eJournals PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL 34/2

PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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2941-0878
2941-0886
UVK Verlag Tübingen
10.24053/PM-2023-0029
51
2023
342 GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.

Soziale Kompetenzen im digitalen Bauprojektmanagement

51
2023
Karina Breitwieser
Dietmar Paier
Christian Steinreiber
Der Bauprojektmanager agiert in einem besonders komplexen Umfeld, sein Kompetenzprofil verändert sich massiv durch digitalen Fortschritt (z. B. BIM, CDE) und neue Kollaborationsformen (z. B. Allianz-Verträge, Early Contractor Involvement, Lean Management). In der Ausbildung müssen neben fachlichem Grundlagenwissen auch soziale Kompetenzen zum Gestalten und Umsetzen von Kollaborationsstrukturen im digitalen Raum vermittelt werden.
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31 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 02/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0029 Die Digitalisierung des Bauprozesses verlangt neue soziale Kompetenzen für Bauprojektmanager und Anforderungen an die Ausbildung im Bauprojektmanagement Soziale Kompetenzen im digitalen Bauprojektmanagement Karina Breitwieser, Dietmar Paier, Christian Steinreiber Für eilige Leser | Der Bauprojektmanager agiert in einem besonders komplexen Umfeld, sein Kompetenzprofil verändert sich massiv durch digitalen Fortschritt (z. B. BIM, CDE) und neue Kollaborationsformen (z. B. Allianz-Verträge, Early Contractor Involvement, Lean Management). In der Ausbildung müssen neben fachlichem Grundlagenwissen auch soziale Kompetenzen zum Gestalten und Umsetzen von Kollaborationsstrukturen im digitalen Raum vermittelt werden. Schlagwörter | Bauprojektmanagement, Building Information Modelling, digitale Kollaboration, soziale Kompetenzen, Ausbildung 1. Das digitale Bauprojekt 1.1 Spezifika von Bauprojekten Bauprojekte sind von hoher Komplexität geprägt. Im Gegensatz zu den Ergebnissen der Produktionsindustrie ist das Bauwerk immer ein Prototyp- - eine einmalige Kombination aus technischen Einzelprodukten, die innerhalb eines Terminplanes zu den vereinbarten Kosten an dem dafür vorgesehenen Ort erstellt wird. Die durch Digitalisierung forcierte Standardisierung kann damit nur bedingt in der Wiederholbarkeit technischer Details stattfinden als vielmehr in den Prozessen der Zusammenarbeit. Für die Entwicklung dieses Bauprototyps braucht es eine Vielzahl an Projektpartnern unterschiedlicher Disziplinen, die nach einem oft langwierigen Ausschreibungs- und Vergabeprozess zu einer Projektorganisation neu zusammengesetzt werden. Die Zusammenarbeit ist auf vielen Ebenen zu koordinieren: innerhalb des Unternehmens und zwischen beteiligten Firmen, als Optimierung von untereinander abhängigen Prozessschritten. Darüber hinaus ist jedes Bauprojekt eingebettet in eine Umwelt mit Stakeholdern, die direkt oder indirekt Einfluss auf das Projekt haben (siehe Abb. 1). Die Umsetzung erfolgt innerhalb spezieller Regelwerke (Verträge, projektspezifische Vorgaben, Normen) und ist von den Rahmenbedingungen auf der Baustelle geprägt. Es gibt enge Verflechtungen mit lokalen und globalen Märkten, auf denen Bauprodukte und bauspezifische Dienstleistungen zugekauft oder Ressourcen rekrutiert werden. Den längsten Teil im Bauobjektlebenszyklus macht jedoch nicht das Bauprojekt, sondern die Objektnutzungsphase aus. Die aktuelle Nachhaltigkeitsdiskussion forciert eine Integration der potenziellen Umweltauswirkungen des Bauobjektes, dessen Nutzung und des Recyclings. Jedes Projekt bleibt während der Umsetzung ein dynamisches System mit potenziellen Änderungen durch zahlreiche Einflussfaktoren