eJournals PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL 33/4

PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
pm
2941-0878
2941-0886
UVK Verlag Tübingen
10.24053/PM-2022-0068
91
2022
334 GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.

„Der Auftraggeber muss sich vor das Team stellen“

91
2022
Oliver Steeger
Geoinformationssysteme helfen Stadtwerken Übersicht zu halten. In dem digitalen System ist das städtische Versorgungsnetz detailliert dokumentiert: Straße für Straße, minutiös bis zu jeder Leitung und jedem Absperrhahn. In dem System finden Mitarbeiter alle Informationen, um beispielsweise neue Anschlüsse für Wasser, Strom und Gas zu planen. Das STADTWERK AM SEE (Friedrichshafen und Überlingen) sieht in seinem Geoinformationssystem einen wichtigen Baustein für digitalisierte Prozesse. „Wir müssen nicht mehr vor Ort die Sachlage prüfen“, sagt Mark Kreuscher, Geschäftsbereichsleiter Netze und Prokurist bei STADTWERK AM SEE GmbH & Co. KG. Das allermeiste wird vom Schreibtisch aus erledigt. Kürzlich hat das STADTWERK AM SEE sein Geoinformationssystem erneuert. Interner Auftraggeber des Projekts war Mark Kreuscher. Während der Corona-Pandemie arbeitet er eng mit dem Projektteam zusammen. Vorbildlich, wie die PM-Organisation „pma – Projekt Management Austria“ meint. 2021 zeichnete sie Mark Kreuscher aus als „Project Owner of the Year“.
pm3340014
14 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 04/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0068 Mark Kreuscher, „Project Owner of the Year“ (pma) „Der Auftraggeber muss sich vor das Team stellen“ Oliver Steeger Geoinformationssysteme helfen Stadtwerken Übersicht zu halten. In dem digitalen System ist das städtische Versorgungsnetz detailliert dokumentiert: Straße für Straße, minutiös bis zu jeder Leitung und jedem Absperrhahn. In dem System finden Mitarbeiter alle Informationen, um beispielsweise neue Anschlüsse für Wasser, Strom oder Gas zu planen. Das STADTWERK AM SEE (Friedrichshafen und Überlingen) sieht in seinem Geoinformationssystem einen wichtigen Baustein für digitalisierte Prozesse. „Wir müssen nicht mehr vor Ort die Sachlage prüfen“, sagt Mark Kreuscher, Geschäftsbereichsleiter Netze und Prokurist bei STADTWERK AM SEE GmbH & Co. KG. Das allermeiste wird vom Schreibtisch aus erledigt. Kürzlich hat das STADTWERK AM SEE sein Geoinformationssystem erneuert. Interner Auftraggeber des Projekts war Mark Kreuscher. Während der Corona-Pandemie arbeitete er eng mit dem Projektteam zusammen. Vorbildlich, wie die PM-Organisation „pma - Projekt Management Austria“ meint. 2021 zeichnete sie Mark Kreuscher aus als „Project Owner of the Year“. Das Stadtwerk am See versorgt Bürger und Unternehmen am Bodensee unter anderem mit Gas, Wasser, Strom, Wärme, E-Mobilität und Breitbandkommunikation. Damit sind Sie auch verantwortlich für die sogenannte “letzte Meile“-- also für die lokalen Kabel, Leitungen und Versorgungseinrichtungen, die Energie und Internet ins Haus bringen. Als Stadtwerk haben Sie präzise Übersicht über diese Infrastruktur. Das Versorgungsnetz liegt größtenteils unter der Straße. Wie hilft Ihnen ein Geoinformationssystem, über diese komplexe, verborgene Welt Übersicht zu halten? Mark Kreuscher: Unsere Software GIS- - die Abkürzung für Geoinformationssystem- - beinhaltet alle geografischen und technischen Informationen. Dieses System kann man sich gut als eine digitale Landkarte vorstellen, wie Sie sie etwa von Navigationsgeräten oder Smartphones her kennen. Ähnlich wie eine App, auf deren Karten man Gebäude, Straßen und sogar Bahnstationen erkennt? Richtig-- nur, dass Sie in