eJournals PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL 34/1

PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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2941-0878
2941-0886
UVK Verlag Tübingen
10.24053/PM-2023-0008
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2023
341 GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.

Infrastruktur- und Großbauprojekte erfolgreich planen und steuern

31
2023
Thomas Gläßer
Uwe Gehrmann
Infrastruktur- und Großbauprojekte in Deutschland werden nicht von selbst zur Erfolgsgeschichte, wie nicht zuletzt BER und Stuttgart 21 belegen. Geld, Qualität oder Zeit, eine der Dimensionen gerät oftmals unter die Räder. Die Folge: das Projekt entwickelt sich zum Desaster. Beinahe reflexartig ertönt der Ruf nach der Politik, die z. B. durch vereinfachte Genehmigungsverfahren alle Probleme scheinbar lösen kann. Aber ist die Antwort auf die Frage nach dem „Warum“ so einfach? Wir meinen „nein“. Es kommt vor allem auf die Projektbeteiligten außerhalb der Politik an, die oft nicht so aufgestellt sind, wie solche Projekte es erfordern. „Change by Design, das „Hexagon des Projekterfolges“ und ein richtiger Aufsatz des Projektes ab der ersten Minute können dazu beitragen, Projekte zukünftig deutlich erfolgreicher zu realisieren.
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42 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 01/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0008 Vereinfachte Genehmigungsverfahren allein sind kein Allheilmittel. Erfolgreiche Projektrealisierung braucht „Change by Design“! Infrastruktur- und Großbauprojekte erfolgreich planen und steuern Thomas Gläßer und Uwe Gehrmann Für eilige Leser | Infrastruktur- und Großbauprojekte in Deutschland werden nicht von selbst zur Erfolgsgeschichte, wie nicht zuletzt BER und Stuttgart 21 belegen. Geld, Qualität oder Zeit, eine der Dimensionen gerät oftmals unter die Räder. Die Folge: das Projekt entwickelt sich zum Desaster. Beinahe reflexartig ertönt der Ruf nach der Politik, die z. B. durch vereinfachte Genehmigungsverfahren alle Probleme scheinbar lösen kann. Aber ist die Antwort auf die Frage nach dem „Warum“ so einfach? Wir meinen „nein“. Es kommt vor allem auf die Projektbeteiligten außerhalb der Politik an, die oft nicht so aufgestellt sind, wie solche Projekte es erfordern. „Change by Design, das „Hexagon des Projekterfolges“ und ein richtiger Aufsatz des Projektes ab der ersten Minute können dazu beitragen, Projekte zukünftig deutlich erfolgreicher zu realisieren. Schlagwörter | Projektmanagement, Change by Design, Hexagon des Projekterfolges, kritische Erfolgsfaktoren, gemeinsames Projektverständnis, Genehmigungsverfahren, Expertenwissen auf Zeit, Best Practise Die Diskussionen um Nachhaltigkeit und die notwendige Energiewende, aktuell verstärkt durch die geopolitischen Entwicklungen ausgehend von Russland, haben für jeden einzelnen Bürger spürbar werden lassen, wie dringend wir neue Infrastrukturen und Produktionsstätten benötigen, um uns den bevorstehenden Herausforderungen erfolgreich stellen zu können. Und so finden wir uns mit einer Vielzahl von Großprojekten konfrontiert, wie wir sie bislang kaum gesehen haben. Neben verkehrlichen Großprojekten auf der Straße und der Schiene kommen weitere Themen erheblichen Ausmaßes hinzu. Stromautobahnen, LNG-Terminals und Wasserstoff-Fabriken als Enabler der Energiewende und zur Sicherstellung der Versorgung mit Energie, aber auch die Rüstungsindustrie und die Bundeswehr mit Blick auf das Sondervermögen des Bundestages in Höhe von 100 Mrd. Euro. Allerorts werden die Rufe nach einer schnellen Realisierung dieser Vorhaben laut-- allein hadern wir oftmals mit der Umsetzung. Und hier ist