PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
10.24053/PM-2022-0012
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GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.Raumarrangements: Wandel von Raum, Zeit und Rollen in der Projektorganisation
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Sybille Peters
Martin Elbe
In Zeiten wachsender Unsicherheit und Digitalisierung nimmt auch die Arbeit in Projekten zu. Organisationen werden immer mehr zu temporären Repräsentationsräumen. Damit treten auch neue Projekträume in Erscheinung, in denen soziale Rollen und vertraute soziale Identitätsformen flexibilisiert werden. Der Projektraum ist abhängig von Bewegungen und Veränderungen in Struktur und Handeln der Akteure. Kollaboration bedeutet hier, auszuhandeln, was im jeweiligen Kontext von Bedeutung ist und wie dies im Zusammenhang mit der Gesamtorganisation steht. Das gilt für den Projekterfolg ebenso wie für den Zusammenhalt als Gruppe und die Weiterentwicklung der Akteure. Die neuen Räume sind vielfältig, aber sie helfen Unsicherheit in Ungewissheit zu überführen und dadurch zu bewältigen.
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38 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 01/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0012 Raumarrangements: Wandel von Raum, Zeit und Rollen in der Projektorganisation Sibylle Peters, Martin Elbe Für eilige Leser | In Zeiten wachsender Unsicherheit und Digitalisierung nimmt auch die Arbeit in Projekten zu. Organisationen werden immer mehr zu temporären Repräsentationsräumen. Damit treten auch neue Projekträume in Erscheinung, in denen soziale Rollen und vertraute soziale Identitätsformen flexibilisiert werden. Der Projektraum ist abhängig von Bewegungen und Veränderungen in Struktur und Handeln der Akteure. Kollaboration bedeutet hier, auszuhandeln, was im jeweiligen Kontext von Bedeutung ist und wie dies im Zusammenhang mit der Gesamtorganisation steht. Das gilt für den Projekterfolg ebenso wie für den Zusammenhalt als Gruppe und die Weiterentwicklung der Akteure. Die neuen Räume sind vielfältig, aber sie helfen Unsicherheit in Ungewissheit zu überführen und dadurch zu bewältigen. Schlagwörter | Identität, Kollaboration, Projekträume, Raumtheorie, Rollen, Ungewissheit, Unsicherheit, Virtualisierung 1. Ungewissheit und neue Herausforderungen in Projekten Der Umgang mit Unsicherheit ist eine der zentralen Herausforderungen in Projekten, was durch die Corona-Pandemie und die zunehmenden Auswirkungen des Klimawandels weiter gesteigert wird. Vielfach sind damit handlungslähmende Unsicherheits-Erfahrungen für die Arbeit in Projekten verbunden, wodurch ein Management von Ungewissheit in diesem Kontext immer wichtiger wird. Durch die Offenlegung von Handlungsfreiräumen bietet die Ungewissheitsperspektive die Chance, jenseits von Planung und Kontrolle, [1] Wege zur Realisierung von Projektzielen zu finden. Das Agile Projektmanagement kann Antworten für eine innovative Gestaltung der Projektpraxis geben, worauf neue Experimente in Agilen Projekten verweisen. Diese generelle Entwicklung wurde durch die Corona-Pandemie noch verstärkt und so sehen sich Akteure in Projekt-Organisationen mit Handlungsungewissheiten, auch in Hinblick auf ihrer beruflichsozialen und professionellen Identitäten, konfrontiert. Sie stehen vor Herausforderungen, neue Handlungsoptionen mit verbessertem Anpassungsverhalten zu entwickeln und diese gruppenbasiert selbst zu steuern. So bleibt es nicht aus, immer intensiver nach neuen Kommunikationsformen und -foren zu suchen, die den Umgang mit Ungewissheit und Unsicherheit