PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
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GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.„Teilt Eurer reiches Wissen in aller Welt!“
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Oliver Steeger
Mission „Mentorship“: Der „Senior Experten Service“ (SES) aus Bonn schickt Expertinnen und Experten zu Hilfsprojekten in alle Welt – zumeist Menschen im vorgerückten Alter, die ihr Berufsleben hinter sich haben. Ihr Auftrag: „Teile Dein reiches Wissen und Deine Erfahrung mit Menschen an Deinem Einsatzort.“ Rund 12.000 ehrenamtliche Expertinnen und Experten hat der SES in seiner Kartei. GPM Mitglied Michael Mente ist einer der rund eintausend Projektmanager, die beim SES gelistet sind. Der SES brachte ihn zu Hilfsprojekten unter anderem nach Tansania. Im Gespräch beschreiben Bettina Hartmann (Senior Experten Service) und Michael Mente den Reiz dieser Einsätze, die Rolle von Projektmanagement – und wie man Ehrenamtliche durch „Management by Cookies“ führt.
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4 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 01/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0002 Beim „Senior Experten Service“ (SES) engagieren sich auch Projektmanager „Teilt Euer reiches Wissen in aller Welt! “ Oliver Steeger Mission „Mentorship“: Der „Senior Experten Service“ (SES) aus Bonn schickt Expertinnen und Experten zu Hilfsprojekten in alle Welt-- zumeist Menschen im vorgerückten Alter, die ihr Berufsleben hinter sich haben. Ihr Auftrag: „Teile Dein reiches Wissen und Deine Erfahrung mit Menschen an Deinem Einsatzort.“ Rund 12.000 ehrenamtliche Expertinnen und Experten hat der SES in seiner Kartei. GPM Mitglied Michael Mente ist einer der rund eintausend Projektmanager, die beim SES gelistet sind. Der SES brachte ihn zu Hilfsprojekten unter anderem nach Tansania. Im Gespräch beschreiben Bettina Hartmann (Senior Experten Service) und Michael Mente den Reiz dieser Einsätze, die Rolle von Projektmanagement-- und wie man Ehrenamtliche durch „Management by Cookies“ führt. Nach ihrem Berufsleben nehmen viele Menschen den Begriff „Ruhestand“ wörtlich. Anders die rund 12 . 000 Expertinnen und Experten die Sie beim „Senior Experten Service“-- kurz SES - - in der Kartei haben. Nach dem Berufsleben brennen sie darauf, nochmals in die Welt hinausz ugehen und in Hilfsprojekten ihr Wissen zu teilen: Als Ärzte, Ingenieure, Lehrer-- oder eben auch als Projektmanager. Was bewegt Menschen um die 70 Jahre, ehrenamtlich durchzustarten? Bettina Hartmann: Früher spielte Reiselust eine Rolle. Der SES entsendet Expertinnen und Experten weltweit in Unternehmen, Institutionen oder Bildungseinrichtungen. Unsere Expertinnen und Experten sind dort vor Ort ehrenamtlich tätig, etwa drei Wochen bis einige Monate, selten mehr als ein halbes Jahr. Sie lösen dort klar umrissene Aufgaben-- und teilen dabei ihr Wissen. Eine schöne Art, in ferne Länder zu kommen, die sich touristisch nicht bereisen ließen-… Heute ist dies anders. Wer nur reisen will, kann dies ohne uns tun. Heute beobachte ich bei unseren Expertinnen und Experten stärker den Wunsch, etwas nach einem langen Berufsleben zurückzugeben. Vielleicht, weil es ihnen im Leben selbst sehr gut gegangen ist. Weil sie eine hervorragende Ausbildung und gute Arbeitsmöglichkeiten genossen haben. Diese Menschen erkennen häufig für sich: Jeder, der hier in Westeuropa lebt, ist per se privilegiert-- gleich, wie individuell das Leben und die Karriere verlaufen ist. Was hinzukommt: Viele verlieren mit dem Eintritt in den Ruhestand eine wichtige Komponente ihres