PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
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GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.„Projekte starten, solange wir die Zeit dafür haben!“
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Oliver Steeger
Klimawandel – ein Thema, das die meisten bedrückt. Die Hochwasser-Katastrophe im vergangenen Jahr an der Ahr hat gezeigt, welche Macht Klima und Wetter haben. Derweil viele die Zukunft grau bis schwarz sehen, verbreitet Diplom-Meteorologe, Wettermoderator und Autor Sven Plöger Optimismus. Zum einen, weil er weltweit ermutigende Leuchtturm-Projekte zu Klimaschutz und Nachhaltigkeit beobachtet. „Für mich ist Optimismus eine Grundhaltung, eine Grundlage,“ erklärt er im Interview, „mit Pessimismus erreichen wir nichts.“ Im Interview legt Sven Plöger dar, welche Möglichkeiten wir bei der Bewältigung des Klimawandels haben, wie wir Menschen für Nachhaltigkeit gewinnen – und wie Projekte den Klimaschutz unterstützen können.
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18 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 03/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0051 Klimaschutz: Weshalb Sven Plöger optimistisch ist „Projekte starten, solange wir die Zeit dafür haben! “ Oliver Steeger Klimawandel-- ein Thema, das die meisten bedrückt. Die Hochwasser-Katastrophe im vergangenen Jahr an der Ahr hat gezeigt, welche Macht Klima und Wetter haben. Derweil viele die Zukunft grau bis schwarz sehen, verbreitet der Diplom-Meteorologe, Wettermoderator und Autor Sven Plöger Optimismus. Zum einen, weil wir noch die Chance haben, das Schlimmste abzuwenden. Zum anderen, weil er weltweit ermutigende Leuchtturm-Projekte zu Klimaschutz und Nachhaltigkeit beobachtet. „Für mich ist Optimismus eine Grundhaltung, eine Grundlage,“ erklärt er im Interview, „mit Pessimismus erreichen wir nichts.“ Im Interview legt Sven Plöger dar, welche Möglichkeiten wir bei der Bewältigung des Klimawandels haben, wie wir Menschen für Nachhaltigkeit gewinnen-- und wie Projekte den Klimaschutz unterstützen können. Sie haben ein optimistisches Buch zum Klimawandel geschrieben, Herr Plöger (gemeinsam mit Christoph Waffenschmidt: „Besser machen! : Hoffnungsvolle Entwicklungen und Initiativen für eine lebenswerte Zukunft“). Optimismus ist eine derzeit selten verbreitete Haltung-- besonders nicht hinsichtlich der Anstrengungen zum Klimaschutz. Was bewegt Sie als Meteorologe und Wissenschaftler zum Optimismus? Mein Optimismus hat zunächst damit zu tun, dass ich Rheinländer bin. Für den Rheinländer gilt der Grundsatz: Et hätt noch immer jot jejange. Zu Hochdeutsch: Es ist bisher alles immer gut gegangen. Vielleicht geht auch beim Klimawandel der Kelch an uns vorüber? Nein, ganz bestimmt nicht. Darauf dürfen wir nicht hoffen. Das wäre naiver Optimismus. Die Fakten, die uns die Naturwissenschaft zum Klimawandel liefert, sind unzweifelhaft. Auch habe ich meine sehr kritischen Gedanken zu dem, was ich beobachte und was gesellschaftlich vor sich geht. Es geht mir aber um etwas anderes-- nämlich um die Grundhaltung. Zum verbreiteten Pessimismus gibt es eine Gegenfrage: Was wird für mich und die Welt und die Gesellschaft besser mit einer hoffnungslos pessimistischen Weltsicht? Was kann ich mit dieser Haltung besser bewältigen? Ich komme bei dieser Frage schnell zu dem Ergebnis: Ich schaffe nichts mit Pessimismus. Dagegen ist Optimismus-… …- eine Grundlage für mich. Optimismus hält mich in dem Zustand, in dem ich Chancen finde, statt schwarzzusehen. Ich bleibe offen für Ideen, für hoffnungsvolle Leuchtturmprojekte- - von denen ich einige in dem Buch aufgreife, das ich gemeinsam mit Christoph Waffenschmidt geschrieben habe. Mir geht es besser