PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
pm
2941-0878
2941-0886
UVK Verlag Tübingen
10.24053/PM-2022-0053
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/71
2022
333
GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.(Urbanes) Leben ins Parkhaus!
71
2022
Oliver Steeger
In den 1960er Jahren galten Parkhäuser als Symbol für Aufbruch. Sie standen damals für „freie Fahrt“ in autogerechten Städten. Sechzig Jahre später ist das Hamburger Parkhaus „Gröninger Hof“ erneut ein Symbol: Dieses Mal für modernes, am Gemeinwohl orientiertes urbanes Leben. Eine breit von Bürgern getragene Genossenschaft sucht neue Wege bei der Stadtentwicklung. Sie möchte das mittlerweile geschlossene Parkhaus umnutzen und ein Modell für städtisches Wohnen, Arbeiten und Zusammenleben entwickeln. Im Interview berichtet Tina Unruh (Vorsitzende des Aufsichtsrat der Genossenschaft) über ein Projekt, mit dem in Hamburg neue Wege gegangen werden sollen. Das Interview wurde bereits im Januar 2022 geführt.
pm3330029
29 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 03/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0053 Wie ein Hamburger Kollektiv ein Großprojekt fürs Gemeinwohl stemmt (Urbanes) Leben ins Parkhaus! Oliver Steeger In den 1960er Jahren galten Parkhäuser als Symbol für Aufbruch. Sie standen damals für „freie Fahrt“ in autogerechten Städten. Sechzig Jahre später ist das Hamburger Parkhaus „Gröninger Hof“ erneut ein Symbol: Dieses Mal für modernes, am Gemeinwohl orientiertes urbanes Leben. Eine breit von Bürgern getragene Genossenschaft sucht neue Wege bei der Stadtentwicklung. Sie möchte das mittlerweile geschlossene Parkhaus umnutzen und ein Modell für städtisches Wohnen, Arbeiten und Zusammenleben entwickeln. Im Interview berichtet Tina Unruh (Vorsitzende im Aufsichtsrat der Genossenschaft) über ein Projekt, mit dem in Hamburg neue Wege gegangen werden sollen. Das Interview wurde bereits im Januar 2022 geführt. Ihr Vorhaben hat deutschlandweit Aufmerksamkeit gefunden: In der Hamburger Innenstadt steht ein Parkhaus leer. Als das Parkhaus 1963 eröffnet wurde, hat der Autoverkehr das städtebauliche Denken geprägt. Jetzt wollen Sie dem leerstehenden Gebäude neues Leben geben-- als einen innovativen Stadtbaustein, in dem Menschen zusammenwohnen, arbeiten und ihre Freizeit verbringen können. Das Entscheidende: Dieses Projekt wird nicht von „oben herab“ geplant. Es wird gemeinsam entwickelt, ein Bauprojekt im Schulterschluss mit dem Quartier. Statt an Rendite für Investoren ist das Modellprojekt am Wohl der städtischen Gesellschaft ausgerichtet. Aus Ihrer Sicht-- was macht das Projekt so wünschenswert und so notwendig? Tina Unruh: Zum einen ist das Bauprojekt selbst wünschenswert. Das ist die Objektebene. In dem ehemaligen Parkhaus entsteht ein lebendiger Stadtbaustein. Wir alle möchten eine gut durchmischte Stadt, wie sie etwa in der Charta von Leipzig beschrieben ist. Hier werden im Sinne der Vielfalt Menschen aus allen Schichten zusammenleben. Es wird geförderten Wohnraum geben, und wir werden auch Menschen eine Wohnung bieten, die sonst auf dem Wohnungsmarkt benachteiligt sind. Wir haben aber auch Haushalte mit mittlerem Einkommen in der Bewohnerschaft. Neben diesen Wohnflächen planen wir im „Gröninger Hof“ Flächen für Gewerbe, für Begegnung, Kultur und Freizeit. Ideen zur Nachhaltigkeit und einem an Menschen orientiertem Stadtbild spielen eine große Rolle. Für das Objekt haben wir unlängst einen Architekturwettbewerb durchgeführt. Jetzt werden die Planungen immer detaillierter. Bald geht es an den Bauantrag, voraussichtlich noch in diesem Jahr. Das Parkhaus stammt aus der Zeit, als in der Stadt das Auto das Maß aller Dinge war. Jetzt weicht es für ein Bauobjekt-… Augenblick! Das Parkhaus weicht nicht ganz. Es ist Teil der Hamburger Geschichte und Identität dieses Stadtviertels. Wir werden das Parkhaus also nicht komplett abreißen, sondern um- und weiterbauen und es so neu nutzen. Das heißt: Dieses Mal entsteht nicht Fläche für Autos, sondern für Menschen, die hier leben werden. In Ihrem Projekt denken Sie das Thema Leben und Arbeiten in der Stadt neu. Was zum Beispiel konzipieren Sie anders? Ein Beispiel dafür sind innovative Wohnformen. Fünfzig Prozent der Haushalte in Hamburg sind Einpersonenhaushalte. Dadurch wird nicht nur viel Fläche verbraucht, sondern solche Wohnformen können auch zur Vereinsamung führen. Wir gehen davon aus, dass Menschen, die allein in ihrem Haushalt wohnen, nicht zwingend alleine leben möchten. Darum werden wir im Gröninger Hof viele Möglichkeiten zur Begegnung geben. Reportage | (Urbanes) Leben ins Parkhaus! 