eJournals PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL 32/5

PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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2941-0878
2941-0886
UVK Verlag Tübingen
10.24053/PM-2021-0090
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2021
325 GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.

Wie bewegt man einen Tanker? – Transformationen in etablierten Konzernen

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2021
Roscoe Araujo
Cornelia Zimmer-Reps
Wie bewegt man einen Tanker, also Unternehmen, die für Größe, Tradition und frühere Erfolge stehen? Vor allem wenn seit einigen Jahren der Erfolg hinkt und der Name in den letzten Jahren auch in der Öffentlichkeit sehr in der Kritik steht. Kommt Ihnen das aus Ihrem Unternehmen bekannt vor? Ein weiter so und klassische Performanceprojekte sind keine Option mehr, die Belegschaft ist müde und frustriert. Wie kann dieser Tanker wieder Fahrt aufnehmen und tatsächlich in Bewegung kommen, sodass die Motivation der Mitarbeitenden wieder steigt und die Marke zu neuer Stärke finden kann? Darauf gehen wir in unserem Beitrag ein.
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34 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 32. Jahrgang · 05/ 2021 DOI 10.24053/ PM-2021-0090 Wie bewegt man einen Tanker? -- Transformationen in etablierten Konzernen Roscoe Araujo, Cornelia Zimmer-Reps Für eilige Leser | Wie bewegt man einen Tanker, also Unternehmen, die für Größe, Tradition und frühere Erfolge stehen? Vor allem wenn seit einigen Jahren der Erfolg hinkt und der Name in den letzten Jahren auch in der Öffentlichkeit sehr in der Kritik steht. Kommt Ihnen das aus Ihrem Unternehmen bekannt vor? Ein weiter so und klassische Performanceprojekte sind keine Option mehr, die Belegschaft ist müde und frustriert. Wie kann dieser Tanker wieder Fahrt aufnehmen und tatsächlich in Bewegung kommen, sodass die Motivation der Mitarbeitenden wieder steigt und die Marke zu neuer Stärke finden kann? Darauf gehen wir in unserem Beitrag ein. Schlagwörter | Change, VUCA, Transformation, Influencer Wo stehen viele Unternehmen derzeit? Haben Sie sich schon einmal die Frage gestellt: „Warum möchten Sie bei einem Unternehmen arbeiten? Der Produkte wegen? Für die Karriere? Für inspirierende Führung? Um etwas zu verändern? Um ein geregeltes Einkommen zu sichern? Die Rechnungen zu bezahlen? Finanzielle Sicherheit zu haben? “ Was ist der eigentliche Grund, warum Menschen in ein Unternehmen eintreten und vor allem dort bleiben? Wir können in der aktuell noch prägenden Generation der Babyboomer und / oder Generation X vor allem die Gründe Versorgung und Status als Hauptgründe beobachten. Dies bestätigen auch Gloger und Rösner in ihrem Buch „Selbstorganisation braucht Führung“ (in Anlehnung an Simon Sinek) und benennen Unternehmen sogar als Versorgungsanstalten oder Versorgungstanker. Also ein Unternehmen, in dem man bis ans Ende der beruflichen Laufbahn bleibt und ein üppiges Einkommen bezieht. Dies steht im starken Kontrast zur VUCA-Welt, in der Veränderungen um uns herum schneller stattfinden, als wir es häufig innerhalb der meisten Unternehmen bewältigen können. Wie man in Büchern wie „Exponential Organizations“ lesen kann, können neu gegründete Unternehmen zum Teil in wenigen Jahren eine Marktkapitalisierung von einer Milliarde erreichen, wohingegen Unternehmen vor einigen Jahren noch Jahrzehnte dafür gebraucht haben. Was ist also eine typische Antwort so eines Unternehmens auf eine derartige Herausforderung? Von Investitionen in neue Geschäftsmodelle bis zu Restrukturierungen gibt es eine ganze Bandbreite von möglichen Lösungen. Typischerweise flüchten sich traditionelle Unternehmen auch in traditionelle Herangehensweisen, wie zum Beispiel einer klassischen Umstrukturierung, in der die Aufbauorganisation verändert wird. Abteilungen werden zusammengezogen oder getrennt, Teammitglieder verschoben und