eJournals PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL 33/4

PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
pm
2941-0878
2941-0886
UVK Verlag Tübingen
10.24053/PM-2022-0074
91
2022
334 GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.

Best Practice systemisch-agiles Change-Management

91
2022
Patrick Huiber
Robert Korn
Gesteigerte Unsicherheit, intransparente Kommunikation und zähe Prozesse. Für diese wesentlichen Herausforderungen im Projektmanagement bietet das systemisch-agile Change-Management praktikable Ansätze. In diesem Artikel werden vier besonders wirksame davon vorgestellt. In den Grundsätzen des agilen Projektmanagements sowie des systemischen Change-Managements finden wir einige Parallelen, wie z. B. die Strukturierung in Zyklen und einen empirischen Entwicklungsprozess. Nicht zuletzt deshalb werden komplexe Prozesse wie Change-Vorhaben immer öfter agil und systemisch konzipiert und umgesetzt. Für die aktuellen Herausforderungen im Projektmanagement in Form gesteigerter Unsicherheit, intransparenter Kommunikation und einer unübersichtlichen Tool-Landschaft bieten sich vier konkrete Maßnahmen an: 1. Zeit in die Auftragserklärung investieren. 2. Einen lebendigen Kick-off-Workshop gestalten. 3. Ein hybrides Kollaborationssystem entwickeln. 4. Eine selbstorganisierte Arbeitsstruktur in variablen Zyklen. In diesem Artikel werden diese vier Schlüsselfaktoren erläutert und mit schnell anwendbaren Tools ergänzt.
pm3340043
43 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 04/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0074 „Weil das morgen noch so ist, weil das immer schon so war” Best Practice systemisch-agiles Change- Management Patrick Huiber, Robert Korn Für eilige Leser | Gesteigerte Unsicherheit, intransparente Kommunikation und zähe Prozesse. Für diese wesentlichen Herausforderungen im Projektmanagement bietet das systemisch-agile Change-Management praktikable Ansätze. In diesem Artikel werden vier besonders wirksame davon vorgestellt. In den Grundsätzen des agilen Projektmanagements sowie des systemischen Change-Managements finden wir einige Parallelen, wie z. B. die Strukturierung in Zyklen und einen empirischen Entwicklungsprozess. Nicht zuletzt deshalb werden komplexe Prozesse wie Change-Vorhaben immer öfter agil und systemisch konzipiert und umgesetzt. Für die aktuellen Herausforderungen im Projektmanagement in Form gesteigerter Unsicherheit, intransparenter Kommunikation und einer unübersichtlichen Tool-Landschaft bieten sich vier konkrete Maßnahmen an: 1. Zeit in die Auftragsklärung investieren. 2. Einen lebendigen Kick-off-Workshop gestalten. 3. Ein hybrides Kollaborationssystem entwickeln. 4. Eine selbstorganisierte Arbeitsstruktur in variablen Zyklen. In diesem Artikel werden diese vier Schlüsselfaktoren erläutert und mit schnell anwendbaren Tools ergänzt. Schlagwörter | Systemisches Change-Management, Agiles Projektmanagement, Hybrides Arbeiten, Vertrauen in Teams, Digitale Tools „Hier ist hier und jetzt ist jetzt, doch jetzt ist jetzt schon nicht mehr da“. Diese und viele andere Weisheiten aus dem Song „Weil das morgen noch so ist, weil das immer schon so war” der Elektropop-Band Großstadtgeflüster könnten als parodierende Hommage an derzeitige Change-Manager: innen verstanden werden. Die derzeitigen Herausforderungen, vor denen Change- Vorhaben und die darin gesteuerten Projektmanagement- Prozesse stehen, spüren alle externen wie internen Berater: innen, Projektmanager: innen und -mitglieder sowie Führungskräfte in ihrer täglichen Arbeit am eigenen Leib: • Gesteigerte Unsicherheit durch wirtschaftlich-politische und gesellschaftliche Turbulenzen, konkret z. B. in Form von