eJournals PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL 34/2

PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
10.24053/PM-2023-0024
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/51
2023
342 GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.

Das Ewigkeitsprojekt am Rhein

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2023
Oliver Steeger
Der Kölner Dom ist ein Ewigkeitsprojekt. Es währt seit mehr als 700 Jahren. Der Kirchenbau ist schwindelerregend groß. Einschüchternd hoch. Komplex wie ein Universum. Ein Blick hinter die Kulissen eines Gebäudes, das (glaubt man dem Volksmund) niemals fertig werden darf – und ständig Projekte braucht.
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4 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 02/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0024 Wo Projektmanager in Jahrhunderten denken und Jahrzehnten rechnen Das Ewigkeitsprojekt am Rhein Oliver Steeger Der Kölner Dom ist ein Ewigkeitsprojekt. Es währt seit mehr als 700 Jahren. Der Kirchenbau ist schwindelerregend groß. Einschüchternd hoch. Komplex wie ein Universum. Ein Blick hinter die Kulissen eines Gebäudes, das (glaubt man dem Volksmund) niemals fertig werden darf-- und ständig Projekte braucht. Ich habe Angst. Der Bau-Aufzug klettert scheppernd die Fassade empor, eine Art Lastenkäfig für gut zwanzig Leute. Der Hauptbahnhof unten schrumpft zu Spielzeug, die Autos und Menschen sind winzig klein. Durch das Gitter sehe ich das schwarz-steinerne Strebewerk des Doms vorbegleiten, die verwirrende Vielfalt an Bögen, Fialen und Kreuzblumen. In 45 Metern Höhe stoppt der Aufzug abrupt. Stille. Nur der Wind. Wir sind da. Auf dem Dach des Kölner Doms. Dr. Klaus Hardering, Leiter des Dombauarchivs, schiebt die klappernde Aufzugtüre zur Seite. Ein schmaler Brückensteg mit niedrigem Baustellen-Geländer läuft vom Aufzug direkt auf das Dach des Doms zu. „Müssen wir da drüber? “, frage ich ungläubig. Dr. Klaus Hardering nickt freundlich. „Halten Sie sich mit einer Hand am Geländer fest“, sagt er, „das hilft gegen Höhenangst.“ Also klammere ich mich mit schwitzenden Händen an das Metallgeländer-- und blicke hinunter auf die schwarze, manchmal bröckelig wirkende Fassade des Kölner Doms: ein Meer aus steinernen Türmchen, steilen Säulen, Zierrat, Figuren, und strengen, spitzbogigen Fenstern. Der Dom ist der Stolz dieser Stadt am Rhein. Ein Mega-Projekt des Mittelalters. Ein nationales im 19. Jahrhundert. Und heute ein ewiges Restaurierungs-Projekt. Gotische Architektur, so weiß ich aus der Schulzeit, geht kühn in die Höhe. Unten fragte mich Dr. Klaus Hardering, ob ich mit Höhe zurechtkomme. „Nein“, antwortete ich wahrheitsgemäß. Doch er schien den Eindruck zu haben, dass ich es schaffe da oben. „Man gewöhnt sich daran“, sagte er. Das erste Mal ist vielleicht das Schlimmste. Wer sich mit dem Kölner Dom beschäftigt, muss in vieler Hinsicht schwindelfrei sein: zunächst wegen der Höhe, der überall zum Himmel strebenden Architektur und des überwältigenden Detailreichtums. Dann ahne ich: Dieses Ewigkeitsprojekt selbst ist schwindelerregend. Wie kann solch ein Projekt überhaupt funktionieren? Oben auf dem Brückensteg, der den Aufzug mit dem Dachstuhl verbindet, blicken wir auf das Strebewerk des Doms. Die kunstvollen steinernen Stützen leiten das Gewicht des Gemäuers ab. Sie sorgen dafür, dass der Dom nicht zusammenfällt. Dr. Klaus Hardering erklärt uns die verschiedenen Arten des verwendeten Steins, ihre Ursprünge und die Gründe, weshalb manche Steine heute Probleme machen. Demnächst, sagt er, muss das Strebewerk restauriert werden. Ein Projekt mit einer Laufzeit von fünfzig Jahren und mehr. Viele von denen, die an diesem Projekt mitwirken, werden sein Ende nicht mehr erleben. Normalerweise sind Laufzeiten von fünf oder zehn Jahren eine enorme Zeitspanne im Projektmanagement. Doch Zeit wird am Dom anders gerechnet. Jahrhunderte sind hier die Währung, Jahrzehnte eher das Kleingeld. „Wir vertrauen auf die künftigen Generationen, die weitermachen“, wird mir später Dombaumeister Peter Füssenich sagen, als wir noch weiter oben auf dem Vierungsturm stehen. Und er fügt an: Das Projekt “Dom“ war (und ist) nicht nur ein Projekt zur Ehre Gottes. Es war auch ein Wirtschaftsförderungsprojekt für Köln. Könige kamen und Pilger. Sie brachten Geld und Handel in die Stadt am Rhein. Ohne Dom sähe es in Köln heute anders aus. Wir verlassen den Baugerüst-Steg und betreten den Dachboden des Doms. Ein hallengroßer, nach oben spitz zulaufender Raum, in dem wiederum eine kleine Kirche hätte Platz finden können. Unter uns liegt das gotische Deckengewölbe des Doms. Zu unserem Erstaunen ist der Dachstuhl nicht aus Holz gebaut. Das