alte Führungskräfte auf neuen Positionen installiert, sodass auf dem Papier die neue Organisation scheinbar tadellos, innovativ und vollkommen überzeugend wirkt. Die Realität sieht jedoch leider häufig völlig entgegengesetzt aus. Bestehende Arbeitsbeziehungsgeflechte werden von heute auf morgen aufgebrochen und Teams finden sich über Nacht in neuen Konstellationen und konfrontiert mit neuen Aufgaben. Und zum Ende der Transformation, wenn die Organisation live gehen soll, merkt das verzweifelte Projektteam, dass die Akzeptanz für die Umstrukturierung äußerst gering ist. Es gibt unter Umständen sogar eine Schattenorganisation, die parallel zu der offiziellen neuen Organisation noch nach alten Regeln agiert und arbeitet. Hier ist es jedoch oft schon zu spät, um die Transformation zu retten. So beginnt ein Teufelskreis, der die Belegschaft müde und mürbe macht, sodass jede neue Transformation zum Scheitern verurteilt wird. Erkennen Sie diese „Symptome“ aus Ihrem Unternehmen wieder? Es verwundert nicht, dass die Erfolgsquote von Transformationen weltweit in unterschiedlichsten Publikationen nur bei 20-30 % angesetzt Wissen | Wie bewegt man einen Tanker? -- Transformationen in etablierten Konzernen 35 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 32. Jahrgang · 05/ 2021 DOI 10.24053/ PM-2021-0090 wird. Wenn man diese Erfolgsquote in Beziehung zu den monetären Aufwänden setzt sowie den Anstrengungen der Mitarbeitenden, kann dies nur in höchstem Maße enttäuschend sein. Doch selbst bei erfolgreichen Transformationen, in denen das Organigramm vollständig umgestellt wird, ist man noch nicht auf der sicheren Seite. Was macht man, wenn bereits die nächste Bedrohung von außen ansteht? Greift man wieder zum Organigramm? Und dies vielleicht sogar alle ein bis zwei Jahre? Die Zeit und die Energie reichen für dieses Kästchenverschieben auf Dauer nicht aus. Vielmehr ist es eine Frage, wie eine Organisation dauerhaft und schnell genug auf Veränderungen reagieren kann. Vielleicht ist es sogar die entscheidendste Frage, die sich Unternehmen in der heutigen Zeit stellen müssen. Es geht also nicht nur darum, der Größte zu sein, wie dies vielleicht früher bei den Versorgungsanstalten der Fall war, sondern vielmehr gemäß des „Survival of the fittest“ nach Charles Darwin darum, sich am besten und schnellsten an sich verändernde Umstände anzupassen, um das Überleben und Fortbestehen des Unternehmens zu sichern. Diverse Autor*innen wie F. Laloux haben in Veröffentlichungen wie „Reinventing Organizations“ bereits dargelegt, wie sich Organisationen schnell genug anpassen können. In diesen Werken werden Negativbeispiele wie Nokia, wie auch Positivbeispiele wie Netflix genannt. Viele der Positivbeispiele entstammen kleineren bis mittelgroßen Unternehmen. Insbesondere in Deutschland stellt sich allerdings immer wieder die Frage, wie bei großen, traditionsreichen und aus der Vergangenheit erfolgsverwöhnten Unternehmen dieser Wandel gelingen kann. Wie gelingt Change Management in der VUCA- Welt für Großunternehmen und Konzerne? Change Management wurde und wird in vielen Bereichen nur in minimaler Form angewandt. Man hat beispielsweise in klassischen Projekten oft streng ablauforientiert agiert und die Mitarbeitenden zuallerletzt über die anstehende Veränderung informiert, die dann oft auf Widerstand stößt. Change Management war dann die bloße Kommunikation über vollendete Tatsachen. Zu einem vollumfänglichen Change Management gehört jedoch eine frühe Einbindung der breiten Masse und Partizipation. An dieser Stelle zeigen sich Parallelen eines zeitgemäßen und modernen Change Managements mit Ansätzen aus der agilen Welt. Diese sind beispielsweise die frühe Einbindung der „Kund*innen“. Damit sind allerdings nicht nur die Auftraggeber*innen der Veränderung gemeint, sondern auch die Endkund*innen, also die Mitarbeitenden, die unmittelbar von der Veränderung betroffen sind. Des Weiteren ist die iterative Vorgehensweise