Ab- oder Umbaumaßnahmen • Hybride, oft intransparente Kommunikationsstruktur und herausfordernde virtuelle Führung der Projektteams • Unübersichtliche Anzahl an digitalen Tools und großen Datenmengen • Zunehmende Planungsunsicherheit und Budgeteinschränkungen im Projektverlauf Angesichts der aktuell deutlich spürbaren Komplexität gewinnen agile Methoden weiterhin an Bedeutung und Aufmerksamkeit. Weniger prominent, aber mit einigen grundsätzlichen Parallelen zum agilen Projektmanagement ist das systemische Change-Management. Um nur einige zu nennen: Beide Disziplinen lehnen einen subjektiven Wahrheitsanspruch an eigene und fremde Lebensrealitäten ab, zeichnen sich durch empirisches Vorgehen in Zyklen aus und stellen Dialoge und gemeinsames Lernen in den Vordergrund. Die zwei Ansätze im systemisch-agilen Projektmanagement vereint, vermögen uns dadurch einige interessante Denkanstöße für die eigene Projektarbeit zu schenken. Um praktisch anwendbare Beispiele zu finden, haben wir uns zu diesem Zweck in unserem Beratungsunternehmen fifty1 umgehört und unsere Berater: innen gefragt, von welchen Best-Practice-Beispielen im Projektmanagement der letzten pm_04_2022.indb 43 pm_04_2022.indb 43 02.09.2022 13: 53: 18 02.09.2022 13: 53: 18 Wissen | Best Practice systemisch-agiles Change-Management 44 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 04/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0074 Monate sie uns erzählen können. In diesem Artikel möchten wir Ihnen daraus abgeleitet vier Schlüsselfaktoren vorstellen, die wir als besonders ausschlaggebend ansehen. Schlüsselfaktor #1: Zeit investieren in die Auftragsklärung „ Gegen nichts und wieder nichts weiß niemand keinen guten Rat” Gerade in turbulenten Zeiten wie den jetzigen werden Change-Projekte aufgrund von vielseits ausgeübtem Zeitdruck zu hastig und mit einer unklaren Ausarbeitung des Ziels begonnen. Wir erleben immer wieder, dass bei genauem Nachfragen durchaus relevante Herausforderungen zu Tage treten, die die vom Management vorgegebenen Ziele relativieren oder komplementieren (nicht zuletzt aufgrund derer langfristigen und strategischen Denkweise). Um ein scharfes Zielbild zu entwickeln, sollten Sie deshalb in die Organisation hineinhören: Dialoge starten, Interviews führen, Daten aus Mitarbeiterumfragen nutzen. Erst wenn viele Perspektiven von diversen Disziplinen, Charakteren und Hierarchieebenen eingeholt wurden, haben Sie die Chance sich ein ganzheitliches Bild von Projektziel und -einflussfaktoren zu machen. Machen Sie sich bewusst, wer die wichtigsten Stakeholder und Schnittstellenpartner: innen sind (intern wie extern) und laden Sie sie zu halbstündigen Interviews ein. Sie werden überrascht sein, wie erzählfreudig Ihre Gesprächspartner: innen sind und auf welche Wertschätzung Ihr ernstgemeintes Interesse stößt. Die Gespräche sind erfolgreich durchgeführt, es wurden unzählige Kaffees getrunken und Worte gewechselt. Sie sitzen nun auf einem wertvollen Haufen an Erzählungen und Ideen. Wie können Sie diesen Schatz an Informationen nutzen? Erstens: Konzentrieren. Schauen Sie, ob Sie Regelmäßigkeiten und Handlungsmuster erkennen. Zweitens: Formulieren Sie aus diesen Dingen Hypothesen darüber, was die Stärken und Herausforderungen im Rahmen des Projektes aus Ihrer Sicht sind [1]. Dabei geht es nicht darum, eine Erklärung im Sinne eines Ursache-Wirkung-Zusammenhangs für Ihre Beobachtungen zu finden, sondern sie als zusammenfassende Wahrnehmung mit Ihren Kolleg: innen zu besprechen und diverse Sichtweisen auf den Sachverhalt zu erlangen. Drittens: Nutzen Sie die Hypothesen in einer Sparring-Diskussion, um gemeinsam mit dem Projektteam und den Stakeholdern klare und motivierende