PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
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GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.Auf die Plätze, fertig, los!
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Matthias Eberspächer
Diagnose-Modelle für die Zusammenarbeit in Projekten fokussieren häufig einseitig auf den Arbeitsmodus Teamarbeit. Die Etablierung guter Gruppen wird nicht beschrieben, häufig werden die Begriffe „Gruppe“ und „Team“ synonym verwendet. Gruppenarbeit lohnt sich immer dann, wenn in einem stabilen Umfeld voneinander unabhängige Arbeitspakete möglichst effizient abgearbeitet werden. Der Artikel schlägt ein neues Modell vor, das beide Zusammenarbeitsformen gleichberechtigt berücksichtigt und sowohl den Aufbau guter Teams als auch guter Gruppen unterstützt.
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37 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 02/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0030 Ein neues Modell zur Beurteilung von Gruppen und Teams Auf die Plätze, fertig, los! Matthias Eberspächer Für eilige Leser | Diagnose-Modelle für die Zusammenarbeit in Projekten fokussieren häufig einseitig auf den Arbeitsmodus Teamarbeit. Die Etablierung guter Gruppen wird nicht beschrieben, häufig werden die Begriffe „Gruppe“ und „Team“ synonym verwendet. Gruppenarbeit lohnt sich immer dann, wenn in einem stabilen Umfeld voneinander unabhängige Arbeitspakete möglichst effizient abgearbeitet werden. Der Artikel schlägt ein neues Modell vor, das beide Zusammenarbeitsformen gleichberechtigt berücksichtigt und sowohl den Aufbau guter Teams als auch guter Gruppen unterstützt. Schlagwörter | Projektgruppen, Projektteams, Zusammenarbeitsmodelle, Teambildung, Teamentwicklung, Projektmanagement-Beratung Sie haben einen Ferienjob als Erntehelfer angenommen. Als Sie am ersten Tag auf den Bauernhof kommen, versammelt der Bauer alle Erntehelfer um sich und schlägt vor, dass sich alle erst einmal besser kennenlernen. Der Vormittag werde mit einem gemeinsamen Team-Building verbracht. Fühlt sich das komisch an? Sie sind als Scrummaster in einem Software-Entwicklungsprojekt eingesetzt und ihr Scrumteam schlägt im Rahmen der Sprint-Retrospektive vor, die Effizienz zu steigern, indem Sie als Scrummaster alleine die Sprintplanung übernehmen und den Teammitgliedern täglich individuell ihre Arbeit zuweisen und ihren Arbeitsfortschritt überwachen. Was stimmt hier nicht? Gruppen- oder Teamarbeit? Warum hören sich beide Beispiele so merkwürdig an? Im ersten Beispiel soll für eine Gruppenarbeit ein Team gebildet werden, im zweiten Beispiel möchte ein Team unter der Anweisung einer Gruppenleitung arbeiten [1]. Beides scheint für die jeweilige Aufgabenstellung unpassend: Ein Team von Erntehelfern wird nicht schneller Trauben pflücken als eine Gruppe; und eine Gruppe von Scrum-Entwicklern schränkt seinen gemeinsamen Lösungsraum und seine Flexibilität, schnell auf Veränderungen zu reagieren, unnötig ein. Gruppenartige Tätigkeiten Gruppenartige Tätigkeiten lassen sich in koordinierter Einzelarbeit erledigen. Beispiele dafür sind die Beantwortung von Anrufen in einem Callcenter, die einzelnen Arbeitsschritte an einem Fließband oder die Portierung einer Software auf eine neue Plattform. Typisch für gruppenartige Tätigkeiten ist es, dass sie unabhängig voneinander bearbeitet und erledigt werden können und nur wenige Änderungen zu erwarten sind. Zudem lassen sie sich gut durch eine externe Gruppenleitung koordinieren. Teamartige Tätigkeiten Teamartige Tätigkeiten können nur in enger Abstimmung erledigt werden. Beispiele sind die Entwicklung eines neuen Produkts, die Neuentwicklung und Integration einer IT-Anwendung in eine bestehende Systemlandschaft oder die Veränderung der Ablauf-Organisation in einer Firma. Typisch für teamartige Tätigkeiten ist eine hohe Abhängigkeit der einzelnen Arbeitsschritte untereinander sowie eine