatsächlich als Teil dieser virtuellen Welt fühlt? AS: Richtig. Je ähnlicher die virtuelle Welt der realen ist, desto leichter kommt das Gehirn mit ihr zurecht. Man kann das Gehirn dazu bringen, eine digitale Welt als real, bekannt und vertraut wahrzunehmen. Das ist ein wichtiger Punkt bei der Entwicklung von virtuellen Welten. Ich kenne dieses Gefühl der Immersion von Virtual Reality Brillen her. Man setzt sich diese Brillen auf, und man findet sich in einer anderen Welt wieder. Manchmal werden Menschen etwa gebeten, in der virtuellen Welt eine schwindelerregende Schlucht zu überqueren- - und zwar auf einem schmalen Steg. Die Menschen wissen, dass diese Welt nicht wirklich ist. Dennoch zögern sie. Und manche empfinden echte Höhenangst in der künstlichen Welt. MA: Das ist ein gutes Beispiel für Immersion. Je detailgetreuer die virtuelle Welt ist und je mehr sie der realen gleicht, desto besser gelingt Immersion. Anders gesagt: Die visuelle und akustische Räumlichkeit sowie die vertrauten Gegenstände in Audi spaces sind keine Spielereien. Sie wollen mit diesen Features Immersion erzeugen- - um den Menschen den Aufenthalt zu erleichtern. AS: Richtig. Der Vorteil ist, dass sich das Gehirn dann entspannen kann. So nützlich herkömmliche Videokonferenzen sind- - sie verlangen dem Gehirn viel unbewusste Arbeit ab. Es muss sich ständig zurechtfinden und orientieren, etwa Stimmen den Videobildern zuordnen. Das strengt an. Unser Gehirn ist für diese Kommunikation also nur bedingt geeignet? MA: Ja. Das haben viele Menschen während der Pandemie erlebt. Zu Beginn des Lockdowns hatten wir mehrstündige Besprechungen und Schulungen über Videokonferenzen durchgeführt. Wir haben schnell erkannt: Wer einige Stunden an einer Videokonferenz teilnimmt, ist erschöpft und nimmt Inhalte kaum noch auf. Wir haben anfangs deshalb lange Workshops und Schulungen zeitlich verkürzt oder auf mehrere Tage aufgeteilt. In Audi spaces ist dies anders? MA: Viele Teilnehmer melden zurück, dass die virtuelle Kommunikation dort wirklich weniger ermüdend ist. Sie können sich besser auf Gespräche fokussieren und Inhalte optimal aufnehmen. Einige Teilnehmer waren selbst überrascht, wie lange sie sich mühelos in den virtuellen Räumen aufhalten können. AS: Wir haben in Audi spaces weitestgehend darauf geachtet, dass wir keine realitätsfernen Features verwenden, beispielsweise Aktionen, die in der Realität nicht möglich wären. Etwa das Sprechen mit einer anderen Person, obwohl diese sich nicht im gleichen Raum befindet. Solche realitätsfernen Brüche erkennt das Gehirn sofort. Es nimmt sie als Fremdkörper wahr, darunter leidet die Immersion. Wenn Immersion die virtuelle Kommunikation so sehr erleichtert- - wie kann man diese Immersion weiter begünstigen? Optische und akustische Räumlichkeit sind vermutlich nur ein Teil davon. AS: Begünstigend ist die natürliche Umgebung, die die Teilnehmer etwa eines Trainings oder einer Schulung gewohnt sind. Beispielsweise sind Produktionsmitarbeitern etwa Werkstätten vertraut. Wir wurden gefragt, ob wir eine Variante mit einer Werkstatt bereitstellen können. Produktionsmitarbeiter Eine Konferenz in „Audi spaces“. Die Kommunikation wird erleichtert durch menschliche Gesten, etwa das Heben der Hand. Foto: AUDI AG Reportage | Unterwegs in „Audi spaces“ 20 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 32. Jahrgang · 03/ 2021 DOI 10.24053/ PM-2021-0043 fühlen sich wohl in solch einer Umgebung, und sie nehmen sie nicht als Fremdkörper wahr. Entscheidend ist also, dass man die Immersion erhöht. In Audi spaces finden sich auch Dinge wie Konferenztische oder Stühle. Man kann wirklich Platz nehmen auf einem Stuhl und sogar einen virtuellen Kaffee trinken. Wo hört das Angebot zur Immersion auf-- und fängt Spielerei an? MA: Wir halten solche Dinge für sehr wichtig. In Audi spaces können sich Teilnehmer beispielsweise zu Kamingesprächen zusammensetzen. Die Räume sind sehr schön gestaltet mit einem virtuellen Kaminfeuer. Die Atmosphäre unterstützt das Gespräch. Etwa bei Mitarbeitergesprächen ist es wichtig, dass sich die Beteiligten öffnen. Der Wohlfühl-Faktor spielt dabei eine Rolle. Weihnachten hatten wir sogar einen Weihnachtsbaum und Schneeflocken. Solche kleinen Features, die auch Spaß machen, gehören dazu. Zur Adventszeit konnte man beispielsweise Weihnachtsmusik aktivieren. Dies überrascht Teilnehmer und löst positive Emotionen aus. Die Teilnehmer fühlen sich dadurch etwas mehr willkommen. AS: Solche Effekte kennen wir ja auch aus dem realen Arbeitsleben. Weshalb stellen Unternehmen im Dezember Weihnachtsbäume in Eingangsbereichen auf? Solche Dinge rufen etwas bei Menschen hervor. Sie erzeugen ein Gemeinschaftsgefühl. Das Gehirn verknüpft solche Eindrücke sehr schnell. Nicht nur Räume und Gegenstände haben positiven Einfluss auf Kommunikation, sondern vor allem die Körpersprache. Es heißt, dass wir das meiste, was wir „sagen“, über unseren Körper ausdrücken- - durch unsere Haltung oder Gestik. Videokonferenzen haben da Fortschritte gebracht. Man kann wenigsten die Mimik der anderen sehen. AS: Dennoch bleibt vieles in Videokonferenzen verborgen. Beispielsweise können Sie niemanden direkt ansprechen, indem Sie sich ihm zuwenden und ihn direkt ansehen. In Audi spaces ist die möglich? AS: Ja. Wir bezeichnen das in der Realität manchmal als Nettikette-… …-also Etikette fürs Internet-… AS: Richtig. Dies funktioniert in Audi spaces sehr gut. Ein Beispiel aus einem realen Training: Vielleicht kennen Sie das Gefühl der Distanz, wenn sich der Trainer zum Flipchart umdreht, schreibt und Ihnen dabei den Rücken zudreht. Sobald er sich Ihnen wieder zuwendet und Sie ansieht, ist das Gefühl der Nähe wieder da. Er schaut Sie fest an. Sie verstehen sofort, dass er wirklich mit Ihnen redet. Das löst ein Gefühl der Verbindlichkeit aus. Funktioniert dies auch im virtuellen Raum? MA: Es funktioniert sehr gut. Wir können uns mit unserem Avatar anderen zuwenden, sie anschauen und ansprechen. Unser Gehirn nimmt dies mit der gleichen Bedeutung wahr wie in der Realität. Wir fühlen uns wirklich angesprochen. AS: Wenn ich andere in Audi spaces einweise, provoziere ich gelegentlich absichtlich solche Reaktionen. Ich trete mit meinem Avatar ganz nah an die andere Person heran-… …- in der realen Welt würde man vielleicht einen Schritt zurückweichen. Wir haben eine kulturell akzeptierte Mindestdistanz zwischen Menschen. Viele mögen es nicht, wenn ihnen etwa Kollegen zu nahe kommen-… AS: Genau das tun Menschen mit ihren Avataren auch in Audi spaces. Komme