PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
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GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.Herausforderungen an die Projektmanagement-Forschung und -Förderung in Deutschland
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Stephen Rietiker
Fritz Böhle
Sandra Dierig
Dorothee Feldmüller
Steffen Scheurer
Andreas Wald
Wohin entwickelt sich das Projektmanagement in den nächsten Jahren? Welche Forschungsfragen ergeben sich daraus? Wir geben einen Überblick über zukünftig absehbare Entwicklungen im Projektmanagement und liefern Ansatzpunkte für die weitere Forschung.
Die Fachgruppe „Neue Perspektiven in der Projektarbeit“ beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Frage nach den zukünftigen Forschungsfeldern im Projektmanagement. In dieser Funktion hat die Fachgruppe Forschungsvorschläge für eine Ausschreibung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung BMBF im Rahmen des FuE-Programms „Zukunft der Arbeit“ als Teil des Dachprogramms „Innovationen für die Produktion, Dienstleistung und Arbeit von morgen“ ausgearbeitet. In diesem Beitrag geben wir einen Überblick über die von uns identifizierten Forschungsthemen in den Bereichen „Projektorganisation und Projektarbeit“.
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22 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 05/ 2022 10.24053/ PM-2022-0095 Herausforderungen an die Projektmanagement- Forschung und -Förderung in Deutschland Stephen Rietiker, Fritz Böhle, Sandra Dierig, Dorothee Feldmüller, Steffen Scheurer, Andreas Wald Für eilige Leser | Wohin entwickelt sich das Projektmanagement in den nächsten Jahren? Welche Forschungsfragen ergeben sich daraus? Wir geben einen Überblick über zukünftig absehbare Entwicklungen im Projektmanagement und liefern Ansatzpunkte für die weitere Forschung. Die Fachgruppe „Neue Perspektiven in der Projektarbeit“ beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Frage nach den zukünftigen Forschungsfeldern im Projektmanagement. In dieser Funktion hat die Fachgruppe Forschungsvorschläge für eine Ausschreibung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung BMBF im Rahmen des FuE-Programms „Zukunft der Arbeit“ als Teil des Dachprogramms „Innovationen für die Produktion, Dienstleistung und Arbeit von morgen“ ausgearbeitet. In diesem Beitrag geben wir einen Überblick über die von uns identifizierten Forschungsthemen in den Bereichen „Projektorganisation und Projektarbeit“. Schlagwörter | Fachgruppe, Forschungsfelder im Projektmanagement, Literaturverweise zu Forschungsthemen Einleitung Wo ist die GPM in der Forschung und Forschungsförderung zu verorten? Die Förderung der PM-Forschung ist eine wesentliche gemeinnützige Satzungsaufgabe der GPM. Allerdings erlaubt das kleine Forschungsbudget der GPM es nicht, große Forschungsprojekte zu finanzieren und durchzuführen. Die GPM kann jedoch Forschung anregen und orchestrieren. Wenn die GPM sich als Plattform und Katalysator / Multiplikator für die PM-Community versteht und ihre Rolle darin sieht, ein Netzwerk zu Politik, Ministerien, Industrie und anderen Verbänden zur Verfügung zu stellen, könnte sie viel bewegen. Ziel muss es hier sein, Fördergelder von Institutionen der Forschungsförderung (z. B. des BMBF) für die Projektmanagementforschung zugänglich zu machen, indem beispielsweise Einfluss auf die inhaltliche Ausrichtung von Förderprogrammen genommen wird. In den Ausschreibungen von Forschungsprogrammen und -projekten sucht man bisher die Forschungsthemen Projektorganisation, Projektarbeit und Projektmanagement vergebens. Dies steht im Gegensatz zu der zentralen Bedeutung, die Projekte für die aktuelle und zukünftige wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung haben: • Die Projektifizierung, die Zunahme temporärer Organisationsformen, ist nach wie vor aktuell: Neben der quantitativen Zunahme von Projektarbeit ist die qualitative Veränderung der Arbeit von Bedeutung: Projekte werden eingesetzt, um Innovationen zu