unserem System exakt jede Leitung, jeden Absperrhahn, jeden Stromkasten und jeden Hausanschluss erkennen. Jede Art von technischer Anlage ist auf den Zentimeter genau erfasst und mit allen relevanten technischen Informationen dokumentiert. Auf Basis dieser Arbeitsgrundlage können wir überhaupt Netzplanung machen und Planauskünfte geben. Wenn Sie ein Bürger mit einem neuen Hausanschluss beauftragt-- dann erkennen Sie in diesem System genau, wo sich die Leitungen vor dem Haus befinden und wie Sie den Auftrag optimal ausführen können? Wir verfügen heute über hochauflösendes Material, darunter viele Luftbilder. Wir haben eigene Drohnen und sind damit Teile unseres Netzgebietes abgeflogen. Des Weiteren nutzen wir Luftbilder aus öffentlichen Quellen. Heute können wir in diese Fotos hineinzoomen und Detailinfos erkennen-- bis hin zu einer einzelnen Schieberkappe mit ihrer Beschriftung. Wir versuchen, so weit wie möglich alles zu digitalisieren. Wie erklärt sich dieses ehrgeizige Ziel? Wir wollen so viel wie möglich vom Schreibtisch aus planen. Deshalb ist es wichtig, dass wir alle Informationen am Bildschirm verfügbar haben. pm_04_2022.indb 14 pm_04_2022.indb 14 02.09.2022 13: 53: 04 02.09.2022 13: 53: 04 Reportage | „Der Auftraggeber muss sich vor das Team stellen“ 15 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 04/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0068 Also nicht mehr erst herausfahren und vor Ort prüfen, wie man was anschließen kann? Richtig. Das System ist wirklich sehr umfangreich. Ein Beispiel: Friedrichshafen war früher Rüstungsstandort. Die Stadt wurde im Zweiten Weltkrieg stark zerstört. In unserem Geoinformationssystem sind beispielsweise Verdachtsfälle auf Munitionsfunde verzeichnet. Ähnliches gilt für potenziell kontaminierte Bodenflächen oder archäologisches Gelände. Man kann sofort erkennen, welche begleitenden Maßnahmen für den Bau nötig sind. Solche Informationen sind für Planung und Ausführung von großer Bedeutung. Offen gesagt, es ist eigentlich selbstverständlich, dass wir über ein Geoinformationssystem verfügen. Wir haben das System, das wir im Kern seit 1993 haben, kürzlichen in einem Projekt erneuert. Dies hat uns strategisch vorangebracht. Strategisch? Inwieweit? Unser strategischer Hauptfokus liegt heute auf automatisierten Prozessen. Wir wollen die Abläufe in unserem Haus digitalisieren und automatisieren. Ein Vorteil ist, dass unsere Mitarbeiter heute von ihrem Schreibtisch aus planen, entscheiden und etwa Baufirmen beauftragen können. Wir müssen uns nicht mehr zu mehreren vor Ort treffen und die Sachlage prüfen. Das spart Kosten, und aus Sicht des Kunden werden Anliegen und Aufträge bei uns wesentlich schneller bearbeitet als früher. Hinzu kommt: Die Auftragsbearbeitung läuft komplett digital von Kundenanfrage, Planung, Genehmigung, Ausschreibung, Beauftragung von Bauunternehmen, Abrechnung mit Auftragnehmern bis hin zur Kundenrechnung und gesamten revisionssichereren Archivierung. Das System, bei dem die Ressourcenplanung funktioniert Ressourcenmanagement Projektportfolio-Management Aufwand- & Kosten-Controlling Projektplanung Unverbindlich online kennenlernen! www.ressolution.ch Scheuring AG +41 61 853 01 54 info@scheuring.ch Obwohl viele Stellen daran mitwirken, hat unser Kunde nur einen Ansprechpartner-- auch dann, wenn er Anschlüsse für Gas, Wasser, Strom und Breitbandkommunikation gebündelt beauftragt. Die Fachbereiche erstellen dann ein Angebot und eine Rechnung-- und nicht, wie früher, für jedes Produkt einzeln. Der Kunde spart also Aufwand und Zeit-… …-und Sie selbst sparen Geld durch schlanke, digitale