PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
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GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.Interview mit Johanna Sieben, PL des Creative Bureaucracy Festivals
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Sarah Khayati
Maximilian Hahn
Das Creative Bureaucracy Festival ist das größte Festival für Verwaltungsinnovation. Über 1.000 nationale und internationale kreative Bürokratinnen und Bürokraten sowie Changemaker und über 150 Speaker aus 36 Ländern nahmen am 2. Juni im Berliner Radialsystem an der Veranstaltung teil. Die GPM beteiligte sich erneut als Programmpartnerin, um das Potenzial von Projektmanagement für kollaborative Innovation im Öffentlichen Sektor und die Bewältigung gegenwärtiger und anstehender Transformationsprozesse zu verdeutlichen.
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55 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 04/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0076 Interview mit Johanna Sieben, PL des Creative Bureaucracy Festivals Sarah Khayati, Maximilian Hahn Das Creative Bureaucracy Festival ist das größte Festival für Verwaltungsinnovation. Über 1.000 nationale und internationale kreative Bürokratinnen und Bürokraten sowie Changemaker und über 150 Speaker aus 36 Ländern nahmen am 2. Juni im Berliner Radialsystem an der Veranstaltung teil. Die GPM beteiligte sich erneut als Programmpartnerin, um das Potenzial von Projektmanagement für kollaborative Innovation im Öffentlichen Sektor und die Bewältigung gegenwärtiger und anstehender Transformationsprozesse zu verdeutlichen. Wir haben mit Johanna Sieben, der Projektleiterin des Festivals gesprochen: Liebe Johanna, wieso ein Festival für kreative Bürokratie? Ein Festival für die kreative Bürokratie war lange überfällig, denn der Öffentliche Sektor ist viel kreativer als wir alle denken! Wir wollen die Kreativität im öffentlichen Sektor fördern und ein Netzwerk bauen, durch welches Personen und Projekte miteinander vernetzt werden und dadurch voneinander lernen und profitieren können. Kreative Problemlösungen, kreative und mutige Herangehensweisen braucht der Öffentliche Sektor ganz dringend um die großen Probleme unserer Zeit angehen zu können. Wir wollen den Innovator: innen eine Bühne und eine Stimme geben, Innovation feiern, radikale neue Wege ausprobieren und die Energie des Öffentlichen Sektors wecken, um eine positive Transformation anzustoßen. Oder, um es mit den Worten unseres Festivalpräsidenten Charles Landry zu sagen: Eine Bewegung von einer „nein, weil-…“ zu einer „Ja, wenn-…“- Kultur anstoßen. Ihr schaut nicht nur bundesweit, sondern auch international, über den Tellerrand und auf Strukturen, Herausforderungen und Herangehensweisen von Verwaltungen auf der ganzen Welt. Steht die deutsche Verwaltung da vor mehrheitlich individuellen Problemen oder sind die Herausforderungen überall gleicher Natur? Es ist sehr spannend zu sehen, wie sich einige Herausforderungen im Vergleich sehr ähneln, andere sich jedoch eklatant unterscheiden. Eine besondere Herausforderung in Deutschland ist natürlich die Digitalisierung, die ja nicht immer ganz reibungslos abläuft und bei welcher es enorme Hindernisse gibt, die diese auch teils stark ausbremsen. Und gerade da ist der internationale Austausch großartig, weil man sehen kann, wie Hindernisse in anderen Ländern überwunden werden und welche Inspiration wir in Deutschland aus diesen Projekten ziehen können, aber auch erkennt, wo die Grenzen liegen. Dänemark steht beispielsweise an einem ganz anderen Punkt beim Thema Digitalisierung, aber die Gesetzeslage z. B. beim Thema Datenschutz ist auch eine völlig andere. Und genau da anzusetzen und kreative Lösungen durch internationale Inspiration zu finden, ist unglaublich spannend. Ein Thema, welches gerade alle Verwaltungen weltweit fast gleichermaßen beschäftigt, ist der Umgang mit dem