PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
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GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.Mit Leitplanken und Formalisierung gelingt die Agilität bei KMUs
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Oliver Steeger
Agile Transformation bedeutet für Großunternehmen: Hierarchien abbauen, sich selbstorganisierende Teams einsetzen, Freiräume für Mitarbeiter schaffen. Für kleine und mittlere Unternehmen – die KMUs – gilt indes anderes. Viele sind bereits extrem flexibel. Statt sich „locker“ zu machen, brauchen sie eher Leitplanken und eine Formalisierung, um agiles Arbeiten in die richtigen Bahnen zu bringen. Judith Armbruster, Agile Coachin und Projektmanagerin, hat die agile Transformation in KMUs wissenschaftlich untersucht – und in ihrer als herausragend bewerteten Masterthesis erstaunliche Ergebnisse zutage gefördert. Vor allem: Sie liefert hilfreiches Handwerkszeug für die konkrete Arbeit. „Zur Agilität in KMUs ist bislang wenig geforscht worden“, sagt Judith Armbruster. Eigentlich erstaunlich in einem vom Mittelstand geprägten Land.
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6 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 32. Jahrgang · 05/ 2021 DOI 10.24053/ PM-2021-0085 Agile Transformation: Kleine und mittlere Unternehmen „ticken“ anders Mit Leitplanken und Formalisierung gelingt die Agilität bei KMUs Oliver Steeger Agile Transformation bedeutet für Großunternehmen: Hierarchien abbauen, sich selbstorganisierende Teams einsetzen, Freiräume für Mitarbeiter schaffen. Für kleine und mittlere Unternehmen-- die KMUs-- gilt indes anderes. Viele sind bereits extrem flexibel. Statt sich „locker“ zu machen, brauchen sie eher Leitplanken und eine Formalisierung, um agiles Arbeiten in die richtigen Bahnen zu bringen. Judith Armbruster, Agile Coachin und Projektmanagerin, hat die agile Transformation in KMUs wissenschaftlich untersucht- - und in ihrer als herausragend bewerteten Masterthesis erstaunliche Ergebnisse zutage gefördert. Vor allem: Sie liefert hilfreiches Handwerkszeug für die konkrete Arbeit. „Zur Agilität in KMUs ist bislang wenig geforscht worden“, sagt Judith Armbruster. Eigentlich erstaunlich in einem vom Mittelstand geprägten Land. Frau Armbruster, kleine und mittlere Unternehmen-- sogenannte KMUs- - gelten häufig als von sich aus agil. Die Mitarbeiter verstehen sich als Familie. Jeder ist mit jedem vernetzt, es gibt kaum Hierarchien- - und Freiheiten genießen die Mitarbeiter meistens auch. Viele dieser Unternehmen betrachten sich bereits als flexibel in ihren Strukturen. Warum brauchen solche KMUs dann noch eine agile Transformation? Judith Armbruster: Agilität bedeutet mehr als nur eine Flexibilisierung der Strukturen. Deshalb gibt es einige Gründe, weshalb KMUs über eine bewusste agile Transformation nachdenken sollten. KMUs können Gefahr laufen, ihre Flexibilität mit richtiger Agilität zu verwechseln. Großunternehmen setzen häufig bei dieser Flexibilität an: Abbau von Hierarchieebenen, Einsetzen von sich selbstorganisierenden Teams und Eigenverantwortung für Mitarbeiter. Richtig! Das sind auch alles wichtige Maßnahmen. Große Unternehmen müssen ihren Mitarbeitern zunächst überhaupt einmal Freiräume schaffen, bevor agil gearbeitet werden kann. Aber? Bei KMUs ist dies eher andersherum. Sie reagieren schnell auf Veränderungen und Wünsche ihrer Kunden. Das ist einer ihrer Wettbewerbsvorteile. Agile Elemente sind den KMUs deshalb völlig selbstverständlich. Ich nenne dies die immanente Agilität in KMUs. Die Schwierigkeit ist: Vielen KMUS fehlt Wissen über Agilität, also Kenntnisse