PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
10.24053/PM-2023-0007
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GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.Supportmodell für den ERP-Rollout bei der DÜRR DENTAL SE
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Claire Lutsch
Ralf Durst
Peter Preuss
Die DÜRR DENTAL SE rollt seit 2017 ihr ERP-System auf die Niederlassungen aus. Um einen guten Anwendersupport gewährleisten zu können, wurde ein Supportmodell entwickelt, mit dem die Niederlassungen nach einem Go-Live so betreut werden, dass sie das notwendige Know-how erlangen, um möglichst viele Probleme eigenständig lösen zu können. In diesem Beitrag werden die Phasen dieses Supportmodells, die Rollen und Verantwortlichkeiten sowie die Kommunikationswege in der Support-Phase vorgestellt.
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39 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 01/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0007 Supportmodell für den ERP-Rollout bei der DÜRR DENTAL SE Claire Lutsch, Ralf Durst, Peter Preuss Für eilige Leser | Die DÜRR DENTAL SE rollt seit 2017 ihr ERP-System auf die Niederlassungen aus. Um einen guten Anwendersupport gewährleisten zu können, wurde ein Supportmodell entwickelt, mit dem die Niederlassungen nach einem Go-Live so betreut werden, dass sie das notwendige Know-how erlangen, um möglichst viele Probleme eigenständig lösen zu können. In diesem Beitrag werden die Phasen dieses Supportmodells, die Rollen und Verantwortlichkeiten sowie die Kommunikationswege in der Support-Phase vorgestellt. Schlagwörter | ERP-Rollout, Supportmodell, Rollen, Verantwortlichkeiten, Knowhow-Transfer 1. Einleitung Bei einem ERP-Einführungsprojekt gibt es viele Herausforderungen, denen man versucht, mit einem guten Projektmanagement bestmöglich zu begegnen. Ist das ERP-System aber erst einmal erfolgreich eingeführt, wird häufig ein abschließender Lessons-Learned-Workshop gemacht und das Projektteam vom Projekt abgezogen. Dabei beginnen dann an vielen Stellen die Nacharbeiten. Die Anwender müssen bei der täglichen Arbeit mit der neuen Anwendung unterstützt werden, und es sind häufig noch Systemanpassungen notwendig. In dieser Situation befand sich auch die DÜRR DENTAL SE, die seit dem Jahr 2017 ihr ERP-System auf die Niederlassungen ausrollt. Daher wurde ein Supportmodell entwickelt, mit dem die Niederlassungen auch nach dem Rollout weiterhin begleitet werden und so das notwendige Know-how erlangen, um eine Vielzahl möglich auftretender Probleme selbst lösen zu können. 2. ERP-Rollout bei DÜRR DENTAL Bei der DÜRR DENTAL handelt es sich um eine Unternehmensgruppe der Dentalindustrie, die insgesamt über 1.300 Mitarbeiter beschäftigt. In 2021 erzielte das Unternehmen einen Umsatz von mehr als 325 Millionen Euro. Seit 2017 wird in den Niederlassungen der Unternehmensgruppe das ERP-System IFS10 ausgerollt. Bei jedem Rollout werden die einzelnen Projektphasen nach dem klassischen Wasserfall-Modell durchlaufen. In der Vergangenheit standen nach einem Go-Live zwar die ERP-Grundfunktionalitäten zur Verfügung. Es zeigte sich jedoch wiederholt, dass ein Großteil der Anwender nicht alle Grundfunktionalitäten kennt bzw. nutzt und diese User aus dem ursprünglichen Projektteam heraus umfangreicher unterstützt werden mussten. Für diesen weiteren Support fehlten im Unternehmen eine Zielsetzung, klare Prozessabläufe sowie die notwendigen Rollen und Verantwortlichkeiten. Im Alltag bedienten die Anwender sich eines Ticketsystems, um Probleme zu melden. Eigenständig waren sie nicht in der Lage, hier Lösungsansätze zu finden bzw. ihre eigene Arbeit und Produktivität zu verbessern. Im Headquarter in Bietigheim-Bissingen standen ihnen zwar ERP-Prozessspezialisten zur Verfügung. Die Generalisten in den Niederlassungen waren aber häufig mit deren Wissensvermittlung überfordert. Ein weiteres Problem war der immer größer werdende Supportaufwand in der Zentrale. In Abbildung 1 ist die Anzahl der in das ERP-System integrierten Niederlassungen in einer roten Linie dargestellt; eine blaue Linie zeigt die Anzahl der ERP-Rollouts. 