PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
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GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.Die Kraft der Willigen nutzen
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Oliver Steeger
Digitale Transformationen und Kulturwandel gelten in vielen Organisationen als Schlüssel zur Zukunft. Tobias Krüger – Impuls-Speaker auf dem zurückliegenden PM Forum Digital – zählt zur ersten Riege der Experten für Wandel und Transformation. Er hat beispielsweise den Wandel der Otto Group begleitet und darüber hinaus Einblick genommen in die Transformation von mehreren hundert Unternehmen. Auf dem PM Forum Digital gab Tobias Krüger den Teilnehmern einen Überblick über die Herausforderungen bei digitalen Transformationsprojekten. Im Gespräch erklärt er die wesentlichen Erfolgsfaktoren.
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70 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33 . Jahrgang · 05/ 2022 10.24053/ PM-2022-0107 Tobias Krüger, Experte für Transformationsprojekte Die Kraft der Willigen nutzen Oliver Steeger Digitale Transformationen und Kulturwandel gelten in vielen Organisationen als Schlüssel zur Zukunft. Tobias Krüger-- Impuls-Speaker auf dem zurückliegenden PM Forum Digital-- zählt zur ersten Riege der Experten für Wandel und Transformation. Er hat beispielsweise den Wandel der Otto Group begleitet und darüber hinaus Einblick genommen in die Transformation von mehreren hundert Unternehmen. Auf dem PM Forum Digital gab Tobias Krüger den Teilnehmern einen Überblick über die Herausforderungen bei digitalen Transformationsprojekten. Im Gespräch erklärt er die wesentlichen Erfolgsfaktoren Herr Krüger, Sie sagen, dass Kulturwandel und digitale Transformation nicht nur für Unternehmen wichtig sind, sondern für jeden Einzelnen-- und die ganze Gesellschaft. Tobias Krüger: Fangen wir mit den Einzelnen an. Ich spüre unter vielen Mitarbeitenden die Sehnsucht, anders zu arbeiten und geführt zu werden. Es gibt einen inneren Druck bei den Einzelnen. Ihr Leben wird im privaten Alltag immer digitaler-- doch viele Unternehmen verharren digital im Jahr 1990. Bei den Mitarbeitenden klaffen Lebensrealität und Arbeitsrealität auseinander. Das führt dazu, dass sie mit ihrer Situation am Arbeitsplatz unzufrieden werden. Pandemie und andere Krisen, die wir erleben, steigern dies noch einmal. Was die Unternehmen betrifft: Die Gründe sind hinlänglich bekannt. Unternehmen stehen vor vielfältigen Herausforderungen-- angefangen bei der Internationalisierung über den Abriss von Lieferketten, die Globalisierung bis hin zu Energiekrise und Personalmangel. Es geht nicht mehr so weiter wie bisher? Nein. Wir müssen uns transformieren-- auch gesellschaftlich. Die Herausforderung für unsere Gesellschaft ist aus meiner Sicht: Wir müssen bestimmen, wie wir eigentlich in unserem Land leben, wenn die Welt um uns herum digitaler wird. Der Globus wird nicht darauf warten, dass wir uns in Deutschland endlich digital wandeln. Daraus entstehen für uns vielfältige Fragen: Wie sind heute Themen wie Bildung oder Steuergerechtigkeit organisiert- - und wie sollen sie in Zukunft organisiert sein? Was ist mit digitaler Teilhabe? Es sind übrigens immer Wie-Fragen. Also: Wie wollen wir die Transformation angehen? Wie wollen wir digitaler werden? Sprechen wir bitte über Transformationsprojekte. Diese häufig als Changeprojekte bezeichneten Vorhaben verlaufen meistens im Sande. Was kann man bei solchen Projekten falsch machen? In jeder Organisation findet man Treiber für die Transformation, also Mitarbeitende, die eine Leidenschaft für den Wandel entwickeln und ihr Unternehmen mitverändern wollen. Diese Gruppe macht nach meiner Erfahrung ungefähr fünf Prozent der Belegschaft eines Unternehmens aus. Der Fehler ist, dass diese Gruppe der Willigen bei Transformationsprojekten häufig nicht genutzt wird. Warum? Diese Leute sind doch bereits für den Wandel gewonnen? Das ist richtig. Dennoch ist der Schluss falsch, dass diese Gruppe kaum Aufmerksamkeit braucht. Ganz im Gegenteil, wer die Kraft dieser Gruppe der Willigen ungenutzt lässt, verschenkt unglaublich viel Potenzial. Handelt es sich bei dieser Gruppe vor allem um junge Menschen? Nein, auch dieses Vorurteil ist falsch. Ich kenne viele ältere Beschäftigte, die der digitalen Welt gegenüber aufgeschlossen sind, mit dem Smartphone unterwegs sind, online einkaufen oder Social