eJournals PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL 34/3

PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
10.24053/PM-2023-0045
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2023
343 GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.

Jetzt kommt die Nachhaltigkeit im Projektgeschäft

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2023
Oliver Steeger
Hinter dieser Abkürzung steht ein Megatrend: ESG („Environmental, Social and Governance“) revolutioniert die Projektlandschaft, vielleicht sogar das Projektmanagement selbst. ESG soll, so der politische Wille, die Bresche schlagen für umfassendes nachhaltiges Wirtschaften. Konkret: ESG fordert eine ganzheitliche und nachhaltige Wirtschaftspraxis – mit großem Einfluss auf Produkte, Produktion, Dienstleistungen und Zusammenarbeit. Dieser Wandel hin zur Nachhaltigkeit löst eine Vielzahl von ESG-Projekten aus. Oliver Thost und Andreas Spathelf von dem Projektmanagement-Unternehmen Thost (600 Mitarbeiter weltweit) berichten: Nahezu jedes Projekt, das ihr Unternehmen betreut, steht in Verbindung mit ESG. Im Interview erklären sie, wie ESG die Wirtschaft verändert, welche Auswirkungen es auf Projektportfolios, Projektziele und Projektmanagement hat – und weshalb viele mittelständische Unternehmen noch nicht deutlich sehen, was auf sie zukommt.
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4 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 03/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0045 ESG revolutioniert Projekte, Portfolios-- und ganze Geschäftsmodelle Jetzt kommt die Nachhaltigkeit im Projektgeschäft Oliver Steeger Hinter dieser Abkürzung steht ein Megatrend: ESG („Environmental, Social and Governance“) revolutioniert die Projektlandschaft, vielleicht sogar das Projektmanagement selbst. ESG soll, so der politische Wille, die Bresche schlagen für umfassendes nachhaltiges Wirtschaften. Konkret: ESG fordert eine ganzheitliche und nachhaltige Wirtschaftspraxis-- mit großem Einfluss auf Produkte, Produktion, Dienstleistungen und Zusammenarbeit. Dieser Wandel hin zur Nachhaltigkeit löst eine Vielzahl von ESG-Projekten aus. Oliver Thost und Andreas Spathelf von dem Projektmanagement-Unternehmen Thost (600 Mitarbeiter weltweit) berichten: Nahezu jedes Projekt, das ihr Unternehmen betreut, steht in Verbindung mit ESG. Im Interview erklären sie, wie ESG die Wirtschaft verändert, welche Auswirkungen es auf Projektportfolios, Projektziele und Projektmanagement hat-- und weshalb viele mittelständische Unternehmen noch nicht deutlich sehen, was auf sie zukommt. Hinter der Abkürzung „ESG“ steht ein Megatrend, der derzeit die Projektlandschaft verändert. Es geht um Nachhaltigkeit hinsichtlich Ökologie, Sozialem und Unternehmensführung. Zur Bedeutung dieses Trends: Das Fachmedium „Immobilien Zeitung“ hat ESG zum Immobilienwort des Jahres 2022 gekürt. Wie beeinflusst aus Ihrer Sicht ESG derzeit das Projektmanagement? Oliver Thost: ESG ist weit mehr als nur ein aktuelles Schlagwort. Es verändert, welche Produkte entwickelt werden. Es verändert die Art und Weise, wie diese Produkte produziert werden, und es verändert die hierfür erforderlichen Dienstleistungen. Viele Unternehmen haben das erkannt. Sie investieren in entsprechende Projekte zur Veränderung der Produktionstechnologie und der dazugehörigen Infrastruktur-- einschließlich der Immobilien und Energieversorgung. In unserem Beratungs- und Projektmanagementunternehmen steuern wir immer mehr Projekte, die mit Blick auf