von Schlechtwetter auf der Baustelle bis zu Persönlichkeiten der Teammitglieder. Die beschriebene Projektkomplexität wird insbesondere durch zwei komplementäre Trends- - exponentielles Technologiewachstum (siehe Kap. 1.2) sowie stärkere Einbeziehung des menschlichen Faktors (siehe Kap. 2)-- gesteigert. [2] Der Faktor Mensch ist hier als eine-- simplifizierende-- Metapher für die komplexen sozialen Interaktionen in der Projektumsetzung zu verstehen. Wissen | Soziale Kompetenzen im digitalen Bauprojektmanagement 32 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 02/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0029 1.2 Digitalisierung der Baubranche Technisch anspruchsvolle Lösungen, lange Planungs- und Umsetzungsphasen und die Koordination von in unterschiedlichen Phasen involvierten Partnern erfordern ein durchdachtes Informationsmanagement. Als adäquate Arbeitsform hat sich in den letzten Jahren Building Information Modelling -- kurz BIM-- durchgesetzt. Es ermöglicht eine digitale Zusammenarbeit von Projektpartnern an einem dreidimensionalen Modell. Dieses wird aus Bauteilen aufgebaut, denen Informationen zugeordnet werden können. Im Zuge des Bearbeitungsprozesses wird das Modell mit immer mehr bzw. konkreteren Informationen angereichert, sodass es bei der Übergabe an den Bauherren den „digitalen Zwilling“ gibt-- quasi ein Abbild des finalen Bauwerkes im digitalen Raum (siehe Abb. 2). Für das Bauprojektmanagement ergeben sich daraus zwei Arbeitsumgebungen- - physisch und digital- - und deren Verzahnung. Diese Kollaborationsebenen müssen gemanagt werden. Das projektspezifische Common Data Environment (CDE) ist dafür ein gemeinsamer, digitaler Arbeitsraum, in dem Prozesse unternehmensübergreifender Zusammenarbeit geführt werden, die Ablage der wichtigen Projektinformationen strukturiert erfolgt und die Projektbeteiligten gemäß vereinbartem Rechtemanagement Zugriff erhalten. Im Zentrum stehen dabei Daten , auf die im BIM-Modell, in den Workflows oder in den Anwendungen digitaler Technologien referenziert wird. Der Erstellung, dem einfachen Zugriff und der effektiven Nutzung von Daten fallen eine entscheidende Rolle zu. Im Optimalfall ist jeder Datensatz einmal vorhanden und Datenbanken sind untereinander vernetzt ( Single-Source-of-Truth-Prinzip ). Offene Schnittstellen zwischen den Anwendungen und standardisierte Begrifflichkeiten sind damit von essenzieller Bedeutung. Darüber hinaus kommen projektspezifisch Technologien wie z. B. 3D-Druck, Robotics, Drohnen, Augmented-Reality oder auch künstliche Intelligenzen zur Anwendung. Eingebunden ist das digitale Bauprojekt in ein zunehmend digitales Umfeld ( Digital Built Environment - - DBE, siehe Abb. 3). Der Kreis der Stakeholder erweitert sich damit um Behörden, die zunehmend digital mit den Projekten interagieren, Softwarehersteller, Plattformanbieter für Online-Beschaffung, IT- Dienstleister-- bis zu Social Media. 2. Kollaboration im digitalen Bauprojekt Innerhalb dieses komplexen, digitalen Wirkungsraumes spielt sich Kollaboration auf drei Ebenen ab. • Technische Ebene Die Softwaretools und Datenbanksysteme sind stetem Wandel unterworfen, werden aber oft projektspezifisch vorgeschrieben. Wichtig ist somit ein Verständnis der technischen Randbedingungen und Möglichkeiten in den Unternehmen und im Projekt. Der Projektmanager muss die Technologieentwicklungen im Auge behalten, entscheidend ist es das Anwendungspotenzial zu verstehen und im Team zu beherrschen. Gebaute Realität Virtuelle Realität Foto: privat - Waagner-Biro Foto: Richard Schabetsberger Abbildung 2: Digitaler Zwilling für das Ethihad Museum in Dubai Unternehmen Kunde Subunternehmer Geschäftspartner gebaute Umwelt Bauträger