ein besonders gutes Mittel, um in der Transformation immer á jour zu bleiben. Denn wie wir wissen, sind insbesondere Veränderungsprojekte hochgradig dynamisch und die Bewegungen in so einem Konstrukt unberechenbar. Eine langfristige Planung kann also nur fehlerhaft sein und sollte daher in kurzen Zyklen überprüft und angepasst werden. Wobei bei der Überprüfung, unbedingt Feedback der Organisation, oder zumindest eines repräsentativen Teils, einzuholen ist, um die Richtungskorrektur anzugehen. Spezielle Kommunikationsformate, wie Lean Coffee, helfen dabei in einem informellen Rahmen Stimmungsbilder einzuholen bzw. eine Rückkopplung zur Organisation zu etablieren. Hiermit lassen sich die Wirksamkeit der Veränderungsmaßnahmen gut einschätzen und etwaige „Tretminen” aufdecken. So können in jeder Iteration immer wieder neue Schwerpunkte gesetzt werden, die das Projekt Stück für Stück voranbringen und dabei durch Partizipation ein großes Maß an Akzeptanz sicherstellen. Dies beschreibt auch Jason Little in seinem Lean Change Cycle. Abbildung 1: Behavioral Change Model (angelehnt an AKKO Modell, von Hehn, Cornelissen & Braun) Wissen | Wie bewegt man einen Tanker? -- Transformationen in etablierten Konzernen 36 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 32. Jahrgang · 05/ 2021 DOI 10.24053/ PM-2021-0090 Rahmenmodell für die Transformation Für die Einführung einer erfolgreichen Transformation ist auch ein iteratives Vorgehen auf Basis eines systematischen Modells sinnvoll. Ein sehr wirksames Instrument ist das als „Behavioral Change Model“ betitelte Framework. Es basiert auf dem AKKO-Modell nach von Hehn, Cornelissen und Braun und umfasst vier Elemente, in denen Maßnahmen definiert werden, um eine optimale Akzeptanz für die neuen Vorgehensweisen herbeizuführen. Startpunkt sollte der Quadrant links oben sein, um von dort ausgehend im Uhrzeigersinn alle vier Teile zu adressieren. Die ersten beiden Elemente orientieren sich sehr stark am Mindset, wie dem Verstehen und der sozialen Konformität, die letzteren beiden an den harten Themen, wie dem Kontext, Systemen, Prozessen, Tools und Fähigkeiten. Dieser 4er-Zyklus sollte für jede kritische Stakeholdergruppe durchgeführt bzw. darauf überprüft werden, um sicherzugehen, dass die Maßnahmen umfassend ausfallen und die wichtigsten Interessensvertreter behandelt werden. Es gibt häufig die Diskussion, ob man beim Mindset oder beim Kontext ansetzen soll. Beim Mindset geht es vor allem darum, Personen von einer Veränderung zu überzeugen, indem man sie beispielsweise involviert. Wenn man primär den Kontext nutzt, setzt man eher auf Systeme, Prozesse und Strukturen. Wie bei einem Flussbett versucht man Stein für Stein so zu drapieren, dass der Fluss, also die Veränderung, optimal fließen kann und automatisch in das neue Flussbett übertritt. Ein anschauliches Beispiel ist das Thema Organspende. In Ländern wie Deutschland versucht man durch Initiativen und Aktionen die Bevölkerung dazu zu bewegen, sich freiwillig als Organspender*innen zu melden. Dagegen setzt Das System, bei dem die Ressourcenplanung funktioniert Ressourcenmanagement Projektportfolio-Management Aufwand- & Kosten-Controlling Projektplanung Vereinbaren Sie noch heute Ihre persönliche Webdemo Scheuring AG CH-4313 Möhlin � +41 61 853 01 54 www.scheuring.ch � info@scheuring.ch www.ressolution.ch Anzeige man in Ländern wie Österreich, Frankreich, Italien, Schweden oder Ungarn auf die sogenannte Widerspruchslösung. Diese besagt, dass alle Menschen Organspender*innen sind und zu Lebzeiten aktiv widersprechen müssen, um eine Organentnahme bei Hirntod zu verhindern. In diesem Fall ist es nicht überraschend, dass die Organspender*innenquote in diesen Ländern deutlich höher als in Deutschland ausfällt. Heißt das, dass man erfolgreiche Veränderungen im großen Stil nur durch die Veränderung des Kontexts erreichen kann? In der unternehmerischen Praxis sieht dies in der Regel gänzlich anders