erwartbar hohe Änderung der Anforderungen während der Abarbeitung. Teamartige Tätigkeiten werden deshalb am besten in intensivem Austausch der Mitarbeitenden untereinander erledigt. Die Mitglieder eines Teams verfolgen in kooperativer, selbststeuernder Zusammenarbeit ein gemeinsames Ziel. Wissen | Auf die Plätze, fertig, los! 38 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 02/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0030 Diagnose von Gruppen und Teams Wie kann ich herausfinden, ob meine Gruppe oder mein Team in einem angemessenen Arbeitsmodus arbeitet? In der Literatur und in zahlreichen Publikationen im Internet findet sich eine einseitige Konzentration auf Eigenschaften guter Teams [2]. Die entsprechenden Publikationen bestehen meist aus unstrukturierten Listen von Merkmalen guter Teams. Teilweise hängen einzelne Eigenschaften in diesen Listen eng miteinander zusammen (z. B. „Innovatives und kreatives Verhalten“ mit „Fähigkeit zum Perspektivwechsel“ oder „Engagement und Einsatz“ mit „Hohe(r) Einsatzbereitschaft und Begeisterung“ [3]), teilweise finden sich Widersprüche oder sogar Eigenschaften, die nicht wirklich auf ein erfolgreiches Team hinweisen müssen (z. B. „harmonische Atmosphäre“ und „weniger Streitigkeiten“ [4]). Andere Modelle betrachten nur die im Team eingesetzten Menschen und ihre Teamrollen [5, 6] oder bewerten den Teamerfolg nur mit Blick auf den Output [7], wobei der Zusammenarbeitsmodus unberücksichtigt bleibt. Eigenschaften guter Gruppen oder Empfehlungen für die Etablierung guter Gruppenarbeit finden sich nicht. Eine Internet-Recherche mit dem Suchbegriff „Eigenschaften guter Gruppen“ liefert ausschließlich Seiten, auf denen der Begriff „Gruppe“ als Synonym für „Team“ verwendet wird. Keine der Listen und Modelle erlaubt eine integrierte Bewertung von Gruppen und Teams. Im Folgenden verwende ich den Begriff „Arbeitsgemeinschaft“ als Oberbegriff für Gruppen und Teams. Vorschlag eines neuen Bewertungsmodells In diesem Artikel schlage ich ein neues Modell vor, das anhand von neun Bewertungskriterien eine Beurteilung von Projektarbeitsgemeinschaften ermöglicht und eine Einschätzung gibt, ob die Arbeitsgemeinschaft eher für die Erfüllung gruppenartiger oder teamartiger Tätigkeiten geeignet ist. Drei Bewertungsbereiche Abbildung 1 gibt einen Überblick über die drei Bewertungsbereiche des Modells. Das Modell berücksichtigt Bereiche, auf die die Arbeitsgemeinschaft oder die Projektleitung direkt Einfluss nehmen kann. Die drei Bereiche tragen die Titel „Aufstellung“, „Ausrichtung“ und (Zusammen-) „Arbeit“, jeweils mit Bezug auf die Arbeitsgemeinschaft. Input und Output (vgl. IPO-Modell in [7]) werden nicht berücksichtigt: In den meisten Fällen hat das Projekt keinen oder nur geringen Einfluss auf Form, Inhalt und Qualität des Inputs, ein akzeptabler Output ist das Ergebnis eines angemessenen Zusammenarbeitsmodells und sollte deshalb nicht unabhängig bewertet werden. Die Prozesse sind in den Bereichen „Ausrichtung“ und „Arbeit“ berücksichtigt. Kompetenzen und Persönlichkeiten der Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft [5, 6] sind dem Bewertungsbereich „Aufstellung“ zugeordnet. Die drei Bereiche scheinen einen zeitlichen Ablauf abzubilden: Erst wird die Arbeitsgemeinschaft aufgestellt und ausgerichtet, danach beginnt die Arbeit. Ähnlich wie bei der Teamuhr nach Tuckman [8] sind diese Phasen aber weder überschneidungsfrei noch sequenziell. Auch im laufenden Projekt kann sich die Aufstellung (z. B. durch Fluktuation oder Umorganisation) oder die Ausrichtung (z. B. durch Change Requests) noch ändern. Die Bereiche dienen einzig der Strukturierung des Modells. Neun Bewertungskriterien Jeder Bewertungsbereich enthält drei Bewertungskriterien. Jedem Bewertungskriterium sind zwei Ausprägungen zugeordnet: Eine, die gut für Gruppenarbeit ist und eine, die gut für Teamarbeit ist. Abbildung 2 gibt einen Überblick über alle neun Kriterien