Klimawandel. Das ist eine Herausforderung, der sich der öffentliche Sektor überall stellen muss, jedoch sind die konkreten Projekte oft sehr individuell, da sich die örtlichen Gegebenheiten sehr unterscheiden. Der internationale Austausch ist etwas, was unser Festival enorm bereichert, da wir immer wieder bemerken, dass wir trotz aller Unterschiede am Ende alle am gleichen Tisch sitzen, vor den gleichen Herausforderungen stehen und wir gemeinsam am meisten erreichen können. pm_04_2022.indb 55 pm_04_2022.indb 55 02.09.2022 13: 53: 33 02.09.2022 13: 53: 33 Wissen | Interview mit Johanna Sieben, PL des Creative Bureaucracy Festivals 56 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 04/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0076 Die GPM begleitet das Creative Bureaucracy Festival seit 2019. In diesem Jahr haben wir unsere Zusammenarbeit intensiviert, um die Bedeutung professioneller Projektmanagement-Strukturen in der Öffentlichen Verwaltung noch stärker in den Fokus zu rücken. Wie sehr gehören Projektkultur und begleitende Umsetzungskompetenzen zu einer modernen und zukunftsfähigen Verwaltung? Wir sehen sehr deutlich, dass eine Projektkultur Veränderung fördert und dazu führt, dass Kompetenzen sehr zielgerichtet eingesetzt werden können und die Verwaltung schnell in aktives Handeln übergehen kann. Natürlich steht die öffentliche Verwaltung hierbei vor ganz anderen Herausforderungen, als es z. B. ein Start-up tut, aber genau deswegen freuen wir uns zu sehen, wie an vielen Stellen Voraussetzungen geschaffen werden, in denen professionelle Projektmanagement-Strukturen etabliert werden können. Die Zukunft wird von uns allen noch wesentlich mehr Flexibilität fordern und um zukunftsfähig zu bleiben, müssen Systeme etabliert werden, um diese Flexibilität zu ermöglichen. Dabei ist es natürlich sehr wichtig, dass diese Strukturen und Veränderungen sensibel eingeführt werden. Keine Verwaltung wird von einem auf den anderen Tag agiles PM einführen und damit glücklich sein. Deswegen ist es wichtig, dass Veränderungen begleitet werden und Vorgehensweisen systematisiert werden. Ich bin davon überzeugt, dass in vielen Bereichen die Projektarbeit und eine Projektkultur Herausforderungen vereinfacht, umsetzbarer macht und große Projekte überschaubar werden. Durch einen sinnvollen Einsatz von Ressourcen kann mithilfe von Projektarbeit Silodenken überwunden und Veränderung kann greifbar und machbar werden. Wenn ich mir die Frage stelle, wie das Problem der Digitalisierung gelöst werden kann, werde ich natürlich keine Antwort finden. Wenn ich aber das Projekt „Online Anmeldung von Eheschließungen“ aus Wiesbaden anschaue, sehe ich wie durch die Arbeit in Projekten innerhalb von kürzester Zeit eine fassbare Veränderung passiert ist und das motiviert und inspiriert natürlich unglaublich. Gibt es Projekte aus dem Öffentlichen Sektor, die dich ganz besonders beeindruckt haben? Welche Faktoren machen Deiner Ansicht nach den entscheidenden Unterschied? Mich beeindrucken vor allem die Projekte, die den Menschen ins Zentrum stellen und die eine direkte Veränderung bewirken. Natürlich sind auch die großen Prozesse und Entwicklungen wichtig, aber zu sehen, wie ein Projekt eine direkte Veränderung bewirken kann, ist großartig, macht Mut, weckt Hoffnung und gibt anderen ein Gefühl von „Ich kann das auch“. Ich glaube, dass dieses Empowerment einer der Schlüssel zu einer gelungenen Transformation ist. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat z. B. ein übergreifendes Team von agilen Coaches gebildet, welches die Transformationsvorgänge begleitet und dort kann man einen sehr konkreten Impact erkennen: Die Mitarbeitenden erhalten Handwerkszeug, welches ganz konkret in der eigenen Abteilung einsetzbar und direkt praktisch anwendbar ist und so wird Veränderung spürbar und erlebbar und man wird selber ein Teil der Veränderung anstatt von außen zuzuschauen. Ein anderes sehr beeindruckendes Projekt ist „Zero Malaysia“, eines unserer Gewinnerprojekte aus unserem Digital GPM Key-Note von Astrid Beger, Fachgruppenleiterin Bau- und Infrastruktur pm_04_2022.indb 56 pm_04_2022.indb 56 02.09.2022 13: 53: 33 02.09.2022 13: 53: 33 Wissen | Interview mit Johanna Sieben, PL des Creative Bureaucracy Festivals 57 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 04/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0076 Kick-off Day, dessen Initiatorinnen wir auch beim Live Festival begrüßen durften. ZWM erarbeitet simple und anwendbare Ressourcen, die den Bürger: innen einen Zero Waste Lifestyle näherbringen. Diese Ressourcen sind extrem lösungsorientiert, anwendbar und lokal, sodass ein Transfer ins eigene Leben sehr direkt stattfinden kann. Für mich sind zentrale Faktoren für gelungene Projekte deren Anwendbarkeit und Umsetzbarkeit, was nicht bedeutet, dass diese Projekte nicht sehr komplex sind. Aber es muss möglich sein, ein Projekt, dessen Nutzen und dessen Use Case in einem Satz zu erklären, auch für Menschen, die sich mit dem Thema noch nicht intensiv beschäftigt haben. Mit dem Creative Bureaucracy Festival organisiert ihr regelmäßig eine Veranstaltung mit mehr als 1.000 Teilnehmenden und einem zweisprachigen Programm mit Speakern aus rund 36 Ländern. Wie ist Euer Team aufgestellt? Arbeitet ihr in Projektstrukturen und nutzt begleitende Methoden? Unser Team arbeitet sehr stark mit den Methoden des agilen Projektmanagements, vor allem Scrum, nutzt aber auch Tools des klassischen PMs. Für mich als Projektleitung sind Projektmanagement-Strukturen großartig, um einerseits ein so komplexes Projekt sinnvoll zu strukturieren, so dass das Team gut arbeiten kann und andererseits, um die Interessen Die GPM und ihr Präsidium vor Ort von links nach rechts: Claudia Jahnke, Julia Branske, Sabine Kapsammer, Maximilian Hahn, Sarah Khayati, GPM Präsident Prof. Peter Thuy, Astrid Beger, Lukas Jochum Grußwort zur Eröffnung von Wolfgang Schmidt, Chef des Bundeskanzleramts pm_04_2022.indb 57 pm_04_2022.indb 57 02.09.2022 13: 53: 34 02.09.2022 13: 53: 34 Wissen | Interview mit Johanna Sieben, PL des Creative Bureaucracy Festivals 58 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 04/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0076 aller Beteiligten wahrzunehmen. Es kann natürlich erst einmal überfordern, wenn man gleichzeitig ein Bühnenbild verantwortet, Speaker: innen aus Mexiko einfliegen muss und ein Hygienekonzept entwickelt, aber durch das Aufteilen in Arbeitspakete und einen klaren (aber flexiblen! ) Projektplan, wird es übersichtlich. Das Projekt in kleinere Teilprojekte herunterzubrechen, welche jeweils von derjenigen Person mit den größten Kompetenzen in diesem Bereich eigenständig verantwortet wird, bietet uns die Möglichkeit, alle Ressourcen bestmöglich zu nutzen und öffnet Türen der Weiterentwicklung für alle Mitarbeitenden. Gegenwärtige und anstehende Transformationsprozesse setzen Verwaltungen unter großen Druck. Ein Schlüssel für gesellschaftliche Zukunftsfähigkeit liegt in unserer Kompetenz, Veränderung zu gestalten und Ideen und Initiativen umzusetzen-- in Projekten. Um den Wandel gemeinwohlorientiert zu gestalten, braucht es eine Kultur des gemeinsamen Erfolgs, den Aufbau organisationaler und individueller Kompetenzen auf allen Ebenen, förderliche Rahmenbedingungen-- und vieles mehr. Welche zentralen Anknüpfungspunkte und Potenziale siehst du vor diesem Hintergrund für die Partnerschaft mit dem CBF? Welche Schwerpunkte setzt oder plant ihr in den kommenden Jahren bzw. in 2023? Krisen sind ja auch immer ein Motor von Transformation. Sowohl wir als Individuen als auch die öffentliche Verwaltung haben gar keine andere Wahl mehr, als uns den Herausforderungen zu stellen. Die Herangehensweisen von gestern lösen nicht die Probleme von morgen und um ehrlich zu sein, oft nicht einmal die von heute. Wir sehen immer wieder, dass