Lebens. Das Arbeitsleben ist ja auch sozial sehr wichtig. Man hat Verbindungen zu anderen Menschen. Man ist in einer Struktur eingebettet, hat Aufgaben und findet Bestätigung. Das fällt dann im Ruhestand mit einem Mal alles weg. Häufig ohne Ersatz. Für viele ist es dann eine erfüllende Erfahrung, bei uns nochmals zu starten. Viele hatten gut dotierte Berufe in der Wirtschaft-… …- und gerade sie schätzen die neue Erfahrung, nicht mehr in der Rolle etwa eines Geschäftsmanns unterwegs zu sein, der man früher vielleicht mal war- - mit Fünf-Sterne-Hotels, Verhandlungen in klimatisierten Büros und großen Abschlüssen. Sondern jetzt als Helfer und Mentor für andere, die vor einer konkreten Herausforderung stehen. Für viele ist es ein neues Erlebnis, einen Schritt zurückzugehen von der großen Geschäftswelt in diese häufig kleinere Welt. Wir haben einen zugleich fordernden und erfüllenden Auftrag für sie: Lass' Dein Wissen und Deine Erfahrung an Deinem Einsatzort zurück! Qualifiziere die Menschen, mit denen Du zusammenarbeitest- - damit sie hinterher das, was sie tun, besser tun als vorher. Zu einem Punkt, der unsere Leser interessieren wird: Unter Ihren Experten sind auch viele Projektmanager-… …- weit über eintausend! Neun Prozent unserer Expertinnen und Experten haben Projektmanagement als Kompetenz angegeben. Wahrscheinlich beherrschen noch mehr Projektmanagement, hatten aber nie eine formale Ausbildung. Reportage | „Teilt Euer reiches Wissen in aller Welt! “ 6 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 01/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0002 …-das heißt, Sie etablieren auch Projektmanagement in ihren Zielländern? Natürlich! Das ist Teil der Missionen. Herr Mente, als Projektmanager haben Sie sich in die Kartei des Senior Experten Service eintragen lassen. Sie sind mehrfach auf Mission gewesen, häufig in Afrika. Wie haben Sie auf Ihren Missionen gearbeitet? Michael Mente: In Tansania habe ich beispielsweise ein sehr kleines Unternehmen mit rund 20 Mitarbeitern unterstützt-- im Norden von Tansania, unweit des Kilimandscharos. Das Unternehmen hat Photovoltaik-Anlagen auf Dächern installiert. In der Werkstatt wurden schweißtechnische Arbeiten durchgeführt. Ich bin Ingenieur und habe ursprünglich Schweißtechnik gelernt. Da ist mir geläufig, was man bei Schweißen machen kann, darf und sollte. Ich habe vor Ort das Unternehmen bei der Verbesserung von Sicherheitsstandards unterstützt, unter anderem mit zweiwöchigen Sicherheitstrainings und Schulungen. Das Ganze fand unter freiem Himmel statt. Die Werkstatt des Unternehmens hatte kein Dach. Stühle fehlten; wir haben sie in einer nahegelegenen Kirche ausgeliehen, damit die Leute bei der Schulung sitzen konnten. Hat das Wissen, das Sie geteilt haben, gefruchtet? Zwei oder drei Jahre nach meinem Einsatz habe ich nochmals mit dem Geschäftsführer des Unternehmens in Tansania gesprochen. Tatsächlich hat es seit meiner Schulung keinen schweren Unfall mehr gegeben. Damit war ich sehr froh. Sie sind nicht nur Ingenieur, sondern auch Projektmanager. Haben Sie Projektmanagement weitergeben können? Ja, in einfacher Form. Damit das Unternehmen in Tansania seine Aufträge pünktlich und erfolgreich abwickeln konnte, musste es sich organisieren: Baumaterialien rechtzeitig an der Baustelle anliefern. Die Solarpanels überhaupt rechtzeitig beschaffen, teilweise in China. Monteure müssen vor Ort an der Baustelle sein, gleiches gilt für Werkzeuge, Armaturen, Rohrleitungen und Kabelanschlüsse. Dann muss das Vorhaben zügig umgesetzt werden. Das Personal sollte keinen Leerlauf haben. So etwas setzt Zeitmanagement, Terminplanung und Logistik