und ihre Zuordnung zu den Bewertungsbereichen. Die beiden Ausprägungen pro Kriterium sind jeweils als Extremwerte eines Kontinuums zu verstehen: Keine Gruppe und kein Team ist vollständig homogen oder heterogen (s. Kriterium „Diversität“ unter „Aufstellung“) und auch ein sachlich und aufgabenorientierter Umgang miteinander kann Abbildung 1: Überblick zu den drei Bewertungsbereichen des Modells Wissen | Auf die Plätze, fertig, los! 39 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 02/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0030 inkludierend und wertschätzend erfolgen („Arbeit / Umgang miteinander“). Die Ausprägungen sind markant gewählt, um die Entscheidung für einen der beiden Werte zu erleichtern. Im Folgenden stelle ich die einzelnen Kriterien nach den Bewertungsbereichen anhand der Extremwerte vor. Denken Sie an das Beispiel der Erntehelfer für Gruppen und „Scrum- Team“ für Teams. Aufstellung: Auf die Plätze-… Im Bewertungsbereich „Aufstellung“ finden sich die drei Kriterien „Organisation“, „Kompetenzen der Mitarbeitenden“ und „Diversität“ (s. Abbildung 3). Organisation Mit „Organisation“ ist die Aufbauorganisation des Projekts gemeint. Die Ablauforganisation ist in den Bereichen „Ausrichtung“ und „Arbeit“ berücksichtigt. Eine Gruppe benötigt Rollensicherheit, d. h. jedes Teammitglied kennt seinen festen Platz und Verantwortungsbereich in der Projektorganisation. Diese Sicherheit wird am besten durch eine hierarchische Aufbauorganisation gewährleistet. Demgegenüber arbeitet ein Team am besten auf Augenhöhe zusammen. Die entsprechende Organisationsform ist heterarchisch, d. h. alle Teammitglieder sind gleichberechtigt auf einer Stufe. Da die Teammitglieder im ständigen bilateralen Austausch untereinander stehen (s. „Ausrichtung“ und „Arbeit“), ist eine Teamgröße von mehr als zehn Mitgliedern nicht mehr sinnvoll, da der Abstimmungsaufwand quadratisch mit der Teamgröße wächst. Über die hierarchische Aufbauorganisation und eine geeignete Ablauforganisation (s. unter „Ausrichtung“) können Arbeitsgruppen auch mit mehr als zehn Mitgliedern noch gut arbeiten. Kompetenzen der Mitarbeitenden Kompetenzen meint sowohl fachliche Fähigkeiten als auch die Persönlichkeitsmerkmale der Mitarbeitenden. Für gute Gruppen sind die fachlichen Fähigkeiten das Hauptauswahl- Gut für Gruppen Gut für Teams Organisation hierarchisch heterarchisch Kompetenzen Komplementäre Fähigkeiten Komplementäre Persönlichkeiten Diversität homogen heterogen Ziele festgelegt & bekannt abgestimmt & akzeptiert Rollen festgelegt & bekannt, passend zu den fachlichen Kompetenzen abgestimmt & akzeptiert, passend zu den Persönlichkeiten Zusammenarbeitsmodell festgelegt & bekannt abgestimmt & akzeptiert Umgang miteinander sachlich und aufgabenorientiert respektvoll, offen, ehrlich, inkludierend, wertschätzend Umgang mit Konflikten Offene Konflikte vermeiden, bei Bedarf: Funktionierendes Eskalationsverfahren Konflikte werden offen angesprochen und gemeinsam im Konsens gelöst Umgang mit Problemen und Planabweichungen Mitarbeiter meldet Probleme und Planabweichungen Gemeinsam im Team besprechen und Maßnahmen abstimmen Abbildung 2: Bewertungskriterien des Modells und ihre Zuordnung zu den Bewertungsbereichen aus Abbildung 1 Abbildung 3: Die drei Bewertungskriterien des Bewertungsbereichs „Aufstellung“ Wissen | Auf die Plätze, fertig, los! 40 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 02/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0030 kriterium. Dagegen benötigen gute Teams komplementäre Persönlichkeiten, um die für eine gute Teamarbeit notwendigen informellen Teamrollen abdecken zu können [5]. Eine Arbeitsgruppe bestehend aus Architekten, Maurern, Installateuren, usw. kann ein Haus bauen oder renovieren, aber kein Brot backen, Schränke bauen oder Autos reparieren. Einem Team bestehend aus Bäckern, Schreinern und Kfz- Mechatronikern ist dagegen zuzutrauen, dass sie gemeinsam