generieren, Veränderungen umzusetzen und flexibel auf Wandel reagieren zu können. • Die Bewältigung von Komplexität und digitaler Transformation erfolgt weitgehend durch Projekte, welche daher von großer strategischer Bedeutung für die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen sind. • Die besonderen Merkmale von Projekten als temporäre Organisation sind zwar auf den ersten Blick allen bekannt, doch in der Praxis vielfach noch immer nicht einfach zu handhaben. Als Beispiel sei hier die in der Linie vorhandene Weisungsbefugnis genannt, welche im Projekt oft fehlt; der Projektleiter muss die Teammitglieder über Motivation und „Wir-Gefühl“ führen. Wissen | Herausforderungen an die Projektmanagement-Forschung 23 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 05/ 2022 10.24053/ PM-2022-0095 Dies führt zu einem wachsenden Forschungsbedarf im Bereich „Projektorganisation und Projektarbeit“, wie in Abbildung 1 dargestellt. Die Fachgruppe „Neue Perspektiven in der Projektarbeit“ hat Ende 2018 über den sog. „Projektträger Karlsruhe“ (PTKA) einen Vorschlag für einen möglichen neuen Forschungsschwerpunkt „Projektorganisation und Projektarbeit“ im Rahmen des FuE-Programms „Zukunft der Arbeit“ als Teil des Dachprogramms „Innovationen für die Produktion, Dienstleistung und Arbeit von morgen“ im Bundesministerium für Bildung und Forschung BMBF eingereicht. Im April 2019 haben wir auf Wunsch des PTKA eine Kurzfassung nachgereicht, welche die Basis für den vorliegenden Artikel darstellt. Im April 2021 ist eine Ausschreibung erfolgt, welche zwar unseren Input aufgenommen hat, aber leider nur punktuell und aus unserer Sicht zu wenig explizit. Da das Thema nach wie vor aktuell ist, haben wir uns entschlossen, diesen Artikel zu veröffentlichen, um so nochmals wichtige Ansatzpunkte für die zukünftige Forschung aufzuzeigen. Die erwähnte Langfassung ist auf der Webseite der Fachgruppe verfügbar ([1]). 1. Ausgangspunkt Die These lautet: Arbeitsgestaltung und Personalentwicklung erfordern bei der permanenten Organisation und bei zeitlich begrenzten Projekten jeweils unterschiedliche Lösungen, die nebeneinander in einem Unternehmen angewendet werden können und müssen. Tragfähige Ansätze für eine solche Koexistenz bzw. eine duale Organisation fehlen jedoch bis jetzt, weil sowohl Wissenschaft als auch Praxis entweder aus der Linie (permanente Organisation) oder aus der Projektsicht (temporäre Organisation) kommen und nur die jeweilige Perspektive einnehmen. Eine übergreifende Perspektive und Integration fehlen weitgehend. Das Spannungsfeld selbst ist in der Praxis nicht neu, doch die fehlende integrative Betrachtung und der fehlende Austausch wurden noch nicht näher beleuchtet. Das Spannungsfeld wird weiter verschärft durch die fortschreitende Projektifizierung, d. h. die Zunahme temporärer Organisationsformen, ohne dass dies jedoch zur vollständigen Ersetzung der permanenten Organisation führt. In der Praxis findet entgegen vielen Prognosen kein „Entweder-oder“ statt, sondern ein „Sowohl-als-auch“, d. h. eine Koexistenz von permanenter und temporärer Organisation. Grundsätzlich funktioniert das Übertragen von Lösungen, die für Linie oder Projekte erstellt wurden und dort etabliert sind, auf die „andere Seite“ nicht, weil dort die Realität eine andere ist. Dies kann illustrativ anhand von Prozessen und Projekten aufgezeigt werden: auf Erfahrung basierende und bewährte Routineabläufe werden in Prozesse gegossen, welche dann den Standardfall abdecken, der mit Key Performance Indicators gemessen wird. Der daraus resultierende Anspruch an Planungsgenauigkeit und Null-Fehler-Toleranz wird von der Denkweise her auf Projekte übertragen, obwohl dort vieles nicht Routine ist: häufig muss schnell und ohne Erfahrungshintergrund entschieden werden, und die Umsetzung ist ebenfalls häufig neuartig. Doch Prozesse und Projekte existieren in der Praxis nebeneinander und nicht selten müssen sich Personen in beiden „Sphären“ bewegen. Daraus ergeben sich als übergreifende Fragestellungen: Wie kann die beschriebene Dualität in Unternehmen realisiert werden, d. h. wie können unterschiedliche Lösungen für permanente und temporäre Organisation in verschiedensten Themenfeldern nebeneinander koexistieren? Was ist dabei alles zu berücksichtigen, um der Gefahr einer wechselseitigen Beeinträchtigung entgegenwirken zu können? Mit welchen Veränderungen ist in den nächsten 10-15 Jahren zu rechnen und wie könnte dabei die digitale Transformation genutzt werden? 