Media nutzen. Wie progressiv Menschen sind-- das ist keine Frage von Alter, Geschlecht, Hierarchieebene oder PM Forum Digital | Die Kraft der Willigen nutzen 71 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33 . Jahrgang · 05/ 2022 10.24053/ PM-2022-0107 Dauer der Betriebszugehörigkeit. Das Problem für die Menschen in dieser Fünf-Prozent-Gruppe ist, dass sie sich nicht kennen. Sie glauben, dass sie mit ihrer Begeisterung für Wandel allein in ihrer Organisation sind, quasi Geisterfahrer in einer Einbahnstraße. Neben dieser kleinen, aber wichtigen Gruppe der Willigen gibt es noch zwei weitere Gruppen. Vermutlich die Mehrheit-… Richtig. Die größte Gruppe ist die der Skeptiker. Sie erkennen die Notwendigkeit des Wandels kognitiv-rational. Sie bezweifeln aber, ob dies konkret in ihrer Organisation funktioniert. Sie haben schon gefühlt dutzende solcher Projekte durchlebt und durchlitten-- und erkannt, dass sie zu nichts geführt haben. Diese Gruppe macht nach meiner Erfahrung ungefähr 80 Prozent der Belegschaft aus. Bleiben noch 15 Prozent-… Das ist die dritte Gruppe. Ich nenne sie den „pöbelnden Mob“, auch wenn dies sehr unfreundlich klingt. Kann man durchaus als unfreundlich verstehen-… Das Problem ist: Obwohl diese Gruppe relativ klein ist, ist sie sehr laut. Viele in dieser Gruppe halten das Transformationsprojekt und den Kulturwandel für Blödsinn. Wegen ihrer Lautstärke kann schnell der Eindruck entstehen, dass sie für die gesamte Organisation sprechen. Wie kann man die Mehrheitsgruppe für ein Transformationsprojekt gewinnen? Ich halte es nicht für klug, bei der 80-Prozent-Gruppe der Skeptischen zuerst anzusetzen. Viele Verantwortliche von Transformationsprojekten stellen sich vor diese Leute, versuchen sie zu überzeugen und auf ihre Seite zu ziehen. Diesen Fehler habe ich anfangs auch gemacht; ich habe versucht, die Gruppe der Skeptischen für die Veränderung zu gewinnen. Sie haben dann genickt und manchmal auch applaudiert. Verändert hat sich dann leider nichts- - trotz der Zustimmung. Wie eben gesagt, diese Gruppe ist häufig bereits durch viele Changeprojekte gegangen. Sie haben dabei für sich verinnerlicht, dass sich durch solche Projekte- - so vernünftig sie scheinen-- nichts bewegt. Welche Bedeutung hat das Top-Management in einem Transformationsprojekt? Das Top-Management muss hinter der Veränderung und dem Transformationsprojekt stehen! Ist das Top-Management nicht an Bord, lohnt es sich nicht anzufangen. Deshalb halte ich wenig von den Graswurzel-Projekten, bei denen der Wandel von unten in der Hierarchie kommen soll. Rührt solch eine Bottom-up-Bewegung an Fragen, die für das Machtzentrum der Organisation wichtig sind, wird die Initiative häufig gestoppt. Graswurzel-Projekte können selten Grundlegendes bewirken. Also: Das Top-Management muss man immer im Rücken haben. Wie starten Sie normalerweise ein Transformationsprojekt? Zunächst: Ich bringe keinen Plan mit, was in einer Organisation verändert werden soll. Stattdessen konzentriere ich mich auf die Fünf-Prozent-Gruppe der Willigen. Ich versuche, diese Menschen zu vernetzen. Sie sind zum einen motiviert, Übersetzt in das „Neue Jetzt“ präsentiert sich das PM Forum seit diesem Jahr in einem neuen innovativen Format. Anders als in den Jahren zuvor hat das Neue PM Forum seinen gewohnten Veranstaltungsort Nürnberg verlassen und wird gleich zwei Mal im Jahr stattfinden. Im Sommer als Präsenzveranstaltung mit jährlich wechselndem Standort und im Herbst als rein digitale Veranstaltung. Dabei bildet das GPM Highlight Event stets den State of the Art des Projektmanagements ab. Neben zukunftsweisenden Impulsvorträgen, hochkarätigen Referentinnen und Referenten sowie interaktiven Workshops und Praxisvorträgen dürfen sich die Teilnehmenden auf organisiertes und spontanes Netzwerken mit der PM-Community freuen. 