ESG umgesetzt werden. Andreas Spathelf: Begriff und Konzept von ESG wurden 2004 von der “Global Compact Initiative“ der UN entwickelt, um die drei wichtigsten Säulen nachhaltigen Wirtschaftens zu benennen. Der Begriff Nachhaltigkeit ist dabei weit gefasst: Man versteht darunter nicht nur Umweltschutz, Begrenzung des Klimawandels, Anpassung an den Klimawandel oder Übergang zur Kreislaufwirtschaft. Es geht auch um die Auswirkungen wirtschaftlichen Handelns auf die Gesellschaft. Im Jahr 2020 hat die Europäische Kommission als eine Folgemaßnahme des European Green-Deals eine erste Taxonomieverordnung für Umweltschutzziele verabschiedet. Es ist der Versuch eines einheitlichen Klassifizierungssystems für die ökologischen Auswirkungen wirtschaftlicher Tätigkeiten. Das Ziel ist, nachhaltiges Handeln in den Kern von Unternehmenskultur, Geschäftsentwicklung und Unternehmensstrategie zu rücken. Unternehmen können also heute schon sehen, wie groß ihr ökologischer Fußabdruck ist-- und wie sie ihn verkleinern können? Oliver Thost: Zu einem gewissen Grad will man Transparenz herstellen. Durch zunehmende Berichtspflichten sollen Unternehmen erklären, wo sie stehen und was sie tun, um sich hinsichtlich Nachhaltigkeit zu verbessern. Diese Berichte sind öffentlich. Sie spielen beispielsweise bei der Finanzierung von Immobilienvorhaben schon jetzt eine Rolle. Das heißt, Investoren schauen sich die Berichte zur Nachhaltigkeit von Unternehmen an? Oliver Thost: Genau. Man möchte Kapitalströme hin zu nachhaltigeren Investments lenken. Andreas Spathelf: Für große kapitalmarktorientierte Konzerne bestehen bereits seit einigen Jahren Verpflichtungen, Reportage | Jetzt kommt die Nachhaltigkeit im Projektgeschäft 6 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 03/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0045 gemäß NFRD (Non financial reporting direction) über nicht kommerzielle Aspekte zu berichten. Für andere Gruppen werden diese Berichte in den kommenden Jahren verpflichtend. Bislang gab es keine einheitliche Berichtsform. Im November 2022 wurde von der EU ein einheitlicher Standard eingeführt, der European Sustainability Reporting Standard (ESRS). Im Jahr 2022 wurden Verordnungen auf mittelständische Unternehmen über 250 Mitarbeitern beziehungsweise mehr als 40 Mio. Euro Jahresumsatz ausgeweitet. Sie greifen ab dem Berichtsjahr 2024. Solche Berichte können Unternehmen dazu dienen, nach draußen ein sauberes Image zu vermitteln-… Andreas Spathelf: Es geht eindeutig um mehr als nur das Image. „Greenwashing“ soll durch die Taxonomien und Berichtspflichten unterbunden werden. Für viele Unternehmen ist die Umstellung auf nachhaltiges Wirtschaften eine Frage der Zukunftsfähigkeit. Ein Beispiel dafür sind Automobilhersteller. Sie sind in einigen Bereichen weiter, als es die ESG- Vorgaben derzeit erfordern- - auch wenn hier noch „viel Luft nach oben“ besteht. Oliver Thost: Einer unserer Kunden, ein deutscher Automobilkonzern, investiert derzeit eine große Summe in eine neue Lackieranlage- - ein ohnehin sehr energieintensiver Prozess. Die Anlage wird nur einen Bruchteil der bisherigen Wassermenge verbrauchen und den CO2-Footprint erheblich reduzieren. Durch diese Investition wird künftig keine höhere Zahl von Autos in der Anlage lackiert, und die Autos werden auch nicht noch „schöner“. Es geht um Nachhaltigkeit und insbesondere Dekarbonisierung der Prozesse. Andreas Spathelf: Natürlich rechnet sich dieses Projekt auch finanziell. Die Anlage spart 50 bis 60 Prozent Energie