dazu, wie agile Unternehmen funktionieren. Deshalb wird die immanente Agilität in der Regel wenig gemanagt. Sie wird nicht einmal erkannt. Das heißt, die agile Transformation macht ihnen die immanente Agilität erst einmal bewusst? Ein Schaffen des Bewusstseins für das eigene Handeln als Unternehmen- - das ist ein wichtiger Schritt bei der agilen Transformation. Denn Agilität braucht neben Freiheit und Flexibilität auch formale Regelungen. Formale Regeln-- wie darf ich dies verstehen? Eine Art einhegende Disziplin, in der freies, flexibles Arbeiten stattfindet? So ist es! Das heißt aus meiner Sicht: KMUs stehen eher vor der Herausforderung, ihre immanent agilen Abläufe zu formalisieren. Sie müssen bewusst einen Rahmen schaffen, bevor dort im eigentlichen Sinne agil gearbeitet werden kann. Beim agilen Arbeiten geht es ja nicht darum, dass jeder macht, was er will. Man muss zum Wohle der Kunden und des Unternehmens das Richtige tun. Dafür braucht man eine Vision sowie ein Set von Methoden und Vorgehensweisen, um Reportage | Mit Leitplanken und Formalisierung gelingt die Agilität bei KMUs 7 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 32. Jahrgang · 05/ 2021 DOI 10.24053/ PM-2021-0085 dieses angestrebte Ziel in die Realität umsetzen zu können. Anders gesagt, agiles Arbeiten braucht eine Richtung und das passende Handwerkszeug. Sie haben kürzlich Ihre Masterthesis abgeschlossen. In dieser Arbeit haben Sie sich intensiv mit der agilen Transformation in kleinen und mittleren Unternehmen befasst. Sie haben Bestandsaufnahme gemacht, Erfolgsfaktoren ermittelt und Arbeitshilfen entwickelt. Was ist das Kernergebnis Ihrer Arbeit? Vor einem Jahr bin ich von einem Großunternehmen in ein kleines gewechselt, das knapp dreißig Mitarbeiter hat. Ich kenne also beide Seiten. Die Eigenheiten von KMUs herauszuarbeiten, war für mich sehr spannend. Ein wesentliches Ergebnis meiner Arbeit ist: Für die agile Transformation haben KMUs eigene Rahmenbedingungen. Sie müssen ihren eigenen Weg gehen. Darüber hinaus haben wir es mit einer großen Vielfalt zu tun. Es gibt keine Blaupause, kein festes Muster, das man für die Transformation heranziehen könnte. Und doch-- bei einer agilen Transformation werden immer die gleichen, zentralen Themen bearbeitet. Wie diese Themen individuell ausgestaltet sind, das variiert stark, wie gesagt. Das war für mich das eigentlich Überraschende. Hat es sie auch überrascht, wie wenig bisher zum Thema Agilität und agiles Projektmanagement in KMUs bisher geforscht worden ist? Absolut. Es existieren nur wenige generelle Studien: etwa zur Frage, welche agilen Methoden KMUs bereits kennen oder wie sie generell dem Thema Agilität gegenüberstehen. Hinter vielen dieser Studien stehen nur kleine Stichproben, und bei manchen ist auch nicht ganz klar, welche Art von Unternehmen genau untersucht wurden. Aus meiner Sicht ist das Thema Agilität in KMUs ein weiterhin spannendes und dankbares Forschungsfeld. Sie sagten vorhin, dass es für den individuellen Transformationsprozess keine Blaupause gibt. Jedes KMU muss seinen eigenen Weg finden und gehen. Was liefert Ihre Masterthesis an praktischen Handreichungen für diesen Weg? Die Thesis ist darauf ausgelegt, Impulse zu geben. Damit möchte ich KMUs helfen, das Augenmerk auf die richtigen Themen zu lenken. Ein Unternehmen ist ein komplexes Gebilde, in dessen Mittelpunkt vor allem die Mitarbeitenden stehen sollten. Es gibt also viele Komponenten, die Einfluss darauf haben, wie sich die agile Transformation konkret entwickelt und gestaltet werden kann. Was bedeutet dies für die Praxis? Es ist aus meiner Sicht sinnvoll, aus systemischer Sicht bei