2. Ausgewählte exemplarische Fragestellungen In dieser Kurzfassung werden aus Platzgründen nicht alle Themen aus der bereits eingereichten Langfassung [1] behandelt. 2.1 Neuer Umgang mit Unsicherheit und Ungewissheit Unternehmen sind bei Projekten besonders mit Komplexität und Ungewissheit konfrontiert. Aufgrund der „Einmaligkeit“ von Projekten können weit weniger als in der permanenten Organisation externe und interne Einflussfaktoren sowie der konkrete Verlauf ex ante erkannt und in der Planung berücksichtigt werden. Risikomanagement, Planung und Planbarkeit geraten hier an Grenzen. Mögliche Forschungsfragen in diesem Themenfeld sind beispielsweise: • Wie kann Künstliche Intelligenz (KI) die Entscheidungsfindung unterstützen und welche neuen Anforderungen entstehen dadurch an Projektmitarbeiter/ -innen, Projektleitung und Linienvorgesetzte als Mitglieder in Projektsteuerungsausschüssen? • Wie können situatives Handeln und informelle Kooperation organisatorisch ermöglicht und unterstützt werden? Abbildung 1: Wachsender Forschungsbedarf zu „Projektorganisation und Projektarbeit“ Wissen | Herausforderungen an die Projektmanagement-Forschung 24 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 05/ 2022 10.24053/ PM-2022-0095 • Wie kann die sich aus agilen Projektmanagementansätzen kommende Dezentralisierung von Entscheidungen und die Förderung der Selbstorganisation nicht nur im einzelnen Projekt etabliert, sondern über die gesamte Organisation skaliert werden? Wie muss ein Organisationsdesign aussehen, das unterschiedliche Prinzipien der Organisation zulässt und sinnvoll verbindet, indem sie sich nicht gegenseitig behindern, sondern sich ergänzen und fördern? 2.2 Kompetenzentwicklung Die Anforderungen an Kompetenzen in der Projekt- und Arbeitswelt wandeln sich dramatisch: Gefordert sind mehr soziale Interaktion über neue digitale Medien, Arbeitsteilung in regionalen und internationalen Netzwerken, mehr Teamfähigkeit, Selbstorganisation, Integration von Menschen und Nutzung von Diversität am Arbeitsplatz, Interdisziplinarität. Bei zunehmender Komplexität und Unsicherheit ist weniger die klassische Vorausplanung gefragt, sondern eher gekonntes situatives Handeln sowie iterative Vorgehensweisen mit häufigen Feedbackschleifen. Gefragt ist künftig die Kompetenz, die geeignete Herangehensweise zu erkennen und im Projektteam zur Anwendung zu bringen. In der Projektarbeit paaren sich diese Anforderungen häufig mit hohem Erfolgs- und Zeitdruck. Für die Entwicklung der erforderlichen Kompetenzen sind herkömmliche Einrichtungen und Instrumente beruflicher Fort- und Weiterbildung (Kurse, Seminare etc.) nur begrenzt geeignet. Mögliche Forschungsfragen in diesem Themenfeld sind beispielsweise: • Welche neuen Instrumente der beruflichen Fort- und Weiterbildung können eingesetzt werden, um die zukünftig benötigten Kompetenzen auszubilden? • Wie können dabei vor allem arbeitsintegrierte Formen des permanenten Lernens und des Erfahrungs- und Wissensaustauschs im Arbeitsprozess ausgebaut und im Besonderen die Kompetenzentwicklung durch erfahrungs- und körperbezogene Ansätze sowie künstlerische Praktiken erweitert werden? • Wie können auch neue Möglichkeiten digital gestützten Lernens- - etwa durch Simulation- - aufgegriffen und weiterentwickelt werden? • Wie kann neben arbeitsbezogenen didaktischen Instrumenten und Modellen vor allem auch eine lernförderliche Gestaltung der Arbeit gelingen (Organisation, Technik, Personaleinsatz)? Besondere neue Herausforderungen ergeben sich für Führungskräfte. Zu klären ist, wie bei Führungskräften Kompetenzen für einen neuen Führungsstil in Bezug auf selbstorganisierende Teams im Spannungsverhältnis von Vertrauen und Kontrolle entwickelt werden können. 