und Wasserverbrauch. Nachhaltigkeitsaspekte sind nicht mehr nur Teil einer Unternehmensphilosophie, sondern Teil einer jeden Projektkalkulation- - gerade angesichts der steigenden Energiepreise und CO2-Kompensationsabgaben. Derzeit müssen große Unternehmen nach außen vielfach „nur“ berichten. Der Akzent liegt auf Selbstüberwachung und Selbstregulierung-- noch! Könnte es sein, dass aus Empfehlungen und Absichtserklärungen bald scharfe Grenzwerte für Verbrauch und Emission werden? Andreas Spathelf: Diese Vorgaben und Grenzen kommen sukzessive. Deshalb investieren Unternehmen enorm in „ESG-Projekte“. Sie wollen sich vorbereiten und die absehbaren politischen und regulatorischen Vergaben antizipieren. Bleiben wir beim Beispiel der Automobilwirtschaft. Dort stehen die Zeichen bekanntlich auf Elektromobilität. Dieser Paradigmenwechsel hat viele technische Entwicklungsprojekte ausgelöst-… Andreas Spathelf: Es geht nicht nur um die Entwicklung und Herstellung von neuen Elektro-Fahrzeugen, sondern auch um Vorhaben im Umfeld der Elektromobilität, etwa große Batteriezellenwerke, den Aufbau der Ladeinfrastruktur. Ein nachhaltiger Produktionsprozess spielt dabei ebenso eine große Rolle: mit den Stichwörtern Energieeffizienz, Dekarbonisierung und Kreislaufwirtschaft. In diesem Sinne hat inzwischen nahezu jedes Projekt einen Bezug zu ESG. Welche Projekte zum Beispiel? Oliver Thost: Denken Sie an den Ausbau der Strom-Übertragungsnetze! An der Nordsee wird Windstrom produziert. Im Süden Deutschlands wird er gebraucht. Dazwischen sind die Stromnetze noch nicht leistungsfähig genug oder für Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung (HGÜ) ausgelegt. Konzerne wählen Standorte für neue Produktionsanlagen heute stark unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten aus. Eine wesentliche Frage dabei ist: Ist „grüne Energie“ an einem vorgesehenen Standort verfügbar? Solche Fragen haben heute einen großen Einfluss auf die Standortwahl- - und damit auf die wirtschaftliche Perspektive einer Region. Der Schwerpunkt bei ESG scheint im Augenblick noch auf „E” zu liegen, der Umwelt. Ein Beispiel: Beim Bau etwa einer Immobilie kann man ökologische Baumaterialien verwenden oder moderne Energiesysteme und Dämmkonzepte einsetzen. Im Bereich ökologischer Nachhaltigkeit gibt es viele Ansatzpunkte. Die Möglichkeiten liegen auf der Hand. Doch sprechen wir bitte auch über das „G“ von ESG, die Governance. Da geht es um die Frage nach Unternehmensführung und Kooperation mit anderen Unternehmen. Governance hat ja viel mit Werten und Unternehmenskultur zu tun; sie zu verändern ist häufig ein langer Prozess. Wo sind beim „G“ aus Ihrer Sicht praktische Ansatzpunkte? Andreas Spathelf: Bezogen auf Projekte und Projektmanagement geht es zum Beispiel um Geschäftspraktiken und konsequente Einhaltung von Compliance-Regelungen. Hier bieten sich beispielsweise strategische Partnerschaften und ausgewogene vertragliche Regelungen zwischen den Beteiligten an. Insbesondere bei komplexen und langlaufenden Projekten ist das ein sehr bedeutendes Thema. Es gibt bereits faire und für alle Beteiligten attraktive Modelle, um etwa Konfliktpotentiale zu reduzieren oder sich auf außergerichtliche Verfahren zur Streitbeilegung zu verständigen. In unseren Beratungen sprechen wir Kunden darauf an. Sie erkennen, dass solche Modelle im Sinne langfristiger, partnerschaftlicher Beziehungen nachhaltig sind. Derlei Modelle sind seit längerem bekannt. 