eJournals PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL 33/4

PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
10.24053/PM-2022-0071
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334 GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.

Was sollten Projektsponsor:innen über Projektdiagnosen wissen?

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2022
Gero Lomnitz
In diesem Beitrag wird erläutert, was Projektdiagnose bedeutet und welchen Nutzen Projektsponsoren von einer professionellen Diagnose haben. Review ist im Unterschied zur Diagnose ein sehr bekannter Begriff im Projektmanagement. In Reviews werden u. a. mangelnde Zielerreichung, Prioritätenprobleme, Budgetüberschreitungen, Informationsprobleme und auch die Zusammenarbeit im Team ermittelt. Der wesentliche Unterschied zur Projektdiagnose besteht darin, dass in Reviews selten die dahinterliegenden Kernursachen analysiert werden. Durch eine Projektdiagnose werden Interessenkonflikte, Machtprozesse, paradoxe Entscheidungen, Wiederholungsmuster oder verlagerte Probleme gezielt ermittelt. Die Leser erfahren, worauf Projektsponsoren vom Beginn bis zum Ende der Projektdiagnose achten sollten. Im Sinne der vereinfachten Lesbarkeit wurde mit Gender-Formen flexibel umgegangen.
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30 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 04/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0071 Was sollten Projektsponsor: innen über Projektdiagnose wissen? Gero Lomnitz Für eilige Leser | In diesem Beitrag wird erläutert, was Projektdiagnose bedeutet und welchen Nutzen Projektsponsoren von einer professionellen Diagnose haben. Review ist im Unterschied zur Diagnose ein sehr bekannter Begriff im Projektmanagement. In Reviews werden u. a. mangelnde Zielerreichung, Prioritätenprobleme, Budgetüberschreitungen, Informationsprobleme und auch die Zusammenarbeit im Team ermittelt. Der wesentliche Unterschied zur Projektdiagnose besteht darin, dass in Reviews selten die dahinterliegenden Kernursachen analysiert werden. Durch eine Projektdiagnose werden Interessenkonflikte, Machtprozesse, paradoxe Entscheidungen, Wiederholungsmuster oder verlagerte Probleme gezielt ermittelt. Die Leser erfahren, worauf Projektsponsoren vom Beginn bis zum Ende der Projektdiagnose achten sollten. Im Sinne der vereinfachten Lesbarkeit wude mit Gender-Formen flexibel umgegangen. Schlagwörter | Projektdiagnose, Review, Diagnoseprozess, Systemgrenze, Rollenklärung, Datensammlung, Diagnosefelder, Psycho-Logik, Diagnosebericht 1. Ziel des Beitrags Was haben Projektsponsoren mit Projektdiagnose zu tun, warum sollten sie sich dafür interessieren? Reicht nicht ein guter Statusbericht oder ein Review aus, um sich über den Zustand des Projektes gründlich zu informieren? Selbstverständlich muss der Sponsor wissen, wie es um den Grad der Zielerreichung des Projektes steht. Dabei geht es immer um die gleichen Fragen: • Werden die Projektziele im vereinbarten Zeitraum erreicht? • Wird das Budget eingehalten? • Wie steht es um die Verfügbarkeit der Projektmitarbeiter: innen? • Welche Risiken sind aufgetreten bzw. könnten auftreten? Wenn bei der Beantwortung dieser Fragen Probleme deutlich werden, dann sollte ermittelt werden, welche tieferen Gründe hinter solchen Symptomen wie Zeit- und Budgetüberschreitungen, Gefährdung der Sachziele oder mangelnde Abstimmung im Team liegen. Und genau das kann eine fundierte Projektdiagnose leisten. Sie erfahren, was Projektdiagnose bedeutet und welchen Nutzen Sponsor: innen von einer professionell durchgeführten Diagnose haben. Entscheidungsträger benötigen im Gegensatz zum Diagnostiker kein Detailwissen über Projektdiagnose, doch Antworten auf folgende Fragen bieten ihnen Chancen, qualifizierte Projektdiagnosen zu beauftragen und letztlich die