eJournals PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL 32/3

PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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2941-0878
2941-0886
UVK Verlag Tübingen
10.24053/PM-2021-0046
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2021
323 GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.

Projektmanagement als Krisenmanagement in der Hansestadt Hamburg

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2021
Heike Kratt
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27 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 32. Jahrgang · 03/ 2021 DOI 10.24053/ PM-2021-0046 Heike Kratt im Interview mit Sabine Meister Projektmanagement als Krisenmanagement in der Hansestadt Hamburg Frau Meister, Sie sind Leiterin des PMO in der Behörde für Justiz und Verbraucherschutz Hamburg. Schildern Sie uns doch zunächst Ihre Aufgaben in dieser Funktion. Zu unseren Kunden zählen die Kernbehörde mit drei Ämtern sowie die Dienststellen mit den Gerichten, Staatsanwaltschaften und dem Justizvollzug. Unser PMO besteht aktuell aus einem vierköpfigen Expertenteam. Es ist mit seinen zwei Jahren noch jung und weiterhin im Aufbau. Mit Methoden des klassischen Projektmanagements und innovativen Ansätzen wollen wir dazu beitragen, unsere Behörde organisatorisch zukunftssicher aufzustellen. Als internes Beratungsteam entwickeln wir gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen Lösungen für ihre Herausforderungen in Projekten und Prozessen sowie in der Organisationsentwicklung. Wir beraten auf Augenhöhe und geben mit Begeisterung neue Impulse in die Teams und unsere Organisation. Welche Rolle haben Sie im Rahmen der Pandemiebekämpfung übernommen? Sie waren Teil des Krisenstabs: Was haben Sie dort erlebt? Inwieweit haben Ihnen Ihre PM-Kompetenzen dort geholfen, die Herausforderungen zu gestalten? Wir haben sehr früh verstanden, dass wir eine andere Arbeitsstruktur für die Bewältigung der Corona-Pandemie, eine zentrale Anlaufstelle für die kleinen und großen Themen brauchen. Ich wurde im März 2020 gebeten, diese dafür kurzfristig eingesetzte Einheit- - den Lage- und Arbeitsstab meiner Behörde- - aufzubauen und zu leiten. Zu den wesentlichen Aufgaben gehörten die Erstellung von Lageberichten zur Entscheidungsfindung der Behördenleitung, Sicherstellung der Informationsflüsse unserer Häuser, die logistische Versorgung der Beschäftigten mit Schutzausrüstung, die Organisation von Covid-Testungen und -Impfungen für bestimmte Berufsgruppen, die Moderation von Themen-Workshops (z. B. zum Aufbau lokaler Maskenproduktion oder zur Logistik des zentralen Pandemielagers) und die Steuerung relevanter interner Aktivitäten im Zusammenhang mit der Pandemie. Dieser Lage- und Arbeitsstab ist bis heute ein wichtiger Teil des Krisenstabes. Damit konnten wir unsere Behördenleitung von der enormen Aufgabenflut entlasten und Entscheidungen unterstützen. Projektmanagement war hierbei hilfreich, denn mein neues elfköpfiges Team aus unterschiedlichen Bereichen und Professionen wurde schnell aus Freiwilligen eingesetzt. Die Teammitglieder kannten sich zum Teil nicht. Das neue Krisenteam musste also sehr zügig zusammenwachsen und sofort effektiv Aufgaben zum Schutz unserer Beschäftigten sowie der Bürgerinnen und Bürger übernehmen. Hierbei war beispielsweise zum Start das Kickoff hilfreich, in dem wir uns kennenlernten, die mitgebrachten Talente, Vorlieben, familiäre Situation und Skills der Teammitglieder herausfanden, ein gemeinsames Verständnis zur Krisenarbeit herstellten, Aufgaben identifizierten und dafür Verantwortlichkeiten geklärt haben. Welche Bedeutung hat für Sie auf der Landesebene Hamburg das Projektmanagement als Teil einer erfolgreichen Krisenbewältigung? Wir stecken aktuell in der 