diesem Prozess auf bestimmte allgemeine Punkte zu achten, die Einfluss auf die Transformation haben. Die Thesis zeigt diese Themen. KMUs können diese Punkte für sich betrachten und Schlüsse daraus ziehen. Neben einem Modell, das diese Themen visualisiert, umfasst meine Thesis auch fünf Canvases. …-also eine Art Set von Tafeln, die KMUs bei der Umsetzung der agilen Transformation verwenden können. Gewissermaßen Plakate zu zentralen Themen. Es soll nicht bei diesen fünf Canvases bleiben, sondern dieses Set soll in Zukunft weiter ergänzt werden. Doch mit dem, was bereits da ist, können KMUs schon jetzt arbeiten und reflektieren: Was bedeutet dieses Thema für das Unternehmen? Wo steht man zu diesem Thema derzeit? Was bedeutet es für den einzelnen Mitarbeiter, wie steht er persönlich dazu? Das klingt alles sehr einladend-… Ich habe tatsächlich versucht, eine einladende Herangehensweise für KMUs zu entwickeln. Zu den Themen der Canvases kann jeder Mitarbeiter etwas beitragen. Damit kann man auch stillere Mitarbeiter aktivieren sowie Menschen verschiedener Hierarchiestufen und Fachrichtungen zusammenbringen. In vielen KMUs findet man zentrale Unternehmerpersönlichkeiten. Also Menschen, die beispielsweise das Unternehmen gegründet haben und ihre Vision verfolgen. Sie haben häufig eine starke Position im Unternehmen. Wie gehen Sie mit ihnen um? Solche Persönlichkeiten sind in den Strukturen sehr präsent und prägend für die Unternehmen-- ein zentraler Aspekt, der durch die agile Transformation ausbalanciert werden muss. Das heißt am Ende auch, dass der Unternehmer ein Stück weit loslassen muss. Dieses Loslassen kann eine der größten Herausforderungen bei der agilen Transformation in kleinen und mittleren Unternehmen werden. Man gerät schnell in ein agiles Dilemma, wenn diese Persönlichkeiten versuchen, ihrem Unternehmen agile Arbeitsweisen überzustülpen. Dann ist die Organisation quasi unflexibel flexibel? Ja. Das ist schlichtweg keine gelebte Agilität. Das funktioniert nicht. Außerdem wird dadurch nur selten eine passende Struktur gefunden. Schließlich wird eine wichtige Perspektive, die Sichtweise der Mitarbeitenden, gänzlich ignoriert. Vorhin haben Sie angedeutet, dass Sie Agilität in einem Großunternehmen kennengelernt haben. Was hat Sie dazu geführt, sich in ihrer Masterthesis ausgerechnet auf KMUs zu fokussieren? Die Idee ist mir bei meinem berufsbegleitenden Masterstudium gekommen. An einem Samstag haben wir uns in einer Lehrveranstaltung intensiv mit agiler Transformation beschäftigt. Ein Dozent hat über seine Arbeit in einem Konzern berichtet. Die Veranstaltung war sehr gut. Die Diskussionen haben zu Einsichten geführt. Aber nach der Veranstaltung habe ich erkannt: So gut die Vorlesung war, so wenig konnte ich davon für meine Arbeit mitnehmen. Denn ich war knapp einen Monat zuvor in das kleine Unternehmen gewechselt. Dieser Gedanke, dass ich mit den guten Inhalten nichts anfangen konnte, hat mich nicht wieder losgelassen. Das heißt, die Kernidee für Ihre Masterthesis ist direkt nach der Veranstaltung entstanden? Ja, beim Joggen im Wald. Im Wald-- wirklich? Ja. Ich habe mich beim Laufen erstmals gefragt, was an KMUs anders ist und welchen besonderen Bedingungen sie unterliegen. Agilität ist ja mehr als eine Herangehensweise. In ihr drückt sich ein Mindset aus, eine Haltung von Offenheit und Neugier gegenüber der Welt. Reportage | Mit Leitplanken und Formalisierung gelingt die Agilität bei KMUs 8 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 32. Jahrgang · 05/ 2021 DOI 10.24053/ PM-2021-0085 Wie sind Sie das erste Mal mit Agilität in Berührung gekommen? Mein Weg mit und zur