mit dieser Haltung. Viele Menschen zweifeln, dass wir den Klimawandel noch verhindern können. Was entgegnen Sie dieser Mutlosigkeit? Mir wird häufig die „Klima-Schaff-Frage“ gestellt: Schaffen wir es noch, den Klimawandel abzuwenden- - oder auch nur zu mildern? Manche meinen, wir sollten einfach aufgeben. Die globale Aufgabe des Klimaschutzes ist zu groß. Das ist nicht zu schaffen. Der Wandel kommt sowieso. Wie eben gesagt, solch eine Haltung nützt niemandem. Und das sage ich in meinen Gesprächen auch. Reportage | „Projekte starten, solange wir die Zeit dafür haben! “ 19 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 03/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0051 Wie sehen Sie wissenschaftlich die Chance, dass wir den Klimawandel abwenden können? Als Wissenschaftler orientiere ich mich natürlich an Fakten. Das Ziel, die Erhöhung der globalen Temperatur auf 1,5 Grad zu begrenzen- - das könnten wir schaffen. Das würde allerdings einen radikalen Klimaschutz voraussetzen. Diese Radikalität wollen wir vielleicht gesellschaftlich nicht. Sie hätte weitreichende soziale, politische und ökonomische Nebenwirkungen. Aber aus rein physikalischer Perspektive-- wir könnten es schaffen, wenn wir uns ab sofort umstellen und uns sehr vernünftig verhalten! Was wäre möglich ohne solche radikalen Maßnahmen? Greifen wir viel Vernünftiges von dem auf, was wir in Paris 2015 beschlossen haben-- dann sind 2 Grad ein Horizont, den wir halten könnten, ohne das Wort radikal verwenden zu müssen. Das erzeugt bei mir Optimismus. Was entgegnen Sie Menschen, die Ihnen sagen: „Mit allem haben Sie Recht, Herr Plöger - aber selbst die weniger radikalen Ziele schaffen wir nicht! “? Als erstes stelle ich eine Gegenfrage: Haben Sie Kinder? Viele Menschen haben Kinder, Patenkinder oder zumindest Kinder in der Familie. Ich frage sie dann, ob sie wirklich ihren Kindern sagen wollen, dass es ihnen später schlechter geht, als es ihren Eltern ergangen ist. Viele Eltern wollen das nicht, ganz im Gegenteil. Ihre Kinder sollen es besser haben. Ist dies wirklich so- - dann müssen wir unsere Welt enkelfähig machen. Das heißt, wir müssen diese Ziele erreichen. Wir müssen so nachhaltig leben, dass unsere Kinder und Enkelkinder so leben können wie wir selbst. Dann bin ich im Gespräch an der Stelle, dass ich sagen kann: Wir alle müssen uns zusammenreißen. Das scheint das Hindernis zu sein: Individuell das Verhalten und den Lebensstil zu verändern. Natürlich! Dies ist der Kernpunkt. Ob bewusst oder ohne es zu wissen-- wir haben über Jahrzehnte einen falschen Lebensstil gehabt. Der Klimawandel ist ja nicht aus dem Weltall auf die Erde gefallen. Unser falscher Lebensstil hat zu der jetzigen Situation geführt. Das müssen wir anerkennen, und wir müssen Verantwortung dafür übernehmen. Sich jetzt weinerlich dagegen zu wehren, sein Leben umzustellen- - das finde ich eine trostlose und gegenüber den jungen Generationen sehr unfaire Haltung. Deshalb versuche ich in Diskussionen das Thema Kinder aufzugreifen. Das löst Emotionen aus. Viele Menschen sind an Kindern und Enkelfähigkeit interessiert, zusätzlich versuche ich sie dann über den Geldbeutel zu erreichen. Die Investitionen in Klimaschutz reduzieren ja auch den Energieverbrauch-- und damit die Kosten, die jeder einzelne zu tragen hat. Wer jetzt Energie spart, spürt dies im Portemonnaie, tut gutes für das Klima und damit für Kinder und Enkel. Grundhaltung und Einsicht sind Voraussetzungen. Am Ende kommt es aber darauf an, dass man Maßnahmen auch umsetzt. In Deutschland fehlt es kaum an Ideen und technischen Lösungen. Doch viele Projekte bleiben im Konjunktiv. Man sollte, man könnte, man müsste-… Was läuft aus Ihrer Sicht falsch? In Deutschland neigen wir aus meiner