PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
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GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.Sparringspartner statt Kontrollorgan
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Oliver Steeger
Täglich bringen die Schweizerischen Bundesbahnen SBB fast 900.000 Reisende ans Ziel. Sie bewegen jeden Tag 185.000 Tonnen Güter über die Schienen der Schweiz. Dies bedeutet auch: Die SBB muss ihre Schienenwege mit allen für den Bahnbetrieb relevanten Anlagen laufend unterhalten, erneuern und ausbauen. Jährlich 2,7 Milliarden Schweizer Franken investiert die SBB in die Erneuerung und den Ausbau der Bahninfrastruktur. Rund 1650 Infrastruktur-Projekte wickeln die SBB parallel ab: von kleineren Bahnhofsanierungen bis zu Großprojekten wie dem Gotthard-Basistunnel oder dem Ausbau des Bahn-Knotenpunkts Zürich. Hinter diesen Projekten stehen nicht nur professionelle Projektteams, sondern vielfach auch leistungsfähige Lenkungsausschüsse. Diese Ausschüsse sind unerlässliche Bindeglieder zwischen Management und Projektorganisation, wie Andreas Brunner, Leiter Ausbau- und Erneuerungsprojekte, und Mitglied der Geschäftsleitung SBB Infrastruktur erklärt. Im Interview erläutert er, welche Rolle und Aufgaben seine Lenkungsausschüsse haben, wie sie zum Projekterfolg beitragen – und weshalb sie sich in schwierigen Zeiten auf die Seite des Projektes schlagen sollten.
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8 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 04/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0067 Lenkungsausschüsse bei den Schweizerischen Bundesbahnen SBB Sparringspartner statt Kontrollorgan Oliver Steeger Täglich bringen die Schweizerischen Bundesbahnen SBB fast 900‘000 Reisende ans Ziel. Sie bewegen jeden Tag 185‘000 Tonnen Güter über die Schienen der Schweiz. Dies bedeutet auch: Die SBB muss ihre Schienenwege mit allen für den Bahnbetrieb relevanten Anlagen laufend unterhalten, erneuern und ausbauen. Jährlich 2,7 Milliarden Schweizer Franken investiert die SBB in die Erneuerung und den Ausbau der Bahninfrastruktur. Rund 1650 Infrastruktur-Projekte wickeln die SBB parallel ab: von kleineren Bahnhofsanierungen bis zu Großprojekten wie dem Gotthard-Basistunnel oder dem Ausbau des Bahn-Knotenpunkts Zürich. Hinter diesen Projekten stehen nicht nur professionelle Projektteams, sondern vielfach auch leistungsfähige Lenkungsausschüsse. Diese Ausschüsse sind unerlässliche Bindeglieder zwischen Management und Projektorganisation, wie Andreas Brunner, Leiter Ausbau- und Erneuerungsprojekte, und Mitglied der Geschäftsleitung SBB Infrastruktur erklärt. Im Interview erläutert er, welche Rolle und Aufgaben seine Lenkungsausschüsse haben, wie sie zum Projekterfolg beitragen-- und weshalb sie sich in schwierigen Zeiten auf die Seite des Projektes schlagen sollten. Herr Brunner, rund 1650 Infrastruktur-Projekte werden in Ihrem Bereich durchgeführt. Das ist ein immenses Portfolio. Nur die mittleren und großen Projekte haben einen Lenkungsausschuss-- was dennoch eine beeindruckende Zahl an Gremien in Ihrem Bereich ergibt. An welchen Ausschüssen beteiligen Sie sich selbst? Andreas Brunner: In einem zentralen Lenkungsausschuss steuern wir strategisch unser gesamtes Portfolio. In diesem Ausschuss geht es etwa um die Finanzierung des Portfolios, um die Priorisierung einzelner Vorhaben und um die Erreichung strategischer Unternehmensziele. Dort kann beispielsweise beschlossen werden, strategisch