Agilität war ein Entwicklungsprozess. Die Vorteile agiler Arbeitsmethoden wurden mir bewusst, als ich in einem agilen Softwareprojekt mitgearbeitet habe. Wir haben damals im Team eine Software entwickelt. Ich habe über zwei Jahre erlebt, wie sie iterativ Stück für Stück gewachsen ist. Alle paar Wochen war die Software ein Stück weiter und um neue Funktionen ergänzt. Das hat mich-- zusammen mit dem großartigen Teamspirit- - begeistert. In einem nachfolgenden Projekt hatte ich erstmals eine führende Rolle. Ich war Product Ownerin und hatte eine hervorragende Scrum Masterin an meiner Seite. In diesem Projekt habe ich erstmals erlebt, wie man aus den verschiedenen agilen Rollen heraus das Team positiv beeinflussen kann. Was ist der Kern, der Sie an Agilität reizt? Agilität lebt vom vernetzen Denken. Man denkt viel darüber nach, wie man Erkenntnisse übertragen und zusammenbringen kann. Wenn etwas in einem anderen Projekt funktioniert-- funktioniert dies auch in dem eigenen? Dafür muss man Dinge ausprobieren und kleine Experimente starten. Man hinterfragt immer wieder Bestehendes, und kann darauf aufbauend ein Ergebnis gestalten. Das alles macht viel Spaß, besonders im Team. Letztlich bringt mich das auch persönlich weiter. Stetige Weiterentwicklung ist für mich ein zentraler Aspekt von Agilität. Verändert Agilität die Haltung der Beteiligten? Das wäre wünschenswert. Es braucht eine Veränderung in der Haltung der Beteiligten. Aber diese Veränderung kann nur jeder einzelne selbst für sich bewirken. Was kann man tun, um diese Veränderung zu begünstigen? Man kann den Mehrwert der Agilität verdeutlichen- - oder noch besser, Mitarbeiter den Mehrwert erleben lassen. Das ist eine Aufgabe des Agilen Coachs. Nehmen wir ein typisches, vielzitiertes Beispiel-- die Fehlerkultur in agilen Projekten. Niemand will Fehler machen, keiner ist perfekt. Dennoch kommt es zu Fehlern. Die Frage ist, wie man damit umgeht. Für das Ergebnis im Projekt ist es am besten, wenn Fehler möglichst früh angesprochen werden und nur einmal gemacht werden. Das grenzt mögliche Schäden ein. Also ein konstruktiver Umgang mit Fehlern statt Schuldige zu suchen-… …-für den man aber eine bestimmte Kultur im Unternehmen braucht und einen sicheren Raum. Das Team muss Fehler offen benennen, zusammen Abhilfe schaffen und aus dem Fehler für die Zukunft lernen. Davon profitieren alle: das Team und der Kunde. Die Suche nach dem Schuldigen gibt vielleicht Einzelnen eine weiße Weste, bringt sonst aber niemanden weiter. Man lernt nichts daraus. Es trägt kaum etwas zur Korrektur der Fehler bei. Im Gegenteil: Die Suche führt eher dazu, dass man versucht, Fehler zu vertuschen und dass Mitarbeitende gegeneinander statt miteinander arbeiten. Sie haben Agilität sowohl in einem Großunternehmen und als auch in einem kleinen Unternehmen erlebt. Sprechen wir bitte über den Nutzen der Agilität. Ziehen KMUs einen anderen Nutzen aus agiler Arbeitsweise als Großunternehmen? Nein, ich denke nicht. Der Mehrwert als solcher unterscheidet sich kaum. In beiden Fällen geht es darum, dass sich Unternehmen für die Zukunft aufstellen. Sie konzentrieren sich darauf, Kunden einen Mehrwert zu liefern-- also darauf, was der Kunde exakt braucht und genau dafür ein Produkt, Service oder Lösung zu bieten. Da ist kein Unterschied zwischen Großunternehmen und KMUs. Gleiches gilt für die Mitarbeitenden. Sie arbeiten gerne in agilen Unternehmen. Auch da machen KMUs und Großunternehmen keinen Unterschied. Interessanter Punkt! Agile Arbeitsweise kommt Mitarbeitern entgegen, sagen Sie. Als Agilität vor einigen Jahren aufgekommen ist, stand die Wettbewerbsfähigkeit in dynamischen, disruptiven