Ergebnisse zu nutzen. In meinen Beitrag gehe ich auf folgende Fragen ein: • Was bedeutet Projektdiagnose und was unterscheidet sie vom Review? • Wann ist eine Diagnose sinnvoll? • Worauf muss bei der Auftragsklärung für eine Projektdiagnose geachtet werden? • Welche Aufgaben und Verantwortung hat der Auftraggeber einer Diagnose? • Was muss die Auftraggeberin über die Datensammlung und Datenaufbereitung wissen? • Welche Bedeutung haben Methoden der Datenerhebung für die Diagnose? • Wodurch zeichnet sich ein guter Diagnosebericht aus? Auf Grundlage meiner langjährigen Erfahrung als Projektdiagnostiker möchte ich einige Antworten auf die Fragen geben. Mein Beitrag richtet sich vor allem an Projektsponsoren: innen. Nun bin ich mir nicht sicher, ob viele Sponsoren: innen sich für dieses bisher weitgehend unbekannte Thema interpm_04_2022.indb 30 pm_04_2022.indb 30 02.09.2022 13: 53: 10 02.09.2022 13: 53: 10 Wissen | Was sollten Projektsponsoren: innen über Projektdiagnose wissen? 31 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 04/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0071 essieren. Deshalb richtet sich mein Beitrag auch an Projektmanager oder Portfolio Manager, möglicherweise finden sie Anregungen, um mit Entscheidungsträgern über den Nutzen von Projektdiagnosen zu reden. In der Regel sind Projektsponsoren auch Auftraggeber der Projektdiagnose. Um Irritation zu vermeiden, benutze ich den Begriff Sponsor stets im Sinne Projektsponsor. Auftraggeber verwende ich im Sinne von Auftraggeber von Projektdiagnosen. In vielen Fällen ist der Projektsponsor gleichzeitig Auftraggeber der Untersuchung. Als Sponsor ist er notwendigerweise Teil der Untersuchung. Mein Beitrag basiert auf meinem Buch „Projektdiagnoseauch hinter die Kulissen des Projektes schauen“ [1], wobei es einen wesentlichen Unterschied gibt. In Abgrenzung zum Buch liegt der Fokus dieses Beitrags auf der Rolle der Auftraggeber von Diagnosen. Deshalb gehe ich nicht auf das Handwerk der Diagnose, auf Methoden und Regeln und weitere wichtige Themen ein. Projektdiagnostiker: innen müssen sich selbstverständlich mit Grundlagen, Modellen und Methoden der Projektdiagnose beschäftigen, um diese interessante und verantwortungsvolle Aufgabe zu erfüllen. 2. Was versteht man unter Projektdiagnose und wie unterscheidet sich Diagnose vom Review? Im Unterschied zur Projektdiagnose ist Review ein geläufiger Begriff im Projektmanagement. Zum Abschluss einer Phase oder zum Projektende werden Reviews durchgeführt, um die erreichten Ergebnisse und den Projektverlauf zu untersuchen, damit Lernprozesse für die weitere Projektarbeit nachhaltig erreicht werden. Zum einen geht es um den Grad der Zielerreichung, neben den inhaltlichen Ergebnissen wird auch die zeitliche, finanzielle und personelle Situation des Projektes analysiert. Zum anderen werden die PM-Prozesse, die Einhaltung der PM-Standards, die Nutzung der Tools oder die angewandten Planungsmethoden untersucht. Häufig ist auch die Zusammenarbeit im Projektteam oder der Informationsfluss im Projekt Bestandteil von Reviews. Hier gibt es klare Überschneidungen zur Diagnose, denn auch Projektdiagnostiker: innen analysieren Rollen, Prozesse, Regeln und die angewandten Methoden sowie die Zusammenarbeit Projekt. Wie unterscheidet sich dann Projektdiagnose von Review? • Im Gegensatz zum Review werden bei einer Projektdiagnose keine technischen, inhaltlichen Probleme untersucht. Mit anderen Worten, in der Diagnose werden nicht die Qualität einer Softwarelösung oder die Ursachen technischer Probleme im Rahmen einer Produktentwicklung ermittelt. Wenn es „nur“ um die Untersuchung der fachlichen Probleme oder um die Einhaltung des Projektmanagement-Prozesses im Unternehmen geht, sollte man von Review und nicht von Projektdiagnose sprechen. • In Reviews werden mangelnde