es zu kurz gesprungen, die Verantwortlichkeit nur in Richtung der Politik und Verwaltungen zu schieben und zum Beispiel im Bereich komplexer Genehmigungsverfahren zu suchen. Nein, gerade auch die mit der Realisierung solcher Projekte beauftragten Unternehmen, auftraggeberwie auftragnehmerseitig, sind gefordert, Voraussetzungen zu schaffen, die eine erfolgreiche Projektrealisation in den relevanten drei Dimensionen- - Zeit, Qualität und Finanzen- - ab der ersten Minute ermöglichen. Doch was sind diese Voraussetzungen, die ein Projekt von Beginn an erfolgreich machen? Ist der Ruf nach derartigen Voraussetzungen nicht eher alter Wein in neuen Schläuchen? Wie Projekte erfolgreich gestaltet werden, meinen wir doch vor dem Hintergrund jahrzehntelanger Erfahrung zu wissen, oder? Die Autoren haben vor dem Hintergrund ihrer Erfahrung, oftmals als Brandwehr erst dann zu Projekten dazu gerufen zu werden, wenn sie nicht mehr plangemäß laufen, bisherige Ansätze weiterentwickelt und auf die aktuelle Projektpraxis angepasst. Es geht also nicht darum, das Rad neu zu erfinden. Vielmehr geht es darum, aktuelle Entwicklungen, wie beispielsweise Agilität und Digitalisierung, zu nutzen, um Projekte erfolgreich zu realisieren. Dabei meint Digitalisierung nicht allein die Berücksichtigung digitaler Techniken, sondern vielmehr einen unternehmensweiten Wandel im Mindset der Beteiligten. Doch schauen wir zunächst einmal auf die Ursachen, die Projekte am Erfolg hindern: Wissen | Infrastruktur- und Großbauprojekte erfolgreich planen und steuern 43 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 01/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0008 Drei Ursachen, warum Projekte nicht plangemäß verlaufen Als prägende Ursachen für Misserfolge bei Infrastruktur- und Großbauprojekten lassen sich, neben weiteren, deutlich weniger bedeutenden Gründen, ausmachen: 1. Keine bzw. mindestens nicht ausreichende Verständigung über die Projektziele 2. Unzureichendes Projektverständnis (Projekt bedeutet nicht Linie, sondern „Unternehmertum” im Projekt) 3. Gesetzliche Rahmenbedingungen wie z. B. Genehmigungsverfahren Infrastruktur-Großprojekte sind oftmals durch eine Vielzahl von Stakeholdern und eine hohe Komplexität geprägt. Die Menge der Stakeholder ergibt sich schon aus der Vielzahl der an einem solchen Großprojekt Beteiligten, sowohl vonseiten der Bedarfsträger bzw. Auftraggeber als auch bzgl. der an der Umsetzung des Projekts beteiligten Unternehmen, der Auftragnehmer. Die Komplexität beschreibt die sogenannte „Stacey-Matrix“, die in einem Quadrantensystem grafisch den Zusammenhang zwischen einer Genauigkeit, mit der das Ziel eines Projektes definiert ist, sowie einer Lösung, wie das Projektziel erreicht werden kann, darstellt. Sind sowohl das Ziel des Projekts unklar wie auch die Lösung zur Projektumsetzung unbekannt, sprechen wir von einem Projekt mit hohem Komplexitätsgrad. So legt ein Blick auf ein Projekt der Energiewende Deutschlands offen, dass die Anforderungen an die Art der Energieübertragung (Freileitung vs. erdgebundenes Kabel) zum Zeitpunkt des Projektbeginns ebenso wenig festgelegt waren, wie ein Teil der möglichen Technologien zur Realisierung des Projekts unbekannt war. Fragen nach der thermischen Belastung des Umfeldes eines solchen Erdkabels sowie an dessen optimale Verlegetiefe spiegeln hier nur einzelne Aspekte wider, die in ihrem Zusammentreffen mit einem unklaren Zielbild dann in Summe zu einem hohen Grad an Komplexität führen. Auch eine weitere Dimension, die auf die Synchronisation der individuellen Zielbilder der Projektbeteiligten abzielt, darf nicht unbeachtet bleiben. Gelingt es nicht, bereits ab der ersten Phase einer Angebotsaufforderung für ein solches