voraus. Das ist nicht trivial! Da ist beispielsweise die Frage, wann man Panels zu bestellen hat, damit sie unter Berücksichtigung von Liefer- und Transportzeiten oder der Zollabfertigung rechtzeitig an der Baustelle eintreffen. Transport in Afrika ist kompliziert. Häufig geht es mit LKWs über holprige Straßen; man muss achtgeben, dass die empfindlichen Panels beim Transport nicht durchbrechen. Ein weiteres Beispiel? Gerne! Ebenfalls in Tansania war ich für das Erzbistum Arusha tätig. Es unterhielt dort Projekte, die von der Caritas über zehn oder fünfzehn Jahre finanziert worden sind. Mit dem Geld wurden beispielsweise Kindergärten oder Krankenhäuser gebaut. Das Problem: Die Förderung dieser erfolgreichen Projekte lief aus. Man wollte weltweit neue Fördermittel beantragen. Dafür brauchten die Mitarbeiter Hilfe. Ich habe mit ihnen Trainings etwa zum Einwerben von Fördermitteln und zum entsprechenden Berichtswesen aufgebaut und gezeigt worauf man dabei achten muss und welche Stakeholder etwa einzubeziehen sind. Dabei spielte Projektmanagement eine wichtige Rolle-- sowohl für das Einwerben der Gelder als auch für die Projekte selbst, etwa für Kostenmanagement, Aufgabenmanagement oder Personalmanagement. Frau Hartmann, der Senior Experten Service hat seit 1983 rund 60.000 ehrenamtliche Einsätze im In- und Ausland durchgeführt. Er deckt rund 50 Branchen und 100 Tätigkeitsbereiche ab. Welche Rolle spielt Ihre Organisation bei diesen Hilfsprojekten? Was machen Sie genau? Wir führen die beiden Seiten zusammen. Wir haben eine große Datenbank-- wobei zu unserer Arbeit mehr als ein Computer gehört. Auf der einen Seite werben wir Expertinnen und Experten für unser Register an. Die 12.000 Personen in unserer Kartei sind quasi unser Kapital. Wir hoffen, dass es bald 15.000 sind. Auf der anderen Seite haben wir ein Netzwerk von rund 200 Repräsentanten im Ausland. Sie machen uns und unsere Dienstleistung in den Einsatzländern bekannt. Durch sie wissen dort Firmen, Organisationen und Institutionen, dass es uns gibt. Anfragen aus diesen Ländern gehen bei uns ein, und die bearbeiten wir. Das heißt-- Sie warten auf Bedarf und Anfragen aus den Zielländern? Sie führen dort keine Projekte quasi auf eigene Faust durch? Nein, das tun wir nicht. Und dies unterscheidet uns von anderen Organisationen der Entwicklungshilfe. Deren Profi-Entwicklungshelfer gehen für ein oder zwei Jahre an ihren Einsatzort, manchmal sogar länger. Wir dagegen entwickeln keine Projekte selbst. Wir gehen nicht in ein Land und setzen dort von uns aus etwa ein Gemüsebau-Projekt auf. Die Anfragen kommen immer von unseren Partnern vor Ort, und diese Partner haben bereit selbst den Bedarf definiert. Sie wissen also genau, was sie wollen und welche Spezialisten sie brauchen? Richtig! Treffen ihre Anfragen ein, überprüfen wir diese auf Stichhaltigkeit und Durchführbarkeit. Dann suchen wir in unserer Datenbank nach geeigneten Personen. Übrigens suchen bei uns in der Regel ehrenamtliche Expertinnen und Experten nach den Kandidaten. Das heißt, auch in Ihrer Bonner Zentrale arbeiten Ehrenamtliche? Ja. Der ehrenamtliche Schweißtechnik-Experte hier in Deutschland sucht in unserer Kartei nach einem Schweißtechnik-Experten etwa für Afrika. Oder der Arzt den Arzt, oder der Bildungsexperte den Lehrer. Bei uns redet fachlich der Experte mit dem Experten. Vermutlich ergibt sich daraus eine Art Augenhöhe zwischen den Experten-… Unsere Expertinnen und Experten merken, dass sie fachlich angesprochen werden. Sie steigen direkt im ersten Gespräch in die Fachdiskussion ein. Sie diskutieren erste Fragen und klären den Auftrag. Dies kommt auch der