PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
10.24053/PM-2022-0039
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GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.Klassische und agile Ansätze in Verbindung
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Ann-Kathrin Rank
Die Zahl der durchgeführten Projekte und die damit verbundenen Anforderungen steigen zunehmend. Dadurch rückt auch die Frage nach der passenden Vorgehensweise immer stärker in den Fokus der leitenden Projektmitarbeiter. Die Abschlussarbeit „Der Projektmanagement Prozess – Verzahnung von klassischen und agilen Vorgehensweisen am Beispiel der W&W AG“ liefert hierfür eine konkrete Antwort. Durch eine enge Verknüpfung von Theorie und Praxis wurde in der Arbeit ein handlungsleitendes Modell geschaffen, mithilfe dessen die sinnvollste Vorgehensweise für jeden Projektgegenstand der Wüstenrot & Württembergische (W&W) AG ermittelt werden kann. In diesem Artikel erfahren Sie mehr über die Entstehung dieses Modells und wie es bei der W&W AG im Unternehmen eingebunden wird.
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66 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 02/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0039 Zukunftsweisendes Projektmanagement Klassische und agile Ansätze in Verbindung Ann-Kathrin Rank Für eilige Leser | Die Zahl der durchgeführten Projekte und die damit verbundenen Anforderungen steigen zunehmend. Dadurch rückt auch die Frage nach der passenden Vorgehensweise immer stärker in den Fokus der leitenden Projektmitarbeiter. Die Abschlussarbeit „Der Projektmanagement Prozess-- Verzahnung von klassischen und agilen Vorgehensweisen am Beispiel der W&W AG“ liefert hierfür eine konkrete Antwort. Durch eine enge Verknüpfung von Theorie und Praxis wurde in der Arbeit ein handlungsleitendes Modell geschaffen, mithilfe dessen die sinnvollste Vorgehensweise für jeden Projektgegenstand der Wüstenrot & Württembergische (W&W) AG ermittelt werden kann. In diesem Artikel erfahren Sie mehr über die Entstehung dieses Modells und wie es bei der W&W AG im Unternehmen eingebunden wird. Schlagwörter | ICB 4.0, agil, Methodik, hybrid, Bachelorarbeit Steigende Anforderungen im Projektmanagement Megatrends wie die Digitalisierung und die Globalisierung bringen heutzutage tiefgreifende Veränderungen mit sich. Oftmals werden standardisierte Prozesse und routinierte Abläufe innerhalb der Linienorganisation den steigenden Anforderungen nicht mehr gerecht und zu hierarchische Strukturen beeinträchtigen schnelle Entscheidungen. Um wettbewerbsfähig zu bleiben und auf dynamische Entwicklungen des Arbeitsmarktes zu reagieren, rücken Projekte und deren Management verstärkt in den Mittelpunkt unternehmerischen Handelns. Fachübergreifende, temporäre Organisationsformen ermöglichen dabei die Bearbeitung komplexer Aufgabenstellungen, sodass innovative Produkte und Dienstleistungen in möglichst geringen Zeitabständen kundenorientiert konzipiert werden können. [1] Die Komplexität von Projekten erschwert jedoch häufig die Entscheidung, welcher Projektmanagementansatz am besten zur Realisierung eines Vorhabens geeignet ist. Mit dieser Problematik werden auch die Projektverantwortlichen bei der Wüstenrot & Württembergische AG konfrontiert. Die schwäbische Finanzdienstleistungsgruppe steht in einem anspruchsvollen Marktumfeld, das sich vor allem durch sinkende Zinseinnahmen, erschwerende gesetzliche Regelungen, eine zunehmende Zahl an Wettbewerbern und digitale Transformationsprozesse kennzeichnet. Für die wirtschaftliche Zukunftsfähigkeit des Unternehmens spielt die erfolgreiche Umsetzung von Projekten ebenfalls eine wichtige Rolle. Aus diesem Grund wurde im Zuge eines internen Projekts ein vereinfachtes, zeitgemäßes und konzernweit gültiges Projektmanagementverfahren entwickelt, das den wechselseitigen Bedürfnissen innerhalb der W&W-Gruppe gerecht wird. Dieses Verfahren schließt neben klassischen Projektmanagementansätzen, die bisher vermehrt zum Einsatz kamen, auch agile Vorgehensweisen ein. Die Bachelorarbeit „Der Projektmanagement Prozess- - Verzahnung von klassischen und agilen Vorgehensweisen am Beispiel der W&W AG“ ist Teil des genannten Projekts. Ziel der Arbeit war es, ein Modell für die W&W AG zu entwickeln, das die Entscheidung, ob im jeweiligen Projekt ein klassisches, agiles oder