Sicht zu einer kleinteiligen Diskussion. Wir vergeuden damit die Zeit, die uns bleibt. Wir zerreden die Herausforderungen ins Unendliche, drehen diese hin und her-- und kommen dann zu dem Ergebnis, dass wir kaum etwas verändern können. Dann kommen Schockwellen wie Flutkatastrophen oder dieser furchtbare Angriffskrieg in der Ukraine. Dann sagen wir, dass sofort alles anders werden muss-… Ein Beispiel? Wir haben in Deutschland auf Erdgas als Brückentechnologie gesetzt. Dies hat sich jetzt als gefährlicher Irrtum erwiesen. Wir haben die Zeit nicht für Veränderungen genutzt, die wir durch die Nutzung von Erdgas bekommen haben. Das scheint mir hier das Hauptproblem zu sein: Wenn wir Zeit haben, Probleme zu lösen- - dann reden wir und tun nichts. Drängen sich die Probleme später auf, sagen wir: Wir können sie nicht bewältigen. Diese Blockade müssen wir lösen. Also die Probleme bewältigen, Veränderung herbeiführen und Projekte starten solange wir die Zeit dafür haben. Sven Plöger bringt im Gespräch Menschen den naturwissenschaftlichen Hintergrund des Klimawandels nahe. „Greifen wir viel Vernünftiges von dem auf, was wir in Paris 2015 beschlossen haben-- dann sind 2 Grad ein Horizont, den wir halten könnten“, sagt er. Foto: betabande Reportage | „Projekte starten, solange wir die Zeit dafür haben! “ 20 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 03/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0051 Spricht daraus auch kognitive Dissonanz? Wir sind uns eigentlich einig, dass etwas getan werden müsste - doch keiner fängt an. Wir bleiben im Konjunktiv. Kognitive Dissonanz ist ein gutes Stichwort. Erinnern Sie sich an die Zeit vor der Pandemie? Im Jahr 2019 war der Klimaschutz überall präsent. Fridays for Future war auf der Straße. In den Medien waren Klimaschutz und Umweltschutz ein großes Thema. Und doch- - das Jahr 2019 war das Jahr mit den weltweit meisten Flugreisen, den meisten Kreuzfahrten und dem meisten Plastikmüll. Und in Deutschland wurden 2019 mehr SUVs zugelassen denn je. Wir haben also das Gegenteil von dem gemacht, was wir für richtig erkannt haben. Jeder macht für sich Ausnahmen beim Klimaschutz. Vielleicht weil man meint, dass sein Beitrag global gesehen nicht ins Gewicht fällt. Wenn alle Menschen so denken und für sich eine Ausnahme machen, werden wir keinen Schritt vorankommen. Sprechen wir über den Beitrag, den die Deutschen machen könnten. Deutschland trägt nach einigen Studien zwei Prozent zur weltweiten Emission von Kohlendioxid bei. Provozierend gefragt: Machen diese zwei Prozent wirklich einen Unterschied? Selbstverständlich leisten unsere Anstrengungen einen unverzichtbaren Beitrag! Die Argumentation, unser Beitrag sei nur ein Tropfen auf dem heißen Stein, ist absolut verheerend. Und sie ist obendrein gefährlich, weil sie nicht zuendegedacht ist und eine beruhigende Wirkung hat. Nicht zuendegedacht? Wie darf ich das verstehen? Ich nenne Ihnen eine andere Zahl. Wir in Deutschland liegen bei den CO2-Emissionen weltweit auf Platz 6-- unter 194 Ländern unseres Planeten. Das heißt: 188 Länder emittieren weniger CO2 als wir. Wie kommen wir dazu zu sagen, dass erst einmal andere Länder vorangehen müssen? Ich wundere mich über solche Aussagen, die ich sogar von intelligenten Menschen in Talkshows höre. Wenn man auf Platz 6 liegt, können alle 188 Länder „hinter uns” ganz sicher den gleichen Satz formulieren. Es ist doch unglaublich sinnlos, wenn man die Beiträge nicht addiert. Machen wir noch eine weitere Rechnung auf: Alle Länder der Erde können ja zusammen nicht mehr emittieren als 100 Prozent, das ist der ganze Kuchen. Runden wir der Einfachheit halber auf, dann haben wir 200 Länder auf der Erde. Wenn wir den Kuchen nun aufteilen, dann bekommt jedes Land