dringende Projekte vorzuziehen- - etwa die bauliche Anpassung der Bahnhöfe und Haltestellen an die Vorgaben des Behindertengleichstellungsgesetzes. Auch werden hier die Projekte untereinander so koordiniert, dass Bahnbetrieb und Fahrplan funktionieren. Diesen zentralen Lenkungsausschuss leite ich selbst. Die SBB führt einige Großprojekte aus-- mit Investitionen teils im Milliardenbereich. Beteiligen Sie sich auch hier an Lenkungsausschüssen? Ja, die Ausschüsse für Großprojekte mit hoher strategischer Relevanz leite ich ebenfalls. Ein Beispiel für die Substanzerhaltung ist die Instandsetzung des Hauenstein-Basistunnels, ein Beispiel für ein Ausbauprojekt die Modernisierung des Bahnhofs Lausanne. Darüber hinaus leite ich die Ausschüsse für Projekte, die interne strategische Ziele verfolgen. Interne strategische Projekte? In einem strategischen Projekt befassen wir uns mit dem Aufbau und der Einführung von BIM (Building Information Modeling). Wir wollen unsere Projektierung und Realisierung von Baustellen konsequent digitalisieren. Dieses Projekt ist für unser zukünftiges Zusammenarbeitsmodell von großer Bedeutung. Projekte im Bahnwesen sind bekanntlich komplex. Sie werden, wie Eisenbahner sagen, unter rollendem Rad durchgeführt. Im Straßenverkehr kann eine Straße notfalls gesperrt und Umleitungen ausgeschildert werden. Im Bahnverkehr ist dies kaum möglich. Baustellen haben Auswirkungen auf das gesamte Schienennetz, und sie müssen langfristig auf den Tag genau in Fahrplänen eingetaktet werden-… Es gibt dieses Spannungsfeld zwischen Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit im Bahnbetrieb sowie der Bauausführung. pm_04_2022.indb 8 pm_04_2022.indb 8 02.09.2022 13: 52: 58 02.09.2022 13: 52: 58 Reportage | Sparringspartner statt Kontrollorgan 9 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 04/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0067 Einerseits wollen wir die Infrastruktur erneuern und ausbauen, andererseits wollen wir für unsere Kundinnen und Kunden pünktlich Züge verkehren lassen. Somit ist es eine große Herausforderung, die Auswirkungen auf die Reisenden infolge Bauarbeiten möglichst klein zu halten. Das allerdings ist längst nicht die einzige Herausforderung. Die Projekte- - besonders Großvorhaben-- sind sehr komplex geworden, wie etwa bei Verfahren und Vorschriften. Es kommt immer häufiger zu Einsprachen. Wir sind deshalb äußerst bemüht, etwa mit Stakeholdern, Anwohnern und Behörden rechtzeitig gute Lösungen zu finden. Auf die Umweltverträglichkeit wird dabei großes Gewicht gelegt. Der Einhaltung des Kreditrahmens gilt ebenfalls höchste Aufmerksamkeit. Die Baupreise verändern sich derzeit auf Wochensicht. Dagegen erstrecken sich manch Ihrer Projekte über Jahre. Wie können da die Projekte kalkuliert werden? Das ist genau die Herausforderung, vor der wir stehen. Verursacht durch die Pandemie sowie die Ukraine-Krise steigen beispielsweise Materialpreise rasant an. Immerhin können wir derzeit die notwendigen Baustoffe noch beschaffen. Wir beobachten diese Entwicklung und die Auswirkungen einer sich abzeichnenden Inflation genau, um rechtzeitig Maßnahmen zur Stabilisierung unseres Projektportfolios einzuleiten. Neben den Preisentwicklungen stellt der Fachkräftemangel die gesamte Branche vor eine große Herausforderung. Wir versuchen mit attraktiven Anstellungsbedingungen und interessanten Projekten die notwendigen Fachleute, Projektmanagerinnen und Projektmanager für die SBB zu gewinnen. Zu welchen Problemen