30 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 03/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0053 Konkret? Wir bieten beispielsweise Clusterwohnungen an, eine innovative Wohnform, die unser Angebot an Wohnungen ergänzen. In einer Clusterwohnung haben Bewohner*innen ein kleines Zimmer, die Möglichkeiten für eine eigene Teeküche und ein eigenes Bad. Die Küche, den Wohnraum und die Terrasse teilen sie sich in unserem Projekt mit maximal 5 weiteren Bewohner*innen. Das dürfte aus Studenten-WGs nicht unbekannt sein. Den Unterschied zur WG macht das eigene Bad! Es wird vielleicht nicht einfach, dieses Wohnen im Cluster zu belegen, doch ich bin voller Zuversicht. In der Schweiz gibt es bereits einige Beispiele dafür. Auch bei uns melden sich erste Interessierte, die sich diese Art des Zusammenwohnens vorstellen können. Sie sprachen eben von Gewerbeflächen. Welche innovativen Modelle werden am Gröninger Hof für Gewerbeansiedlung ausprobiert? Wir wissen noch nicht genau, welche Nutzer*innen sich hier einmieten. Verträge für Gewerbeflächen werden in der Regel recht kurzfristig geschlossen. Daher haben wir hier noch keine festen Zusagen. Doch wir haben von Anfang an Lotsinnen und Lotsen für unsere Sache gewonnen. Darunter verstehen wir Unternehmen, die in Hamburg bekannt sind, etwa für Co-Working Spaces, Gastronomen mit angeschlossener Lebensmittelversorgung oder ein FabLab- - die unsere Ideen unterstützen. Auch, wenn sie vielleicht später nicht einziehen, demonstrieren sie damit, dass unsere Vorstellungen plausibel sind. Sie haben ein FabLab genannt. Was darf ich darunter verstehen? Ein Fabrikationslabor. Dabei handelt es sich um eine weltweite Bewegung mit einer vernetzten Community. FabLabs bieten sehr gut ausgestattete Werkstätten an, in denen beispielsweise Scanner und 3D-Drucker für Prototyping stehen. FabLabs sind auch für Hochschulen und Unternehmen aus der Nachbarschaft interessant. Viele skandinavische Bibliotheken oder Schweizer Hochschulen verfügen beispielsweise über Makerspaces, kleine Einheiten dieser FabLabs. Pointiert gefragt-- weshalb ein FabLab statt eines Supermarkts? Wir möchten Menschen, die etwas entwickeln wollen, Raum für Ihre Vorhaben geben. Nicht nur den Gewerbetreibenden und den Bewohner*innen, sondern auch der Nachbarschaft. In diesem Rahmen kann auch eine „konventionelle“ Werkstatt mit angeboten werden, in der man beispielsweise einen Stuhl streichen oder ein Fahrrad reparieren kann. Viele Hamburger Wohnungen sind klein. Für solche Aktivitäten fehlt häufig der Platz. Die Idee, am Gröninger Hof eine offene Werkstatt anzubieten, kommt aus dem Quartier und ist auch bei der künftigen Bewohnerschaft auf breites Interesse gestoßen. Vorhin sagten Sie, dass nicht nur das Gebäude den Charakter eines Modells hat-- sondern auch der Prozess in der Stadtentwicklung selbst. Weshalb ist die Prozessebene dieses Projekts für Sie so wichtig? In die Stadtentwicklung fließt viel Geld. Wir glauben, dass diese Investitionen nicht immer alle mit dem Gemeinwohl vereinbar sind. Deshalb möchten wir zeigen, wie Stadtentwicklung auch auf andere Weise gelingen könnte. Wie würden Alternativen zu den herkömmlichen Prozessen im Städtebau aussehen? Das möchten wir mit diesem Vorhaben ausloten. Also eine Revolution in der Stadtentwicklung auslösen? Langsam! Die herkömmlichen Verfahren in Stadtentwicklung und Städtebau sind hochkomplex und für viele Bauprojekte sinnvoll-- etwa dann, wenn Wohnungsbaugesellschaften viele Wohnungen errichten. Diese Prozesse möchten wir nicht in Gänze hinterfragen! Innovationen entstehen allerdings nicht aus Repetition. Mit dem Gröninger Hof haben wir ein Angebot formuliert, gemeinsam mit allen Beteiligten Anderes auszuprobieren. Ein altes Parkhaus wie hunderte in Deutschland: Doch hier entwickelt sich ein einzigartiges Modellprojekt. Foto: Groeninger Hof Reportage | (Urbanes) Leben ins Parkhaus! 31 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 03/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0053 Sie möchten herausfinden, ob und wie alternative Verfahren funktionieren? Ja. Dabei sagen wir keinesfalls, dass wir von vornherein exakt wissen, wie man vorgehen sollte oder dass wir es besser könnten als andere. Es geht hier vielmehr darum, Raum für das Ausprobieren, das Experimentieren zu schaffen-- immer mit dem Ziel, eine ortsgebundene, gemeinwohlorientierte Projekt- und Immobilienentwicklung zu etablieren. Man kann diese Prozesse nicht eins-zu-eins auf andere Situationen übertragen, doch hoffentlich ein Modell entwickeln, dass reproduzierbar wäre. An Ihrem Vorhaben springen zwei Punkte besonders ins Auge. Erstens, in die Vorbereitung und Planung sind viele Gruppen involviert: beispielsweise künftige Bewohner des Gebäudes, Nachbarn, Unternehmen oder angesehene Hamburger Organisationen. Sie gehen neue Wege bei der Partizipation. Zweiter Punkt: Hinter Ihrem Projekt steht eine eigens gegründete Genossenschaft, ein Kollektiv, das in Hamburg breit getragen wird. Kollektiv ist ein gutes Wort! Bei uns sind viele Hände tätig-- fast alle im Ehrenamt. Entscheidungswege werden im Kollektiv gegangen und Finanzierung gemeinsam gestemmt. Eine Genossenschaft als Rechtsform ist unserer Ansicht nach am ehesten geeignet für dieses offene, am Gemeinwohl orientierte Vorhaben. Hier können sich viele Stimmen einbringen. Aber: Diese Offenheit im Kollektiv hat auch Leitplanken. Wir handeln trotz der Mitwirkung Aller sehr professionell. Professionell-- inwiefern? Wir spannen das Wissen von Expert*innen aus