Generalunternehmer Gewerke Planer Bauprojekt direkte Vertragsbeziehungen Lieferanten Eigentümer Baufirmen Social Media Influencer Forschungseinrichtungen Ausbildungsstätten Behörden Markt für Produkte & Bauleistungen Interessensvertreter Bauindustrie Prüfingenieure Softwareanbieter Berater Rechtsexperten Projektpartner externe Stakeholder Abbildung 1: Stakeholder für ein Bauprojekt, basierend auf [1] Wissen | Soziale Kompetenzen im digitalen Bauprojektmanagement 33 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 02/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0029 • Strukturelle Ebene Die Projektorganisation wird mit neuen Rollen (z. B. BIM-Manager) ergänzt, Zusammenarbeit wird über digital geführte Workflows strukturiert. Dem Projektmanager müssen Organisation und Abläufe der Partner ebenso bekannt sein wie die im Vertrag vorgeschriebenen Prozesse und relevante Richtlinien. Je besser unternehmensinterne und projektspezifische Abläufe verzahnt sind, desto effizienter ist die Kollaboration und geringer der Widerstand gegen neue Arbeitsweisen. Durch die enge Verknüpfung der Planung und der Ausführung ist es entscheidend, die Zusammenarbeit an der Nahtstelle durch entsprechende vertragliche Rahmenbedingungen zu ermöglichen, z. B. frühzeitige Integration der ausführenden Partner ( Early Contractor Involvement ). BIM benötigt eigentlich ein Aufbrechen der in Verträgen festgelegten vertikalen Zusammenarbeit zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer und eine Intensivierung der horizontalen Kollaboration von Partnern, zwischen denen keine direkte vertragliche Beziehung besteht (siehe Abb. 4). Die Integration von Ansätzen wie Agile Leadership oder Lean Management kann diese neuen Anforderungen an Zusammenarbeit unterstützen. [3] Der Projektmanager wird immer mehr zu einem Collaboration Manager, der ein Team aus Fachexperten in einem physischen und digitalen Raum führt und den Informationsaustausch steuert. Kollaboration bezieht sich dabei nicht nur auf Menschen untereinander, sondern auch auf den Austausch innerhalb der digitalen Welt in den drei Beziehungsfeldern: human-- human, digital-- digital sowie human-- digital . Abbildung: Karina Breitwieser@wienerberger Digital Built Environment E-commerce Software & IT Plattformen für digitale Information & Services digitale Administration CDE Daten virtueller Zwilling Technologien Workflows Social Media digitales Asset Management digitales Bauprojekt Abbildung 3: Das Bauprojekt im digitalen Umfeld (DBE) Abbildung 4: Vertikale und horizontale Kollaboration im Bauprojekt Wissen | Soziale Kompetenzen im digitalen Bauprojektmanagement 34 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 02/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0029 • Soziale Ebene Die Bauprojekte sind mit immer mehr internen und externen Stakeholdergruppen vernetzt [4], die Zugehörigkeit der Projektbeteiligten zu unterschiedlichen Handlungssystemen (eigenes Unternehmen, Projektumgebung, Branche, Länderspezifika) erhöht dabei die Komplexität. Projektbeteiligte müssen sich immer wieder neu auf die projektspezifischen Organisationsformen, Rollenbeschreibungen, Kooperationsbeziehungen und Kommunikationsregeln einstellen. Digitalisierung wirft auf der sozialen Ebene neue Fragen auf wie zum Beispiel die Gestaltung von Kooperationsbeziehungen, Umgang mit Transparenz, Emotionen und Konflikten. Im Folgenden soll darauf näher eingegangen werden. 