Projekt, die Projektanforderungen klar zu beschreiben, kann ein Angebot zur Realisierung dieses Projektvorhabens kaum passgenau sein. Hier genau setzt die Systematik von „Change by Design“ an, in dem von vornherein, möglichst schon mit der Ausschreibung und ihrer Systematik, ein Projekt so aufgesetzt wird, dass erfolgsfördernde Faktoren in den Vordergrund gestellt, erfolgshindernde dagegen möglichst eliminiert werden. Diese Diskrepanz zwischen den Projektbeteiligten hinsichtlich des Zielbildes setzt sich so über den Vertrag bis hin zum Projektverlauf in der Realisierung fort. Hier ist anzuraten, dass die beteiligten Vertragsparteien Prinzipien agilen Projektmanagements zu Rate ziehen und in einem agilen, iterativen Prozess immer wieder die Anforderungslage, die sich im Rahmen eines Projekts mit mehrjähriger Laufzeit nicht nur verändern kann, sondern erfahrungsgemäß auch wird, gegen die Lösungsansätze zu spiegeln. Hierbei wird ein gemeinsames Zielbild entwickelt und gemeinschaftlich verabschiedet. Spätere Veränderungen im Anforderungsprofil werden dann ebenso gemeinschaftlich im Rahmen des Zielbilds berücksichtigt, so dass Raum für eine notwendige Projektkultur und -identität entsteht, in der nicht vorrangige Auftragnehmer und Auftraggeber in einem Abhängigkeitsverhältnis miteinander umgehen, sondern Projektpartner gemeinschaftlich an der unbedingten Zielerreichung arbeiten. Darüber hinaus ist es für die Projektpartner zwingend notwendig, sich eindeutig darüber zu verständigen, was im Rahmen des Vertrags zur Projektumsetzung „in scope“ ist. Ebenso muss gemeinschaftlich festgelegt werden, was „out of scope“ liegt. Immer wieder stellen wir fest, dass bei den beteiligten Partnern das Verständnis darüber, was ein Projekt im Kern charakterisiert bzw. ausmacht, nur in unzureichender Form vorhanden ist. So steht häufig die Vermeidung von Risiken im Vordergrund. Dabei kommt es vielmehr auf ein angemessenes Management von Risiken an. Die Ursache für die Ablehnung von Risiken ist oftmals in der Unternehmensgenetik der Beteiligten angelegt. So ist zum Beispiel für den Betreiber kritischer Infrastrukturen eine Null-Fehler-Politik die Maxime seines Handelns- - schließlich kann jeder Fehler mitunter lebensbedrohlichen Konsequenzen bedeuten. Jegliche Risiken werden dementsprechend frühestmöglich eliminiert. Angemessenes Projektverständnis bedeutet für uns, Risiken zu managen. Der Versuch, Risiken auszuschließen, hindert ein Projekt erheblich in seiner Fertigstellung. Die Akzeptanz, dass Risiken im Zuge eines Projektes nicht auszuschließen sind, sondern vielmehr bewertet und gemanagt werden müssen, bedingen eine vollständig andere Sichtweise, entsprechend auch eine andere Kultur des Umgangs der Projektpartner miteinander. Nicht ein Schuldiger wird gesucht, es bieten sich viele kluge Köpfe zur Lösungsentwicklung an, wenn ein mögliches Risiko eintritt. Auch hier lassen sich Querverweise bereits zur Ausschreibungsphase ziehen. Ist die Ausschreibung von vornherein darauf angelegt, dass die Auftragnehmer nur durch ein konsequentes Nachtragsmanagement eine eigene Margenerwartung treffen, ist ein allzu intensives Contracts & Claims-Management die Folge. Die Beteiligten lenken ihre Energie auf formaljuristische Auseinandersetzungen, anstatt die notwendige Energie in den Projekterfolg zu investieren. Im Kontakt mit Beteiligten erfolgreich realisierter Großprojekte ist deren Credo regelmäßig „Kommunikation, Kommunikation, Kommunikation“. Findet diese Kommunikation nicht statt, kommunizieren die Beteiligten nicht regelmäßig und transparent, sondern handeln eher gemäß der Redewendung „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold“ lässt sich ein weiterer Faktor für unzureichendes