PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
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GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.Alles Beethoven, oder was?
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Jens Köhler
Die Kolumne „Ehrlich und Priesberg“ möchte mit unterhaltsamen Dialogen rund um das Thema „Mensch – Kommunikation, Verhalten, Entscheidungen“ Denkanstöße für den PM-Alltag geben.
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74 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 03/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0060 Kolumne Alles Beethoven, oder was? Jens Köhler Ehrlich sitzt in seinem Bürostuhl und lauscht einer Beethoven- Symphonie. Durch die Ohrstöpsel hört er nicht, wie Priesberg plötzlich vor ihm steht. Erst als dieser wild mit den Armen dirigiert, reagiert Ehrlich: „Gehst du jetzt unter die Amateurdirigenten? “ Priesberg schüttelt den Kopf: „Noch viel besser: Unser Management verlangt jetzt von uns wie ein Intrapreneur, also ein Unternehmer in einem Unternehmen zu agieren, aber auch wie ein Musiker in einem Orchester.“ Ehrlich zieht sich die Stöpsel aus den Ohren: „Jetzt verstehe ich: Du willst beide Rollen in dir vereinen und wählst daher die Dirigentenrolle. Sehr geschickt. Nur an der Technik solltest du noch feilen-- dein Gefuchtel mit den Armen wirkt nicht so ganz ausgereift.“ Ehrlich lehnt sich im Stuhl zurück und wartet entspannt auf die Reaktion. Priesberg setzt sich und spricht, diesmal ohne zu explodieren: „Ich finde es von Vorteil, wenn sich Mitarbeiter einmal wie Orchestermusiker verhalten sollen und ein anderes Mal wie Unternehmer. Was ist daran falsch? “ Ehrlich überlegt: „Was zeichnet ein hervorragendes Orchester denn aus? Dass alle Musiker ein Instrument beherrschen? Dass sie Noten lesen können? Dass ein Dirigent im Frack vor ihm steht? “ „Ganz sicher nicht“, fällt Priesberg ins Wort. „Das Zusammenspiel muss vorher eingeübt werden, jedes Instrument muss seinen Part perfekt spielen, sodass es hervorragend klingt.“ „Also sind Orchestermusiker diszipliniert und scheren nicht aus ihren eingeübten Rollen aus“, fasst Ehrlich zusammen. „So kann man es sagen, wie ein eingespieltes Projektteam“, bestätigt Priesberg. „Na, dann ist die Welt doch in Ordnung“, spricht Ehrlich und wendet sich wieder seiner Musik zu. Priesberg ist verärgert: „Wieso klinkst du dich jetzt aus unserer Unterhaltung aus? Du scheinst wenig Interesse daran zu haben.“ „Keineswegs“, spricht Ehrlich mit betontem Desinteresse und fährt fort: „Nur spiele ich jetzt die Rolle des Intrapreneurs. Ich entscheide selbst, wann eine Sache Priorität hat und wann nicht.“ Ehrlich lehnt sich abermals zurück und beobachtet die Reaktion seines Kollegen. Priesberg erwidert frustriert: „So kommen wir aber nie auf einen Punkt.“ Er überlegt: „Dein Verhalten erinnert mich an einige Beobachtungen, die ich bei Kollegen festgestellt habe. Manche möchten geradezu als Orchestermusiker behandelt werden, andere geben sich betont unabhängig und entziehen sich jedem gemeinsamen Handeln und das in ein- und derselben Teamsitzung.“ Ehrlich bohrt nach: „Und, wie wirkt sich das auf das Projektergebnis aus? “ Priesberg kratzt sich am Kopf: „Na, die Teambildung und Lösungsfindung werden dadurch nicht gerade beschleunigt.“ „Und das stört dich nicht? “, fragt Ehrlich. Priesberg spricht erstaunt: „Wenn du es jetzt so sagst, dann stört es mich erheblich und es wundert mich vor allem, dass es mir erst in unserem Gespräch aufgefallen ist. Ich dachte bislang, unser Management möchte uns mehr Freiräume geben, wenn es die Rollen Orchestermusiker und Intrapreneur einfordert.“ „Das entscheidende Wort ist ‚einfordern‘. Wenn man die Rollen so setzt, dann erzeugt das Verwirrung bei allen. Wann bin ich Orchestermusiker? Wann Intrapreneur? Oder noch schlimmer: Wann muss das Team als Orchester funktionieren? Wann können Einzelne sinnvoll ausscheren? “, analysiert Ehrlich. Priesberg ist jetzt voll dabei: „Da diese Anforderung von ‚ganz oben‘ kam, ist sie natürlich dominant und viele werden sich fragen: Was muss ich am besten machen, um einer dieser Rollen gerecht zu werden. Das Team wird somit ausgehebelt, da jeder diese Rolle in seinem Kontext interpretiert und individuell lebt. Lösungen dauern länger oder finden nicht statt. Was wäre denn eine sinnvolle Alternative? “ Ehrlich erläutert: „Man kann diese Rollen durchaus betonen. Allerdings als Option, ohne das Wort ‚müssen‘. Etwa so: ‚Seid euch bewusst, dass es manchmal Situationen geben kann, in denen man als Orchestermusiker oder aber auch entgegengesetzt, als Intrapreneur handeln sollte.“ Priesberg geht einen Schritt weiter: „Das Management sollte als Erstes betonen: ‚Das Projektteam entscheidet autark.‘ Die Widersprüchlichkeit der Rollen verschwindet, da sie dann sinnvoll im Team gelebt werden können.“ „Sehr gut“, grinst Ehrlich. „Jetzt bist du wie Beethoven: Der Erwartungshaltung seiner Zuhörer hat er widersprüchliche Wechsel zwischen laut und leise und abrupt ändernden Tempi entgegengehalten, allerdings so, dass es zu einem großen Ganzen wurde. Er hat seine Kontrollparameter gleich richtig gesetzt.“ Eingangsabbildung: © iStock.com/ Comeback Images Dr. Jens Köhler Dr. Jens Köhler, BASF SE, fokussiert sich auf die Digitalisierung in Forschung und Entwicklung. eMail: Jens.Koehler@basf.com Die Kolumne „Ehrlich und Priesberg“ möchte mit unterhaltsamen Dialogen rund um das Thema „Mensch - Kommunikation, Verhalten, Entscheidungen“ Denkanstöße für den PM- Alltag geben.