PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
10.24053/PM-2021-0072
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GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.Die neuen ISO Standards 21 500 „Projekt-, Programm und Portfoliomanagement – Kontext und Konzepte“ sowie 21 502 „Projektmanagement“
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Norman Heydenreich
Seit 2018 hat das ISO Komitee TC 258 „Project, programme and portfolio management“ die internationale Norm ISO 21 500 „Guidance on project management“ umfangreich überarbeitet und 2020 als ISO 21 502 veröffentlicht. Zusätzlich wurde 2021 die neue übergreifende Grundlagen-Norm ISO 21 500 „Project, programme and portfolio management - Context and concepts“ publiziert. Was ist neu? Was hat sich geändert? Was sind die Wirkungen im Markt? Was bleibt an offenen Fragen für die nächsten internationalen Standardisierungsprojekte?
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60 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 32. Jahrgang · 04/ 2021 DOI 10.24053/ PM-2021-0072 Die neuen ISO Standards 21 500 „Projekt-, Programm und Portfoliomanagement-- Kontext und Konzepte“ sowie 21 502 „Projektmanagement“ Norman Heydenreich Seit 2018 hat das ISO Komitee TC 258 „Project, programme and portfolio management“ die internationale Norm ISO 21 500 „Guidance on project management“ umfangreich überarbeitet und 2020 als ISO 21 502 veröffentlicht. Zusätzlich wurde 2021 die neue übergreifende Grundlagen-Norm ISO 21 500 „Project, programme and portfolio management- - Context and concepts“ publiziert. Was ist neu? Was hat sich geändert? Was sind die Wirkungen im Markt? Was bleibt an offenen Fragen für die nächsten internationalen Standardisierungsprojekte? Bis 2012 gab es keine internationale Norm für das Management von Projekten, sondern lediglich eine Norm für das Risikomanagement ISO 31 000: 2008 sowie eine für das Qualitätsmanagement in Projekten ISO 10 006: 2003 als Ergänzung zur Normenreihe ISO 9000 „Quality Management“. 2007 brachte das ISO Projektkomitee PC236, dessen Aufgabenbereich auf eine einzige Norm zum Projektmanagement beschränkt war, Experten aus mehr als 40 Ländern zusammen und entwickelte über einen Zeitraum von fünf Jahren die ISO 21 500, eine prozessorientierte Norm, die auf drei Grundlagen basierte: der britischen Norm BSI 6079, der deutschen Norm DIN 69 901-2 und dem PMBOK® Guide des Project Management Institutes PMI, der als US-amerikanische ANSI- Norm übernommen wurde. Die 2012 erschienene ISO-Norm ISO 21 500 „Guidance on project management“ [1] beschreibt Begriffe, Grundlagen, Prozesse und Prozessmodelle im Projektmanagement. Ihr Ziel war es einerseits, international tätigen Unternehmen einen Standard an die Hand zu geben, der die Abstimmung unterschiedlicher Projektmanagementprozesse erleichtert. Andererseits sollten nationale Normungsgremien, branchenspezifische und internationale Projektmanagement-Vereinigungen dazu angeregt werden, Terminologie, Begriffsrahmen und Prozesse der ISO 21 500 in ihre Normen zu übernehmen und damit das Projektmanagement weltweit zu harmonisieren. Sie wurde im Februar 2016 als deutsche Norm DIN ISO 21 500: 2016 „Leitlinien Projektmanagement“ übernommen [2]. Seit der Veröffentlichung der ISO 21 500 hat das neue Technische Komitee ISO / TC258 eine Reihe weiterer Normen veröffentlicht, darunter ISO 21 504: 2015 „Guidance on portfolio management“ [3], ISO 21 503: 2017-- „Guidance on programme management“ [4] sowie ISO 21 505: 2017 „Guidance on governance“ [5]. Bei der Entwicklung der Projektgovernance-Norm wurde die einseitige Fokussierung auf die Definition von Prozessen überwunden und der Ansatz der Ableitung aus Prinzipien verfolgt, wie etwa Stakeholder-Rechte, Offenlegung und Transparenz, Pflichten des Aufsichtsorgans sowie Nachhaltigkeit. Als Grundlage der Normierungsarbeit wurden Corporate-Governance-Grundsätze