hybrides Vorgehen am besten geeignet ist, unterstützt. Im weiteren Verlauf des Artikels werden das methodische Vorgehen sowie wichtige Erkenntnisse der Abschlussarbeit genauer erläutert. Rubrik | Klassische und agile Ansätze in Verbindung 67 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 02/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0039 Klassische und agile Vorgehensweisen Ausgangspunkt für die Entwicklung des unternehmensspezifischen Modells ist eine umfassende Literaturrecherche zu vorherrschenden Projektmanagementansätzen sowie zum Thema Projektdesign, einem neu aufgenommenen Kompetenzelement im aktuellen Projektmanagementstandard der IPMA. Klassisch durchgeführte Projekte verlaufen linear und orientieren sich an detaillierten Konzepten. Darin definierte Abläufe werden zu Beginn eines Vorhabens festgelegt und im weiteren Verlauf gemäß der Planung abgearbeitet. Hierfür nimmt der Projektleiter eine zentrale Rolle ein und delegiert Aufgaben an die beteiligten Projektmitarbeiter. Typische Vertreter dieser Vorgehensweise sind das Wasserfallmodell sowie das V-Modell. Agile Projektmanagementansätze, deren Ursprünge im agilen Manifest liegen, verfolgen hingegen eine iterative und inkrementelle Herangehensweise. Sie kennzeichnen sich besonders durch eine schrittweise Entwicklung der Anforderungen in selbstorganisierten Teams, eine änderungsfreundliche Projektkultur und stetige Verbesserungen. Scrum und Kanban repräsentieren zwei bekannte Umsetzungsformen agiler Vorgehensweisen. Kombiniert man planorientierte und agile Ansätze im Verlauf eines Projekts, entsteht ein hybrides Gesamtprojekt. Projektdesign als wichtiger Baustein Um die richtige Vorgehensweise für einen Projektgegenstand auszuwählen, ist es wichtig, Kriterien festzulegen, anhand deren die Entscheidung für den jeweiligen Projektmanagementansatz getroffen werden kann. Dieser Prozess ist Teil des sogenannten Projektdesigns, welches zu den Elementen gehört, die erstmalig von der IPMA im aktuellen Projektmanagementstandard, der Individual Competence Baseline (ICB 4.0), aufgenommen wurden. Die vollständige Durchführung des Projektdesigns erfordert die Analyse und Bewertung spezifischer Erfolgskriterien, damit der Handlungsansatz mit der größten Erfolgswahrscheinlichkeit definiert werden kann. Dabei werden Lessons Learned aus früheren Projekten untersucht und nach Möglichkeit auf das aktuelle Vorhaben angewandt. Außerdem spielt die Projektkomplexität eine wichtige Rolle. [2] Je nach Vorhaben unterscheidet sich die Komplexität beispielsweise hinsichtlich der Anzahl an Stakeholdern, der beteiligten Mitarbeiter oder des Prozessumfangs. Die ICB 4.0 nennt an dieser Stelle allerdings keine spezifischen Erfolgskriterien. Daher wurden im Rahmen der Abschlussarbeit bestehende Konzepte, die Aspekte für die Vorgehensauswahl benennen oder im Zuge der Anwendung dahingehend konkrete Handlungsempfehlungen geben, umfassend analysiert. Das Ergebnis dieser Literaturrecherche ist in Tabelle 1 ersichtlich. 5 kritische Faktoren [3] Entscheidungsbaum [4] Diamant- Modell [5] Agilometer [6] Kriterienliste nach Timinger [7] Größe Eignung des Projektumfelds für agile Methoden Neuigkeitsgrad Flexibilität über die Produktlieferung Teamgrößen und -qualifikation Personal Vertrautheit mit agilen Methoden Innovationsgrad Level der Zusammenarbeit Räumliche Verteilung der Teams Dynamik Bisherige Nutzung von agilen Methoden Vernetzungsgrad Einfachheit der Kommunikation Stabilität der Anforderungen Kritikalität Projektlaufzeit Umsetzungsdruck Fähigkeit iterativ zu arbeiten und inkrementell zu liefern Komplexität des Projektgegenstands Firmenkultur Teamgröße Vorteilhafte Umgebungsbedingungen Vorgaben von Auftraggebern Projektgröße Akzeptanz agiler Arbeitsweisen Rechtliche Vorgaben Ziel-/ Anforderungsänderungen Schnittstellen zwischen Linie und Projekten Komplexitätsgrad Schnittstellen zu anderen Unternehmen Bekannte Erfolgs- und Misserfolgsfaktoren Anforderungen an das Berichtswesen Anforderungen an Dokumentation Möglichkeit während der Umsetzung Änderungen vorzunehmen Tabelle 1: Bestehende Modelle und deren Kriterien zum Projektdesign Rubrik | Klassische und agile Ansätze in Verbindung 68 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 02/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0039 Die Auflistung zeigt, dass einige Kriterien