genau führen der Mangel an Material und Menschen in Ihren Projekten? Generell kann dieser Mangel zu Verzögerungen bei den Projekten führen. Schlimmstenfalls kommt es zum Stillstand während der Bauausführung, was sich auf den Bahnbetrieb auswirkt. Für Reisende kann es dann zu Unannehmlichkeiten in ihrer Reisekette kommen. Das wollen wir unter allen Umständen vermeiden. Die Herausforderungen, die Sie beschreiben, erzwingen in Projekten häufig grundlegende Entscheidungen-- Entscheidungen, die das Projektteam selbst nicht treffen kann. Sie sind Sache des Auftraggebers und der Lenkungsausschüsse, die diese Entscheidungen herbeiführen müssen. Doch daneben haben Ihre Lenkungsausschüsse noch weitere Rollen, Aufgaben und Funktionen. Sie sind ein Bindeglied zwischen Management und Projektorganisation. Im Sinne eines Überblicks-- für was ist ein Projekt- Lenkungsausschuss bei Ihnen zuständig? Lenkungsausschüsse sind aus verschiedenen Fachabteilungen zusammengesetzt und haben vielfältige Rollen und Zuständigkeiten. Unter anderem versuchen sie, die Kundensicht einzunehmen; sie beurteilen die Auswirkungen der Bauarbeiten und prüfen mögliche Alternativen. Zudem priorisieren sie Schlüsselressourcen bei allfälligen Engpässen und dienen als erste Eskalationsstufe zur Bereinigung von Zielkonflikten. Ich sehe den Lenkungsausschuss zudem als Sparringspartner des Projektteams. Der Ausschuss erörtert mit der Projektorganisation die wesentlichen und essenziellen Fragen des Projekts. Er hinterfragt das Projekt aus verschiedenen Blickwinkeln, auch etwa aus der Sicht von Stakeholdern oder Bahnkunden, und sucht dann gemeinsam mit der Projektorganisation nach Antworten auf diese Fragen. Das heißt-- die kritischen Fragen offen diskutieren? Entscheidend dabei sind Offenheit und Dialog auf Augenhöhe. Es kommt darauf an, dass etwa eine Gesamtbeurteilung des Projekts vorgenommen wird. Zum Beispiel: Wo liegen die Risiken und Chancen? Wie ist das Projekt im Zeitplan unterwegs? Wie und was kommunizieren wir gegenüber den Stakeholdern und der Öffentlichkeit? Dafür braucht es eine gute Beziehung zwischen dem Ausschuss und dem Projekt, ein Vertrauensverhältnis. Am Zugersee wird eine Brücke verschoben. Eines von rund 1650 Infrastruktur-Projekten, die die SBB parallel abwickeln. Foto: SBB pm_04_2022.indb 9 pm_04_2022.indb 9 02.09.2022 13: 52: 59 02.09.2022 13: 52: 59 Reportage | Sparringspartner statt Kontrollorgan 10 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 04/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0067 Es geht also nicht vordergründig um „Aufsicht“ und Kontrolle-- sondern um inhaltlich konstruktive Begleitung des Projekts? Auf jeden Fall! Eine Projektorganisation selbst richtet ihren Fokus stark auf Umsetzung und Zielerreichung. Sie ist häufig von ihren Plänen und ihrem Weg überzeugt. Der Lenkungsausschuss dagegen fragt: Was machen wir, wenn es Hindernisse gibt? Was, wenn der Plan nicht so funktioniert, wie das Projektteam es erwartet? Was sind Alternativen zu diesem Plan? Dafür muss der Lenkungsausschuss auch die Projektorganisation selbst beobachten. Er muss rechtzeitig merken, wenn dort etwas nicht funktioniert. Nicht funktioniert-- zum Beispiel? Da kann es um Fragen gehen, ob die richtigen Fachleute im Projekt sind, ob das Projektmanagement richtig aufgestellt ist oder ob bestimmte Abläufe weiter professionalisiert werden müssen. Auch in dieser Hinsicht sollte der Ausschuss das Projekt nicht allein lassen. Selbstverständlich braucht es eine gewisse Kontrollfunktion