der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in Prinzipien für Projekt-Governance überführt. Insbesondere die Governance internationaler Projekte mit Projektpartnern aus unterschiedlichen Ländern und Kulturkreisen erhält so eine breitere Basis [6]. Fünf Jahre nach ihrer Publikation stand die ISO 21 500: 2012 zur systematischen Überprüfung an. Eine vom TC258 initiierte Study Group formulierte in ihrem Abschlussbericht umfangreiche Empfehlungen als Grundlage für das 2017 auf der Plenartagung in Melbourne gestartete Revisionsprojekt sowie für ein paralleles Projekt zur Erstellung einer übergreifenden Grundlagennorm für die Normenfamilie ISO215XX. Die Ergebnisse wurden 2020 als ISO 21 502: 2020 „Guidance on project management“ [7] sowie 2021 als neue übergreifende Basis- Wissen | Die neuen ISO Standards 21 500 „Projekt-, Programm und Portfoliomanagement 61 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 32. Jahrgang · 04/ 2021 DOI 10.24053/ PM-2021-0072 norm ISO 21 500: 2021 „Project, programme and portfolio management-- Context and concepts“ [8] veröffentlicht. Die neue Grundlagen-Norm ISO 21 500 Als übergreifende Grundlagen-Norm stellt die neue ISO 21 500 die Definitionen, den Kontext und die Zusammenhänge der Grundkonzepte des Projekt-, Programm- und Projektportfoliomanagements (PPP), deren Einbettung in den Betrieb sowie der PPP-Governance bereit: Organisationen leisten Arbeit, um Ziele zu erreichen. Diese Arbeit kann als Betrieb, als Projekt oder Programm durchgeführt oder gemeinsam mit anderen zusammenhängenden Tätigkeiten als Portfolio organisiert werden. Projekte werden von temporären Teams durchgeführt und liefern Ergebnisse, Output, Lieferobjekte und Nutzen. Programme sind Gruppen von Projekten, Programmen und anderen damit zusammenhängenden Tätigkeiten, die auf koordinierte Weise gemanagt werden, um Vorteile und Synergien zu erzielen, um zur Erreichung gemeinsamer strategischer und operativer Ziele beizutragen und Nutzen zu realisieren. Zu Portfolios zusammengefasst werden Projekte, Programme und andere damit zusammenhängende Tätigkeiten, die zur Erreichung der strategischen Ziele einer Organisation beitragen sollen. Der Betrieb wird von relativ stabilen Teams durch laufende und sich wiederholende Prozesse durchgeführt, die auf die Aufrechterhaltung der Organisation ausgerichtet sind. Projekte, Programme und Portfolios existieren innerhalb des organisatorischen Umfelds und der externen Umwelt. Chancen und Bedrohungen können mittels der Strategie und Ziele der Organisation identifiziert, bewertet und zu Anforderungen und Business-Cases weiterentwickelt werden. Auf deren Grundlage und unter Einsatz von Portfolio-Management wählt die Organisation Projekte und Programme aus, um Outcome (Ergebnisse), Output und Lieferobjekte für den Betrieb bereitzustellen. Durch deren Einsatz im Betrieb wird Nutzen für interne und externe Stakeholder realisiert, der zur weiteren Entwicklung der Strategie und der Ziele der Organisation beitragen kann. Die neue ISO 21 502 Gegenüber der ISO 21 500: 2012 bezieht die neue ISO 21 502: 2020 den Kontext viel stärker mit ein: die Vor- und Nachprojektphasen, die Verzahnung der Rollen und Verantwortlichkeiten-- auch im Hinblick auf die Vor- und Nachprojektphase, die Überschneidungen mit dem operativen Geschäft in der Organisation, die übergreifenden Programme und Projektportfolios sowie die Einflüsse der Governance auf das Projekt. Neben Lieferobjekten und Output werden auch Ergebnisse und Nutzen deutlich stärker betont. Es wird unterschieden zwischen den „Integrierten Projektmanagement-Praktiken“, die unmittelbar für das Management eines einzelnen Projekts notwendig sind, und den „Management-Praktiken für ein Projekt“, die darüber hinausgehen. Diese werden in einem Anhang mit den Prozessen der ISO 21 500 referenziert. Wichtig sind folgende Änderungen von der bisherigen Norm