Prozesse? Natürlich können dadurch Kosten reduziert werden. Die eine oder andere Gebührenerhöhung etwa durch steigende Baupreise können wir dadurch vermeiden. Doch unser Unternehmen versteht sich eher als Qualitätswettbewerber, nicht als Preiswettbewerber. Und das Geoinformationssystem ist ein wichtiger Baustein, unsere Qualität zu verbessern. Eben sagten Sie, dass Sie kürzlich in einem Projekt Ihr Geoinformationssystem erneuert haben. Sie selbst waren interner Auftraggeber des Projekts, haben während der Corona-Pandemie eng mit einem internen Projektteam zusammengearbeitet-- und sind dafür 2021 mit dem Award „Project Owner of the year“ von pma-- Projekt Management Austria ausgezeichnet worden. Der österreichische Verband lobt, wie Sie Ihre Rolle als Auftraggeber des Projekts ausgefüllt und damit zum Projekterfolg beigetragen haben. Wie kam es zu diesem Projekt? Geoinformationssysteme sind nichts Neues für uns, wie gesagt. Der Hersteller hat uns allerdings 2018 mitgeteilt, er werde für das System, das wir damals hatten, den Support einstellen. Wir standen damit vor der Frage, ob wir künftig ohne Support auskommen können- - oder ob wir Ausschau halten müssen nach einer zukunftsweisenden Alternative, die unsere strategischen Belange vielleicht noch besser abdeckt. Die Entscheidung haben wir schnell getroffen: Ein neues System. Deshalb haben wir unser internes Projekt „GIS-Erneuerung“ aufgesetzt. Wir haben eine Potentialanalyse gemacht und die Schwachstellen des alten Systems analysiert. Wir wollten das alte System nicht nur ersetzen; ein Ziel war es, ein für uns leistungsfähigeres System zu bekommen und zusätzlichen Mehrwert zu generieren. Wo lagen aus Ihrer Sicht als Auftraggeber die wesentlichen Herausforderungen dieses Projekts? Das Projekt musste bei uns im Haus neben dem Tagesgeschäft durchgeführt werden. Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind auch ohne zusätzliche Projekte gut ausgelastet. Das heißt: Wir hatten Freiräume für das Team zu schaffen und Aufgaben zu priorisieren. Da war ich als Auftraggeber des Projekts gefragt, Ressourcen jeglicher Art bereitzustellen. Aus Ihrer Erfahrung-- wie kann der Auftraggeber dabei unterstützen? Erstens ist gegenseitiges Vertrauen erforderlich. Ich halte Vertrauen für eine Grundvoraussetzung, damit die Zusammenarbeit zwischen dem Auftraggeber und dem Projektteam gelingt. Zweitens Kommunikation über das unmittelbare Projekt hinaus: Ich habe dem Team die Strategie dargelegt, die wir im Unternehmen mit dem Projekt verfolgen. Welche Position hat das Projekt in dieser Strategie? Welches Ziel verfolgen wir mit der Realisierung des Geoinformationssystems? Anzeige pm_04_2022.indb 15 pm_04_2022.indb 15 02.09.2022 13: 53: 05 02.09.2022 13: 53: 05 Reportage | „Der Auftraggeber muss sich vor das Team stellen“ 16 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 04/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0068 Wie bringt uns das Projekt voran? Also sehr intensiv die Ziele mit der dahinterliegenden Strategie verdeutlicht. Drittens, das Team brauchte Freiraum und klare Leitplanken. Dazu zählt die klare Kommunikation von Deadlines und das Schaffen von Kommunikationsstrukturen. Wie will man als Auftraggeber ins Berichtswesen eingebunden werden? Dazu gehört auch der Rahmen der Zusammenarbeit. Ich wollte, dass das Team selbst lösungsorientiert entscheidet. Also als Auftraggeber dem Team keine Entscheidungen vorgeben? Zumindest keine operativen Entscheidungen etwa zu Projektdetails. Meine Aufgabe war es, Spielraum für solche Entscheidungen zu geben und diesen Spielraum zu verdeutlichen. Als Auftraggeber kann ich bestenfalls