3. Supportmodell der DÜRR DENTAL SE Um die beschriebenen Herausforderungen nach einer Produktivsetzung bewältigen zu können, hat DÜRR DENTAL ein Supportmodell entwickelt. Ein erster Ansatz, hier ebenfalls auf die klassische Projektvorgehensweise aus der ERP-Einführung zurückzugreifen, wurde aufgrund fehlender Effizienz verworfen. Daher entschied sich das Unternehmen für einen hybriden Projektmanagement-Ansatz, dessen Phasen, Rollen- Wissen | Supportmodell für den ERP-Rollout bei der DÜRR DENTAL SE 40 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 01/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0007 konzept und Kommunikationswege im Folgenden näher betrachtet werden sollen. 3.1 Phasen des Supportmodells Den Startpunkt des Supports bildet der Go-Live des Systems in der entsprechenden Niederlassung. Der Support ist dann unterteilt in eine Hypercarephase, die etwa zwei bis vier Wochen in Anspruch nimmt, sowie eine dreibis sechsmonatige Optimierungsphase. Dem folgt der Regelbetrieb. Die Hypercarephase fordert eine hohe Betreuungsintensität und wird mit einem Lessons-Learned-Workshop abgeschlossen. In diesem in der Regel professionell moderierten Workshop kommen IT-Projektleiter, ERP-Anwender und Key- User sowohl aus dem Headquarter als auch der jeweiligen Niederlassung zusammen. Ziel des Workshops ist es, ein umfassendes Feedback von Anwendern und Key-Usern zu deren Erfahrungen aus der Hypercarephase zu bekommen. Diese Erkenntnisse sind essenziell für mögliche Verbesserungen und bilden die Grundlage für die anschließende Optimierungsphase. In der Optimierungsphase wird das Continual-Improvement-Modell der ITIL 4 angewendet. Zusätzlich werden alle zwei Monate Retrospektiven durchgeführt. Teilnehmer dieser Veranstaltung sind der IT-Projektleiter und die Key-User. In den Retrospektiven wird der aktuelle Supportprozess kritisch bewertet. Außerdem überprüfen die Teilnehmer die aktuellen ERP-Prozesse in ihrer Niederlassung, benennen bestehende Pain Points und identifizieren etwaigen Schulungsbedarf. Die Lessons-Learned-Veranstaltungen und die Retrospektiven dienen also dazu, den Supportprozess kontinuierlich zu optimieren. 3.2 Rollen und Verantwortlichkeiten des Supportmodells Das ursprüngliche Team, das mit der Projekteinführung beauftragt war, wird nach dem Go-Live in ein koordiniertes Key- User-Netzwerk überführt. Dies trägt essenziell zur Umsetzung relationaler Governance bei, die die sozialen Beziehungen der Teammitglieder stärkt. Innerhalb dieses Netzwerks wird zwischen Key-Usern des Headquarters und Key-Usern der Niederlassung unterschieden. Mit jedem ERP-Rollout erweitert sich das Netzwerk um die Key-User der neu angebundenen Niederlassung. Die Key-User in der Niederlassung sind verantwortlich für die ERP-Standardabläufe in ihrer jeweiligen Niederlassung, und sie können daher insbesondere fachspezifischen First-Level-Support leisten. Die Key-User des Headquarters verfügen über fundiertes Wissen zu Geschäftsprozessen und zum ERP-System. Sie organisieren Anwenderschulungen in den Niederlassungen und sind verantwortlich für den First-Level-Support. Gemeinsam sind die beiden Key- User-Gruppen für das Incident Management verantwortlich. Das Know-how der Key-User in den Niederlassungen gilt es durch intensive Schulungen zu stärken, dass sie eine Vielzahl der anfallenden Problemstellungen eigenständig lösen können. Sollte dies nicht der Fall sein, können sie ein IT-Service-Desk-Ticket erstellen. Dieses in der Regel komplexe Problem wird dann von einem IT-Applikationsspezialisten im Headquarter bearbeitet (Second-Level-Support). Die Key- User der Zentrale decken auch das Problem Management ab und sind verantwortlich für Prozessänderungen und Systemerweiterungen. Abbildung 2: Phasen des Supportmodells Abbildung 1: ERP-Rollouts bei den DÜRR DENTAL Niederlassungen Wissen | Supportmodell für den ERP-Rollout bei der DÜRR DENTAL SE 41 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 