2015 hat beispielsweise die ”Reformkommission Bau von Großprojekten” partnerschaftliche Vertragsformen für öffentliche Vorhaben empfohlen, um Konfliktpotenzial zu reduzieren. Zudem ging es darum, die Transparenz, Effizienz, Kostentreue und Termintreue zu verbessern. Andreas Spathelf: Nach unserer Wahrnehmung verläuft die Umsetzung dieser Empfehlungen leider eher zurückhaltend. Das Bestreben, Risiken möglichst Dritten zu übertragen, ist noch immer recht ausgeprägt. Dabei ist ein offensiver Umgang mit Risiken und den oftmals damit verbundenen Chancen nach unserer Erfahrung der erfolgversprechendere Weg. Oliver Thost: Nochmals das Beispiel der Netzbetreiber. Große Infrastrukturprojekte haben in der Regel eine sehr lange Laufzeit. Wir sprechen über zehn bis fünfzehn Jahre. Werden solche Projekte gestartet und geplant, sind häufig die planerischen und genehmigungsrechtlichen Lösungen noch nicht exakt kalkulierbar - und damit auch nicht der Aufwand. Vieles Schießen Sie chaotische Projekte mit & zum Mond! 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Oliver Thost: Bei Infrastrukturprojekten kann kein Anbieter heute den Aufwand und damit die exakten Kosten für seine Leistungen über einen solchen Zeitraum seriös kalkulieren. Die herkömmlichen Vertragsmodelle zwingen Vertragspartner häufig dazu, Streitigkeiten während des Projekts oder danach auszutragen-- schlimmstenfalls vor Gericht. Andreas Spathelf: Das kann eine Konsequenz sein. Herkömmliche Modelle zwingen die Partner dazu, sich projektbegleitend intensiv mit ihren eigenen Interessen zu befassen, statt sich voll auf das Projekt zu konzentrieren und gemeinsam mit den weiteren Projektbeteiligten geeignete Lösungen zu finden. Das ist kaum nachhaltig. Eine Verschwendung von Ressourcen-… Oliver Thost: Hier ist einiges in Bewegung. Kürzlich ist einer der deutschen Netzbetreiber mit dem Wunsch an uns herangetreten, veränderte Vertragsmodelle einzusetzen. Das Stichwort ist IPA, integrierte Projektabwicklung - ein sehr kollaborativer Ansatz. Die Reinform von IPA ist ein „Mehrparteienvertrag“. Die Partner teilen sich Chancen und Risiken. Ungewöhnlich-… Andreas Spathelf: -… und doch begeben sich Infrastrukturbetreiber zunehmend auf diesen Weg. Das ist innovatives Projektmanagement - und eine gute Antwort auf die Frage, wie man unter Governance-Aspekten ausgewogenere und zielführende Verträge vereinbaren kann - eben nachhaltig, im Sinne von partnerschaftlichen Geschäftsbeziehungen. Ihr Beratungsunternehmen selbst folgt seit Jahren dem ESG-Gedanken. Es steht mit seinen Werten, seiner Strategie und Beratungsansätzen hinter ESG …- Oliver Thost: Wir setzen uns mit dem Thema Nachhaltigkeit seit langer Zeit auseinander, das ist richtig. Unsere Mission und Vision sind auf Nachhaltigkeit in den genannten Dimensionen ausgerichtet. Besonders in den vergangenen fünf Jahren haben wir das intensiviert. Wir haben Arbeitsgruppen gegründet und beschäftigen uns mit neuen Leistungsangeboten und beispielsweise auch mit der ESG-Berichterstattung, die für uns selbst erst ab 2024 verpflichtend sein wird. Wir sind 2021 dem UNGC beigetreten und kommen damit bereits einer freiwilligen Berichterstattung über nichtkommerzielle Aktivitäten unseres Unternehmens nach. Meine Frage: Können Sie als Unternehmen, das selbst ESG lebt, Einfluss nehmen auf die Entscheidungen Ihrer Kunden zum Thema Nachhaltigkeit? Andreas Spathelf: Das ist unterschiedlich. Bei der ökologischen Nachhaltigkeit- - beim „E“ von ESG - können wir in der Konzeptionsphase der Projekte Vorschläge einbringen: bei der Bedarfsermittlung, der