ermöglichen und neu zu arrangieren helfen. [1, 2, 3] Die Herausforderungen konzentrieren sich auf das Erstarken temporärer, projektorientierter Organisationsformen gegenüber klassischen, industriellen Organisationsformen. Innerhalb von Projekten entstehen neue Anforderungen an individuelle wie organisationale Handlungsabstimmungen und mit neuen Projektformen verändern sich auch Wissensarbeit und Kollaboration. Es entsteht eine doppelte Anforderungsstruktur individueller und organisationaler Bearbeitungsmodi. In diesem Kontext will der vorliegende Artikel den Fokus auf die Wissensarbeit in Projekten lenken und auf eine, das Agile Projektmanagement ergänzende Perspektive verweisen-- auf die Veränderung des Raums, in dem Wissensarbeit erbracht wird. Der Raum in Projektorganisationen steht für neue Konstellationen und veränderte Innovationserwartungen sowie Handlungsoptionen der Projekt-Akteure. Wenn verstärktes Anpassungsverhalten und Selbststeuerungen in den (agilen) Projektformen die neuen Herausforderungen sind, dann ziehen die temporären Projekt-Räume u. a. neue Rollen in der Ausgestaltung der Zusammenarbeit in Projekten nach sich. Salopp formuliert: Funktionsrollen, ebenso wie beruflich-soziale und professionelle Rollen innerhalb der bestehenden Organisationsstrukturen gelten nicht mehr in uneingeschränkter Weise und Prozessorientierung bekommt mehr Aufmerksamkeit als es bisher im Projektmanagement innehatte. Diese bereits länger andauernde Entwicklung hat mit der Ausbreitung temporärer Organisationsformen (z. B. Wissen | Raumarrangements: Wandel von Raum, Zeit und Rollen in der Projektorganisation 39 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 01/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0012 im Rahmen der Verprojektierung unmittelbar auf der Prozessebene) immer dichtere Anforderungen an Management und Akteure zur Konsequenz. Das erhöht Anforderungen an die Bewältigung und damit auch Nutzbarmachung von Ungewissheit, auf die mit neuen Ausdifferenzierungen von Anforderungen reagiert wird und das sind im Zuge von Wissensarbeit Raum- und Rollenüberlegungen sowie ein sich änderndes Verständnis von Zeit. Die Raumperspektive wird in Bezug auf Projekte genutzt, um Prozessen der Wissensarbeit (sowohl im Kooperationsals auch im Lernmodus) einen Rahmen zur Bewusstmachung und Weiterentwicklung zu bieten. Der Raum ermöglicht es, veränderte Sinnkonstellationen zu thematisieren, die den Handlungen der Akteure neue Gestaltungsoptionen bieten, wodurch Erweiterungen und Flexibilisierungen des beruflichsozialen Handelns ermöglicht wird. Räume in dieser Perspektive sind Sinnzuschreibungen, die bestimmte Personen-, Gegenstands-, Zeit- und Tätigkeitskonstellation bezeichnen. Wie Elbe und Erhard [4] anmerken, sind in diesem Kontext auch Organisationen als Räume zu verstehen, die sich an spezifischen Orten manifestieren (z. B. in Büros, im Homeoffice, in Besprechungsräumen- - kurz: wo immer sich organisationsspezifisch Arbeitsorte verstetigen) und aus gemeinsamen Sinnzuschreibungen geschaffen werden. Raum bedeutet, dass die Zusammenarbeit und die Sinnzuschreibungen von „einem Ort aus mehr Gemeinsamkeiten aufweisen als von unterschiedlichen Orten“ [5, S. 202]- - das kann allerdings auch ein virtueller Raum sein, oder eine zeitlich und örtlich asynchrone Kollaboration, wie sie für Projekte durchaus üblich ist. Aber die gemeinsame Sinnkonstruktion und der spezifische Handlungsrahmen sind konstitutiv. Hinsichtlich der Veränderung der professionellen Handlungsperspektive spricht man von neuen Raumrepräsentationen, die die Handlungsoptionen der Akteure