Ziele zu formulieren. Mit dem letzten Schritt sind wir bereits bei Schlüsselfaktor #2: Dem lebendigen Kick-off-Workshop. Schlüsselfaktor #2: Der lebendige Kick-off- Workshop „ Back den Teig solang er frisch ist, wenn er steht, dann wird er hart” Im systemischen Change-Management werden drei ineinandergreifende Bereiche beschrieben, die für einen erfolgreichen Wandel bearbeitet werden müssen: Strategie, Strukturen und Menschen. All diese Faktoren münden wiederum in der Führung und zeigen sich in der Kultur der Organisation. [2]. Dieses holistische Organisationsentwicklungsmodell bietet eine praktische Orientierung für das Aufsetzen eines erfolgreichen Projektes. Strategie: Jedem Projekt geht eine Notwendigkeit, eine Idee und ein Vorhaben voraus. Zu Beginn des Workshops muss die Notwendigkeit verstanden, die Idee energetisiert und das Vorhaben zu einem gemeinsamen Vorhaben gemacht werden. Deshalb ist es wichtig, dass in einem transparenten und emotionalen Impuls zu Beginn alle Projekt-Teilnehmer: innen von dem Projektvorhaben überzeugt werden. Das gelingt am besten mit fachkundigen Speaker: innen, einem Austausch in Kleingruppen und einer anschließenden Diskussion im Plenum. Ein Impuls (vom lat. „stoßen, treiben”) hat jedoch immer nur dann einen wirksamen Effekt, solange ein Input besteht. Danach ist der wahre Schlüssel zum Umsetzungswillen die Volition (von lat. „wollen, wünschen”). Diese entsteht erst durch ein kraftvolles Ziel, durch eine fantasievolle Vorstellung einer möglichen Zukunft und durch den Glauben an die Möglichkeit, in Kollaboration mit Anderen etwas Großartiges erschaffen zu können. Eine effektive Methode, um ein solches Ziel zu definieren sind Vision Walks. Das sind 20-30-minütige Spaziergänge- - virtuell oder physisch- - , in denen sich die Teilnehmer: innen zu zweit zu konkreten Fragen austauschen: „Wie sieht meine erhoffte Zukunft aus und wie werden ich und meine Kunden bzw. Nutzer sie im Arbeitsalltag konkret spüren? Woran wird sich diese erhoffte Zukunft messen lassen? ” Das können klassische Kennzahlen, neue Verhaltensweisen, ein innovatives Produkt oder aber auch notwendige Folgeprojekte sein. Teilen Sie die Ziele im Plenum und prüfen Sie sie auf Vereinbarkeit mit den vom Management vorgegebenen Zielen. Die konkrete Zielbeschreibung kann hier als wichtigster Faktor im beginnenden Projektmanagement gesehen werden. Denn sowohl Strukturen als auch die Arbeitsweise inklusive des Führungsstils hängen hiervon ab. Deshalb sollte sie auch zu Beginn des Workshops stattfinden. Menschen: Im agilen Manifest aus dem Jahr 2001 heißt es: „Individuals and interactions over processes and tools” [3]. In einer Zeit von virtueller Kommunikation, der Automatisierung redundanter Arbeitsschritte und KI-gestützter Projektplanung muss dieses Postulat in Bezug auf das Projektmanagement relativiert werden. Worin dieser Satz aber Recht behält: Zu den absoluten Erfolgsfaktoren von High-Performing-Teams gehören nach wie vor ein ausgeprägtes Vertrauen im Team und eine daraus resultierende psychologische Sicherheit [4, 5, 6]. Was heißt das konkret? Vertrauen hat viele Facetten. Hier eine Übersicht und die dazugehörigen vertrauensbildenden Maßnahmen, die wir im Kick-off-Workshop nutzen: 1. Die wahrgenommene Kompetenz der Kolleg: innen. Sie wird dadurch beeinflusst, wie qualifiziert das Team als Ganzes aufgestellt ist. Die meisten von uns haben irgendwann im Leben gelernt, dass eine gesunde, selbstbewusste Selbstdarstellung oft mit Arroganz oder Narzissmus einhergeht, was jedoch nicht der Realität entspricht. Holen Sie die großen Persönlichkeiten aus Ihren Projektkolleg: innen heraus. Nutzen Sie in der Vorstellungsrunde des Workshops einfache Fragen wie: „Was ist mein größter persönlicher Erfolg bisher im Unternehmen? Wobei kann ich andere gut unterstützen und Fachexpertise einbringen? ” Mit dieser Aufforderung zum Glänzen werden sich alle Propm_04_2022.indb 44 pm_04_2022.indb 44 02.09.2022 13: 53: 18 02.09.2022 13: 53: 18 Wissen | Best Practice systemisch-agiles Change-Management 45 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 04/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0074 jektteilnehmer: innen sicherer fühlen und das beeinflusst unmittelbar den nächsten Faktor. 