Dach wird gestützt von rot gestrichenem THOST ist eines der führenden deutschen Unternehmen im Projektmanagement. Von unseren Standorten im In- und Ausland steuern wir komplexe Projekte in den Bereichen Immobilien, Öffentliche Hand, Gesundheit, Energie, Infrastruktur, Automotive, Chemie & Petrochemie, Pharma, Öl & Gas und IT. Mit unserer breit gefächerten Expertise im Projektmanagement betreuen wir Industriekundinnen und -kunden sowie öffentliche und private Investor*innen. Wir stehen für herausragende Qualität in der Unternehmenskultur und die stetige Weiterentwicklung unserer Mitarbeitenden. Das bestätigen seit vielen Jahren unsere Arbeitgeberzertifizierungen (audit berufundfamilie sowie top4women). Seit 2018 zählt THOST Projektmanagement mit der Auszeichnung LEADING EMPLOYER außerdem zum Kreis der besten Arbeitgeber*innen in Deutschland. Werden Sie Teil unseres Teams. Jetzt bewerben! 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Eisengeländer säumen den Weg, Planen, Schläuche und Kabel sind sorgsam aufgehangen, schwere Werkzeugkoffer stehen in Nischen, rote Feuerlöscher und grüne Schaltkästen sind an der Wand befestigt. Irgendwo steht ein Modell des Doms aus dem frühen zwanzigsten Jahrhundert. Peter Füssenich, der neunzehnte namentlich bekannte Dombaumeister, ist inzwischen hinzugekommen und übernimmt die Führung durch das Ewigkeitsprojekt Kölner Dom. Er erläutert: Der Kölner Dom mit seinen fast 8.000 Quadratmetern bebauter Fläche hat den Grundriss eines Kreuzes. Wo sich das lange Kirchenschiff („Langhaus“) mit dem Querhaus kreuzt, ist die sogenannte Vierung. Im Kirchenraum befindet sich dort der Altar in der Vierung-- und direkt über dem Altar, in über hundert Metern Höhe, die Spitze des Vierungsturms auf dem Dach. Von unten schaut dieser Turm, der über dem Dachfirst des Doms hockt, eher klein aus. Das täuscht. Auf dem Dachboden betrachten wir die Stütz-Konstruktion, auf der der Vierungsturm ruht. Eine Art Sockel aus mannsdicken Stahlrohren: Sie sind verstrebt und zudem durch Eisenband gehalten. Im Jahr 1860 wurden hier auf dem Dach über 200 Tonnen Eisen verbaut. Eine gusseiserne, fein ziselierte Wendeltreppe schraubt sich zu der Turmplattform empor. „Wollen wir auf den Turm hinauf? “, fragt Peter Füssenich. Nochmals höher? Ich? - Also gut! Peter Füssenich hat ein gewinnendes Lächeln, und er weiß spannend von „seinem“ Dom zu erzählen. In seiner Hand hält er einen Schlüsselbund. 456 Türen gibt es im Dom, dies hat sein Schreinermeister nachgezählt. Zum Glück gibt es Generalschlüssel. Der Dombaumeister geht voran. Er erklimmt die schmucklosen, modernen Stufen mit Gitterrosten, und wir folgen ihm. Wir erreichen eine Art Plateau; ganz oben sind wir noch nicht. Ich schaue hinauf, nicht hinunter (das habe ich zwischenzeitlich gelernt). Es geht weiter über die zierliche, gusseiserne Wendeltreppe. Peter Füssenich öffnet über sich eine Falltüre. Dann stehen wir auf dem Turm in rund 68 Meter Höhe. Über uns die Turmhaube, unter uns das Dach des Doms, bleigrau, dahinter das Panorama Kölns mit seinen Hochhäusern sowie der Rhein mit streichholzdünnen Brücken. Der Blick reicht bis zum Siebengebirge, gut 35 Kilometer entfernt. Wir wenden uns um-- und erblicken die beiden mächtigen Türme des Doms. Dunkel und stark und ewig. „Hier spürt man noch einmal, was für ein gewaltiges Werk der Kölner Dom ist“, sagt Peter Füssenich, „er ist nicht nur eine Kirche. Er ist ein kleiner Kosmos für sich.“ Wir nicken stumm. Der Dombaumeister fährt fort: „Die Menschen, die hier im Mittelalter den ersten Stein gesetzt haben, wussten: Dieses Gebäude würde nicht zu ihren Lebzeiten vollendet werden. Auch wir wissen heute, dass wir nie fertig werden.“ Wer hier mitwirkt, sieht sich in einer langen Kette. Generationen vor ihm haben ihm das Projekt anvertraut, und er gibt es weiter an die Nachfahren. Man dient einem Projekt, das den eigenen Horizont übersteigt. Die Daten des Ewigkeits-Projekts „Kölner Dom“ sind gut bekannt. Die Grundsteinlegung im Jahr 1248. Danach machte das Projekt raschen Fortschritt. Bereits 1265 stand das Erdgeschoss des Chores, der östliche Teil des Doms. Am 27. September 1322 weihte Erzbischof Heinrich II. von Virneburg den Unter dem Dach des Kölner Doms befindet sich ein Industriedenkmal aus dem neunzehnten Jahrhundert: Eine rotgestrichene Eisenkonstruktion stützt das Dach, damals eine technische Großtat, vollendet dreißig Jahre vor dem Pariser Eiffelturm. Foto: Oliver Steeger Ein Schraubenschlüssel deutet auf die Mächtigkeit der Schrauben hin. Foto: Oliver Steeger Reportage | Das Ewigkeitsprojekt am Rhein 7 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 02/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0024 gotischen