PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
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GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.Bedeutungsgewinn von Projektmanagement in der Corona-Krise am Beispiel der Stadt Köln
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Heike Kratt
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30 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 32. Jahrgang · 03/ 2021 DOI 10.24053/ PM-2021-0047 Heike Kratt im Interview mit Tanja Krins Bedeutungsgewinn von Projektmanagement in der Corona-Krise am Beispiel der Stadt Köln Frau Krins, Sie leiten die Geschäftsstelle Digitale Agenda in der Stabsstelle Digitalisierung der Stadt Köln, was genau sind dort Ihre Aufgaben? Zu meinen Aufgaben gehören u. a. die Leitung der dezernatsübergreifenden Plattform (Steuerungsgruppe) der Digitalen Lots*innen, die Multiplikator*innen für das Thema Digitalisierung in den Dezernaten und Dienststellen der Stadt sind; das Projektcontrolling und die interkommunal, ebenen- und branchenübergreifende Zusammenarbeit, beispielsweise die Entwicklung von Standards für intelligent vernetzte Städte im Arbeitsausschuss „Nachhaltige Entwicklung in Kommunen“ und im Rahmen des Nationalen Digitalgipfelprozesses sowie aktuell die aktive Einbindung in das vom BMI geförderte Smart City Projekt un|box. Welche Rolle spielt hier das Thema Projektmanagement? Projektmanagement ist zum einen für die übergreifende Projektsteuerung relevant. Hier besteht die Herausforderung darin, bei den gesamtstädtischen Vorhaben und Maßnahmen einerseits Redundanzen, Synergien und auch Ressourcenengpässe (vor allem bezogen auf unseren städtischen IT- Dienstleister) zu erkennen und nach Möglichkeit aufzulösen. Andererseits führen wir selber in der Stabsstelle Projekte durch: Diese reichen von Veranstaltungen im Rahmen unserer Reihe #koelndigital, Beteiligungen am bundesweiten Digitaltag über konkrete Digitalisierungsvorhaben zur Pilotierung neuer Technologien bis zum großen un|box-Förderprojekt. Wie haben sich Ihre Aufgaben durch die Herausforderungen der Pandemiebewältigung verändert? Die Aufgaben haben sich inhaltlich grundsätzlich nicht verändert. Neu ist, dass wir nunmehr alle Tätigkeiten vollständig digital abwickeln, da wir überwiegend im Home-Office arbeiten. Das stellt geänderte Anforderungen an die Kommunikation: Der persönliche Austausch findet nur in Videokonferenzen oder per Telefon statt, nicht mehr in großen Projektrunden vor Ort. Interaktive Workshops können zwar in Teilen digitalisiert werden, aber die Aufmerksamkeitsspanne am Rechner bei mehrstündigen Videokonferenzen ist anders als vor Ort. Hier ist ein stringentes Zeitmanagement noch wichtiger als beim Austausch vor Ort, um die Aufmerksamkeitsspanne hoch zu halten und auch immer alle Teilnehmer*innen im virtuellen Meeting aktiv anzusprechen und einzubinden. Hat sich die Rolle von Projektmanagement in der Krise verändert? Nach meiner persönlichen Wahrnehmung hat Projektmanagement durch die Krise durchaus eine Schubwirkung erfahren-- wir sprachen ja bereits beim Zukunftskongress 2020 darüber. Die Bedeutung, Projekte mit konkreten Zielvereinbarungen, einer klaren Projekt- und Organisationsstruktur und einem Zeit-Maßnahmen-Plan gut durchzuplanen, ist über die bereits heute Projektmanagement-affinen Bereiche hinaus deutlich geworden. Insofern hat sich zwar nicht die Rolle von Projektmanagement verändert, aber dessen Wahrnehmung. Der Nutzen von Projektmanagement ist deutlicher geworden-- es ist klarer geworden, dass man bestimmte Themen von Anfang an als Projekte aufsetzen muss und sich bestimmte Fragen stellen sollte, damit das Thema erfolgreich bearbeitet werden kann. Welche Bedeutung hatte es für die Krisenbewältigung, dass die Stadt Köln im Bereich des Projektmanagements gut aufgestellt ist? In Köln verfügen wir seit vielen Jahren, insbesondere bei unserem