2.3 Langfristige Karriereentwicklung in temporären Strukturen Karriereentwicklung vollzieht sich nach bisherigen Vorstellungen in erster Linie in einer persönlichen (Weiter-) Entwicklung auf immer verantwortungsvolleren Positionen in permanenten Organisationen. Karriereentwicklung in der temporären Projektorganisation ist nicht gleichermaßen angesehen und nicht auf Augenhöhe mit bzw. nicht gleichermaßen attraktiv wie die sogenannte Linienkarriere. Gleichzeitig steigt die Bedeutung von Projektarbeit und Erfahrung in Projektarbeit erlangt auch zunehmende Bedeutung für eine Linienkarriere. Eine sichere dauerhafte Beschäftigung wird zunehmend seltener, befristete oder nur vergleichsweise kurze Zeit währende Beschäftigungsverhältnisse dementsprechend häufiger. Die Entwicklung weist in eine Richtung, dass Arbeitnehmer und Führungskräfte besser aufgestellt sind, die von vornherein damit rechnen, dass ihre Arbeitsaufgaben und -bereiche temporär begrenzt sind (auch bei kontinuierlicher Beschäftigung), und die den Gewinn von dauerhaft zu erwerbenden Erfahrungen vor das Gewinnen von Positionen stellen. Mögliche Forschungsfragen in diesem Themenfeld sind beispielsweise: • Karrieremodelle müssen Karrieren in der Projektorganisation aufgrund ihrer steigenden Bedeutung stärker einbeziehen und Projektkarrieren sowie Wechsel zwischen Projekt- und Linienkarriere attraktiver machen. Wie kann dies in der Personalentwicklung systematisch und zielführend erfolgen? • Welche Karrierewege sind in einer selbstorganisierenden Organisation attraktiv für welche Art von Führungsnachwuchskräften? • Wie verändert sich unter den Bedingungen der Teamorientierung die Attraktivität der klassischen Führungsposition bzw. des selbstorganisierenden Team-Mitglieds? • Wie können der Karriereverlauf Einzelner und die Personalplanung von Organisationen durch Digitalisierung und / oder KI unterstützt werden? 2.4 Nachhaltiges Wissensmanagement im temporären Kontext Durch die zeitliche Begrenzung und das Auflösen der Teams nach Projektabschluss geht das in Projekten generierte Wissen oft verloren bzw. verbleibt als implizites Wissen bei den einzelnen Teammitgliedern. Eine Integration in organisatorische Wissensmanagementsysteme (sofern vorhanden) findet nicht statt. Mögliche Forschungsfragen in diesem Themenfeld sind beispielsweise: • Wie kann aufwendig in Projekten generiertes Wissen in die organisationale Wissensbasis überführt und nutzbar gemacht werden? • Wie müssen für den Projektkontext geeignete Wissensmanagementsysteme ausgestaltet werden? • Wie kann Digitalisierung hier unterstützend wirken? Sofern Lessons Learned nach einem abgestimmten Schema und mit der gleichen Terminologie verfasst werden, könnten diese ausgewertet und die Datenbasis mittels KI für Empfehlungen an neue Projekte genutzt werden. Welche Voraussetzungen müssten dafür erfüllt sein und wie könnte solch eine Anwendung aussehen? 2.5 Besondere Situation in KMU Die Stärke der deutschen Wirtschaft resultiert nicht unwesentlich aus der mittelständisch geprägten Wirtschaftsstruktur. Oftmals sind gerade die KMUs die Hidden Champions, die besonders erfolgreich auf dem Weltmarkt agieren. Was also sind die wesentlichen Faktoren, die den Erfolg dieser KMUs ausmachen und welche Rolle spielen in diesem Zusammenhang projektorientierte Arbeitsformen? Wissen | Herausforderungen an die Projektmanagement-Forschung 25 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 05/ 2022 10.24053/ PM-2022-0095 Erfolgreiche KMUs • reagieren flexibel durch flache Hierarchien, • setzen auf sehr gut ausgebildete, selbstständig entscheidende Mitarbeiter, • setzen auf proaktive Wissens- und Erfahrungsweitergabe unter den Mitarbeitern, • ersetzen aufwändige Planungen, bürokratische Prozesse, hierarchische Positionen und Overhead-Rollen durch eine Vertrauensorganisation, • setzen auf unmittelbare Einbeziehung des Kunden und