3. Welle und arbeiten weiter auf Hochtouren an der Krisenbewältigung. Mein Eindruck ist, dass die PMOs methodisch und praktisch die Krisenarbeit auf unterschiedlichste Art unterstützen konnten. Jedes PMO wird hier tatkräftig unterstützt haben. Wir sind sicher nur ein Beispiel von vielen in Hamburg. Konkret haben wir in der Behörde für Justiz und Verbraucherschutz zunächst die Krisenorganisation strukturell aufgesetzt. Dadurch wurden klare Entscheidungswege definiert und für die Krisenakteure der Hamburger Verwaltung sichtbar gemacht. Außerdem haben wir im Laufe der Pandemie viele neue interne Krisenprozesse identifiziert und aufgesetzt, die iterativ nach kurzen Retrospektiven angepasst wurden. Das betraf u. a. die Lageberichterstattung der Kernbehörde, der Gerichte und der Staatsanwaltschaften sowie des Justizvollzuges inklusive der Haftanstalten und auch die Schnelltestung von Beschäftigten, die zur kritischen Infrastruktur der Stadt gehören. Wie auch oft in der Projektarbeit hatten wir keine eigene fachliche Expertise im Team zum Thema Coronapandemie. Also haben wir die relevanten Experten zusammengebracht, viele Themen-Workshops organisiert, moderiert und Ergebnisse herbeigeführt, in denen es z. B. um Schnittstellenthemen in der landesweiten Beschaffung von Schutzausstattung und Pandemielogistik oder auch um den Aufbau einer regionalen Maskenproduktion für Hamburg ging. Haben die Herausforderungen der Pandemiebekämpfung aus Ihrer Sicht dazu geführt, dass die Arbeit in Projekten und das Thema Projektmanagement in der öffentlichen Verwaltung eher an Bedeutung gewonnen haben- - bezogen auf das konkrete Beispiel Hamburg? Wenn ja, woran zeigt sich das? Wenn nein, warum nicht? Die Projekte hatten vor und während der Pandemie aus meiner Sicht eine gleichermaßen hohe Bedeutung, denn damit werden wichtige Veränderungen umgesetzt. Die Pandemie hat unsere Projekte unterschiedlich stark beeinflusst. Einige Ressourcen sind zur Pandemiebewältigung aus den Projekten herausgezogen worden. Einige hatten Zeitverzögerungen, weil geplante Aktivitäten nicht mehr physisch umgesetzt werden konnten. Diverse Projekte liefen wie geplant weiter. Wir haben das große Glück, dass wir mit unserer IT in meiner Behörde schon sehr gut auf Homeoffice eingestellt waren. Trotzdem mussten sich natürlich auch unsere Projekt- Reportage Projektmanagement als Krisenmanagement der Hansestadt Hamburg DOI 10.24053/ PM-2021-0046 32. Jahrgang · 03/ 2021 Reportage | Projektmanagement als Krisenmanagement der Hansestadt Hamburg 28 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 32. Jahrgang · 03/ 2021 DOI 10.24053/ PM-2021-0046 teams und auch ihre Kunden komplett auf virtuelle, räumlich distanziertere Teamarbeit, andere Beteiligungsformate, Workshops und virtuelle Steuerungsgruppen einstellen. Es ist schwieriger für die Managementebene, weiterhin ihre Aufmerksamkeit bei den Projekten zu halten, wenn parallel so viele wichtige und eilige Entscheidungen in der Pandemie zu treffen sind. Das ist in den Projekten auch deutlich spürbar. Insgesamt haben wir das ganz gut gemeistert. Wir waren in Hamburg bereits vor der Krise gut aufgestellt, was das Thema Projektmanagement in Behörden angeht. Mein Eindruck ist, dass der Nutzen von PMOs und Projektmanagement in der Krise für die Entscheidungsebene ein Stück sichtbarer geworden ist. Dies wird uns sicher auch nach der Krise helfen, die Verankerung von Projektmanagement und PMOs weiter voranzutreiben. Welche Vorteile sehen Sie in einer Projektstruktur, insbesondere für eine erfolgreiche Krisenbewältigung? Haben Sie da konkrete Beispiele aus Ihrer Arbeit im Krisenstab? Jede Organisation hatte auch vor Corona ihren Pandemieplan in der Schublade liegen, aber ein Plan und die erlebte Realität unterscheiden sich dann doch. Wir betraten