beeinflussen, alle können den Raum des Projektes gemeinsam gestalten. Das Handeln des Managements und der Akteure kann in diesem Kontext unterschiedliche, neue Formen annehmen, die über die, durch traditionelle berufliche Identitäten begründeten, hinausgehen. Diese Veränderungen bringen neue Arbeitsweisen und neue Rollen für die Bewältigung der sich wandelnden Kollaboration durch Wissensaustausch in Projekten hervor. Die Temporalität der Organisation wird insbesondere dann unterstützt, wenn die bekannte Kooperation und Koordination von Struktur und Prozess nunmehr den Fokus auf die Prozessebene als entscheidenden Handlungsraum legen. Hier werden weitgehend autonom und temporär Projekt-Entscheidungen getroffen, z. B. im Agilen Projektmanagement. [2] Anders formuliert: Wenn Raumbeschreibungen als temporäre Repräsentationen Gestalt annehmen, verändert dieses auch Rollen bzw. die Erzeugung neuer Rollen findet dann in Projektstrukturen statt- - relativ unabhängig von hierarchischen Bedingungen der traditionellen Organisationsstruktur. Dies betrifft auch den Umgang mit Arbeitszeit, veränderte Bewältigungsmuster von Konflikten in der Zusammenarbeit, Vertrauensstiftung in temporären und virtuellen Räumen etc., wovon insbesondere Wissensarbeiter profitieren, die unter den veränderten Bedingungen ein erhöhtes Maß an Ungewissheit zu bewältigen haben. Diese neuen Anforderungen haben Einfluss auf Personalentwicklung und die Inanspruchnahme von souveränen Arbeits(zeit)formen. 2. Ungewissheit und Wissensarbeit in der Projektorganisation Ungewissheit und Raum bilden neue Koalitionen, die eigene Situations- und Sinndefinitionen durch die in Projekten Handelnden zulassen, wobei der Raum die Entscheidungsfindungen rahmt. Das Agile Projektmanagement ist gegenwärtig die konkrete Projektform, um dies zu gewährleisten. Hierbei eignet sich der Begriff Repräsentationsraum, um in Projekten kulturell gehandelte Symbolwerte des Austausches aller Akteure in ihren beruflich-sozialen Rollen zu thematisieren. [6] Der Raum erlaubt, Fragen des Handelns der Akteure und entsprechende Gestaltungsoptionen für autonome Entwicklungen-- ausschließlich auf der Prozessebene-- zu nutzen. Neue individuelle bzw. beruflich-soziale Gestaltungsoptionen können den begrenzten Rahmen des individuellen handlungsanleitenden Kompetenzbegriff „sprengen“. Dies zeigt sich z. B. wenn mit Hilfe von Scout-Fähigkeiten und unter Nutzung neuer Rollen „sinnsprengendes“ Neues aufgespürt wird. Der Raum wird damit eine Kategorie für Wissensbearbeitungen und Wissensaustausch. Individuelle Rollen und die beruflichsoziale Identität tritt in den Hintergrund. Die Umwandlung von Unsicherheit in Ungewissheit verändert die Arbeitserbringung in klassischen beruflichen Funktions-Rollen. Neue temporäre Raum-Arrangements stehen für Innovationserwartungen und einen Wandel der sozialen Identität. Der Raumbegriff gibt neue Impulse, in Projekten weniger die beruflich-sozialen Identität zu reproduzieren, als vielmehr sich als vernetztes Individuum mit Ungewissheitspotenzialen zu begreifen. Die veränderten Raumkonstellationen erlauben Projekte für die Wissensarbeit zu erschließen, die eine neue Ressource für die Ausgestaltungen beruflicher Identitäten sein könnte. Hierbei geht es um das Verfügbarmachen von Wissen in dynamischen Projektstrukturen und Einflussmöglichkeiten für alle dort arbeitenden Akteure, die spätestens jetzt zu Wissensarbeitern werden. Die institutionelle Verfasstheit der temporären Projektform wird nun deutlich und kann die Aufmerksamkeit auf neue Kontexte der Arbeitsorte, der Arbeitsmittel und der Arbeitsprozesse, jenseits von