3. Soziale Kompetenzfelder in Bauprojekten Soziale Kompetenzen werden in Projektmanagement-Standards erst in den letzten Jahren explizit hervorgehoben, in der aktuellen Individual Competence Baseline Version 4 der IPMA werden zehn persönliche und soziale Kompetenzelemente (von insgesamt 29) beschrieben [5]. Soziale Kompetenz hat sich auch in der Baubranche zu einem eigenständigen Element des Qualifikationsprofils von Projektmanagern entwickelt, insbesondere Kooperationsfähigkeit, Stakeholder-Management, die Fähigkeit zur Führung anderer sowie soziales Bewusstsein über die Merkmale komplexer und heterogener Stakeholderbeziehungen. [7][8][9] Obwohl die durch Digitalisierung ausgelösten Veränderungen im Bauobjektzyklus Auswirkungen auf die Menschen und deren Kollaboration haben [10], wird dieser Einfluss auf soziale Kompetenzen in der Fachliteratur kaum wahrgenommen. Einzelne Autoren betonen nur die Bedeutung von „Sozialer Intelligenz“ und „Teamfähigkeit“. [11] Das in Adamu et al. (2015) angedachte Konzept des Social Building Information Modeling ist eine Prämisse für die Stärkung einer proaktiven Shared Situational Awareness und von Ko-Kreationskompetenzen in digitalen Projekten. [12] Die branchenübergreifende Studie von Feldmüller / Rieke (2019) verortet den Einfluss von Digitalisierung auf die ICB4- Projektmanagementkompetenzelemente in der Kommunikation und Teamarbeit vor allem auf der Sachebene, weniger auf der Beziehungsebene. [13] Aus Sicht der Autoren ist der sozialen Ebene durch einen zunehmenden Austausch im digitalen Arbeitsraum besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Im Folgenden werden aus eigener Erfahrung als wichtig identifizierte Themenfelder herausgegriffen, in den Überschriften mit darin angesprochenen ICB4-Kompetenzelementen verknüpft und mit Expertenaussagen aus einem 2021 im Rahmen der Workshopreihe „Innovationslabor-- Digital Findet Stadt“ veranstalteten Workshop [3] ergänzt. • Macht und Entscheidungsprozesse (ICB 1.02 und 1.05) Durch die in den meisten bauspezifischen Unternehmen übliche Matrixorganisation agiert der Einzelne im Projekt in einem komplexen Gefüge von interagierenden Teams mit unterschiedlicher Kultur und komplexen Entscheidungswegen. BIM bewirkt hier neue Machtstrukturen. Zum einen da Entscheidungen in den digitalen Arbeitsschritten direkt vom Projektmitarbeiter getroffen werden und diese „Decisions down the line“ Eigenverantwortlichkeit statt ständiges Einbeziehen der Vorgesetzten fördern. Zum anderen wird eine gemeinsame Entscheidungsfindung unter Nutzung des vielfältigen Wissens im Team forciert. Entscheidend ist die Aufbereitung der dafür erforderlichen Informationen, die durch die Kleinteiligkeit der Arbeitsschritte in ihrer Komplexität schwer erfassbar sind. Durch vordefinierte Nutzungsrechte sind darüber hinaus nicht alle Informationen allen zugänglich. Übergeordnetes Zusammenführen von Informationen und deren Auswertung (Big Data Analysis) ist zwar erst durch Digitalisierung möglich geworden, sind die Ergebnisse aber nur einem beschränkten Kreis zugänglich, ist dieser Informationsvorsprung ein Machtfaktor. Durch verdeckt ausgeübte Macht und Interessen ist in digitalen Projekten die Analyse psychologischer Prozesse und die Identifikation von Werten und Stakeholderinteressen eine besondere Herausforderung, da sie durch den Einsatz digitaler Tools schwer greifbar sind. [13] Die sich daraus ergebenden Kompetenzen des Projektmanagers liegen im Management kollaborativer Entscheidungsprozesse und einem möglichst transparenten Informationsmanagement, das die Befindlichkeiten der Stakeholder berücksichtigt. • Transparenz und Fehlerkultur (ICB 1.05) Neben positiven Aspekten der Verfügbarkeit vernetzter Informationen erzeugt der digitale Projektraum auch Ängste. Es sind nicht nur aktuelle Projektinformationen, sondern die Historie der Erstellung digital dokumentiert. Mitarbeiter werden transparenter, fehlende persönliche Interaktion bei digitaler Arbeit degradiert sie zur bloßen