Zielerreichung, Prioritätenprobleme, Zeit-, Budgetüberschreitungen, Informationsprobleme oder Probleme mit Lieferanten ermittelt. Unbestritten, diese Themen sind außerordentlich wichtig. Der entscheidende Unterschied zur Projektdiagnose besteht darin, dass in Reviews selten die Kernursachen ermittelt werden, die hinter den Symptomen wie unklare Prioritäten, Terminprobleme oder schlechter Informationsfluss lie- Leitung mit „Lissy“ jederzeit auf dem Laufenden Man wird ja mal träumen dürfen: Wäre es nicht schön, wenn es eine Software gäbe, die es Ihnen als Projekt- und Geschäftsleitung ermöglicht, sich mit ein paar Mausklicks selbst einen Überblick über Trends von wichtigen Unternehmenskennziffern zu verschaffen? Wenn Sie sich nicht erst im Firmenmeeting berichten lassen müssten, an welcher Stelle im Unternehmen es gerade hakt? Wenn Sie sich zu jeder Zeit auf dem Dashboard anschauen könnten, wie sich der Projektfortschritt, aber auch Auftragslage und Reklamationen entwickeln - und zwar in Echtzeit? Deshalb haben wir mit dem Leitungsinformationssystem „Lissy“ eine agile Software-Lösung entwickelt, die Sie jederzeit über Ihre Firma ins Bild setzt und über den Stand Ihrer Projekte informiert. Sie vergleicht u.a. beliebige Planungs-, Produktions- und Vertriebsangaben mit den Daten aus den Vorjahren und wirft die Abweichungen aus, stellt Soll- und Ist-Größen einander gegenüber und gibt Maximum- und Minimum-Werte aus dem gesamten Zeitraum an. Das können andere IT-Lösungen auch, sagen Sie? Stimmt. Doch unsere Software liefert schnell und unkompliziert genau die Infos, die Sie gerade benötigen, damit Sie in jeder Situation angemessen reagieren können. „Lissy“ als flexibles Werkzeug kann beliebige Kennziffern aus verschiedensten Insellösungen automatisch zusammenführen. Und Sie bestimmen selbst, welche Kennziffern Sie angezeigt haben möchten - immer wieder neu und ohne einen IT-Spezialisten zu bemühen. Denn das dauert und kostet, und die Anforderungen ändern sich rasch. Programmierkenntnisse sind nicht nötig. www.stella-systemhaus.de Anzeige pm_04_2022.indb 31 pm_04_2022.indb 31 02.09.2022 13: 53: 10 02.09.2022 13: 53: 10 Wissen | Was sollten Projektsponsoren: innen über Projektdiagnose wissen? 32 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 04/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0071 gen. Meist werden vertiefende, hintergründige Fragen zu unklaren Zuständigkeiten, schleppenden Entscheidungsprozessen, Interessenkonflikten oder Machtprozessen nicht be- und durchleuchtet, sei es, dass es nicht gewollt ist, diese Themen ausgeblendet werden oder der Reviewer sich nicht traut. Das macht den Unterschied zwischen Review und Projektdiagnose aus, denn durch die Diagnose werden Interessenkonflikte, Machtprozesse, paradoxe Entscheidungen, Wiederholungsmuster oder verlagerte Probleme gezielt ermittelt und analysiert. Doch allein mit der Auflistung der Probleme oder Konflikte ist es nicht getan, sondern durch eine profunde Diagnose wird deutlich, wie und warum bekannte, manchmal schon längst bekannte Probleme nicht gelöst werden. Auch der Umgang mit Problemen ist demnach Bestandteil der Diagnose, d. h., Diagnostiker müssen sich auch mit den Mustern der Konfliktstabilisierung beschäftigen. Bei der Projektdiagnose geht es immer um die Logik und die Psycho-Logik der Probleme. 2.1 Anlässe für Projektdiagnose Im Wesentlichen gibt es zwei Anlässe für Diagnosen. 1. Wenn sich das Projekt in einer Schieflage befindet und anzunehmen ist, dass die Ursachen nicht rein sachlicher, technischer Natur sind, sondern durch unklare Rollen, mangelnde Zusammenarbeit, Entscheidungsprobleme, Konflikte oder politische Einflüsse verursacht werden. 2. Projektdiagnosen werden für besonders kritische Projekte durchgeführt. Dabei kann es sich beispielsweise um ein wichtiges Kundenprojekt oder um ein Folgeprojekt eines gescheiterten Projektes handeln. 