individueller Handlungskompetenz, richten. Der Sinnraum des Projektes wird Gegenstand für neue Rollendifferenzierungen und Gestaltungsüberlegungen, und damit auch für neue Lern- und Kompetenzoptionen innerhalb von Wissensarbeit. Wissensarbeit betrifft in diesem Kontext nicht nur die Nutzung, Aneignung und ökonomische Verwertung von professionellem Wissen, sondern bezieht sich auf die Erzeugung und den Austausch spezifisch raumbezogenen Wissens. Wissen ist in diesem Kontext Handlungsvermögen, das sich weiterentwickelt in der Arbeit und sich verändernden Bedingungen anpasst, ggf. auch die Bedingungen selbst verändert. In dieser Verbindung wird der temporäre Raum ein neuer Gegenstand von Organisations- und Personalfragen, [6] wobei Ungewissheit neue Entwicklungen induziert. Die Akteure erwarten Unterstützung in Hinblick auf diese Veränderungen und eine angemessene Offenheit für die dabei auftretenden Reibungsverluste, z. B. durch Wissensunterschiede und durch neue Formen des Umgangs mit Nähe und Distanz. In der klassischen beruflich-soziale Rolle ist die Kombination aus Nähe und Distanz gegenüber anderen Rollen festgeschrieben. In neuen Räumen der Wissensarbeit ist ein gemeinschaftlicher Wissensaustausch Voraussetzung dafür, konkrete Problem- Wissen | Raumarrangements: Wandel von Raum, Zeit und Rollen in der Projektorganisation 40 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 01/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0012 stellungen zu bewältigen. Genau diese Wissensformen erzeugen immer häufiger Innovationsprozesse in Wirtschaft und Gesellschaft. In zurückliegenden Jahren wurde Wissen als ökonomisches Gut innerhalb von Wissensmanagement diskutiert. Wissensarbeit in neueren Diskussionen betrifft Formen des Wissens als Fähigkeit zum praktischen Handeln und folglich erhält die Arbeitsorganisation eine zunehmende Bedeutung, z. B. als remote work im Homeoffice oder durch mobiles Arbeiten (auch in shared work spaces). 3. Veränderte Arrangements und neue Repräsentationen in Raum, Zeit und Rollen Für die Projektarbeit haben der Umgang mit Ungewissheit und die Repräsentation in agilen Projektformen eine besondere Bedeutung. Hierdurch wird das traditionelle (planungsbasierte) Projektmanagement in Richtung eines Managements der Ungewissheit ergänzt. Während aktuell insbesondere Aspekte von Agilen Organisationskulturen für Projekte thematisiert werden, greift der raumorientierte Ansatz insbesondere auf die Perspektive des wissensbasierten Arbeitens zurück und wirkt dadurch auf die Gestaltung der Projektrollen der Mitarbeiter. Die Suche nach gemeinsamen Sinnkontexten zeigt sich in neuen Konstellationen von Raum und Rolle im Sinne des Agilen Projektmanagements. Diese Entwicklungen prägen im Projektraum, der insbesondere durch seine temporäre Begrenzung konstituiert wird, spezifische Entscheidungsstrukturen sowie eigenständige Management- und Mitarbeiterrollen. Hierdurch wird der Fokus auf neue Arbeitsformen und Arbeitsmittel der Informatisierung gelenkt und die jeweilige organisatorische Einbindung selbst wird Gegenstand neuer hybrider und agiler Projektformen, die sich traditionellen Planungsprozessen in den Organisationen entziehen. Dies geht mit einer Flexibilisierung der Rollen der Prozessverantwortlichen einher, was sowohl die Führung durch Projektleiter betreffen kann als auch das Handeln von Projektmitarbeitern im Umgang mit Wissen und Gestaltung einer selbstorganisierten Zusammenarbeit. [7] Die neuen Rollen in temporären Projekträumen sind von Informatisierung geprägt, die den Austausch von Wissen essenziell machen. Handlungen und Entscheidungen im