Märkten weit vorne. Unternehmen wollten in der VUCA-World, von der alle sprachen, besser bestehen. Erst später hat man erkannt: Die agile Arbeitsweise bindet ja auch Mitarbeiter. Das ist ein guter Vorteil im Wettbewerb um Talente. Inwieweit spielt die Überlegung, Belangen der Mitarbeiter entgegenzukommen, in KMUs eine Rolle? Agilität bedeutet ja nicht nur Flexibilität, sondern auch Sensitivität-- und zwar nicht nur in Richtung Markt, sondern auch nach innen hinein in die Organisation. Vor der Herausforderung, ein attraktiver Arbeitseber zu sein stehen KMUs und Großunternehmen gleichermaßen. Inwiefern Sensitivität? Sensitivität steht für mich auch für Aufmerksamkeit und Achtsamkeit. Die Fühler ausstrecken für die Bedürfnisse der Beteiligten und für die eigenen Bedürfnisse und diese in Balance zu bringen. Was brauchen Kunden? Was brauchen Mitarbeiter im Team? Was braucht das Unternehmen? Und was brauche ich als Mitarbeiter gerade? Was man selbst gerade braucht- - diese Frage stellen sich viele ältere Mitarbeiter kaum. Ist das bei den Jungen anders? Ich denke, dass junge Mitarbeiter da anders ticken. Sie verinnerlichen die agile Arbeitsweise schnell und erkennen, dass Agilität nicht nur ihrem Unternehmen guttut, sondern auch ihnen. Wir erleben, dass man Hochschulabsolventen oder Werksstudenten mit agiler Arbeitsweise hervorragend abholen kann. Sie blühen regelrecht auf. Das heißt nicht, dass sie weniger arbeiten. Ganz im Gegenteil, sie arbeiten mehr als andere. Wir müssen sie manchmal bremsen. Was genau begeistert junge Mitarbeiter an der agilen Arbeitsweise? Ich habe häufig gerade von Werkstudenten gehört, dass sie sich in der agilen Welt wirklich ernst genommen fühlen, sich persönlich einbringen können und Ergebnisse ihrer Arbeit sehen, die wertgeschätzt werden. Ihre Interessen und Bedürfnisse haben Gewicht. Die Interessen aller Beteiligter-- Unternehmen, Mitarbeitenden, Kunden-- werden ausbalanciert. Reportage | Mit Leitplanken und Formalisierung gelingt die Agilität bei KMUs 9 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 32. Jahrgang · 05/ 2021 DOI 10.24053/ PM-2021-0085 project process change agile www.nextlevelconsulting.com Experten für Ihren Erfolg. Wir unterstützen Sie dabei, Projekte durchzuführen, Prozesse zu verbessern und Veränderungen so zu steuern, dass Ihr Unternehmen den größtmöglichen Nutzen daraus ziehen kann. Unser erfahrenes Team von internationalen Expert*innen steht für Sie bereit mit branchenspezifischem Know-how. Energie für Ihre Ziele. Kundenzufriedenheit ist der Maßstab für unseren Erfolg. 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Irrtümer, Satz- und Druckfehler vorbehalten. online D50 D11 online Reportage | Mit Leitplanken und Formalisierung gelingt die Agilität bei KMUs 10 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 32. Jahrgang · 05/ 2021 DOI 10.24053/ PM-2021-0085 Wie sieht dieses Ausbalancieren konkret aus? Hat beispielsweise ein Unternehmen viele Projekte, ist also viel los- - dann setzen sich Mitarbeiter ein. Aber genauso muss das Unternehmen ihnen in ruhigen Phasen die Möglichkeit geben, sich zurückzulehnen und etwa geleistete Überstunden abzubauen. Die Mitarbeitenden merken, dass es in Ordnung ist, sich in ruhigen Phasen zurückzunehmen. Mitarbeiter können dann Kraft tanken für lebhaftere Zeiten des Geschäfts. Dadurch entsteht ein gesundes Unternehmen. Das bedeutet auch Abschied zu nehmen von der Maxime, dass es im Unternehmen ständig aufwärts mit dem Geschäft geht- - höher, weiter und schneller. Wird dies auch von älteren Mitarbeitern verstanden? Sie tun sich manchmal schwer damit. Sie haben über Jahrzehnte eine