Ressource, die leicht überwacht werden kann. Dies bestärkt die Wahrnehmung eines individuellen Kontrollverlustes und daraus Unsicherheit in einer sachlichen (Wer verwendet wie mein Wissen? ) und sozialen Dimension (Was denken andere über mich? ). Verstärkt werden kann diese Unsicherheit durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz, die es erschwert Analyseprozesse und dadurch unterstützte Entscheidungen nachvollziehen zu können. Digitales Arbeiten verlangt von Beginn an eine höhere Präzision, wobei Abläufe und Begrifflichkeiten in unterschiedlichen Projekten anders sind. Das bewirkt eine Fehleranfälligkeit bei einer gleichzeitig unerbittlichen Nachvollziehbarkeit. Eine höhere Fehlertoleranz ist erforderlich, statt Schuldzuweisungen soll aus Fehlern gelernt werden und die Erkenntnisse unmittelbar im Projektablauf umgesetzt werden. [3] Um eine positive Fehlerkultur zu bestärken, muss es dem Projektmanager durch rasche Lösungsfindung und struktureller Aufarbeitung in Form integrierter Lernschleifen im Projektteam gelingen, die Diskussion immer wieder auf die Sachebene zu fokussieren. • Ergebnisorientierung und Kollaboration (ICB 2.05, 2.06 und 2.10) Die Ergebnisorientierung als Integration sozialer, technischer und ökologischer Aspekte ist eine wesentliche PM-Kompetenz [5]. Der klassische Bauvertrag belohnt die Auftragnehmer dabei monetär für deren individuellen Beitrag, nicht für die Erreichung des gemeinsamen Ziels. Mit vertraglichen Bonusregelungen, welche abhängig vom gesamten Projektergebnis Wissen | Soziale Kompetenzen im digitalen Bauprojektmanagement 35 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 02/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0029 sind, können jedoch für die Projektpartner starke Anreize zur Kollaboration gesetzt werden. [14] Wichtig ist dafür die Zusammenarbeit auf Augenhöhe in interdisziplinären Teams, um den gemeinsamen, größeren Lösungsraum für Problemstellungen zu nutzen. Beim Projektstart durchgeführte Workshops mit den wesentlichen Projektbeteiligten können genutzt werden, um ein Commitment zur gemeinsamen Sache zu erzeugen und sich auf klare Spielregeln der Zusammenarbeit zu einigen [3]. Das Zusammenführen der Wissensbereiche ist im gesamten Projektverlauf essenziell, die Experten betrachten das Projekt jedoch meist nur aus dem Blickwinkel ihres Fachgebietes. Eine rein technische oder wirtschaftliche Herangehensweise führt jedoch zu einer suboptimalen Gesamtlösung. Durch das Öffnen für andere Perspektiven werden diese in ihren Anforderungen anerkannt und können in der Lösungsfindung berücksichtigt werden. [3] Der Projektmanager muss ein wertschätzendes Miteinander im Projektteam sicherstellen und ein strukturiertes Zusammenführen der unterschiedlichen Expertisen erzeugen. • Beziehungs- und Konfliktmanagement (ICB 2.04 und 2.07) Digitalisierung unterstützt Teamarbeit vorwiegend auf der Sachebene und zwingt zu mehr Disziplin. Diese formalisierte Kommunikation lässt jedoch wenig Raum für informelle Kommunikation, die wichtig für das Beziehungsmanagement ist. Emotionen und Körpersprache sind schwerer wahrnehmbar, gleichzeitig ist es kaum abschätzbar, wie die eigenen Handlungen wahrgenommen werden. [13] Emotionen können im digitalen Raum nur reduziert gezeigt (Emojis) oder wahrgenommen werden, Empathie ist schwierig. Gleichzeitig schützt er davor, mit Auswirkungen der Emotion direkt umgehen zu müssen. Man traut sich mehr als bei persönlicher Interaktion, verschriftlichte, unmittelbare Emotionen haben aber durch die Vielzahl an digitalen Kommunikationskanälen teils eine große Reichweite. Das verunmöglicht deren rasche Relativierung, der breite Effekt kann nicht abgefangen werden und erschwert die