Rahmen der Informatisierung zeigen, dass nicht allein das Wissen aus der beruflich-sozialen Identität von Belang ist, sondern die Neu-Generierungen von Wissen generell. Dies betrifft die gesamten projektbezogenen Arbeitsformen und -mittel, wodurch eine neue systemische Integration der Projektakteure und ihrer Zusammenarbeit nötig wird. Die Projektakteure werden nunmehr in das temporäre Geflecht des Wissensaustausches in der Organisation, über ihre individuelle soziale Verortung hinaus, eingebunden-- z. B. mit Hilfe von wissensbezogenen kognitiven Landkarten-- und institutionalisieren dies in neuen Projektrollen. Die neuen Gruppenrollen sind an die Temporalität der Projekte gebunden und wirken sowohl flexibilisierend als auch innovationsfördernd. Das schafft Anpassungspotenziale hinsichtlich der Ausgestaltung neuer Rollenarrangements und neuer Leistungsbewertungen. Die Tätigkeit von Projektakteuren und Management sind Teil der Gestaltung vernetzt-flexibler Arbeit, wodurch Ungewissheit gestaltbar wird. Dies zeigt sich in Tätigkeiten wie z. B. Trainieren, Coachen und Moderieren, aber auch in neuen Rollen, wie der des Mentors, die allgemein zunehmen und nicht mehr in der Hierarchie begründet werden. Sie sind Teil der neuen Informatisierungsprozesse und als solche selbstverständlich. Traditionell individuelle Kompetenzerfordernisse erfahren in temporären Strukturen eine Aufsplittung und Vervielfältigung in gemeinsam gehaltene Wissensbereiche, was zur Ausbildung neuer (temporärer) Rollen führt, die kaum mehr auf Hierarchie zurückgreifen müssen. Im Kontext wechselnder Projektstrukturen ist immer wieder neu zu klären, welche Rollen mit spezifischen kurzfristigen Aufgaben verbunden sind und welche Rollen im Expertenmodus eingenommen werden. Dies erfordert verstärkt Selbststeuerungen, die auch den Sinnzusammenhang der Gruppe betreffen, z. B. wenn Projektmitarbeiter zu Akteuren werden, die an der Grenze der Gruppe in Kontakt mit der Umwelt treten und in ihren Rollenarrangements neue Kopplungen von Prozessen und organisationalen Zielen realisieren. Unterschiedlichen Rollenzuschnitten, Befindlichkeiten und Selbstansprüche werden von den Projektakteuren ausprobiert, wodurch Innovationsfähigkeit gefördert wird. Zugleich wandern Aufgaben aus der Geschäftsebene in die Verantwortungsbereiche von Projekten ab und Rollenträger übernehmen in spezifischen Projekten Aufgaben zur Bewältigung wiederkehrender Prozesse. Sie ‚inszenieren‘ diese Aufgaben temporär und öffentlich sichtbar, wodurch soziale Kontrolle in Organisationen informatisiert und temporalisiert wird. Soziale Kontrolle verliert in diesen wechselnden Rollen ihren formellen Charakter, was ja in agilen Projekten auch angestrebt wird, und wodurch Bedingungen für Verhandlungspotentiale sowohl innerhalb der Projektgruppe als auch im Rahmen der Abstimmung mit anderen Organisationseinheiten geschaffen werden. Es bilden sich hierbei projektspezifische neue Gruppenrollen heraus: [8] • die regelmäßig Entscheidungsvorbereitung und -findung initiieren (Gastgeberrollen), • die gemeinsam getroffenen Entscheidungen dokumentieren, damit ein einheitlicher Informationsstand gegeben ist und Vereinbarungen eingehalten werden (Dokumentarrollen), • die Lernprozesse anregen, z. B. über die gemeinsame Arbeit und Selbstorganisation zu reflektieren und Foren schaffen, um Verbesserungen zu vereinbaren (Lernbegleiterrollen). Hierbei handelt es sich nicht um formale, sondern um gruppenspezifische Rollen, die als Gruppenaufbaurollen und Gruppenaufgabenrollen der Kohäsion und Zielerreichung von Gruppen generell dienen und durchaus auch Überschneidungen