eJournals PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL 32/3

PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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2941-0878
2941-0886
UVK Verlag Tübingen
10.24053/PM-2021-0045
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2021
323 GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.

Projektmanagement als Krisenmanagement im Bundesministerium für Gesundheit

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2021
Heike Kratt
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25 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 32. Jahrgang · 03/ 2021 DOI 10.24053/ PM-2021-0045 Heike Kratt im Interview mit Volker Düring Projektmanagement als Krisenmanagement im Bundesministerium für Gesundheit Herr Düring, Sie sind Unterabteilungsleiter im Bundesministerium für Gesundheit (BMG), schildern Sie uns doch zunächst Ihre Aufgaben im BMG und ihre Rolle im Rahmen des Managements zur Bewältigung der Corona-Krise. Ich muss vorwegschicken, dass ich seit Mitte Februar eine neue Aufgabe im Ministerium übernommen habe und beauftragt bin, das Thema „Klimaneutrale Bundesverwaltung“ für das Ressort voranzutreiben. Davor war ich als Unterabteilungsleiter in unterschiedlichen Zuschnitten unter anderem für Personal und Organisation einschließlich der bestehenden Krisenreaktionsstrukturen verantwortlich. Im vergangenen Jahr konzentrierte sich meine Arbeit unter dem Aspekt der Corona-Krise stärker auf die Bereiche IT im Ressort, auf Bau- und Liegenschaftsangelegenheiten, alle Services im Inneren Dienst sowie auf den hausinternen Gesundheits- und Arbeitsschutz. Gesundheits- und Arbeitsschutz. Im Sommer letzten Jahres erwähnten Sie im Rahmen des Gesprächs auf dem Zukunftskongress, bei dem es um den Beitrag von Projektmanagement zur Krisenbewältigung ging, dass das BMG auf die Corona-Krise durch schon bestehende Projektrahmen, den sogenannten Krisenplänen, reagieren konnte. Konnten sich diese bewähren und wie hoch war der Bedarf, neue Projekte zur Bewältigung der Krise aufzusetzen? Ich habe damals darauf hingewiesen, dass das BMG selbstverständlich sofort in Kraft setzbare, skalierbare, modulartig aufgebaute und laufend gepflegte Krisenpläne in der Schublade hatte bzw. hat. Das gilt ja grundsätzlich auch für andere Behörden, die sich auf Krisenlagen vorbereiten müssen. Die Pläne im BMG werden nicht nur ständig auf aktuellem Stand gehalten, z. B. bei personellen oder organisatorischen Veränderungen, sondern wurden in der Vergangenheit nach größeren Geschehen wie z. B. der Schweinegrippe immer evaluiert, um gemachte Erfahrungen möglichst rasch einzuarbeiten. Das war erst vor wenigen Jahren sehr umfassend geschehen, so dass wir davon ausgehen konnten, grundsätzlich gut aufgestellt zu sein. Das waren wir dann im Kern des Infektionsgeschehens auch. Das Lagezentrum war rasch aufgebaut und technisch und personell hochgefahren, alle relevanten Strukturen wurden aktiviert. Insofern: ja, die Krisenpläne haben sich bewährt. Allerdings haben sich bei dieser Krise zusätzliche Problemstellungen und Besonderheiten ergeben, die deutlich über das zuvor in Krisenpläne fassbare Maß hinausgingen. Dadurch, dass die gesamte Gesellschaft und eben auch die Beschäftigten im Ressort direkt betroffen waren, mussten zusätzliche Maßnahmen zum Erhalt der Arbeitsfähigkeit des BMG und zugleich zum Schutz der Kolleginnen und Kollegen aufgelegt werden. Es gab zusätzlich massive und