dem Planen und Bauen mit dem Wissen der Expert*innen des Ortes zusammen. Menschen, die das Thema Stadt- und Immobilienentwicklung professionell betreiben, reden auf Augenhöhe mit Menschen, die den Ort, Stadtteil und die Nachbarschaft kennen. Daraus ergibt sich große Stimmenvielfalt, aber auch spezifisches Wissen. Die Genossenschaft hat aktuell rund 300 Mitglieder unterschiedlichster Couleur. Wir möchten gerne Viele mehr werden. Ich stelle es mir schwierig vor, diese Vielfalt von Interessen, Ideen, Meinungen und Erwartungen in einem Projekt abzubilden. Die Offenheit bedeutet nicht, dass sich jeder hier mit seinen eigenen Vorstellungen verwirklichen kann. Wir handeln beständig Erwartungen und Anforderungen aus- - immer mit dem Ziel, die Interessen des Gemeinwohls vor die Interessen einzelner Personen oder Gruppen zu stellen. Wer mitmacht, sollte bereit sein zuzuhören und Kompromisse einzugehen. Das ehemalige Parkhaus Gröninger Hof liegt zentral in Hamburg, und es gehörte indirekt der Stadt Hamburg. Solche Immobilien werden häufig dem meistbietenden Investor verkauft, der sie dann abreißt und Neues baut. Beim Parkhaus Gröninger Hof hat sich die Hansestadt indes anders entschieden. Wie kommt es, dass sie Grundstück und Bauwerk Ihrer Genossenschaft an die Hand gegeben hat? Heute werden städtische Grundstücke zum Glück nicht immer nur an den Meistbietenden verkauft. In einer Konzeptausschreibung beispielsweise spielt neben dem gebotenen Preis auch das Nutzungskonzept eine Rolle bei der Auswahl der Bietenden. In der Ausschreibung für den Gröninger Hof hat die Stadt Ideen aufgegriffen, die beispielsweise aus der Initiative „Altstadt für Alle! “ kamen. Diese Initiative setzt sich für mehr Lebendigkeit in der Innenstadt und damit auch für das Wohnen ein. Da ging es bereits um Gemeinnützigkeit und Nachhaltigkeit. Klassische Investoren bringen diese Orientierung bisher meistens nicht mit. Ein Vorteil für Sie? Die neu gegründete Genossenschaft Gröninger Hof konnte von Anfang an diese intensive Einbeziehung der Menschen vor Ort vorweisen, die in der Ausschreibung gefordert war. Wer sich kurzfristig im Stadtviertel vernetzen und nur für die Bewerbung um das Grundstück mit lokalen Initiativen ver- Das Vorhaben ist breit aufgestellt und bezieht Menschen aktiv ein. Foto: Anja Eichinger Reportage | (Urbanes) Leben ins Parkhaus! 32 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 03/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0053 binden wollte, kam so gesehen zu spät. Mit vorgeschalteten Workshops und Veranstaltungen hatten wir uns bereits vor der Bewerbung um das Grundstück mit den Akteurinnen und Akteuren vor Ort zusammengetan. Wie kam dies? Wir wollten von vornherein die Nachbarschaft und damit die Expert*innen kennenlernen und einbeziehen, etwa kulturelle Organisationen, Clubbetreiber oder Anwohner*innen und Hamburger Stadtinteressierte. Sie haben dann auch gemeinsam das Programm entwickelt: Was braucht das Quartier? Was fehlt und was wäre sinnvoll an dieser Stelle? Es gab also eine vielstimmige Basis, aus der heraus die Genossenschaft entstand. Später kamen immer mehr Menschen dazu. Wie haben Sie persönlich zu dieser Initiative gefunden? Zufällig war ich war vor einigen Jahren auf einem Workshop einer dieser Initiativen. Ebenso zufällig las ich morgens in der Zeitung, dass das Parkhaus aufgegeben würde. Und zufällig wurde auch mir als Architektin nach der Veranstaltung die Frage gestellt, ob man bei der Vergabe des Parkhauses nicht mal anders vorgehen könnte? Ich habe an neue und innovative Genossenschaften aus der Schweiz gedacht, wie die „Kalkbreite“ oder „Mehr als Wohnen“. Ich habe geantwortet, dass es schon auch andere Wege geben könnte-… …-heute sind Sie Mitglied im Aufsichtsrat der Genossenschaft-… Richtig. Aber wie eben gesagt, dieses Projekt hat viele geistige Mütter und Väter. Sie haben früh Ideen für eine Umnutzung des Parkhauses entwickelt. Wie hat man in Hamburg auf diese Ideen reagiert? Wir haben von Anfang an gesagt, dass wir unsere Ideen als ein Angebot an die Stadt vorbringen. Dieser kooperative Ansatz hat uns Türen geöffnet und Aufmerksamkeit gebracht, sowohl bei bürgerlichen Institutionen als auch in der Politik. An einigen Stellen hat man uns empfohlen, einen starken Partner für die Realisierung zu suchen. Anderenfalls hätten wir vermutlich nicht ausreichend Gewicht, um das Projekt auch wirklich zu realisieren und das Grundstück zu erhalten. Es wäre denkbar, sich einem bekannten Investor oder Projektentwickler anzuschließen. Wir haben darüber nachgedacht. Es hätte Dinge vereinfacht und natürlich auch Vorteile gehabt. Aber wir hatten Sorge, dass etwas von unserem neugierigen Ansatz „kann man es nicht mal anders machen“ verloren gegangen wäre. Deshalb haben wir den Spieß umgedreht: Statt einen starken Partner zu suchen haben wir beschlossen, die Genossenschaft stark zu machen. Jede Hamburgerin und jeder Hamburger, der in irgendeiner Form an dem Projekt interessiert ist, sollte Mitglied werden können. Statt sich einem starken Partner anzuschließen haben Sie starke Partner aufgenommen? Ja. Wir haben beispielsweise soziale Träger und alteingesessene Institutionen angesprochen, die sehr gewichtig in Hamburg sind. Die Patriotische Gesellschaft von 1765 und der Architekten- und Ingenieurverein, aiv Hamburg stehen hinter uns. Gleiches gilt für die benachbarte Hauptkirche St. Katharinen und die Evangelische Stiftung Alsterdorf, für das Studierendenwerk und die Jugendhilfe e. V. Sie sind teilweise lokal verankert. Sie repräsentieren eine stabile bürgerliche Mitte und sind alle gut vernetzt. Wir wussten: Wenn sich solche Organisationen zu uns stellen, dann kann es was werden mit unseren Ideen. 