eJournals PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL 32/4

PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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2941-0886
UVK Verlag Tübingen
10.24053/PM-2021-0065
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2021
324 GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.

Unter Strom: Warum Durchführung und Steuerung im modernen Trassenbau alles vom Projektmanagement abverlangt

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2021
Denise Böttger
Ohne neue Stromtrassen gibt es keine Energiewende. Ein Jahrhundertprojekt, das nur mittels gut durchdachtem und umfangreichem Projektmanagement gelingt. Hierbei weisen moderne Trassenbauprojekte eine Vielzahl unterschiedlicher Herausforderungen auf: von sich ändernden natürlichen wie rechtlichen Gegebenheiten und Auflagen über einen sehr speziellen Fachkräftebedarf und hohe Flexibilität aufgrund von extrem schwankenden Schaltungszeiten bis hin zu einem komplexen Stakeholder-Management mit Eigentümern und Anwohnern. Mit welchen Herausforderungen im Detail Projektmanager im Trassenbau konfrontiert sind und welche Ansätze ergriffen werden können, zeigt der Beitrag von Denise Böttger.
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20 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 32. Jahrgang · 04/ 2021 DOI 10.24053/ PM-2021-0065 Unter Strom: Warum Durchführung und Steuerung im modernen Trassenbau alles vom Projektmanagement abverlangen Denise Böttger Für eilige Leser | Ohne neue Stromtrassen gibt es keine Energiewende. Ein Jahrhundertprojekt, das nur mittels gut durchdachtem und umfangreichem Projektmanagement gelingt. Hierbei weisen moderne Trassenbauprojekte eine Vielzahl unterschiedlicher Herausforderungen auf: von sich ändernden natürlichen wie rechtlichen Gegebenheiten und Auflagen über einen sehr speziellen Fachkräftebedarf und hohe Flexibilität aufgrund von extrem schwankenden Schaltungszeiten bis hin zu einem komplexen Stakeholder-Management mit Eigentümern und Anwohnern. Mit welchen Herausforderungen im Detail Projektmanager im Trassenbau konfrontiert sind und welche Ansätze ergriffen werden können, zeigt der Beitrag von Denise Böttger. Schlagwörter | Stakeholder-Management, Planfeststellungsverfahren, Bau von Freileitungen, Energiewende, Projektmanagement, Projektsteuerung, Magisches Dreieck Einleitung Vom Atom- und Kohleausstieg über die Mobilitätswende bis hin zu Fridays for Future: Deutschlands Energiemarkt befindet sich in einer nie dagewesenen Umbruchsphase, die im Jahrhundertprojekt der Energiewende mündet. Ein entscheidender Baustein davon ist Strom durch Windenergie. Im Norden erzeugt muss er in den Süden transportiert werden, um die Industriezentren der Republik zu versorgen. Während der Strom durch modernste On- und Offshore-Anlage produziert wird, findet der Transport jedoch auf teils veralteten Leitungen mit zu geringen Kapazitäten statt. Im Zuge des Bundesbedarfsplangesetzes (BBPlG) sowie des Energieleitungsausbaugesetzes (EnLAG) beschloss der Gesetzgeber, unter anderem Teile der vorhandenen 220-kV- Leitungen (Betriebsspannung von 220.000 Volt) durch moderne 380-kV-Leitungen zu ersetzen. So stehen auf den verschiedenen Abschnitten nicht nur komplette Neubauten an, sondern auch Ersatzsowie Rückbauten, die höchstes technisches Know-how erfordern. Die Umstände, unter denen der Bau stattfindet, sind für das Projektmanagement gerade mit Blick auf Durchführung und Steuerung eine besondere Herausforderung. Warum die hier herrschenden Anforderungen von den Verantwortlichen