hier-- wie in einigen hochkomplexen Projekten- - absolutes Neuland. Projektmanagement bietet einen schnellen Einstieg und Aufbau von notwendigen Strukturen, operativen Prozessen und natürlich von Entscheidungsprozessen, die uns bei der Pandemiebewältigung helfen. Was haben wir z. B. getan? Wie in einem neuen Projekt haben wir anfangs relevante Informationen zusammengetragen, um inhaltlich das Big Picture der Pandemie zu verstehen. Ziele, Arbeitspakete und Verantwortlichkeiten mussten definiert werden, damit wir alle in die gleiche Richtung arbeiten und jeder weiß, was er oder sie zu tun hat. Im Kern ging es von Beginn an darum, Schaden von der Bevölkerung und den Beschäftigten abzuwenden und in unserer Kernaufgabe auch den Rechtsstaat in seinen Funktionen aufrechtzuerhalten. Der Auftrag lag für uns also u. a. im Risikomanagement. Zudem mussten wir extrem schnell und zielorientiert neue Krisenprozesse aufsetzen und Schnittstellen zu anderen Kriseneinheiten unseres Bundeslandes und des Bundes bedienen. Auch agile Arbeitsweisen waren nützlich für uns, denn mein Team musste unter zum Teil schwierigen Arbeitsbedingungen bei ständig wechselnden Rahmenbedingungen der Infektions- und politischen Beschlusslage bis heute Höchstleistung erbringen. Wir haben in der Startphase klassische und dann zügig agile Methoden eingesetzt, wie Dailys und Retrospektiven. Hier haben wir projektorientiert gearbeitet und das hat dazu beigetragen, die komplexen Herausforderungen der Krise strukturierter und auch schneller bearbeiten zu können. Welche Lessons Learned würden Sie aus Ihrer Arbeit im Krisenstab ziehen: Was ist gut gelaufen, was müsste sich für die nächste Krise verändern und welche Rolle spielt PM dabei? Meine persönlichen Lessons Learned aus der Arbeit im Krisenstab sind: Die Dynamik, Lernkurve, Motivation und die Belastung des Teams waren sehr hoch. Moderationserfahrungen, Prozess- und Projektmanagement haben uns in dieser zentralen Aufgabe sehr geholfen. Unterschätzt habe ich, dass meine Teammitglieder alle über einen langen Zeitraum die eigentlichen Kernaufgaben nicht ausüben konnten. Dies hatte Auswirkungen auf die Arbeit meines PMOs, das fast drei Monate stillstand, und natürlich auf die Tätigkeit der anderen Teammitglieder. Nach der ersten Welle haben wir unsere eigentlichen Aufgaben zum Teil wieder hochgefahren, dann kam die zweite Welle, sodass das Krisenteam zum Teil die Linien- und Krisenaufgaben gleichzeitig zu bewältigen hatte. Einsatzdauer und Belastung waren in dieser Pandemie schwer planbar. Was macht das mit der Gesundheit? In der Krisenarbeit wird sieben Tage die Woche gearbeitet. Meine Learnings sind, dass wir diese Krise durch viel Menschenkraft bewältigen und Menschen werden nach langen, mental schwierigen Einsätzen müde. Sie brauchen Pausen, um gesund zu bleiben und die Pandemie bewältigen zu können. Es gibt auch in Krisenteams belastende Situationen in ihren Familien. Insofern haben wir in Bezug auf Belastungssteuerung im Team dazulernen müssen, denn anfangs sind wir-- wie viele Menschen-- nicht von einem derartig langen Marathon ausgegangen und haben viel Energie eingesetzt. Ich würde darum das Krisenteam künftig von Beginn an wegen der enormen Dauerbelastung auskömmlicher aufstellen und mit mehr Puffer planen. Die Dynamik der vielfältigen Informationen war ebenso herausfordernd. Es kostet viel Zeit und Energie, wesentliche Informationen aufzubereiten und an die relevanten Stellen weiterzugeben, wenn sie sich sofort wieder überholen. Was sind die spezifischen Herausforderungen in dieser Krise auf Landesebene Hamburg gewesen und inwieweit hat Projektmanagement zur Bewältigung dieser Herausforderung beigetragen? Ich denke, alle Länder hatten ähnliche Herausforderungen. Für viele von uns war neu, dass wir uns überhaupt mit