2020 hat Ihnen die Stadt das Grundstück übergeben. Nach wie vor befindet sich Ihr Bauprojekt im Planungsstadium. Was ist der derzeitige Stand? Seitens der Genossenschaft haben wir mit der Stadt einen Anhandgabe-Vertrag geschlossen, das heißt wir haben einen definierten Zeitraum, um das Projekt entwickeln zu können. Wenn wir es finanziert und genehmigt bekommen, können wir das Grundstück im Erbbaurecht übernehmen. Dafür haben wir uns mit Stadt und Bezirk auf eine bestimmte Anzahl von Wohneinheiten und auf Gewerbeflächen geeinigt. Zudem haben wir bestimmte Kriterien vereinbart, die wir mit dem Projekt erfüllen. Ein großer Schritt auf diesem Weg war der Architektenwettbewerb. Er wurde im Juni 2021 entschieden. In diesem Jahr werden wir den Bauantrag stellen. Mit der Zeit stellen wir auch fest, dass das Konzept nachjustiert werden muss. Ein Beispiel: Mit der Stadt ist ein Anteil von Gewerbeflächen von 35 % vereinbart gewesen, doch mit der Pandemie haben wir in Hamburg viel Leerstand bei Gewerbeflächen. Wir stehen in diesem Punkt in Nachverhandlungen. mit der Stadt, um die Gewerbefläche auf 20 % zu reduzieren und 70 % Wohnflächen zu realisieren. Augenblick! Das macht rechnerisch neunzig Prozent. Was ist mit den restlichen zehn Prozent? Diese werden zu sogenannten Hybridflächen, die die Bewohnerschaft gemeinschaftlich nutzt. Wir wollen ja, dass die Menschen hier gemeinschaftlich zusammenleben und sich im Alltag begegnen. Die innovative Idee ist: Jeder Wohnung entnehmen wir bis zu maximal zehn Prozent ihrer Fläche. Diese schlagen wir den gemeinsam genutzten Hybridflächen zu; dies können die Fahrradwerkstatt oder ein kleines Kino sein, ein Kinderzimmer auf der Dachterrasse, Raum für Yoga oder sogar eine Sauna. Was mit den Hybridflächen genau geschehen wird, das verhandeln wir gerade miteinander. Fest steht heute: Die Räume sollen sehr flexibel mehrfach nutzbar sein. Ein gutes Beispiel ist der Waschsalon. Da könnte ein großer Tisch stehen zum Wäschefalten-- den man aber auch nutzen könnte, um spontan etwas zu feiern. Die Wohnungen sind klein, dafür aber gibt es viel Raum, den sich die Menschen teilen. Ähnlich wie beim Car-Sharing? Mehrere Personen teilen sich ein Auto, weil damit keiner mehr ein eigenes vorhalten muss? Auch, um mit Ressourcen nachhaltiger umzugehen? Ja, darum geht es uns! Da neben Energie und Material auch Raum eine Ressource ist, benötigen wir Räume, die heute das Wohnen als Familie und morgen vielleicht auch das Arbeiten zulassen-- und zwar ohne, dass der Raum dabei beliebig und gesichtslos wird. Reportage | (Urbanes) Leben ins Parkhaus! 33 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 03/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0053 Also buchstäblich Raum für das urbanes Leben, das sich spontan und selbst organisiert? Ja, denn bisher sind wir es gewohnt, stark in spezifische Nutzung zu denken. Unser Leben findet vielfach räumlich getrennt statt: Arbeitsplätze im Gewerbegebiet, Schlafen in der Wohnung, Freizeit vielleicht im Fitnesscenter oder im Wochenendhaus. Diese Räume haben alle einen eng gefassten Zweck. Entsprechend sind sie auch gestaltet. Und sie stehen oft leer. Während der Pandemie sind wir mit diesem starren urbanen Denken an die Grenzen gestoßen. In vielen städtischen Wohnungen ist für Homeoffices buchstäblich kaum Raum. Das ist genau der Punkt! Zwei Jahre vor der Pandemie hat die Hamburgische Architektenkammer einem Workshop zur Zukunft der Stadt organisiert. Dafür wurde beispielsweise angenommen, dass sich durch die Digitalisierung Arbeitszeiten beträchtlich reduzieren. Dies würde dazu führen, dass sich mehr Menschen länger in ihren Wohnungen aufhielten-- und in ihrem Stadtviertel. Die Fragen waren damals: Wie müssten dafür die Häuser, Straßen, Plätze aussehen? Was sollten Wohnungen bieten, wenn Menschen einen den größten Teil ihrer Zeit in ihrer Wohnung sind? Niemand hat gedacht, dass diese Thesen durch Corona so schnell Realität werden würden. Die Frage, wie wir die Ressource Raum so gestalten, dass sie für Viele zugänglich wird, ist von enormer Bedeutung! In einigen Städten-- Paris beispielsweise-- gibt es eine Rückbesinnung auf die Nachbarschaft. Die Idee ist, Arbeit und Wohnen, Einkaufen und Freizeit, Kultur und Sport räumlich nicht mehr voneinander zu trennen. Das Konzept der 15-Minuten-Stadt: Alles, was man für den Alltag braucht, findet sich in der direkten Umgebung. Dazu gehören nicht nur Arzt, Schule und Büro, sondern