und Doppelungen aufweisen. Hier bilden sich temporär Erwartungssets an Gruppenmitglieder in neuen Räumen heraus, die dann vielfach für die spezifische Raumkonstellation (z. B. in einem Projekt) Gültigkeit haben, nicht aber grundsätzlich für die sozialen Beziehungen der Beteiligten in einem spezifischen institutionellen Setting (also z. B. generell in einer Organisation) gelten. Dies lässt sich nach Elbe und Peters [6] anhand folgender Beispiele konkretisieren: Die Gastgeberrolle kann z. B. Führungsaufgaben aus dem Verantwortungsbereich der Geschäftsebene in Projekte überführen, ohne dass die Person, die hier diese Rolle einnimmt, generell in einer Vorgesetztenrolle zu verorten wäre. Sie nimmt in diesem Sinn Gruppen aufgaben rollen war. Der projekteigene Entscheidungsmodus kann damit zur partiellen Sinnstiftung und zum Projekterfolg beitragen, wobei dies im Rahmen Wissen | Raumarrangements: Wandel von Raum, Zeit und Rollen in der Projektorganisation 41 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 01/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0012 der Gestaltung der Projekte immer wieder neu zu regeln ist. Ein Gastgeber ist aber auch für die Zusammenstellung der Gruppe mitverantwortlich- - er oder sie lädt ein und ist damit für den Aufbau der Gruppe von zentraler Bedeutung. Die Dokumentarrolle deckt insbesondere methodenbezogene Verhaltenssets ab, die helfen, Lessons-Learned-Erfahrungen im Projekt zu verankern, und in anderen Bereichen zur Informatisierung oder für veränderte Zusammenarbeit zur Verfügung zu stellen-- dies kann als Raumübertragung verstanden werden, da dadurch Sinnzusammenhänge, die sich für Projekte als erfolgsversprechend erweisen, sich über mehrere Projekte hinweg verbreiten. Die Dokumentarrolle ist damit ebenfalls aufgabenorientiert. Auch Lernbegleiterrollen haben Aufgabenanteile und sorgen u. a. dafür, dass die Wissensübertragung im Arbeitsprozess in einem Projekt eine zentrale Bedeutung bekommt. Die Bedeutung des Lernens im Prozess der Arbeit hat in temporären Projektformen eine besondere Bedeutung und zeigt die Verbindung von individuellen und organisatorischen Kompetenz- und Wissenszuwächsen auf. Hierbei geht es auch darum, den Akteuren in den Repräsentationsräumen der Projekte aufzuzeigen, wie Raumkonzepte und damit auch -praktiken sich ändern und wie die Ausgestaltung der Rollen durch kontinuierliche Lernbegleitung unterstützt werden kann. Meilensteine innerhalb von Projekten helfen- - als ‚kleine Lernschleifen‘- - über die eigene Arbeit und Selbstorganisation zu reflektieren und den Prozess der Generierung neuen Wissens in digitalen Anforderungssituationen interaktiv zu gestalten. [6, 7] Das gemeinsame Lernen wird zum Teil des Gruppenerlebens und damit auch des Gruppenaufbaus. Lernergebnisse sind hier offen und kommen z. B. im Sinne von Scouting-Verfahren innerhalb von Gruppen hochqualifizierter Akteure zum Einsatz. Diese erwarten hinsichtlich der Lernbegleitung individuell zugeschnittene Coaching-Angebote und legen vielfach den Schwerpunkt auf das Lernen im Prozess der Projekt-Arbeit. Alle diese Aspekte tragen zu neuen Raumrepräsentationen in der temporären Projektarbeit bei. Es ist ein wichtiger Aspekt in den neuen Projekträumen, dass die Trennung von Aufgabenrollen und Aufbaurollen vielfach aufgehoben wird und zunehmend eine Überschneidung der klassischen Rollenzuschreibungen stattfindet. 