Kollaboration und Kooperation Themen sind, die alle bewegen und die auf große Resonanz stoßen. Abteilungsübergreifend Erfolge zu feiern, gemeinsam Veränderung anzustoßen und in Zusammenarbeit Kompetenzen zu entwickeln sind Erfolgsfaktoren, die nachhaltige Veränderung beeinflussen und stabile Strukturen für die Zukunft bauen. Das gelingt sehr oft mit der Projektarbeit und genau diese Umsetzbarkeit wollen wir weiter fördern und feiern. Wir als Creative Bureaucracy Festival freuen uns, dass wir diese Dinge gemeinsam mit unseren Partnern auf die Beine stellen können, oder mehr als das: Creative Bureaucracy, das sind nicht nur die Personen hinter den Kulissen, das sind wir alle, die ein Teil davon sind und sein wollen. Gemeinsam mit unseren Partnern können wir noch radikaler denken, in verschiedenen Formaten neue Ideen entwickeln und neue Wege gehen und weiterhin, so wie Astrid Beger im GPM Main Stage Beitrag dieses Jahr, den Menschen ins Zentrum stellen. Wir wollen den Erfolgen und dem Scheitern einen Raum geben. Wir wollen noch konkreter erarbeiten, wie Rahmenbedingungen für Veränderung geschaffen werden können und Methoden erforschen, wie diese gestaltet werden können. 2023 wird sicherlich ein herausforderndes Jahr werden: steigende Energiepreise, politisch angespannte Situationen, fortschreitender Klimawandel und ein Gesundheitssystem, das unter Druck steht, sind Themen, die uns begleiten werden. Und genau da wollen wir hinsehen: Welche Projekte haben innerhalb schwieriger Bedingungen Erfolge gefeiert und neue Wege eröffnet, diese Probleme anzugehen? Wo ist durch mutige und radikale Entscheidungen Veränderung möglich gemacht worden und wie kann heutzutage Stabilität, Sicherheit und Zukunftsfähigkeit für alle gemeinsam angegangen werden? Wir sind gespannt auf tolle Projekte, auf unerwartete Tools und Methoden und auf neue Wege der Zusammenarbeit! Links zum Interview: creativebureaucracy.org/ discover/ videos/ rund-um-dasja-wort-alles-online-die-anmeldung-der-eheschliesung-mitvideoident/ creativebureaucracy.org/ discover/ videos/ der-ruf-nach-demwerkzeugkoffer-die-agile-coaches-des-bmas-packen-aus/ creativebureaucracy.org/ discover/ videos/ inspiring-citizensto-live-sustainably-how-malaysians-do-it/ Eingangsabbildung: Johanna Sieben, Projektleitung Creative Bureaucracy Festival Weitere Informationen zum Creative Bureaucracy Festival und der Main Stage Beitrag der GPM auf der Homepage: www.creativebureaucracy.org Johanna Sieben Johanna Sieben ist seit März 2021 beim Creative Bureaucracy Festival, seit Juni 2021 als Projektleitung. Davor führte sie 5 Jahre ihr eigenes Unternehmen im Bereich Relocation. Johanna ist Geisteswissenschaftlerin und Scrum Master und hat einen Hintergrund im agilen Projektmanagement. Zusammengefasst also: professionelle Problemlöserin. Sarah Khayati Sarah Khayati ist studierte Kultur- und Gesellschaftswissenschaftlerin. Bildung als prägende Komponente einer zukunftsfähigen Gesellschaft beschäftigt sie besonders. Einen Schwerpunkt bildet dabei die Projektorientierung. Charakterisiert durch interdisziplinäres und kollaboratives Arbeiten sind Projekte schließlich ganz besonders geeignet, um mit immer komplexer und dynamischer werdenden Anforderungen umzugehen. Sarah Khayati leitet seit 2016 als Sprecherin die Stabstelle Bildung der GPM. Bis Juli 2022 hat Sie die GPM Stabstelle Public Affairs kommissarisch verantwortet. Maximilian Hahn Maximilian Hahn studierte an der Freien Universität Berlin Politikwissenschaft mit Schwerpunkt Politische Systeme & Europa. Seit 2020 ist er für die GPM in der Stabsstelle Public Affairs tätig. Seit Oktober 2021 betreut er als Politischer Referent operativ und inhaltlich unterstützend die Veranstaltungsbeteiligungen der Stabsstelle sowie weitere Aktivitäten im Rahmen des Aktionsprogramms „Mit Projekten Deutschlands Zukunft gestalten“. pm_04_2022.indb 58 pm_04_2022.indb 58 02.09.2022 13: 53: 34 02.09.2022 13: 53: 34