auch Freiraum. Etwa ein Park, der Entlastung aus der Dichte bietet und es Menschen ermöglicht, beispielsweise ihrer kleinen Wohnung zu entkommen. Solche Ideen finden in Paris gute Resonanz. Sie beschäftigen uns auch hier in Hamburg sehr-- übrigens nicht nur in dem erwähnten Workshop! Darüber wird intensiv auch im Zusammenhang mit der Mobilitätswende und der klimagerechten Stadt nachgedacht. Sie sagten vorhin, dass Ihre Planungen jetzt feinkörniger werden. Ihre Vision des urbanen Stadtbausteins nimmt konkrete Züge an. Mehrfach haben Sie betont, dass Ihr Projekt offen ist und viele verschiedene Erwartungen aufnimmt. Sie sagten auch, dass es Leitplanken gibt. Wie darf ich mir dies konkret vorstellen? Ich denke, dass die Rechtsform der Genossenschaft ein gutes Instrument ist, diese Vielfalt aufzunehmen und abzubilden. Auf der einen Seite werden Menschen mit Ihren Interessen und Erwartungen einbezogen. Auf der anderen Seite gibt es in der Genossenschaft die Satzung mit einem klar definierten Ziel, welches die Leitplanken bildet. Die Ziele der Genossenschaft stehen über allem. Die Genossenschaft steht über allem-- wie darf ich dies verstehen? Das kann man sich bildlich vorstellen: Oben steht das Modell, die gemeinnützige Idee, die wir verwirklichen möchten und die in der Satzung als Präambel festgehalten wurde. Dies ist die erklärte Aufgabe der Genossenschaft. Unter dem Dach dieser Genossenschaft entsteht jetzt ein Haus, mit dem die Wünsche und Erwartungen der Bewohnerschaft und Nutzer*innen erfüllt werden. Laufen diese Wünsche und Erwartungen dem Ziel der Genossenschaft zuwider- - können sie nicht verwirklicht werden. Fürs Parken wird das in den 1960er Jahren errichtete Parkhaus schon seit einiger Zeit nicht mehr genutzt. Hier soll bald neues Leben einziehen. Ohne Autos. Foto: Jochen Blauel Reportage | (Urbanes) Leben ins Parkhaus! 34 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 03/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0053 Mit anderen Worten-- Sie balancieren laufend Partikularinteressen mit Interessen des Gemeinwohls aus? Richtig. Und um das besser gewährleisten zu können, werden diejenigen, die momentan rechtlich gesehen die Genossenschaft vertreten, nicht in diesem Haus wohnen. Mitglieder aus dem Vorstand und Aufsichtsrat haben dies von Anfang an so bekräftigt, sie werden im Gröninger Hof nicht selbst einziehen. Natürlich ist das manchmal eine bedauerliche Aussicht, doch ich halte dies für die Entwicklung des Projektes besonders wichtig. Weshalb? Wir sind verpflichtet, das Gemeinwohl über Einzelinteressen zu stellen-- auch über unsere eigenen. Dadurch, dass wir weder Geld verdienen noch Wohnungen erhalten werden, sondern uns für rein idealistische Ziele engagieren, haben wir einen anderen Leumund. Wir können manche Ideen, die dem Satzungsvorhaben zuwiderlaufen könnten, klarer erkennen. Manchmal sind Interessen beispielsweise für das Bauobjekt selbst zwar verträglich, aber nicht unbedingt mit der Genossenschaftsidee zu vereinbaren. Hat es solche Konflikte tatsächlich gegeben? Natürlich! Manche Gruppen erwarten Privilegien, weil sie lange dabei sind und an dem Vorhaben mitwirken. Es gibt jedoch einen Gleichbehandlungsgrundsatz in Genossenschaften. Manchmal erzielt man Kompromisse, aber einige sehr engagierte Menschen sind auch abgesprungen, da sie ihre Vorstellungen nicht so umsetzen konnten. Die Dinge entwickeln sich stetig. Die Genossenschaft muss also widerstandkräftig sein-- sowohl nach innen als auch nach außen. Wie ist sie organisatorisch aufgebaut? Ich vergleiche den Aufbau mal mit einem Baumstamm: Vorstand und Aufsichtsrat bilden eine Art Kern in diesem Stamm und sind von konzentrischen Ringen umgeben. Wer ist konkret in diesem Kern? Das sind momentan sechs Personen: Zwei Vorstände, drei Aufsichtsräte, ein Sprecher. Sie arbeiten alle ehrenamtlich seit Jahren mit einem enorm hohen Aufwand, um dieses Projekt zu realisieren. Sie sitzen wöchentlich in der Koordinierungsrunde zusammen, an der auch weitere Personen teilnehmen. Da ist beispielsweise die Referentin des Vorstandes, eine junge Frau, die sehr viel Know-how zum Genossenschaftswesen und zur Förderung im Wohnungsbau mitbringt. Sie hat sich bei uns vor einiger Zeit mit dem Wunsch, sich ehrenamtlich zu engagieren gemeldet. Sie wollte kein offizielles Amt. Wir haben gemeinsam ihre Rolle und den passenden Titel gefunden. Eine Rolle und einen Titel-- weshalb? Wir versuchen denen, die an diesem Projekt mitwirken, möglichst eine Rolle zu geben und so auch bestimmte Aufgaben und Kompetenzen zu definieren. Das halten wir schriftlich fest-- im Sinne einer Rollenbeschreibung. Diese Maß an Professionalität ist essenziell. Sie sprachen von konzentrischen Ringen um den Kern der Genossenschaft. Wer oder was bildet den ersten Ring? Die erste Schicht um diesen Kern- - der erste Ring- - besteht aus Einzelpersonen wie der Vorstandsreferentin, aber auch der Geschäftsstelle und der Projektsteuerung, für die wir Menschen angestellt haben. Dazu gehört auch die Schnittstelle in die zukünftige Bewohnerschaft. Hier ist gute