Chor. Damit hatte der kostbare Reliquienschein für die Gebeine der Heiligen Drei Könige seinen Platz für die nächsten Jahrhunderte gefunden. Der Ehrgeiz, dieses Projekt voranzutreiben, hing mit dem kühnen Willen Kölner Erzbischöfe und Bauherrn zusammen. Einer dieser Erzbischöfe ist Rainald von Dassel, eine machtvolle und visionäre Gestalt in der Mitte des zwölften Jahrhunderts. Rainald von Dassel holte die Gebeine der Heiligen Drei Könige von Mailand nach Köln (manche sprachen von Raub, manche von Rettung). Diese Gebeine waren eine der wichtigsten Reliquien im christlichen Abendland, glaubte man in ihnen die ersten christlichen Könige zu sehen. Dieser Schachzug ließ sowohl Ansehen als auch Wirtschaftskraft der Domstadt steigen. Zum einen der Glaube: In Aachen wurden traditionell die deutschen Könige gekrönt. Um ein wahrhaft christlicher König zu werden, musste der neue Herrscher in Köln den heiligen drei Königen die Reverenz erweisen. Zum anderen das Geld: Köln wurde Pilgerstätte, und der stete Strom von Pilgern war ein erstrangiges Wirtschaftsförderungsprogramm für die Stadt. Angesichts der Bedeutung der Reliquien und der weitreichenden Pläne schien das alte, im romanischen Stil errichtete Gotteshaus-- aus heutiger Sicht der „Dom-Vorgänger"-- nicht mehr angemessen. Gut achtzig Jahre nachdem Rainald von Dassel die Gebeine der Heiligen Drei Könige überführt hatte, reifte der Entschluss für den Bau eines neuen Gotteshauses. Das Kölner Domkapitel unter Erzbischof Konrad von Hochstaden beauftragte ein spektakuläres Projekt: eine lichtdurchflutete Kathedrale ganz nach der neuen, überwältigenden Architektur, die in Frankreich ihre Anfänge genommen hatte. Die Baumeister der Gotik durchbrachen die flächigen Mauern und Wände, wie man sie aus früheren Kirchen kannte. Die Architektur wurde- - trotz aller Strenge- - luftig. Eine himmlische Lichtfülle durchflutete die Kathedrale. Mit ihrer Größe schien sie das Maß zu verlassen, das für Menschen zugänglich und vorstellbar ist. Man wollte in Köln den Himmel auf Erden holen, das „himmlische Jerusalem“, wie man es nannte. Technisch gesehen brachte die Gotik enorme statische Herausforderungen. Auf den Säulen lasteten die Massen von Gewölben, Dachstuhl und Türmen. Diese Gewichte galt es aufzunehmen, zu verteilen und abzuleiten mit Hilfe eines austarierten Systems von Streben und Stützen. Historiker wissen recht wenig über die Menschen, die in Köln diese Herausforderungen gemeistert haben. Der erste Dombaumeister und Projektmanager hieß Meister Gerhard, soviel ist gewiss. Gerhard war der erste in der Reihe bislang 19 Dombaumeistern (vielleicht gab es auch mehr, dies wiederum ist ungewiss). In seiner Hand lag der Bau des Chorerdgeschosses und der Chorkapellen. Vor allem geht auf ihn die Grunddisposition des Domes zurück. Meister Gerhard wird als charismatischer Visionär vermutet. Er wollte die Gotik in seinem Projekt zu neuen Höhen führen, den Stil gewissermaßen vollenden. Kaum etwas ist über Meister Gerhard bekannt. Fest steht nur, dass er die französische Architektur gut kannte. Historiker nehmen an, dass er für eine Weile in Frankreich gearbeitet hat. Vielleicht lernte er dort sein Handwerk, und- - möglicherweise- - bereiste er zur Vorbereitung seines Projekts nochmals französische Baustellen, um aus dem, was er beobachtete, eine Synthese zu bilden. Nach einer Legende war das Kölner Projekt nicht nur seine Lebensaufgabe, sondern auch sein Schicksal: Meister Gerhard soll auf einem Kontrollgang auf der Baustelle den Tod gefunden haben, abgestürzt von einem Gerüst. Wer heute genau hinschaut, kann im Scheitel eines mittelalterlichen Domfensters einen steinernen Kopf entdecken. Manche deuten die Skulptur als Gerhards Portrait. Doch das alles ist hypothetisch, sagen Historiker. Gerhards Nachfolger, Meister Arnold, wurde 1271 Dombaumeister. Man weiß etwas mehr über ihn, obwohl viele Details im Dunkeln bleiben. Auch er hat wahrscheinlich in Frankreich gelernt. Vielleicht hörte Arnold 1284 davon, dass in der zeitgleich gebauten Kathedrale in Beauvais Teile des Chores eingestürzt waren. Möglicherweise überarbeitete er daraufhin die Pläne für den Kölner Dom und verstärkte das äußerliche Strebewerk am Hochchor. Dieses Strebewerk ist zentral für die Statik des Doms. Es nimmt die gewaltigen Schubkräfte des Gebäudes auf und leitet sie nach außen ab. Heute-- mehr als 700 Jahre nach Arnold-- ist das Strebewerk wieder im Fokus der Dombauhütte. In den letzten Jahrzehnten haben Umwelteinflüsse den Sandstein der Streben angegriffen und teils stark verwittern lassen (siehe Interview mit Peter Füssenich). Das Projekt für die Restaurierung dieser wichtigen Bauelemente läuft bereits. „Sein Ende könnte ich noch erleben, aber