natürlich 0,5 Prozent davon. Jedes Land „darf“ demnach 0,5 % der weltweiten Emissionen auf sich nehmen. Dann wären unsere 2 Prozent viermal so viel wie uns eigentlich zustände-… Genau! Ich verstehe nicht, weshalb dies den Menschen nicht auffällt. Unsere zwei Prozent mindestens viermal zu viel sind. Oder anders herum: Würde jedes Land 2 Prozent emittieren, dann wären das bei 200 Ländern 400 Prozent. Wie soll das denn gehen? Wir profitieren einfach davon, dass viele Länder-- die armen Länder-- nicht so luxuriös leben können! Wir reden hier also über Schutzbehauptungen - statt endlich die globalen Rahmenbedingungen zu verändern. Beispielsweise, dass nicht Umweltverschmutzer reicher werden dürfen als diejenigen, die Ressourcen schonen und sich nachhaltig verhalten. Sprechen wir über die Leuchtturmprojekte, die Hoffnung machen. In Ihrem Buch berichten Sie von außergewöhnlichen Projekten für mehr Klimaschutz und Nachhaltigkeit. Welche Projekte sind dies beispielsweise? Eines dieser Projekte hat mich besonders tief beeindruckt. Es handelt sich um ein Wiederaufforstungs-Projekt in Äthiopien. Äthiopien hatte früher viel Wald. Die Bäume wurden abgeholzt- - mit der Folge, dass der Boden überhitzt wurde und austrocknete. Dort, wo früher Wald war, ist häufig nur noch Steinwüste. Es gibt nur noch wenige, häufig kranke Bäume. Sie schaffen es aber trotzdem noch, ans tiefliegende Grundwasser zu kommen und mehr schlecht als recht zu überleben. Der Australier Tony Rinaudo hat erkannt, dass diese Pflanzen eine Chance sind. Er hat ihnen mit einem einfachen Messer die abgestorbenen Äste entfernt. Dann hat er die Menschen vor Ort mit ins Boot genommen. Er hat ihnen gesagt, sie sollen die von ihm bearbeiteten Bäume nicht fällen und mit Zäunen dafür sorgen, dass Tiere die Rinde nicht abfressen. Durch Entwicklungshilfe wurde den Menschen ermöglicht, das umzusetzen - ohne an Brennholz- oder Nahrungsmangel für die Tiere zu leiden. Dann hieß es warten. Binnen einiger Jahre hat sich die öde Gesteinslandschaft in immer grüner werdende Wälder verwandelt. Mein Co-Autor Christoph Waffenschmidt und ich haben Tony Rinaudo 2018 besucht und diese aufblühende Natur gesehen. Ich glaubte manchmal, dass ich in der Schweiz bin und Tony ein Zauberer ist. Kein Trick? Nein, sicherlich nicht. Ich stand vor vier Jahren in den Wäldern. Tony Rinaudo hat mir Fotos von 2006 gezeigt: Zwölf Jahre zuvor war dort öde Steinwüste. Daran gibt es keinen Zweifel. Wie kam es zu diesem Erfolg? Die verbliebenen Bäume haben sich erholt. Sie haben den Boden beschattet. Der Boden konnte sich wieder regenerieren, er kann Wasser aufnehmen und speichern. Ich habe Wasserquellen in den Wäldern gesehen. Das Wasser war sauber und trinkbar. Das hat die Wasserversorgung für die Menschen nachhaltig verbessert. Sie konnten wieder Landwirtschaft betreiben, Geld verdienen und ihre Kinder zu Schulen schicken. Für sein Projekt hat Tony Rinaudo 2018 den alternativen Nobelpreis, den Right Livelihood Award, gewonnen. Ich habe ihn übrigens als sehr bescheiden auftretenden Mann kennengelernt, der aber gleichzeitig eine beeindruckende Überzeugungskraft hat und so Menschen für Projekte gewinnen kann. Was zeigt aus Ihrer Sicht dieses Projekt? Erstens, für derartige Projekte braucht es keine Millionenbudgets. Tony Rinaudo hat mit wenigen Mitteln gearbeitet. Die wichtigsten Werkzeuge waren sein Messer, Überzeugungskraft - und eine gute Idee natürlich! Zweitens, man kann durch Nachhaltigkeit etwas zurückgewinnen, was zuvor durch falsches Verhalten verlorengegangen ist. Drittens, das Projekt zeigt, dass es sich lohnt, einfach mal anzufangen, ohne alles perfektionistisch durchzuplanen. Perfektionistisch zu planen - inwiefern? Wir neigen oft dazu, Vorhaben als