Kommunikation besonders wichtig, beispielsweise wegen der eben angesprochenen, möglichen Zielkonflikte. In dem nächsten Ring gruppieren sich die Arbeitskreise mit ihren bestimmten Aufgaben, die wiederum alle im Ehrenamt besetzt sind. Sie bereiten Entscheidungen vor, die dann der Vorstand in der Steuerungsrunde trifft. In diesen Arbeitskreisen engagieren sich Personen mit professionellem Hintergrund. Damit wird Fachwissen sichergestellt. Fachwissen ist wichtig, um professionell agieren zu können- - beispielsweise hinsichtlich der Finanzen, aber auch beim Planen und Bauen. Was, wenn sich jemand ohne fachlichen Hintergrund engagieren will? Er kann sich an offenen Arbeitsgruppen beteiligen. Also weitere Arbeitskreise? Nicht ganz, bitte auf die Begriffe achtgeben: Arbeitskreise sind geschlossene Kreise von Profis, die pro bono für dieses Projekt gemeinsam mit den beauftragten Fachleuten arbeiten. Dagegen sind Arbeitsgruppen offen für alle. Diese Arbeitsgruppen bilden einen weiteren konzentrischen Ring. Wer in Arbeitsgruppen mitwirkt, bringt Interesse mit, aber nicht unbedingt eine Qualifizierung. Es gibt beispielsweise eine Arbeitsgruppe zur Öffentlichkeitsarbeit. Wer gerne Newsletter schreibt, kann in dieser Gruppe aktiv werden. Er muss aber nicht zwingend ein Medienprofi sein. Ein wichtiger Punkt für alle diese Gruppierungen ist: Wie bei Einzelpersonen und den oben beschriebenen Rollen, sollte es auch bei den Arbeitskreisen oder Arbeitsgruppen möglichst klar sein, was dort gemacht wird. Für was ist der Kreis oder die Gruppe zuständig? Wer hat den Hut auf? Wer gehört dazu? Dafür gibt es Steckbriefe, die dies festhalten und natürlich auch oft angepasst werden müssen. Es sind dynamische Gruppierungen. Allen ist es immer möglich Vorschläge und Entscheidungsgrundlagen zu formulieren. Jedoch fassen sie keine für die Genossenschaft geltenden Beschlüsse. Dies geschieht immer in der Steuerungsrunde; die Geschäftsführung liegt klar beim Vorstand. Im Kern der Vorstand, im ersten Ring die Steuerung und Geschäftsstelle, dann geschlossen Arbeitskreise mit professionellem Ehrenamt, und offene Arbeitsgruppen für die, die mitmachen wollen. Wie finden Menschen Zugang zu Ihrer Organisation? Jede*r, ist erst einmal willkommen. Für Menschen, die reinschnuppern wollen, haben wir ein Aktivenplenum, eine regelmäßige Veranstaltung. Sie ist häufig die erste Anlaufstelle. Hier stellen sich die Gruppen vor, in denen Mitwirkung möglich ist. Themen werden gemeinsam diskutiert. Entscheidungen, die aus diesen Diskussionen heraus getroffen werden müssen, trifft dann allerdings wieder-- nach Abstimmung mit den Beteiligten-- der Vorstand. Reportage | (Urbanes) Leben ins Parkhaus! 35 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 03/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0053 Ideen, Vorschläge, Wünsche, Kritik-- all dies wandert durch die Ringe von außen nach innen. Im Inneren werden sie geprüft und hinsichtlich ihrer Machbarkeit abgeglichen. Im Kern wachen Vorstand und Aufsichtsrat also darüber, dass die Entscheidungen mit dem in der Satzung formulierten Ziel der Genossenschaft übereinstimmen. Richtig. Das System ist durchlässig und immer in Bewegung, doch dieser innerste Kreis birgt die Stabilität in diesem dynamischen Projekt. Deshalb muss er selbst möglichst stabil bleiben. Im Vorstand und Aufsichtsrat müssen wir einander blind vertrauen können, keine*r von uns kann alles überblicken und alles verstehen. Dafür ist das Projekt viel zu komplex. Wir brauchen unbedingte Verlässlichkeit, eine Mischung aus Transparenz, Offenheit und Wohlwollen. Veränderungen in dem inneren Kreis könnten das ganze System in Unruhe bringen. Genau da liegt natürlich auch ein Risiko: In dem Kreis könnte Streit entstehen, der in einem Zerwürfnis endet. Hat es solche kritischen Situationen bereits gegeben? Es gab sicher für jede*n Einzelne*n von uns Situationen, in denen er oder sie sich nicht mehr imstande fühlten weiterzumachen. Zu unserem Glück spürten wohl nie alle gleichzeitig diese Unsicherheit. Wir konnten einander auffangen. Doch während der Corona-Pandemie kam es zu unübersichtlichen Momenten, nachdem wir uns über Monate nur noch online getroffen hatten und durchaus auch Konflikte auszutragen waren. Es wurde sehr deutlich: Wir brauchen einander leibhaftig, also die persönliche Begegnung. Was haben Sie unternommen? Unter strengen Vorkehrungen haben wir uns in der ehemaligen Werkstatt des Parkhauses getroffen. Zu fünft, weit voneinander entfernt. Wir haben uns drei Stunden lang alles von der Seele gesprochen, manchmal auch laut, nicht immer freundlich. Aber wir hatten wieder das Gefühl, dass es echte Nähe gab, die sich digital eben nicht herstellen lässt. Und wir wussten wieder, dass wir dasselbe wollen- - manchmal aber aus verschiedenen Perspektiven darauf schauen. Diese Treffen sind für uns nun unerlässlich geworden. Neben den zahlreichen notwendigen Terminen jede Woche gibt es nun regelmäßig diese „Synchronisationstreffen“. Wir bleiben dafür unter uns, diskutieren auch unsere Rollen, reden über Konflikte, über unsere