Wege finden ein Haus zu bauen oder zu renovieren (s. auch „Ausrichtung“). Diversität „Diversität“ meint das Ausmaß der Unterscheidung demografischer Unterschiede, wie Alter, Geschlecht, kulturelle Herkunft oder auch Organisationszugehörigkeit [1]. Für eine Gruppe ist eine geringe Diversität vorteilhaft. Homogene Gruppen zeichnen sich unter anderem durch eine effektivere Kommunikation, wenige interne Konflikte, eine niedrigere Krankheitsrate und eine höhere Leistung in der Umsetzung konkreter Aufgaben aus. Heterogene Teams beherrschen einen größeren Lösungsraum, liefern auf breiterer Basis abgestimmte Ergebnisse und zeigen eine höhere Leistung bei der Entwicklung neuer Ideen. Ausrichtung: -… fertig-… Im Bewertungsbereich „Ausrichtung“ finden sich die drei Kriterien „Ziele“, „Rollen“ und „Zusammenarbeitsmodell“ (s. Abbildung 4). Ziele Teams müssen ihre Ziele gemeinsam abgestimmt, mindestens aber akzeptiert haben. Ohne das Commitment des ganzen Teams ist eine Zielerreichung unwahrscheinlich [9]. Die Mitarbeitenden einer Gruppe sollten die Ziele kennen, auch eventuelle Zieländerungen sollten durch die Gruppenleitung kommuniziert werden. Ein Commitment der Gruppe, oder auch nur einzelner Mitarbeitenden ist nicht erforderlich. Die Zielerreichung ergibt sich aus der Einhaltung des Projektplans. Die Kenntnis der Ziele dient dazu, die eigene Arbeit an den Projektzielen ausrichten zu können und zu erkennen und zu melden, wenn Tätigkeiten nicht zur Zielerreichung beitragen. Rollen In einem guten Team müssen die Rollen gemeinsam abgestimmt und von allen akzeptiert werden. Die individuelle Rollenabstimmung in einem Team ist wegen der heterarchischen Aufbau-Organisation unverzichtbar. Durch die gemeinsame Abstimmung ist außerdem gewährleistet, dass die vereinbarten Rollen zu den Persönlichkeitsmerkmalen passen. In einer Gruppe werden die Rollen auf Basis der fachlichen Fähigkeiten der Mitarbeitenden durch die Gruppenleitung zugewiesen und bekannt gemacht. Dokumentierte Rollenbeschreibungen (z. B. AKV oder RACI-Matrix) sorgen für Transparenz und möglichst überschneidungsfreie Verantwortungsbereiche. Zusammenarbeitsmodell Gute Teams müssen ihr Zusammenarbeitsmodell gemeinsam abstimmen und akzeptieren. Nur so ist gewährleistet, dass das Zusammenarbeitsmodell die Persönlichkeitsmerkmale der Mitarbeitenden und die vereinbarten Rollen berücksichtigt und sich an den gemeinsam getragenen Zielen ausrichtet.In Gruppen ist die Gruppenleitung für das Zusammenarbeitsmodell verantwortlich. Sie legt die Ablauf-Organisation, eventuell auf Basis eines Vorgehensmodells fest und macht sie im Team bekannt. In einer guten Gruppe hält sich der einzelne Mitarbeiter exakt an seine Rolle, die Vorgaben aus dem Projekthandbuch und seine aktuellen Arbeitsanweisungen. Zum Zusammenarbeitsmodell gehört auch die Frage, wie mit eventuell fehlenden fachlichen Fähigkeiten umgegangen wird. In einer Gruppe können Kompetenzlücken entweder durch die dauerhafte Hinzunahme kompetenter Ressourcen, die temporäre Einbeziehung externer Experten, oder durch individuelle Schulungen betroffener Mitarbeitenden geschlossen werden. Die Mitarbeitenden in einem Team lernen voneinander und miteinander, sie wachsen als Team mit den bewältigten Aufgaben. Arbeit: -… los! Im letzten Bewertungsbereich „Arbeit“ finden sich die drei Kriterien „Umgang miteinander“, „Umgang mit Konflikten“ und „Umgang mit Problemen und Planabweichungen“ (s. Abbildung 5). Abbildung 4: Die drei Bewertungskriterien des Bewertungsbereichs „Ausrichtung“ Wissen | Auf die Plätze, fertig, los! 41 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 02/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0030 Umgang miteinander Der Umgang in einer Gruppe ist sachlich und aufgabenorientiert. Kommunikation hat zum Ziel, die für den konkreten Arbeitsauftrag notwendigen Abstimmungen zu treffen. Wegen der überschneidungsfreien und voneinander unabhängigen gruppenartigen