Ideengeber sein. Die Fachleute sitzen im Team. Sie haben selbst Projektmanagement gelernt und Projekte geleitet. Juckte es Ihnen in den Fingern, die Führung im Projekt selbst einmal zu übernehmen? Nein. Bekanntlich führen viele Wege nach Rom. Besonders jüngere Mitarbeiter haben andere Herangehensweisen, um Herausforderungen zu lösen. Dies galt besonders für unser Projekt. Ich erwarte nicht, dass ein Projektleiter so arbeitet und entscheidet, wie ich es an seiner Stelle tun würde. Natürlich muss man als Auftraggeber darauf achten, dass die eingeschlagenen Wege innerhalb der Leitplanken bleiben-- und nicht mit Umwegen über Amerika nach Rom führen. Dies bedeutet dann für den Auftraggeber, die Entscheidungen und Arbeitsweise des Teams zu unterstützen. Neben den Freiräumen und Ressourcen gehörte in unserem Projekt auch Knowhow dazu. Wir brauchten Weiterbildung für Teammitglieder und auch zusätzliche Fachexperten im Projekt, teils aus dem eigenen Unternehmen, teils von außen. Um die Bereitstellung muss sich ein Auftraggeber kümmern. Ihr Projekt fiel in die Zeit der Pandemie und des Lockdowns. Wie haben sich diese Erschwernisse ausgewirkt auf Ihr Projekt? So schlimm diese Zeit im Allgemeinen auch war-- sie hat uns im Projekt glücklicherweise keine großen Probleme gemacht. Im Unternehmen hatten wir ohnehin früh auf Digitalisierung gesetzt; mobiles Arbeiten war uns vor der Pandemie bereits bekannt. Wir waren gut vorbereitet. Trotzdem kam es im Team zu Belastungen. Unsere Teammitglieder hatten teils die ganze Familie zuhause. Ich habe dem Team immer wieder erklärt, dass es wichtig war, an den Hauptthemen des Projekts zu arbeiten. Also Prioritäten zu setzen? Natürlich! Ich habe auch nicht die Arbeitsstunden gezählt. Jeder hat sich so organisiert und hat so gearbeitet, wie es bei ihm passte. Also flexibel. Natürlich hat es am Anfang etwas geruckelt, und es brauchte Zeit, bis sich wirklich alle etwa an Videokonferenzen gewöhnt hatten oder mit digitalen Whiteboards umgehen konnten. Auch die persönliche Begegnung fehlte-… Bekanntlich werden viele gute Ideen in der Kaffeeküche produziert. Natürlich. Das haben alle Beteiligten schmerzlich vermisst. Ich habe versucht, das Positive zu sehen-- und dem Team diese Sichtweise klarzumachen. Das hängt stark mit dem Vertrauen zusammen, über das wir eben gesprochen haben. Ich weiß natürlich, dass diese Zeit für mein Team teils schwierig war. Wie haben Sie mit dem Team kommuniziert? Auf Zuruf? Anfangs hatten wir einen regelmäßigen Jour fixe. Später haben wir in der Tat auf Zuruf kommuniziert. Diese Kommunikation ist auch Teil meiner Führungskultur. Meine Mitarbeiter wissen, dass sie mich mit einem Problem ansprechen können- - ganz ohne Termine und Voranmeldung. Generell gesagt: Arbeite ich nicht selbst gerade konzentriert an einer Aufgabe, ist meine Türe offen. Mitarbeiter können mit mir sprechen. Das setzt voraus, dass ich meine Arbeit vernünftig strukturiere. Inwiefern vernünftig strukturiere? Die offene Türe darf für mich kein Lippenbekenntnis sein. Nach meiner Erfahrung sollte man für die Rolle eines Projekt- Auftraggebers Zeit einplanen und zeitliche Flexibilität mitbringen. Also trotz des Tagesgeschäft und der Tagesstruktur sollte man für spontane Fragen und Gespräche mit dem Team bereitstehen. Auch dann, wenn es vielleicht gerade nicht in die Planung passt? Ich habe vorhin das Vertrauen genannt. Also darauf vertrauen, dass jemand Sie nur anspricht, wenn es wirklich wichtig ist? Wenn es für ihn wichtig ist. Für das Team muss die Bereitschaft erkennbar sein, dass sein Auftraggeber den Dialog erlaubt und vor allem die Sorgen und Bedürfnisse