wohl nicht mehr als Dombaumeister“, sagt Peter Füssenich mit einer Gelassenheit, wie sie häufig in der Dombauhütte zu hören ist. „Wie war es möglich, dass Menschen im Mittelalter solche Bauwerke errichten konnten? “, frage ich Peter Füssenich. Eine Antwort darauf ist schwierig. Fest steht: Die mittelalterlichen Dombauhütten waren herausragende Technologie- Schmieden, vergleichbar mit der heutigen NASA. Sie waren ein Zentralpunkt für Wissen aus Architektur, Bauwesen und Kunst-- und über Europa bestens vernetzt. Die Hütten waren organisiert in multidisziplinären Teams aus Steinbrechern, Steinmetzen, Schmieden, Zimmerleuten, Windenknechten und Mörtelmischern. Im Zentrum der Hütte standen die Dombaumeister, oftmals herausragende, erfahrene und vielseitig talentierte Persönlichkeiten, die ihr Handwerk von der Pike auf gelernt hatten. „Meister Gerhard dürfte, wie es im Mittelalter üblich war, von seiner Ausbildung her Steinmetz gewesen sein und sich dann weiter spezialisiert haben“, sagt Peter Füssenich, „Baumeister waren Menschen mit großer Überzeugungskraft, die andere für ihr Projekt gewinnen und dabei auch widersprüchliche Interessen vereinen konnten.“ Baumeister hatten seit je her Aufgaben, wie sie moderne Projektmanager kennen: Das Finanzielle im Blick behalten, Teammitglieder finden und einarbeiten, Prozesse aufeinander abstimmen, Stakeholder unter einen Hut bekommen, Projekt und Baustelle über Jahre in Gang halten. Eines begeistert Peter Füssenich an seinen Vorgängern besonders: Ihre schier unermessliche Visionskraft. Die mittelalterlichen Baumeister waren fähig, sich die Architektur bis ins Winzigste vorzustellen- - bevor sie den komplexen Bauplan auf Pergament in einem Wurf zeichneten, ohne radieren zu müssen. „Den Dombaumeistern stand der gesamte Bau zu jeder Zeit vor Augen“, sagt Peter Füssenich, „und auch deshalb wirkt unser Dom bis heute so einheitlich und augenfällig perfekt.“ Ist er manchmal nicht zu perfekt gebaut bis ins letzte Detail? Niemand, der am Boden vor den Domportalen Reportage | Das Ewigkeitsprojekt am Rhein 8 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 02/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0024 steht, erkennt die Feinheiten der Kreuzblume auf dem Turm. „Ein Mensch mag dies von unten nicht erkennen“, antwortet Peter Füssenich lächelnd, „doch das Auge Gottes sieht alles.“ Dies ist keineswegs ironisch gemeint. So schwindelerregend groß der Dom und überwältigend das Menschenwerk ist-- es handelte sich in erster Linie um ein Projekt zu Ehre Gottes. „Man hatte damals eine andere Haltung zu diesen Dingen“, sagt Peter Füssenich, „für die Baumeister stand es außer Frage, dass sie die Vollendung ihres Projekts oft nicht erleben konnten.“ Sie übergaben ihr Lebenswerk mit Gottvertrauen zukünftigen Generationen und waren sicher, dass diese weitermachen würden. Durch eine kleine, seitliche Türe verlassen wir den Dachstuhl, treten ins Freie und folgen einem schmalen Steg, der uns einmal rund um das Dach führt. Zur Linken ist eine steinerne Balustrade, unter der das Strebewerk mit hunderten von kunstvollen Fialen liegt, den steinernen „Krönchen“ auf Pfeilern und Säulen. Zur Rechten das Bleidach des Doms, in der Farbe von Regenwolken. Wir werden auf ein kleines Mahnmal aus dem Ersten Weltkrieg hingewiesen, eine Säule mit steinernen Köpfen, die militärische Feldmützen tragen. Die großen Köpfe, so erläutert man uns, zeigen Generalfeldmarschall Hindenburg sowie Vertreter der vier Mittelmächte Deutschland, Österreich, Osmanisches Reich und Bulgarien. Und die kleinen Köpfe die Vertreter der Entende. So mittelalterlich der Dom wirkt-- offenbar hat jedes Jahrhundert hier seine Spuren und Sichtweisen auf die Zeitläufte hinterlassen. Dann zeigt Peter Füssenich mit dem Finger auf einen Stein im Turmgemäuer: „Das ist der Grundstein von 1842, als man begann, den Kölner Dom zu vollenden.“ Ein Grundstein in dieser Höhe? „Dort, an der höchsten Stelle, die der Bau erreicht hatte, hat man nach über 300 Jahren Stillstand auf der Baustelle symbolisch den ersten Stein für den Vollendungsbau versetzt“, erklärt er. Um 1520, gut ein Vierteljahrhundert nach Start des Projekts, war die Kraft erlahmt. Einer der Türme war ein Stumpf von 56 Meter Höhe, von dem anderen standen nur Pfeiler, einzelne Elemente nicht mehr als zwanzig Meter hoch. Der Chor war vollendet; die zum Querhaus der Kirche offene Seite wurde durch eine provisorische Schutzmauer verschlossen. Dazwischen- - in der „Mitte“ des Domes- - hatten die Mittelschiffe von Lang- und Querhaus bei weitem noch nicht die geplante Höhe erreicht. Die Seitenschiffe standen zum überwiegenden Teil bis auf Kapitellhöhe. Manches davon war bereits eingewölbt. Der Bau war