auf individualisierte Lösungen, • kompensieren Größe durch Kooperationen in Netzwerken mit anderen Spezialanbietern, • stellen die Face-to-Face-Kommunikation im Unternehmen und zu den Kunden in den Mittelpunkt. Viele dieser Vorgehensweisen sind einerseits typisch für KMUs, gelten aber zugleich als vielversprechend sowohl für die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen als auch für die Zukunft der Arbeit. Zugleich erlangen die zuvor ausgeführten Problemfelder eine besondere Akzentuierung bei KMU. Dies muss in die Betrachtung einbezogen werden. Der zentrale Unterschied besteht darin, dass zum einen in KMUs im Gegensatz zu größeren Unternehmen und internationalen Konzernen Ressourcen nicht oder nur sehr limitiert vorhanden sind. Zum anderen verfügen KMUs über besondere Potenziale (s. o.) der Problemlösung. Mögliche Forschungsfragen in diesem Themenfeld sind beispielsweise: • Welche strukturellen Besonderheiten von KMUs lassen sich identifizieren, wie können diese gefördert und auch für größere Unternehmen nutzbar gemacht werden? • Welche Rolle spielt informelle und weniger formalisierte Kommunikation für die Personalführung der Zukunft? • Welche Rolle kann „Vertrauen“ im Hinblick auf strukturelle und persönliche Führung der Zukunft spielen? • Wie können die Besonderheiten erfolgreicher KMUs auch für die Gestaltung projektorientierter Arbeitsformen in der Zukunft stärker nutzbar gemacht werden? Welche Rolle spielen z. B. informelle Beziehungen und Prozesse sowie Vertrauensbeziehungen für die Flexibilität in Projekten? • Welche komplementäre Ergänzung ergibt sich aus den ohnehin schon flexibler gestalteten permanenten Organisationen von KMUs und temporären Projektorganisationen? 3. Lösungsansätze in der Praxis In der Praxis finden sich bereits unterschiedliche Ansätze zur Lösung der aufgezeigten Problemstellungen und Herausforderungen. Zu nennen sind exemplarisch: 3.1 Situatives Projektmanagement und Management des Informellen zur Bewältigung von Ungewissheit Empirische Untersuchungen zeigen, dass die Prinzipien des agilen Projektmanagements neue Möglichkeiten zur Bewältigung von Ungewissheit in Projekten beinhalten. Dies ist allerdings nur dann der Fall, wenn agile Prozesse für die Mitarbeiter die Möglichkeit sowohl zur Selbstorganisation als auch zu informellem Handeln und informeller Kooperation in laufenden Prozessen neben formell festgelegten Meetings u. Ä. eröffnen. Notwendig hierfür sind ein Management des Informellen sowie eine vertrauensbasierte Führung. In einem vom BMBF geförderten Forschungs- und Entwicklungsvorhaben wurden Modelle für ein solches Management des Informellen bzw. die institutionelle Rahmung informeller Prozesse entwickelt und praktisch erprobt. Sie zeigen sowohl Möglichkeiten wie Perspektiven für zukünftig notwendige Entwicklungen von Projektorganisation und Projektarbeit (vgl. [2] und [3]). Daneben wurde das Konzept des situativen Projektmanagements entwickelt und praktisch umgesetzt. Im Unterschied zu agilem Projektmanagement, das in und aus der Softwareentwicklung entstanden ist, kommen die Impulse für das situative Projektmanagement aus der technischen Entwicklung, wie bspw. der Entwicklung technischer Messgeräte. Dabei werden im Speziellen Gegebenheiten im KMU sowie von Entwicklungsvorhaben in unternehmensübergreifenden Netzwerken berücksichtigt. Des Weiteren bezieht sich das situative Projektmanagement eben explizit auf die besonderen Merkmale und Herausforderungen des Arbeitshandelns bei (technischen) Innovationen. Es unterstützt und fördert eine ‚künstlerische Haltung‘, ein ‚erfahrungsgeleitetes Vorgehen‘ und eine ‚spielerische Definition‘ zum Umgang mit Ungewissheiten in Entwicklungsprojekten ([4]). Hybride Ansätze im Projektmanagement versuchen, durch die Kombination von planorientierten und agilen Praktiken das Beste aus beiden Welten zusammenzubringen. Grundlagen für die Konfiguration hybrider Ansätze wurden von Boehm und Turner ([5]) gelegt und werden mit zunehmender Verbreitung agiler und hybrider Ansätze weiter erforscht. Fallstudien und größere Feldstudien beginnen, erfolgreiche hybride Vorgehensweisen in der Praxis und Grundlagen für eine Konfiguration herauszuarbeiten (vgl. [6], [7], [8]). Eine breitere Betrachtung ist wünschenswert. 