2. Das gegenseitige Wohlwollen. Es beschreibt, welche positiven Absichten in der Zusammenarbeit mit Anderen bestehen. Also, inwiefern Unterstützung in schwierigen Situationen und eine allgemein offene Haltung erwartet werden können. In einem eintägigen Workshop investieren wir deshalb zu Beginn eine volle Stunde nur damit, menschliche Beziehungen im Team aufzubauen. Das kann durch eine Beschreibung der eigenen Wünsche und Befürchtungen im Plenum oder dem Entdecken von Gemeinsamkeiten wie Interessen und Lebenssituationen sein. 3. Die Integrität: Sie beschreibt, inwiefern Regeln der Zusammenarbeit ernst genommen werden, zum Beispiel das Einhalten von Deadlines oder die Erreichbarkeit. Diskutieren Sie gemeinsam Spielregeln, die festlegen, wie schnell zum Beispiel auf Mails reagiert werden sollte oder wie verpflichtend die Teilnahme an Regelmeetings ist. Diese Regeln sollten für alle sichtbar festgehalten und in regelmäßigen Abständen auf ihre Sinnhaftigkeit hin reflektiert werden. 4. Transparenz in der Kommunikation. Sie ist wichtig für die Nachvollziehbarkeit von Verhalten und Entscheidungen, aber auch das Teilen relevanter Informationen wie Projektschritte und -vorhaben. Das gilt insbesondere für virtuelle Projektteams. Sie wird gefördert durch transparente Task- Management-Systeme, Gruppenchats, präzise Arbeitsdokumentationen, und explizites Nachfragen bei Unklarheiten. Doch selbst mit klaren Zielen und gestärktem Vertrauen ist ein Projekt immer nur so stark wie seine Struktur. Schlüsselfaktor #3: Das hybride Kollaborationssystem „ Sind zu viele Köche fleißig, na dann haben wir den Salat” Kaum ein Projekt wird heutzutage noch an nur einem Standort abgewickelt. Spätestens wenn Feedbackgeber: innen, Kunden oder Lieferanten einbezogen werden, müssen Meetings virtuell oder hybrid gestaltet werden. Was vor wenigen Jahren noch nach Science-Fiction klang, wird dabei in naher Zukunft Realität sein: Hologramme in virtuellen Meetings oder Maschinen, die für uns Aufgaben terminieren und Mails schreiben. Schon längst zum Alltag gehört dagegen die Weiterentwicklung von Kommunikationstools zu zentralisierten Kollaborationsplattformen. Egal ob Microsoft Teams, WebEx Teams oder Google Suite- - all diese Plattformen integrieren mittlerweile Tools zum Termin- und Taskmanagement, Roadmap-Visualisierung, Meeting-Durchführung, schriftlicher Kommunikation, Kreativarbeit, Schichtplanung, Dokumentenbearbeitung und vieles mehr. Ein erster Schritt beim Aufsetzen einer Projektstruktur ist deshalb immer, die richtigen Tools auszusuchen und sich bewusst zu machen, wie relevant und in welchem Kosten-Nutzen-Verhältnis die Einführung eines neuen Tools im Projekt ist. Abhilfe kann hierbei die Tool-Checkliste aus Abbildung 2 bieten. Kommunikationskanäle schlank halten Projektmanager: innen in großen Unternehmen stehen trotz der zuvor beschriebenen Zentralisierung oft vor der Herausforderung, aus einer riesigen Tool-Landschaft diejenigen herauszusuchen, die alle benötigten Funktionalitäten bieten und dennoch eine schlanke Projektkoordinierung ermöglichen. In Abbildung 3 ist dargestellt, welcher Kommunikationskanal für welchen Zweck am