aus. Beim Einführen eines neuen IT-Systems wie bspw. eines CRM-Systems ist oft nur der Blick auf das Technische im Vordergrund. Verfahren bzw. Prozesse müssen dem System folgen. Dies geschieht jedoch nicht von selbst und erfordert nicht selten zusätzlich zu der Überzeugungsarbeit und Kommunikation auch enormen Druck aus der Organisation, um die Datenqualität sicherzustellen. Nicht selten wird bei fehlender Überwachung und Kontrolle das neue System umgangen. So wird oft ein selbst gestricktes Schattensystem gepflegt, in dem einzelne Einheiten für sich selbst dem alten Verfahren treu bleiben und beispielsweise eigene Kundenlisten führen. Somit endet eine gut gemeinte Erleichterung durch die Einführung eines IT-Systems leider oft in ungewollter Mehrarbeit für die Einzelperson, ohne die beabsichtigten Vorteile des neuen Systems in Gänze zu realisieren. Insbesondere in unternehmerischen Konstellationen sollte man sowohl das Mindset als auch den Kontext adressieren. Das Mindset hilft, dass Mitarbeitende die Veränderung treiben und sogar Hindernisse aus dem Weg räumen bzw. auf diese aufmerksam machen. Der Kontext stellt sicher, dass sich die Veränderung auf Dauer verstetigen kann und auf die gesamte Organisation skaliert wird. Verständnis erzeugen Der erste Schritt, um das Mindset für eine Transformation zu schaffen, ist ein Verständnis hierfür zu erzeugen und die Frage nach dem „Warum“ zu beantworten. Warum verändert sich mein Unternehmen? Warum ist diese Maßnahme die richtige? Warum wird es funktionieren? Warum kann es nicht so bleiben, wie es ist? Im Change Management wird hier mit einer sogenannten „Change Story“ gearbeitet. Diese wird jedoch nicht von einem unbeteiligten Beraterteam entwickelt, sondern sollte von den Sponsoren der Transformation primär selbst entwickelt werden. Dann wird die Change Story in der Führungskaskade von jeder Ebene für sich interpretiert, sodass die Relevanz für den Einzelnen greifbar wird und auch die Handlungsbereitschaft auf allen Ebenen steigt. Dabei geht es nicht nur darum, eine rational klare Botschaft zu formulieren, warum eine Veränderung notwendig ist und wie man diese bewältigen kann. Es geht auch darum eine emotional ansprechende Botschaft zu formulieren und ein attraktives Zielbild zu zeichnen. Die Botschaft sollte dabei nicht nur aus einem reinen Senden bestehen, sondern unbedingt in einem authentischen Dialog geteilt werden. Die Vorzüge sowohl für die Gesamtorganisation als auch für das Individuum werden beleuchtet. In Change Management Workshops stellen wir hierbei eine offene Diskussion her und arbeiten gerne mit den beiden Fragen: „What’s in it for me? / Was habe ich davon? ” und „What’s against my interests / Was davon ist entgegen meiner Inter- Wissen | Wie bewegt man einen Tanker? -- Transformationen in etablierten Konzernen 37 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 32. Jahrgang · 05/ 2021 DOI 10.24053/ PM-2021-0090 essen? “ Dies hilft uns die Vorteile der Veränderung auf der individuellen Ebene zu beleuchten und auch die Nachteile sollten nicht zu kurz ausfallen. Stellt man hier fest, dass es vehemente Einwände gibt, sollten diese unbedingt ernst genommen und in iterativen Schleifen einbezogen werden. Wenn es nicht möglich ist, die Zielgruppen bzw. deren Vertretenden mit diesen Fragen direkt anzusprechen, weil das Projekt beispielsweise sensibel oder vertraulich ist, kann mit sogenannten „Personas“ gearbeitet werden. Man kennt diese Methode auch aus dem Marketing oder Entwicklungsumgebungen. Sie beschreiben verschiedene Archetypen und deren Eigenschaften, Ziele und deren Bedürfnisse. Somit kann die Change Story auf die einzelnen Zielgruppen noch besser gemünzt und die Ansprache noch bedarfsorientierter erfolgen. Die initiale Kommunikation erfolgt häufig direkt über den Vorstand oder die Geschäftsführung, die die entwickelte Change Story erstmalig erzählen. Sehr schnell sollten auch die weiteren Ebenen diese gemeinsam erarbeitete