Tätigkeiten sind kaum bilaterale Abstimmungen unter den Mitarbeitenden notwendig. Wann immer möglich, sollten offene Fragen nicht bilateral, sondern über die Gruppenleitung geklärt werden. Die Kommunikation in einem Team ist respektvoll, offen, ehrlich, inkludierend und wertschätzend. Jede Form der Kommunikation hat immer einen beziehungsorientierten und nur manchmal auch einen aufgabenorientierten Anteil. Beziehungsklärung geht vor Sachklärung. Dieser aufwändige Kommunikationsstil ist notwendig, um den vertrauensvollen Umgang im Team zu etablieren und zu erhalten. Geht nicht beides? Wie eingangs bemerkt kann auch eine sachliche Klärung mit einer Frage nach dem persönlichen Befinden oder dem Verlauf des Wochenendes beginnen. Beziehungsarbeit verursacht aber auch Kosten und bringt einer Gruppe keinerlei Vorteil. Der französische Philosoph Michel Serres ätzte über „sich an Organisationen anlagernde Parasiten persönlicher Kommunikation“ [10]. Ich möchte mir diesen Sprachgebrauch nicht zu eigen machen, die überspitzte Formulierung macht aber die Verschwendung durch nicht zielführende, rein beziehungsorientierte Kommunikation in Gruppen deutlich: Solange ich mich während meiner Arbeitszeit im Callcenter mit einer Kollegin über einen Wochenendausflug unterhalte, kann ich keine Anrufe beantworten. Umgang mit Konflikten Beziehungskonflikte kommen in einer gut organisierten Gruppe nicht vor. Für die Gruppenarbeit sind nur sachbezogene Konflikte relevant. In einer Gruppe sind offene Konflikte zu vermeiden, da sie den Leistungsfortschritt behindern. Sollte es doch einmal zu Konflikten kommen, werden diese über ein bekanntes (s. „Zusammenarbeitsmodell“) und funktionierendes Eskalationsverfahren gelöst. Notfalls können zur Beilegung eines Konflikts Mitarbeitende ausgetauscht werden. In guten Teams wird jedes Anzeichen eines Konflikts offen angesprochen und gemeinsam, bevorzugt im Konsens, gelöst. Ungelöste Konflikte belasten das soziale Beziehungsgeflecht des Teams und gefährden die Zielerreichung. Umgang mit Problemen und Planabweichungen In Gruppen gilt der Grundsatz „Melden macht frei! “. Hat ein Mitarbeiter ein Problem erkannt und an die Gruppenleitung gemeldet, ist er entlastet. Die Lösung des Problems oder der Umgang mit Planabweichungen liegt in der Verantwortung der Gruppenleitung. in einem Team sind alle und jeder für die Lösung von Problemen und Planabweichungen verantwortlich, da diese die gemeinsamen Team-Ziele gefährden. Nur gemeinsam können notwendige Maßnahmen beschlossen und umgesetzt werden. Folgerungen des Modells Aus den Ausprägungen der neun Bewertungskriterien ergibt sich das folgende Bild für Arbeitsgemeinschaften. Gute Gruppen sind effizient Gruppen sind dann besonders erfolgreich, wenn sie wie eine gut geölte Maschine laufen. Die einzelnen Zahnräder greifen perfekt ineinander, der Ablauf ist festgelegt und wird nicht gestört. Die Gruppe funktioniert gut, wenn jedes einzelne Mitglied genau seine Rolle wahrnimmt und seine Aufgaben planmäßig erledigt. Eine Gruppe kann perfekt genau die eine Aufgabenstellung erledigen, für die sie zusammengestellt wurde. Gute Teams sind effektiv Dagegen sind gute Teams effektiv. Sie spielen ihre Stärken dann aus, wenn entweder die Lösung eines Problems oder der Weg zur Lösung unklar ist oder mit zahlreichen Änderungen und unterschiedlichen Herausforderungen zu rechnen ist. Gute Teams sind wie ein Schweizer Taschenmesser: Sie können alle möglichen Aufgabenstellungen erledigen, passen sich flexibel an sich ändernde Rahmenbedingungen an und sind in der Lage Kompetenzlücken selbstständig zu schließen. Die neun Gefährten und Raumschiff Enterprise Wie kann dieses Modell angewendet werden und wie kann es helfen, die Zusammenarbeit im Projekt zu verbessern? Dazu wende ich das Modell auf zwei fiktive Arbeitsgemeinschaften an, die Sie als Leser möglicherweise kennen: Die neun Gefährten aus dem ersten Band von J. R. R. Tolkiens Trilogie „Herr