4. Beispiele neuer Arrangements in Raum, Zeit und Rollen Beispiele für neue Raumarrangements und deren Auswirkung auf Zeit und Rollen finden sich z. B. in den Studien zu Arbeitszeitselbstbestimmung und Arbeitszeitsouveränität in wissensintensiven und digitalisierten Projektwelten, in den Jahren 2016 und 2021 im Auftrag der GPM (Gesellschaft für Projektmanagement e. V.). Die erste Studie von 2015 / 2016 [9] zielte darauf ab, Bedingungen und Optionen von wissensorientierter Projektarbeit sowie daraus resultierender Formen und Grenzen der Gestaltung von Arbeitszeit zu analysieren. Die zweite Studie von 2020 / 2021 [10] nimmt aufbauend darauf ausgewählte Fragen aus diesem Themenfeld auf und erweitert den ursprünglichen Fokus um ein Modell der Arbeitssouveränität. In beiden Untersuchungen bilden die Anforderungen einer sich rasant verändernden Arbeitswelt den Ausgangspunkt, und fokussieren auf den wissensintensiven Sektor der Arbeitswelt, der durch Digitalisierung und technologische Innovation geprägt ist. Die neuen Herausforderungen betreffen den gesamten Bereich der remote work, also Arbeitsprozesse, -strukturen und -formen, die durch arbeitssouveränes, zeit- und ortsunabhängiges Arbeiten geprägt sind. Darüber hinaus hat interaktives sowie vernetztes Arbeiten wesentlich an Bedeutung gewonnen. Die Ergebnisse beider Studien verdeutlichen, dass arbeitssouveränes Handeln unter Projekt-Mitarbeitern in wissensintensiven temporären Organisationsformen weit verbreitet ist. Auf der Handlungsebene der Akteure verdeutlichen die Ergebnisse, dass das Erleben von Kompetenz, von sozialer Eingebundenheit und von Autonomie zentrale Grundbedürfnisse der Akteure und damit Voraussetzung für selbstbestimmtes Handeln sind. Dies wiederum beeinflusst die Motivation der Akteure signifikant positiv und weist auch eine signifikante Korrelation mit der selbstempfundenen Arbeitssouveränität auf. [11] Insgesamt wird der souveräne Umgang mit der eigenen Arbeit und Arbeitszeit von den Projektakteuren als sinnstiftend angesehen sowie als Form der Anerkennung empfunden. In der Folge wächst die individuelle Verantwortungsübernahme der Projektmitarbeiter, was die Wahrnehmung erweiterter Handlungsspielräume verspricht. Hingewiesen werden soll auch auf eine empirische Untersuchung des Instituts für interdisziplinäre Arbeitswissenschaft in Hannover, [12] die sich in Zeiten von Ungewissheit mit Fragen von Zeitgestaltung in (temporären) Arbeitsprozessen befasst und den individuellen Umgang mit verschiedenen Zeitformen hinsichtlich der Personalentwicklung aufgreift. Der Wandel von Arbeit und Arbeitszeit in Projektformen wirkt demnach nicht nur in herkömmlichen Organisationsstrukturen als Innovationstreiber, sondern ermöglicht die Suche nach neuen Lösungen in projektförmiger Arbeit- - wodurch neue, virtualisierte Projekträume in den Organisationen geschaffen werden. Die Informatisierung und der Austausch von Wissen bedingen ein eigenständiges Weiterlernen der Akteure in diesen Prozessen der Arbeit, verbunden mit einer Weiterentwicklung der Organisation als Sinn- und Innovationsraum insgesamt unter Beachtung des institutionellen Charakters der Organisation. 5. Einschätzung Organisationen werden durch Virtualisierung und Digitalisierung immer deutlicher zu temporären Repräsentationsräumen. Im Zuge der Entwicklung von Wissensarbeit mit permanenten Innovationserwartungen und dementsprechenden Aktivitäten, die räumlich verteilt und dabei arbeitsteilig angelegt sind, treten neue Projekträume hervor. Die Entwicklungen dieser Räume beeinflussen die sozialen Rollen und die Identitätsbildungen in Organisationen-- vertraute soziale Identitätsformen werden flexibilisiert. Auch der Einzelne kann unter diesen Bedingungen seine (beruflich-)soziale Situation aus professionsbezogener Sicht und die daran gebundene soziale Position nicht mehr nur