in einem Projekt. Diese obliegt grundsätzlich den Rollen und Funktionen der Stammorganisation, wie etwa beim Einkauf, beim Finanzwesen oder bei der Rechtsabteilung. Den Lenkungsausschuss selbst sehe ich aber als Projektsteuerungsorgan und weniger als Kontrollorgan im Sinne von Kontrolle für ein Projekt oder ein Portfolio. Weshalb nicht? Zwischen Lenkungsausschuss und Projektorganisation ist das Bestehen eines Vertrauensverhältnisses zentral. Beide Seiten müssen zu der Erkenntnis kommen, dass sie gemeinsam in einem Boot sitzen und nur gemeinsam das Projekt erfolgreich führen können. Die Projektorganisation sollte von Anfang an spüren: Der Lenkungsausschuss unterstützt sie und hilft ihr vorwärtszukommen. Wie wird solch ein Vertrauen aufgebaut und entwickelt? Nach meiner Erfahrung ist es gut, wenn der Ausschuss mit der verantwortlichen Projektmanagerin oder dem verantwortlichen Projektmanager einen transparenten Dialog führt. Ich empfehle, zu Beginn des Projektes gemeinsam eine Auslegordnung über die Zusammenarbeit vorzunehmen: Wo sind aus Sicht der Projektorganisation Chancen und Risiken des Vorhabens? Was unternimmt die Projektorganisation, um die Chancen zu nutzen und den Risiken vorzubeugen? Besonders durch die frühe Diskussion der Risiken wird anerkannt, dass es in jedem Projekt auch schwierige Aspekte gibt-- über die man sich offen und auf Augenhöhe austauschen will. Der Dialog über die Risiken, Herausforderungen und schwierigen Aspekten des Vorhabens ist damit eine Art „Eisbrecher“? Ja. Er macht deutlich, dass der Lenkungsausschuss wirklich an Fortschritt und Erfolg des Projekts mitwirken will. Dass er Interesse an Erfolg und Wohlergehen des Projekts hat. Dies ist ein bedeutsames Signal. Solche Signale unterstützen die Zusammenarbeit. Sie ergeben sehr gute Anknüpfungspunkte. Wie setzen sich Lenkungsausschüsse bei Ihnen zusammen? Wer ist bei Ihnen in den Ausschüssen tätig? Die Mitglieder des Lenkungsausschusses kommen aus dem Management-- also aus der Hierarchie. Die Leitung des Lenkungsausschusses wird in der Regel durch den hierarchischen Vorgesetzten des Projektleiters wahrgenommen. Die Mitglieder rekrutieren sich aus Leitungsfunktionen der betroffenen Linienbereichen. Vertreter aus dem Finanzbereich wirken mit, häufig auch aus dem Einkauf. Ebenfalls holen wir vielfach Vertreter aus den Eisenbahnverkehrsunternehmungen hinzu, etwa aus dem Personenverkehr und Güterverkehr. Sie sind die Stakeholder der Projekte. Bei Ihnen sind auch Stakeholder im Lenkungsausschuss vertreten? Diese Beteiligung vereinfacht beispielsweise Abstimmungen. Wie Sie eingangs gesagt haben, wir arbeiten unter rollendem Rad. Viele unserer Projekte haben Einfluss auf den täglichen Bahnverkehr, wie etwa durch Sperrzeiten an Baustellen. Über die Stakeholder holen wir die Kundensicht in den Lenkungs- Tunnelarbeiten bei der SBB. Hinter solchen Projekten stehen nicht nur professionelle Projektteams, sondern vielfach auch leistungsfähige Lenkungsausschüsse. Foto: SBB pm_04_2022.indb 10 pm_04_2022.indb 10 02.09.2022 13: 53: 01 02.09.2022 13: 53: 01 project process change agile project process change agile www.nextlevelconsulting.com Experten für Ihren Erfolg. Wir unterstützen Sie dabei, Projekte durchzuführen, Prozesse zu verbessern und Veränderungen so zu steuern, dass Ihr Unternehmen den größtmöglichen Nutzen daraus ziehen kann. Unser erfahrenes Team von internationalen Expert*innen steht für Sie bereit mit branchenspezifischem Know-how. Energie für Ihre Ziele. Kundenzufriedenheit ist der Maßstab für unseren Erfolg. Mit Begeisterung, Leidenschaft und Verstand unterstützen wir Menschen und Organisationen, ihre Struktur und Kultur erfolgreich zu entwickeln. Wir bieten Ihnen: Training, Beratung, Coaching, Interim Management und begleiten Ihr Unternehmen durch die digitale Transformation! Profitieren Sie zusätzlich von unseren zahlreichen Aus- und Weiterbildungsangeboten und Projekt- und Prozessmanagement-Tools. 