kompliziert, risikobehaftet und schwierig zu sehen. Wir wollen die Ziele zu 100 Prozent Modelle, Methoden und Instrumente der Projektdiagnose praxisnah vermittelt uvk.de Reportage | „Projekte starten, solange wir die Zeit dafür haben! “ 22 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 03/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0051 erreichen- - wobei 75 oder auch 50 Prozent schon Wirkung entfalten. Dadurch ersticken wir aber die Flamme des ersten Engagements. Man muss einfach nur anfangen? Ja. Ein privates Erlebnis dazu: Kürzlich habe ich mich mit meinen Eltern darüber unterhalten, dass der Keller in ihrem Haus aufgeräumt werden müsste. Kennt fast jeder! Ein Langzeitproblem. Man weiß nicht, wo man anfangen soll-- und schiebt das „Projekt Kelleraufräumen“ immer wieder auf. Ein kaum zu bewältigender Berg. Aber irgendwann fängt man vielleicht doch an. In einer Ecke. Mit einem Schrank. Man räumt auf, man räumt weg, sortiert aus. Und plötzlich entsteht Platz im Keller, den man für weiteres Aufräumen nutzen kann. So etwas kann sogar Spaß machen und motivieren. Man zerlegt das Vorhaben in seine einzelnen Schritte und startet einfach mal. Dann kann es zum Selbstläufer werden. Ähnlich sollten wir es für unsere Projekte zu Nachhaltigkeit und Klimaschutz machen. Daraus spricht wieder Ihr Optimismus-… Natürlich! Mal anfangen, Ideen umzusetzen und Projekte zu starten- - das ist meine Botschaft für die Projekte. Wir brauchen Einzelne, die gute Ideen haben, starten, Mitstreiter gewinnen und sehen, wie sie zu guten Ergebnissen kommen. Es hängt also an der Initiative Einzelner? Ich denke, es geht bei dem ersten Schritt um Einzelne, die einfach etwas tun. Ich werde häufig gefragt, was man als Einzelner tun kann. Die Menschen sehen die Probleme, sind aber sehr unsicher darüber, was sie beitragen können. Sie sind in einem Es-muss-mal-jemand-kommen-Zustand. Ich würde mir wünschen, dass man mehr auf die Menschen zugeht. Ein Beispiel aus der Kommunalpolitik: Kommunen, die umweltfreundlicher werden wollen, könnten bei den Heizungssystemen in ihrem Ort ansetzen. Sie könnten Energieberater zu den Bürgern schicken, die ihnen die Möglichkeiten umweltfreundlicher Wärmepumpen erklären. Die meisten Menschen haben keine Idee, wie solch eine Pumpe funktioniert und wie man sie einsetzen kann. Sie fühlen sich fremd mit dieser Technologie. Die Hilflosigkeit manifestiert sich dann im Nichtstun. Energieberater gibt es bereits-… Ja- - aber es kommt darauf an, andere Menschen direkt anzusprechen und für die Projekte zu gewinnen. So, wie Tony Rinaudo auf andere zugegangen ist und sie zum Mitmachen bewegt hat. Um auf Ihr Beispiel mit den Energieberatern zurückzukommen. Der Ersatz von Gasheizungen durch Wärmepumpen kostet Geld. Hausbesitzer müssen investieren. Wo Geld ins Spiel kommt, wird Idealismus häufig gebremst. Damit sprechen Sie einen wichtigen Punkt an. Die Projekte müssen nicht nur am Ende funktionieren, sondern auch ein Geschäft sein. Das halte ich für den Kern im Umgang mit dem Klimaschutz. Verstehen Sie mich bitte richtig: Es gibt mit Sicherheit Idealisten, die aus reiner Einsicht heraus handeln. Ich finde es großartig, wenn Menschen Ideale haben und sich aus ihren Idealen heraus für Fortschritt einsetzen. Aber? Nicht jeder ist Idealist, vielleicht sind es nur 5 oder 10 Prozent. Wenn aber die Masse nicht mitmacht, werden wir keinen Erfolg haben. Deshalb sage ich: Der Umgang mit dem Klimawandel muss ein Jahrhundertgeschäft werden. Wir brauchen dafür ein Geschäftsmodell. Menschen, die das Klima schützen, müssen verdienen. Im Augenblick verdienen meistens diejenigen, die wenig auf Nachhaltigkeit achten. Dies sagten Sie vorhin. Die Rahmenbedingungen müssten verändert werden. Genau, leider ist das so. Aber