besten geeignet ist. Diese Matrix teilt bestehende Kollaborationstools in zwei Dimensionen ein. Die horizontale Achse beschreibt die Synchronität der Kommunikation. Das heißt, ob vom Senden einer Information bis zu ihrem Empfang viel Zeit vergeht (asynchron) oder sie unmittelbar ist (synchron). Die vertikale Achse beschreibt den Informationsgehalt zwischenmenschlicher Kommunikation. Die schriftliche Kommunikation beschränkt sich auf den rein inhaltlichen Informationsgehalt beziehungsweise unserer Interpretation davon. Audiovisuelle Kommunikation hingegen hat einen hohen Anteil paraverbaler Kommunikation. Zusätzlich zum Inhalt können Stimme, Intonation, Gestik und Mimik wahrgenommen Abbildung 1: Erfolgsfaktor: Einen lebendigen Kick-Off- Workshop gestalten pm_04_2022.indb 45 pm_04_2022.indb 45 02.09.2022 13: 53: 18 02.09.2022 13: 53: 18 Wissen | Best Practice systemisch-agiles Change-Management 46 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 04/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0074 werden. Sie können diese Matrix nutzen, um in Ihrem Projekt regelmäßig zu reflektieren, ob der aktuell genutzte Kommunikationskanal Ihrem Zweck dient oder ob es eine einfachere, effizientere Lösung zur Koordinierung im Projektteam gibt. Schlüsselfaktor #4: Selbstorganisation in variablen Zyklen „ Und es kommt immer alles anders und vor allem als geplant” Das selbstorganisierte Arbeiten in variablen Zyklen hat viele Vorteile- - sowohl in Bezug auf Qualität und Geschwindigkeit der Ergebnisse als auch auf die psychologische Verfassung des Projektteams, welches in Change-Prozessen nicht selten stressige und überfordernde Phasen erlebt. Aus unserer Erfahrung werden durch zyklisches Arbeiten drei wesentliche Hindernisse bewältigt, die sowohl in klassisch als auch agil geführten Projekten ordentlich Sprengkraft bieten: 1. Stakeholder können nur schwer effizient in Reviews eingebunden werden, weil wenig Ziel- und Prozessverständnis und damit wenig zeitliche Investitionsbereitschaft besteht. 2. Explodierende Kosten in disruptiven, globalen und nicht vorhersagbaren Ereignissen führen zu späten Change Requests oder gleich zu einem Projektstopp. 3. Erhöhter Arbeitslast und Unsicherheit wird mit einer überbordenden Anzahl an Meetings und ineffektiver Maßnahmen begegnet, statt mit zunehmendem Umsetzungsfokus und zielgerichteter Kommunikation. Anhand eines beispielhaften Change-Projektes mit einem Kunden unserer Beratung möchten wir im Folgenden kurz aufzeigen, wie Sie diesen Hindernissen in Ihrem Projekt durch die Strukturierung in variablen Zyklen optimal begegnen können. Do it your own way Die IT-Abteilung des genannten Kunden befindet sich 2021 in einer schwierigen Situation. Während die Entwicklungsabteilung bereits agil arbeitet, fällt der klassisch organisierten Systemadministration die Priorisierung und Strukturierung der anfallenden Aufgaben schwer und sie fühlt sich abgehängt. Als Ziele für die Teamentwicklung werden erstens die Erhöhung der Performance, zweitens die selbstorganisierte Bearbeitung und Abwicklung eingehender Aufgaben und drittens die Stärkung als zuverlässiger Partner in der Organisation definiert. Nach einer detaillierten Auftragsklärung und dem Kick-off- Workshop werden dreiwöchige Arbeitszyklen zur Zielerreichung festgelegt. Diese Zyklen bestehen aus: • Einem halbtägigen Start-Workshop, in welchem die Ziele und die Arbeitsmethode für den jeweiligen Zyklus festgelegt werden. • Darauf folgend die eigenständige Arbeitsphase des Teams, in welchem es an der Umsetzung der Ziele arbeitet. • Abgeschlossen wird diese mit einem zweiten halbtägigen Review-Workshop, in welchem die Fortschritte den Stakeholdern präsentiert und gemeinsam