2.2 Überblick über den Diagnoseprozess Die Projektdiagnose kann abhängig vom Detaillierungsgrad in fünf Phasen unterteilt werden. Beginnend mit der Auftragsklärung geht es über die Datensammlung und -aufbereitung bis zur Ergebnispräsentation. Hier endet die Projektdiagnose, denn Entscheidungen über Folgemaßnahmen gehören nicht mehr zur Diagnose. Die Verantwortung der Diagnostizierenden endet also mit der Präsentation und sie geht dann auf den Projektsponsor über. Über diesen Rollenwechsel müssen sich Projektsponsoren und Diagnostiker bewusst sein. Fünf Phasen des Diagnoseprozesses Phase 1 . Auftragsklärung inklusive Initiierungsphase Relevante Punkte für die Diagnose klären. Kontext der Diagnose verstehen. 2. Datensammlung Mit geeigneten Methoden die Situation des Projektes ermitteln. 3. Datenanalyse Ergebnisse der Datensammlung zu einem sinnvollen Gesamtbild ausarbeiten und bewerten. 4. Bericht ausarbeiten Ergebnisse mit konkreten Empfehlungen klar formulieren. 5. Präsentation Ergebnisse offen, ungeschönt präsentieren. 3. Auftragsklärung im Rahmen der Diagnose Die Bedeutung eines klaren Projektauftrags wird sowohl in der Praxis als auch in der Projektmanagementlehre zurecht betont. Das gilt auch für die Projektdiagnose. Alle Beteiligten müssen das gleiche Verständnis haben, was durch die Diagnose erreicht werden soll und wie es zu erreichen ist. Das sind die beiden Kernpunkte der Auftragsklärung, die Auftraggeber der Diagnose stets beachten müssen. Folgende Punkte müssen geklärt werden, um eine solide Basis für die Projektdiagnose zu schaffen: • Ziele der Diagnose mit der inhaltlichen Abgrenzung klären • Systemgrenze für die Diagnose festlegen • Rollen im Diagnoseprozess vereinbaren • Vorgehensweise klären • Abstimmungsprozesse für die Diagnose vereinbaren • Rechtliche Rahmenbedingungen klären • Organisatorische Punkte festlegen • Zeitplan für die Diagnose bestimmen • Aufwandschätzung, Kosten klären Ich gehe hier nur kurz auf die große Bedeutung der Systemgrenze und die Rollen im Diagnoseprozess ein, zwei Themen, die für die Auftragsklärung besonders wichtig sind; was nicht bedeutet, dass die anderen Punkte zu vernachlässigen sind. In meinem Buch „Projektdiagnose, auch hinter die Kulissen des Projektes schauen“ [2] werden alle Punkte erläutert. 3.1 Die Systemgrenze für die Projektdiagnose bestimmen Durch eine sinnvolle Festlegung der Systemgrenze wird die organisatorische Reichweite der Projektdiagnose bestimmt. Was ist damit gemeint? Fälschlicherweise wird häufig Projekt mit Projektteam gleichgesetzt. Unbestritten, das Team ist ein zentrales, wenn nicht das zentrale Subsystem des Projektes, aber es ist nicht identisch mit dem Projekt. Auch die Projektsponsorin, das Steering Committee, Linienmanager und weitere Stakeholder gehören zum Projekt. Durch die Bestimmung der Systemgrenze wird erst klar, wer befragt wird und welche Fragen sich daraus ergeben. Im Rahmen der Auftragsklärung und manchmal noch im weiteren Projektverlauf muss überlegt werden, welche internen und ggf. externen Personen befragt werden müssen, um ein aussagekräftiges Bild über die Situation des Projektes zu erhalten? Sollen beispielsweise die Mitglieder des Steering Committee, die Portfoliomanagerin und Vorgesetzte von Teammitgliedern befragt werden? Soll die Meinung des Lieferanten zur Zusammenarbeit ermittelt werden? Auftraggeber: innen einer Diagnose müssen sich vergewissern, ob die Diagnostizierenden das gleiche Verständnis über die Systemgrenze haben. Auftraggeber können erwarten, dass Diagnostiker in der Lage sind, sie bei der Bestimmung der Systemgrenze fundiert zu beraten. Man sollte sich für diese Aufgabe genügend Zeit nehmen, Nachlässigkeit hat hier keinen Platz. 