Ängste. Ängste? Wir unterschreiben manchmal Verträge über enorme Geldsummen, bauen ein mittelständiges Unternehmen im Ehrenamt auf. Da konnten einige nicht mehr schlafen. Ich glaube, wir sind alle mutig, aber nicht leichtsinnig und manchmal möchte man das neu ausloten, das Vertrauen untereinander wieder aufbauen und aus den Begegnungen auch Zuversicht schöpfen. Mich interessiert ein weiterer Punkt. Auch in anderen Städten sind in der Vergangenheit Initiativen gestartet, um urbanes Zusammenleben neu und gemeinwohlorientiert zu denken. Doch vielen Projekte und Gruppen geht unterwegs die Gemeinwohlorientierung verloren. Was läuft da schief? Mit solchen Projekten habe ich zu Beginn unseres Vorhabens gesprochen. Ich habe gefragt, was sie heute anders machen würden. Die Antwort war häufig: Es ist nicht gelungen, das Gemeinwohl über die Partikularinteressen zu stellen. Wenn man Offenheit und Partizipation möchte, muss man die „Fenster weit aufmachen“. Um die Projekte aber auch zu realisieren und wirtschaftlich stabil zu bleiben, muss man diese „Fenster der Beteiligung“ auch wieder schließen, und dann fachliche Meinungen erzeugen. Fenster nach außen öffnen und wieder schließen-- was darf ich darunter verstehen? Das hat wieder mit Ausbalancieren zu tun. Wie vorhin gesagt, wir sind zwar ein breit getragenes Kollektiv- - doch wir handeln so professionell wie man dies vielleicht von Investoren Eine „Projekt-Werkstatt“ in der ehemaligen Werkstatt des Parkhauses: Pläne für das Modellprojekt werden an Ort und Stelle vorgestellt. Foto: Groeninger Hof Reportage | (Urbanes) Leben ins Parkhaus! 36 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 03/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0053 erwarten würde. Bei uns engagieren sich beispielsweise Profis für Bau oder Finanzen. Das Fenster für Alle öffnen heißt: Die Profis lernen das Meinungsbild der Laien zu einem spezifischen Thema kennen, sie machen sich mit den Vorstellungen von Nutzer*innen und Bewohner*innen vertraut und nehmen diese ernst. Dann schließt sich das Fenster der Beteiligung; die Profis beziehen das Meinungsbild in ihren Entscheidungen ein. Spricht ein fachlicher Grund gegen die Umsetzung von Wünschen, wird dem nicht nachgegeben. In einigen Projekten, mit deren Initiatoren ich gesprochen habe, hat man mir gesagt: Wir haben zu oft nachgegeben. Wir haben gelernt, dass neben der guten Vorbereitung für jeden dieser Schritte vor allem eine klare Kommunikation wichtig ist. Letztlich geht es dabei auch um etwas wie Erwartungsmanagement? Ja. Im Augenblick zahlen die Mitglieder unserer Genossenschaft, die Bewohner*innen des Gröninger Hofes werden, ihr Eigenkapital für die Wohnung ein. Manche nehmen dafür Kredite auf. Andere, die einziehen werden, müssen ja irgendwann ihre Wohnungen kündigen. Jetzt wird es also für die zukünftigen Bewohner*innen sehr verbindlich. Daraus entstehen selbstverständlich Erwartungen an die Genossenschaft. Diese gilt es auch kennenzulernen und abzuwägen. Auch dafür haben wir Formate entwickelt, etwa unsere Echoräume. Echoräume-- was darf ich darunter verstehen? In Echoräumen können Mitglieder der Genossenschaft, die künftige Bewohnerschaft oder andere Interessierte Stellung zu den aktuellen Plänen beziehen. Beispielsweise haben wir einen Echoraum zum Thema Wohnungen veranstaltet oder zu den gemeinschaftlich genutzten Hybridflächen- - immer mit dem Ziel, wertvolles Feedback von den Beteiligten zu bekommen. Beispielsweise wurden Wohnungen für Alleinerziehende vermisst. Andere forderten, die Wohnungen mehr zu durchmischen. Im Echoraum stellen die Architekt*innen den Stand der Planungen vor. So bekommen alle, die mitwirken wollen, auch die Gelegenheit sich gut zu informieren. Wie gehen Sie genau auf diesen Veranstaltungen vor? Nach der Präsentation der Pläne und des Themas bilden wir Arbeitsgruppen aus den Teilnehmerinnen und Teilnehmern, meistens vier oder fünf Personen, in denen mindestens eine Person aus dem Arbeitskreis Planen und Bauen sowie eine Person aus dem Architekturbüro dabei sind. Diese Gruppe beugt sich dann über die Pläne mit dem Fokus auf ein Thema, wie dem Wohnen, dem Gewerbe oder den Gemeinschaftsflächen. Sie diskutiert, was auffällt, was missfällt und was sich wer noch vorstellen kann. Im Anschluss präsentiert jede Gruppe ihre Kernaussagen im Plenum. Welchen Vorteil hat es, kleine Arbeitsgruppen zu bilden? Es hilft, bei den Rückmeldungen heraushören, ob es sich um Einzelinteressen oder breit getragenen Vorschläge handelt. Trägt jede Gruppe andere Wünsche oder Kritik vor, dürfte es sich eher um Partikularinteressen handeln. Benennen mehrere Gruppen- - oder sogar vielleicht die meisten- - gleiche Punkte: dann liegt offenbar ein echtes Bedürfnis des Kollektivs vor. In den Protokollen formulieren wir dann den Auftrag an die Planer*innen, die Anregungen aufzunehmen und die Konsequenzen einer eventuellen Umplanung zu überprüfen. Dieses Format hilft bei der Willensbildung im Kollektiv? Wir können auf diese Weise Mehrheiten feststellen, gut kommunizieren und auch bestimmte Fragestellungen aushandeln. Ein Beispiel: Eine Gruppe zukünftiger Bewohner*innen wünscht sich eine Sauna. Ein Teil der Genossinnen und Genossen empfindet die Einrichtung einer Sauna ökologische problematisch und unnötig luxuriös. In der Diskussion wird entgegnet, dass die künftigen Bewohner*innen in den sehr kleinen Wohnungen, die in das alte Parkhaus mit den niedrigen Decken eingebaut werden, auf einiges verzichten. Eine eigene Sauna könnte als ein kleiner Ausgleich dafür verstanden werden. Diese Frage wird im Augenblick weiter ausgehandelt. Ideen entwickeln und Lösungen aushandeln, die breit getragen werden: Dies gehört zur täglichen Arbeit in diesem Projekt. Foto: Anja Eichinger Reportage | (Urbanes) Leben ins Parkhaus! 