anhand festgefügter Rollen in stabilen Gruppen beanspruchen, sondern ist auf neue Erfahrungen in unterschiedlichen Kontexten angewiesen, ohne eine gemeinsame Sinnkonstruktion im übergeordneten Raum der Organisation aufzugeben. Entscheidungssituationen werden offenbar abhängig vom Umgang mit Ungewissheit in jeweils eigenständigen Projektkonstellationen und damit be- Wissen | Raumarrangements: Wandel von Raum, Zeit und Rollen in der Projektorganisation 42 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 01/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0012 dürfen Entscheidungssituationen nicht zuletzt eines zunehmenden Selbstvertrauens. Hier wird die Bedeutsamkeit der neuen Rollen z. B. als Lernbegleiter deutlich, da die Einzelnen auch der Unterstützung in der Einbindung bedürfen. Es bedarf der Reflexionsfähigkeit, um die eigenen kognitiven Wissens-Landkarten in Strukturen der temporären Organisation, mit entsprechendem Rollenverhalten, zu überführen. Die Zusammenarbeit in den neuen Räumen hilft Unsicherheit in Ungewissheit zu überführen, sich im Kollektiv weiterzuentwickeln und Projekterfolge zu sichern. Literatur [1] Böhle, Fritz / Busch, Siegried (Hrsg.): Management von Ungewissheit, transcript, Bielefeld 2012 [2] Elbe, Martin / Peters, Sibylle: Die temporäre Organisation. Grundlagen der Kooperation, Gestaltung und Beratung, Springer Gabler, Berlin 2016 [3] Jeschke, Sabina, Jakobs, Eva-Maria, Dröge, Alicia (Hrsg.): Exploring Uncertainty. Ungewissheit und Unsicherheit im interdisziplinären Diskurs, Springer Gabler, Wiesbaden 2013 [4] Elbe, Martin / Erhardt, Ulrich: Konstruktive Organisationsentwicklung: Menschen verstehen · Organisationen gestalten · Lernkulturen entwickeln, Schneider Verlag Hohengehren, Baltmannsweiler 2020 [5] Löw, Martina: Raumsoziologie, Suhrkamp, Frankfurt a. M. 2001 [6] Elbe, Martin / Peters, Sibylle: Neue Räume-- neue Rollen? Ungewissheit im Kontext der Temporären Organisation. In: Gruppendynamik, Organisation, Interaktion (GOI) 52. Jg. Heft 4/ 2021, S. 589-599 [7] Bolte, Annegret/ Neumer, Judith: Lernen in der Arbeit. Erfahrungswissen und lernförderliche Arbeitsgestaltung in wissensintensiven Berufen, Hampp, München 2020 [8] Oestereich, Bernd / Schröder, Claudia: Agile Organisationsentwicklung. Handbuch zum Aufbau anpassungsfähiger Organisationen, Vahlen, München 2020 Martin Elbe Martin Elbe, Prof. Dr., Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr. Arbeitsschwerpunkte: Sozialpsychologie und Militärsoziologie (insbesondere: Organisation, Arbeit, Personal, Gesundheit, Sport, Verstehen). martinelbe@bundeswehr.org Sibylle Peters Sibylle Peters, Prof. Dr., Gastwissenschaftlerin im Bereich Arbeitslehre / Technik und Partizipation der TU Berlin. Arbeitsschwerpunkte: Soziologie der Arbeit (insbesondere: Führungsnachwuchs, Arbeitszeitsouveränität, Wissens- und Projektmanagement). sibylle.peters@campus.tu-berlin.de [9] Peters, Sibylle/ Garrel, Jörg v./ Düben, Ansgar/ Dienel, Hans-Liudger: Arbeit- - Zeit- - Souveränität. Eine empirische Untersuchung zur selbstbestimmten Projektarbeit, Hampp, München 2016 [10] Peters, Sibylle/ Garrel, Jörg v./ Düben, Ansgar/ Dienel, Hans-Liudger: Neue Formen von Arbeitszeitselbstbestimmung in digitalisierten Projektwelten. Projektbericht, Nexus- Institut, Berlin 2021 [11] Garrel, Jörg v.: Arbeits(zeit)souveränität in digitalisierten Projektwelten, Manuskript, Darmstadt 2021 [12] Haunschild, Axel/ Krause, Florian / Perschke-Hartmann, Christiane / Schubert, Andrea-Kristin / Vedder, Günther / Vogel, Martin (Hrsg.): Arbeit und Zeit, Hampp, München 2020 Eingangsabbildung: © iStock.com / Mikolette