3.2 Arbeitsintegriertes Lernen und erfahrungsorientierte Entwicklung von Kompetenzen Erziehungswissenschaftliche Konzepte zum Kompetenzbegriff, zu deren Messung und zum Management der eigenen Kompetenz- - Metakompetenz- - geben einen Zugang zum vertieften Verständnis für die Kompetenzentwicklung im Projektmanagement (vgl. [9] bzw. [10]). Diese erfolgt über die Verbindung von Theorie und Praxis, durch Aufbau und Verbindung von explizitem und implizitem Wissen ([11]). Hierdurch ergeben sich Hinweise auf die hohe Bedeutung von erfahrungsorientierten oder projektorientierten Lernformen für den Aufbau individueller Kompetenzen, die auch mit Hinblick auf neue Anforderungen durch Digitalisierung zu untersuchen sind. Darüber hinaus muss auch die Projektmanagement- Kompetenz einer Organisation betrachtet werden ([12]). Im Rahmen eines vom BMBF geförderten Forschungs- und Entwicklungsvorhabens wurden in einem großen Unternehmen der Elektroindustrie neue Modelle lernförderlicher Arbeitsgestaltung bei der Projektarbeit entwickelt und erprobt. Im Mittelpunkt steht hier die Vermittlung von „Erfahrungswissen“ über Einflüsse und Gegebenheiten bei der praktischen Umsetzung und Realisierung von Projekten in unternehmensexternen sowie internationalen Umgebungen. Das Modell der „personengebundenen Simulation“ greift vorhandene Erfahrungen auf und transferiert sie auf jeweils aktuelle Problem- Wissen | Herausforderungen an die Projektmanagement-Forschung 26 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 05/ 2022 10.24053/ PM-2022-0095 stellungen. Es eröffnet neue Wege und Perspektiven für den Transfer von Erfahrungswissen bei Projektarbeit (vgl. [13]). Im Rahmen von Schulungs- und Trainingsmaßnahmen finden sich neue Ansätze, in denen Erfahrungen und Erkenntnisse aus der künstlerischen Praxis, Körperarbeit sowie aus anderen Kulturen aufgegriffen und für die Projektarbeit genutzt werden. Hieraus ergeben sich neue Perspektiven vor allem für die Entwicklung von Kompetenzen für den souveränen Umgang mit Ungewissheit (vgl. [14]). 3.3 Projektwissensmanagement Durch die interdisziplinäre Zusammensetzung von Projektteams und die Arbeit an neuartigen Aufgaben wird in Projekten in kurzer Zeit neuartiges Wissen generiert. Dieses kann sowohl für Folgeprojekte als auch für die permanente Organisation wertvoll sein. Dazu ist ein Projektwissensmanagement erforderlich, das den Transfer von Wissen zwischen Projekten und zwischen Projekten und der permanenten Organisation unterstützt ([15]). Aufgrund der besonderen Eigenschaften von Projekten steht das Projektwissensmanagement jedoch vor erheblichen Herausforderungen. Projektteams werden nach Projektende aufgelöst und das gewonnene Wissen wird nur selten systematisch aufbereitet und weitergegeben. Das Wissen geht nicht nur für zukünftige Projekte, sondern für die Organisation als Ganzes oft „verloren“. Methodiken für die Erfahrungsauswertung, z. B. in Form von Lessons Learned Workshops stehen zwar zur Verfügung ([16]) und haben als Bestandteil des Organisationalen Lernens große Wirkung auf die Verbesserung der Projekt-Performance, werden jedoch selten durchgeführt. Bezüglich des organisationalen Lernens betrachten Melkonian und Picq ([17]) die wechselseitigen Lernprozesse zwischen Projekt und Linie und befürworten den „Double-loop approach“, das Lernen im Wechselspiel zwischen der Projekt- und der Organisationsebene (siehe auch [18] und [19]). Söderlund, Vaagaar und Andersen ([20]) untersuchen ebenfalls den Zusammenhang zwischen dem Lernen auf Projektebene und auf Organisationsebene und beschreiben drei Mechanismen der Kompetenzentwicklung: 1) den Beziehungsaufbau und das Netzwerken (Relating), 2) das explorative Lernen und das „Learning on the job“ (Reflecting) und 3) die Entwicklung von Routinen und Standards (Routinizing). Die