PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
10.24053/PM-2021-0077
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GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.Die Notfallapotheke des Projektmanagements
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Jens Köhler
Die Kolumne „Ehrlich und Priesberg“ möchte mit unterhaltsamen Dialogen rund um das Thema
„Mensch – Kommunikation, Verhalten, Entscheidungen“ Denkanstöße für den PM-Alltag geben.
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78 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 32. Jahrgang · 04/ 2021 DOI 10.24053/ PM-2021-0077 Kolumne Die Notfallapotheke des Projektmanagements Die Kolumne „Ehrlich und Priesberg“ möchte mit unterhaltsamen Dialogen rund um das Thema „Mensch-- Kommunikation, Verhalten, Entscheidungen“ Denkanstöße für den PM-Alltag geben. Jens Köhler Ehrlich und Priesberg treffen sich nach dem Corona-Lockdown in einem Café. Ein mürrischer Kellner bringt die spärlich ausgestattete Karte. „Irgendwie gruselig zu sehen, wie alles ganz langsam hochfährt. Und es ist sicher noch nicht überstanden. Alles wirkt so vorläufig“, merkt Priesberg an. Ehrlich sieht fast wie ein Hippie aus und kratzt sich an seinem langen Bart-- Friseurtermine sind rar. Priesberg dagegen hat sich die Haare ratzekurz geschnitten und sieht jetzt wie ein buddhistischer Mönch aus. Er überlegt: „Unsere Projekte sind erfolgreich. Wir haben das gesamte Projektgeschehen virtualisiert, es gibt nur Telefonkonferenzen ohne Video. Unser Werkzeugkasten ist doch sonst so viel größer-- und trotzdem läuft es.“ Ehrlich starrt immer noch auf die dünne Karte, nachdem beide mittlerweile ihre Bestellung aufgegeben haben. „Soll ich dir ein Geheimnis verraten? Ich halte nicht viel von einer großen Toolbox. Wenn ich nur noch zwei Minuten zu leben hätte, ich könnte dir in dieser kurzen Zeit alle meine Tricks verraten.“ Priesberg ist erstaunt: „Hast du jetzt die Seiten gewechselt und interessierst dich nicht mehr für Methoden oder bist du es leid, dass sich keiner dafür begeistert? “ Der Kaffee kommt, Ehrlich nimmt einen großen Schluck und die Lebensgeister scheinen zurückzukommen. „Rate mal, wie die Toolbox aussieht“, sagt er. Priesberg stutzt: „Naja, irgendetwas mit Komplexität eben.“ Ehrlich antwortet: „Viel einfacher. Die simple To-do-Liste. Wer hat was bis wann zu machen.“ Priesberg hält inne und wird ärgerlich: „Was? Und wofür haben wir Projekte stets so gründlich analysiert, wenn am Ende die To-do-Liste ausreicht? Ich fühle mich ein wenig veräppelt.“ Ehrlich freut sich, seinen Kollegen wieder einmal so richtig auf die Palme gebracht zu haben: „Du sagst es selbst- - während des Lockdowns sind alle Projekte weitergelaufen. Es wurden Aktionspunkte abgearbeitet-- geht doch! “ Priesberg denkt an die zwei Minuten: „Für die Erwähnung der To-do-Liste hast du nur dreißig Sekunden benötigt, also bleiben noch eineinhalb Minuten.“ „Ich wusste gar nicht, dass du die Zeit im Kopf so schnell nachrechnen kannst“, antwortet Ehrlich und fährt fort: „Die Formel lautet: To-do-Liste und die Menschen im Blick haben. Man könnte es die Notfallapotheke des Projektmanagements nennen.“ Priesberg wiegelt ab: „Die Kommunikation klappt. Die Kollegen kennen sich von früher, manchmal über viele Jahre. Mich wundert lediglich, dass es auch ohne Video so gut geht. So viel menschlicher Faktor ist es dann doch nicht.“ Ehrlich übernimmt: „Das ist kein Zufall und eine sehr interessante Beobachtung. Wenn man sich gut kennt und den visuellen Kanal ausschaltet, dann bleibt als einzige Dimension zwar nur die Stimme. Auf der anderen Seite ergibt sich jetzt freie Energie: Der Fokus auf die Mimik des Gegenübers entfällt-- auch das unbewusste Beschäftigen damit. Die freien Kapazitäten können jetzt auf die Lösung fokussiert werden, der menschliche Faktor, hier die Stimme, wirkt beschleunigend.“ Priesberg nickt heftig: „Ja, das habe ich auch festgestellt. Und außerdem fühlt sich jeder beim Sprechen unbeobachtet-- die eigene Stimme ist fester und daher überzeugender als sonst.“ Ehrlich merkt an: „Bleibt das Thema neue Kollegen. Lassen die sich auch auf diese Weise integrieren? “ Priesberg wirkt nachdenklich: „Jetzt wo du es sagst-… ich erinnere mich an ein kleines Projekt, in dem zwei neue Kollegen-- es waren IT-Experten-- hinzugekommen sind. Der eine war jung und wissbegierig, der andere zwanzig Jahre älter, wusste und konnte vieles besser. Das Projekt war sehr ineffizient, weil jeder der Kollegen punkten wollte.“ Ehrlich versucht abzuschließen: „Du siehst, hier wirkt der menschliche Faktor bremsend. Nur in Präsenzworkshops lassen sich eine gemeinsame Wissens- und Vertrauensbasis aufbauen. Erst danach ist eine Virtualisierung sinnvoll möglich. All das meine ich damit, die Menschen im Blick zu haben.“ Jetzt will Priesberg seinen Kollegen ärgern und wirkt siegessicher: „Hey, wir sind ganz ohne Komplexitätsbetrachtung ausgekommen.“ Ehrlich aber hat noch einen Trumpf: „Nein, sind wir nicht. Es gibt zwei Kontrollparameter: Die Stimme für den Fall bekannter Kollegen und den Workshop für den Fall neuer Kollegen. Und man muss sie sehr genau einsetzen, um ein stabiles Projektergebnis zu haben.“ Priesberg schließt ab: „Also benötigt Projektmanagement auch in Corona-Zeiten einen großen Werkzeugkasten- - die Notfallapotheke benennt dabei die wichtigsten Teile. Eingangsabbildung: © iStock.com/ Comback Images Dr. Jens Köhler Dr. Jens Köhler, BASF SE, fokussiert sich auf die Digitalisierung in Forschung und Entwicklung. Sein Spezialgebiet ist die Regulation sozialer Komplexität zur Effizienz- und Effektivitätssteigerung von Projektteams. Anschrift: BASF SE, RB / IC, 67 056 Ludwigshafen, eMail: Jens.Koehler@basf.com