Konfliktlösung. [3][13] Konflikte sind für den Projektmanager zum Teil schwer vorhersehbar, im digitalen Raum besteht eine geringere direkte Beobachtbarkeit individueller Verhaltensweisen. Deshalb ist es besonders wichtig, Teammitglieder dazu zu bringen, Betroffenheit direkt, aber konstruktiv anzusprechen. Das ermöglicht eine frühzeitige Deeskalation. Eigenverantwortung der Teammitglieder erhöht die Bereitschaft zur direkten Konfliktlösung. Der Projektmanager soll durch eine mediative Herangehensweise diese fördern und im Team das „Heraussteigen“ aus den eigenen Denkkonstrukten immer wieder einfordern. • Persönliche Kommunikation und Verlässlichkeit (ICB 2.02 und 2.03) Die Bandbreite an Kanälen (z. B. strukturierte BIM-Kollaboration, digitale Workflows, E-Mails, Messenger Dienste bis zu Social Media) ermöglicht eine höhere Dichte an Kommunikation, die jedoch oft als belastend empfunden wird. Umgekehrt zeigen Praxiserfahrungen auch Mehraufwand durch formalisierte BIM-Kommunikation. Ein angemessenes Verhältnis zwischen Nutzung digitaler Werkzeuge sowie persönlicher Begegnungen ist entscheidend. [3] Persönliche Auseinandersetzung in Meetings wie z. B. der kooperativen Phasenplanung aus dem Lean Management ermöglichen strukturierten Austausch, fördern kooperative Entscheidungsprozesse und das Commitment der Projektbeteiligten. Die Zusammenhänge zwischen Fachdisziplinen werden klarer und führen neben einem besseren Verständnis der anderen auch zu einer besseren Einschätzung des eigenen Beitrags zum Projektergebnis. Verlässlichkeit beim Einhalten des Vereinbarten erzeugt wiederum Vertrauen. [3][13] Der Projektmanager muss von Beginn an geeignete Kommunikationsstrukturen aufsetzen, im Team das Commitment dafür erzeugen und dieses während des gesamten Projektablaufs konsequent einfordern. Seine Verlässlichkeit ist die Basis für Vertrauen im Projektteam. 4. Anregungen für die Aus- und Weiterbildung Das klassische Bild eines Bauprojektmanagers entspricht einem Macher-Typ, der schnell Entscheidungen trifft und sich schlagkräftig durchsetzt. Arbeiten im digitalen Raum und neue Kollaborationsformen erweitern jedoch das Kompetenzprofil eines Bauprojektmanagers. Dies muss in Zukunft in der Aus- und Weiterbildung von Bauprojektmanagern stärker berücksichtigt werden. Es bedeutet steigende Wissensanforderungen und Methodenkompetenz für den Bauprojektmanager, welche in klassischen Grundlagenseminaren und digitalen Selbstlernformaten vermittelt werden können. BIM-Kollaborationsprozesse müssen zu eigenständigen Dimensionen der Ausbildung gemacht werden. Dies inkludiert die Vermittlung von Situationsbewusstsein über komplexe Entscheidungsprozesse in digitalen Kollaborationsstrukturen, die methodische Kompetenz zu digitalen Kommunikationswerkzeugen und die soziale Kompetenz zum Aufbau und zur Koordination von physischen und digitalen Kollaborationsbeziehungen. Ein Mix aus digitalen und physischen Lernumgebungen muss die angehenden Bauprojektmanager auf diese unterschiedlichen Räume der Zusammenarbeit vorbereiten. Entscheidend für eine erfolgreiche Umsetzung sind neben dem Erwerb dieser Kompetenzen vor allem aber das Mindset des einzelnen und die gemeinsam gelebten Werte des Umfeldes. Ohne eine entsprechende Kultur der Ko-Kreation im digitalen Projekt, im Unternehmen und in der Branche kann die neue Form der Kollaboration nicht entstehen. Wesentliche Aspekte in der Gestaltung der Kommunikation und im Umgang mit sozialen Aspekten der Interaktionen in digitalen Bauprojekten wurden in dem Artikel herausgegriffen, vor allem aber soll eine weiterführende Auseinandersetzung mit der Thematik angeregt werden. Literatur [1] Jäger, Andreas / Kubista, Mario / Taghavi, Meysam / Puskas, Stefan / Breitwieser, Karina / Fasching, Stephan / Kuhlemann, Clemens / Atila, Gülnaz: Innovationen im Ziegelmauerwerksbau. In: Schermer, Detleff / Brehm, Eric (Hrsg.): Mauerwerkskalender 2022. 