01/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0007 Während der Hypercare-Phase findet eine offizielle Verantwortungsübergabe vom IT-Projektleiter an einen Brückenkopf statt. Dieser betreut und vernetzt die Key-User in der Optimierungsphase. Zudem konsolidiert er Änderungsanforderungen und optimiert die ERP-Prozesse in den Niederlassungen. Gemeinsam mit den IT-Applikationsspezialisten können die auf diese Weise angestoßenen Änderungen in einem Folgeschritt umgesetzt werden. Der Brückenkopf hat somit auch die Verantwortung für das Change Enablement in der Optimierungsphase. Ist auch die Optimierungsphase beendet, gilt die ERP-Implementierung als abgeschlossen. Dieser Zeitpunkt ist durch einen offiziellen Projektabschlusstermin gekennzeichnet. In Abbildung 3 werden die Rollen, deren Verantwortlichkeiten und die Vernetzung in der Support Phase gezeigt. Mitarbeiter, die dem Support-Team angehören möchten, sollten langfristiges Interesse an den ERP-Abläufen des Unternehmens zeigen, weshalb der Einsatz externer Mitarbeiter kritisch hinterfragt werden sollte. 3.3 Kommunikationswege in der Supportphase Im Key-User-Netzwerk ist eine effiziente und reibungslose Kommunikation von großer Bedeutung. Je mehr Key-User miteinander in Kontakt sind, desto besser kann der langfristige Supportaufwand bewältigt werden. Besonders wichtig ist eine gute Vernetzung der Key-User verschiedener Niederlassungen, da sie in der täglichen Anwendung mit ähnlichen Problemen konfrontiert sind. Für die Key-User richtet der Brückenkopf einen Gruppenchat in MS Teams ein, in dem sich die Key-User unterschiedlicher Niederlassungen austauschen können. Durch die Vernetzung der Key-User verschiedener Standorte bewegt sich der Austausch während des Supports weg von einem sternförmigen und hin zu einem vermaschten Kommunikationsnetzwerk. So kann der Arbeitsaufwand der Key-User im Headquarter reduziert werden, während die Key- User der Niederlassungen gleichzeitig eigenständig neues Wissen generieren und damit ihre eigene Produktivität verbessern. In der Supportphase gibt es außerdem zweiwöchige Regeltermine, an denen die Key-User im Headquarter teilnehmen. Diese werden ergänzt um Regeltermine für die Key-User in den Niederlassungen. Dabei tauschen sich die fachspezifischen Key-User unterschiedlicher Niederlassungen mit dem Key-User des Headquarters aus. Da die Key-User des Headquarters auch die Schulungen der Key-User in den Niederlassungen durchgeführt haben, sind sie für deren Problemstellungen bereits sensibilisiert. Bisherige Erfahrungen zeigen, dass in den genannten Meetings vor allem Fragen zu allgemeinen ERP-Prozessabläufen und -Funktionen adressiert werden. Diese werden von den Key-Usern in einem FAQ gesammelt und allen Mitarbeitern im Intranet zur Verfügung gestellt. Hierbei gilt: Je anwenderfreundlicher diese Dokumentation ist, desto hilfreicher ist sie bei der Problemlösung. 4. Resümee In ERP-Einführungsprojekten wird dem Support nach einem Go- Live häufig zu wenig Beachtung geschenkt. Dabei gilt eine gute Supportstrategie als ein wichtiges Mittel, um die Arbeitsweise mit dem ERP-System signifikant zu steigern. Deshalb hat die DÜRR DENTAL SE ein Supportmodell entwickelt, das u. a. die Rollen und Abläufe während des Supports nach einem ERP-Rollout auf eine Niederlassung klar regelt. Sich daraus ergebende positive Effekte sind eine gesteigerte Lösungskompetenz und ein besserer Umgang mit dem System bei den Anwendern in den Niederlassungen sowie ein geringerer Arbeitsaufwand bei den Key-Usern im Headquarter. Eingangsabbildung: © iStock.com / INDU BACHKHETI Abbildung 3: Rollenkonzept des Supportmodells Claire Lutsch Claire Lutsch ist System Managerin im Bereich IT Business Applications bei der DÜRR DENTAL SE. Ralf Durst Ralf Durst ist Leiter Konzern IT bei der DÜRR DENTAL SE. Prof. Dr. Peter Preuss Prof. Dr. Peter Preuss lehrt Wirtschaftsinformatik an der FOM Hochschule für Oekonomie & Management in Stuttgart. Parallel zu seiner Lehrtätigkeit ist Peter Preuss geschäftsführender Gesellschafter der Unternehmensberatung People Consolidated GmbH.