3.2 Rollen verbindlich klären Wie in Projekten müssen auch für die Projektdiagnose Aufgaben und Verantwortungen vereinbart werden. Hier eine Übersicht über die zu klärenden Rollen: • Aufgaben und Verantwortung des Auftraggebers der Diagnose pm_04_2022.indb 32 pm_04_2022.indb 32 02.09.2022 13: 53: 10 02.09.2022 13: 53: 10 Wissen | Was sollten Projektsponsoren: innen über Projektdiagnose wissen? 33 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 04/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0071 • Rollen anderer Entscheidungsträger: innen wie Projektsponsor, Mitglieder des Steering Committee oder Project Portfolio Manager. Auch die Rolle der Personalvertretung muss geklärt werden, denn Befragungen sind oft mitbestimmungspflichtig. • Aufgaben, Verantwortung der Diagnostiker • Wer soll bei der Vorbereitung mitwirken? Das kann sich auf die Auswahl der Fragen und auf methodische Themen beziehen. • Wer soll wann befragt werden? Die Reihenfolge der Interviews kann die Datensammlung beeinflussen. • Wer wird wann und wie über die Ergebnisse der Diagnose informiert? • Wer ist verantwortlich für Entscheidungen und Folgemaßnahmen, die sich aus der Diagnose ergeben? Im Folgenden gehe ich auf die Aufgaben und Verantwortung der Auftraggeber einer Diagnose ein. • Der Auftraggeber der Projektdiagnose entscheidet über die Auswahl der Diagnostiker: innen. • Projektsponsoren müssen selbstverständlich befragt werden, denn sie sind nicht selten Teil des Problems, weil sie z.B. keine klaren Entscheidungen treffen oder sich zu wenig Zeit für ihre Aufgaben nehmen. Diesen Rollenkonflikt müssen sie sich bewusst machen. Sie müssen sich darüber im Klaren sein, dass ihr Verhalten ggf. im Datenfeedback präsentiert wird. • Die Auftraggeber: innen einer Diagnose müssen alle Beteiligten über den Hintergrund und die Ziele der Diagnose informieren. • Die Projektdiagnose endet mit der Präsentation der Ergebnisse. Dann übernimmt der Auftraggeber der Diagnose die Verantwortung. Diagnostiker: innen sind nicht für die Entscheidung über mögliche Maßnahmen zuständig. Dieser Rollenwechsel muss bei der Auftragsklärung besprochen werden. 4. Datensammlung Um Diagnosen professionell durchzuführen, empfiehlt es sich, zwischen den klassischen Diagnosefeldern, die teilweise auch Bestandteil von Reviews sind und den Fragen aus dem Bereich der Psycho-Logik zu unterscheiden. Alle Beteiligten sollten wissen, dass beide Diagnosefelder zur Projektdiagnose gehören. 4.1 Klassische Diagnosefelder Die Aufzählung beinhaltet wichtige Diagnosefelder (ohne Anspruch auf Vollständigkeit). Immer handelt es sich dabei um Hard- und Softfacts. Die Diagnostiker empfehlen die Themen, die Auftraggeber der Diagnose prüfen, ob die Auswahl ihren Vorstellungen entspricht. • Ziele, Scope und Priorität des Projektes • Vorgeschichte, Kontext des Projektes • Projektorganisation, Rollen und Eskalationsprozess • Projektleitung (Know-how, zeitliche Verfügbarkeit, Standing der Projektleitung) • Projektteam (Zusammensetzung, Verfügbarkeit, Erfahrung, Entscheidungskompetenzen, Zusammenarbeit, Konflikte etc.) • Steering Committe (Zusammensetzung, Arbeitsweise) • Weitere interne und externe Stakeholder des Projektes • Vorgehensweise im Projekt • Projektplanung (Methode, Dokumentation) • Abhängigkeiten zwischen Teilprojekten bzw. Arbeitspaketen • Risiken • Moving Targets • Projektstatus, Meilensteine, Budget (Soll-Ist und Trend) • Dokumentation und verwendete Tools • Kommunikation und Information im Projekt • Akzeptanz des Projektes im Unternehmen 4.2 Hinter die Kulissen des Projektes schauen Diagnosefelder aus dem Bereich der Psycho-Logik Allein die bloßen Feststellungen, „notwendige Entscheidungen im Steering Committee werden immer wieder hinausgeschoben“ oder „schlechter Informationsfluss im Team“ beschreiben Symptome, liefern jedoch keine Ursachenanalyse. Diagnose hat den Anspruch, die dahinterliegenden Ursachen mit der notwendigen Tiefe zu erklären. Haben die Mitglieder Abb: Systemgrenze eines Projektes pm_04_2022.indb 33 pm_04_2022.indb 33 02.09.2022 13: 53: 10 02.09.2022 13: 53: 10 Wissen | Was sollten Projektsponsoren: innen über Projektdiagnose wissen? 