lückenhaft. Ein Torso. Um 1448 wurden zwei Großglocken gegossen (sie sind bis heute erhalten), um 1500 noch Fenster eingesetzt. Zuletzt ging es schleppend voran. Dann stand die Baustelle still. Auf dem Südturmstumpf blieb der mittelalterliche Kran zurück. Das Projekt starb einen leisen Tod. Aus Geldmangel. Wegen Desinteresse an Ziel und Plan (gotische Architektur war in der Renaissance schlichtweg „unmodern“ geworden). Weil das Projekt Fürsprecher verlor. Andere Vorhaben vordringlicher erschienen. Zurück blieb für lange Zeit der Torso-- und eine unvollendete Vision. Der Kölner Dom birgt viele Kammern, Räume und Hallen, die den Blicken der Besucher entzogen sind. Eine dieser Hallen-- gewölbt und gut zwanzig Meter hoch- - befindet sich über den Domportalen in einem der beiden Türme. In Glasvitrinen steht hier einer der Schätze der Dombauhütte: Ungezählte Skulpturen. Zum einen mittelalterliche Originalskulpturen, zum anderen Modelle und „Vorlagen“ aus den vergangenen 200 Jahren, die vielen der rund tausend Steinskulpturen am Dom zugrunde liegen. Unter ihnen sind auch moderne Modelle, etwa eine Darstellung des ehemaligen Hüttenmeisters mit Handy am Ohr. Was diese Sammlung heute so wertvoll macht: Dank der Modelle können zerstörte Steinskulpturen am Dom ersetzt oder „repariert“ werden. Die Modelle sind kleiner als die steinernen Figuren am Dom. Die Bildhauer der Dombauhütte übertragen das Modell zunächst in ein der Originalgröße entsprechendes Gipsmodell-- und formen daraus die Skulptur in Stein. Daneben werden in den Vitrinen aber auch Originalskulpturen aus dem Mittelalter verwahrt, darunter eine Figur, die eine kleine Orgel auf dem Schoß hat. Die meisten Figuren am Dom haben religiösen Hintergrund. Sie stehen in direkter Linie zu biblischen Geschichten oder verweisen auf Heiligenlegenden. Dennoch gehörte es zur Tradition der Bauhütte, die eine oder andere Persönlichkeit aus dem Dombau als steinerne Figur zu verewigen. Dies geschah im Mittelalter oder im neunzehnten Jahrhundert eher selten. Doch direkt nach dem zweiten Weltkrieg, als Kriegsschäden beseitigt wurden, bekam der Dom ein sehr irdisches Lokalkolorit. Gesichter und Figuren aus dem Zeitgeschehen tauchten auf, sowohl von Mitarbeitern der Dombauhütte (etwa den ehemaligen Betriebsratsvorsitzenden) als auch von den „Großen“ dieser Zeit, etwa Kennedy, Chruschtschow oder de Gaulle. So etwas entsprach dem Zeitgeist und insbesondere der Kölner Lebensart. „Nach dem Zweiten Weltkrieg hat man sehr frei rekonstruiert“, erklärt Peter Füssenich, „seit den späten 1970er Jahren sind wir wieder davon abgekommen. Wir sehen heute unsere Aufgabe darin, den Dom in seiner überlieferten Gestalt zu erhalten.“ Nicht nur Denkmalpfleger sind froh darüber. Das „Neuschöpfen“, das bis in die 1970er Jahre anhielt, ging vielen zu weit. Der Blick in den Kölner Dom von dem Umgang über den Hauptportalen aus. Foto: Oliver Steeger Reportage | Das Ewigkeitsprojekt am Rhein 9 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 02/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0024 Bei unserem Rundweg durch den Dom kommen wir an einer alten, schweren Seilwinde vorbei. Die aus dem neunzehnten Jahrhundert stammende Maschine wurde von vier Männern betrieben, eine gefährliche Arbeit an den mächtigen Kurbeln. Die Steinlasten, die damit gehoben wurden, konnten mit ihrem Gewicht zurückschlagen und die Arbeiter an der Winde schwer verletzen. Mitte des neunzehnten Jahrhunderts dann setzte man auf einen dampfbetriebenen Bauaufzug. Kessel und Feuer waren am Boden, die Maschine selbst siebzig Meter höher im Nordturmturm. Ein siebzig Meter langes Sprachrohr verband die beiden Einheiten. „Im neunzehnten Jahrhundert hat man für den Weiterbau des Dom die modernste Technologie eingesetzt, die damals verfügbar war“, erklärt Peter Füssenich. Dass der Dom überhaupt weitergebaut wurde-- da spielten einige Zufälle hinein. Zum einen war da der Zeitgeist des späten achtzehnten und frühen neunzehnten Jahrhunderts. Die Menschen entdeckten die Gotik wieder. Der junge Goethe, selbst kein Romantiker, erkundete trotz seiner Höhenangst das gotische Straßburger Münster und fand, wie er meinte, deutsche Baukunst darin. Später übernahmen die Romantiker die wiedererwachte Liebe zu Gotik und Mittelalter. Plötzlich war in Köln der triste Torso des halbvollendeten Doms kein Ärgernis mehr, sondern eine Herausforderung. Das Problem: Das gesamte mittelalterliche Dombauarchiv war während der französischen Besatzung des Rheinlands auf Ochsenkarren nach Paris geschafft worden. Dort verliert sich die Spur, und die unschätzbar wertvollen Archivalien sind bis heute verloren. Für die Dombau-Enthusiasten war es dann wie der Sonnenstrahl durch die