eJournals PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL 33/2

PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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2941-0878
2941-0886
UVK Verlag Tübingen
10.24053/PM-2022-0042
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2022
332 GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.

Konservative Anarchisten

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2022
Jens Köhler
Die Kolumne „Ehrlich und Priesberg“ möchte mit unterhaltsamen Dialogen rund um das Thema „Mensch – Kommunikation, Verhalten, Entscheidungen“ Denkanstöße für den PM-Alltag geben.
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74 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 02/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0042 Kolumne Konservative Anarchisten Die Kolumne „Ehrlich und Priesberg“ möchte mit unterhaltsamen Dialogen rund um das Thema „Mensch-- Kommunikation, Verhalten, Entscheidungen“ Denkanstöße für den PM-Alltag geben. Jens Köhler Priesberg und Ehrlich treffen sich im Café eines Technikmuseums, um sich ein wenig inspirieren zu lassen. Priesberg wirkt bedrückt. „Ich habe eine neue Aufgabe bekommen. Wir sollen bei unseren Forschern das Projektmanagement einführen. Forschungsprojekte sollen jetzt auch genau durchgeplant werden. Der Einführungsworkshop war aber eine Katastrophe. Es sind weniger als ein Drittel aller Eingeladenen erschienen und die haben noch wild durcheinander diskutiert.“ Ehrlich spricht nur zwei Wörter aus: „Konservative Anarchisten.“ Priesberg antwortet: „Bitte? “ Ehrlich übernimmt: „Ja, du hast richtig gehört. Forscher sind konservative Anarchisten.“ Priesberg lacht spöttisch, „dir ist schon klar, dass das zwei völlig gegensätzliche Begriffe sind? “ Ehrlich ignoriert die Ironie und fragt laut: „Was zeichnet Forschung aus? “ Priesberg fällt ihm schnell ins Wort: „Das ist doch einfach: Es geht darum, Neues zu entdecken.“ Ehrlich entgegnet trocken: „Und worauf beziehst du das Neue? “ Priesberg stottert: „Auf das Alte.“ Ein Vater mit seiner kleinen Tochter hat diesen Dialog beobachtet und klärt sie auf: „Schau mal, die kommen sicher von der ‚Sendung mit der Maus‘, um zu erklären, wie Forschung funktioniert.“ Ehrlich hat das gehört und lacht: „Viel besser, wir dürfen uns jeden Tag dieses Theater kostenlos anschauen.“ „Aber Papa, das sind zwei Clowns-…“, sagt die Tochter und rennt mit ihrem Vater aus dem Café. Priesberg ist konsterniert: „‚Sendung mit der Maus‘ und ‚Clown‘. Wo bin ich hier gelandet! “ Ehrlich klärt seinen Kollegen schließlich auf: „Willkommen in deiner neuen Welt. So ist Forschung. Um Neues auszuprobieren, bedarf es eines unbändigen Spieltriebs. Das nenne ich Anarchie. Es werden, wie eben, Hypothesen aufgestellt: ‚Sind es Clowns? ‘ ‚Kommen sie von der Sendung mit der Maus? ‘ Und diese Hypothesen müssen mit dem Alten abgeglichen werden.“ Priesberg überlegt: „Ja, jetzt verstehe ich langsam. Das mutmaßlich Neue muss mit dem Alten abgeglichen werden. Und das Alte ist gut erforscht und-…“ Ehrlich fällt ihm wieder ins Wort: „Es geht hier vor allem um die Reproduzierbarkeit. Eine wissenschaftliche Erkenntnis ist nur dann von Wert, wenn sie reproduzierbar ist. Und dazu muss man eine verlässliche technische und methodische Umgebung haben. Das meine ich mit ‚konservativ‘. Hier ändern Forscher nur sehr widerwillig etwas.“ Priesberg schüttelt den Kopf: „Genau hier soll ich ein Projektmanagement einführen. Na prima. Irgendwelche Ideen? “ „Durch Projektpläne und Meilensteine ist noch kein Forscher glücklicher geworden, denn gerade das erfolgreiche Abschließen von Meilensteinen lässt sich schwer vorhersehen. Hier kommst du sofort an die Sinnfrage“, erläutert Ehrlich. „Also können wir es auch lassen“, resümiert Priesberg. „Nein“, widerspricht Ehrlich und fährt fort: „Forschungsprojekte in einem Unternehmen sind ja kein Selbstzweck. Schlussendlich müssen neue Produkte oder mindestens neue Methoden entwickelt werden. Und hier sind wir plötzlich wieder in der realen Welt der Budgets, Qualitäts- und Zeitvorgaben.“ Priesberg kratzt sich am Kinn: „Verstehe. Wenn wir den Forschern mit Projektmanagement helfen, ihre Aktivitäten mit der Planung des Unternehmens transparent abzugleichen, haben wir zumindest einen Mehrwert, sowohl für das Unternehmen als auch für die Forscher.“ Ehrlich bestätigt, „für die konservativen Aktivitäten, also die kontinuierlichen Verbesserungen, ist das sicher ein guter Start. Kommen wir jetzt zu dem weitaus schwierigeren Teil: Dem Spieltrieb, also dem anarchistischen Teil.“ Priesberg grübelt weiter: „Hier gebe ich auf. Wie soll denn sauber geplant werden? Heute mal dies ausprobiert, hier Materialien bestellt, morgen mal das ausprobiert, andere Materialen bestellt und getestet-…“ Ehrlich holt tief Luft: „Sei mal nicht so pessimistisch. Das, was du hier beschreibst, erfordert in Unternehmen einen nicht unerheblichen Aufwand. Material bestellen, warten, Material erhalten, in Experimenten verwenden, Ergebnisse auswerten, und so weiter.“ Priesberg geht ein Licht auf: „Hier kann ein sinnvolles Projektmanagement viel Arbeit abnehmen, die Beschaffungsbürokratie, die zeitliche Planung der Experimente und Sicherung der Ergebnisse. Ganz zu schweigen von Workshops zum Erfahrungsaustausch.“ Er schließt ab: „Transparenz für den konservativen Anteil und Unterstützung der Anarchie, ja so fasse ich es zusammen.“ Der Vater kommt mit seiner Tochter wieder am Café vorbei und murmelt mehr zu sich selbst: „Jetzt habe ich es, die beiden sind Anarchisten-…“ Dr. Jens Köhler Dr. Jens Köhler, BASF SE, fokussiert sich auf die Digitalisierung in Forschung und Entwicklung. eMail: Jens.Koehler@basf.com