ich zu nahe, treten sie zurück. Mit anderen Worten: Wir reagieren auf solche sozialen Reize auch im virtuellen Raum? AS: Ja. Angenommen, Sie stellen eine Frage in einer Videokonferenz. Häufig dauert es einige Sekunden, bis sich jemand angesprochen fühlt. Im virtuellen Raum sprechen Sie Menschen direkt an. Sie drehen sich mit ihrem Avatar zu ihnen Präsentationen an Medienwänden etwa für Schulungen. Foto: AUDI AG Reportage | Unterwegs in „Audi spaces“ 21 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 32. Jahrgang · 03/ 2021 DOI 10.24053/ PM-2021-0043 hin. Allein dieses Hinwenden reicht. Es erzeugt eine gewisse Erwartung. MA: Audi spaces überträgt bis zu einem gewissen Grad auch Gesten. Spricht jemand, bewegt sich sein Avatar. Spricht ein Teilnehmer, gestikuliert sein Avatar automatisch. Auch kann man beispielsweise Applaus klatschen, jemandem zuwinken oder sich melden, wenn man eine Frage hat. Man wird Audi spaces vermutlich nicht für eine kurze Besprechung verwenden, beispielsweise für das viertelstündige Daily Stand-up Meeting im agilen Projektmanagement. Für welche Ziele verwenden Sie Audi spaces? AS: Im Bereich Schulung und Training wird Audi spaces häufig eingesetzt. Das ist natürlich jetzt stark durch die Pandemie bedingt. Noch während der Entwicklung von Audi spaces haben wir 2017 ein Selbstlern-Szenario für Mechatroniker erarbeitet. Es ging darum, wie ein Mechatroniker den A3 etron außer Betrieb nehmen kann. Zum einen gab es damals nicht viele Exemplare dieses Fahrzeugs. Wir hatten nicht immer welche im Werk; dies hat reale Schulungen begrenzt. Zum anderen wollten wir die Schulung zur Arbeit an diesem Hochvolt-Fahrzeug sicher gestalten. Deshalb haben wir dieses Fahrzeug in Audi spaces in Realgröße modelliert. Wir haben dabei detailliert Elemente für Interaktionen integriert. Beispielsweise kann man die Motorhaube öffnen. Man kann sich ins Auto setzen und die Zündung betätigen. Alles ist so echt wie möglich. So können Teilnehmer sicher und präzise die notwendigen Arbeitsschritte lernen, die sie später in der Realität brauchen-- ohne sich dabei zu verletzen. Denken wir dies weiter. Verteilte Entwicklungsteams könnten im virtuellen Raum an einem Prototypen arbeiten-… AS: Das ist prinzipiell möglich. Dabei spielt natürlich die Komplexität dieser Modelle eine Rolle. Man müsste diese Komplexität im virtuellen Raum abbilden. Wir hätten es dann mit einer großen Menge von Konstruktionsdaten zu tun. Es geht hier um Datenreduktionsverfahren, die wir zukünftig etablieren müssen. MA: Für die heutige Zeit sehe ich andere Chancen für Projektteams, vor allem für agile Projektteams. Audi spaces erleichtert die Zusammenarbeit bei längeren Workshops, etwa bei Iterationsworkshops. Man kann etwa eine Vorstellungsrunde viel besser durchführen als bei Videokonferenzen. Die Teilnehmer haben die Möglichkeit, sich gegenseitig anzusprechen und das Wort reihum zu geben. Auch kann man sich zurückziehen und beispielsweise unter vier Augen sprechen. Man knüpft Kontakte, tauscht Visitenkarten aus oder klinkt sich in Arbeitsgruppen ein. Während der Pandemie haben wir zum Beispiel einen Doktoranden-Tag in Audi spaces durchgeführt, der zuvor immer live stattgefunden hat. Wie hat sich die Pandemie auf die Entwicklung von Audi