Regenwolken, als der mittelalterliche Fassadenriss und einzelne weitere Bauzeichnungen wieder auftauchten. Eine Hälfte des in der Mitte geteilten Plans der Turmfassade wurde 1814 auf dem Dachboden eines Gasthauses in Darmstadt entdeckt, die andere 1816 bei einem Pariser Antiquar. Der wundersam wieder aufgetauchte Original-Bauplan gab der zweiten Bauphase im 19. Jahrhundert Anschub. Wichtiger noch waren die Stimmen unermüdlicher Fürsprecher, die für das Projekt warben, unter ihnen der angesehene Kölner Gemäldesammler und Architekturhistoriker Sulpiz Boisserée. Damit kam das Projekt wieder in Schwung, nicht mehr als „himmlisches Jerusalem“, sondern als nationales Denkmal, ideologisch befrachtet und überfrachtet. 1823 wurde die Wiederbegründung der Dombauhütte vorbereitet, im folgenden Jahr erste Mitarbeiter eingestellt. Die Dombauhütte befasste sich zunächst mit der Restaurierung einer der größten Bauruinen Deutschlands. Im Wiener Kongress waren die Rheinlande an Preußen gefallen. Damit war auch Köln preußisch. Um 1840 stellte sich der Preußenkönig Friedrich Wilhelm IV. an die Spitze des Projekts. 1842 legte er den Grundstein für den Weiterbau. Für den Monarchen war der Dom eine nationale Angelegenheit-- nicht nur für Preußen, sondern für Menschen aller deutschen Staaten und Konfessionen (es zeigt sich, wie wichtig das Commitment prominenter Fürsprecher für Projekte ist). Man gründete den Zentral-Dombau-Verein Köln, eine Institution, die damals den Bau mitfinanzierte und bis heute rund 60 Prozent der jährlichen Baukosten bestreitet. Spenden kamen aus aller Welt, aus Berlin, Hamburg, Breslau, Rom, Paris und sogar aus Mexiko. Mit der breiten Unterstützung lebte die Baustelle wieder auf. Die Dombaumeister Ernst Friedrich Zwirner und Richard Voigtel konzentrierten sich zunächst darauf, das Langhaus und das Querhaus zu vollenden. 1848 wurde der (noch nicht vollendete) Dominnenraum geweiht, 1860 die Arbeiten am Eisendachstuhl und am Vierungsturm beendet. Im Jahre 1880 - 632 Jahre nach der Grundsteinlegung- - wurde der Dom vollendet. Knapp 145 Meter lang ist der Kirchenbau. Er war zu seiner Höhe von gut 157 Meter Höhe herangewachsen und umfasst 10.000 Quadratmeter Fensterfläche. Heute hat der Dom elf Glocken, die größte-- der 1923 Ein Schatz im Dom: Für die rund tausend Steinskulpturen am Dom gibt es noch viele Modelle und Vorlagen. Foto: Oliver Steeger Das mechanische Uhrwerk in einem der Domtürme. Es ist über Stahlseile mit den Glocken verbunden. Foto: Oliver Steeger Reportage | Das Ewigkeitsprojekt am Rhein 10 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 02/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0024 entstandene „Decke Pitter“-- mit 24 Tonnen Gewicht. Ein kluger Kopf hat ausgerechnet, dass der Dom inklusive Fundament rund 300.000 Tonnen wiegt. Obwohl der Kölner Dom keine Turmuhr hat, braucht er ein Uhrwerk. Es steht im Südturm, stammt aus dem 19. Jahrhundert und arbeitet noch immer zuverlässig. Das Werk ist erstaunlich kompakt in einem kunstvoll geschnitzten, vitrinenartigen Holzschrank untergebracht. „Wofür braucht man hier eine Uhr? “, frage ich. Im selben Moment erkenne ich die Seilzüge, die das Uhrwerk nach oben verlassen. Für die Glocken! Natürlich! „Über die Seilzüge werden die Glocken mit einem Hämmerchen angeschlagen“, ergänzt Peter Füssenich, „alle dreißig Stunden ziehen unsere Mitarbeiter das Uhrwerk auf.“ Zur Umstellung zwischen Winter- und Sommerzeit, nachts um 1 Uhr, kommt der Dombaumeister persönlich in den Turm und stellt die Uhr um. Das funktioniert nicht automatisch. Unser Weg führt uns weiter durch den Dom. Peter Füssenich öffnet eine der schmalen Holztüren. Mit einem Mal stehen wir in einem Laufgang im Innern der Kathedrale- - und schauen hinab in den Kirchenraum. Wir vernehmen die gedämpften Stimmen der unten Umhergehenden, der Gläubigen und Touristen. „Wir sind hier immer noch auf rund 20 Meter Höhe“, sagt Peter Füssenich. Wir folgen einem Umgang, der auf halber Höhe in die Wand des gesamten Kirchenraum eingelassen ist. Die Domfenster sind nahe. In steinernen, schulterbreiten Durchlässen-- wie Tunnel-- durchqueren wir mächtige Pfeiler. Uns kommt eine englischsprechende Gruppe entgegen. Wir quetschen uns an die Seite und lassen sie passieren. „Wie geht es Ihnen eigentlich mit Ihrer Höhenangst? “, fragt mich Peter Füssenich. Ich schaue über die hüfthohe Steinbrüstung hinab. „Besser“, sage ich. „Das freut mich“, entgegnet er. Ich scheine nicht der einzige zu sein, der sich auf dem Weg durch den Dom an die Höhe gewöhnt. „Ich zeige Ihnen eine Stelle, die eine gute Aussicht bietet und von der aus ich den Dom besonders eindrucksvoll finde“, sagt Peter Füssenich. Diese Stelle ist direkt über dem Hauptportal zwischen den beiden Türmen. Wir blicken in das Längsschiff auf den Chor zu. Die Sonne spielt in den farbigen Fenstern. Unser Blick geht zum Chor, der rein scheint und himmelnah. Dann erblicke ich unten im Chor den goldenen Schrein der Heiligen Drei Könige, von Kerzenständern umgeben, mild glänzend im Licht. Vollendet wurde der Dom 1880. Offiziell zumindest. 