alles abverlangen, erläutert der folgende Beitrag. Planung im Vorfeld Die strukturellen Besonderheiten wie der genaue Trassenverlauf, die Art der Leitung und geltende Umwelt- oder Bauauflagen sind im entsprechenden Planfeststellungsbeschluss festgehalten. Diese technischen Vorgaben und Nebenbestimmungen müssen die verantwortlichen Projektleiter während der gesamten Bauphase stets im Blick haben. Da sich die Abschnitte im Trassenbau in der Regel über mehrere Kilometer erstrecken, sind sehr häufig wechselnde Auflagen zu berücksichtigen, die sich unter Umständen auch während der laufenden Arbeiten noch ändern können. Größtmögliche Flexibilität, um auf volatile Situation angemessen reagieren zu können, sind daher unerlässlich. Beispiele hierfür sind unter anderem nachträgliche Wünsche durch Grundeigentümer oder Pächter, neu erhobene Umwelt- und Artenschutzauflagen oder wechselnde Schaltungszeiten der bestehenden Leitungen. Besonders der in Deutschland herrschende Mangel an Freileitungsmonteuren kann die Durchführung und Steuerung von Projekten erschweren. „Die Fachkräfte in diesem Reportage | Unter Strom 21 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 32. Jahrgang · 04/ 2021 DOI 10.24053/ PM-2021-0065 Berufsfeld sind echte Exoten. Um im Plan zu bleiben, greifen wir daher einerseits auf Personal aus unserem internationalen Omexom-Netzwerk zurück. Andererseits investieren wir viel in die Ausbildung und unterhalten ein eigenes Schulungszentrum in Korbußen, wo wir unter anderem in Partnerschaft mit der IHK Erfurt den Zertifikatslehrgang ‚IHK-Fachkraft Freileitungsmonteur / in‘ anbieten“, erklärt Guido Seifen (Geschäftsführer von Omexom). Demzufolge sollte sich der verantwortliche Projektmanager bereits im Vorfeld Alternativen und Notfallpläne bereitlegen, um Verzögerungen so kurz wie möglich zu halten. Dabei gilt es immer, den kritischen Pfad im Auge zu behalten. Steuerung im Trassenbau Im Bereich Hoch- (bis 110 kV) und Höchstspannung (bis 380 kV) durchziehen Deutschland Leitungen in einer Länge von zusammen über 120.000 Kilometern. Einige davon verfügen sogar über einen historischen Wert. So sind beispielsweise die südlichen Teile der sogenannten „Rheinlandleitung“ bis heute in Betrieb- - wohlgemerkt fand der Bau zwischen 1924 und 1929 statt. Die verantwortlichen Projektmanager im Leitungsbau müssen demnach damit rechnen, während der Arbeit auf Technik aus Zeiten der Weimarer Republik zu stoßen. Praktisch bedeutet das etwa, dass der historische Teil der Rheinlandleitung noch über Tonnenmasten der Typen C1-C3 verläuft-- in Deutschland mittlerweile eine Ausnahmeerscheinung. Veraltete Modelle mit zu geringen Kapazitäten sind zu ersetzen oder es stehen komplett neue Trassen an. Die Steuerung und Koordinierung der Baumaßnahmen ist dann wieder Aufgabe des Projektmanagements. So müssen vor dem ersten Spatenstich zunächst Baugrunduntersuchungen gemacht werden, um über die Art der Mastgründung genau entscheiden zu können. Je nach Bodenbeschaffenheit kommt entweder eine Flachgründung (Stufen- oder Plattenfundament) oder eine Tiefgründung (Rammpfahl- oder Bohrpfahlfundament) infrage. Im Anschluss erfolgt die Vorbereitung des Baufeldes, bei der die Geländeerschließung geplant und koordiniert werden muss. Der Projektmanager hat dabei nicht nur den einfachen Zugang für Maschinen und Personal zu gewährleisten, sondern im gleichen Maße neben der Umwelt auch das zumeist sich im Privatbesitz befindliche Gelände oder angrenzende Biotope zu schützen. Die temporären Zufahrten zu den Masten müssen entsprechend des