spaces ausgewirkt? Erste Vorbereitungen haben Sie ja deutlich vor der Pandemie getroffen-… AS: Audi spaces ist deutlich vor der Pandemie initiiert worden. Den Proof of Concept hatten wir 2017. Dann haben wir dieses neue Medium wissenschaftlich evaluiert, und für Frühjahr 2020 war das Ausrollen geplant. Die Pandemie hat eine zusätzliche Dynamik in das Projekt gebracht. Wir bekamen etliche Anfragen von Fachbereichen, die Wind bekommen hatten von Audi spaces-- noch vor der offiziellen Vorstellung. Wie haben Sie die Nutzer bei der Entwicklung einbezogen? Im Proofs of Concept haben wir mit 150 Teilnehmern gearbeitet, neben Trainern und Beratern auch Teilnehmer aus anderen Unternehmensbereichen. Also ein breiter Querschnitt. Diesen 150 Usern haben wir über die Schulter geschaut und detailliert beobachtet, wie sie mit dem Tool umgehen. Beispielsweise das Klickverhalten nachgezeichnet-… AS: Ja. Wir haben auch analysiert, wo wirklich der Mehrwert der Anwendung für die tägliche Arbeit liegt. Welche Features sind tatsächlich sinnvoll? Wir haben festgestellt: Weniger ist mehr! Also weniger Features, um dem User das Einarbeiten und Bedienen zu erleichtern. Die anfängliche Vielzahl der Features haben auch deutlich die Immersion geschmälert. Also haben wir den Funktionsumfang der allerersten Version deutlich reduziert. Seit dem offiziellen Roll-Out im August 2020 hatten wir monatlich rund 200 Veranstaltungen. Auch da baten wir Teilnehmer um Feedback. Viele Experten meinen, dass es nach der Pandemie kein Zurück mehr geben wird zur ausschließlichen analogen Kommunikation. Digitale Tools werden bleiben. Gilt dies Ihrer Einschätzung nach auch für Audi spaces? MA: Ich bin überzeugt, dass Audi spaces langfristig die Zusammenarbeit prägen wird. Die IT-Vorkenntnisse sind jetzt vorhanden, Berührungsängste abgebaut, Anwender mit der intuitiven Bedienung vertraut. Doch ich sehe unser System als Ergänzung für andere Kommunikationsformen, nicht als Konkurrenz. Ich denke nicht, dass Audi spaces persönliche Kommunikation oder Videokonferenzen ablösen wird. Für viele Themen wird man bei Videokonferenzen, Telefonaten oder Vor-Ort-Besprechungen bleiben. Also die Frage, wo man Audi spaces effektiv einsetzt? MA: Vielleicht wird man über Audi space keine Bewerbungsgespräche führen. Aber Recruitingmessen haben wir virtuell schon erfolgreich im virtuellen Raum durchgeführt. AS: Neue Technologien werden interessant, wenn sie wirklich Lücken schließen und die vorhandenen Werkzeuge ergänzen. Man muss natürlich auf diese Lücken zeigen und erklären, wie die Technologie das Vorhandene hilfreich ergänzt. Dann entsteht Relevanz. Diese Relevanz führt dann zur Akzeptanz. Vorhin haben Sie Berührungsängste vor digitalen Kommunikationsmedien erwähnt. Viele haben während der Pandemie solche Ängste abgebaut. Dennoch tun sich einige schwer mit digitalen Medien, nach wie vor. MA: Das stimmt. Nicht jeder wird mit digitalen Kommunikationstools sofort warm. Wie gewinnen Sie auch diese eher skeptischen Nutzer? Reportage | Unterwegs in „Audi spaces“ 22 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 32. Jahrgang · 03/ 2021 DOI 10.24053/ PM-2021-0043 MA: Wir bieten ihnen Beratung und Begleitung an. Wir führen sie behutsam in diese neue Welt ein und zeigen ihnen