34 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 04/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0071 des Steering Committees die Notwendigkeit jetzt zu entscheiden nicht erkannt? Blockieren Interessenkonflikte zwischen Organisationseinheiten den Entscheidungsprozess? Welche Bedeutung hat das Steering Committee im Unternehmen? Auf solche Fragen müssen Antworten gefunden werden, um die Kernprobleme zu verstehen und nachhaltige Lösungen zu finden. Entscheidungsträger sollten verstehen und akzeptieren, dass Problemerkennung eine notwendige Voraussetzung jeder Diagnose ist, doch Probleme können häufig erst dann gelöst werden, wenn die Beteiligten auch den Umgang (ihren Umgang) mit den Problemen begreifen. Ausgewählte Diagnosefelder zur Psycho-Logik Die Analyse der Psycho-Logik des Projekts ist ein weites Feld. Es würde den Rahmen des Beitrags deutlich sprengen, auf alle Aspekte einzugehen. Ich beschränke ich mich auf die Themen „Widersprüche“, „Wiederholungsmuster“ und „Problemverlagerungen“, denn diese Phänomene treten in Projekten immer wieder auf. 1. Widersprüche, Paradoxien Widersprüche, paradoxe Entscheidungen oder Anweisungen treten in Projekten häufiger auf als auf den ersten Blick vermutet: • Das Projekt hat höchste Priorität, doch Projektmitarbeiter: innen stehen nur unzureichend zur Verfügung. • Stichwort Empowerment: Das Projektteam soll möglichst selbstständig entscheiden. Doch selbst bei einfacheren Entscheidungen greifen Führungskräfte oder Projektsponsoren in den Entscheidungsprozess ein, sei es aus mangelndem Vertrauen oder aus Furcht, Einfluss zu verlieren. Projektdiagnose muss strukturell und personell bedingte Widersprüche und die damit verbundenen Konsequenzen für die Projektarbeit aufzeigen. 2. Wiederholungsmuster In Interviews wird betont, dass die Probleme im Projektteam längst bekannt sind und immer wieder darüber diskutiert wird, aber sie werden nicht gelöst. Diagnostisch interessant ist die Frage, wie oft über die Probleme bereits gesprochen worden ist und mit welchem Resultat. Wenn mehrmals erfolglos eskaliert wurde oder Diskussionen im Team sich ständig im Kreis drehen, dann gehören solche Wiederholungsmuster unbedingt in den Diagnosebericht. Die Projektleitung, das Team oder Entscheidungsträger müssen sich mit diesem Phänomen kritisch auseinandersetzen. So müssen beispielsweise folgende Fragen beantwortet werden: • Seit wann besteht das Problem im Team? • Was wurde bisher unternommen, um das Problem zu lösen? • Was hindert das Team daran, das Problem zu lösen? • Kann das Problem im Team überhaupt gelöst werden? 3. Problemverlagerungen in Projekten Organisationen sind Druckweitergabe-Systeme. Das bedeutet, Druck wird von einem Subsystem (z. B. Steering Committee) auf ein anderes (z. B. Projektteam) verlagert. Das geschieht höchst selten aus böser Absicht, sondern in der Regel wird es verursacht durch Komplexität, Zeitdruck, mangelnde Kenntnisse bei Entscheidern, unklare Entscheidungsprozesse oder Interessenkonflikte. Subsysteme können Entscheidungsträger: innen (Personen und Gremien), Kunden oder Lieferanten sein. Interessenkonflikte im Management-Board oder Kompetenzgerangel zwischen Organisationseinheiten werden dort nicht geklärt und so werden die Probleme in das Projektteam verschoben. Durch die Macht eines Lieferanten können dessen interne Probleme auf das Projektteam des Kunden verlagert werden. Oft wird die Problemverlagerung zum Zeitpunkt einer Entscheidung nicht erkannt und in vielen Fällen zeigen sich die Auswirkunen der Verlagerung erst später, man spricht dann von Fern- und Nebenwirkungen. Wer ein Projekt diagnostizieren will, muss auf jeden Fall Problemverlagerungsprozesse auf seinen Radarschirm haben. Dieser systemische Blick gehört zur Kernkompetenz der Diagnostiker: innen. 