Projektverständnis nur allzu leicht ausmachen. Es braucht eine offene, an der Sache ausgerichtete, wertschätzende und kontinuierliche Kommunikation untereinander. So entsteht eine Atmosphäre, in der die konstruktive Auseinandersetzung den Umgang mit projektbedingten Herausforderungen und die Basis des Projekterfolges bildet. Als ein weiteres Merkmal eines guten Projektverständnisses haben wir darüber hinaus Transparenz und Orientierung entlang einer Projekt-Roadmap identifiziert. Alle Projektpartner müssen in jeder Phase des Projektes darüber orientiert sein, welche Schritte der Projektablauf vorsieht und verstehen, was die wesentlichen Meilensteine und kritischen Erfolgsfaktoren des Projektes sind. So können Sie sicherstellen, dass einzelne Projektschritte nicht losgelöst vom Projektganzen vollzogen werden, und demzufolge auf die gleiche Zielerreichung einzahlen. Dabei ist die Roadmap keinesfalls Wissen | Infrastruktur- und Großbauprojekte erfolgreich planen und steuern 44 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 01/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0008 statisch bzw. entlang der Wasserfallmethodik anzulegen. Wir empfehlen nachdrücklich Agilität und iteratives Vorgehen, um Planung und sich davon abweichend entwickelnde Projektrealitäten eng zu synchronisieren. Natürlich müssen wir auch die Bedeutung gesetzlicher Rahmenbedingungen, z. B. im Rahmen von Genehmigungsprozessen, betrachten. Angefangen bei der DSGVO über gesetzliche Vorgaben in Planung und Genehmigung bis hin zu abschließenden Abnahmen-- wir befinden uns in Deutschland, bezogen auf Regulierung, auf einem deutlich hohen Niveau. Was auf der einen Seite als Errungenschaft gefeiert werden kann, weil wir so den Schutz des Individuums und auch die Stabilität und Sicherheit im anschließenden Betrieb des Projektvorhabens sicherstellen, lastet andererseits wie ein Mühlstein um den Hals der Beteiligten. Nicht, dass wir uns missverständlich ausdrücken-- wir plädieren weder für erhebliche Einschränkung all dieser Errungenschaften noch gar für deren Aussetzung. Was aber wieder mehr in den Fokus rücken muss, ist, dass uns an manchen Stellen die Pragmatik abgeht, Projekte nicht nur sicher, sondern auch in vertretbarem Zeit- und Kostenrahmen zu realisieren. Ein aktuelles Beispiel bietet die Autobahnbrücke im Verlauf der Bundesautobahn 45, besser bekannt als Sauerlandlinie, bei Lüdenscheid. Diese Brücke, die auf Grund als sicherheitsrelevant einzustufender Mängel zum Schutz von Leib und Leben Anfang Dezember 2021 voll gesperrt wurde. Die Fertigstellung des Neubaus wird unter Beachtung aktueller Regelwerke mit acht bis zehn Jahren vorhergesagt. Maßgeblicher Faktor für die Länge des Neubauzeitraumes sind eben gesetzliche Rahmenbedingungen, zu denen unter anderem die Umweltverträglichkeitsprüfung zählt. Rückbau wie Neubau könnten in wesentlich kürzerer Zeit bewerkstelligt werden. Schon wird der Ruf nach Sonderregelungen für dieses Nadelöhr deutscher Mobilität laut. Diese sollen laut Bundesverkehrsministerium aber nicht eingeräumt werden. Umweltschützer haben für den Fall, dass die Politik auf die notwendige Umweltverträglichkeitsprüfung verzichten wolle, bereits den Klageweg ausdrücklich nicht ausgeschlossen. So vergeht Monat um Monat damit, Fristen einzuhalten oder auszuschöpfen, anstatt mit Augenmaß angepasste Regelungen und Vorgehensweisen zu schaffen, die den Verkehr wieder zum Fließen bringen. Erfolgreiche Projektsteuerung und ihre Voraussetzungen Da wir nun die drei wesentlichen Faktoren als Ursache für Misserfolge bei Infrastruktur-Großprojekten dargestellt haben, soll unser Augenmerk nun den Faktoren und Voraussetzungen gelten, die ursächlich für den Erfolg solcher Projekte stehen, die