reflektiert werden. • Begleitende Befähigungsmaßnahmen für das Management in Form von Coaching, um Verständnis und Führungskompetenzen für die schnellere Wirksamkeit der Teamentwicklung ermöglichen zu können. • In individuell geregelten Abständen werden darüber hinaus Retrospektiven durchgeführt, in welchen der Prozess Abbildung 2: Checkliste: Neues Tool einführen? pm_04_2022.indb 46 pm_04_2022.indb 46 02.09.2022 13: 53: 18 02.09.2022 13: 53: 18 Wissen | Best Practice systemisch-agiles Change-Management 47 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 04/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0074 insbesondere mit Blick auf Wirksamkeit und die gemeinsame Arbeitskultur auf den Prüfstein gestellt wird. Der Erfolg dieser Herangehensweise basiert auf drei essenziellen Vorteilen: 1. Sowohl das Team als auch die Stakeholder können sich an einen gleichmäßigen Zyklus und die darin beinhalteten Meetings gewöhnen. Dabei ist es egal, ob ein solcher Zyklus zwei, drei oder vier Wochen dauert. Die in den Workshops geschaffene Transparenz hinsichtlich der Arbeitsmethodik und der Ergebnisse erzeugen Motivation und Veränderungswille. 2. Die Kosten in einem komplexen Projekt werden planbar. Zyklen sind unabhängig voneinander durchführbar und werden gleichbar einzelnen Beratungsprojekten abgerechnet. Hierdurch kann sich der Kunde basierend auf den individuellen Bedürfnissen und eigenen finanziellen Möglichkeiten entscheiden, wann und in welchem Umfang eine Beratungsleistung durchgeführt werden soll. Er erhält mehr Planungssicherheit. 3. Die Länge der Zyklen und damit die Intensität der Beratung kann flexibel angepasst und in jedem Zyklus geändert werden. Die Beratung kann sich damit an die Arbeitslast und Bedürfnisse des Kunden adaptieren. Der Gewohnheitseffekt geht nicht verloren, sondern die Abstände zwischen den Meetings werden schlicht kürzer. Dieses Modell hat natürlich nicht nur Vorteile. Für uns als Beratungsdienstleister birgt es die Gefahr, dass die erhöhte Buchungsflexibilität zu einem vorzeitig gestoppten oder verminderten Projektumfang führt. Gleichzeitig geben wir etwas von unserer Planungssicherheit ab, indem wir dem Kunden die individuelle Bestelloption unserer Zyklen anbieten. Wir sehen das jedoch als notwendige Entwicklung einer Agilisierung des Projekt- und Kundenmanagements auf der Seite der Dienstleister. Als Resümee können wir sagen, dass die Arbeit in Zyklen von Kunden so gut angenommen wird, dass die Vorteile der Strukturierung und eines guten Kundenverhältnisses diese Nachteile bei Weitem überwiegen. Fazit und Ausblick „ Doch ist die Nacht erstmal zu Ende, dann beginnt ein neuer Tag” Natürlich gilt wie in jedem komplexen Organisationsumfeld: Es gibt keine Patentlösungen im Projektmanagement, sondern nur fördernde und hemmende Vorgehensweisen. Jede noch so wirksame Methode und auch das ausgefeilteste Vorgehensmodell scheitern, wenn Kultur und Mindset der Mitarbeiter: innen dem Erreichen des Projektziels entgegenstehen. Bei allen Prognosen gesteigerter technologischer Projektsteuerung und Automatisierung wird es deshalb weiterhin unumgänglich bleiben, durch menschenzentrierte Personal- und Organisationsentwicklungsmaßnahmen einen positiven Einfluss auf das Projektmanagement in Unternehmen zu nehmen [7]. Die mögliche Planbarkeit und langfristiges strategisches Handeln in Projekten werden für Unternehmen abnehmen. Das wird sich besonders im Change-Management zeigen, welches in Zukunft zunehmend organisch, bottomup-getrieben und in Form einer Kernkompetenz aller Mitarbeiter: innen gestaltet wird. Wir hoffen, dass Ihnen die bis hierhin beschriebenen Methoden und Impulse in Ihrer täglichen Arbeit weiterhelfen. Haben