personalintensive Aktivitäten zur Sicherstellung des Bevölkerungsschutzes und zum Erhalt der Leistungsfähigkeit des Gesundheitswesens, die digitalen Arbeits- und Kommunikationsstrukturen mussten innerhalb kürzester Zeit enorm skaliert werden und, nicht zuletzt, auch die interne, die öffentliche und die politische Kommunikation erforderte mehr Kraft und Aufmerksamkeit. Ein sehr viel größerer Teil der Beschäftigten als in den Plänen ohnehin vorgesehen sah sich ad hoc in neu geschaffenen oder erweiterten Strukturen eingesetzt, überwiegend mit starkem Projektcharakter. Sie sind im Beirat des Aktionsprogramms „Mit Projekten Deutschlands Zukunft gestalten“ und setzen sich für die Stärkung von Projektmanagement in der Verwaltung ein. Würden Sie sagen, dass die Herausforderungen der Krise dazu geführt haben, dass das Thema Projektmanagement im BMG stärker verankert wird? Woran zeigt sich das? Diese Krise hat jedenfalls gezeigt, dass der Fall bzw. die Notwendigkeit eintreten kann, dass neben den erwarteten Krisenaufgaben in zuvor nicht absehbarem Umfang und ad hoc Aufgaben zur Erledigung anstehen, die weder in der Linienstruktur noch per Krisenplan erledigt werden können. Bessere Projektmanagementstrukturen in den Häusern und bessere Projektmanagement-Skills bei den Beschäftigten sorgen für mehr Flexibilität, bessere Reaktionsfähigkeit und mehr Fähigkeiten des Personals, sich mit und in agilen Strukturen zu bewegen. Die Corona-Krise hat im BMG zu einem umfassenden „Lessons Learned“-Prozess geführt, der letztlich auch zu einer besseren Verankerung von Projektmanagement im BMG geführt hat und weiter führen wird. Thema des Gesprächs auf dem Zukunftskongress war auch, dass die Arbeitsbedingungen von projektbeteiligten Menschen, insbesondere in Krisenzeiten, eine hinreichende Beachtung finden müssen. Welche Lehren haben Sie nach nun einem Jahr seit Beginn der Corona-Krise daraus gezogen? Wie gelingt es, die Arbeit in Projekten in der Verwaltung stärker für die Laufbahn zu berücksichtigen? Es ist mir wichtig, zunächst einmal festzuhalten, dass ich überall sehr hohe Leistungsbereitschaft und ein enormes Engagement in der Belegschaft gesehen habe, unabhängig von der Laufbahn oder der dienstlichen Stellung. Und während der Krise gab es mehrere Highlights, um das zu würdigen, unter anderem eine eigene Leistungsprämienrunde nur für das „Krisenpersonal“. Gleichwohl: wenn es darum geht, Pro- Reportage Projektmanagement als Krisenmanagement im Bundesministerium für Gesundheit DOI 10.24053/ PM-2021-0045 32. Jahrgang · 03/ 2021 Reportage | Projektmanagement als Krisenmanagement im Bundesministerium für Gesundheit 26 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 32. Jahrgang · 03/ 2021 DOI 10.24053/ PM-2021-0045 jektmanagement und die damit verbundene Flexibilität stärker als bisher auch im Regelbetrieb zu verankern, stehen die alten Hemmnisse im Raum, die ein klassischer Verwaltungsaufbau und die dazugehörigen Personal- und Personalbewirtschaftungsstrukturen mit sich bringen. Insofern kann die Corona-Krise als eine Art Katalysator dienen, die klassischen Strukturen in Zukunft ein Stück weit aufzubrechen. Wie hat sich das Personalmanagement an Krisen- und Projektstrukturen, insbesondere bei der Anreizsetzung und Würdigung für und von Projektmitarbeitenden angepasst? Das Problem ist aus meiner Sicht weniger die akute Würdigung der Leistungen in den Krisen- und Nebenstrukturen. Das war und ist nach wie vor allen ein Anliegen, angefangen bei