Formulierung von Projektzielen und Randbedingungen. Dazu gehören beispielsweise nachhaltige technische Ansätze für Planung und Realisierung. Auch beim Thema „Governance“ setzen wir Impulse, indem wir beispielsweise die vorhin erwähnten innovativen Vertragsmodelle ins Gespräch bringen und auf eine vertrauensvolle Projektkultur hinwirken. Was ist mit dem ESG-Aspekt „Social“? Beim Thema „Social“ haben wir in der Regel wenig Einfluss auf unsere Kunden. Aspekte wie Arbeitsschutz oder Gleichbehandlung der Mitarbeitenden sind in der Regel unternehmensintern und nur bedingt auf „Investitionsprojekte“ adaptierbar beziehungsweise im „Direktionsbereich“ unserer Kunden. Oliver Thost: Wir verstehen uns auch nicht als „Kulturberater“. Auf die Transformation von Unternehmenswerten oder Unternehmenskultur sind andere Beratungsunternehmen spezialisiert. Unsere Kernkompetenz ist das Projektmanagement. Projekte-- und besonders Leuchtturmprojekte-- können durchwegs auf die Organisation ausstrahlen, zum Umdenken einladen und die Unternehmenskultur mitverändern-… Andreas Spathelf: Das ist richtig. Ein solches Leuchtturmprojekt war für uns beispielsweise die erste Schule in Deutschland nach Passivhaus-Standard im Jahr 2009. Das hat durchaus auch auf unser Unternehmen „nach innen“ ausgestrahlt. Schauen wir uns Ihre Kunden näher an. Wie sehen Ihre Kunden das Thema ESG derzeit? Oliver Thost: Sehr unterschiedlich. Wie erwähnt, verfolgen einige ihre „Nachhaltigkeitsstrategie“ seit Jahren und sind der Politik voraus. Sie wissen, was sie wollen - und beauftragen Unternehmen wie unseres, um ihre Projekte zielgerichtet und erfolgreich umzusetzen. Denen muss man nichts mehr erklären? Andreas Spathelf: Nein, ihnen nicht. Doch viele andere Kunden sind eben noch nicht so weit. Sie sind sich auf vielen Feldern noch unsicher. In der Immobilienbranche gab es unlängst eine Umfrage. Fast alle Befragten bestätigten, dass ESG ein großes und wichtiges Thema für sie ist oder sein wird. Doch nur ein kleiner Teil - 10 bis 15 Prozent - hat das Thema ansatzweise inhaltlich durchdrungen. Vielen geht es derzeit darum, den eigenen Bedarf zu klären, der sich aus den zunehmenden Verordnungen, Regularien und Berichtspflichten ergibt. Sie fragen: Was bedeutet ESG für uns als Unternehmen? 9 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 03/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0045 Welche Kunden zum Beispiel? Andreas Spathelf: Beispielsweise Unternehmen mit einer großen Immobilienbestand. Einige Bundesländer wollen bereits bis 2040 klimaneutral werden. Sie entwickeln immer schärfere Maßnahmen, um dieses Ziel zu erreichen. Ein bedeutender Ansatzpunkt dabei ist der Immobilienbestand, der für die Dekarbonisierungspläne einen viel größeren Hebel hat als Neubauten und der auch klimaneutral werden soll. Viele Immobilienunternehmen wollen wissen, was diese Zielformulierung konkret für ihren Immobilienbestand bedeutet. Was ist für diese Unternehmen aus Ihrer Sicht zu tun? Sie müssen ihren Bestand bewerten und Lösungsvorschläge entwickeln, wie sie die Vorgaben erfüllen können. Dabei geht es um sehr praktische Fragen. Wie kann das Unternehmen für die Analyse seines Portfolios eine Strategie und eine Roadmap entwickeln? Wie kann es organisatorisch die Umsetzung von Maßnahmen angehen? Angenommen, ein Unternehmen hat Hunderte oder Tausende Wohneinheiten in seinem Portfolio. Für die einzelne Einheit mag die Analyse vergleichsweise einfach sein. Doch wie geht man das bei 1.000 oder 10.000 Einheiten an? Ein