des Teams ernst nimmt. Wir hatten zwei Phasen, in denen das Projekt nicht wie erwartet und geplant fortgeschritten ist. Das hat im Team Sorgen und Frustration ausgelöst. Da muss man wirklich zuhören-- auch dann, wenn man vielleicht selbst den Eindruck hat, dass das Team sich mit seinen Wahrnehmungen und Bedenken täuscht. Und das alles nicht so schwierig ist wie es scheint. Ich habe immer versucht, die Wahrnehmungen im Team als wichtig zu erkennen-- und das Team dann zu unterstützen, seine Probleme selbst in eine lösungsorientierte Bahn zu bringen. Einige Projekt-Auftraggeber versuchen, ihren Projektteams den Rücken freizuhalten-- damit diese sich auf ihre Arbeiten konzentrieren können. Gab es auch bei Ihrem Projekt Situationen, in denen Sie sich vor Ihr Team gestellt haben? Natürlich gab es solche Situationen. Wir erleben derzeit eine große Dynamik und Unruhe in der Energiebranche. Früher haben wir vielleicht alle zwei Jahre unsere Unternehmensstrategie angepasst. Heute diskutieren wir die Strategie zwei oder drei Mal im Jahr. Dabei geht es auch immer darum, dass man strategisch richtige Prioritäten setzt. Prioritäten setzen heißt dann auch: Man lässt etwas weg, verzichtet auf etwas oder verändert Projekte. Genau dies fällt vielen Menschen schwer zu verstehen. Es kann schwierig für einige sein, eigene Prioripm_04_2022.indb 16 pm_04_2022.indb 16 02.09.2022 13: 53: 05 02.09.2022 13: 53: 05 Reportage | „Der Auftraggeber muss sich vor das Team stellen“ 17 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 04/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0068 täten zu verändern oder veränderte Prioritäten nachzuvollziehen. Als Auftraggeber hat man viel zu erklären- - und natürlich auch die schützende Hand über sie halten. Konkret? Unser Projektleiter hat mich öfters angesprochen und mir erklärt, weshalb er nicht weiterkommt. In einigen Projektphasen hatten wir widersprüchliche Ziele und Anforderungen. Dies hat die Arbeiten gelähmt und das Team frustriert. Wie kam es zu diesen Widersprüchen? Wir hatten einen Lenkungsausschuss für unser Projekt. Als Auftraggeber war ich für die Abstimmungen im Lenkungsausschuss zuständig. In dem Ausschuss haben wir beispielsweise diskutiert, ob das Projekt noch im Korridor von Terminen, Budget und Fertigstellung war. Sind die wesentlichen Aufgaben im Projekt umgesetzt worden? Passen die Ressourcen noch zu den Aufgaben? Welche Sichtweisen und Meinungen gibt es zu den unterschiedlichen Themen? Meine Aufgabe war es, dort zu moderieren und Ausgleich zu schaffen. Am Projekt waren mehrere Partner beteiligt und im Ausschuss vertreten, darunter waren auch Gesellschafter in unserem Unternehmen. Da sind unterschiedliche Interessen, Bedürfnisse und Perspektiven auf das Projekt zusammengekommen. Kleinere Partner wollten beispielsweise auf Features verzichten, zugunsten von Budget und Terminen. Größere brauchten einen erweiterten Funktionsumfang. Wie darf ich mir das genau vorstellen? Die Softwarelösung gibt es in einer Basisversion mit einer Grundausstattung. Für zusätzliche Features muss man bezahlen und Zeit einplanen. Das ist ähnlich wie beim Autokauf. Will ich beim Auto eine vierstufige Sitzheizung, weil ich es häufig im Winter benutze- - dann kostet das Geld und vielleicht auch ein paar Wochen zusätzliche Lieferzeit. Wenn man sich allein ein Auto kauft, sind solche Entscheidungen einfach. Schafft man sich eines gemeinsam an, gehen die Vorstellungen auseinander. Da muss man die individuelle Konfiguration untereinander aushandeln- - möglichst, bevor das Projektteam startet. Aufgabe von Projektauftraggebern ist es, solche divergierenden