Planfeststellungsbeschlusses mit Holzbohlen, Baggerplatten oder Schotter verlegt werden. Danach erfolgt das Abpflocken des Maststandortes gemäß der vorgegebenen Koordinaten im Planfeststellungsbeschluss. Auch der Stahl, der in einzelnen Teilen zur Baustelle transportiert wird, muss im Zuge der Vorbereitungen vormontiert, d. h. zusammengeschraubt werden. Nachdem Fundament und Eckstiele fest miteinander verbunden sind, erfolgt das sogenannte Stocken: Das Team auf der Baustelle setzt die vorbereiteten Mastteile über einen Mobilkran auf und verbindet diese miteinander. So entsteht nach und nach ein fertiger Mast. Im Anschluss schlägt die Stunde der Freileitungsmonteure, die für den nun folgenden Seilzug unverzichtbar sind. Die auf Trommeln aufgerollten Leiter- und Erd- oder LWL-Seile werden nun von Mast zu Mast gezogen. Dabei muss darauf geachtet werden, dass es hierdurch zu keinen Beschädigungen von Gebäuden oder insbesondere Bäumen kommt und an Straßen oder Bahnquerungen Schutzmaßnahmen ergriffen werden. Diese sind jeweils mit den öffentlichen Stellen und Behörden abzustimmen, was oftmals ein besonderes Stakeholdermangement erfordert. Eine ganze Reihe an verschiedenen Gewerken-- und aufgrund fehlender Fachkräfte aus Deutschland wie im Falle von Omexom nicht selten Mitarbeiter des VINCI-Mutterkonzerns aus ganz Europa-- sind zu steuern und möglichst effizient zu koordinieren, damit die vom Vorhabenträger vorgegebene Bauzeit sowie die Kosten dem Termin- und Budgetplan entsprechen. Auch müssen Projektmanager im Leitungsbau in der Lage sein, mit ungewöhnlichen Anforderungen souverän umzugehen. „Als wir die bestehende 220-kV-Leitung über den Nord-Ostsee-Kanal abbauen und durch einer 380-kV-Leitung ersetzen sollten, mussten wir für den Seilzug Helikopter einsetzen, die trotz der räumlich begrenzten Arbeitsbereiche sicher unsere Monteure vor Ort unterstützten. Das war keine leichte Aufgabe für unser Projektmanagement, da nur wenige Piloten überhaupt die dafür notwendigen Flugmanöver beherrschen“, erklärt Alexander Kröckel (BU-Leiter Bau Nord / Ost) von Omexom. Besondere Herausforderungen bei der Projektdurchführung Nicht nur Hubschraubereinsätze, sondern eine ganze Reihe an Herausforderungen verlangen von den Verantwortlichen ihr ganzes Können. So ist die Gelände- und Bodenbeschaffenheit ein wesentlicher Faktor, der das Projektmanagement unter anderem in Sachen Baugrunderschließung, Statik, Materialbeschaffung und Steuerung beeinflusst. Während in Norddeutschland ein zumeist ebenes Gelände mit sehr weichen und mitunter sumpfigen Böden vorherrscht, sind Teile von Süddeutschland eher geprägt von Mittelgebirgslandschaften mit festen oder felsigen Böden. „Das Projekt Rommelsbach - Herbertingen in Süddeutschland führt direkt über die Schwäbische Alb. Die dort herrschenden topographischen Reportage | Unter Strom 22 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 32. Jahrgang · 04/ 2021 DOI 10.24053/ PM-2021-0065 Bedingungen erschweren die Erschließung des Geländes und die Errichtung der Masten. So trafen bei einzelnen Eckstielen von Masten Höhenunterschiede von bis zu acht Metern auf“, erklärt Jens Schulz (BU-Leiter Bau Süd / West) von Omexom. In Schleswig-Holstein sind hingegen Höhenunterschiede oftmals nur von wenigen Zentimetern zu finden. Neben naturschutzfachlichen Auflagen sorgen ebenfalls Schaltungen der für den sicheren Bau neuer Leitungen benötigten Bestandsleitungen dafür, dass bei der Durchführung und Steuerung von Projekten im Leitungsbau höchste Flexibilität erforderlich ist. Denn das hat Auswirkungen auf das gesamte