großes Projekt-… Andreas Spathelf: …- auf das nicht alle Unternehmen vorbereitet sind. Sie müssen sich darauf einrichten, wie man solche Projekte angeht und durchführt. Dafür brauchen sie möglicherweise Organisationsberatung, ein Projektmanagement Office. Sie benötigen Unterstützung, um Daten verfügbar zu machen, zusammenzutragen und auszuwerten, und schließlich verpflichtende ESG-Berichte zu verfassen. Dann müssen die Maßnahmen umgesetzt werden wie etwa durch einen verbesserten baulichen Wärmeschutz, Umstieg auf Wärmepumpen, Einsatz von Photovoltaik oder LED-Beleuchtung. Solche Maßnahmen werden vom Staat unterstützt. Andreas Spathelf: Ja, es gibt Fördermöglichkeiten. Energetische Sanierungen werden unterstützt aus immer mehr Förderquellen. Unternehmen brauchen dafür ein Fördermittel-Management, benötigen Fachleute, die Überblick haben über die aktuellen Möglichkeiten, die die zu erfüllenden Bedingungen kennen und wissen, wie man mit welchen Daten Anträge stellt. Es heißt, dass viele ESG-Regelungen derzeit noch vage sind-… Oliver Thost: Zunächst einmal ist ESG ein Oberbegriff für vieles, was mit Nachhaltigkeit zu tun hat. Doch auch die bereits erwähnten Taxonomie-Verordnungen sind noch recht vage und werden fortlaufend weiterentwickelt. Kann es sein, dass Unternehmen dazu verleitet werden, deshalb ESG noch nicht ernst zu nehmen? Andreas Spathelf: Ich denke, die meisten erkennen die Bedeutung von nachhaltigem Wirtschaften. Einigen ist vielleicht noch nicht klar, dass aus Empfehlungen in Kürze zunehmend konkrete Vorgaben, Grenzwerte und Betriebspflichten resultieren werden. Oliver Thost: Wir spüren, wie der „ESG-Verordnungsrahmen“ zunehmend enger wird. Aus unserer Sicht sollte man sich schon heute auf den Weg machen, auch wenn die Vorgaben und Grenzwerte erst in einigen Jahren festgelegt werden. Ich möchte das Thema ESG aus Sicht von Projekten und Projektmanagern beleuchten. Fangen wir mit Projekten an. Wir wissen, dass viele Projekte zur Nachhaltigkeit beitragen. Doch wie kann man die Projektarbeit selbst nachhaltiger machen? Andreas Spathelf: Hier stellt sich die Frage, wo die größten Hebel hinsichtlich Nachhaltigkeit sind. Mit welchen Maßnahmen können wir die größten Effekte erzielen? Projektorganisationen sind Interimsorganisationen. Natürlich kann man auch in dieser Interimsorganisation Nachhaltigkeitsaspekte implementieren. …-beispielsweise, dass Teammitarbeiter umweltfreundliche Verkehrsmittel nutzen, dass im Projekt Ökostrom verwendet wird oder mehr auf die Gesundheit der Teammitglieder geachtet wird? Andreas Spathelf: Ja, natürlich, darauf achten wir in unserem eigenen Umfeld. Der große Hebel liegt im Projektgeschäft in der Formulierung der Bedarfe, den Rahmenbedingungen und den Zielvorgaben, um geeignete „Nachhaltigkeitsaspekte“ im Sinne von ESG festzuschreiben und in die Projekte zu implementieren und schließlich bei der Umsetzung auf deren Einhaltung zu achten einschließlich der zunehmend geforderten Nachweise und Dokumentationen. Anzeige Reportage | Jetzt kommt die Nachhaltigkeit im Projektgeschäft 10 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 03/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0045 Also etwa Produktionsanlagen energieeffizienter zu machen oder recyclefähige Baumaterialien einzusetzen? Andreas Spathelf: Zum Beispiel! Solche Weichen werden während der Initiierung und Vorbereitung der Projekte gestellt. Auf diese Vorphase der Projekte konzentrieren wir uns zunehmend. In dieser Phase ist das Potenzial am größten. Hier