Geschichte in die Teams tragen und so zügig ein gemeinsames und vor allem einheitliches Bild der Veränderung zeichnen. Ebenso wichtig ist auch die fortlaufende Kommunikation. Denn durch die initiale Kommunikation erreicht man oft nur einen Bruchteil der Organisation. Die Mehrheit gewinnt man mit Taten, über die in der Breite berichtet und gesprochen werden muss-- gemäß dem Tenor „Tu‘ Gutes und sprich darüber“. Nachfolgend stellen wir zwei praktische Formate vor, mit denen wir in großen Unternehmen gute Erfahrungen gemacht haben. Die schlummernden Kräfte entfesseln-- Mitarbeitende in der Mitte der Organisation aktivieren Zu den ersten Schritten gehört es, eine Dringlichkeit, oder wie J. P. Kotter es nennt, einen „Sense of urgency“ zu schaffen. Dieser basiert oft auf einem gemeinsamen Schmerzpunkt, der die Notwendigkeit zur Veränderung als den einzigen Ausweg darstellt, um diesen Schmerz zu lindern (weg von). Ein alternativer und ergänzend notwendiger Blick auf diese Dringlichkeit sollte eine große Opportunität sein, die verpasst wird (hin zu). Als Startpunkt hierfür könnte ein niedrigschwelliges Angebot in Form einer gemeinsamen Challenge geschaffen werden, welches weltweit eingesetzt werden kann. Dabei gibt man den Mitarbeitenden die Chance, Herausforderungen auf Unternehmensebene zu benennen und gemeinsam im Team einen Lösungsprototypen zu schaffen. Dieses Challenge-Format dauert in der Regel 1,5 Tage, damit die Teams- - einem Hackathon ähnlich-- die Gelegenheit haben, auch abends an ihrer Lösung zu arbeiten, um diese zu einem zufriedenstellenden Reifegrad zu entwickeln. Sowohl die Themen als auch die Gruppenbildung liegt hierbei in der Hand der Teilnehmenden. Die Ergebnisse werden am Ende der Veranstaltung dem Top-Management in einem kurzen Pitch vorgestellt. Die einzelnen Linienfunktionen können bei Interesse die Ideen in den eigenen Einheiten weiterentwickeln. Dieses Format inspirierte nicht nur viele Mitarbeitenden dazu, ihre Meinung und Ideen einzubringen, sondern es zeigt Ihnen, dass der Veränderungswille des Top-Managements ernst gemeint ist und ihre Vorschläge auch ernsthaft gewollt sind. Den Dialog mit der breiten Organisation herstellen-- im Skip-Level-Dialogformat Eine weitere Herausforderung in der Transformation liegt generell in der Kommunikation und dem Herstellen eines gemeinsamen Verständnisses. Einerseits reicht oft die Kommunikationskaskade nicht aus, um alle Mitarbeitenden zu erreichen und zu überzeugen. Andererseits mangelt es gerade den Top-Führungskräften nicht selten an Einblicken in die Herausforderungen der breiten Masse. Um diese Kommunikationsbarriere zu überbrücken, eignen sich Skip-Level-Formate, bei denen die oft schwer durchlässigen mittleren Führungsebenen umgangen werden und die Mitarbeiterbasis direkt mit dem Top-Management in Kontakt treten kann. Dieses Format haben wir sehr erfolgreich in Unternehmen umgesetzt. Die Resonanz ist auf beiden Seiten immer hervorragend, da zum einen die Mitarbeitenden direkten Zugang zum Executive Team haben und somit ihre Sicht mitteilen können. Zum anderen kann das Top-Management in die Organisation hineinhorchen und einen ungefilterten Blick darauf erhalten, wie strategische Themen bei der Basis ankommen. Wir empfehlen bei diesen Skip-Level-Formaten drei Bestandteile: Zuerst sammeln die Mitarbeitenden ihre Fragen und bündeln bzw. priorisieren diese. Anschließend stößt das Top-Managements zu den bis zu 50 Mitarbeitenden in Präsenz bzw. 100 Mitarbeitende virtuell dazu. Die Mitarbeitenden stellen unmittelbar und persönlich ihre Fragen, bzw. äußern ihre Bedenken und Sorgen. Das Ziel ist es dabei, in einen Dialog zu kommen, damit die Fragen umfassend beantwortet werden. Im dritten Teil hat das Top-Management wiederum die Chance den Mitarbeitenden Fragen zu stellen und ehrliche Antworten zu erhalten, wie die Situation aus deren Perspektive wahrgenommen wird, welche Beobachtungen gemacht werden und wie wertgeschätzt sie