andere Arbeitsweise praktiziert und sich daran gewöhnt. Es fällt ihnen schwer, sich zu verändern. Sie betrachten Angebote, anders zu arbeiten und an die eigenen Bedürfnisse zu denken, häufig sogar als zusätzliche Aufgabe und Belastung-- statt als Angebot. Zum Beispiel? In unserem Unternehmen haben wir die sogenannte „Qualitätszeit“ eingeführt. Jeder kann sich eine Stunde pro Woche nehmen für seine persönliche Entwicklung. Er kann beispielsweise seine Softskills erweitern, einen Fachartikel lesen oder in eine neue Programmiersprache reinschauen. Es gibt also Leitplanken. Doch niemand muss Rechenschaft ablegen, wie er diese Qualitätszeit für sich verwendet. Mit der Qualitätszeit haben wir auch ein Signal gegeben: Es ist völlig okay, wenn Mitarbeiter mal nicht unmittelbar für ihr Projekt arbeiten. Persönliche Weiterentwicklung ist erwünscht. Das ist am Ende positiv, auch für das Projekt. Wie haben ältere Mitarbeiter auf das Angebot von Qualitätszeit reagiert? Anders als erwartet. Sie haben beispielsweise gefragt, ob sie die Qualitätszeit wirklich nehmen müssen. Ob sie danach Überstunden machen sollen, um die Zeit auszugleichen. Sie haben argumentiert, dass sie dann länger im Büro bleiben müssen, um ihre Projektarbeit zu schaffen. Genau das wollten wir jedoch nicht. Wie kann man damit umgehen? Dialog ist wichtig. Das heißt, einen gemeinsamen Dialog mit verschiedenen Perspektiven zu fördern. Es handelt sich um ein ständiges Austarieren und Ausbalancieren von Bedürfnissen-- denen des Unternehmens, des Kunden, des Teams und der eigenen. Wie darf ich mir dieses Ausbalancieren vorstellen? Angenommen, ein zweiwöchiger Sprint umfasst Programmierung und Design von neuen Software-Elementen. Um die Funktion in der Programmierung umsetzen zu können, muss zunächst das Design erstellt werden. Designer und Entwickler müssen sich einigen, wer was wann in den zwei Wochen liefert. Vielleicht braucht der Entwickler das Design früher, weil er Urlaub plant; der Designer hat wiederum noch Abhängigkeiten mit anderen Aufgaben im Sprint. Dann wird das Team eine kreative Lösung finden, die zu den Erwartungen und Bedürfnissen passt. Mit dem agilen Dialog ist die Planbarkeit in dem komplexen Projektumfeld wiederhergestellt. Nochmals zur agilen Transformation. Wo liegen die Herausforderungen für Mitarbeiter bei solch einer Transformation? Es geht darum „dranzubleiben“. Es darf nie der Eindruck entstehen, dass der agile Wandel ein spontaner Hype ist, weder für den Einzelnen noch für das Unternehmen. Die Mitarbeitenden müssen erkennen, dass es ihrem Unternehmen wirklich ernst mit dem Wandel ist. Inwiefern ernst? In manchen Unternehmen wird die Transformation gestartet. Alle legen sich ins Zeug- - doch das Neue wird nicht gelebt. Die alten Routinen kehren zurück. Die Befürchtung, dass am Ende doch alles vergebens ist, kann Mitarbeitende frustrieren. Das Unternehmen muss also Entschlossenheit und Verlässlichkeit bei der Veränderung beweisen, nicht nur einmal, sondern laufend. Das ist entscheidend. Wie kann ein Unternehmen diese Verlässlichkeit in der Praxis beweisen? Für die agile Transformation gibt es Werkzeuge, die man gezielt einsetzen kann, um schnell zu ersten spürbaren Erfolgen zu kommen. Diese Werkzeuge sollte man nutzen. Sehen Mitarbeiter, dass sich durch die agile Transformation etwas zum Besseren wendet, dass Fortschritte erzielt werden, dass sich die Situation auch für sie persönlich verbessert- - dann sind sie offen den Wandel auch selbst zu unterstützen. Also schnell Mehrwert für die Organisation schaffen? Vor allem auch für die einzelnen Mitarbeiter. Sie sollten spüren, dass sich für sie persönlich etwas