also eine erfolgreiche Projektsteuerung ausmachen. Es steht außer Frage, dass es über die Stufen von Planung, Genehmigung und Bau mit ihren vielen Unterpositionen eine Menge konzeptioneller, strategischer und technischer Erfolgsfaktoren im Zuge der Projektrealisation bestehen. Alle stellen Einflussfaktoren für die drei genannten Dimensionen Zeit, Qualität und Finanzen dar. Ebenso klar ist, dass wir an dieser Stelle auch nicht den Pfad der Tugend verlassen wollen, der am Ende die Sicherheit von Infrastruktur- und Großbauprojekten gefährdet. Dennoch ist im Folgenden ein Faktor aufzuzeigen, der tatsächlich alle anderen Faktoren an Bedeutung überlagert. Infrastruktur- und Großbauprojekte werden von Menschen realisiert. Und so ist für uns der Faktor „Mensch“ ein wesentlicher Schlüsselfaktor, der in der Lage ist, den Unterschied zwischen erfolgreichen und nicht erfolgreichen Projekten auszumachen. Lassen Sie uns einmal den Blick in den Rückspiegel werfen und einen Vergleich zu einem der Mega-Projekte deutscher und internationaler Automobilgeschichte ziehen: Die Fusion des deutschen Autobauers Daimler mit dem amerikanischen Automobilhersteller Chrysler. Gefeiert als „Hochzeit im Himmel“ wurde die Traum-Ehe kaum zwei Jahre später geschieden. Doch was war der Grund? War es die fehlende Flexibilität und Geschwindigkeit in der Produktentwicklung der Schwaben? War es die vermeintlich allzu starke Kostenorientierung, die aus Detroit über den Ozean schwappte und aus Sicht der Deutschen die Qualität der Amerikaner nachhaltig negativ beeinflusste? War es die deutsche Angst vor einer Dominanz der US-Amerikanischen Automobilherstellers oder die Sorge der Amerikaner vor einer Germanisierung? Heute wissen wir, dass all diese Faktoren Wirkung gezeigt haben. Wir wissen aber auch: Zwischen den Unternehmen tobte ein Kampf der Kulturen und es waren Manager wie Jürgen Schrempp und Dieter Zetsche auf Seiten der Stuttgarter oder Thomas Stallkamp als Chrysler Manager, die das Scheitern des weltweit drittgrößten Autokonzerns begründeten. Und vom Top-Management in die Organisationen geschaut, waren es Menschen, die sich, die ihre Vorstellungen und ihre Kulturen nicht miteinander synchronisiert bekamen. So kann es nicht verwundern, dass rund ein Jahr nach der Fusion dementsprechend schon mehr als zwei Handvoll Topmanager das Unternehmen verlassen hatten. Menschen- - nicht mehr und nicht weniger! „Culture eats strategy for breakfast”, so hat es Peter Drucker, der bekannte Pionier der modernen Managementlehre, formuliert. Kultur und Miteinander werden von Menschen gemacht und geprägt. Gerade in einem Umfeld vieler Beteiligter, einem Multi-Stakeholder-Environment, geht es vorrangig darum, dass die Menschen eine Kultur gestalten, in der Vertrauen wachsen kann, in der Menschen Verantwortung übernehmen und Transparenz schaffen, nicht aus Angst vor Sanktionierung (ver-)schweigen. Eine Kultur, in der Leistungsbereitschaft über jeden einzelnen Beteiligten gelebt wird und so alle gemeinsam nach dem unbedingten Projekterfolg streben. Die Wirkung des Faktors „Mensch“ ist aus unserer Sicht von derartiger Bedeutung, dass wir eindeutig empfehlen, an die Spitze von Großprojektorganisationen nicht den besten Fachmann zu stellen, sondern den wirkungsvollsten Leader! Natürlich darf dies nicht dazu führen, dass Fachkompetenz in den Hintergrund gerät. Es geht uns um die Spitze von Organisationen, die dann wiederum ein Team von höchster Fachkompetenz um sich installieren muss. Dass dabei nicht immer nur auf Mitarbeiter, die sich bereits an Bord der beteiligten Unternehmen befinden, geschaut werden kann, ist für uns beinahe systemimmanent. Zu spezifisch sind Detailanforderungen, als dass jedes noch so große Unternehmen