IT-Dienstleister, dem Amt für Informationsverarbeitung, aber auch im Organisationsbereich über dezidierte Erfahrungen mit Projektmanagement. Im Rahmen der Verwaltungsreform wurde 2019 mit externer Expertise unter Federführung des Referats für Strategische Steuerung ein Handbuch zum Projektmanagement erstellt, das aktuell in der zweiten Version zur Verfügung steht. Hinsichtlich der Umsetzung setzten wir mit Open Project auf eine auf die Anforderungen einer Kommunalverwaltung angepasste Open-Source-Lösung. Diese Expertise war sehr hilfreich, um 2020 in der Pandemie kurzfristig Projekte zu initiieren und erfolgreich durchzuführen, die die Stadt bei der Krisenbewältigung unterstützen. Als einige Beispiele möchte ich nennen: • die Ausweitung des Home-Office Angebots von 6.800 Zugängen auf 15.000), • der ergänzende orts- und endgeräteunabhängige Zugang zum städtischen Netz über einen webbasierten endgeräteunabhängigen Arbeitsplatztyp wurde ausgeweitet (auf >19.000 Nutzer*innen) • die Entwicklung einer Lösung für ein digitales Kontakt- und Indexpersonenmanagement zur Unterstützung des Gesundheitsamtes, eine agile Lösung, die auch vom RKI positiv bewertet wurde, • die konsequente Etablierung virtueller und compliancekonformer Besprechungsformate (Videokonferenzen/ Telefonkonferenzen) • die Priorisierung des Personaleinsatzes-- eine toolgestützte kaskadierende Einsatzplanung durch unser Personal- und Verwaltungsmanagement. Welche besonderen Herausforderungen bestehen auf kommunaler Ebene hinsichtlich der Krisenbewältigung? Reportage Projektmanagement als Krisenmanagement auf kommunaler Ebene DOI 10.24053/ PM-2021-0047 32. Jahrgang · 03/ 2021 Reportage | Projektmanagement als Krisenmanagement auf kommunaler Ebene 31 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 32. Jahrgang · 03/ 2021 DOI 10.24053/ PM-2021-0047 Eine erfolgreiche Krisenbewältigung geht immer nur vernetzt. Dies gilt sowohl für die Beteiligten in der kommunalen Verwaltung, als auch innerhalb der jeweiligen Kommune (Wirtschaft, Zivilgesellschaft, Politik und Verwaltung) und darüber hinaus. Wir haben ja gesehen, wie wichtig die ebenenübergreifende Zusammenarbeit und die bundesweite Vernetzung im föderalen System sind. Auf kommunaler Ebene ist dabei zu berücksichtigen, dass Kommunen unterschiedlich aufgestellt sind: Durch interkommunale Kooperation lassen sich hier nach meiner persönlichen Erfahrung gute Lösungen anderer Kommunen nachnutzen und auch gemeinsam (aufwandsminimierend) Lösungen entwickeln. Der Austausch in der GPM-Fachgruppe „Projektmanagement in der Öffentlichen Verwaltung (PM-ÖV)“ unterstützt hier sehr. Hier kann ebenenübergreifend und offen diskutiert werden. Im föderalen System haben wir die Schwierigkeit, dass die Kommunen den Ländern zugeordnet sind, sie demnach keine direkte Schnittstelle mit dem Bund haben. Hier bleibt die weitere Entwicklung abzuwarten. Im Gespräch auf dem Zukunftskongress erwähnten Sie eine sehr hohe Anpassungs- und Veränderungsbereitschaft bei vielen Kolleginnen und Kollegen. Ist die Bereitschaft auf einem gleich hohen Niveau geblieben und glauben Sie, dass diese Bereitschaft zu langfristigen Veränderungen in der Verwaltungskultur führen kann, und wenn ja, welche sind das? In den vergangenen Monaten habe ich persönlich weiterhin ein sehr hohes Interesse an einer pragmatischen Lösungsorientierung wahrgenommen. Die agile Anpassung der internen Prozesse (beispielsweise beim Umgang mit Kernarbeitszeiten und mobiler Arbeit) hat eine bei den Beschäftigten direkt spürbare Wirkung erzielt. Die ressortübergreifende Zusammenarbeit, die veränderte Kommunikation der Kolleg*innen untereinander und innerhalb der Hierarchie werden die Unternehmenskultur (und die Führungskultur) nachhaltig prägen. Insgesamt hat die Digitalisierung der Verwaltung einen Innovationsschub erlebt. Dies werden wir sicherlich erst rückblickend konkret bewerten können. Es ist jedoch bereits