der Ringe“ und die vier Führungsfiguren Kirk, Spock, Abbildung 5: Die drei Bewertungskriterien des Bewertungsbereichs „Arbeit“ Wissen | Auf die Plätze, fertig, los! 42 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 02/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0030 Pille und Scotty vom Raumschiff Enterprise. Abbildung 6 zeigt meine Einschätzung beider Arbeitsgemeinschaften anhand des Modells. Einige der abgebildeten Einschätzungen sind recht objektiv: Beispielsweise die Diversität, denn beide Teams sind mit Zwergen, Elben und Vulkaniern sehr heterogen besetzt (das hebt die fehlende Geschlechter-Diversität auf). Andere aber sind- - wie bei den meisten echten Arbeitsgemeinschaften auch-- weniger klar zuzuordnen. Das liegt zum einen an dem oben angesprochenen Bewertungs-Kontinuum. In der Regel sind die bewerteten Arbeitsgemeinschaften nicht eindeutig einem der beiden Extreme zuzuordnen. Zum anderen ist auch die Bewertung selbst nicht vollständig objektiv möglich. Wann immer andere Menschen andere Menschen beurteilen, werden etwas andere Ergebnisse herauskommen. Heterarchische Enterprise? Beispielsweise habe ich die Organisation der neun Gefährten als hierarchisch eingeschätzt, die des Raumschiffs Enterprise aber als heterarchisch. Dabei haben die neun Gefährten kein Organigramm abgestimmt und es wurden auch keine formalen Berichts- und Organisationswege festgelegt. Und die Besatzung der Enterprise trägt Uniform und spricht sich mit Dienstgraden an-- beides Zeichen für eine hierarchische Organisation. In meiner Einschätzung war es mir wichtiger, wie die Organisation gelebt wird: Und da gibt es bei den Gefährten eine klare Rangfolge. Frodo agiert als Lenkungsausschuss, der wichtige Entscheidungen trifft (z. B. den Weg durch die Minen von Moria zu nehmen). Gandalf ist der Projektleiter, der die Entscheidungen im Team umsetzt. Alle anderen machen das, was Gandalf ihnen sagt. Dagegen diskutieren Kirk, Spock, Pille und Scotty fast alle wichtigen Entscheidungen gemeinsam, wobei jeder von ihnen sowohl seine Fähigkeiten als auch seine Persönlichkeit einbringt. Auch wenn am Ende allein Kirk entscheidet, so ist diese Entscheidung doch meistens im Konsens getroffen worden. Zielkonflikte in Mittelerde Beispielhaft erläutere ich noch meine Einschätzung zum „Umgang mit Konflikten“. Die Gefährten scheitern an einem nie geklärten Zielkonflikt: Boromir wollte den Ring nicht zerstören. Stattdessen wollte er ihn benutzen, um Sauron zu bekämpfen. Dieser Konflikt wurde nie gelöst und führte am Ende (des ersten Buchs) dazu, dass die Gemeinschaft der Gefährten zerbrach. Dagegen werden Konflikte auf der Enterprise in der Regel sehr zeitnah bilateral oder im Team angesprochen, lebhaft diskutiert und gelöst. Eventuell kommen Sie zu anderen Einschätzungen für die beiden Teams als ich. Das ist nicht falsch, es bedeutet nur, dass Sie gewisse Sachverhalte anders deuten und das Ihnen andere Aspekte der Zusammenarbeit wichtiger sind als mir. Auch die beiden Extremwerte sind nicht richtig oder falsch, sondern für den einen Arbeitsmodus hilfreich und für den anderen Arbeitsmodus nicht hilfreich. Was könnten Gandalf und Captain Kirk mit dieser Einschätzung anfangen? Im Ergebnis haben die neun Gefährten überwiegend Eigenschaften, die gut für eine Gruppe sind, das Team des Raumschiffs Enterprise hat dagegen die Eigenschaften eines guten Teams. Schlussfolgerungen für Gandalf Der Auftrag der Gefährten lautete, den Ring zum Schicksalsberg nach Mordor zu bringen und ihn dort zu zerstören. An diesem Auftrag war fast alles unklar: Wie sollten sie nach Mordor kommen, wie durch Mordor zum Schicksalsberg gelangen und wie dort dann den Ring zerstören? Für diese Art von Aufgabe ist ein Team besser geeignet als eine Gruppe. Das Modell zeigt aber, dass die Gefährten eher die Eigenschaften einer Gruppe haben. Was nun? Gandalf hätte versuchen können, die gruppenartigen Eigenschaften in Richtung Team zu