es sich leisten könnte, all diese Kompetenzen in sich zu vereinen. Daher, so zeigt es die Erfahrung der Autoren ebenso wie die Vielzahl ihrer Gesprächspartner, ist es wichtig, frühzeitig Erfahrung und Expertenwissen in das Vorhaben einzubinden. Immer stärker reservieren eine steigende Zahl von Unternehmen vorausschauend Budgets für den punktuellen Einsatz hochspezialisierter Experten auf Wissen | Infrastruktur- und Großbauprojekte erfolgreich planen und steuern 45 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 01/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0008 Zeit- - und gestalten auf diese Weise das eigene Management schlanker. Experten, die • vor dem Hintergrund der jeweils spezifischen Projektanforderungen, vergleichbare Projekte bereits erfolgreich gemanagt haben, • über größte Leadership-Kompetenzen und / oder • das notwendige Fachwissen im Detail verfügen sowie • Lücken schließen bzw. passgenau ergänzen, wo die eigene Organisation diese nicht auszufüllen vermag. Lösungsansätze Wie also können wir zukünftig zu einem höheren Maß sicherstellen, dass Infrastruktur- und Großbauprojekte nicht mehr notwendigerweise in einem Debakel enden? Kann dies überhaupt gelingen, nachdem wir im Verlauf unserer Ausführungen drei sehr unterschiedliche, aber allesamt wesentliche Kriterien identifiziert haben, die negativ auf eine erfolgreiche Projektumsetzung wirken? Reicht es aus, lediglich gesetzliche Grundlagen zu verschlanken und Genehmigungsverfahren zu beschleunigen? Die ersten beiden Fragen müssen wir eindeutig bejahen, wenngleich die Lösung sicherlich mehrschichtig aufgebaut ist. Die Frage in Bezug auf verschlankte gesetzliche Grundlagen und beschleunigte Genehmigungsprozesse hingegen verneinen wir. Denn es wird nicht ausreichen, nur eine Stellschraube in einem System zu adjustieren und dann darauf zu hoffen, dass das System alle weiteren Stellschrauben einem Automatismus gleich nachzieht und so zum Erfolg führen wird. Wenn es aber gelingt, die genannten Faktoren gemäß ihrer Bedeutung von der ersten Sekunde eines Vorhabens im Sinne unserer Ausführungen zu gestalten, wenn Projektorganisationen sich konsequent und iterativ mit sich durchaus verändernden Anforderungen eines Projektes wie auch auftretenden Problemstellungen auseinandersetzen und nicht das Problem fokussieren, sondern vielmehr die Lösung in den Vordergrund stellen, dann wird der Erfolg deutlich machbarer! Hier möchten wir auf das von uns entwickelte „Atreus Hexagon des Projekterfolges“ hinweisen, dass die Dimensionen „Verantwortung, Risiko, Führung / Kommunikation, People, Werkzeuge und Zielbild beinhaltet (siehe Abbildung 1). Bei diesen sechs kritischen Faktoren und der Beantwortung der im Rahmen des Hexagons aufgezeigten Fragestellungen handelt es sich um die entscheidenden Erfolgsfaktoren, die die Projektpartner bei der erfolgreichen Planung und Bau von Infrastruktur- und Großbauprojekten entscheidend unterstützen. Fassen wir abschließend die entscheidenden Lösungsansätze noch einmal zusammen: • Ganzheitlicher Projektansatz Ein Projektvorhaben darf weder isoliert in seinen Einzelschritten betrachtet werden, noch darf die Betrachtungsperspektive eine statische sein. Die Entwicklungen in der Informationstech-nologie bzw. in der Digitalisierung zeigen deutlich, welch erfolgssteigernden Charakter agile Projektmanagementmethodiken haben. Deren Berücksichtigung ist, dies können wir aus eigener Erfahrung bestätigen, bei Infrastruktur-Großprojekten nicht nur möglich, sondern dringend notwendig. Verhindern Sie das Entstehen von Silos innerhalb eines Projektes- - Transparenz und eine klare Projektroadmap sind Treiber des Projekterfolges. Eine solche Roadmap basiert auf einer eindeutigen und klaren