es gibt heute viele Start-ups mit nachhaltigen Geschäftsideen. Es mangelt nicht an Kreativität und Kompetenz. Wir müssen die Rahmenbedingungen so verändern, dass die Produkte und Dienstleistungen der Startups attraktiver werden-- und diese Unternehmen mehr Geld verdienen können. Das Problem ist, dass diese Produkte meistens teurer sind als konventionelle Ware. Nicht jeder kann oder will die Mehrkosten auf sich nehmen. Wie geht man damit um? Wir sollten eines verstehen: Klimaschutz gibt es nicht kostenlos. Wir werden viel zahlen und dafür arbeiten müssen. Nach aktuellen Studien muss jeder Euro, der heute nicht sinnvoll in Klimaschutz investiert wird, zukünftig mit zwei bis elf Euro zurückgezahlt werden. Entweder wir investieren jetzt, oder wir werden in Zukunft ein Vielfaches davon für Anpassungsmaßnahmen ausgeben müssen. Anders gesagt: Das, was wir heute investieren, legt das Fundament für künftigen Wohlstand. Kurzfristiger Profit einzelner tut das nicht. In diesem Zusammenhang greifen Sie etwas auf, was es in Deutschland bereits einmal gab - ein obligatorischer Dienst an der Gesellschaft für junge Menschen. Wie kommt es, dass Sie sich auf diese Idee zurückbesinnen und ein soziales Jahr oder Umwelt-Pflichtjahr für alle fordern? Augenblick, bitte! Ich fordere dies nicht. Ich bringe diese Idee nur ins Gespräch. Für mich ist sie ein großer Gedanke. Wir werden heute im Schnitt über achtzig Jahre alt. Was spricht dagegen, zwölf Monate eines langen Lebens in den Dienst der Gesellschaft zu stellen-- für soziale Arbeit oder in Umwelt- Projekten, von denen wir viele brauchen werden? Gemessen an der heutigen Lebenserwartung handelt es sich um einen überschaubaren Zeitraum, den man opfert. Die Gesellschaft könnte durch solche Pflichtjahre sehr gewinnen. Vielleicht gewinnt auch der Einzelne, der bei Projekten in Kontakt mit der Natur kommt und dabei von Profis begleitet wird. Er könnte dadurch einen anderen Blick auf die Natur gewinnen und auf das, auf was es im Leben wirklich ankommt. Auf was es im Leben ankommt? Wie darf ich dies verstehen? Ich denke, wir müssen bei Menschen auch Lust machen auf Veränderung; die finanzielle Seite, über die wir eben gesprochen haben, kann dabei unterstützen. Reportage | „Projekte starten, solange wir die Zeit dafür haben! “ 23 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 03/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0051 Allein das Geld ist auf Dauer eine schlechte Motivation-… Richtig! Während der Corona-Pandemie haben wir gemerkt, wie Entschleunigung im Alltag auf uns wirkt. Die Pandemie hat viele schreckliche Momente gebracht mit Krankheit, Leid und großer Existenzangst. Ich habe allerdings von Menschen auch gehört, dass die Entschleunigung ihnen gutgetan hat. Es ging im Leben plötzlich um mehr als nur das Streben nach mehr Geld, Ansehen, Status oder Spaß. Dies bedeutet, dass wir den erforderlichen Veränderungen auch etwas Gutes abgewinnen können? Die Einschränkungen nicht nur als Verzicht zu sehen? Ich kenne viele Menschen, die sich wie im Hamsterrad fühlen. Sie sind über alle Maßen gestresst. Sie fühlen sich gezwungen, bei dieser Hektik mitzumachen-- ohne dass sie es zwingend wollen. Burnout und chronische Erschöpfung prägen ja unser Leben heute im stetigen „schneller, weiter, höher, mehr”. Da stellt sich mir die „Für-was-Frage“. Wer sagt uns, dass unser heutiger Lebensstil gut ist? Wer sagt, dass er notwendig ist? Wohin wollen wir damit? Die Veränderungen könnten neue Antworten ermöglichen-- und zu einem besseren Leben führen. Ich möchte Veränderungen, die für Klimaschutz und Nachhaltigkeit erforderlich sind, von einer anderen Seite her betrachten. Weltweit beobachten wir den Trend zu Verstädterung. Auch in Deutschland zieht es