werden die entscheidenden Weichen gestellt. Wir haben die Auswirkungen von ESG besprochen. Meine Abschlussfrage: Wie verändert sich durch ESG die Arbeit des Projektmanagers? Wird das Management von Projekten wegen der zusätzlichen ESG-Dimension komplexer oder schwieriger? Oliver Thost: Auf lange Sicht können ESG-Ziele eine neue Steuerungsdimension im Sinne „Green Controlling“ ins Projektmanagement bringen. Wenn wir auf das Projektmanagement von vor 20 Jahren zurückblicken - da gab es diese Steuerungsdisziplin noch nicht. Nachhaltigkeitsziele können zu einer höheren Komplexität führen, insbesondere für die technischen und prozessualen Stränge. Projektmanager müssen dann die Erfahrung haben, diese Komplexität zu steuern. Und sie müssen mit neuen Modellen etwa für Verträge umgehen können. Unter dem Strich kann die Anforderungsliste an den Projektmanager etwas länger werden? Oliver Thost: Ja, möglicherweise um ein paar konkrete Punkte. Viele Menschen fühlen sich dem Ziel nachhaltigen Wirtschaftens und Lebens verbunden. Sie sehen einen Sinn darin, persönlich bei Ihrer Arbeit einen Beitrag zu leisten etwa zum Klimaschutz. Ist ESG damit auch ein Schlüssel, im Fachkräftemangel zu bestehen? Andreas Spathelf: Wir können ganz klar bestätigen, dass unsere Mitarbeitenden zunehmend den eigenen Anspruch haben durch Ihre berufliche Tätigkeit einen Beitrag zu mehr Nachhaltigkeit in den beschriebenen Dimensionen zu leisten-… …-etwa einen Beitrag zu mehr Klimaschutz? Andreas Spathelf: Ja natürlich, das ist vielen Menschen ein persönliches Anliegen. Darüber hinaus sehe ich noch weitere Aspekte: Nachhaltige Geschäftspraktiken können zu besserer Zusammenarbeit führen. Die Tätigkeit im Projekt macht den Menschen mehr Spaß. Eine vertrauensvolle Projektkultur reduziert den Stress im Team und lässt Mitarbeiter engagierter arbeiten. Sie reiben sich in Konflikten nicht mehr gegenseitig auf. Wir sind überzeugt: eine vertrauensvolle Projektkultur führt zu besseren und wirtschaftlicheren Projektresultaten. Eingangsabbildung: © iStock.com / Sakorn Sukkasemsakorn Oliver Thost Oliver Thost ist Diplom-Ingenieur für Informationstechnik und geschäftsführender Familiengesellschafter in zweiter Generation. Sein Einstieg ins Unternehmen erfolgte 2012 ins operative Projektgeschäft am Standort München, bis er mit Berufung in die Geschäftsführung an den Stammsitz Pforzheim wechselte, wo er das Marketing und den IT-Service verantwortet und gemeinsam mit Andreas Spathelf das Thema ESG / nachhaltige Unternehmensführung vertritt. Seine Schwerpunkte setzt er hier in den Bereichen Kilmaschutz, Work & Life sowie CSR. Als Geschäftsführer der THOST Holding GmbH trägt er übergeordnete Verantwortung für die Entwicklung der Unternehmensgruppe. Foto: THOST Projektmanagement GmbH Andreas Spathelf Andreas Spathelf ist Diplom-Bauingenieur mit über 30 Jahren Berufserfahrung in der Immobilienwirtschaft und im Anlagenbau. Nach seinem Einstieg bei THOST Projektmanagement im Jahr 1997 prägte er seit 2010 als Prokurist und seit 2013 als Geschäftsführer die Entwicklung des Unternehmens von damals 30 auf heute fast 600 Mitarbeitende entscheidend mit. Klassisches und hybrides Projektmanagement sowie Vertragsmodelle sind seine bevorzugten Fachgebiete. Neben den Business Units West und International verantwortet er die Bereiche Personalentwicklung, Geschäftsentwicklung und Public Relations und vertritt gemeinsam mit Oliver Thost die Themen ESG und Nachhaltigkeit in der Unternehmensführung. Foto: THOST Projektmanagement GmbH