47. Jahrgang, Ernst & Sohn, Berlin 2022, S. 521-568. Wissen | Soziale Kompetenzen im digitalen Bauprojektmanagement 36 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 02/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0029 [2] Gorod, Alex / Hallo, Leonie / Ngyuen, Tiep: A Systemic Approach to Complex Project Management. Integration of Command-and-Control and Network Governance. In: Systems Research and Behavioral Science, 35 / 6, 2018, S. 811-837. [3] Aussagen von Experten aus dem von der Stadt Wien im Oktober 2021 im Rahmen der Workshopreihe „Innovationslabor- - Digital Findet Stadt“ veranstalteten Workshop. Gedächtnisprotokoll. [4] Atkin, Brian / Skitmore, Martin: Editorial: stakeholder management in construction. In: Construction Management and Economics, 26 / 6, 2008, S. 549-552. [5] pma / IPMA: Individual Competence Baseline 4, österreichische Ausgabe, Wien 2019. https: / / www.pma. at / files / downloads / 98 / icb4-fuer-projektmanagement-oesterreichische-fassung-bildschirmoptimiert.pdf, Stand: 04. 08. 2022. [6] Wessels, Doris: Der X-Shaped-Projektmanager für vernetzte Organisationen, in: Weßels, Doris (Hrsg.): Zukunft der Wissens- und Projektarbeit. Neue Organisationsformen in vernetzten Welten. Symposion Verlag, Düsseldorf 2014, S. 65-96. [7] Zuo, Jian / Zhao, Xianbo / Minh Nguyen, Quan Bui / Ma, Tony / Gao, Shang: Soft skills of construction project management professionals and project success factors. 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In: Bauingenieur- - Bautechnik, VDI Jahresausgabe 2019 / 2020, S. 115-123. [12] Adamu, Zulfikar A./ Emmitt, Stephen / Soetanto, Robby: Social Bim. Co-Creation with shared situational awareness. In: Electronic Journal of Information Technology in Construction, 20 / 2015, S. 230-252. [13] Feldmüller, Dorothee / Rieke, Tobias: Auswirkungen der Digitalisierung auf Projektmanagement-Kompetenzen und PM-Lehre. GPM Know-How, Nürnberg 2019. https: / / www.gpm-ipma.de / fileadmin / user_upload / Know- How / studien / Sonstige_Studien / 201 910_Studie_Auswirkung_der_Digitalisierung.pdf, Stand: 20. 02. 2022. [14] Tautschnig, Arnold / Fröch, Georg / Mösl, Martin / Gächter, Werner: Building Information Modeling. Übersicht über Technologie und Arbeitsmethodik mit Praxisbeispielen. In: Bergmeister, Konrad / Fingerloos, Frank / Wörner, Johann-Dietrich (Hrsg.): Beton-Kalender 2018. Bautenschutz, Brandschutz. Ernst & Sohn 2017. Eingangsabbildung: © iStock.com / damircudic Karina Breitwieser Karina Breitwieser hat langjährige Erfahrung im internationalen Projektgeschäft und Organisationsmanagement in der Baubranche. Zurzeit arbeitet sie als Unternehmensberaterin und an der TU Wien mit dem Schwerpunkt Digitalisierung & Kollaboration. karina.breitwieser@tuwien.ac.at Dietmar Paier Dr. Dietmar Paier ist Hochschuldidaktiker und Lektor an der Fachhochschule des BFI Wien. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen die Digitalisierung der Hochschullehre, Lernstilforschung, Learning Analytics und Kompetenzforschung. https: / / www.fh-vie.ac.at / de / seite / forschung / forscherinnen / dietmar-paier dietmar.paier@fh-vie.ac.at Christian Steinreiber Christian Steinreiber ist Fachbereichsleiter für Projektmanagement an der Fachhochschule des BFI Wien, davor Projektmanager in der Energiebranche. Seine Forschungsschwerpunkte sind Projektmanagement-Didaktik sowie Digitalisierung in Projekten. https: / / www.fh-vie.ac.at / de / seite / forschung / forscherinnen / christian-steinreiber christian.steinreiber@fh-vie.ac.at