Vorbereitung der Mission zugute, der Arbeitsqualität und letztlich den Ergebnissen. Während der Pandemie hat sich dieser Dialog sogar Reportage | „Teilt Euer reiches Wissen in aller Welt! “ 7 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 01/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0002 Damit agiles Projektmanagement nicht nur in der Theorie stets zum Erfolg führt. uvk.de Reportage | „Teilt Euer reiches Wissen in aller Welt! “ 8 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 01/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0002 noch verstärkt. In Videokonferenzen können wir mehr aus den vorbereitenden Gesprächen für alle Beteiligten herausholen. Wir kitzeln heraus, was in den Anfragen steht und was mit Aufträgen genau gemeint ist. Stichwort Auftragsklärung? Ja. Fragen können im Vorfeld geklärt werden und Informationen einholt werden, auf die man am Einsatzort zurückgreifen kann. Die Experten selbst können sich danach besser vorbereiten. Sie können ihr eigenes Fachwissen überprüfen und- - falls nötig-- ergänzen. Herr Mente, sprechen wir bitte über die Vorbereitung von Einsätzen aus Ihrer Sicht. In welchen Fällen haben Sie Ihr eigenes Wissen für eine Mission ergänzt? Michael Mente: Bei einem Einsatz in Tansania ging es darum, eine kleine NGO bei der Durchführung von Kampagnen zu unterstützen. Es handelte sich also um ein PR-Projekt und klassischem Kampagnenmanagement, das ja auch stark mit Projektmanagement zusammenhängt. Durch meine dreißigjährige ehrenamtliche Tätigkeit bei der GPM hatte ich bereits Erfahrung aus der PR- und Kampagnenarbeit. Ich habe vorbereitend zu diesem Thema weiter recherchiert und gelesen. Die Bausteine der PR habe ich mir stückweise erarbeitet. Aber man wird sich vermutlich nicht auf alle Eventualitäten vorbereiten können, die am Einsatzort auftreten? Nein. Häufig sind die Gegebenheiten vor Ort anders als hier. Das sollte man vorher wissen. Beispielsweise werden Kampagnen in Tansania sehr stark über Social-Media-Kanäle durchgeführt. In Afrika sind Handys weit verbreitet, vielleicht, weil es an anderer Infrastruktur vielfach mangelt. Die Menschen nutzen Social Media, um in Verbindung zu bleiben. Ich habe schnell verstanden, dass man stark auf diese Kanäle setzen muss. Beim Besuch eines Massai-Stamms war ich überrascht, dass selbst dort junge Krieger mit Handys ausgestattet sind. Welche Rolle spielen Sprachprobleme zwischen Ihnen und den Menschen, die Sie unterstützen? Wie bereiten Sie sich vor? In Tansania wird viel Englisch gesprochen. Beruflich habe ich viel bei der EU gearbeitet; dort sind Englisch und Französisch üblich. Fremdsprachen gehörten damals zu meinem Tagesgeschäft; ich habe sogar nachts in diesen Sprachen geträumt. Nach dem Ausscheiden aus dem Berufsleben musste ich die Sprachen etwas auffrischen- - nicht durch Sprachkurse, sondern durch fremdsprachiges TV-Programm oder Radio. Doch einiges lässt sich nicht durch Vorbereitungen abdecken. Im Zielland muss man gut beobachten lernen und sehr aufmerksam zuhören, um die dortigen Gegebenheiten zu verstehen. Zum Beispiel? Eine meiner Einsätze war in Usbekistan. Dort wurden eine Summer-School (übrigens mit Bezug auf IPMA-Inhalte und einer Frage nach der GPM) sowie einige Fachgespräche mit Hochschullehrern angefragt. Ich sollte zeigen, wie Menschen besser mit Projektmanagement umgehen können. Es war für mich schwierig vorab herauszufinden, ob die anfragende Stelle eine Regierungseinrichtung war oder ein eigenständiges Unternehmen. Ich wusste: Sie war regierungsnah. Doch war es ein Unternehmen, das etwa Schulen oder Brücken baut? Oder war es eine staatliche Weiterbildungsakademie- - oder