sich fühlen. Unter anderem kann man hier auch den Kontakt mit Gremien ermöglichen, die üblicherweise nicht ansprechbar sind, wie beispielsweise Aufsichtsrat bzw. Stiftungen, Persönlichkeiten aus der Gesellschaft, die sich den Fragen der Mitarbeitenden stellen. Wenn Sie es schaffen, die leider oft sehr große Kommunikationslücke zwischen Top-Führung und Mitarbeitenden zu schließen, dann kann es möglich werden, ein grundlegendes und gegenseitiges Vertrauen als Basis für eine erfolgreiche Veränderung (wieder)herzustellen. Vorbilder sicherstellen Als zweiter großer Erfolgsfaktor in einer Transformation sieht das Behavioral Change Model die Umgebung der Mitarbeitenden und der damit einhergehende Einfluss auf sie vor. Dabei können sowohl Vorgesetzte also auch angesehene Kolleg*innen und Peers als Vorbilder dienen, die durch ihre Sicht auf die Sache die Transformation beflügeln, aber eben auch bremsen können. Es sollte also durch gezielte Maßnahmen Überzeugungsarbeit geleistet werden und eben diese „Influencer“ in den Gesamtplan eingebunden werden. Changefluencer-- Change Agent meets Social Media Influencer Die unternehmensinternen sozialen Medien und die Rolle von internen meinungsbildenden Personen werden hierbei oft übersehen bzw. nicht systematisch genutzt. Wir haben Wissen | Wie bewegt man einen Tanker? -- Transformationen in etablierten Konzernen 38 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 32. Jahrgang · 05/ 2021 DOI 10.24053/ PM-2021-0090 dazu die Rolle der „Changefluencer“ ins Leben gerufen, die die beiden Kompetenzen der Social Media Influencer, wie wir sie alle aus Plattformen wie LinkedIn, Tik Tok, Instagram & Co kennen, mit typischen Change Agent Aufgaben verknüpft. Change Agents kennen wir als Sprachrohr für die Geschäftsführung, um die wichtigsten Informationen über die Veränderung in die Organisation zu tragen. Gleichzeitig sind sie auch Augen und Ohren für das Management, das oft nicht alle wesentlichen Bewegungen in der Organisation wahrnimmt. Dieses Konzept haben wir mit dem Unterschied übernommen, dass die Changefluencer interne und externe soziale Medien nutzen Veränderungsthemen voranzutreiben. Von Natur aus gut vernetzt und als starke Meinungsbildner können sie leichtfüßig und scheinbar wie nebenbei einen Meinungssog erzeugen und damit eine Kampagne positiv, aber leider auch negativ beeinflussen. Gerade in der Pandemiezeit, in der man sich nicht einfach bei einer Tasse Kaffee austauschen kann, ist diese Rolle eine echte Chance, die Themen dauerhaft und stetig zu unterstützen. Wir haben dieses Konzept in der Einführung eines New-Work-Arbeitsplatzkonzepts erfolgreich genutzt, in der in einem abteilungsinternen Teamskanal bzw. über Yammer Neuigkeiten, Meinungen und Fotos vom laufenden Umbau geteilt und unterstützt worden sind. Das hat geholfen, trotz einer Minimalbelegung vor Ort, den Umbau greifbarer & erlebbarer für das gesamte Team zu machen und somit ganz nebenbei die Akzeptanz für das Thema zu erhöhen. Volunteers / Followers Volunteering im Unternehmenskontext- - Ist das ein guter Weg, um Individuen zu mobilisieren? Wir glauben: JA! Denn diese Arten von Graswurzelinitiativen werden immer beliebter, um pragmatisch und unbürokratisch Themen systematisch voranzutreiben, die alle betreffen, aber für die sich keine Abteilung verantwortlich fühlt. Die Personen, die sich als Volontäre melden, sind aus unserer Erfahrung heraus Vordenker und Early Adopters. Das sind also Menschen, die sich in Gedanken oft schon im Zielzustand wahrnehmen und daher für Veränderung und Change besonders ansprechbar und oft auch als Vorbilder zu sehen sind. Was dabei wichtig ist, ist einerseits eine Art geschützten Raum, um die Volontäre zu bilden, sodass sie aus der eigenen Organisation nicht angreifbar sind. Andernfalls können Neider sie schnell als Weltverbesserer denunzieren, da sie ihren Enthusiasmus und ihre Energie nicht in die abteilungsinternen Themen, sondern in Projekte