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Ein Beispiel: Angenommen, wir spielen im Lenkungsausschuss verschiedene Planungsszenarien durch und bei einem Szenarium könnten bauseits die Kosten reduziert werden; jedoch brauchen wir dafür eine Woche mehr Bauzeit. Dies kann aus Projektsicht verlockend sein, die Stakeholder bringen dann aber die Argumente aus Kundensicht ein. Dieses Abwägen der unterschiedlichen Sichten bringt die beste Lösung für das Gesamtsystem. Bei allen Überlegungen hat die Gewährleistung der Sicherheit jedoch oberste Priorität. Was zeichnet aus Ihrer Sicht einen guten Lenkungsausschuss aus? Welche Qualitäten sollte ein guter Ausschuss haben? Aus meiner Sicht sind drei Punkte wichtig. Erstens, ein Lenkungsausschuss muss überhaupt die Möglichkeit haben, auf die Entwicklung eines Projekts positiven Einfluss zu nehmen, also tatsächlich zu steuern und zu begleiten. Zweitens, die Fähigkeit ist wichtig, die im Projekt auftauchenden Themen, Risiken und Entscheidungen zu antizipieren. Drittens, der Ausschuss braucht eine gute Vernetzung mit den Entscheidungsträgern. Die Mitglieder des Ausschusses sollten im Unternehmen gut vernetzt sein. Dieses Netzwerk hilft, insbesondere in schwierigen Projektphasen, die richtigen Personen zusammenzubringen. Vorhin sagten Sie, dass die Mitglieder Ihrer Lenkungsausschüsse aus dem Linienmanagement kommen. Man hört allgemein, dass für die Arbeit in Lenkungsausschüssen Projekt-Erfahrungen benötigt werden-- oder zumindest das Wissen vorhanden ist, wie Projekte funktionieren. Gute Ausschussmitglieder sind im Idealfall Grenzgänger zwischen Linie und Projekt; sie können sich in beiden Welten bewegen? Das ist richtig. Es ist manchmal anspruchsvoll, Mitglieder für Lenkungsausschüsse im Unternehmen zu finden, die beide Welten gut verstehen. In der Regel gelingt es uns aber, kompetente und auf die Bedürfnisse des Projekts ausgerichtete Lenkungsausschüsse zusammenzustellen. Wie finden Sie Managerinnen und Manager, die beide Seiten verstehen? Wir rekrutieren gezielt Führungskräfte aus der Linie und versuchen sie für die Ausschüsse zu gewinnen. Die Hierarchieebene spielt dabei eine Rolle, die individuelle Vernetzung im Konzern und die geforderte Linienposition. Dann entscheiden wir, wer in welche Gremien passt und welche Beiträge er leisten könnte. Danach lassen wir neue Ausschussmitglieder Erfahrungen sammeln. Viele beginnen in Ausschüssen für mittlere Projekte, lernen die Aufgaben und Arbeitsweisen kennen und beteiligen sich später an den Ausschüssen für größere Projekte. Sie lassen die Mitglieder an ihren Aufgaben wachsen? Im Projektmanagement ist dies nicht anders. Neue Projektmanagerinnen und Projektmanager starten kaum mit einem komplexen und strategisch relevanten Großprojekt. Sie beginnen mit einfacheren Projekten. So muss es auch bei Mitgliedern von Lenkungsausschüssen sein. Bei einem komplexen Infrastrukturprojekt ist es für Ausschussmitglieder äußerst herausfordernd, Sparringspartner des Projekts zu sein. Die Projektorganisation bringt oft sehr viel Erfahrung