2023 findet die Präsenzveranstaltung des PM Forum am 15. und 16. Juni 2023 in Köln statt. etwas zu verändern. Zum anderen sind in dieser Gruppe viele Experten für die Organisation, die die Probleme und Schmerzen des Arbeitsalltags kennen. Jeder Mitarbeitende hat einen „Machtbereich“, in dem er ohne Rücksprache Bestehendes verändern kann. Diese Freiheit können die Willigen nutzen. Ich unterstütze sie dann, wirksam zu werden. Wirksam-- inwiefern? Ich begleite sie, eine Vielzahl von Experimenten durchzuführen, um die Organisation umzugestalten. Sie probieren Neues aus, erwerben Skills, lernen und beobachten, wie es läuft. Was nicht funktioniert, stirbt. Das, was sich in der Organisation bewährt, bleibt erhalten. Damit wird Verantwortung für Kulturwandel und Transformation in der Organisation sozialisiert; die Organisation selbst ist für den Wandel verantwortlich, für Erfolge und Misserfolge- - und nicht der Projektmanager. Ein weiterer Punkt: Aus diesen Experimenten kommen häufig praktische Erfolge, die echte Schmerzpunkte in der Organisation beseitigen. Mit diesen Erfolgen gewinnt man dann Schritt für Schritt Skeptiker aus der 80-Prozent- Mehrheit. Sie erkennen, dass sich dieses Mal etwas bewegt bei dem Transformationsprojekt. Dass ihre Organisation sich tatsächlich wandeln kann. Gestatten Sie mir einen Einwand. Wer sich auf eine kleine Gruppe im Unternehmen konzentriert, könnte die Organisation spalten. Diejenigen, die vorangehen, bekommen mehr Einfluss. Skeptiker und Gegner könnten sich dann erst recht gegen Neues wenden. Wie gehen Sie mit diesem Risiko um? Die Spaltung ist eine große Gefahr, das gebe ich zu. Um sie zu vermeiden, definiere und verteile ich beispielsweise Rollen. Ich gebe beispielsweise Kritikern und Gegnern der Veränderungen eine Rolle und nutze ihre Energie. In einem Transformationsprojekt braucht man auch kritische Stimmen. Also bringe ich solche Menschen etwa in einem Sounding Board zusammen, das das Vorhaben kritisch begleitet. Das heißt, Sie formulieren Angebote, um Menschen einzubinden-… Ja. Ich lade sie ein, am Prozess teilzunehmen. Das ist für alle Beteiligten auch kognitiv zu verstehen. Wenn aber jemand mehrmals gefragt wurde, ob er mitmacht, und er wollte nicht- - dann darf er am Ende auch nicht herumkritteln. Er sollte den Mund halten. PM Forum Digital | Die Kraft der Willigen nutzen Eine letzte Frage: Angenommen, ein guter Freund ruft bei Ihnen an. Er hat die Projektleitung für ein Transformationsprojekt übernommen. Er steht mit seinem Vorhaben noch ganz am Anfang -- und braucht einen guten Rat für den Start. Was würden Sie Ihrem Freund empfehlen? Ich setze zwei Punkte voraus: Zum einen muss das Top-Management die Veränderung wirklich wollen, zum anderen konzentriert sich dieser Freund zunächst auf die Fünf-Prozent- Gruppe der Willigen und vernetzt sie. Einverstanden! Ich empfehle meinem Freund, dass er sich mit den Willigen auf reale Probleme konzentriert, also auf Dinge, die die Menschen dort spürbar stören. Wo sind die Schmerzpunkte in der Organisation? Weitere Empfehlung: Er sollte eine Vielzahl von Experimenten anstoßen und die Verantwortung schnell in die Hände der Organisation geben, also in die von Teams oder Fachabteilungen-- und dann sich schnell wieder aus den einzelnen Experimenten herausziehen. So stellt er sicher, dass er sich selbst nicht mit zu vielen Einzelmaßnahmen überlastet. Auch bei Transformationen hat der Tag nur 24 Stunden. Man muss seine Kräfte klug einsetzen. Eingangsabbildung: © iStock.com / peterschreiber.media Tobias Krüger Tobias Krüger gilt als einer der Experten im deutschsprachigen Raum, wenn es um die Themen der digitalen Transformation und den Kulturwandel geht. Er ist als Autor, Speaker und Prozessbegleiter tätig. Zudem hat er als Founder und CEO von Hello.Beta einen Ort geschaffen, an dem gesellschaftliche Fragestellungen rund um die Herausforderungen der Digitalisierung eine Heimat gefunden haben. Tobias Krüger vereint die Erfahrung aus mehr als 50 strategischen Projekten mit der operativen Erfahrung als langjähriger Division Manager des Kulturwandel-4.0-Prozesses der Otto Group. Dabei hat er über die Unternehmensgrenzen hinaus gewirkt und die Vernetzung von einer Vielzahl von Unternehmen zum Kulturwandel etabliert. Dies hat ihm Einblick in die Transformationsprozesse von mehreren hundert Unternehmen im deutschsprachigen Raum gewährt. Dietmar Zobel Von der Idee über die Erfindung zum Patent 1., Auflage 2022, 380 Seiten €[D] 39,90 ISBN 978-3-8252-5895-5 eISBN 978-3-8385-5895-0 Wie entkomme ich der Routine? Wo tummeln sich die guten Ideen und wie setze ich sie um? Wie schütze ich meine Innovationen vor Nachahmer: innen und verdiene damit Geld? Der Autor liefert konstruktive Handlungsempfehlungen: Intuition ist wichtig, aber nicht alles - kreatives Denken und Arbeiten ist erlernbar! Dr. rer. nat. Dietmar Zobel ist Industriechemiker, Erfinder, Fachautor, Methodiker und TRIZ-Trainer. Er war in leitenden Funktionen in der Industrie tätig und ist Inhaber zahlreicher Patente. Anzeige