Sie zusätzliche Fragen und Anregungen? Kontaktieren Sie uns. Wir freuen uns immer über einen co-kreativen Austausch und die Weiterentwicklung unserer Ideen. Abbildung 3: Virtuelle Kommunikationskanäle auf einen Blick pm_04_2022.indb 47 pm_04_2022.indb 47 02.09.2022 13: 53: 19 02.09.2022 13: 53: 19 Wissen | Best Practice systemisch-agiles Change-Management 48 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 04/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0074 Patrick Huiber Patrick Huiber: Hat als langjährige Führungskraft im internationalen R&D Management bereits IT-Entwicklungsprojekte vor 20 Jahren agil durchgeführt. Er begleitet für die Beratungsfirma fifty1 Unternehmen vom Teambis Executive-Level rund um das Thema nachhaltiges, sinnerfülltes Arbeiten bis zur Entwicklung von Organisation und Strategie. fifty1 GmbH Margaretenstraße 70 1050 Wien / Österreich E-Mail: patrick.huiber@fifty1.co Website: www.fifty1.co Robert Korn Robert Korn: Berät Teams und Organisationen zu den Themen Agile Transformation, moderne Führungsarbeit und kollaborative Unternehmenskultur. Sein Fokus liegt auf der Synergie zwischen menschlicher Organisation und den Möglichkeiten digitaler Kommunikationstechnologien. Literatur [1] Königswieser, Roswita / Hillebrand, Martin: Einführung in die systemische Organisationsberatung. Carl-Auer-Verlag, Heidelberg, 9. Ausgabe, 2017, S. 48. [2] Heitger, Barbara / Serfass, Annika: Unternehmensentwicklung: Wissen, Wege, Werkzeuge für morgen. Schäffer-Poeschel Verlag für Wirtschaft, Steuern, Recht GmbH, Freiburg, 2015, S. 49. [3] Agiles Manifest: https: / / agilemanifesto.org/ . Stand: Juni 2022. [4] Studienergebnisse der Google Studie “Aristotle”, abrufbar unter Google re: work: https: / / rework.withgoogle.com/ . Stand: Juni 2022 [5] Breuer, Christina / Hüffmeier, Joachim / Hertel, Guido: Does Trust Matter More in Virtual Teams? A Meta-Analysis of Trust and Team Effectiveness Considering Virtuality and Documentation as Moderators. Journal of Applied Psychology, 101, 2016, S. 1151-1177. [6] Breuer, Christina / Hüffmeier, Joachim / Hertel, Guido: Vertrauen per Mausklick: Wie Vertrauen in virtuellen Teams entstehen kann. In: PersonalQuarterly. Wissenschaftsjournal für Personalpraxis, 2. Ausgabe, 2017, S. 10-16. [7] Auth, Gunnar / Dürk, Christian / Jokisch, Oliver: Per Autopilot zum Projekterfolg? Einsatzpotenziale Künstlicher Intelligenz im Projektmanagement. In: Mikuzs, M., Volland, A., Engstler, M., Hanser, E. & Linssen, O. (Hrsg.), Projektmanagement und Vorgehensmodelle 2018-- Der Einfluss der Digitalisierung auf Projektmanagementmethoden und Entwicklungsprozesse. Gesellschaft für Informatik, Bonn. 2018, S. 27-40. Eingangsabbildung: © iStock.com / natasaadzic Dieter Brendt, Olaf Mackowiak Führung in der Technik 1., Auflage 2021, 177 Seiten €[D] 34,90 ISBN 978-3-8169-3467-7 eISBN 978-3-8169-8467-2 Mitarbeitende zielgerichtet und effektiv führen zu können, ist ein Schlüssel für nachhaltigen Unternehmenserfolg. In diesem Buch werden den Leser: innen durch die direkte Ansprache und die Praxisbeispiele von Kolleg: innen in ver- Ansprache und die Praxisbeispiele von Kolleg: innen in ver- Ansprache und die Praxisbeispiele von Kolleg: innen in ver gleichbaren Situationen Denkanstöße und Tipps geboten, um ihren Führungsstil zu analysieren und darauf aufbauend zu optimieren. Es werden bewährte Maßnahmen und Techniken zur effizienten Gestaltung und Beherrschung der vielfältigen Anforderungen im sich schnell verändernden technischen wie gesellschaftlichen Umfeld vorgeschlagen, die praxisgerecht im Führungsalltag eingesetzt werden können. Anzeige pm_04_2022.indb 48 pm_04_2022.indb 48 02.09.2022 13: 53: 20 02.09.2022 13: 53: 20