und Kompetenz mit. Mitglieder von Ausschüssen sollten in der Lage sein, das Projekt in seiner Komplexität zu verstehen und dann die richtigen Fragen zu stellen. Langjährige Erfahrung mit komplexen Großprojekten ist da hilfreich. Weil sonst-- bei einer schwachen Besetzung-- eine Ausschusssitzung zu einer Show des Projektleiters werden kann-…? Dies ist theoretisch möglich. Der Projektleiter könnte feststellen, dass sein Lenkungsausschuss nicht genau erfassen kann, was im Projekt vor sich geht. Er könnte geneigt sein, das Projekt in ein günstiges Licht zu rücken-… … gewissermaßen alle Projekt-Ampeln auf grün stellen? Die Aufgabe des Lenkungsausschusses wird es in diesem Fall sein, dem Projektmanager die richtigen Fragen zu stellen und so das Projekt auf Kurs zu steuern. Bei der Auswahl der Aus- Eine Baustelle eines Großprojekts in Bern. Die Lenkungsausschüsse, die solche Vorhaben begleiten, sind unerlässliche Bindeglieder zwischen Management und Projektorganisation. Foto: SBB pm_04_2022.indb 12 pm_04_2022.indb 12 02.09.2022 13: 53: 02 02.09.2022 13: 53: 02 Reportage | Sparringspartner statt Kontrollorgan 13 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 04/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0067 schussmitglieder ist das Ziel, einen dem Projekt adäquaten Lenkungsausschuss gegenüberzustellen. Zum Beispiel sagte ich vorhin, dass der Linienvorgesetzte des Projektmanagers vertreten ist. Ob dies aber der direkte Vorgesetzte oder ein Vorgesetzter, der eine oder zwei Hierarchiestufen über ihm ist-- dies wird man von Fall zu Fall sehen. Einige Unternehmen bieten ihren Lenkungsausschüssen Schulungen an, teilweise sogar obligatorische. Wie stehen Sie dazu? Bei uns gab es solche Schulungen, die sich jedoch nicht bewährt haben. Die Zahl unserer Ausschussmitglieder ist überschaubar. Manche arbeiten in mehreren Ausschüssen parallel, andere beteiligen sich nur einmal an einem Ausschuss. Der Schulungsaufwand könnte abschreckend auf einige Mitglieder wirken-- vielleicht, weil sie bereits seit zwanzig Jahren in Ausschüssen arbeiten. Wie sollen wir ihnen erklären, dass sie plötzlich an einer Schulung teilnehmen sollen? Sprechen wir bitte über das einzelne Ausschussmitglied. Welche Persönlichkeitsmerkmale sollte die Person für die Arbeit im Lenkungsausschuss mitbringen? Begeisterungsfähigkeit und Neugier sind aus meiner Sicht zentrale Persönlichkeitsmerkmale, um einen Lenkungsausschuss erfolgreich zu leiten. Die Ausschussmitglieder müssen gewillt sein, Dinge zu hinterfragen: Wie geht das Projektteam vor? Was macht es genau? Welche Alternativen gibt es zu dieser Vorgehensweise? Hinzu kommt: Viele Projektteams identifizieren sich mit ihrem Vorhaben und begeistern sich für ihre Arbeit. Der Ausschuss sollte die Begeisterung und die Arbeit des Teams für das Projekt teilen- - bei aller kritischer Distanz. Außerdem brauchen die Mitglieder ein bestimmtes Maß an persönlicher, emotionaler Stabilität. Für die Arbeit im Lenkungsausschuss sind reine Schönwetterpiloten wenig geeignet. Emotionale Stabilität-- wie darf ich dies verstehen? Emotionale Stabilität ist notwendig, um die Verschiedenartigkeit im Team und dadurch eine Auseinandersetzung in der Sache zuzulassen. Speziell in schwierigen Projektphasen kann diesem Merkmal eine Schlüsselrolle zukommen. …-und da dürfen die Ausschussmitglieder keine kalten Füße bekommen? Ganz bestimmt nicht. In solchen Schlechtwetter-Phasen muss sich der Lenkungsausschuss vor das Projekt stellen. Er muss die Kommunikation etwa