Erwartungen zusammenzuführen-… …- und möglichst widerspruchslose Ziele daraus zu bilden. Ich habe im Lenkungsausschuss einerseits solche Fragen sorgfältig diskutiert. Andererseits habe ich auch auf Klärung, Einigung und Abschluss gedrängt. Das Projekt brauchte klar definierte Ziele und verlässliche Entscheidungen. Stein des Anstoßes bilden häufig Budget und Terminplan-- also Zeit und Geld. Alle Partner zahlen für das Gesamtpaket der Softwarelösung-- aber einige brauchen nur eine reduzierte Ausstattung-…? Da gab es auch bei uns Diskussionen. Wer zahlt für was? Und wie lange dauert das alles? Diese Diskussion begleitet ein Projekt. Auf der ersten und zweiten Sitzung unseres Lenkungsausschusses schien alles noch recht einfach. Da hieß es: Es passt schon! Später meldete der Projektleiter die eine oder andere kleinere Budgetüberschreitung. Da gab es Stirnrunzeln auf den Gesichtern der Ausschussmitglieder? Selbstverständlich. Und je enger der Zeitrahmen und Budgetrahmen dann wurde, desto mehr drängten die Mitglieder auf Ergebnisse. Da wurden die unterschiedlichen Sichtweisen auf Funktionsumfang und Qualität sichtbar. Es gab Vorschläge, auf bestimmte Features zu verzichten und sie später zu integrieren-- allein, um im Rahmen von Zeit und Kosten zu bleiben. Was spricht dagegen? Mit dem System arbeiten sehr viele Kolleginnen und Kollegen in unseren Unternehmen. Es ergibt keinen Sinn, die Realisierung bestimmter Software-Funktionen zu verschieben nur der Termine wegen. Haben Sie sich einigen können? Haben wir! Doch der Weg war nicht immer leicht. Natürlich kann man als Auftraggeber nicht mit der Faust auf den Tisch hauen. Man braucht für diesen Prozess Fingerspitzengefühl. Jedes der an unserem Projekt beteiligten Stadtwerke hat einen anderen Hintergrund. Manche sind noch kommunale Eigenbetriebe; besonders bei ihnen kann es schnell politisch werden. Das muss man respektieren. Es geht nicht um „richtig“ oder „falsch“. Nein, meistens nicht. Die unterschiedlichen Sichtweisen sind gut nachvollziehbar. Jeder im Ausschuss betrachtet die Situation ja aus seiner eigenen Perspektive. Ich vergleiche das mit einer Kaffeetasse, die aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet wird. Der eine sieht den Henkel rechts, der andere links-- und ein Dritter sieht ihn gar nicht. Ähnlich ist es auch bei den Positionen. Auf bestimmte Weise haben alle Recht. Dennoch: Am Ende steht der Auftraggeber in der Verantwortung- - auch gegenüber seinem Team. Er muss Einigungen herbeiführen und sich für klare Ziele einsetzen. Keinesfalls dürfen solche Zielkonflikte an das Team herangetragen werden. Da muss sich der Auftraggeber vor das Team stellen und seine Aufgaben erledigen. Eingangsabbildung: © iStock.com / peterschreiber.media Mark Kreuscher Mark Kreuscher, Geschäftsbereichsleiter Netze und Prokurist beim Stadtwerk am See, verantwortet die Sparten Gas, Wasser, Strom, Wärme, Telekommunikation, E-Mobilität und Dienstleistungen. Er ist studierter Bauingenieur (FH) mit Vertiefung Baubetriebswirtschaft und war schon parallel zum Studium seit 1994 für ein internationales Tief-, Rohr- und Anlagenbau Unternehmen tätig. Er verantwortet dort 1998 bis 2002 die Divisionen Pipelinebau, Telekommunikation und Bohr- und Umwelttechnik im Arabischen- und GUS-Raum sowie seit 2000 im asiatischen Raum. Im Jahr 2004 übernahm er die Division Europe Rohrleitungsbau, Bohrtechnik und die Konzern Auftragskalkulation. 2010 wechselte er an den Bodensee zu den Technischen Werken Friedrichshafen, die 2012 durch Fusion zum Stadtwerk am See wurden. pm_04_2022.indb 17 pm_04_2022.indb 17 02.09.2022 13: 53: 05 02.09.2022 13: 53: 05