eine für Controlling zuständige Einrichtung? Die Organisation wirkte wie ein Unternehmen, hatte allerdings Charakter eines Ministeriums. Der Unternehmensleiter war ein Vizeminister. Solche Konstrukte kennt man hier nicht. Ich musste vor Ort herausfinden, wer der Auftraggeber ist und die Menschen sind, die ich trainieren sollte. Waren es Controller, Manager-- oder Menschen, die selbst kreativ Probleme lösen und innovativ Projekte durchführen? Solche Überlegungen haben ja Einfluss auf Inhalte und Didaktik. Man darf ja nicht vergessen: Ist man vor Ort im Einsatz, ist man auf sich allein erstellt. Man hat sich gewissermaßen abgenabelt von der Heimat. Wie kommen Sie mit dieser Situation zurecht? Projektmanagement hilft da weiter. Das gilt vor allem für agile Methoden. Aus meiner Sicht ist eines wichtig: Man sollte sich nicht auf eine perfekte Lösung versteifen, also kein „Vollständigkeitsfanatiker“ sein. Eine Achtzig-Prozent-Lösung hilft meistens sehr gut weiter. Ich versuche immer, auf die Partner vor Ort einzugehen, keinen Druck mit meinem Projekt aufzubauen, ihnen nichts aufzuzwingen. Also sensibel die Fühler ausstrecken? Fühler ausstrecken und schauen, was möglich ist. In der asiatischen oder arabischen Welt beispielsweise ist der Umgang mit Kolleginnen und Kollegen anders als hier. Manager und Mitarbeiter stehen hinsichtlich der Machtdistanz wesentlich weiter auseinander als in Europa. Das muss man vorher wissen-- oder zumindest vor Ort sehr schnell merken. Man wird natürlich beim SES vorbereitet. Doch wenn man am Einsatzort ist, dann erlebt man die Theorie häufig intensiver als erwartet. Solche Missionen sind auch für erfahrene Projektmanager mit Herausforderungen verbunden. Was bewegt Sie, an solchen Missionen ehrenamtlich mitzuwirken? Wenn ich eine 80-Prozent-Lösungen erreicht habe und dann die Zufriedenheit der Menschen spüre-- dann motiviert mich dieses Gefühl sehr. Einige Male bin ich später in die Länder zurückgekehrt und habe die positiven Auswirkungen der Lösungen gesehen. Dort erkennt man die Leistung an. Es ist eine andere Art, wie man empfangen und später verabschiedet wird. Die Menschen lassen einen spüren, wie zufrieden sie mit der Unterstützung sind. Und: Natürlich spielt auch eine gewisse Entdeckerfreude und Abenteuerlust eine Rolle-… Inwiefern Entdeckerlust? Man kommt buchstäblich in eine andere Welt. Bemerkenswert etwa war beispielsweise das PM-Training bei einem afrikanischen Schwesternorden. Eine der Schwestern hatte einen Lehrstuhl für Recht an der örtlichen Universität. Eines Tages brachte sie einen Kollegen zu meinen Trainings mit, der dort Betriebswirtschaft gelesen hatte. Er setzte sich dazu und erschien auch an den folgenden Tagen. Offenbar wurde das, was ich dort vortrug, als wissenswert und hilfreich bewertet. Wir sind auf Augenhöhe zusammengekommen und haben fachlich diskutiert. Zudem habe ich drei Wochen mit dem Orden zusammengelebt und an dem Alltag im Kloster teilge- Reportage | „Teilt Euer reiches Wissen in aller Welt! “ 9 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 01/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0002 nommen. Ich wurde freundlich einbezogen-- aber man wollte mich nicht missionieren! So etwas Interessantes habe ich selten in meinem Leben erlebt. Übrigens war für mich auch eine Erkenntnis interessant: Die Durchführung von Ehrenamtsprojekten und agile Verfahren haben viel gemeinsam. Frau Hartmann, es ist ein Grundsatz des Senior Experten Services, Hilfe zur Selbsthilfe zu geben. Es geht dabei um Nachhaltigkeit, darum, Menschen zu befähigen, ihre Situation zu verbessern. Wie setzt der SES diesen