26 Jahre später mussten sich die Kölner davon überzeugen, dass die Vollendung des Doms nicht bedeutet, dass er fertig war. Im Mai 1906 stürzte der Flügel einer Engelsfigur über dem Hauptportal herab. Verletzt wurde niemand; ein Regenschirm soll den Sturz abgebremst haben. Doch damit begann die dritte Bauphase des Doms- - nach der ersten im Mittelalter und der zweiten im neunzehnten Jahrhundert. Die Bauhütte blieb bestehen, um den Dom zu erhalten und später- - nach dem Zweiten Weltkrieg- - instand zusetzen. In den Bombennächten wurde der Dom schwer getroffen. Gewölbe stürzten ein. Kunstvoll gestaltete Fenster aus dem neunzehnten Jahrhundert zerbarsten. Granaten und Bombensplitter verstümmelten die Skulpturen, die steinernen Reliefs und Baldachine. Bis Mitte der 1950er Jahre wurden die schlimmsten Schäden beseitigt. Doch bis heute ist die Bauhütte auch mit der Beseitigung von Kriegsschäden befasst. Eines der Projekte der dritten Bauphase ist die Restaurierung des Michaelsportals, des zentralen Eingangs an der Nordquerhausfassade. Das Portal liegt zum Kölner Hauptbahnhof, und es war der Gewalt des Krieges besonders stark ausgesetzt. Einschusslöcher und Krater haben sich bis heute erhalten. Zahlreiche abgesprengte Skulpturenköpfe gingen verloren. Wie durch ein Wunder tauchte einer der Köpfe wieder auf-- rechtzeitig, um ihn im Restaurierungsprojekt wieder einzusetzen. Den Sturz aus sieben Meter Höhe hatte der Kopf unbeschadet überstanden. Er gelangte in die USA und fand sich in einem Schrank bei Washington D. C. Die Dombauhütte setzt bereits zum zweiten Mal an, das Michaelsportal zu restaurieren. In den 1960er und 1970er Jahren hatte man- - bei Arbeiten an der Querhausfassade- - die großen Gewändefiguren ergänzt und auch anderes erneuert. Damit war das Michaelsportal aber nicht im eigentlichen Sinne restauriert. Die Aufgabe des aktuellen Projekts: Die Reinigung des Portals und das Wiederherstellen der Fehlstellen in der ursprünglichen Form. Dabei soll möglichst viel der ursprünglichen Substanz erhalten bleiben. Zunächst hat die Bauhütte die aus französischem Kalksandstein gefertigten Skulpturen und Protalarchitektur von ihrer schwarzen Schmutzkruste befreit- - und dafür auf ein modernes, schonendes Verfahren gesetzt, nämlich auf Reinigungslaser. Die schwarzen Schmutzkrusten absorbieren die Energie des Laserlichts. Sie erhitzen sich stark; die Kleinstpartikel platzen ab und verdampfen. Die darunterliegende helle Steinoberfläche absorbiert die Lichtenergie dagegen nicht. Der Laser bleibt auf der „sauberen“ Fläche wirkungslos. So bleibt viel von der Originalsubstanz der Skulpturen, Baldachine und Bogenstücke erhalten. Ähnlich schonend geht die Bauhütte beim Ersatz von abgesprengten Steinstücken vor, beispielsweise bei den Skulpturen, denen Arme, Köpfe oder der komplette Rumpf fehlen. Statt die beschädigten Skulpturen einfach Unterwegs auf „halber Höhe“ im Kölner Dom. Die Größe der Fenster lässt sich von unten nur erahnen.Unterwegs auf „halber Höhe“ im Kölner Dom. Die Größe der Fenster lässt sich von unten nur erahnen. Foto: Oliver Steeger Reportage | Das Ewigkeitsprojekt am Rhein 11 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 02/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0024 komplett auszutauschen, haben die Fachleute die fehlenden Stücke nachgebildet und exakt angepasst. Diese Ersatz- Elemente- - Steinvierungen genannt- - werden zunächst mit Modelliermasse auf die Skulptur aufmodelliert. Danach überträgt der Bildhauer das Modell in Stein und setzt es dann auf das Original auf. Eine zeitintensive Millimeterarbeit, denn zwischen Original und Vierung darf kein Spalt bleiben, in den Wasser eindringen könnte. Mit den Restaurierungsarbeiten am Michaelsportal, wird mir gesagt, ist man gut und schnell vorangekommen. Doch nicht alles wird geglättet, repariert und erneuert. „Einige Spuren des Krieges sollen sichtbar gelassen werden, um die wechselvolle Geschichte des Portals zu dokumentieren“, erklärt Peter Füssenich, „die Restaurierung in dieser Form ist einzigartig.