ISO 21 500 zur neuen ISO 21 502: • Erweiterung des Begriffs „Projektmanagement“ um die projektbezogenen Aufsichts- und Governance-Aktivitäten der Trägerorganisation. • Zusätzliche Informationen darüber, wie Projekte Ergebnisse liefern und die Realisierung von Nutzen ermöglichen können. • Berücksichtigung des organisatorischen Kontextes von Projekten. • Beschreibungen von zusätzlichen Projektrollen und Verantwortlichkeiten. • Neue Themen, wie z. B. die Schaffung einer erfolgsfördernden Projektumgebung, Projektlebenszyklen, Entscheidungspunkte sowie zusätzliche Projektpraktiken, wie z. B. das Nutzenmanagement und die Änderungskontrolle. • Vor- und Nachprojektaktivitäten. • Wechsel von einem prozessbasierten zu einem ziel- und erzählungsbasierten Ansatz / Format (ein Querverweis zwischen dem prozessbasierten und dem auf Zielen / Narrativen basierenden Format wurde in einem Anhang hinzugefügt). Durch die Umstellung auf einen ziel-/ erzählungsbasierten Ansatz kann die neue Norm ISO 21 502 besser mit den verschiedenen Versionen von prozessbasierten Systemen auf dem Markt zusammenwirken, sich mehr auf die Praktiken als auf die Prozesse konzentrieren und so die weitere Entwicklung in der internationalen Praxis des Projektmanagements und jede Art der Projektdurchführung, insbesondere auch agile, adaptive und hybride Ansätze besser unterstützen. Gegenstand der ISO 21 502 ist das Projektmanagementsystem, daher sind Kompetenzen und Mindsets nicht Gegenstand der Norm. Dies ist eine bewusste Entscheidung: Die Study Group „Competencies“ des TC258 hat 2018 festgestellt, dass der Markt zurzeit keinen Bedarf an einem zusätzlichen ISO-Kompetenzstandard auf gleicher Detailierungsebene wie die bereits vorhandenen Kompetenzstandards hat, da diese den Bedarf gut abdecken [9]. Wirkungen im Markt und weiterführende Projekte Die neuen Grundlagennormen ISO 21 502 sowie ISO 21 500 sind ein wichtiger Schritt auf dem Weg der internationalen Harmonisierung von Begriffen und Grundkonzepten für nationale, branchenspezifische und internationale Projektmanagement- Standards. Die Anpassung der ISO Normen für Programmmanagement ISO 21 503: 2017 und Portfoliomanagement ISO 21 504: 2015 an die neuen Grundlagennormen befindet sich zurzeit in der Abstimmung. Die kompetenzbasierte IPMA Individual Competence Baseline (IPMA ICB 4.0) bleibt kompatibel zu den ISO-Standards. Auch das Project Management Institute (PMI) geht in der neuen 7. Version seines PMBOK® Guide weg Die Study Group „Competencies“ bei der Arbeit in Weimar 2018; Foto: Ben Bolland Wissen | Die neuen ISO Standards 21 500 „Projekt-, Programm und Portfoliomanagement 62 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 32. Jahrgang · 04/ 2021 DOI 10.24053/ PM-2021-0072 vom prozessorientierten Ansatz hin zu einem prinzipienorientierten sowie ergebnisorientierten Ansatz. Als eine der nächsten Aufgaben soll das Thema einer internationalen Standardisierung agiler bzw. adaptiver Absätze im Projektmanagement angegangen werden, das seit Jahren international hoch priorisiert wurde. Es gibt allerdings unterschiedliche Positionen, Konzepte und Praktiken, deren Differenzen zu analysieren sind, um einen ausgereiften gemeinsamen Ansatz als Grundlage eines möglichen internationalen Standards für agiles / adaptives Management für Projekte, Programme, Portfolios und die dazugehörige Governance zu entwickeln. Wichtig ist auch ein besseres Verständnis des Bedarfs in unterschiedlichen Regionen und Marktsegmenten. Eine Study Group wird diese Fragen ergebnisoffen klären und in einem Whitepaper einen Vorschlag für das weitere Vorgehen erarbeiten. Diskutiert wird gegenwärtig auch die Frage der Weiterentwicklung der bisherigen Richtlinien-Normen zu Anforderungs- Normen bzw. Managementsystem-Normen für Projekte, Programme und Portfolios und die damit verbundene Governance. Diese könnten Organisationen dabei unterstützen, den