die Features. Wir erklären ihnen individuell, wie sie ein Meeting in Audi spaces vorbereiten. Damit können wir bereits eine kleine Hürde abbauen. Zudem gibt es Sprechstunden, Hotlines und je nach Nutzergruppe abgestuft Schulungen. AS: Wir nehmen die Menschen quasi an die Hand und zeigen ihnen, welche Möglichkeiten das Tool hat und wie sie es am besten einsetzen können. Das schärft ihr Gefühl für die Relevanz. Auch Audi spaces war Anfang für einige fremd-… AS: Eben weil es so natürlich ist! Audi spaces funktioniert wie die Realität. Damit rechnen einige nicht. Wenn man in Audi spaces das Plenum verlässt und in einen anderen Raum geht, dann hört man den Redner tatsächlich nicht mehr. Ganz so wie im normalen Leben. Haben Nutzer diese einfachen Prinzipien einmal verstanden, dann machen sie positive Erfahrungen in Audi spaces. Dann sprechen sich auch die Vorteile bei uns im Unternehmen herum. MA: Ich denke, dass uns diese Mund-zu-Mund-Propaganda sehr unterstützt. Viele haben ja bereits an Veranstaltungen in Audi spaces teilgenommen, beispielsweise an einem Workshop oder einer Recruiting Messe. Sie berichten anderen über ihre Erfahrungen. Wir merken, dass sich dies langsam von allein trägt. Die Offenheit nimmt zu. Eine Abschlussfrage: Die remote Arbeitsweise führt zu neuen Anforderungen an Führungskräfte. Digital führt man anders als analog. Welche Herausforderungen bringt Audi spaces für Führungskräfte mit? AS: Diese Anforderungen würde ich nicht auf Audi spaces beschränken. Die neue Remote-Arbeitsweise erfordert generell eine andere Führung. Da ist die Frage, was es für Führungskräfte bedeutet, Mitarbeiter auf Distanz zu führen. Aus meiner Sicht kommt es darauf an, Vertrauen zum Mitarbeiter zu haben, ergebnisorientiert zu führen, klare Ziele zu vereinbaren, etappenweise Statusberichte anzufordern-- und dann aber auch loszulassen. Bei alledem ist Audi spaces ein Kommunikationstool, dies darf man nicht vergessen. Wer bisher gut geführt hat, wird in Audi spaces vermutlich eine wertvolle Ergänzung finden. Plant eine Führungskraft einen Workshop von sechs oder acht Stunden-- dann würde ich empfehlen, es mit diesem Tool zu versuchen. Eingangsabbildung: © Audi AG Maria Appel Maria Appel ist Referentin für Applikationen in der Audi Mitarbeiter IT. Sie absolvierte 2012 eine Ausbildung zur Informatikkauffrau bei Audi. Sie studierte Digital Business an der Technischen Hochschule Ingolstadt. Aktuell arbeitet sie in der Audi Mitarbeiter IT im Bereich der sozialen Medien für die interne Zusammenarbeit. Dort verantwortet sie die zentrale Wissensmanagement-Plattform der Audi-Mitarbeiter. Außerdem stellt sie den Betrieb des unternehmensweiten Tools Audi spaces sicher, welches in einer virtuellen 3D-Welt die Zusammenarbeit von allen Audi-Mitarbeitern unterstützt Alexander Schiera Alexander Schiera ist seit 2017 Berater für digitales Lernen in der Audi Akademie. Er studierte berufsbegleitend Wirtschaftsingenieurwesen mit Schwerpunkt Wirtschaftsinformatik. Seit seinem Einstieg 2017 bei der Abteilung Learning Operations unterstützt er die Einführung von Audi spaces in der AUDI AG, über den Proof of Concept bis hin zum Rollout. Im Jahr 2020 übernahm er die Verantwortung für Audi spaces im Trainingskontext. Foto: Alexander Prokop