bewegt. So bekommen sie Lust auf agiles Arbeiten. Sie wirken dauerhaft an der Transformation mit. Fehlt es dagegen an solchen frühen, positiven Ergebnissen, dann machen die Leute dicht. Sie sagen: Es bringt nichts, Agilität ist ein nutzloser Ansatz. Ist die agile Transformation versandet, wird es für einen erneuten Anlauf umso schwieriger. In Ihrer Masterthesis beschreiben Sie die Bedeutung zum einen von Kommunikation, zum anderen von Experimenten. Sprechen wir bitte zunächst über Experimente. Wie setzen Sie Experimente bei der agilen Transformation in KMUs ein? Durch Experimente kann man Hypothesen überprüfen. Wir beobachten in Unternehmen ja häufig nur die Symptome. Hypothesen helfen, zu den Ursachen für die Symptome vorzustoßen. Ein Beispiel dafür: In unserem Unternehmen haben wir beobachtet, dass unsere Projektteams mitunter isoliert voneinander gearbeitet haben. Unser Geschäftsführer ist gewissermaßen zwischen den Teams gependelt. Er hat im Rahmen des ihm Möglichen für den Informationsfluss gesorgt. Weshalb haben die Teams so isoliert gearbeitet? Eine Hypothese war: Unsere Mitarbeiter haben keine Gelegenheit, bei der sie sich projekt- und teamübergreifend austauschen können. Wir haben auf Basis dieser Hypothese ein Experiment gestartet und quasi Räume für den Austausch geschaffen. Wir haben Communities of Practice gegründet. In diesen Gruppen können Mitarbeiter, die sich für ein bestimmtes Thema interessieren, zusammenkommen und an diesen Themen arbeiten. Reportage | Mit Leitplanken und Formalisierung gelingt die Agilität bei KMUs 11 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 32. Jahrgang · 05/ 2021 DOI 10.24053/ PM-2021-0085 Ist das Experiment gelungen? Ja und nein. Die Communities of Practice sind gut angenommen worden. Die ursprünglichen Gruppen haben sich nach kurzer Zeit neu gemischt und eine hat sich wieder aufgelöst. Gemeinsam haben wir gemerkt: Die Themen, über die die Gruppen diskutiert hatten, waren doch nicht passend. Oder sie boten zu wenig Möglichkeiten zum Austausch und gemeinsamen Arbeiten. Daraus haben wir gelernt und neue Ideen haben sich entwickelt. Neben Experimenten nennen Sie die Kommunikation als wesentlichen Erfolgsfaktor für die agile Transformation. Wie darf ich dies genau verstehen? Kommunikation hat zwei Aspekte. Erstens, es geht um Informationsaustausch und Transparenz. Digitale Werkzeuge helfen dabei sehr gut, Informationen auszutauschen und Transparenz zu schaffen, also Informationen so zu verbreiten und verfügbar zu machen, dass sich jeder in den agilen Prozess einbringen kann. In digitalen Plattformen für den Informationsaustausch sehe ich eine große Chance. Zweitens, Kommunikation hat eine weitere Bedeutung-- im Sinne von Reflexion, Feedback und Retrospektiven. Es geht darum, dass man die Arbeitsweise im eigenen Team und auch im Unternehmen reflektiert. Also immer wieder hinterfragt, ob die eigenen Prozesse noch immer passen zur Aufgabe, zum Unternehmen, zum Kunden-- und zu einem selbst. Retrospektiven sind Teil des agilen Prozesses-… …-ja, aber man muss dranbleiben. Man muss ehrlich kommunizieren, man darf Bedenken nicht verschweigen, auch wenn diese vielleicht im Augenblick unbequem sind. Kürzlich hatten wir in meinem Unternehmen ein Meeting, bei dem sich ein Kollege unzufrieden mit einer Prozessänderung gezeigt hat. Es war nur eine kritische Stimme im Team. Dennoch sind wir zusammen nochmals in die Diskussion gegangen. Dahinter steht auch das Signal: Es ist in Ordnung, wenn etwas noch nicht passt. Lass uns darüber sprechen. Dieser Weg der Veränderung ist unbequem, mühsam. Er erfordert Geduld und einen langen Atem. Neben der