außerhalb der Abteilung stecken. Andererseits sollte man den Volontären eine Bühne bieten, in der sie ihr Engagement öffentlich machen können und dafür Anerkennung erfahren. Dies wiegt oft mehr als eine monetäre Entlohnung. Führungskoalition Natürlich kommt man in einem erfolgreichen Change-Prozess auch nicht an relevanten Führungskräften vorbei und sollte diese unbedingt in einem frühen Stadium einbinden. Oft ist allerdings nicht jedes Mitglied aus dem Führungsteam gleich stark für die Veränderung zu motivieren. Daher empfehlen wir, sich auf jene Führungsmitglieder zu fokussieren, die der Veränderung gegenüber bereits positiv eingestellt sind oder die einen großen Nutzen daraus ziehen. Im besten Fall gelingt es sogar, diese Gruppe so zusammenzuschweißen, dass eine Führungskoalition entsteht. Diese Koalition motiviert, verstärkt und überzeugt ihre Teams und Peers. Dies geschieht vor allem dann, wenn Führungskräfte nicht nur über die Veränderung reden, sondern auch Taten folgen lassen. Durch diese kontinuierliche öffentliche Auseinandersetzung mit dem Thema kann nicht nur ein positiver Impuls, sondern sogar ein Sog entstehen, der immer mehr Menschen um sich herum mitreißt und dem Veränderungsthema einen Turbo verabreichen kann. Systeme, Prozesse und Strukturen anpassen Kleine Eingriffe-- große Wirkung Ein wichtiger Aspekt im Veränderungsprozess ist das Thema rund um die strukturellen Anpassungen. Damit sind alle fest verankerten Abläufe und Systeme gemeint, die den aktuellen und zukünftigen Prozess unterstützen. Gerade in traditionsreichen Unternehmen ist dieses Thema oft überrepräsentiert und wird gern als erstes, wenn nicht sogar als einziges Thema in der Veränderung betrachtet. Als Beispiel kann hier die Entwicklung hin zu einem modernen Arbeitsplatzkonzept gesehen werden. Aus klassischer Projektsicht werden hier oft Themen angegangen, wie Umbaumaßnahmen, Raum- und IT Ausstattung sowie Farbkonzepte. Leider wird oft die Veränderung in der Arbeitsweise bis hin zur Aufgabe des festen Arbeitsplatzes vernachlässigt. Aus Change-Sicht sind all diese „harten“ Themen jedoch nur einzelne Elemente auf dem Weg hin zu einer neuen Arbeitsweise und damit Veränderung in der Art, WIE wir unsere tägliche Arbeit erledigen. Einer sieht eines; Viele sehen vieles Natürlich können auch digitale Tools wunderbar genutzt werden, um niedrigschwellige Angebote zur Einbindung von Mitarbeitenden zu schaffen. Als Beispiel nennen wir hier einen Ideenkanal, der vollautomatisiert Ideen der Mitarbeitenden entgegennimmt und diese zum jeweiligen Team durchroutet. Man könnte hiermit also die Schwarmintelligenz anzapfen ganz in dem Sinne, „Eine / r sieht nur eines; Viele sehen vieles“. So kann man in kurzer Zeit viele Ideen einsammeln, die die Transformation unterstützen. Gleichermaßen können so Potenziale für Verbesserungen aus der echten Basis der Mitarbeitenden eingesteuert und angegangen werden. Interessant ist vor allem dabei, dass auch hier wieder der Skiplevel-Gedanke seine Anwendung findet, und zwar horizontal und vertikal. So werden Hierarchiestufen übersprungen, um Themen aus eigenen Bereichen anzubringen und gleichzeitig die teilweise umständlichen Schnittstellenprozesse umgangen, um Themen in andere Abteilung direkt zu platzieren. Build Capabilities Wenn ein Wille da ist und die Hindernisse aus dem Weg geräumt sind, dann bleibt nichts Anderes übrig, als die Organisation zu befähigen. Dies ist der vierte und letzte Schritt des Behavioral-Change-Modells und dreht sich darum die nötigen Fähigkeiten, die für die Veränderung essenziell sind, aufzubauen. Dabei kann die Befähigung auf unterschiedlichste Weise stattfinden. Wovon wir in den meisten Fällen abraten, Wissen | Wie bewegt man einen Tanker? -- Transformationen in etablierten Konzernen 39 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 32. Jahrgang · 05/ 2021 DOI 10.24053/ PM-2021-0090 ist eine reine formal-frontale Schulungskampagne. Wir agieren gerne