4.3 Methoden der Datensammlung Die richtigen Fragen zu stellen ist eine Sache, eine andere, die Fragen richtig zu stellen. Das bedeutet, die Methodenauswahl und das handwerkliche Können richtig zu fragen, darf für die Datensammlung nie unterschätzt werden. Für diese Themen sind die Diagnostiker zuständig. Aber der Auftraggeber einer Projektdiagnosen sollte das Thema nicht ganz außer Acht lassen. Sollen die Meinungen mit Hilfe eines Fragebogens ermittelt werden? Sind neben Einzelinterviews oder auch Gruppeninterviews sinnvoll? Lohnt sich ein Diagnose-Workshop mit dem Kernteam oder dem Steering Committee? Es gibt nicht den einzig wahren Weg für die Datensammlung, sondern der Einsatz der Methoden muss von Fall zu Fall überlegt werden. Doch eines ist gewiss, Interviews sind für die Datensammlung unverzichtbar und durch Fragenbögen nicht zu ersetzen. Die Auftraggeber sollten sich das methodische Vorgehen von den Diagnostiker: innen erklären lassen und darauf achten, inwieweit diese sich mit diesem Thema auskennen. Wichtige Punkte zur Datensammlung Informationen über das Projekt werden auf unterschiedliche Weise ermittelt, das Spektrum reicht von der Dokumentenanalyse, über Interviews, Fragebogen bis zu Workshops. Die Vor- und Nachteile der einzelnen Methoden werden in diesem Beitrag nicht beschrieben, stattdessen möchte ich auf einige generelle Themen zur Datensammlung kurz eingehen, die auch für die Auftraggeber einer Diagnose interessant sind. • Stärken und Schwächen ermitteln Selbstverständlich müssen Probleme ermittelt werden, deshalb wird normalerweise eine Diagnose durchgeführt. Dennoch sollte auch nach den Stärken in der Projektarbeit gefragt werden. Wenn man nur das Schlechte sieht, kommt man schnell zu einem einseitigen Bild und zu falschen Empfehlungen. • Konsens und Unterschiede festhalten Es ist normal, dass sich in einer Diagnose Konsens und Dissens zeigen, die Beteiligten verschiedene Sichtweisen über die Stärken und Schwächen der Projektarbeit äußern oder Probleme sehr unterschiedlich beschreiben und bewerten. Einige sind mit dem Informationsfluss zufrieden, andere meinen, die Informationen könnten reduziert werden und Dritte fühlen sich schlecht informiert. Entscheidend ist, dass im Rahmen der Diagnose Konsens und Dissens erkannt, analysiert und aufgezeigt werden. Jeder pm_04_2022.indb 34 pm_04_2022.indb 34 02.09.2022 13: 53: 11 02.09.2022 13: 53: 11 Wissen | Was sollten Projektsponsoren: innen über Projektdiagnose wissen? 35 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 04/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0071 Diagnosebericht muss den Konsens und die Unterschiede zu den einzelnen Diagnosefeldern unbedingt aufzeigen. • Hierarchische Einflüsse möglichst vermeiden Projektdiagnosen können durch mehr oder minder subtilen Druck von Führungskräften, durch direkte und indirekte Einflussnahme auf die Datensammlung oder den Bericht in eine gewünschte Richtung gelenkt werden, die der Diagnose nicht unbedingt förderlich ist. Professionelle Diagnostiker: innen sollten negativen Einflüssen souverän begegnen und den Auftraggeber auffordern, einzugreifen, wenn der Druck zu stark wird. • Oberflächlich versus zu detailliert Wer zu oberflächlich fragt, wird keine substanziellen Informationen erhalten. Wer nach Schema F einem Fragenkatalog folgt, wird keine fundierten Erkenntnisse gewinnen. Andererseits darf man sich nicht zu tief in Details verlieren. Interviewer: innen sollten prüfen, ob Fragen, die allzu sehr in die Tiefe führen, noch einen angemessenen Beitrag für die Analyse liefern oder über das Ziel hinausschießen. Die gewonnenen Daten müssen