Kommunikation heben Sie die Bedeutung von Sprache selbst hervor. Sie setzen sich dafür ein, bei der Transformation bewusst mit Sprache umzugehen. Wie darf ich dies genau verstehen? Bewusst eingesetzte Sprache spielt aus meiner Sicht eine große Rolle für den Erfolg der Transformation. Einerseits kann man durch die Worte, die man wählt, ausdrücken: Es handelt sich bei der Transformation um etwas wirklich Neues, um einen Aufbruch. Damit hebt man sich bewusst ab von der alten Welt und unterstreicht Unterschiede. Andererseits drückt Sprache generell die Haltung aus, die ein Mensch hat. Eine Haltung-- inwiefern? Wer Begriffe wie Schuld oder Fehler häufig verwendet, der sucht auch häufig Schuldige bei Fehlern. Verwendet man solche Begriffe selten, sagt dies etwas über die persönliche Einstellung aus, etwa zur Fehlerkultur. Wie kann Sprache den Aufbruch signalisieren, wie Sie es eben genannt haben? Ein Beispiel ist unser Begriff „Qualitätszeit“. Wir haben lange nach einem guten Namen dafür gesucht. Es gab verschiedene Vorschläge. Am Ende haben wir uns für den Begriff „Qualitätszeit“ entschieden. Er drückt zum einen aus, dass es um Qualität für den Mitarbeiter geht. Zum anderen zeigt er, dass durch sinnvoll genutzte Qualitätszeit wiederum Qualität für den Kunden geschaffen werden kann. Wir wollen ja, dass der Mitarbeiter zugleich an sich als auch an sein Projekt denkt, wenn er sich diese Stunde nimmt. Sprache schafft bekanntlich auch Missverständnisse-… Das stimmt. Jeder einzelne verbindet mit Wörtern verschiedene Nuancen. Jeder hat andere Erfahrungen und einen persönlichen Hintergrund, der die Interpretation eines Begriffs prägt. Also muss man sich bei zentralen Begriffen austauschen: Was versteht der eine unter einem Wort? Was versteht der andere? Unternehmen, die eine agile Transformation starten, betreten meistens Neuland. Sie brauchen einen Klärungsprozess, einen Dialog über die neuen Begriffe. Lassen Sie uns bitte zum Abschluss einen Ausdruck klären, den ich in Ihrer Masterthesis gefunden habe. Sie beschreiben die agile Transformation als einen dynamischen und dauerhaften Prozess. In diesem Zusammenhang sprechen Sie von der „agilen Blüte“. Was ist mit dem Begriff agile Blüte gemeint? Die agile Transformation in KMUs ist nach meiner Auffassung nie richtig zu Ende. Es handelt sich um einen ständigen, evolutionären Kreislauf. Deshalb wird in diesem Zusammenhang der Kreis häufig als ein Symbol verwendet. Er steht für Iteration. Aber offen gesagt, dieses Symbol hat mich nicht befriedigt und meine Gedanken nicht richtig ausgedrückt. Der Kreis ist zu glatt, zu perfekt? Genau! Da bin ich auf die Blütenform gekommen. Sie ist nicht kreisrund oder perfekt. Aber dennoch ist die Blütenform sehr natürlich; eine Blüte ist ja nach außen hin offen. Sie kann sich entfalten und entwickeln. Sie ist schön, steht für Veränderung und spricht Menschen an. Für mich passt deshalb das Bild der Blüte gut zur agilen Transformation. Eingangsabbildung: © iStock.com / Mlenny Judith Armbruster Judith Armbruster, Agile Coachin & Projektmanagerin, gestaltet gerne. Nach ihrem Studium im Bereich Design sowie der Arbeit als UI / UX Designerin und Product Ownerin bei Robert Bosch Power Tools liegt ihr Fokus inzwischen auf der Gestaltung von Projekten sowie der Entwicklung von Teams und Organisationen. Gefestigt hat sie ihr Wissen im Rahmen des berufsbegleitenden Studiengangs „agiles Projekt- und Transformationsmanagement“ an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt in Nürtingen-Geislingen sowie parallel dazu in ihrer Arbeit bei iT Engineering Software Innovations in Pliezhausen, Landkreis Reutlingen. Foto: Peter Löbel