Grundsatz um? Bettina Hartmann: Diese Beschreibung beinhaltet immer die Qualifizierung der Menschen vor Ort. Das ist bereits im Auftrag an unsere Expertinnen und Experten verankert. Wie eingangs gesagt, der Auftrag schließt das Zurücklassen von Wissen ein. Auf Basis der Anfrage und der Einsatzanforderungen machen wir vor dem Start eine Aufgabenbeschreibung. Sie ist Vertragsbestandteil für alle Seiten. Hinzu kommt: Der Partner vor Ort beschreibt in seiner Anfrage genau, was er braucht. Auf Basis dieser Anforderungen befragen wir nach Ende der Mission den Auftraggeber, den Repräsentanten vor Ort und den Experten: Ist das Personal vor Ort qualifiziert? Welcher Nutzen ist im Projekt entstanden? In einem zweiten Schritt evaluieren wir nochmals nach sechs bis neun Monaten stichprobenartig Projekte. Wir wollen damit auch die mittelbis langfristigen Effekte der Zusammenarbeit ermitteln. In beiden Befragungsrunden erreichen uns übrigens gute Ergebnisse. Wir haben immerhin 80 Prozent Rücklauf, und neunzig Prozent der Rückläufe bewerten die Arbeit mit sehr gut bis gut. Sie sprachen vorhin über die Hingabe, mit denen sich Ihre Expertinnen und Experten engagieren. Jeder, der sich mit Führung beschäftigt, schätzt eine hohe intrinsische Motivation. Sie ist unbezahlbar im Führungsalltag. Aber man weiß auch: Sie kann durch ungeeignete Führung schnell zerstört werden. Wie führt man Ehrenamtliche? Hart gesagt: Sie können jederzeit gehen. Jeder Ehrenamtliche kann sofort gehen, das stimmt. Eine Führungskraft hat keine hierarchischen Hebel. Und trotzdem: Wir haben mal ausgerechnet, dass Ehrenamtliche bei uns zwischen 10 und 18 Jahre bleiben. Dies gilt auch für die Ehrenamtlichen, die in unserer Zentrale in Bonn arbeiten. Sie sind hier in unsere Organisation eingebettet. Meine Abteilung beispielsweise besteht zu 70 Prozent aus Ehrenamtlichen. Ich denke, erfolgreiche Führung von Ehrenamtlichen steht und fällt mit der Wertschätzung- - was übrigens auch für Hauptamtliche gilt. Jeder, der mitarbeitet, will persönlich wahrgenommen und mit seiner Arbeit wertgeschätzt werden. Niemand will stupide Papierstapel auf dem Schreibtisch von rechts nach links schieben. Gleich, ob im Ehrenamt oder Hauptamt-- die Menschen wollen mitwirken. Mitgestaltung - was bedeutet dies für die Führung? Bei uns sind die Ehrenamtlichen wirklich in alle Prozesse integriert. An unseren Strategiesitzungen nehmen gleichermaßen Hauptamtliche und Ehrenamtliche teil. Entwickeln wir neue Geschäftsmodelle, sind die Arbeitskreise ebenfalls gemischt. Aus meiner Sicht kommt noch etwas hinzu, nämlich bedingungsloses Zugewandtsein des Führenden! Jeder in der Organisation sollte spüren, dass seine Führungskraft ihn sieht und zu „seinen Leuten“ zählt. Das heißt, ich streite und kämpfe auch für meine Ehrenamtlichen-- übrigens auch in privaten Belangen. Sehe ich, dass jemand einen verletzten Fuß hat, dann frage ich ihn, was ich für ihn tun kann. Man hat vor einiger Zeit mal meinen Führungsstil scherzhaft „Management by Cookies“ genannt. Management by Cookies? Bei mir steht immer eine Keksdose für meine Leute. Natürlich könnte sich jeder seine Kekse selbst besorgen. Doch das ist nicht der Punkt. Es geht um die Geste. Die Keksdose ist das Symbol, dass meine Türe immer offen ist. Vorhin sagten sie, dass Sie Gestaltungsspielraum geben. Berührt dies dann auch agile Führung und agiles Projektmanagement? Vermutlich arbeiten wir stellenweise agil. Jeder kann seine Ideen einbringen und Arbeit gestalten- - ohne dass ihn der Vorgesetzte stoppt. Das heißt, wir zeigen Vertrauen. Ich signalisiere: Ich bin sicher, dass meine Mitarbeitenden wissen was sie tun. Sie sollen