schließlich verwertbar sein. Diagnose erfordert, in Befragungen eine gute Balance zwischen Breite und Tiefe zu finden, was nicht immer einfach ist. 5. Datenaufbereitung und Diagnose-Bericht Diagnose ist ein Informationsverarbeitungsprozess. Das erfordert, dass die vielen Aussagen aus den Befragungen sinnvoll thematisch geordnet (clustern) und gründlich analysiert werden, denn nur so lassen sich die Informationen bewerten und Empfehlungen ausarbeiten. Es stellt sich die Frage, nach welchen Kriterien die Daten geordnet werden können, um die Stärken und Schwächen des Projektes im Systemzusammenhang zu verstehen. Strukturelle und personelle, fachliche und politische Ursachen müssen verstanden werden, um sinnvolle Zusammenhänge herzustellen. Damit sind hohe Anforderungen an Diagnostiker: innen verbunden, dessen müssen sich alle Beteiligten bewusst sein. Diagnosebericht Ein aussagekräftiger Diagnosebericht bildet die Basis für Entscheidungen. Noch so gut geführte Interviews nutzen nichts, wenn der Bericht schlecht ausgearbeitet wird. Der Umfang des Berichtes hängt von der Anzahl der Fragen und der Interviewten ab. Außerdem hängt er von den Vorgaben der Auftraggeber: innen ab. Manche fordern einen detaillierten Bericht, andere möchten nur eine Kurzfassung mit den wesentlichen Erkenntnissen und Empfehlungen. Bereits in der Auftragsklärung sollte über den Umfang des Berichtes gesprochen werden. Zu empfehlen ist ein ausführlicher Bericht und eine Management Summary. Kriterien eines guten Diagnoseberichtes • Die Aussagen dürfen nicht verfälscht wiedergegeben werden, d. h., verwässernde Verallgemeinerungen oder Streichung von Aussagen sind nicht akzeptabel. • Die Aussagen müssen verständlich sein. Unklare Aussagen führen zu Interpretationen und niemandem ist damit geholfen, wenn diverse Interpretationsmöglichkeiten im Raum herumschwirren. • Gute Formulierungen und die richtige Wortwahl sind wichtig. Inhalte und Sprache des Berichtes sollten zum Lesen animieren. Zu oft werden die üblichen Schlagworte wie „Synergieeffekte fehlen“ oder „Komplexität reduzieren“ verwandt, statt in einer lebendigen, begreifbaren Sprache zu schreiben und die Empfehlungen zu konkretisieren. Nicht alle Diagnostiker können gute Berichte schreiben, deshalb sollten Auftraggeber ihre Erwartungen bezüglich des Berichtes bereits in der Auftragsklärung mitteilen. • Die Reihenfolge der Cluster sollte mit Bedacht ausgewählt werden. Zum einen müssen thematische Verknüpfungen beachtet werden und zum anderen spielt die Dramaturgie des Berichtes eine Rolle. Diagnostiker sollten sich genau überlegen, welches Thema wann im Bericht erscheint. • Zum Diagnosebericht gehören auf jeden Fall konkrete Empfehlungen und falls erforderlich auch Kommentare zu einzelnen Themen. So ist es beispielsweise für die Adressaten interessant, zu erfahren, wie häufig ein Problem genannt wurde. • Mit der Präsentation der Ergebnisse endet die Diagnose. Für Entscheidungen über mögliche Maßnahmen sind in der Regel die Projektsponsor: innen verantwortlich, auf keinen Fall die Projektdiagnostiker. [1] Gero Lomnitz, Projektdiagnose, auch hinter die Kulissen des Projektes schauen, UVK Verlag, München 2021. [2] Gero Lomnitz, Projektdiagnose, auch hinter die Kulissen des Projektes schauen, UVK Verlag, München 2021, S. 33-58 [3] Ebenda, S. 42 Eingangsabbildung: © iStock.com / z_wei Gero Lomnitz Gero Lomnitz arbeitet seit vielen Jahren als Berater, Trainer und Coach für namhafte Unternehmen und Non-Profit Organisationen im In- und Ausland. Er hat zahlreiche Beiträge über Projektmanagement veröffentlicht und Lehraufträge an verschiedenen Universitäten wahrgenommen. Zuletzt ist sein drittes Buch „Projektdiagnose- - auch hinter die Kulissen des Projektes schauen“ erschienen. pm_04_2022.indb 35 pm_04_2022.indb 35 02.09.2022 13: 53: 11 02.09.2022 13: 53: 11