Menschen aus vielen Gründen in die Städte. Wie können besonders Städte klimatisch nachhaltiger werden? Ich bringe dieses weite Thema auf eine kurze Formel: Wir müssen Städte „verländlichen“. Wir brauchen mehr Grün und Blau in den Städten, also mehr Pflanzen und Wasser. Durch Pflanzen kann mehr Feuchtigkeit verdunsten-- was die Städte kühlt. In Hitzeperioden ist es in einigen Städten bereits heute um neun Grad wärmer als im Umland. Außerdem brauchen wir beispielsweise Luftkorridore, die Luftzirkulation ermöglichen und Frischluft in die Städte bringen. Städteplaner und Architekten müssen in dieser Hinsicht genau planen, wo aus meteorologischer Sicht gebaut werden darf- - und wo nicht. Das ist der naturwissenschaftliche Teil meiner Antwort. Es gibt auch noch einen sozialen Teil. Einen sozialen Teil - welchen? Je mehr Menschen in Städten leben wollen oder müssen, desto mehr werden die Mieten und andere Kosten steigen. Dies kann dazu führen, dass vor allem Familien die Städte wieder verlassen müssen. Sie wohnen dann in den Randbereichen und pendeln in die Stadt-- mit allen Emissionen, die dies mit sich bringt. Das bedeutet, dass wir politisch dafür sorgen sollten, dass Menschen ihr Leben in den Städten bezahlen können und kurze Wege haben. Sven Plöger Sven Plöger präsentiert seit 1999 Hörfunk- und Fernsehwetterberichte und ist den Zuschauern u. a. aus dem „Wetter im Ersten“ vor der Tagesschau und in den Tagesthemen bekannt. Seit vielen Jahren beteiligt sich der Diplom-Meteorologe und Autor intensiv an den Diskussionen zum Klimawandel. Seit 2015 moderiert er Dokumentarfilme für die ARD und den SWR. Der Diplom-Meteorologe und Wettermoderator war schon als Kind fasziniert vom Himmel, von den Wolken und der Fliegerei. Er studierte bis 1996 Meteorologie in Köln und nahm nach dem Diplom die Chance wahr, Meteorologie und Medien zu verknüpfen. Live im Radio ist Sven Plöger seit 1996 zu hören- - seit 1999 steht er vor der Kamera. Auch als Buchautor hat er sich einen Namen gemacht, u. a. mit dem Buch „Gute Aussichten für morgen. Wie wir den Klimawandel für uns nutzen können“. Foto: Sebastian Knoth Eine Abschlussfrage: Der Sommer hat begonnen. Sehr bald starten die Sommerferien - und tausende Menschen starten in den Urlaub. Ich möchte das Thema Flugreisen nochmals aufgreifen. Müssen wir uns schämen, wenn wir in den Urlaub fliegen? Wie stehen Sie zum Thema Fliegen? Zuletzt bin ich im Jahr 2018 geflogen, obwohl ich viel unterwegs bin. Für meine Reisen nutze ich heute die Bahn statt Inlandsflüge. Aber generell-- ich fliege gerne! Und ich gönne jedem seine Flugreise, auch Fernreisen. Es ist sicherlich sinnvoll, dass wir lernen, die Welt auch durch die Brille anderer Kulturen zu sehen. Also Fernreisen sind unter bestimmten Bedingungen okay? Es nehme mir nicht heraus zu bestimmen, was gutes oder schlechtes Reisen ist. Das muss jeder für sich selbst entscheiden. Für mich entscheidend ist die Frage, warum man wohin reist-- und wie man reist. Es kommt auf die Für-was-Frage an, von der Sie eben sprachen? Aus meiner Sicht- - ja! Wollen Sie wirklich anderen Kulturen begegnen und begreifen? Party machen geht auch daheim, und für eine gesunde Entschleunigung ist vielleicht eine dreiwöchige Alpen-Wanderung mit Bahnanreise die bessere Wahl. Sowohl für Sie selbst als auch für das Klima. Aber das ist meine Sicht der Dinge, jede und jeder muss all das für sich selbst bewerten. Aber jede Entscheidung ist eben auch ein Stück Verantwortung-… * Literatur: Sven Plöger und Christoph Waffenschmidt: „Besser machen! : Hoffnungsvolle Entwicklungen und Initiativen für eine lebenswerte Zukunft“, Adeo, 2021 Eingangsabbildung: © Foto: Christian Zecha. So kennen ihn Fernsehzuschauer: Sven Plöger berichtet vom Klima aus aller Welt.