jetzt erkennbar, dass die Digitalisierung mehr als Projekt- und Prozessthema verstanden wird. Digitalisierung wird nicht mehr als reines IT-Thema wahrgenommen- - es wird stärker als ganzheitlicher Transformationsprozess verstanden. Deshalb ist der Vernetzungsgedanke ungemein wichtig. Die Zusammenarbeit rückt mehr in den Fokus- - sowohl innerhalb einer Kommune als auch zwischen den Kommunen als auch zu anderen Akteur*innen z. B. aus der Wirtschaft. Deshalb bekommt Projektmanagement auch im Hinblick klarer Rollen, klarer Verantwortlichkeiten und klarer Strukturen, Schnittstellenmanagement und Stakeholdermanagement mehr Gewicht. Die Expertise, die man aus der Beschäftigung mit Projektmanagement gewinnt, und die Übertragung auf die Behördenstrukturen und Aufgaben sind vor diesem Hintergrund besonders hilfreich. Welche Maßnahmen sollten ergriffen werden, um auf kommunaler Ebene einerseits Projektmanagement-Nachwuchs zu fördern, aber andererseits auch bereits aktive Mitarbeitende im Bereich des Projektmanagements zu unterstützen? Hier müssen wir zwischen der Ausbildung und der Praxis unterscheiden. In der Ausbildung sind die Curricula der Hochschulen der Öffentlichen Verwaltung, aber auch (mit Blick auf die Verwaltungsspitze) die an Universitäten, hier insbesondere der juristischen Ausbildung zu betrachten. Es wäre sehr sinnvoll, dass das Thema Projektmanagement hier systematisch und strukturell stärker verankert wird. In der Praxis gibt es bereits unterschiedliche organisatorische Ansätze in den einzelnen Kommunen, vom Projektbüro bis zu strategischen Einheiten. Ihnen allen ist gemein, dass über Leitfäden und Schulungen die Expertise in die Verwaltung gebracht wird. Sehr wichtig ist auch hier die Vernetzung. Projektbüros, die unterstützend und begleitende Methoden und Expertisen einbringen, sind aus meiner Sicht ein wirklich wichtiger Baustein. Die Mitarbeiter*innen der Projektbüros sollen nicht die Projekte selbst umsetzen, sondern den Projektleiter*innen die entsprechende Unterstützung geben, um Projekte erfolgreich zu gestalten. Lessons Learned seit dem Sommergespräch 2020: Was ist gut gelaufen, wo muss sich noch was tun, um für die nächste Krise besser aufgestellt zu sein-- welche Rolle sollte dabei Projektmanagement haben? Rückblickend auf den Sommer 2020 kann man sagen, dass die Verwaltung eine hohe Bereitschaft gezeigt hat, auf die aktuelle, komplexe Situation rasch zu reagieren. Die Beschäftigten haben mit großem Engagement die Herausforderungen angenommen, Angebote digital ermöglicht und flexibel die Gesundheitsämter vor Ort unterstützt. Die Bedeutung einer funktionsfähigen staatlichen Verwaltung, die am Gemeinwohl interessiert ist, wurde deutlich. Zugleich zeigte sich, wo die Digitalisierung der Verwaltung an ihre Grenzen stößt: sei es rechtlich, sei es prozessual. Hier gibt es noch Nachsteuerungsbedarf. Da geht es auch um Fragen der ebenenübergreifenden Zusammenarbeit und Fragen von Auswirkungen bestimmter gesetzgeberischer Regelungen. Grundsätzlich ist Projektmanagement kein abgeschlossener Begriff, sondern befindet sich in einer stetigen Fortentwicklung. Leitfäden, Handbücher und organisatorische Modelle zur Umsetzung sind kontinuierlich zu hinterfragen und anzupassen. Die Erfahrungen der Krise können und sollten wir im Sinne von „Lessons Learned“ dazu künftig aufgreifen. Für mich persönlich ist eine wichtige Lessons Learned: Präsenz ist nicht immer notwendig und flexiblere Lösungen sind auch in der Verwaltung möglich und sinnvoll. Intern hat das digitale Arbeiten durchaus dazu geführt, dass das ziel- und ergebnisorientierte Arbeiten stärker in den Fokus gerückt ist. Das führt dazu, dass auch die „Nutzerseite“, die Bürger*innen-- auch im Sinne der agilen Haltung-- früher und konsequenter in den Blick genommen wird. Tanja Krins Tanja Krins leitet die Geschäftsstelle Digitale Agenda in der Stabsstelle Digitalisierung der Stadt Köln.