“ Je mehr ich von dem Dom sehe, desto mehr bewegt mich eine schwierige Frage: Wie ist es möglich, dass der Dom ein in sich so stimmiges Gebäude ist- - obwohl viele Generationen durch die Jahrhunderte an ihm gearbeitet haben? Peter Füssenich antwortet: „Die Architektur am Dom ist tatsächlich sehr einheitlich. Die Vision des Mittelalters wurde sehr originalgetreu verwirklicht. Möchten Sie den mittelalterlichen Plan sehen, der dem Bauwerk zugrunde liegt? “ Wir folgen dem Dombaumeister. Wieder öffnet sich eine Türe, und über eine Wendeltreppe geht es endlos abwärts, dann sind wir ganz unten, treten durch eine unscheinbare Türe in den Kirchenraum und mischen uns unter die Besucher aus aller Welt (sechs Millionen jährlich bestaunen das Weltkulturerbe). Peter Füssenich strebt am Altar vorbei auf den Chor zu. Hinter einem schwarzen Gitter befindet sich eine Seitenkapelle, die Johanneskapelle. Wir sehen einen Altar, davor ein Grabmal, die Ruhestätte Konrad von Hochstadens, des Erzbischofs, der 1248 den Grundstein für den Dom gelegt hat. Blick in den Chor des Kölner mit dem Dreikönigenschrein. Copyright: Hohe Domkirche zu Köln, Dombauhütte; Foto: Matz und Schenk JETZT INFORMIEREN! VOLLZEIT ODER BERUFSBEGLEITEND IN BOCHUM, IN HAMBURG ODER REIN ONLINE IMMOBILIEN KANN MAN STUDIEREN Anzeige Reportage | Das Ewigkeitsprojekt am Rhein 12 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 02/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0024 Die Kosten für die Erhaltung des Kölner Doms belaufen sich jährlich auf sieben bis acht Millionen Euro. Rund sechzig Prozent steuert der Zentral-Dombau-Verein zu Köln bei, eine 1842 von Kölner Bürgern gegründete, unabhängige und überkonfessionelle Organisation mit heute rund 17 . 000 Mitgliedern (Stand: April 2022 ). Der Verein bietet die Möglichkeit, sich durch Spende, Patenschaft oder Mitgliedschaft an dem Erhalt des Doms zu beteiligen. Weitere Informationen: www.zdv.de Dann erblicken wir einen Meter hoher Rahmen, von einem grünen Samtvorhang verhüllt. Peter Füssenich zieht sanft an einer Kordel. Der Vorhang öffnet sich. Dahinter kommt der mittelalterliche Plan zum Vorschein. Er stammt aus dem 14. Jahrhundert, vielleicht sogar aus dem 13. Jahrhundert. „Wir zeigen ihn nur selten“, sagt der Dombaumeister. Wir stehen vor dem Plan und staunen. Gut vier Meter ist er hoch, und er zeigt die Westfassade mit den Türmen. Trotz der Größe ist er millimeterweise ausgearbeitet. Alles ist zu sehen: Jede Fiale, jeder Pfeiler und Spitzbogen, jeder Baldachin für Figuren. Die Ausführung des Plans geht ins winzige Detail. Tausende Elemente sind eingezeichnet so, wie sie über die Jahrhunderte verwirklicht wurden. Jedes Element ist vorgedacht, sorgfältig gezeichnet und in perfekter Harmonie ins Ganze eingefügt. Ressourcenmanagement Projektportfolio-Management Aufwand- & Kosten-Controlling Projektplanung Das System, bei dem die Ressourcenplanung funktioniert www.ressolution.ch Scheuring AG +41 61 853 01 54 info@scheuring.ch Unverbindlich online kennenlernen! Anzeige Wie ist es möglich, dass einem einzelnen Menschen das Ganze mit seinen Details so vor Augen gestanden hat, dass er diesen Plan zeichnen konnte? Wie ist es möglich, dass er seine Vision zeichnen konnte-- so, dass sie später baubar war, dass Generationen nach ihm diesen Plan ausführen konnten? Peter Füssenich breitet ein wenig die Arme aus und lächelt. Je länger ich den Plan betrachte, desto mehr ahne ich: Wer solch ein Ewigkeitsprojekt wie den Kölner Dom startet, weiß, dass er es nicht vollenden wird. Er muss auf künftige Generationen und eine lange Reihe von Dombaumeistern vertrauen. Will er, dass das Werk auch in Jahrhunderten mit der Perfektion ausgeführt wird, mit der es ihm vor dem inneren Auge stand-- so braucht er eine kühne, überzeugende Vision. Eine Vision, die in Ewigkeit noch verstanden wird und ihre Wirkung entfaltet. Hier, hinter dem grünen Vorhang, ist diese Vision. „Wir setzen das Projekt nur fort“, hatte mir Peter Füssenich in einem Interview auf dem Vierungsturm gesagt, „wir sind ein Glied in einer langen Zeitkette, die von der Vergangenheit in die Zukunft reicht. Wir übernehmen von den vorhergegangenen Generationen, und wir geben an die Künftigen weiter.“ Ich füge im Gedanken an: Allein mit dieser Haltung vermag man solch ein Ewigkeitsprojekt durchführen, das nie fertig werden darf. Der grüne Vorhang schließt sich wieder. Wir machen uns auf zum Westportal, eiligen Schrittes, denn dort wartet eine Besuchergruppe auf Peter Füssenich. Auf dem Weg suche ich die kleine, unauffällige Pforte, durch die wir die Kathedrale betreten haben. Ich finde sie nicht mehr. Sie scheint verschwunden. Und noch etwas scheint verschwunden. Meine Höhenangst. Irgendwo unterwegs-- auf den Türmen und Umgängen, zwischen Bögen und Balustraden, auf Gerüsten und Stegen- - ist sie verlorengegangen. So etwas, sagt man mir, komme an diesem schwindelerregenden Ewigkeitsprojekt öfters vor. Eingangsabbildung: © Hohe Domkirche zu Köln, Dombauhütte; Foto: Matz und Schenk