entwickeln, beginnend mit dem nicht akzeptierten gemeinsamen Ziel. Eine offene Abbildung 6: Die Bewertung der beiden Arbeitsgemeinschaften „Die Gefährten“ aus Herr der Ringe (G) und des Führungsquartetts aus „Raumschiff Enterprise“ (E) Wissen | Auf die Plätze, fertig, los! 43 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 02/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0030 Abstimmung darüber hätte sich auch positiv auf das Zusammenarbeitsmodell, den Umgang miteinander und den Umgang mit Konflikten ausgewirkt. Hätte sich kein Konsens gefunden, hätte es noch die Möglichkeit gegeben, dem späteren Auseinanderfallen der Gefährten vorzubeugen, indem Boromir aus dem Team entfernt wird. Schlussfolgerungen für Kirk Der Auftrag der Enterprise lautete, „… fremde neue Welten zu erforschen, neues Leben und neue Zivilisationen zu suchen, mutig dorthin zu gehen, wo noch kein Mensch zuvor gewesen ist.“. Auch für diese Art von Aufgabe ist ein Team besser geeignet, als eine Gruppe und nach meiner Einschätzung hat die Enterprise fast alles, was ein gutes Team braucht. Einzig die Besetzung der Rollen ist mit hoher Wahrscheinlichkeit gruppenartig erfolgt: Die Rollen werden wohl im Bordhandbuch festgelegt und beschrieben sein, zufällig passen sie aber auch sehr gut zur Persönlichkeit der die Rollen ausübenden Personen (z. B. Wissenschaftsoffizier Spock). Die Beziehungsarbeit, die zur Ausbildung der teamartigen Eigenschaften geführt hat, hat nicht die Leistungserbringung behindert. Das mag daran liegen, dass sich die gesamte Mannschaft nicht nur arbeitstägliche acht Stunden sieht, sondern rund um die Uhr und auch privat miteinander verkehrt. Dadurch findet ein großer Teil der Beziehungsarbeit außerhalb der Arbeitszeit statt. Es gibt für Captain Kirk also keinen Grund, irgendetwas zu ändern. Mögliche Anwendungen in der Praxis Wie könnte das Modell in der Praxis angewendet werden? Eine Möglichkeit besteht darin, die neun Kriterien bereits bei der Initialisierung eines Projekts als Checkliste zu verwenden, um die Arbeitsgemeinschaft von Anfang an als Gruppe oder als Team aufzustellen. Außerdem kann das Modell auch zur Diagnose eines bereits bestehenden Projekts angewendet werden. Dabei gilt es abzuwägen, ob die Projektleitung die Einschätzung im Rahmen eines Self-Assessment selbst vornimmt, eine anonyme Umfrage in der Arbeitsgemeinschaft durchführt, die Einschätzungen gemeinsam in der Arbeitsgemeinschaft abgestimmt werden oder ein externer Beobachter mit der Einschätzung beauftragt wird. Teamentwicklung Ergeben die Einschätzungen eine zu gruppenartige Ausprägung, so sind teamentwickelnde Maßnahmen erforderlich. Dazu sollten Workshops zur Abstimmung der Ziele, der Projektrollen und des Zusammenarbeitsmodells helfen. Teamarbeit muss per Definition in kooperativer Zusammenarbeit erfolgen und kann nicht „angeordnet“ werden. Je nach identifizierter Abweichung (z. B. Umgang mit Konflikten) können auch punktuelle Maßnahmen helfen (z. B. vermutete Konflikte werden durch einen Moderator oder die Projektleitung angesprochen). Gruppenentwicklung Maßnahmen zur Teambildung sind aufwändig und behindern die Leistungserbringung. Dieser Aufwand muss sich in einem Projekt rechnen, sonst sollte kein Team gebildet werden. Grundsätzlich arbeiten Menschen gerne kooperativ und partnerschaftlich zusammen [11]. Aus diesem Grunde streben alle Arbeitsgemeinschaften auch ohne gesonderte Maßnahmen einen Teamarbeitsmodus an: Die von Tuckman beobachteten Phasen-- Forming, Storming, Norming und Performing- - wurden ohne äußere Einwirkung oder besondere Teamentwicklungs-Maßnahmen durchlaufen [8]. Lassen sich in einer Arbeitsgruppe unproduktive „parasitäre Tendenzen“ feststellen, die auf eine unerwünschte Teambildung hindeuten, kann dieser Entwicklung durch Maßnahmen zur Gruppenbildung entgegengewirkt werden. Dazu gehört z. B. die Etablierung hierarchischer Strukturen, die Einführung formaler Prozessabläufe sowie