Temporalität von Projekten und das Zusammenspiel von Projektorganisation und permanenter Organisation beim Wissensmanagement stellen weiterhin große Herausforderungen dar, für die praxisorientierte Lösungen zu entwickeln sind. 4. Ausblick Abbildung 2 zeigt für die Forschungsarbeit zu „Projektorganisation und Projektarbeit“ ausgemachte exemplarische Fragestellungen und Lösungsansätze. Mithilfe der von der Fachgruppe „Neue Perspektiven in der Projektarbeit“ erarbeiteten Grundlagen im vorliegenden Artikel und in der erwähnten ausführlicheren Langfassung können Interessierte aus dem GPM-Umfeld einzelne Fragestellungen herausgreifen oder das Gesamtpaket nehmen und damit neue, eigene Forschungsvorhaben initiieren. Literatur [1] Rietiker, S.; Böhle, F.; Dierig, S.; Feldmüller, D.; Scheurer, S.; Wald, A. (2018): Projektorganisation und Projektarbeit-- Entwurf für einen Forschungsschwerpunkt. GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V., Fachgruppe Neue Perspektiven in der Projektarbeit, Nürnberg 2018. Download unter https: / / www. gpm-ipma.de/ know_how/ fachgruppen/ themenfokussierende_ fachgruppen/ neue_perspektiven_in_der_projektarbeit_projektgovernance.html. [2] Neumer Judith; Porschen-Hueck, Stephanie; Sauer, Stefan (2018): Reflexive scaling as a way to towards agile organization. In: Journal of International Management Studies, Heft 18, Nr. 2, pp. 27-38. [3] Porschen-Hueck, Stephanie (2012): Management des Informellen durch kooperativen Erfahrungstransfer. In: Böhle, Fritz; Bürgermeister, Markus; Porschen, Stephanie (Hrsg.): Innovation durch Management des Informellen- - künstlerisch, erfahrungsgeleitet, spielerisch, Berlin: Springer, S. 115-154. [4] Heidling, Eckhard (2012): Management des Informellen durch situatives Projektma-nagement. In: Böhle, Fritz; Bürgermeister, Markus; Porschen, Stephanie (Hrsg.): Inno-vation durch Management des Informellen. Künstlerisch, erfahrungsgeleitet, spielerisch, Berlin: Springer, S. 69-114). [5] Boehm, Barry; Turner, Richard (2004): Balancing Agility and Discipline. A Guide for the Perplexed. Addison-Wesley, Boston. [6] Timinger, H., Seel, C., 2016. Ein Ordnungsrahmen für adaptives hybrides Projektmanagement. In: PROJEKTMANAGEMENT AKTU- ELL 4 / 2016, S. 55-61. [7] Kuhrmann, Marco, et al.: Hybrid software and system development in practice-- waterfall, scrum, and beyond. In: Proceedings of the 2017 International Conference on Software and System Process. ACM, 2017. S. 30-39. Abbildung 2: Exemplarische Fragestellungen und Lösungsansätze zur „Projektorganisation und Projektarbeit“ Wissen | Herausforderungen an die Projektmanagement-Forschung 27 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 05/ 2022 10.24053/ PM-2022-0095 [8] Kuhrmann, M.; Münch, J.; Diebold, P; Linssen, O.; Prause, C.: On the Use of Hybrid Devel-opment Approaches in Software and Systems Development: Construction and Test of the HELENA Survey. In: Martin Engstler et al. (Hrsg.): Projektmanagement und Vorgehensmodelle 2016, Lecture Notes in Informatics (LNI), Gesellschaft für Informatik, Bonn 2016, S. 59-68, Download unter https: / / dl.gi.de / bitstream / handle / 20.500.12 116 / 589 / 59. pdf? se-quence=1&isAllowed=y. [9] Weinert, F. E.: Concept of Competence: A Conceptual Clarification. In: Rychen, D.; Hersh Saganik, L. (Eds.): Defining and Selecting Key Competencies. Hogrefe&Huber, Seattle Toronto, 2001. [10] Dimitrova, D.: Das Konzept der Metakompetenz. GABLER Edition Wissenschaft, Wiesbaden 2008. [11] Cron, D.; Feldmüller, D.: Mastering Theories in Practice-- A Competence Model. In: Theory Meets Practice in Projects, GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V., Nürnberg 2014. [12] Wagner, Reinhard (Hrsg.): Organisationale Kompetenz im Projektmanagement. GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V., Nürnberg, 2011. Buchreihe Forschung, Buch 05. [13] Heidling, Eckhard; Hülsmann, Bernadette; Klug, Barbara; vom Eyser, Werner (2018): Personengebundene Simulation. Ein Handlungsleitfaden zur lernförderlichen Arbeitsgestaltung im