sich nicht durch Richtlinien und Vorgesetzte unter Zwang gesetzt sehen-- egal, wie alt sie sind oder in welcher Konstellation sie für uns tätig sind. Aber einen gewissen Rahmen, bestimmte Leitplanken müssen Mitarbeiter beachten. Das ist im agilen Projektmanagement nicht anders. Das stimmt! Doch wenn jemand Freiraum und vor allem Vertrauen bekommt-- dann wird er diesen Rahmen akzeptieren. Dann wird er auch eher den notwendigen Papierkram hinneh- Zeigen, wie es geht: Seit 1983 hat der Senior Experten Service (SES) rund fast 60.000 ehrenamtliche Einsätze in 160 Ländern durchgeführt. Foto: SES Reportage | „Teilt Euer reiches Wissen in aller Welt! “ 10 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 01/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0002 men. Vielleicht ist er mit Details des Prozesses nicht einverstanden. Dennoch weiß er: Seine Führungskraft ist für ihn da. Dies wiegt vieles auf! Heißt dies am Ende, dass man als Führungskraft mal ein Auge zudrücken muss? Sagen wir es so: Ich muss wissen, wann ich nicht so genau hinschaue. Läuft etwas nicht ganz regelkonform, dann lasse ich dies häufig zu. Ich erkenne die gute Absicht dahinter. Dies geht natürlich nur, solange kein Schaden angerichtet wird. Es gibt Punkte, an denen man einschreiten muss. Häufig eine Gratwanderung! Hat sich an den Erwartungen der Ehrenamtlichen, die Sie führen, in den vergangenen Jahren etwas verändert? Der Wunsch nach Partizipation und zugewandter Führung hat sich nicht verändert. Der Mensch möchte wahrgenommen werden. Er möchte hören, ob seine Arbeit gut ist. Falls sie nicht gut war, möchte er wissen, weshalb. Er will die Begründung hören. Das alles verändert sich nicht. Das scheint ewig zu sein. Aber? Ich denke, dass sich die Erwartungshaltung der Ehrenamtler verändert hat. Vor 25 Jahren war das Anspruchsdenken vielleicht nicht so groß. Der Senior Experten Service war damals die Organisationen, mit der man in ferne, sonst verschlossene Länder kam. Aus Sicht der Ehrenamtler gab es zu unserer Organisation kaum Alternativen. Sie haben vieles akzeptiert. Musste man im Zelt schlafen, hat man halt im Zelt geschlafen. Man kam mit Kugelschreiber und Block häufig aus. Heute wollen die Experten besser versorgt werden. Gestatten Sie mir eine Abschlussfrage. Die allermeisten Expertinnen und Experten des Senior Experten Service haben ihr Berufsleben bereits hinter sich gelassen. Viele sind um die 70 Jahre alt, einige auch älter. Welche Auswirkungen hat das Alter auf die Zusammenarbeit? Ergeben sich daraus Vorteile? In vielen Teilen der Welt ist das vorgerückte Alter ein Vorteil. Besonders auf dem afrikanischen Kontinent wird das Alter hoch geschätzt. Afrika ist ein sehr junger Kontinent. Rund achtzig Prozent der Bevölkerung sind unter 30 Jahren alt. Das Alter wird dort ohnehin mit großem Respekt behandelt. Als Senior wird man dort zusätzlich geschätzt, wenn man sich jüngeren Menschen zuwendet. Ähnliches gilt auch für asiatische Länder. Dort wird etwa Mentorship dankbar angenommen. Wie sieht dies mit Ehrenamtlichen aus, mit denen Sie in Ihrer Bonner Zentrale zusammenarbeiten? Die Alterspanne in unserer Organisation ist zwischen 22 und 85 Jahren. Das ist recht einzigartig für eine Organisation, finde ich. Und es entstehen tatsächlich spannende Synergien. Die älteren Kolleginnen und Kollegen begegnen den Jüngeren mit ausgesprochenem Wohlwollen und Unterstützung. Senior Expertin im Einsatz: Wissen zu teilen ist eine der zentralen Aufgaben für die ehrenamtlich tätigen Mentoren. Foto: SES Über den Senior Experten Service (SES) Der Senior Experten Service (SES)-- die Stiftung der Deutschen Wirtschaft für internationale Zusammenarbeit-- ist die führende deutsche Entsendeorganisation für ehrenamtliche Fach- und Führungskräfte im Ruhestand oder in einer beruflichen Auszeit (Weltdienst 30+). Der SES mit Sitz in Bonn hat rund 200 Repräsentanzen in 90 Ländern. Beim SES sind derzeit 12.000 Expertinnen und Experten registriert. Sie bringen das Fachwissen aus über 50 Branchen mit. Seit Gründung im Jahr 1983 hat der SES fast 60.000 ehrenamtliche Einsätze in 160 Ländern durchgeführt, davon rund ein Drittel in Deutschland. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) unterstützt die Tätigkeit des SES im Ausland, das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert sein Engagement für Auszubildende in Deutschland. Hinter dem SES stehen unter anderem der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) und der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH). Weitere Informationen: www.ses-bonn.de; Kontakt für Expertinnen und Experten: registrierung@ses-bonn.de und Tel. 0228 26 090 - 75 Reportage | „Teilt Euer reiches Wissen in aller Welt! “ 11 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 01/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0002 Michael Mente Michael Mente war bis zu seiner Pensionierung etwa 20 Jahre Mitarbeiter bei der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, BGR, einer Ressortforschungseinrichtung des BMWi. Sein Maschinenbaustudium war auf Bau und Betrieb von Fabrikanlagen ausgerichtet. In den ersten 20 Berufsjahren war er an Planung und Errichtung von Kernkraftwerken und der Wideraufarbeitungsanlage beteiligt und befasste sich u. a. auch mit dem Einsatz von PM-Tools. In den späten 70er-Jahren hatte er, noch vor Einrichtung der GPM, erstmals Kontakt mit einigen ihrer Gründungsväter. Die Verbindung zur GPM besteht bis heute. Bei der BGR führte er das Projekt- und Qualitätsmanagement für die wissenschaftlichen Aufgaben der Endlagerung ein. Er war mehrere Jahre an die Europäische Kommission zur Begleitung von Nachhaltigkeitsprojekten abgeordnet. Er war fünf Jahre Deutscher Repräsentant eines europäischen Umweltprogramms. Heute ist er ehrenamtlich für SES und GPM tätig. Michael Mente Foto: SES Bettina Hartmann Bettina Hartmann, stellvertretende Geschäftsführerin beim SES und Leiterin der Abteilung Experten, koordiniert bei der Bonner Organisation den „Matching“-Prozess- - die fachliche Zuordnung von Experten zu Anfragen nach Unterstützung und Qualifizierung aus aller Welt. Bettina Hartmann ist seit über 25 Jahren Teil des SES und wirbt für die Verbindung von hoher fachlicher Professionalität und Ehrenamt. Sie sagt: „Projektmanagement gehört zum Beruf. Aber es hat auch seinen Platz, wenn Beruf und fachliches Know-how ehrenamtlich eingesetzt werden. Dafür steht der Senior Experten Service (SES).“ Bettina Hartmann Foto: SES Weitere Informationen & Anmeldung unter: www.tiba-business-school.de CHANGE MANAGEMENT THEMENABEND Kostenfrei & virtuell SAVE THE DATE: 24.03.2022 | 17 - 18 Uhr Die Jüngeren wiederum lernen beeindrucke Lebensläufe kennen-- vielleicht als Vorbild oder direkte Inspiration. Stoßen da auch verschiedene Mentalitäten aufeinander? Natürlich! Die Jüngeren marschieren gerne voran, bringen Energie in die Organisation. Die älteren dagegen reagieren etwa bei Problemen häufig gelassener. Sie atmen durch. Sie wissen: Vieles wird nicht so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Daraus entsteht ein inspirierendes Miteinander, von dem alle profitieren. Eingangsabbildung: Die rund 12.000 beim SES registrierten Expertinnen und Experten-- darunter viele Projektmanager-- sind weltweit geschätzt. © Foto: SES Anzeige