deutsche oder sogar europäische Stromnetz. Aufgrund fehlender Ersatzleitungen können beispielsweise Schaltungszeiten stark schwanken- - in einigen Fällen betragen diese komfortable drei Wochen und in anderen Fällen steht nur ein einziger Tag zur Verfügung. Teilweise hat die Projektleitung dabei mehrere Monate im Voraus diese tagesscharf anzugeben. So muss die Ressourcenplanungen die Fortschrittserwartungen beim Bauablauf entsprechend berücksichtigen. Können beispielsweise Schaltungen nicht gehalten werden, so hat dies nicht nur Auswirkungen auf die zukünftigen Ressourcenplanungen, sondern es kann auch zu Stromengpässen führen. Eine der größten Herausforderungen besteht im Umgang mit dem Stakeholder-Management. Denn Privatpersonen, Bürgerinitiativen und neue Auflagen von Kommunen können die Arbeiten erheblich beeinflussen. Selbst in der Abschlussphase von Projekten können einzelne Eigentümer oder Pächter noch den reibungslosen Bau behindern. Neben Schadensersatzforderungen etwa aufgrund von nicht nutzbaren Flächen wird unter anderem auch die Belastung für touristische Ziele oder die eingeschränkte Erreichbarkeit durch Straßensperrungen oder Baustellen thematisiert. Der richtige Umgang mit Anwohnern und anderen Betroffenen gehört daher sowohl im Vorfeld als auch bei der Projektdurchführung zu den wichtigsten Aufgaben der Verantwortlichen. Projektmanager müssen daher frühestmöglich das Gespräch suchen und auch im Laufe der Arbeiten für Fragen von Bürgerinnen und Bürgern zur Verfügung stehen. Die Fähigkeit, stets auf Augenhöhe kommunizieren und einen offenen Umgang pflegen zu können, ist daher genauso wichtig wie die rein fachliche Qualifikation. Nur so kann bei der Bevölkerung das nötige Verständnis erzeugt und die Interessen ausgeglichen werden. Fazit: Projektmanagement auf höchstem Niveau Im Zuge des EnLAG wurden seit 2009 von geplanten 1.800 bisher rund 800 Kilometer fertiggestellt. Bei den Bauvorhaben im Zusammenhang mit dem BBPlG konnten bisher 300 Kilometer realisiert werden- - rund 5.600 Kilometer werden laut BBPlG noch folgen. Vor Projektmanagern im Freileitungsbau liegt damit noch viel Arbeit, um Deutschlands Energiewende erfolgreich umzusetzen. Wie die praktischen Beispiele von Omexom zeigen, erfordern Durchführung und Steuerung dieser Projekte die gesamte Bandbreite an Fähigkeiten von Projektmanagern. So müssen sie in der Lage sein, mehrere Gewerke effizient zu koordinieren und diese mit den passenden Werkzeugen und Hilfsmitteln zu versorgen- - von der Materialbeschaffung über die ausreichende Personalauslastung mit Freileitungsmonteuren bis hin zu Provisorien. Zudem ist ein äußerst gutes Gespür für den Interessenausgleich zwischen Share- und Stakeholdern erforderlich, um einerseits die internen Ansprüche bezüglich Kosten und Effizienz und andererseits externe Bedenken wie die Hoffnung auf Werterhaltung bei Betroffenen miteinander in Einklang zu bringen. Eingangsabbildung: © Omexom Denise Böttger Denise Böttger ist stellvertretende Divisionsleiterin Freileitungsbau Nord / Ost, deren Portfolio von der Planung, Trassierung und statischen Berechnungen bis zur Errichtung von Freileitungen und Hochspannungskabelanlagen reicht. Als Juristin und Wirtschaftsmediatorin sowie zertifizierte Projektmanagerin hat sie auf Seiten eines Netzbetreibers sowie der Omexom in mehreren Großprojekten der Energiewende Erfahrungen insbesondere im Bereich Projekt- und Portfoliomanagement gesammelt. eMail: denise.boettger@omexom.com Internet: https: / / www.omexom.de / ueber-omexom / omexom-gesellschaften / omexom-hochspannung-gmbh/