der Leitung des Hauses bis hin zu den jeweiligen Kolleginnen oder Kollegen mit Vorgesetztenfunktion im Projekt. Die Aufgabe für die Zukunft besteht darin, daraus zu lernen und Projektarbeit auch im Alltagsbetrieb hoffähiger und attraktiver zu machen. Daran ist das Personalreferat im BMG zum Glück sehr interessiert und hat sich entsprechende Maßnahmen vorgenommen, um das Personal besser für kurzfristige Einsätze vorzubereiten und entsprechende Verfahren dafür aufzusetzen. Wir befinden uns jetzt seit einem Jahr in der Krise-- welche Lessons Learned würden Sie für das Thema Krisenmanagement in der Verwaltung bezogen auf die Erfahrungen im BMG ziehen? Was hat gut geklappt, wo gibt es noch Verbesserungsbedarf hinsichtlich des Krisenmanagements? Das vorbereitete Krisenmanagement des BMG hat im Kern geklappt und seine Ausrichtung und Struktur- - skalierbar, modulartig, immer aktuell- - wird sicherlich im Detail überprüft und ggfs. nachjustiert, ist aber grundsätzlich in Ordnung und sehr leistungsfähig. Mein Eindruck ist jedoch, dass wir Krisenmanagement nicht mehr länger isoliert als ein- - hoffentlich selten genutztes-- Tool im Werkzeugkasten betrachten sollten. Es hat sich gezeigt, dass es hilfreich ist, wenn das Haus und seine Beschäftigten insgesamt schnell und flexibel auf zusätzliche Herausforderungen reagieren können. Dazu müssen mehr Elemente des Projektmanagements verankert werden, Hemmnisse und Vorbehalte abgebaut und die „Projektmanagementkultur“ gestärkt werden. Der Katalog reicht von der stärkeren Verankerung in der Geschäftsordnung über diverse Elemente der Personalgewinnung und -entwicklung, geht über den Einbau in das Regelbeurteilungssystem und reicht hin bis zu speziellen Anforderungen an Führungskräfte und die Zusammenarbeit im Team bis zur Frage der Einbindung der Gremien, Personalräte, Gleichstellungsbeauftragten und Schwerbehindertenvertretungen. Das BMG hat bereits im Spätsommer des vergangenen Jahres einen „Lessons Learned“-Prozess eingeleitet und unter meiner Leitung die größeren und kleineren Handlungsfelder für die Zukunft identifiziert. Darunter sind auch relevante Bausteine, die sich weniger auf das akute Krisenmanagement, dafür aber mehr auf den angesprochenen zukünftigen Dauerbetrieb richten. Das fängt bei gezielten Fortbildungsangeboten an, führt über geänderte Anforderungen bei der Personalgewinnung, betrifft auch die Einbindung der Interessenvertretungen und hört bei einer leistungsfähigen digitalen Infrastruktur ausdrücklich nicht auf. Immer wieder wird auch über das Thema Resilienz der Verwaltung in Krisenzeiten gesprochen. Wo sehen Sie auf Grundlage der gesammelten Erfahrungen Anknüpfungspunkte dafür, diese Resilienz zu erhöhen? Es sollten bessere Projekmanagementstrukturen und -fähigkeiten im Normalbetrieb eingeführt und gepflegt werden. Das stärkt nicht nur die Resilienz in Krisen, sondern wappnet zusätzlich und ergänzend zu den weiter notwendigen Krisenplänen. Volker Düring Volker Düring war als Unterabteilungsleiter im Bundesministerium für Gesundheit unter anderem für Personal und Organisation einschließlich der bestehenden Krisenreaktionsstrukturen verantwortlich, im vergangenen Jahr unter dem Aspekt der Corona-Krise jedoch stärker für die IT im Ressort, für Bau- und Liegenschaftsangelegenheiten, alle Services im Inneren Dienst sowie für den hausinternen Gesundheits- und Arbeitsschutz. Seit Feburar 2021 treibt er das Thema „Klimaneutrale Bundesverwaltung“ für das Ressort voran.