37 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 03/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0053 Werteähnlichkeit-- inwiefern? Ein Kollektiv ist idealerweise vielfältig und divers. Nicht alle sind mit den gleichen Zielen und Erwartungen unterwegs. Bei uns wird beispielsweise kritisch gesehen, dass einige das Satzungsziel über das Bauprojekt stellen. Dies teilen diejenigen, die dort einziehen wollen, verständlicherweise nicht immer. Sie haben eine andere Perspektive auf das Gesamtprojekt Gröninger Hof. Wie kann eine Gruppe solch eine Diversität aushalten? Durch gemeinsame-- oder zumindest ähnliche Werte. Sie bilden meiner Meinung nach das Fundament. Streiten wir uns, so stellen wir oft fest, dass wir eigentlich das Gleiche wollen. Nur auf verschiedenen Wegen. Dies zu respektieren ist viel einfacher, wenn man sich der ähnlichen Werte auch bei unterschiedlichen Ansichten bewusst ist. Ist dies nicht in vielen gemeinnützigen Projekten so? Ich beobachte, dass in manchen gemeinnützigen Projekten Allianzen gebildet werden. Zweckbündnisse. Ich denke, in unserem Fall hätte dies nicht funktioniert, langfristig braucht es einfach mehr, um belastbar zu bleiben. Uns einen diese gemeinsamen Werte. Sie erlauben uns, zu träumen, aber auch konstruktiv zu streiten. Durch gemeinsame Werte entsteht Wohlwollen. Und auf der Basis von Wohlwollen kann man Offenheit leben, Diversität und die dafür notwendige Kultur geduldigen Aushandelns entwickeln. Eingangsabbildung: © Thomas Hampel Zeichnet sich ein Meinungsbild ab? Ich beobachte, dass immer mehr der ursprünglichen Gegner die Einrichtung einer Sauna inzwischen mittragen-- auch wenn sie diese nicht nutzen möchten. Vielleicht hat es mit dem Selbstbewusstsein der Bewohnerschaft zu tun: Es wird auf einiges verzichtet, dafür anderes ermöglicht und nicht immer trifft es den ganz persönlichen eigenen Bedarf. Vermutlich wird diese Sauna unter der Bedingung eingeplant, dass der Raum auch anders genutzt werden kann, falls die Sauna zu wenig Zuspruch findet. Dieser Aushandlungs-Prozess ist anstrengend und aufwendig, doch auf diese Weise kann urbane Lebensqualität entstehen. Die Verhandlung der Räume in der Stadt ist wichtig. Offenheit wird hergestellt. Möglichkeiten werden so erst geschaffen. Echoräume bringen sehr viel konstruktive Kommunikation und tolle Ideen in das Projekt. Sie sind „offene Fenster der Beteiligung“. Sie sagten Eingangs, dass Sie das Projekt Gröninger Hof als ein Modell verstehen, das man an anderen Standorten reproduzieren kann. Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten drei Empfehlungen, die Sie Menschen geben, die ein ähnliches Vorhaben starten wollen? Es ist unwesentlich, ob Sie ein solches gemeinwohlorientiertes Bauobjekt in Angriff nehmen oder ein Straßenfest machen möchten-- die Empfehlungen gelten aus meiner Sicht auf jeder Ebene. Meine erste wäre: Sie benötigen freudiges Interesse an dem Vorhaben und den Willen zu lernen. Sie brauchen vermutlich etwas Abenteuerlust, einen gewissen Wagemut. Einen gewissen Wagemut? Ja, den braucht man. Dies heißt aber auch: Man sollte selbst in der Situation sein, sich diese Abenteuerlust leisten zu können. Meine zweite Empfehlung betrifft die Professionalität: Gehen Sie auch im Ehrenamt möglichst ernsthaft und professionell miteinander um und in der Sache vor. Mangelnde Professionalität kostet schnell Zeit und Geld und am Schluss die Nerven. Falls Fachgebiete nicht abgedeckt werden können, holen Sie Fachexpertise ins Team. Wir haben beispielsweise Juristen oder Coaches hinzugeholt, wenn wir selbst nicht weiterkamen. Die dritte Empfehlung betrifft die notwendige Werteähnlichkeit. Grafik: Nele Palmtag Tina Unruh Tina Unruh (50) ist Architektin und studierte in Hamburg, Potsdam und Zürich. Nach beruflichen Erfahrungen in Architekturbüros in New York und Hamburg wechselte sie in die Selbstständigkeit und parallel in die Forschung und Lehre in der Schweiz. Nach der Rückkehr an die Elbe, ist sie seit 2017 in der Hamburgischen Architektenkammer tätig, inzwischen als eine der beiden stellvertretenden Geschäftsführerinnen. Sie ist zudem designierte Geschäftsführerin der in Gründung befindlichen Hamburger Stiftung Baukultur. Gemeinsam mit Gleichgesinnten initiierte Tina Unruh 2018 das Projekt Gröninger Hof sowie die gleichnamige Genossenschaft, in der sie Mitglied im Aufsichtsrat ist. Foto: privat