mehrfach auftreten und somit die Vorgehensauswahl entscheidend beeinflussen. Hierzu zählen beispielsweise die Projektgröße, die Kompetenzen und Fähigkeiten der involvierten Personen, die Komplexität sowie die Kultur eines Unternehmens. Verbindung von Theorie und Praxis Basierend auf den gewonnenen Daten der Literaturrecherche wurde ein Fokusgruppenworkshop bei der W&W AG in der Abteilung Projektmanagementmethodik durchgeführt, um für die Unternehmensgruppe relevante Erfolgskriterien festzulegen. Im Rahmen dieser Veranstaltung wurden die theoretischen Erkenntnisse mit den praktischen Erfahrungen der Teilnehmer verknüpft, indem die Mitarbeiter ihre bisherigen Erfahrungen auf die recherchierten Kriterien reflektierten. Als Leitfragen dienten unter anderem „Welcher praktische Nutzen ist bei den Kriterien in Bezug auf die Vorgehensweise ersichtlich? “ sowie „Welche Kriterien können die Projektvorbereitung bereichern? “. Nacheinander wurden auf diese Weise alle Kriterien betrachtet und von den Experten der W&W AG bewertet. Final wurden fünf Kriterien festgelegt, die den Kern des Modells bilden. Diese wurden abschließend in Skalenniveaus eingeteilt und in einem fünfachsigen Netzdiagramm visualisiert. Mithilfe der Ausprägungsformen der Skalen kann jedes Kriterium einem Projektmanagementansatz zugeordnet werden, was im Modell zusätzlich durch unterschiedliche Farbbereiche verdeutlicht wird. Auf diese Weise lässt sich eine generelle Handlungsempfehlung hinsichtlich klassischer und agiler Projektmanagementansätze ableiten. Daneben erlaubt das Modell aber auch Teilprojekte oder einzelne Elemente in Bezug auf die Vorgehensweise einzuschätzen. Projektdesign bei der W&W AG Damit die W&W-Gruppe geschickt auf dynamische Anforderungen eines Projekts reagieren kann, wurde der gesamte Projektmanagementprozess im Zuge des eingangs erwähnten internen Projekts flexibler gestaltet. Das bis dahin geltende Vorgehensmodell zur Projektabwicklung wurde aufgebrochen, sodass ein zusätzlicher Teilprozess innerhalb der Planungsphase integriert werden konnte. Darin ist die Aufgabe des Projektdesigns eine wesentliche Neuerung. Währenddessen legt man den Agilitätsgrad und die Vorgehensweise eines Projekts fest, wodurch auch das entwickelte Modell zum Einsatz kommt. Auf Basis der ausgewählten Vorgehensweise wird das gesamte Projekt anschließend grob skizziert, sodass für die folgenden Phasen die Möglichkeit besteht, diese sowohl planorientiert als auch agil zu durchlaufen. Bei der W&W Gruppe setzt man somit von nun an auf einen Ansatz mit justierbaren Elementen, in dem das ausgearbeitete Modell der Bachelorarbeit auch praktische Anwendung findet. Da die Zusammenarbeit unterschiedlicher Ebenen in Form von Projekten auch in Zukunft vorteilhaft und notwendig sein wird, ist ein derartiges Modell, das individuell auf die Ansätze und Anforderungen im Projektmanagement angepasst wird, für jede Organisation von Interesse. Literatur [1] Zell, H.: Projektmanagement: -- lernen, lehren und für die Praxis, 10. Aufl., Norderstedt: Books on demand 2018, S. 2. [2] GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V. (Hrsg.): Individual Competence Baseline für Projektmanagement, 1.Aufl., Nürnberg: GPM 2017, S. 106 ff. [3] Hruschka, P.; Rupp, C.; Starke, G.: Agility kompakt. Tipps für erfolgreiche Systementwicklung, 2.Aufl., Heidelberg: Springer 2009, S. 99. [4] Held, C.: Nach objektiven Kriterien entscheiden. Agil oder klassisch- - für jedes Projekt das passende Vorgehen finden, in ProjektMagazin 2016, S. 17 f. [5] Shenhar, A.; Dvir, D.: Reinventing Project Management. The Diamond Approach to Successful Growth and Innovation, Boston: Harvard Business Publishing 2007 [6] Ksoll, W.: PRINCE2 Agile- - Ein erster Blick, 2014, URL: https: / / www.microtool.de / projektmanagement / prince2agile-ein-erster-blick/ . Stand: 02. 12. 2019. [7] Timinger, H.: Modernes Projektmanagement. Mit traditionellem, agilem und hybridem Vorgehen zum Erfolg, 1.Aufl., Weinheim: WILEY-VCH Verlag 2017, S. 245. Eingangsabbildung: © iStock.com/ porcorex Ann-Kathrin Rank Ann-Kathrin Rank studierte an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt in Geislingen. Seit ihrem Abschluss arbeitet sie im Project Management Office eines Unternehmens, das auf die Entwicklung von biopharmazeutischen Prozessanlagen spezialisiert ist. eMail: annkathrin.rank@gmail.com