derartigen Themen befassen mussten. Die wenigsten von uns sind Pandemiemanager. Die wenigsten kannten sich mit dieser Materie aus. Wir hatten zu Beginn der Krise die Schwierigkeit, dass wir alle mit der Mangelsituation der Schutzausrüstungen kämpfen mussten und sinnvolle Kriterien für die Priorisierung aufstellen mussten, welche Beschäftigten die wenigen Masken bekommen, um den Dienstbetrieb aufrechtzuerhalten. Mit für uns völlig neuer Materie mussten wir uns befassen, dazu zählten z. B. Masken, Desinfektionsmittel und Reinigungsintervalle, Raumlüfter, Trennscheiben, Impfungen, Logistik und Lagerhaltung, audiovisuelle Vernehmungen und Verhandlungen. Wir haben uns mit Hilfe unseres PM-Know-how sehr schnell aufstellen können. Wir waren zügig in der Lage, unsere Aufgaben gut zu steuern. Wie in der Projektarbeit konnten wir unterschiedlichen Experten und Bereiche zusammenbringen und vernetzen, um die sich stellenden Fragen bewegen, beantworten und planen zu können. Risikomanagement half uns inhaltlich auch bei der Krisenbewältigung. Es gab eine große Anzahl präventiver und kurativer Maßnahmen sowie ein laufendes Monitoring über die Lageberichte, die uns die Wirkung unserer Schutzmaßnahmen aufzeigte und der Behördenleitung Daten bot für wichtige Entscheidungen. Das Team hätte ebenso an Corona erkranken können. Darum haben wir nach kurzer Zeit die Hauptprozesse detailliert beschrieben, überwiegend virtuell zusammengearbeitet und die Teamrollen für diesen Notfall dreifach besetzt. Prozess- Reportage | Projektmanagement als Krisenmanagement der Hansestadt Hamburg und Stakeholdermanagement war sehr hilfreich für das Aufstellen der Krisenprozesse. Sie sind in der GPM als Fachgruppenleitung Projektmanagement in der ÖV ehrenamtlich tätig, Ihr persönliches Resümee: Wie kann das Potenzial für Projektmanagement für eine erfolgreiche Krisenbewältigung durch die Verwaltung genutzt werden? Was müsste sich hier ggf. ändern- - für die nächste Krise? Im Projektmanagement steckt ein großes Potenzial zur Bewältigung von Krisen. Professionell ausgebildete Projektmanagerinnen und Projektmanager sind auch in Krisenprojekten flexibel einsetzbar und darauf trainiert, schnell komplexe Aufgaben zu durchdringen, Aufgaben, Prozesse und Entscheidungswege zu strukturieren und ziel- und risikobasiert zu steuern. Dafür muss sich die Organisation über dieses enorme Potenzial bewusst sein, in solchen Ausnahmesituationen bewusst umpriorisieren und diese Ressourcen hierfür gezielt einsetzen. Meine Behörde ist dafür ein gutes Beispiel von vielen. Sabine Meister Sabine Meister ist Leiterin des PMO in der Behörde für Justiz und Verbraucherschutz Hamburg und leitet in der GPM die Fachgruppenleitung Projektmanagement in der öffentlichen Verwaltung. Seit Beginn der Corona-Krise unterstützte sie ihre Behörde durch den Aufbau des Lage und Arbeitsstabes und leitete diesen Stab neben ihrem PMO für ein Jahr. Mit ihren vielseitigen Moderations- und Projektmanagmentskills gestaltete sie aktiv neue Krisenprozesse und bewältigte mit ihrem Team verschiedenste Themenfelder in der Corona-Pandemie. Anzeige Project Office ist Enterprise-Software für beeindruckende Projekte wie den Gotthard- Basistunnel. Agiles Teamwork und hohe Prozesssicherheit verbinden sich dabei zu konsequent hybridem Projektmanagement. Mit agilen Elementen wie Task Boards, Issues und Activities machen Sie Ihre Teams schneller und produktiver. Bewährte Elemente wie die Planung der Ecktermine liefern zuverlässige Leitplanken. Erfolgreiche Projekte durch verlässliche Prozesse und bessere Teamarbeit Engineering success - the agile way EVENT | CONTACT Cloud Connect 2021 Energizing digital sovereignty for your resilient business 21. & 22. September 2021 https: / / bit.ly/ 3fqudWR energizing great minds contact-sofware.com