Projektgeschäft. München: ISF München. [14] Böhle, Fritz; Heidling, Eckhard; Neumer, Judith; Kuhlmey, Astrid; Winnig, Matthias; Trobisch, Nina; Kraft, Dieter; Denisow, Karin (2016): Umgang mit Ungewissheit in Projekten. Expertise für die Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V. Nürnberg: GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V. [15] Lindner, F./ Wald, A. (2011) Success Factors of Knowledge Management in Temporary Organizations. International Journal of Project Management, 29 (7), 877-888. [16] Kerth, N. L. (2003). Post Mortem- - Projekte erfolgreich auswerten. Bonn: mitp-Verlag. [17] Melkonian, T. & Picq, T. (2011). Building project capabilities in PBOs: Lessons from the French Special Forces. International Project Management Journal, 29, 455-467. [18] Zoiopoulos, I. I. (2013). Organizational Configurations and Project Capability Development: Lessons from Construction. Procedia- - Social and Behavioral Science, 74, 81-90. [19] Söderlund, J. (2008). Competence Dynamics and Learning Processes in Project-Based Firms: Shifting, Adapting and Leveraging. International Journal of Project Management, 12 (1), 41-67. [20] Söderlund, J., Vaagaasar, A. L. & Andersen, E. S. (2008). Relating, reflecting and routinizing: Developing project competence in cooperation with others. International Journal of Innovation Management, 26, 517-526. Eingangsabbildung: © iStock.com / Dilok Klaisataporn Stephen Rietiker Stephen Rietiker (Leitung der FG), Dipl. Wirtsch.-Inf., Geschäftsführer / Inhaber der Schweizer Unternehmensberatung november ag, Dozent an der HWZ Hochschule für Wirtschaft Zürich (Portfoliomanagement und Professionalisierung des Projektmanagements im Studiengang MAS Project Management), Beratungsschwerpunkt und Veröffentlichungen u. a. zu Einführung und Optimierung von Projektmanagement und PMOs in Organisationen. Fritz Böhle Fritz Böhle, Prof. Dr., Wissenschaftler an der Forschungseinheit für Arbeits- und Berufswelt an der Universität Augsburg, bis Juli 2018 Vorsitzender des Vorstandes des ISF München, Forschungen und Veröffentlichungen zum Umgang mit Ungewissheit und subjektivierendem Handeln. Sandra Dierig Sandra Dierig, Dr. rer. pol., Dipl.-Ing., Inhaberin der Firma Einszeit Managementberatung & Coaching, Dozentin u. a. an der Technischen Universität München und der Universität Zürich für „Projektmanagement für Forschungsprojekte“, eigene Doktorarbeit und Beratungsstätigkeit zu organisationaler Kompetenz im Projektmanagement und Einführung/ Professionalisierung des Projektmanagement in Organisationen. Dorothee Feldmüller Dorothee Feldmüller, Prof. Dr. rer. nat., Professorin für Wirtschaftsinformatik am Campus Velbert / Heiligenhaus der Hochschule Bochum, langjährige Praxiserfahrungen im IT-Projektmanagement, fachliche Schwerpunkte u. a.: Agile und hybride Methoden im technischen Projektmanagement, Theorie-Praxis-Transfer und Kompetenzentwicklung im Projektmanagement, Zusammenwirken zwischen Top-Management und Projektmanagement. Steffen Scheurer Steffen Scheurer, Prof. Dr. rer. pol.; Professor für Rechnungswesen und Controlling und Studiendekan des MBA-Studienprogramms „Internationales Projektmanagement und agiles Projekt- und Transformationsmanagement“ an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen- - Geislingen (HfWU). Forschungsarbeiten zum Umgang mit Komplexität in der Unternehmensführung und in Projekten, Mitautor eines Standardlehrbuchs zum Projektmanagement und Autor zahlreicher Fachartikel und Buchbeiträge zu organisationalen Kompetenzen im Projektmanagement. Andreas Wald Andreas Wald, Prof. Dr. rer. pol. habil., Professor für Strategie an der School of Business and Law der Univeristy of Agder in Kristiansand. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Temporäre Organisationen, Management Control und Innovation. Seine Arbeiten erscheinen unter anderen in wissenschaftlichen Zeitschriften wie Project Management Journal, International Journal of Project Management und International Journal of Managing Projects in Business.