Nutzen und den Erfolg der Projektumgebung zu verbessern, ähnlich wie die auf dem Betrieb basierenden Managementsystem-Normen, insbesondere die im Markt erfolgreiche ISO 9000, die die Geschäftsqualität, den Erfolg, die Konsistenz und das Vertrauen in vielen Organisationsbereichen verbessert hat. Sie könnten ggf. auch die Grundlage für eine Konformitätsbewertung bilden (z. B. für eine Zertifizierung), die den Nachweis erbringen kann, dass eine Organisation die notwendigen Praktiken und Systeme implementiert hat und weiter verbessert, um ihre Sorgfaltspflicht beim Sponsern, Führen und Umsetzen von Projekten nachzuweisen. Eine Übernahme beider Normen ISO 21 500: 2021 und ISO 21 502: 2020 als deutsche DIN ISO Normen wurde vom zuständigen DIN-Arbeitsausschuss beschlossen. Zurzeit findet die Übersetzung beider Normen ins Deutsche statt. Der Entwurf der deutschen Fassung wird für zwei Monate im Entwurfsportal von DIN der Öffentlichkeit zur Kommentierung zugänglich sein. Darüber hinaus wurde ein Projekt zur Anpassung der nationalen Projektmanagement-Normenreihe DIN 69 901 an die internationalen Entwicklungen gestartet. Hier sollen auch erste Ergebnisse hinsichtlich agiler bzw. adaptiver Absätze im Projektmanagement berücksichtigt werden. Interessenten für die anstehenden Normierungsprojekte können im Rahmen der GPM-Fachgruppe „Normen und Standards“ [10] oder direkt im Rahmen des DIN-Arbeitsausschusses „Projektmanagement“ mitwirken und sich dazu gerne beim Autor melden ( norman.heydenreich@gpm-ipma. de). Literatur [1] International Standards Organization: ISO 21 500: 2012 Guidance on project management. Genf, 2012 [2] Deutsches Institut für Normung: DIN ISO 21 500: 2016-02 Leitlinien Projektmanagement (ISO 21 500: 2012); Beuth Verlag, 2016 [3] International Standards Organization: ISO 21 504: 2015 Guidance on portfolio management. Genf, 2015 [4] International Standards Organization: ISO 21 503: 2017-- Guidance on programme management. Genf, 2017 [5] International Standards Organization: ISO 21 505: 2017 Guidance on governance. Genf, 2017 [6] Heydenreich, Norman: Internationale Norm für Projekt- Governance auf dem Weg zur Publikation. PROJEKTMA- NAGEMENT AKTUELL, 01 / 2017 [7] International Standards Organization: ISO 21 502: 2020 Guidance on project management. Genf, 2020 [8] International Standards Organization: ISO 21 500: 2021 Project, programme and portfolio management-- Context and concepts. Genf, 2017 [9] Heydenreich, Norman: PM-Standards und der „Geist von Weimar“-- Tagung der ISO TC258 Study Group „Competencies“: GPM Blog (gpm-blog.de), 2018 [10] Heydenreich, Norman: Neustart der Fachgruppe „Normen und Standards im Projektmanagement“. PROJEKT- MANAGEMENT AKTUELL, 03 / 2021 Eingangsabbildung: Das internationale ISO 21 505 Projektteam feiert in Athen seinen Erfolg: 100-prozentige Zustimmung. © Jouko Vaskimo Norman Heydenreich Norman Heydenreich bringt Erfahrung aus 30-jähriger (Projekt-) Managementpraxis in die von ihm gegründete Management Akademie Weimar ein. Ehrenamtlich engagiert er sich als Delegierter der GPM, Bevollmächtigter Normen und Standards, Obmann des Arbeitsausschuss Projektmanagement im DIN e. V., Beiratsmitglied des Aktionsprogramms „Mit Projekten Deutschlands Zukunft gestalten“ sowie in mehreren GPM-Fachgruppen. 2013 - 2017 vertrat er als Hauptstadtrepräsentant die gesellschaftlichen Interessen der GPM und initiierte die Kongressreihe und das Aktionsprogramm „Mit Projekten Deutschlands Zukunft gestalten“ sowie die Gründung der Fachgruppen „PM in der Öffentlichen Verwaltung“, „Bau- und Infrastrukturprojekte“ sowie „Digitale Transformation“. Er wirkte mit an der Entwicklung des internationalen Standards ISO 21 505 „Projekt-Governance“ und in der ISO Study Group „Projektmanagement-Kompetenzen“. Im Rahmen von Lehraufträgen, u. a. an der TU Berlin sowie in Fachartikeln und Vorträgen gibt er seine Praxiserfahrungen weiter.