nach dem 70-20-10-Prinzip, wonach nur 10 % auf formales Lernen zurückzuführen ist. 20 % hingegen liegen im Coaching und im Austausch mit anderen, während 70 % unter dem Leitgedanken „Learning on the job“ stattfindet. Insbesondere in Kombination mit dem „See one, do one, teach one“ Prinzip kann man die Fähigkeiten sehr schnell und nachhaltig in der Organisation aufbauen. Hierfür kann man sich interne oder externe Expert*innen einbinden, die Expertise wird „on the job“ gelernt und die externe Unterstützung schnell ausgeschlichen. Es empfiehlt sich immer mit Veränderungen bei sich selbst und im Kleinen anzufangen, um dann schnell hochzuskalieren. Ähnlich einem Veränderungsprototypen wird dieser in einer relativ sicheren Umgebung erstmal entwickelt, getestet und verbessert, sodass ein erstes MVP (Minimal viable product) entsteht, so wie wir das auch aus der agilen Welt kennen. Hat dieses Produkt einen Reifegrad erreicht, mit dem man in einen größeren Rollout in die Mehrheit der Organisation gehen kann, sind die ersten Kinderkrankheiten bereits ausgemerzt und es ist ein erstes Lernen aus Erfahrung möglich. Als Beispiel können wir hier einen niedrigschwelligen Aufklärungsworkshop nennen, in dem Aspekte aus der Veränderung für die Mitarbeitenden reflektiert worden sind. Diese Sessions können spielerisch das Grundverständnis des Themas aufbereiten. Dieses kann dann mit dem „Schmerz“ verknüpft werden, den die Mitarbeitenden in ihrem Arbeitsalltag erleben. Darauf basierend kann jede*r den Nutzen für sich erkennen. Wir empfehlen hier anfangs nicht Methoden im Detail zu vermitteln, vielmehr das große Ganze zu zeigen. Der tatsächliche Fähigkeitenaufbau findet dann im Arbeitsalltag statt, in dem konkrete Ansätze ausprobiert werden können. Hier sollte auch sichergestellt werden, dass interne Expert*Innen zur Verfügung stehen, um den Fortschritt im Arbeitsalltag zu reflektieren. Abschluss Wir hoffen hier ein paar Anregungen gegeben zu haben, wie man einen Tanker in Bewegung setzen kann. Ein Patentrezept gibt es nicht-- zumindest nicht in der Praxis. Es sind die vielen kleinen Ansätze in Verbindung mit der notwendigen Haltung und dem Verständnis, die den Erfolg ausmachen. Die Analogie eines Marathons erscheint uns hier als gutes Bild. Die Kräfte gut einzuteilen und kontinuierliches Dranbleiben, helfen die Veränderung über längere Zeiträume zu verankern. Über iteratives Vorgehen können passende Ansätze gefunden und weiterentwickelt werden. Dadurch kann auch ein Versorgungstanker so transformiert werden, um beim „survival of the fittest“ mithalten zu können. Roscoe Araujo Dr. Roscoe Araujo: promovierter Diplom-Psychologe mit Erfahrung in der Unternehmensberatung McKinsey, als Change Experte, Program Director und als Global HR Business Partner bei thyssenkrupp. Cornelia Zimmer-Reps Cornelia Zimmer-Reps ist studierte Sozialwissenschaftlerin und war als zertifizierte Projektleiterin und Scrum Master (PMI, PRINCE2, Scrum. org) selbstständig in der Beratung, Training und Coaching im agilen und klassischen Projektumfeld und ist seit 2017 als Head of internal PM Campus und als Change-Expertin bei thyssenkrupp. Literatur GLOGER, Boris; RÖSNER, Dieter. Selbstorganisation braucht Führung: die einfachen Geheimnisse agilen Managements . Carl Hanser Verlag GmbH Co KG, 2014. ISMAIL, Salim. Exponential Organizations: Why new organizations are ten times better, faster, and cheaper than yours (and what to do about it) . Diversion Books, 2014. KOTTER, John P.; RATHGEBER, Holger. Our iceberg is melting: Changing and succeeding under any conditions . Macmillan, 2006. LALOUX, Frederic. Reinventing organizations. Nelson Parker , 2014. LITTLE, Jason, Lean Change Management . Happy Melly Express, 2016 VON HEHN, Svea; CORNELISSEN, Nils I.; BRAUN, Claudia. Kulturwandel in Organisationen: Ein Baukasten für angewandte Psychologie im Change-Management . Springer- Verlag, 2015. Eingangsabbildung: © iStock.com / Suriyapong Thongsawang