Leistungsbeschreibung, die zwischen den Projektbeteiligten abgestimmt sein muss. Interpretations-Spielräume sind der Anfang vom Ende des Projekterfolges! Eines Erfolges, der nicht nur auf Planung und Technik, sondern vielmehr auch Faktoren wie den Standort, an dem das Projekt zu liefern ist (landesspezifische Rechtsgrundlagen), die Organisation der Projektbeteiligten oder die Geschäftsprozesse fußt. Das „Hexagon des Projekterfolges“ gibt gezielte Hinweise auf die Schlüsselfaktoren für einen ganzheitlichen Projektansatz! • „Mut“ frühzeitig Erfahrung und Expertenwissen einzubinden Abbildung 1: Atreus Hexagon des Projekterfolges Wissen | Infrastruktur- und Großbauprojekte erfolgreich planen und steuern 46 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 01/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0008 Blinde Flecken in der eigenen Organisation sind keine Seltenheit. Identifizieren Sie diese bereits vor Projektbeginn, akzeptieren Sie diese und berücksichtigen Sie sie als Faktor für Projekterfolg schon in der Budgetplanung! • Cross-Industry-Best-Practise Erfolg ist keine Einbahnstraße, kein Herrschaftswissen! Lange Zeit haben wir darauf beharrt, dass Projekte eine tiefe, konsequente Branchenerfahrung benötigen. Dass es sich hierbei um eine eklatante Fehleinschätzung handelt, mit der wertvolle Erfahrungen anderer Branchen und Industriesektoren ungenutzt verpufft, sollten wir heute berücksichtigen. Natürlich ist Expertise in Branche, Technologien etc. unabdingbar. Aber sie stellt kein Ausschließlichkeitskriterium dar! Heute ist derjenige am Markt erfolgreich, der Kundenbedürfnisse erkennt und bedient. Technologie ist dabei ein Kriterium, längst aber nicht mehr der Schlüssel zum Erfolg! • Steering Boards sichern Objektivität Wir alle kennen dieses diffuse Gefühl, dass ein Projekt scheinbar nicht richtig läuft. Nennen wir es Instinkt, nennen wir es Erfahrung. Allein, ohne objektive und von allen Beteiligten akzeptierte Kriterien für die Bewertung des Projektfortschritts zu vereinbaren und diese zu messen und zu bewerten, fehlen uns die Fakten für gezielte Kurskorrekturen. Für beteiligte Parteien ist dies schwer, denn es könnte sogar bedeuten, eigene Unzulänglichkeiten einzugestehen. Die Objektivität gemeinschaftlich besetzter Gremien, angereichert um einen externen Dritten, kann helfen, einseitige Gefühlslagen zu normieren und einzuordnen. In der Rolle eines unbeteiligten Moderators oder Ratgebers mit ausgewiesener Erfahrung, z. B. in Steering Boards, trägt dieser dazu bei, festgefahrene Projektsituationen aufzulösen oder, bei konsequenter Berücksichtigung eines „Change by Design“-Ansatzes von der ersten Sekunde eines Projektes Grundlagen für den Erfolg zu schaffen und Projektmisserfolge bestenfalls bereits vor Entstehen zu verhindern. Eingangsabbildung: © iStock.com / Smileus Beide Autoren blicken in ihren mehr als zwanzigjährigen Karrieren auf geschäftsführende Stationen in deutschen High-Tech- und ITbzw. Industriekonzernen wie Siemens oder der Deutschen Telekom, aber auch dem Mittelstand zurück. Zu den Kompetenzfeldern der Autoren zählen ebenso Transformationsbzw. Changeprozesse, die organisationale Entwicklung, Innovationsmanagement, Digitalisierung und Restrukturierung wie auch die interimistische oder dauerhafte Besetzung von Top-Management-Positionen. Beide Autoren sind in ihren Laufbahnen an Infrastruktur-Großprojekte unterschiedlicher Art beteiligt gewesen, so zuletzt beide in einem Projekt der Energiewende Deutschlands. Thomas Gläßer Thomas Gläßer ist Direktor und Leiter der Solution Group Infrastruktur- Großprojekte der Atreus GmbH. Uwe Gehrmann Uwe Gehrmann, ebenfalls Atreus GmbH, ist Partner und Mitglied des Executive Boards des Unternehmens.