ggf. die Unterbindung bilateraler Abstimmungen zugunsten eines hierarchischen Berichts- und Meldewesens. Ausblick In der Praxis gibt es selten sortenreine Projekte, in denen ausschließlich gruppen- oder teamartige Tätigkeiten durchgeführt werden. Auch Projektgruppen stehen immer wieder vor Herausforderungen, die sich nur im Team lösen lassen und auch in Teams gibt es Aufgaben, die effizienter in Gruppenarbeit zu erledigen sind. Die Projektleitung muss deshalb in der Lage sein, ihr Führungsverhalten situativ anzupassen und entweder die Abstimmung im Team zu fördern oder durch klare Ansagen nicht zielführende Blindleistung zu verhindern. Das aktive Unterbinden der natürlichen Teambildung ist nicht ohne Risiken und fördert nicht die langfristige Zufriedenheit der Mitarbeitenden. Für einen zeitlich begrenzten Einsatz kann es aber notwendig sein, um das Projekt schnell, effizient und erfolgreich abzuschließen. In den allermeisten Projekten überwiegt heute der Bedarf für echte Teamarbeit und dieser Bedarf wird in zukünftigen Projekten vermutlich weiter zunehmen. Umso wichtiger wird die Beherrschung des Ausnahmezustands Gruppenarbeit sein. Das in diesem Artikel vorgestellte Modell möchte bei der Diagnose und der Ableitung geeigneter Maßnahmen unterstützen. Literatur [1] Für eine ausführliche Gegenüberstellung der beiden Zusammenarbeitsmodelle, s. Matthias Eberspächer, „Sind Projektgruppen resilienter als Projektteams? “; in: PRO- JEKTMANAGEMENT AKTUELL 2 / 2022 [2] Ein beispielhafter Überblick findet sich in Matthias Eberspächer, „Was macht ein gutes Projektteam aus? “, Projektmagazin 2012 (22), https: / / www.projektmagazin.de / artikel / was-macht-ein-gutes-projektteamaus_1 075 941, Abruf: Januar 2023 [3] Kerzner, Harold in Project Management-- A Systems Approach to Planning, Scheduling, and Controlling, John Wiley & Sons, Inc., Hoboken 2009 [4] https: / / www.gruender.de / hr-office / team-spirit/ , Abruf: Januar 2023 [5] Meredith Belbin, „Team Roles at Work”, Taylor & Francis 2010 [6] https: / / www.teammanagementsystems.com/ , Abruf: Januar 2023 [7] ein Überblick über Teamdiagnose-Modelle findet sich in „Kompetenzbasiertes Projektmanagement (PM3), Handbuch für die Projektarbeit, Qualifizierung und Zertifizierung“, hrsg. Von Michael Gessler, Band 3 [8] Bruce W. Tuckman (1965), „Developmental Sequence in Small Groups”, Psychological Bulletin, Vol. 63 (6) 384-399 [9] Schwaber, Ken und Sutherland, Jeff: https: / / www.scrumguides.org/ ; November 2020, Abruf: Januar 2023 [10] Michel Serres, „Der Parasit“, Suhrkamp 1981 [11] Thomas R. Insel, (2003), "Is social attachment an addictive disorder? "; Physiology & Behavior, 79, 351-357; Michael Tomasello, "Warum wir kooperieren", Suhrkamp 2010 Eingangsabbildung: © msg Abbildungen: msg systems ag Matthias Eberspächer Dr. Matthias Eberspächer arbeitet als Qualitäts- und Projektmanager bei msg in München. Sein besonderes Interesse gilt der Optimierung von Projektvorgehensmodellen, dem Aufbau und der Steuerung effizienter Projektteams sowie Methoden zur Erhöhung der Wirksamkeit von Projektmanagementberatung. eMail: matthias.eberspaecher@msg.group, ORCID: 0000- 0001-7600 - 1921 Anzeige Dieter Brendt, Olaf Mackowiak Führung in der Technik 1., Auflage 2021, 177 Seiten €[D] 34,90 ISBN 978-3-8169-3467-7 eISBN 978-3-8169-8467-2 Mitarbeitende zielgerichtet und effektiv führen zu können, ist ein Schlüssel für nachhaltigen Unternehmenserfolg. In diesem Buch werden den Leser: innen durch die direkte Ansprache und die Praxisbeispiele von Kolleg: innen in vergleichbaren Situationen Denkanstöße und Tipps geboten, um ihren Führungsstil zu analysieren und darauf aufbauend zu optimieren. Es werden bewährte Maßnahmen und Techniken zur effizienten Gestaltung und Beherrschung der vielfältigen Anforderungen im sich schnell verändernden technischen wie gesellschaftlichen Umfeld vorgeschlagen, die praxisgerecht im Führungsalltag eingesetzt werden können.