in die Linienorganisation übernehmen, damit das Projektteam im Hintergrund unbeeinträchtigt arbeiten kann. Menschen, die zu Unruhe oder zu Aktionismus neigen, tun sich mit solchen Situationen schwer. In letzter Konsequenz heißt dies: Wir brauchen im Lenkungsausschuss starke Führungspersönlichkeiten. Sie müssen fähig sein, auch unter Druck Problemlösungen ruhig zu diskutieren und das Projekt wieder auf Kurs zu bringen. Das schließt ein, dass sie die Energie und Motivation erhalten können- - nicht nur für sich selbst, sondern auch im Team. Im Ernstfall muss der Ausschuss Partei nehmen für das Projekt-- und nicht für die Linienorganisation, aus der er stammt? In schwierigen Zeiten bringt es nichts, wenn der Ausschuss das Projekt zusätzlich unter Druck setzt. Er ist mitverantwortlich für das Projekt. Seine Aufgabe ist, der eigenen Linienorganisation die Lage und die Lösungswege zu erklären. Deswegen kommt es so sehr auf das Vertrauensverhältnis zwischen Projekt und Ausschuss an! Die Projektorganisation muss spüren, dass der Ausschuss sich in schwierigen Projektphasen nicht auf die Position des Managements zurückzieht. Die Projektorganisation beobachtet das Verhalten der Mitglieder seines Lenkungsausschusses sehr genau. Dessen müssen sich die Mitglieder eines Ausschusses bewusst sein. Gestatten Sie mir eine Abschlussfrage. Wir haben über die Funktion, Aufgaben und die Verantwortung der Mitglieder in Lenkungsausschüssen gesprochen und die erforderlichen Eigenschaften diskutiert, die Ausschussmitglieder mitbringen sollten. Bei alledem-- was macht die Tätigkeit in einem Lenkungsausschuss attraktiv? Was motiviert Menschen bei den SBB, in den Ausschüssen mitzuwirken? Viele schätzen den Austausch zu sehr spannenden Themen. Ich höre immer wieder, dass Mitglieder im Lenkungsausschuss viel lernen- - besonders, wenn sie sonst mit eher abstrakten Management-Themen zu tun haben. Im Lenkungsausschuss werden sie mit alltäglichen, sehr praktischen Problemen im Projektgeschäft konfrontiert. Also ein Kontrast zur Tagesarbeit? Ja, und das ist für viele attraktiv. Sie finden den Dialog im Ausschuss persönlich sehr bereichernd. Die Mitglieder schätzen es, aktiv ein Vorhaben mitzugestalten und am Ende ein Ergebnis sehen zu können. Sie haben vor Augen, was im Projekt etwa über Monate oder Jahre gewachsen ist. Ich beobachte, dass viele Mitglieder unserer Lenkungsausschüsse persönlich sehr viel Energie und Zufriedenheit aus dieser Arbeit ziehen. Auch ein gewisser Stolz auf das Projektergebnis? Selbstverständlich! Wir feiern übrigens Projekterfolge nicht nur in der Projektorganisation, sondern auch im Ausschuss. Eben weil beide Seiten- - Projektorganisation und Lenkungsausschuss-- unerlässlich sind für diesen Erfolg. Eingangsabbildung: Gleisarbeiten bei St. Gallen. © Foto: SBB Andreas Brunner Andreas Brunner, Mitglied der Geschäftsleitung SBB Infrastruktur, ist diplomierter Ingenieur ETH und seit bald 20 Jahren bei der SBB tätig. In seiner aktuellen Funktion als Leiter des Geschäftsbereichs Ausbau- und Erneuerungsprojekte verantwortet er mit rund 1600 Mitarbeitenden schweizweit ein Portfolio von rund 1650 Projekten mit einem jährlichen Investitionsvolumen von rund 2,7 Milliarden Schweizer Franken. Ein großes Anliegen sind ihm die Chancen der Digitalisierung, welche er unter anderem in seiner Funktion als Vorstandsmitglied des Verbandes «bauen digital Schweiz / building SMART switzerland» fördert. pm_04_2022.indb 13 pm_04_2022.indb 13 02.09.2022 13: 53: 03 02.09.2022 13: 53: 03