eJournals PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL 34/1

PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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2941-0878
2941-0886
UVK Verlag Tübingen
10.24053/PM-2023-0015
31
2023
341 GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.

Einmal im Kreis gelaufen – oder der Weg ist das Ziel

31
2023
Jens Köhler
Die Kolumne „Ehrlich und Priesberg“ möchte mit unterhaltsamen Dialogen rund um das Thema „Mensch – Kommunikation, Verhalten, Entscheidungen“ Denkanstöße für den PM-Alltag geben.
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66 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 01/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0015 Kolumne Einmal im Kreis gelaufen-- oder der Weg ist das Ziel Die Kolumne „Ehrlich und Priesberg“ möchte mit unterhaltsamen Dialogen rund um das Thema „Mensch- - Kommunikation, Verhalten, Entscheidungen“ Denkanstöße für den PM- Alltag geben. Jens Köhler Ehrlich und Priesberg machen einen Zwischenstopp auf einer Dienstfahrt. Sie halten an einem Parkplatz, der in einen Wald führt. Sie folgen dem großen Wanderweg, der sich allmählich in viele Pfade verästelt. Priesberg prescht auf einem der Pfade eifrig voran. „Komisch, ich habe das Gefühl, dass wir hier schon mal entlang gegangen sind“, stellt Priesberg nach einiger Zeit erstaunt fest. Ehrlich überlegt: „Das kann gut möglich sein, lass‘ uns doch mal den nächsten großen Pfad versuchen, der parallel zum Hauptweg liegen könnte.“ Nach weiterer Zeit erfolglosen Navigierens kramt Ehrlich sein Smartphone hervor, bevor er feststellt: „Kein Empfang. Eine Karte haben wir auch nicht und die Wegweiser geben für mich erstmal keinen Sinn.“ „Auf gut Deutsch-- wir haben uns verlaufen“, stellt Priesberg fest und fährt fort: „Da sind wir doch in Projekten viel besser: Da haben wir stets ein Ziel, nämlich den Weg.“ Ehrlich ist nun sehr verwundert über den mangelnden gedanklichen Transfer seines Kollegen und stichelt: „Soso-- Der Weg ist das Ziel. So wie hier.“ Priesberg widerspricht: „Bis jetzt haben meine Projekte immer ein Ziel erreicht, vielleicht auch nicht das ambitionierte Ausgangsziel.“ Ehrlich sieht eine Bank und setzt sich darauf: „Deswegen verwenden wir auch agile Methoden: Man setzt sich zusammen, formuliert die Anforderungen und einen Sprint später sind sie umgesetzt.“ „Ganz genau. Deswegen sind agile Methoden so flexibel“, ergänzt Priesberg. „Einen Punkt für dich im Bullshit-Bingo. Ich will auch einen machen: Einige Zeit später kommt jemand und formuliert eine Anforderung, die den vorangehenden widerspricht. Und schwupp wird sie auch umgesetzt. Für den einen Sprint ist das richtig, aber insgesamt hat man nichts erreicht, außer die anderen Kunden zu verärgern. Ihre Wünsche sind nun nicht mehr implementiert“, erläutert Ehrlich. Er fährt fort: „‚Wir bauen auf und reißen nieder und haben Arbeit immer wieder‘. Jetzt habe ich auch einen Punkt gemacht.“ Priesberg überlegt: „Unsere Diskussion ist festgefahren, genau wie unser Spaziergang.“ Ehrlich gratuliert: „Bewusstes Unwissen ist der erste Schritt zur Lösung. Vielleicht sollten wir ganz von vorne anfangen: Woher kommt die Aussage ‚der Weg ist das Ziel‘? “ Priesberg grübelt ein wenig: „Irgendwie erinnert mich das an die Schule. Dort war man doch auch schon froh, wenn Schüler eine Aufgabe nur zum Teil geschafft haben. Vielleicht ist ‚der Weg ist das Ziel‘ das pädagogische Element in Projekten, um Beteiligte nicht zu entmutigen.“ Ehrlich ergänzt: „Tja, und am Ende zählen dann doch die Noten, um einen bestimmten Abschluss zu erlangen. Das bringt mich auf folgenden Gedanken: Wer ‚der Weg ist das Ziel‘ als Parole herausgibt, der schafft sich zwei Ziele, anstatt lediglich eines erreichen zu müssen.“ Priesberg stutzt: „Wie das denn? “ Ehrlich fällt ihm ins Wort: „Na folgendermaßen: Schau dir unseren Spaziergang an- - was müssen wir als Erstes angehen? “ Priesberg erwidert: „Wir müssen auf den richtigen Weg zurückfinden.“ Ehrlich amüsiert sich über die unbewusst doppeldeutig formulierte Antwort seines Kollegen und lässt nicht locker: „Was ist danach der nächste Schritt? “ Priesberg winkt ab: „Ja, ich habe es nun verstanden, wir können erst dann das ursprüngliche Ziel erreichen.“ Ehrlich hakt nach: „Und was ist hier und jetzt das Ziel? “ Priesberg erwidert spitz: „Hatten wir denn eines formuliert, bevor wir in den Wald gegangen sind? “ „Ich schon“, antwortet Ehrlich, „nämlich etwas Luft schnappen-- bevor wir dann wieder zurück in die Firma fahren.“ Priesberg überlegt: „Ich wollte ins Freie, da ich bei deiner Fahrweise Kopfweh bekomme.“ „Prima. Ein wunderschöner Zielkonflikt. Er hat uns so richtig vor Augen geführt, was passiert, wenn der Weg im Vordergrund steht und nicht das Ziel“, fasst Ehrlich zusammen. Langsam setzt ein kräftiger Landregen ein und es wird deutlich kälter. Priesberg ist wieder auf dem Boden der Tatsachen angekommen: „Lass es mich mal abstrakt so festhalten: Es ist erstaunlich, wie uns die Schlagworte ‚agil‘, ‚Weg ist das Ziel‘ etc. fehlleiten können.“ Ehrlich klopft ihm auf die Schulter: „Für unser Beispiel vorhin würde ich es so formulieren: Auch im agilen gibt es ein Projektziel und es ist Aufgabe des Produkteigners, es nicht aus den Augen zu verlieren. Solltest du jetzt Mitstreiter haben, denen der Weg wichtiger als das Ziel ist-…“ „…dann lade ich sie zu einem Waldspaziergang mit uns ein“, schließt Priesberg ab, bevor beide beginnen, den Parkplatz zu suchen. Eingangsabbildung: © iStock.com / Comeback Images Jens Köhler Dr. Jens Köhler, BASF SE, fokussiert sich auf die Digitalisierung in Forschung und Entwicklung. Anschrift: BASF SE, RGQ / IM, 67 056 Ludwigshafen, eMail: Jens.Koehler@basf.com